DAS NATUR-HISTORISCHE - Naturhistorisches Museum Wien
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DA S M AG A Z IN DES NAT UR HIS TOR ISC HE N MUSE U M S W IE N FRÜHLING 2020 1 DAS NATUR- HISTORISCHE n Rückblick der scheidenden Generaldirektion n Der Narrenturm erstrahlt in neuem Glanz NHM WIEN/CHRISTINA RITTMANNSPERGER n Strahlung in der Umwelt n Mütter in der Urgeschichte n Engagierte Kunst und Meisterfotos
2 EDITORIAL AUS DER GENERALDIREKTION 3 Von Herbert Kritscher Liebe Leserin, lieber Leser! D iese Ausgabe von „Das Naturhistori- en Ausstellung der pathologisch-anatomischen sche“ ist in mehrfacher Hinsicht un- Sammlung im Narrenturm sowie die Präsentati- gewöhnlich. Sicherlich haben viele on eines neuen Dauerausstellungsteils im Saal 4 von Ihnen dieses Heft bereits im zum Thema Strahlung in der Natur (siehe auch März erwartet, und jetzt ist es Mai. die Beiträge in diesem Heft) – auf eine innovative Nun, leider hat das „Universum“-Magazin mit Art trotzdem zugänglich zu machen. Wir hoffen, Ende 2019 sein Erscheinen eingestellt. Wie unsere dass die geplanten Eröffnungen von „Wild“ (fan- Hauszeitung in Zukunft erscheinen wird, können tastische Fotos des National-Geographic-Fotogra- wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen. fen Michael Nichols im Juli) und die große Herbst- Viele Veranstaltungen, die für dieses Frühjahr ge- Ausstellung „Ablaufdatum“ zur Frage der Ver- plant waren, konnten wegen der Corona-Virus- schwendung von Lebensmitteln – bis hin zu Epidemie und den damit verbundenen Restriktio- Implikationen für die Biodiversität – planmäßig nen nicht stattfinden. Mit 11. März 2020 musste stattfinden können. das NHM Wien schließen. Der Besucherbetrieb Ein weiteres Virus-„Opfer“ ist auch die bisher NHM WIEN wird, nach heutigem Wissensstand, gegen Ende sehr erfolgreiche Mondausstellung, die zumindest Mai wieder aufgenommen. noch von 20. Mai bis 1. Juni zu sehen sein wird. Das Museum war zwar einige Zeit auf Notbe- Viele geplante Veranstaltungen – wie etwa die Ko- „Hic locus est, ubi mors gaudet succurere vitaes“ trieb geschaltet, jedoch nicht untätig: Die Online- operation zum Thema „Mond im Film“ mit dem Präsenz wurde gebündelt und verstärkt, und un- ser sehr engagiertes Team der Museumspädago- gInnen hat von zu Hause rund 50 Videos über Österreichischen Filmmuseum – mussten abge- sagt werden. Weitere Veränderungen stehen be- vor. Leider läuft meine Amtszeit als Generaldirek- DER NARRENTURM ERSTRAHLT Tiere und Pflanzen, Erdgeschichte, Archäologie und Astronomie zusammengestellt. Sie zeigen kleine Experimente und Forschungsaufgaben für tor des NHM Wien mit Ende Mai 2020 aus. Wäh- rend der letzten zehn Jahre habe ich gut mit meinem Kollegen HR Dr. Herbert Kritscher, der IN NEUEM GLANZ Nach Jahren der Sanierung und Neugestaltung wird die Pathologisch-anatomische zu Hause und wurden zum Teil auch vom ORF- als promovierter Anthropologe die wirtschaftli- Schulfernsehen („Freistunde“) übernommen. Mit che Leitung des Hauses innehatte und auch Vize- Sammlung in einem historisch einzigartigen Gebäude nun wieder eröffnet. V diesen Kurzfilmen wurden während des Lock- direktor war, zusammengearbeitet. Er geht nun downs in den sozialen Medien rund 140.000 Men- nach mehr als 40 Jahren im NHM Wien in den iele Jahre hindurch haben wir immer dafür schen erreicht. Und erst jetzt, im Mai, können wohlverdienten Ruhestand. Überraschenderweise plädiert, dass diese einmalige Sammlung in zumindest einige Arbeiten an den Sammlungen hat sich die Politik entschieden, statt auf Konti- diesem einmaligen Ambiente keinesfalls ver- und in der Forschung wieder aufgenommen wer- nuität zu setzen und auch trotz all der Erfolge der kommen darf. Die Sammlung war bis 2011 das den. letzten Jahre (wie etwa eine deutliche Erweite- letzte Museum des Bundes, das noch nicht aus- Leider sind nicht nur Veranstaltungen ausge- rung der Forschungsleistung am NHM Wien oder gegliedert war und als Einheit sicher zu klein, um eine fallen, es wurden auch keine Monatsprogramme die Verdopplung der Besucherzahlen), beide Ge- selbstständige wissenschaftliche Anstalt zu werden. Der für April und Mai versandt. Und auch für den schäftsführungen neu zu besetzen. Dies ist also überwiegend naturwissenschaftliche Charakter dieser Mai geplante Eröffnungen können leider nicht in mein letztes „Editorial“. Gerne hätte ich noch wei- Sammlungen legte es nahe, dem NHM Wien diese Samm- NHM WIEN/ALICE SCHUMACHER der normalen Form durchgeführt werden. Trotz- tere Ideen verwirklicht. So aber wünsche ich dem lung anzugliedern. Nur wenige in der Öffentlichkeit dem werden wir versuchen, die geplanten Ausstel- NHM Wien alles Gute für die Zukunft und lade kannten die Sammlung und das Gebäude im Alten All- lungsprojekte – eine kleine Sonderausstellung der Sie nach wie vor ins Haus am Ring ein, wo es im- gemeinen Krankenhaus. Während das NHM Wien am Künstlerin Elisabeth von Samsonow Mitte Mai, mer etwas Neues zu entdecken gibt. Ring ja nie etwas anderes war als das Naturhistorische die (Fast)Fertigstellung der Renovierung und neu- Christian Köberl Museum, hatte der Narrenturm ursprünglich einen ganz 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
