Der Ackermann des Johannes von Tepl - Claudia Ebner Matr. Nr. 9812944

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Der Ackermann des Johannes von Tepl - Claudia Ebner Matr. Nr. 9812944
1

Claudia Ebner
Matr. Nr. 9812944

Der Ackermann des Johannes von Tepl
Projektstudie

Literarische Sterbekultur des Mittelalters
Ao. Univ.-Prof. Dr. Wernfried Hofmeister
Sommersemester 2004
Der Ackermann des Johannes von Tepl - Claudia Ebner Matr. Nr. 9812944
2

Inhalt

1. Der Ackermann des Johannes von Tepl............................................................3

2. Inhalt und Aufbau des Textes............................................................................5

3. Todesdiskurs an der Zeitenwende.....................................................................7

4. Gegenwartsbezüge.............................................................................................9

    4.1. Trauerarbeit / Trauerbewältigung..............................................................9

    4.2. Der prozessierte Tod...............................................................................11

    4.3. Euthanasie – Konzept des ‚guten’ Todes................................................12

5. Schlusswort. Dem Tod ein Schnippchen schlagen?........................................15

6. Literatur und Internetquellen...........................................................................16

7. Links................................................................................................................17

8 Anhang.............................................................................................................18
Der Ackermann des Johannes von Tepl - Claudia Ebner Matr. Nr. 9812944
3

1. Der Ackermann des Johannes von Tepl1

Der Ackermann, auch bekannt als Der Ackermann und der Tod oder Der Ackermann aus
Böhmen, ist nicht nur das berühmteste Werk des Johannes von Tepl, sondern gilt als ein
Schlüsselwerk des Todesdiskurses im Übergang vom Spätmittelalter in die frühe Neuzeit.

Der Ackermann zählt damit zu den bedeutendsten Prosadichtungen seiner Zeit und berührt
noch heute die LeserInnen unmittelbar. Die Frage nach dem Tod ist zeitlos. So lassen sich
thematisch, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, durchaus Gegenwartsbezüge
herstellen.

Der Ackermann ist um 1400/1401 entstanden, in frühneuhochdeutscher Sprache verfasst und
hat ein Streitgespräch zwischen dem Ackermann, einem böhmischen Bauern, und dem
personifizierten Tod zum Inhalt. Anlass des Streits ist der (zu) frühe Tod des Ackermanns
Frau. Weitere im Text enthaltene Diskussionspunkte sind Fragen innerweltlichen Glücks, der
Sinn des Lebens sowie des Todes generell, außerdem menschliche Trauerbewältigung.

Über den Autors des Buches wissen wir mehr als über die meisten Autoren älterer Literatur:
Johannes von Tepl wird zwischen 1342 und 1350 geboren. In Urkunden erscheint er als
Johannes de Tepla oder Johannes (Henslini) de Sitbor, auch Johannes von Saaz. Tepl in
Nordböhmen ist vermutlich der Geburtsort des Autors oder der seines beruflichen Anfangs,
Šitboř in Böhmens Westen ist der Wirkungsort des Vaters, der dort bis 1374 eine Pfarre
besitzt.

In manchen Urkunden trägt Johannes einen Magistertitel – ein Hinweis auf seine Bildung.
Der Magistertitel zeigt, dass er mindestens ein Studium der Artes Liberales (Trivium und
Quadrivium) absolviert hat, vielleicht sogar an der 1348 von Kaiser Karl IV. (Carolus
Quartus) gegründeten Prager Uni - der ersten des deutschen Reiches2. Ein Aufbaustudium der
Jurisprudenz an einer anderen Universität – etwa in Bologna, Padua oder Paris – könnte sich
angeschlossen haben. Nach dem Studium ist Johannes von Tepl möglicherweise bereits ab
1373, spätestens aber seit 1383 in Saaz als öffentlicher Notar (notarius civitatis) tätig. Seit
1
  Vgl. Christian Kiening: Schwierige Modernität. Der >Ackermann< des Johannes von Tepl und die Ambiguität
historischen Wandels. Tübingen: Niemeyer 1998.(= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen
Literatur des Mittelalters. 113.); Christian Kiening: Nachwort. In: Johannes von Tepl: Der Ackermann.
Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hg., übersetzt und kommentiert von Christian Kiening. Stuttgart:
Reclam 2000. (= Universal-Bibliothek. 18075.), S. 159-179; www.ub.uni-
heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/henfflin/cpg76.html
2
  Prag ist unter Karl IV. Residenzstadt.
4

1386 ist er zudem als Leiter der örtlichen Lateinschule (rector scholarium) bezeugt. Beide
Tätigkeiten übt er über mehrere Jahrzehnte aus. Die oberhalb der Eger gelegene Stadt Saaz
wird damit die Hauptwirkungsstätte für Johannes von Tepl.

