Depression im Alter " Mit 66 Jahren - Gerontopsychiatrie

Die Seite wird erstellt Christopher Bernhardt
 
WEITER LESEN
Depression im Alter " Mit 66 Jahren - Gerontopsychiatrie
„ Mit 66 Jahren...“
                  Integriertes Seminar, Universität Ulm

                     Depression im Alter

                         Gerontopsychiatrie

     Dr. Maria Bayerle                           Dr. Jochen Tenter

Bezirkskrankenhaus Günzburg                   Zentrum für Psychiatrie
                                            Die Weissenau, Ravensburg
Depression im Alter " Mit 66 Jahren - Gerontopsychiatrie
Melancholie

Älter werden: so lieber nicht, ....
Depression im Alter " Mit 66 Jahren - Gerontopsychiatrie
Zufriedenheit

... lieber so !
Depression im Alter " Mit 66 Jahren - Gerontopsychiatrie
Depression und Marktwirtschaft

Eine kritische Stimme:

„Seit den 90er-Jahren ist die Depression weltweit als
unzureichend vermarktet erkannt. Eine Art Rasterfahndung nach
unentdeckten Depressiven, wovon immer einige Menschen real
profitieren, die meisten jedoch durch zusätzliche Etikettierung in
ihrer Vitalität Schaden nehmen, hat zum Beispiel in den USA dazu
geführt, dass sich von 1987 bis 1997 die Zahl der wegen
Depression Behandelten von 1,7 auf 6,3 Millionen fast vervierfacht
hat; entscheidend dafür war die suggestive Aufklärungskampagne
und aggressive Werbung für Antidepressiva.“

               Klaus Dörner, Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2462–2466 [Heft 38]
Modell der Depression
Epidemiologie von Depression im Alter

Subsyndromale Syndrome
In der Diskussion seit der Berliner Altersstudie
Zwei oder mehr Symptome über 2 Wochen und mehr mit sozialer
Beeinträchtigung
Beispiel Prävalenz: 11,8% in USA (Judd, J Clin Psych 1994)

Inzidenz:
1,3 – 1,6 Fälle pro 100 Menschenjahre über 65

Prävalenz
10 –15 % der über 65-Jährigen; 5-8% insgesamt.
Über 60-jährige: 7,8 % Major Depression (DSM IV) Forsell 1995

Mortalität
bei Depressiven um 2-4-fache erhöht, aber:
Sinkt die Mortalität, wenn die Depression behandelt wird?
Bisher nicht ausreichend untersucht.
Prävalenz in der Gemeinde
Depression im Alter, Verlauf

Metastudie von Langzeitbeobachtungen
Bis 2 Jahre, n=575 (Cole 1990)

44%    remittiert
16%    Rückfall mit erneuter Remission
27%    keine Remission
13%    keine Verlaufsuntersuchung, Tod
Depressives Syndrom
    Depressivität ist ein Syndrom, keine nosologische Einheit

Es gibt Depressivität
· Psychogen
     - reaktiv, d.h. auf ein Ereignis z.B. Erkrankung, Verlust,
        Erschöpfung nach jahrelanger Überbelastung,
     - neurotisch, d.h. Aufflammen alter Konflikte z.B. um Autonomie
        versus Abhängigkeit, oft zusammen mit Angst
     - psycho-strukturell („Charakterneurose“),
     - bei Anpassungsstörungen (häufig)

·     Bei organischen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit, einem
      Hirntumor oder pharmakogen (z.B. Alkaloide, Cortison, selten)

·     Genetisch/biologisch („endogene Depression“)
      Je älter der Patient desto seltener.
Ätiologie von Depressionen im Alter