4 NHM WIEN AUSSENSTELLE 5 1784 für die Pflege von geisteskranken Menschen erbaut, beherbergt der sogenannte Narrenturm eine weltweit einzigartige Sammlung von anatomischen und pathologischen Präparaten. In jahrelanger minutiöser Arbeit wurden das Gebäude und die Sammlung komplett renoviert. NHM WIEN, KURT KRACHER, IRINA KUBADINOW Startschuss 2013: „Der Narrenturm soll ein Museums- juwel werden“: Abteilungsdirektorin Maria Teschler- Nicola, Christian Köberl, ehem. Bundesministerin Claudia Schmid, Herbert Kritscher (v.l.n.r.) anderen Zweck: Er entstand 1784 als Rundbau mit einer KRANKENHAUS, WOHN- UND Weg weiterzugehen. Wir bekamen die Chance, das NHM antwortlich, mit dem das NHM Wien auch schon viele in der Mitte gelegenen zentralen Kontrolleinheit als VERSORGUNGSGEBÄUDE Wien um diesen einmaligen Sammlungsbereich zu er- Ausstellungsprojekte erfolgreich verwirklicht hat. Wun- erstes Krankenhaus der Welt, das ausschließlich für die Der Rest der Geschichte lässt sich in ein paar Worten weitern, der nahezu grenzenlose wissenschaftliche, mu- derschön umgesetzt haben einen Großteil der Tischler- Pflege von geisteskranken Menschen vorgesehen war. zusammenfassen: Der Narrenturm wurde als Spital be- seale und auch touristische Kostbarkeiten in sich birgt. arbeiten unsere beiden Haustischler Fritz und Leopold Damit war auch die Saat für die Psychiatrie als medizi- reits 1866 aufgelassen und diente dann dem AKH als Österreicher. nische Fachrichtung gelegt. Wohn- und Versorgungseinheit. Die pathologischen WELTWEIT EINZIGARTIG Parallel zu den intensiven Planungsarbeiten für die Nahezu zeitgleich begann auch die Sammlung der Sammlungen wuchsen ständig und waren im Bereich Die Angliederung des Narrenturms und der darin auf- neukonzipierte Dauerausstellung wurde, wie übrigens heute dort befindlichen Exponate – wenngleich diese der Prosekturen und Institute der Pathologie unterge- bewahrten Pathologisch-anatomischen Sammlungen während der ganzen jahrelangen Umbauphase, der re- aber zunächst woanders aufbewahrt worden waren. Die bracht. Immer wieder sind es große Namen der Wiener (PASiN) an die Anthropologische Abteilung des NHM guläre Museumsbetrieb inklusive Gastempfänge und Initialzündung dazu gab der 1795 neu bestellte Direk- Medizin, die die Sammlung vor dem Zerfall retteten. Wien ab Jänner 2012 liegt mittlerweile gute acht Jahre Veranstaltungswesen aufrechterhalten – gestoppt im tor des Allgemeinen Krankenhauses, der gemeinsam Einer davon war Karl Alfons Portele, Prosektor und zurück. Damit einher gingen emsige und langwierige März durch den Ausbruch der Covid-Pandemie. mit dem damaligen Stadtphysikus das Sammeln, Prä- Kustos der Sammlung. Renovierungs- und Sanierungsarbeiten, die mit großer Nun kann sich die Öffentlichkeit auf eine „Neuer- parieren und Aufbewahren von Besonderheiten, Ab- Ihm gelang es 1971 nach der Neuorganisation des Sorgfalt, koordiniert von Architekt Thomas Kratschmer, öffnung“ des Narrenturms freuen, von der wir leider normitäten, Krankheiten in allen Bereichen der Medi- Pathologischen Institutes, Teile des Narrenturms für finanziert durch §5-Mittel des zuständigen Ministeri- noch nicht genau sagen können, wann diese stattfinden zin anordnete, um aus den Krankheiten und den Fall- die Zwecke der Aufbewahrung und Präsentation dieser ums und unter ständiger Berücksichtigung aller kann. Sehr gerne möchte die Geschäftsführung des beispielen eine Gesundheitslehre und vor allem Sammlung zu requirieren. Wurden dafür zunächst nur Vorgaben v.a. durch das Bundesdenkmalamt erledigt NHM Wien und das für die Umsetzungen verantwort- Therapien zu entwickeln. Sicher hat diese Idee nicht einige wenige Zellen im Narrenturm genutzt, so hat die wurden. liche Team der Anthropologischen Abteilung allen das sofort funktioniert, aber es hatte einen Keim zum Trei- Sammlung im Laufe der Zeit Zelle für Zelle, Stockwerk Im Frühjahr 2019 konnten die groben Umbau- neue, unter Leitung des NHM Wien entstandene Er- ben gebracht, und der sollte im 19. Jahrhundert aufge- für Stockwerk erobert, egal welchem Zweck sie ehemals arbeiten abgeschlossen und einige kleine Änderungs- scheinungsbild des Narrenturms präsentieren: Von ei- hen und damit Basiswissen der berühmten 2. Wiener dienten. anforderungen erledigt werden. Einige der letzten fina- nem dunklen, weitgehend verfallenen und desolat da- Medizinischen Schule sein. Deshalb schreibt der ange- Nach dem Tode Porteles hat Beatrix Patzak sein Erbe len Bauvorhaben bestanden in der Adaptierung des Ein- liegenden Schandfleck auf dem alten AKH-Gelände hat sehene Anatom Joseph Hyrtl über die Sammlung den angetreten, bewahrt und vermehrt. Sie hat dort tolle gangsbereichs, einer Neugestaltung des Museumsshops sich das in seiner Art weltweit einzigartige Bauwerk zu lateinischen Satz „hic locus est, ubi mors gaudet suc- Arbeit unter schwierigsten Bedingungen geleistet und und der Errichtung einer räumlich getrennten Ticket- einem Juwel entwickelt, das ganz besondere Sammlun- curere vitae“ – übersetzt: Hier ist der Ort, wo der Tod vor allem die Erhaltung der berühmten Kollektionen kassa. Für diese und andere innenarchitektonische Pla- gen bewahrt, pflegt und der Wissenschaft sowie dem sich freut, dem Leben zu dienen. und des Gebäudes geschafft. Es lag nun an uns, diesen nungen zeichnet der Architekt Martin Kohlbauer ver- Publikum wieder zugänglich gemacht hat. 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6 RÜCKBLICK 7 Von M artin Kugler 10 Jahre an der Spitze des Der scheidende Generaldirektor, Christian Köberl (re.), und sein Vize, Herbert Kritscher (li.) (im Bild vor dem Digitalen Planetarium kurz vor dessen Fertigstellung) NHM Wien. Ein Rückblick Mit Anfang Juni kommt es zu einem Wechsel an der Spitze des NHM Wien: Generaldirektor Christian Köberl kehrt nach zehn Jahren voll zurück in die Forschung an die Universität Wien, Vizedirektor Herbert Kritscher geht nach 45 Dienstjahren im Museum in Pension. D as Naturhistorische Museum Wien ist eine torischen Sammlungen neu aufgestellt – inklusive se- altehrwürdige Einrichtung der Republik paraten Venus- und Goldkabinetten. Völlig neu gestal- Österreich und die wichtigste Stätte des tet wurde auch die Anthropologie, die die Entstehung Landes zur Sammlung und Bewahrung und Entwicklung des Menschen erklärt. Neu gebaut des Naturerbes. Mit dem bis 31.12.2009 wurde das Digitale Planetarium, das mit einer ein- amtierenden Direktor Bernd Lötsch begann bereits ein drucksvollen Rundprojektion den Besuchern die Welt Weg der Öffnung hin zu aktuellen Themen, die die Welt und das Weltall näherbringt. Neu gestaltet wurden bewegen. Als Christian Köberl und Herbert Kritscher überdies der Eingangsbereich, das Café/Restaurant, die vor zehn Jahren ihre Posten in der neuen Generaldi- Garderoben und der Museumsshop. rektion antraten, wollten sie diesen Weg konsequent weitergehen, wenn auch mit anderen Akzenten. Lötsch ZAHL DER BESUCHER VERDOPPELT war ein Vorreiter und Aktivist der Ökologiebewegung, Das Programm an Sonderausstellungen wurde in Rich- Köberl kam aus der Wissenschaft: Er ist Professor für tung gesellschaftsrelevanter und breitenwirksamer Impaktforschung und planetare Geologie an der Uni- Ausstellungen umgestaltet, um den aktuellen Stand des versität Wien, Mitglied der Akademie der Wissenschaf- Wissens zu vermitteln. Köberl erinnert sich mit großer ten (ÖAW) und in Wissenschaftsteams von NASA- und Freude etwa an die Ausstellungen „Das Geschäft mit ESA-Missionen. Sein Hauptanliegen als frischgebacke- dem Tod“ zum Artensterben, „Wie alles begann“ zur ner Museumsdirektor war es, auf seriöse Weise wissen- Entstehung des Universums oder zuletzt die große schaftliche Erkenntnisse einer breiten Bevölkerung zu Mond-Ausstellung. vermitteln. Kritscher war zu diesem Zeitpunkt bereits Kurz vor dem Abschluss steht nun auch ein Herzens- seit 35 Jahren im Haus – anfangs als Wissenschafter in projekt Kritschers: die Übernahme, Renovierung und der Anthropologischen Abteilung, ab 1994 als General- Neuaufstellung der Pathologisch-anatomischen Samm- sekretär – und konnte nun als Vizedirektor und wirt- lung im sogenannten „Narrenturm“ am Gelände des Alten schaftlicher Geschäftsführer die Vorteile und Chancen, AKH (heute: Campus der Universität Wien). Sowohl das die sich aus der Ausgliederung der Bundesmuseen aus Gebäude als auch die Sammlung sind weltweit einzigartig der Bundesverwaltung ergaben, nutzen. und sollen nun ab diesem Sommer der Bevölkerung in völlig neuem Gewand zugänglich gemacht werden. ERNEUERUNG VIELER SCHAUSÄLE Der Erfolg hat den beiden recht gegeben. Die Zahl Gemeinsam gingen Köberl und Kritscher – die stets der Besucher lag im Jahr 2010 bei knapp 400.000, bis ihre ausgezeichnete Zusammenarbeit betonten – im zum Jahr 2019 hat sie sich auf 805.000 mehr als verdop- Jahr 2010 daran, das Haus zu erneuern und den letzten pelt (wobei der Gratiseintritt für Unter-19-Jährige ab Staub, der sich seit der Eröffnung des Museums 1889 2010 natürlich eine Rolle spielte). Und die Zahl der Füh- angesammelt hatte, hinauszublasen. rungen und sonstigen Vermittlungsangebote ist auf NHM WIEN, KURT KRACHER Eine zentrale Aktivität war die Erneuerung vieler rund 5.500 pro Jahr gestiegen. Schausäle: Im Erdgeschoss wurden Teile der mineralo- Als gelungen sehen Köberl und Kritscher auch das gischen und geologischen Ausstellungen auf den Stand Vorhaben an, die Forschung am NHM Wien zu inten- der Zeit gebracht. Ein neuer Meteoritensaal wurde ein- sivieren und besser zu positionieren. Das Museum wird gerichtet, der Sauriersaal modernisiert und die prähis- heute in der Öffentlichkeit und in den Medien als ernst- 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