                                       organisch

                                   psychogen

                                       endogen

60 Jahre                          90 Jahre
Depression
In der Depression
lebe ich ohne Sinn und Bewusstsein.
Ich sehe, ohne wahrzunehmen.
Ich fühle ohne Empfindung und Gefühl.
Ich schmecke ohne Genuss.
Ich rieche ohne Empfindung.
Ich denke ohne Geist und Sinn und Phantasie
und Kombinationsfähigkeit
Ich lache ohne Freude.
Ich weine ohne Schmerzensstachel.
Ich bewege mich ohne motorische Harmonie und
Ausdrucksvermögen.
Ich kenne weder Hoffnung noch Maß noch Ziel.
Schlaf und Tod sind mir das Erstrebenswerteste.
Ich freue mich nicht, ich begeistere mich nicht,
ich liebe nicht, ich trauere nicht.
Ich male nicht, ich spreche nicht, ich dichte nicht,
ich singe nicht , ich tanze nicht,
und wenn ich es doch tue, dann ohne Ausdruck und Phantasie und
ohne dabeizusein, ohne Leben.
                                               Anonymus, Gedicht einer depressiven Frau
                          aus WOLFERSDORF M, Depression, Springer, Berlin Heidelberg (1995)
Symptome der Depression in der ICD 10

Hauptsymptome (nach ICD-10)
•   depressive Stimmung (ungleich Trauer)
•   Interessenverlust, Freudlosigkeit
•   Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome (nach ICD-10)
•   Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
•   Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
•   Gefühl von Schuld/Wertlosigkeit
•   Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
•   Suizidgedanken oder -handlungen
•   Schlafstörungen
•   verminderter Appetit

"Somatische" Symptome (nach ICD-10)
•   Interessenverlust, Verlust der Freude an sonst angenehmen Tätigkeiten
•   Mangelnde emotionale Reagibilität auf sonst freudige Ereignisse
•   Frühmorgendliches Erwachen
•   Morgendliches Stimmungstief
•   Psychosomatische Hemmung oder Agitiertheit
•   Deutlicher Appetitverlust
•   Gewichtsverlust
•   Deutlicher Libidoverlust
Depression: Symptomatik im Alter

Leugnung des depressiven Affekt

Vegetative Symptome (ICD 10: “somatisches Syndrom”):

Schmerzen ohne somatisches Korrelat.

Überschneidung mit somatischen Krankheiten

Kognition teils beeinträchtigt

Bagatellisierung der Depression.

Zwangsgedanken, Zwangshandlungen

Hypochondrie

Angst.
Trauer oder Depression nach Verlust

Mögliche gleiche Symptome
      Auch Trauer kann Monate und Jahre dauern.
      Schlafstörungen
      Innere Unruhe
      Antriebslosigkeit
      Lustlosigkeit
      Interessenverlust

Unterschiede
Bei Trauer nie
      Hoffnungslosigkeit
      Herabgesetztes Lebensgefühl
      Suizidgedanken
Depression ist keine Trauer

Trauer:       Der Verlust wird wahrgenommen

Depression:   Der Verlust wird verleugnet.
Dynamik einer depressiven Episode im Alter

Bewältigungsmechanismen, die bisher durchs Leben getragen
haben, versagen, weil die Anpassungsanforderung zu groß ist
und/oder der Betroffene nicht flexibel genug reagieren kann.
(Alterstheorie von Kipp/Jüngling)

Depression ist der (unbewusste) Versuch, Verluste nicht akzeptieren
zu müssen und Trauer zu umgehen, Trauer“arbeit“ zu vermeiden.
Anlässe einer depressiven Episode im Alter

Verluste von
  •     Menschen
  •     Gesundheit
  •     Wohnung, Umzug Pflegeheim.
Autonomiekonflikten nach Verlusten reaktivieren neurotische
Konflikte. Hilfe annehmen kränkt.
Scham verhindert Vertrauen in Hilfe.
Enttäuschung über das Schicksal: “So habe ich mir das Alter
nicht vorgestellt”.
Abgrenzungsprobleme zwischen den Generationen.
Isolation
Ruhestand
Sinnfrage
Therapeutische Haltung

Umgang
   •   Einfach da sein und zuhören,
   •   Mittrauern

Beruhigende Versicherungen
   •   Der Patient ist kein Einzelfall.
   •   Depression ist belastend aber (abgesehen von Suizidalität)
       nicht gefährlich.
   •   Hoffnung stellvertretend vermitteln: Depressionen sind
       behandelbar.
   •   Klare Behandlungsrichtlinien geben.
   •   Während der Depression keine Entscheidungen treffen.
Therapeutische Haltung

Fehler

   • Vorsicht mit Ablenkungsmanövern

   • Depressive nicht der Besserung “überführen”

   • Wut bei uns, wenn Patienten sich über zu langsame Besserung
     beklagen
Psychosoziale Behandlung und Begleitung

Überforderung erkennen und vermeiden.