8 RÜCKBLICK 9 Illustre Gäste im NHM Wien: oben: Christian Cap (damals Vorsitzender des Kuratori- ums) und ehem. Bundesminister Josef Ostermayer (2015) Mitte: Tierethik-Philosoph Peter Singer (2016) unten: Hugo Portisch und NASA-Astronaut Rusty Schweickart (2019) zunehmende Forschungsinstitution wahrgenommen Die Rolle der Museen in der Gesellschaft hat sich in und zu allen Fragestellungen rund um Natur, Leben jüngster Vergangenheit gewandelt, befinden Köberl und und Weltraum konsultiert. Für viele neue Forschungs- Kritscher unisono. Mehr denn jemals zuvor ist der Bil- felder konnten, vielfach in Kooperation mit Universi- dungs- und Vermittlungsauftrag wichtig – und seriöse täten, Fördermittel lukriert werden. Eingerichtet wur- Informationen über die Erde und das Leben würden den unter anderem Laboratorien für Elektronenmikro- immer stärker nachgefragt. skopie und Mikroanalyse, ein DNA-Labor sowie eine Computertomografie. BESONDERE ERINNERUNGEN Die Rahmenbedingungen waren und sind freilich Was waren für die scheidenden NHM Wien-Chefs die nicht ganz einfach. Allem voran steht die Tatsache, dass eindrucksvollsten Momente im abgelaufenen Jahr- die Basisabgeltung, die das NHM Wien aus dem Bun- zehnt? „Einerseits, dass so viele Menschen von unseren desbudget bekommt, nicht regelmäßig an die Inflation Dauer- und Sonderausstellungen begeistert waren, aber angepasst wird, also in realem Geldwert immer mehr für mich selbst auch die Tatsache, dass ich viele bedeu- sinkt. Die Kosten steigen aber weiter. Und das hat Fol- tende Persönlichkeiten im Haus begrüßen konnte“, er- gen: Zum einen ist der Mitarbeiterstand trotz des star- innert sich Köberl. Besonders im Gedächtnis geblieben Ehem. Bundesmi- ken Anstiegs der Vermittlungstätigkeit und der For- sind ihm z. B. der Nobelpreisträger Peter Higgs, der be- nister Thomas schung so gut wie gleich geblieben – derzeit hat das deutende Tierethik-Philosoph Peter Singer oder der Drozda, die Nobel- Haus rund 350 Mitarbeiter, das entspricht rund 230 Apollo-Astronaut Rusty Schweickart. preisträger George Vollzeitäquivalenten. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren wa- Kritscher erinnert sich mit großer Freude an die In- Smoot ((Berkeley, USA) und Peter ren es 212 Vollzeitäquivalente. Zum anderen konnte so dustriellenfamilie Ermann zurück, die sehr oft im Mu- Higgs (Edinburgh, mancher Plan nicht umgesetzt werden. Köberl fuchst seum zu Besuch waren – Oskar Ermann (1924–2011), UK) sowie Christi- am meisten, dass der gemeinsam mit dem Kunsthisto- ehemaliger Direktor einer Chemiefabrik, war leiden- an Köberl (2017; rischen Museum projektierte neue Eingangsbereich mit schaftlicher Hobby-Vulkanologe und lange freier Mit- v.l.n.r.) Sonderausstellungssälen unter dem Maria-Theresien- arbeiter im NHM. Als Dank dafür, dass sie in Österreich Platz nicht realisiert werden konnte. Auch dass sich ein schönes und glückliches Leben führen durften, hin- zum Beispiel die Einrichtung einer DNA-Sammlung terließen sie dem NHM Wien einen namhaften Geldbe- oder eines Radiokarbon-Datierungslabors nicht mehr trag, um damit die Forschung am NHM Wien und geo- ausgegangen sind, findet er schade. Kritscher beklagt wissenschaftliche Projekte zu unterstützen. „Es hat vor allem, dass die Neugestaltung des ganzen Oberge- mich tief bewegt, diesen Menschen so glücklich zu se- schoßes mit den botanischen und zoologischen Samm- hen, dass er auf diese Weise seinen Dank an ganz Ös- lungen bisher nicht angegangen werden konnte. terreich ausdrücken konnte“, so Kritscher. Ω Die scheidende Generaldirektion im NHM WIEN/CHRISTINA RITTMANNSPERGER Kreise der Abteilungsdirektorinnen und –direktoren nach der letzten Sitzung am 13.05.2020. NHM WIEN, KURT KRACHER, APA/MARIE RAMBAUSKE 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
10 MINERALOGIE 11 Von Christian Köberl, Vera M.F. Hammer, und NAME Uwe KolitschTEXT Ludovic Ferrière Der Oklo-Bohrkern: Ein Bohrkern aus einem der natürlichen Kernreaktoren von STRAHLUNG IN Oklo, Gabun (Inventar-Nr. O 418) NHM WIEN/LUDOVIC FERRIÈRE DER UMWELT R adioaktivität wird, oft aus gutem Grund, negativ bewertet. Viele Menschen glauben, dass diese Art Strahlung nur künstlich er- Eine neuer Teil der Dauerausstellung, ab Ende Mai im Saal 4 zeugt wird. Atombomben und Kernkraft- des NHM Wien zu sehen, widmet sich der Strahlung − von werke auf der einen Seite, aber auch medi- zinische Anwendungen (von der Röntgenstrahlung bis natürlicher Radioaktivität, geologischen Kernreaktoren zu radioaktiven Markern in der Krebstherapie), kom- NHM WIEN/A. SCHUMACHER bis zu leuchtenden Mineralen. men einem hier in den Sinn. Radioaktivität ist aber auch Teil der Natur, und tatsächlich macht die künst- liche Strahlung, der wir Menschen ausgesetzt sind, nur ungefähr ein Drittel der gesamten Strahlenbelastung aus. Zwei Drittel stammen aus natürlichen Quellen – meist aus dem Zerfall natürlich vorkommender radio- Minerale, die im Dunkeln leuchten: aktiver Substanzen und aus der kosmischen Strahlung. Kräftig lumineszierende Mineralien Die Entdeckung der Radioaktivität ist einem Zufall zu verdanken: Henri Becquerel hat sich 1896 mit der Fra- ge der Fluoreszenz von natürlichen Mineralen befasst und fand bei Uranmineralen eigentlich durch ein Fehl- experiment eine bisher unbekannte Art der Strahlung. ten kann man sogar Phosphoreszenz beobachten. Unter „Radioaktivität“ umfasst verschiedene Strahlungsar- dem Begriff Lumineszenz (vom lateinischen Wort „lu- ten – z.B. Helium-Kerne als α-Strahlung, Elektronen men“ für Licht bzw. leuchten) werden üblicherweise als β-Strahlung und elektromagnetische Strahlung als verschiedene Leuchterscheinungen zusammengefasst. γ-Strahlung. Diese werden beim Zerfall natürlich vor- Erfolgt das Leuchten infolge einer chemischen Reakti- kommender instabiler Isotope – die z.B. im Inneren von on innerhalb eines Lebewesens, spricht man von Biolu- Sternen gebildet werden – frei. Energiereiche kosmische mineszenz – man kennt sie beispielsweise von Glüh- Strahlung stammt von der Sonne, aber auch von ent- würmchen. Die Fotolumineszenz eines Minerals wird fernten Galaxien, und kann durch Wechselwirkung mit hingegen erst ausgelöst, wenn es mit hochenergetischer der Erdatmosphäre weitere Partikel bilden, von denen UV-Strahlung beleuchtet wird. Tritt dieses Leuchten wir dauernd durchdrungen werden. Ein Spezialdetek- während der Bestrahlung mit der UV-Lampe auf, spricht tor in der Ausstellung zeigt diese Strahlung „live“. man von Fluoreszenz, leuchtet das Mineral auch noch, wenn die UV-Lampe bereits abgeschaltet ist, spricht EIN NATÜRLICHER KERNREAKTOR man von Phosphoreszenz. Fluoreszierende Minerale Es mag für viele eine Überraschung sein, dass Kernre- können die für das menschliche Auge nicht sichtbare NHM WIEN/ALICE SCHUMACHER (2) aktoren nicht nur von Menschen geschaffene Objekte UV-Strahlung in sichtbares Licht umwandeln. sind. Wie so oft, hat die Natur auch hier „Pionierarbeit“ Dieses Phänomen des Leuchtens wurde 1852 erstmals geleistet. Vor etwas über zwei Milliarden Jahren waren vom britischen Physiker George Stokes beim Fluorit in Uranerzen im heutigen Oklo in Gabun (Afrika) die beobachtet. Dabei war ihm aufgefallen, dass dieses Mi- Umweltbedingungen ideal, um natürliche Kettenreak- neral ein blaues Leuchten im abgedunkelten Zimmer tionen zu ermöglichen. In bisher 19 bekannten „Reak- zeigte, nachdem zuvor Sonnenstrahlen darauf gefallen torkernen“ liefen dort viele Millionen Jahre lang natür- waren. Für diese Erscheinung wählte er daher den Be- Ein typisch farbenfrohes Uranmineral: liche, energieproduzierende Reaktionen aus der Uran- griff Fluoreszenz. Gelber Metatyuyamunit neben grünem Kernspaltung ab. Heute ist deren Strahlung fast Die häufigsten Auslöser für Fotolumineszenz sind Malachit von Katanga, Demokratische vollständig abgeklungen, und daher kann eine der sel- bestimmte Metallionen, wie beispielsweise von Mangan, Republik Kongo. Größe des Stücks: 7 x 6,5 x 2,5 cm (Inventar-Nr. M 4283) tenen Proben aus Oklo im Museum gezeigt werden. Chrom, Seltenerdelementen, Kupfer, Zinn, Wolfram, Blei und Uran. Die eindrucksvollsten Fluoreszenzmi- MINERALE, DIE IM DUNKELN LEUCHTEN nerale kommen aus der Zink-Lagerstätte Franklin in Ausschnitt aus der Live- Die neugestaltete Vitrine zeigt eine Auswahl an Mine- New Jersey, USA. Auch in Österreich kann man fluo- NHM WIEN Darstellung von Teilchen ralen, die unter kurz- und/oder langwelliger UV-Strah- reszierende Mineralien finden, wie etwa das Wolf- der kosmischen Strahlung lung besonders kräftig leuchten. Bei genauem Betrach- ramerz Scheelit. Ω 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
12 ANTHROPOLOGIE 13 Von Doris Pany-Kucera, Michaela Span- nagl-Steiner, K atharina Rebay-Salisbury FOTO: PRIVAT, ALICE SCHUMACHER NHM WIEN/W. REICHMANN Der „sakrale präaurikuläre Anbau“ (Pfeile) am Kreuzbein einer Frau aus Unterhautzenthal/NÖ Doris Pany-Kucera und D Michaela Spannagl-Steiner as Projekt „The Value of Mothers to Soci- bei der Datenaufnahme bronze- und eisenzeitlichen Kindergräbern Österreichs schließlich bei Frauen, aber in allen Altersgruppen, ge- ety: responses to motherhood and child erschien dazu in der renommierten Wissenschaftszeit- funden hatten, führten wir den Begriff „sacral preau- rearing practices in prehistoric Europe“ schrift „Nature“ (https://www.nature.com/articles/ ricular extension“ dafür ein. Die Ergebnisse wurden (ERC starting grant No. 676828, 1.7.2016– s41586-019-1572-x). letztes Jahr international publiziert (https://onlinelib- 30.6.2021) versucht, Mütter von Nicht- rary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/oa.2814). müttern in der Urgeschichte zu unterscheiden. Dazu EIN NEUES MERKMAL werden Skelette aus prähistorischen Einfach- und An den Skeletten wird systematisch ein Set von Merk- ÜBER DEN TELLERRAND GESCHAUT Mehrfachbestattungen mit Kindern anthropologisch malen aufgenommen, die sich bei Schwangerschaften Mit den Anatomen Wolfgang J. Weninger und Barbara untersucht und archäologisch hinsichtlich der Grab- und Geburten stärker ausprägen können. Diese befin- Maurer-Gesek von der Medizin-Uni Wien arbeiten wir ausstattung bewertet. den sich im Becken, genauer: am Kreuzbein-Darmbein- an der Ursachenforschung und möglicher Interpreta- Das Projekt und das Forschungsteam