Konkrete Hilfen vermitteln

Trauerarbeit

Helfen, sich in unabänderliches hineinzufinden.
Die Familien der Patienten

Ihre Rolle und Einbeziehung in die psychiatrische Behandlung

     Anhören der Familie

     Affekte ansprechen, klären

     Entlastung von Alltagsarbeit

     Abgrenzung fördern
Kognitive Verhaltenstherapie

Selektion
Optimierung
Kompensation
                             Nach Hautzinger, Tübingen
5 Schritte der kognitiven Verhaltenstherapie

1. Patient und Therapeut definieren die Schlüsselprobleme
2. Patient und Therapeut besprechen den Aufbau von
   angenehmen, positiven Aktivitäten und den Abbau von
   belastenden, negativen Aktivitäten.
3. Wiederaufnahme von Kontakten zu Freunden und Bekannten,
   Reflexion des eigenen Verhalten in alltäglichen Situationen.
4. Die "Erfolg-Vergnügen-Technik" als alternatives Denk- und
   Wahrnehmungsmodell wird vorgestellt.
5. Erhaltung und Stabilisierung des Therapieerfolgs,
   Umgang mit Rückschlägen, vorbeugende Interventionen.
Spirale abwärts

Spiralen des Denken und Handeln in der kognitiven Verhaltenstherapie

                         Modellvorstellung:
Spirale aufwärts

Spiralen des Denken und Handeln in der kognitiven Verhaltenstherapie
Suizid im Alter
Suizidrate im Alter

aus: www.kompetenznetz-depression.de
Suizide im Alter
Suizidversuche im Alter
Suizidalität

Wunsch nach Ruhe

 Anlässe
• Kränkungssituationen (sog. Narzistische Krise) Oder bei
• Depression:

Suizidalität offen ansprechen !
Pharmakotherapie - 1 -

Älteren erholen sich unter Antidepressiva (AD) ähnlich oft wie
jüngeren, in ca. 60-80% der Fälle.

Die meisten Klassen von AD sind im Alter ähnlich wirksam wie bei
jüngeren. (KATONA 1993)

Profil eines idealen Antidepressivums im Alter
 • Kinetik unverändert
 • Keine Interaktionen
 • Sicher bei multimorbiden Patienten
 • Gut verträglich
 • 1x Dosierung
 • Hohe Responderrate
 • Schneller Wirkungseintritt
Pharmakotherapie - 2 -

Warum keine tricyclischen Antidepressiva nach dem 65. (70.)
Lebensjahr geben ?

      Anticholinerge UAW (m1-Blockade)
      Hypotension (alpha 1- Rezeptor-Blockade führt zu Stürzen!)
      Kardiotoxische UAW (chininartige Effekte, Blockade
      schneller Natrium-Kanäle
      H1-Blockade führt zu Sedierung
Pharmakotherapie - 3 -

Klassen von modernen Antidepressiva

     SSRI         Fluctin, Paroxetin, Citalopram
     SNRI         Venlaflaxin
     NaSSA        Mirtanzapin
     RIMA         Moclobemide (weniger wirksam)
     NRI          Reboxitin
     Andere wie   Trazodon
Pharmakotherapie - 3 -

Ablauf Antidepressiver Therapie

   Erste Wahl SSRI
        4 Wochen behandeln, falls kein Erfolg:
        erst wechseln innerhalb der Gruppe,
   dann anderes Rezeptor-System
   dann EKT
   dann erst liegt ein „Therapieversager“ vor
   dann erst Augmentation

Sind Kombinationen wirksam?
Nicht erwiesenermaßen, aber Addition der UAW
Pharmakotherapie - 5 -

Kombinationstherapien ?

    Verschiedene Transmitter-Systeme,
     z.B.
          SSRI mit NRI oder Mirtanzapin,
          Venlaflaxin und Mirtanzapin,
          SSRI oder Clomipramin und Reboxitin.
    Verschiedene UAW z.B. sedierend/nicht-sedierend
    Verschiedene Rezeptorprofile
Pharmakotherapie - 4 -

Strategien für optimale Effizienz

     Korrekte Dosis: langsam beginnen, langsam steigern, aber
     Zieldosis erreichen.

     Wechsel in der Gruppe vor Wechsel der Klasse

     Augmentation
         Lithium, niedrige Spiegel
         Buspiron (Unsinn bei Angststörung)
         Pindolol (5Hta1-Rezeptor-Blocker) und SSRI:
         verhindert Desensitivierung
         T3: sensibilisiert Adrenalin-Rezeptoren
         Valproat
         Gabapentin

     In Erforschung: Pramipexol: D2/3-Rezeptor-Agonist zur
     Verstärkung der SSRI-Wirkung
Ergebnisse antidepressiver Behandlung
                                                                    15% initial behandelt

                                        Depressive
                                        100%
                                        n=100

Behandelt           Nicht behandelt
15%                 85%
n = 15              n = 85

Erholt      Nicht erholt       Erholt                Nicht erholt
60%         40%                25%                   75%
n=9         n=6                n = 21                n = 64

Erholt               Nicht erholt

n = 30               n = 70

                                                                       Banerjee, 2002, pers.Mitteilung
Ergebnisse antidepressiver Behandlung
                                                  85% initial behandelt

                      Depressive
                      100%
                      n=100

Behandelt                                              Nicht behandelt
85%                                                    15%
n = 85                                                 n = 15

Erholt                  Nicht erholt                 Erholt         Nicht erholt
60%                     40%                          25%            75%
n = 51                  n = 34                       n=4            n = 11

Erholt                             Nicht erholt

n = 54                             n = 44

                                                              Banerjee, 2002, pers.Mitteilung
Elektro-Krampf-Therapie

Indikationen für EKT (vor Augmentation)

   •Therapierestente suizidale Depressive
   •Psychotische Depression
   •Empfindliche Patienten mit ernsten UAW
   •Gutes früheres ansprechen
Bitte mitnehmen - 1 -

Es gibt keine „Altersdepression“, sondern depressive Bilder
im Alter.
Depression werden immer noch oft verkannt, vor allem bei
betroffenen älteren Männern und auch noch bei Hausärzten.
Hauptrisikofaktoren sind körperliche Erkrankungen, die den
Lebensentwurf für das Alter zunichte machen ...
... sowie ein Scheitern an schwellentypischen
Herausforderungen
Bitte mitnehmen - 2 -

Depressive Symptome im Alter sind nie Zeichen normalen
Alters und erfordern daher umfassende Diagnostik und
Therapie.
Im Alter treten gehäuft subsyndromale (kaum erkennbare)
depressive Symptome auf, u.a. im Kleid körperlicher
Beschwerden, die leicht übersehen werden können
Bitte mitnehmen - 3 -

Depression im Alter ist gut behandelbar.
Der unbehandelte Verlauf ist meist chronisch, führt zur
Behinderung.
Je nach Schwere der Depression ist Psychotherapie,
Pharmakotherapie oder die Kombination am sinnvollsten.
Mit relativ geringem Aufwand (Pharmakotherapie) ist viel zu
erreichen., z.B. im Vergleich zu interventioneller Kardiologie:
trotz doppelter Frequenz in Deutschland gegenüber
Durchschnitt Europa => geringere Lebenserwartung.
Bitte mitnehmen - 4 -

Auch Aufklärung, Planung, Hilfestellung ist wirksam, es muss
nicht immer jahrelange Psychotherapie sein.
Eine angemessene Behandlung bringt Nutzen nicht nur für den
Patienten, sondern auch für die Familie und die Gesellschaft
(Pflegekosten).
Bitte mitnehmen - 5 -

Behandlung lohnt und ist immer mehrdimensional:
- biologisch:            antidepressiv, causal / lindernd
                         (Schmerzen!) der somatischen
                         Krankheiten
- psychologisch:         Begleitung, Bewältigung, Trauerarbeit
- sozial:                Entlastung, ambulante Hilfen
Ähnliche Hilfen (Pflege, Struktur in den Gemeinden) wie bei
anderen Krankheiten im Alter (z.B. wie für Demenzkranke) sind
sinnvoll, aber (noch) nicht vorhanden.
Die Kompetenz für psychiatrische Erkrankungen muss in die in
die Altenpflege integriert sein.
Depression im Alter

Don`t try to live forever, you will not succeed.

The trick is to die young but als last as possible.

                                      George Bernard Shaw
Sie können auch lesen