sind an der Ös- gelenk und am Schambein. Einige dieser Merkmale sind tion. Wir argumentieren, dass diese Struktur durch terreichischen Akademie der Wissenschaften verankert bereits seit Langem aus der Literatur bekannt, doch es erhöhte Belastung an dieser Stelle bei langwierigen Ge- (Institut für Orientalische und Europäische Archäolo- ist unklar, wie sie entstehen. Das erschwert ihre Inter- burten entsteht, wie etwa bei einem leichten Missver- gie, Projektleitung Katharina Rebay-Salisbury), die Un- pretation, da auch biomechanische Faktoren die Struk- hältnis des kindlichen Kopfes und des mütterlichen Be- tersuchungen an den Skeletten finden aus logistischen Gründen in der Anthropologischen Abteilung des NHM Von Müttern turen im Beckenbereich beeinflussen können. Im Rahmen der morphologischen Untersuchungen ckens. Damit im Zusammenhang steht auch die in der Schwangerschaft hormonell verursachte Lockerung der Wien statt (Doris Pany-Kucera, Michaela Spannagl-Stei- ner, Elisa-Maria Praxmarer), mit der auch ein Koope- und stießen wir bei unserer bronzezeitlichen Fallstudie Un- terhautzenthal auf ein neues Merkmal: eine flache Kno- Bänder, die mit der Gewichtszunahme zu einer Ände- rung der Körperhaltung führt. In zwei historisch do- Nichtmüttern rationsvertrag besteht. chenneubildung im vorderen-oberen Bereich eines kumentierten Serien in Genf und London fanden wir Seit 2015 wurden mehrere hundert Skelette von ös- weiblichen Kreuzbeins, nächst der Gelenkfläche zum das beschriebene Merkmal nur bei Frauen, die zwei terreichischen Fundstellen aus dem Neolithikum, der Darmbein. Diese knöcherne Struktur war zu Beginn oder mehr Kinder hatten. Bronzezeit und der Eisenzeit untersucht. Auch DNA- und andere chemische Analysen werden durchgeführt. in der schwer zu interpretieren – es war jedoch aufgrund der Form klar, dass es sich nicht um eine arthrotische Ver- Unser Projekt hat viele neue Erkenntnisse in der an- thropologischen Grundlagenforschung gebracht und Ein Artikel über den Nachweis organischer Reste von Wiederkäuermilch in prähistorischen Trinkgefäßen aus Urgeschichte änderung handelt. Nachdem wir dieses Merkmal in über 400 untersuchten urgeschichtlichen Skeletten aus- stellt eine fundierte Basis für weitere bioarchäologische Forschungen dar. Ω 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
14 AUSSTELLUNG 15 Elisabeth von Samsonow: LÖSS. EINE FRAU IN DER LANDSCHAFT Eine performative Installation mit drei Fotografien und zwei Collagen im Eiszeitgang des NHM Wien, kuratiert von Felicitas Thun-Hohenstein A ngetan mit einem Graskleid und einem tografien, die Elisabeth von Samsonow im Eiszeitgang Suche werden. Eingenommen durch ihre suggesti- Kopfschmuck aus winterlichen Schilf- des NHM Wien zeigt, sind von letzterer Art. Die Löss- ve Kraft, nehmen wir als Betrachterinnen und Be- blüten, streift die Künstlerin Elisabeth landschaft, die die Bühne ihrer Performance bildet, trachter Kontakt mit diesen Gefilden auf. Sie selbst von Samsonow suchend, forschend durch ist nach dem Rückzug der Gletscher entstanden, es scheint diese zu lieben, versucht, sie zu erfühlen, eine Landschaft, durch die Lössland- handelt sich um dicke Pakete von äolischem Sedi- in ihr aufzugehen. Synergien entstehen, und eine schaft Niederösterreichs. ment, das über Jahrtausende vom Westwind aufge- affektive Sphäre bildet sich ab, die uns anrührt, die Elisabeth von Samsonow setzt das künstlerische türmt worden ist. Die Erosion nagt seit Jahrtausen- uns angeht und angesichts unserer krisengeschüt- Genre der Performance ein, um neue Gesten der Er- den an den weichen, sandigen Hängen und fertigt telten Gegenwart die Hand reicht. Die Landeinnah- kundung, der Erforschung, der Auslotung von Zu- vielgestaltige Abbrüche und Nischen. Das Licht zau- me der Frau ist kein Alleingang, es ist ein Angebot, sammenhängen zu skizzieren. Diese Gesten können bert magische Schattenwürfe auf die zerklüfteten das Verhältnis von Mensch und Erde dringend und laut und wild, aber auch zart, vage und tastend sein. Flächen. Eine märchenhafte Szenerie. Die Fotogra- ganzheitlich einer Revision zu unterziehen. Wir Die Serie von aus einer Performance generierten Fo- fien und ihre Protagonistin lassen uns Teil dieser sollten es annehmen. Es gibt verschiedene Formen der Erforschung solcher Lösslandschaften: die Geolog*innen inter- essieren sich für das Alter der Sedimente, die Archäolog*innen für die in ihnen konservierten Hinterlassenschaften der prähistorischen Men- schen, die Agrikultur wird von der Fruchtbarkeit der über dem Löss gelagerten Schwarzerde ange- zogen. Diese gemeinsame Geschichte von Mensch und Erde wird von der Lösslandschaft wie in einem Archiv gespeichert: Im Löss hat man die Venus von Willendorf gefunden und die noch ältere Fanny vom Galgenberg. Elisabeth von Samsonows Foto- grafien beziehen sich auch auf diese „älteren Schwestern“ aus dem Löss, die im „Venuskabinett“ am Ende des Ganges zu sehen sind. Die Serie kann Die Arbeit entstand im Rahmen des an als visuelle Lyrik zum Thema „Frau und Erde“ ver- der Akademie der bildenden Künste standen werden, als allmähliche Kalibrierung von Wien angesiedelten interdisziplinären Grund und Figur. Forschungsprojektes „The Dissident Partien der Schautafel, die die Eigenschaften des LEOPOLD PLUSCHKOWITZ (3), KURT KRACHER Goddesses‘ Network“, das in drei Etap- Löss erklärt, sind mit getriebener Messingfolie pen die mit den prähistorischen Venus- abgedeckt, wie man es von orthodoxen Ikonen Funden in Niederösterreich gekoppelten kennt. Die Strukturen zeigen Diagramme aus der Felder auf dem Weg zur Formulierung ei- ner neuen Ökologie auslotet: Geochemie, unterstreichen die Eigenschaften der 1. Die Entzündung der Fantasie Erde. Die Metallauflage stimmt ein auf das am 2. Die Erde lesen und Ende des Ganges befindliche Kabinett mit dem 3. Die Epiphanie der Göttin/Gaia. jungsteinzeitlichen und eisenzeitlichen Goldschatz. www.tdgn.at Ω 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
16 ZOOLOGIE 17 von Christoph Hörweg Von Sabine Schoder, & M artin Scheuch K atharina Zenz und Herbert Zettel CITIZEN SCIENCE PROJEKT bestätigt das Vorkommen des „Kremser Skorpions“. KATHARINA ZENZ FÜR NHM WIEN, KURT KRACHER. Zwei Exemplare des Triestiner Skorpions (Euscorpius tergestinus) in Spalten einer Legesteinmauer sitzend, unter UV-Licht fluoreszierend S eit dem 19. Jahrhundert gibt es in Krems an der Donau, Niederösterreich, ein be- kanntes Vorkommen des Triestiner Skor- pions (Euscorpius tergestinus). Die Art wird in Österreich als vom Aussterben bedroht geführt. Bis dato gab es keine genauen Da- Historische Typusexemplare von Netzwanzen ten zur Verbreitung und zum Zustand dieser nörd- in Schichtfotografien dargestellt. lichsten Population der Art, was es nahezu unmög- LEBENDE lich machte, naturschutzfachliche Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Ein Citizen Science-Pro- jekt von BRG Krems, NHM Wien und Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien konnte jetzt den aktuellen Status des Triestiner Skorpions in Krems in Zusammenarbeit von Schülern, Wis- Ein Triestiner Skorpion am Felsen sitzend, in Normalansicht (oben) bzw. unter UV-Licht SPITZE N senschaftlern und der Bevölkerung dokumentieren. fluoreszierend (unten) Daten der Bewohner wurden mittels Fragebogen etz- oder Gitterwanzen (Tingidae) können sie zuweilen schädlich werden, z. B. in Obst- und über Medienaufrufe gesammelt. Diesen Mel- kommen weltweit in über 2.000 Ar- baum- oder Melanzanikulturen. dungen wurde dann in einem zweiten Schritt in ten vor. In Österreich konnten mehr Das NHM Wien hat eine sehr bedeutende Netz- nächtlichen Kartierungen nachgegangen. Das lite- als 60 Arten nachgewiesen werden. wanzensammlung, die im Jahr 2019 neu geordnet raturbekannte Areal wurde bestätigt, Nennungen Beide deutsche und ebenso ihr eng- wurde. Sie besteht aus über 8.300 wissenschaftli- vom Kremser Umland konnten nicht verifiziert wer- lischer Name (lace bugs) beziehen sich auf die cha- chen Belegen, darunter etwa 180 Typusexemplaren. den. Positiv ist nicht nur die Einstellung der Bevöl- rakteristische netzähnliche Struktur verschiedener Die Franzosen Victor Antoine Signoret und Jean kerung, sondern auch, dass die Population des Skor- Körperteile, insbesondere der Vorderflügel. Der Péricart, der Engländer George Charles Champion, NHM WIEN/CHRISTOPH HÖRWEG (3), KURT KRACHER pions stabil zu sein scheint. Dennoch sind weitere Halsschild zeigt vielfach Verbreiterungen, Kiele der Ungar Géza Horváth und der Amerikaner Carl Untersuchungen über das Verhalten und ökologi- oder kapuzenförmige Blasenbildungen, die man- John Drake – um nur die wichtigsten Forscher zu sche Präferenzen geplant. Überlegungen für weite- chen Netzwanzen ein äußerst skurriles Aussehen nennen – studierten die Sammlung des NHM Wien re Forschungen zu dieser zoologischen Besonderheit verleihen. Aufgrund ihrer geringen Größe von nur oder überließen dem Museum wertvolle Belege. sowie naturschutzfachliche Aspekte wurden bereits zwei bis zehn Millimetern und ihrer versteckten Zeitgleich mit der Neuaufstellung dieses Samm- in der Zeitschrift „Biodiversität und Naturschutz Lebensweise werden sie trotzdem nur selten wahr- lungsteiles wurden die historischen Typen als in Ostösterreich“ (BCBEA) veröffentlicht: genommen. Als Pflanzensaftsauger halten sie sich Schichtbilder fotografiert und können somit erst- http://www.bcbea.at/wp-content/uploads/2020/01/ meist regungslos vor allem auf den Blattunterseiten mals für die wissenschaftliche Bearbeitung weltweit BCBEA_5-1_3-16_Scheuch_et_al_ 20200124.pdfΩ ihrer Wirtspflanzen auf. Bei Massenvermehrungen digital zugänglich gemacht werden. Ω 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
18 AUSSTELLUNG 19 Von Andreas Kroh, M athias Harzhauser und Elisabeth Haring WILD Fotografien von Michael „Nick“ Nichols 8. Juli 2020 – 4. Oktober 2020 in den Son- derschauräumen im Hochparterre. M anchen gilt er als der Indiana Jones VIELFACH AUSGEZEICHNET der Fotografie. Andere sind der An- Nick Nichols hat mit der renommierten Primatenfor- sicht, ohne ihn wäre die Tierfotografie scherin Jane Goodall zusammengearbeitet und mit dem heute nicht das, was sie ist. Die meis- Umweltaktivisten Mike Fay Afrika von Ost nach West ten allerdings halten ihn ganz einfach durchquert. Seine Arbeit stand dabei immer im Zeichen für den besten Fotografen seines Fachs. Obwohl Micha- der Erhaltung der natürlichen Lebensräume. In seinem el „Nick“ Nichols kürzlich mit 66 Jahren seine Laufbahn umfangreichen Werk verschmilzt die Fotografie mit beendet hat, ist er noch immer eine der wichtigsten Fi- Journalismus, aber auch mit Wissenschaft und Techno- guren des Fotojournalismus. Erste Erfahrungen sam- logie. „Wie schaffen Sie es, den Tieren so nahezukom- melte er bei der Zeitschrift GEO, ehe er Mitglied der men?“ – diese Frage hört Nichols immer wieder. Dann Agentur Magnum wurde. Von 1989 bis 2015 erarbeitete antwortet er oft schalkhaft: „Ganz einfach: Manchmal Nichols 30 Reportagen für das Magazin National Geo- bin ich gar nicht da.“ In der Tat: Viele Aufnahmen dieser graphic. Dabei verfolgte er von Beginn an ein einziges nicht vollständigen Retrospektive, die in vier große Ab- Ziel: wilde, unberührte Landschaften ins Licht zu rücken, schnitte gegliedert ist, hat Nichols mithilfe von Fotofal- und mit ihnen die Geschöpfe, die sie bevölkern. len gemacht. Diese bleiben vollkommen unbemerkt und ermöglichen es dem Fotografen, gleichzeitig anwesend und abwesend zu sein. „Ich musste meiner Kamera bei- bringen, selbstständig zu denken, an meiner Stelle, und sich etwa an die Lichtverhältnisse anzupassen.“ Seine Arbeiten wurden mit vielen Preisen ausgezeich- net, sein Foto „Surfing Hippo“ wurde vom TIME Maga- zine als „one of the most influential images of all time“ geehrt. Seine bis dato letzte Einzelausstellung im Phila- delphia Museum of Art erreichte 2017 rund 250.000 Gäs- te. Die Ausstellung wird gemeinsam mit dem Festival La Gacilly-Baden realisiert. Ω Charger: Bandhavgarh Charging Elephant: National Park, Dzanga Bai, Central India 1996. Making Room African Republic 1993. for Wild Tigers, Last Place on Earth, National Geographic National Geographic Surfing Hippo: Loango Crocodile: Zakouma National Park, MICHAEL NICHOLS National Park, Chad Gabon 2003. Land of the 2006. Eye to Eye, Surfing Hippos, National Geographic National Geographic 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE DAS NATURHISTORISCHE 1 | 2020
20 BUCHTIPP Neuerscheinung WANDERN IN DIE WELT DER DINOS Familienfreundliche Forschungsausflüge in die Urzeit Österreichs SABRINA HASSLER W andern? Nein: Dinos erforschen! „Struzi“, ein in Österreich gefundener Struthiosaurus austriacus, nimmt Kinder und Familien mit auf einen Streifzug. Auf 20 Geowan- derungen in unterschiedlichen österreichischen Bundesländern kön- nen große und kleine Entdeckerinnen und Entdecker auf den Spuren der Dinos wandeln. Dabei führt der Weg durch Steinbrüche, Schluchten und in Dinosau- rierparks, aber auch in Museen für spannende Hintergrundinformationen. Wie hat es eigentlich in Österreich in der Urzeit ausgesehen? Welche Pflanzen und Tie- re lebten damals hier, die man auch heute noch im Gestein entdecken kann? Struzi mo- tiviert Kinder, Fundstellen von Fischsauriern, Riesenammoniten und Korallen zu besu- chen. An manchen Orten kann man auch heute noch Knochen und Zähne von Sauriern entdecken, wie zum Beispiel in Perchtoldsdorf, Hallstatt, Seefeld oder der Salzburger Gla- senbachklamm. Wussten Sie, dass aus fossilen Fischen Tirols Fischöl und Medizin gewonnen wurde, dass Fischsaurier durch das Jurameer Österreichs pflügten oder riesige Ammoniten am Go- Erhältlich ist das neue sausee zu finden sind? Dass schneeweiße Riffe den Boden eines Wildparks mit Wölfen bil- Buch um € 18,- im den, Wildschweine auf Hunderte Millionen Jahre altem Meeresboden wühlen und kleine Shop des NHM Wien Meeressaurier Kärnten unsicher machten? sowie im Buchhandel. Das Buch spannt den Bogen für Familien und Kinder, die Spaß an der Natur und Inte- ISBN 978-3-7104- resse an der Urzeit Österreichs haben. Neue Einblicke in das Erdmittelalter zeigen, wie 0246-3 interessant die Millionen Jahre alte Geschichte unseres Landes sein kann. 200 Seiten Der Autor Alexander Lukeneder ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter im NHM 14.5 x 21.0 cm Wien. Als Paläontologe liegt sein Schwerpunkt auf dem Mesozoikum (Erdmittelalter), Servus-Verlag den Lebewesen der Kreidezeit und der Erforschung des Klimas jener Zeit. Er ist Privat- dozent an der Universität Wien und Vortragender an Kinder-Unis. Er leitet das Citizen Science-Projekt Fossilfinder: www.citizen-science.at/projekte/fossilfinder „Das Naturhistorische“ / Frühling Österreichische Post AG SP 20Z042008 S NHM Wien, Burgring 7, 1010 Wien „Retouren an Postfach 555, 1008 Wien“ Impressum Medieninhaber: Naturhistorisches Museum Wien, 1010 Wien, Burgring 7. Herausgeber: Dr. Christian Köberl, Dr. Herbert Kritscher. Druck: Walla Druck GmbH. 1 | 2020 DAS NATURHISTORISCHE
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