In dem seit 1383 von ihm geführten Saazer Stadtbuch finden sich Abschriften von
lateinischen Originalbriefen und –urkunden, die zum Teil eigenhändig von ihm stammen
könnten. Als kaiserlicher Notar, Rektor und Stadtschreiber zählt Johannes von Tepl zur
städtischen Elite. Er nimmt an Gerichtssitzungen teil und ist an der Abfassung aller Urkunden
der Stadt Saaz beteiligt. Die hohe Zahl an Informationen, die wir über Johannes von Tepl
besitzen, hängt wesentlich mit seiner beruflichen Stellung zusammen. In seiner Funktion als
höherer städtischer Verwaltungsbeamter besetzt er eine Schnittstelle zwischen verschiedenen
klerikalen und laikalen Institutionen der Region. Es liegt nahe, dass ihm das Tschechische
ebenso geläufig ist wie das Deutsche und Lateinische. Johannes von Tepl ist belesen und
besitzt    selbst   Handschriften.   Dichten   ist   für   ihn   wohl   kaum   mehr   als   eine
Nebenbeschäftigung. Über den Ackermann hinaus scheint er keine weiteren Werke in der
Volkssprache verfasst zu haben. Das überlieferte literarische Werk Johannes’ von Tepl
umfasst neben der Ackermann-Dichtung noch vier Formelbücher, außerdem zehn Verse im
St.-Hieronymus-Officium. 1404 stiftet er für die St. Niklas-Kirche in Eger, die 1401 einen
neuen Hieronymus-Altar errichtet hatte, ein Officium zum Lob des Heiligen. Die
Eingangsminiatur der prächtig illuminierten Handschrift, die sich heute im Nationalmuseum
in Prag befindet, zeigt Johannes als Stifter vor Hieronymus in der üblichen unterwürfigen
Pose.

Seine einflussreiche Position erlaubt es Johannes von Tepl, Haus- und Grundbesitz zu
erwerben, sich in Kapitalgeschäften zu betätigen oder mit Wein, Bier und Met zu handeln.
Von König Wenzel, dem Sohn und Nachfolger Karls IV., wird ihm zusätzlich das Privileg
verliehen, an Markttagen einen Silbergroschen als Zins von den Schlächtern zu erheben.

Zu relativem Vermögen gekommen lebt er seit 1411 als Stadtschreiber (Pronotar) in Prag.
Nach einer schweren Erkrankung 1413 stirbt Johannes von Tepl um 1414 und hinterlässt wohl
fünf Kinder und seine Witwe Clara, die, wenn man den Inhalt des Ackermanns biographisch
deuten will, seine zweite Frau gewesen sein muss.

Im Ackermann-Text wird der Tod der Frau Margaretha / Margret mit 1. August 1400 datiert
(XIV, 14-21). Es ist allerdings äußerst umstritten, ob es sich beim Ackermann um die
Verarbeitung von selbst Erlebtem oder eher um eine rhetorisch-kunstfertige Stilübung
handelt.
5

Der Ackermann ist in sechzehn sowohl fragmentarischen als auch vollständigen
Handschriften (A-Q)3 überliefert, die hauptsächlich aus dem oberdeutschen Sprachraum
stammen. Außerdem existieren siebzehn Drucke. Die Überlieferung ist erst seit der 2. Hälfte
des 15. Jh.s erhalten (älteste Hs. A von 1449) und läuft Mitte des 16. Jh.s aus.

    2. Inhalt und Aufbau des Textes

Der Ackermann ist konzipiert als dialogisches
Streitgespräch zwischen einem Mann, dessen Frau
soeben im Kindbett gestorben ist und der sich selbst
als Ackermann bezeichnet, und dem Tod, der vom
Ackermann quasi „verklagt“ wird.

In 32 rhetorisch ausgefeilten Kapiteln geht die
Argumentation zwischen Kläger und Angeklagtem
hin und her. Kläger und Tod sprechen jeweils
alternierend. Der Streit endet mit einem Urteilspruch
Gottes im 33. Kapitel, dem ein umfangreiches
Fürbitten-Gebet des Ackermanns für das Seelenheil
seiner verstorbenen Frau angeschlossen ist.

Im Prolog werden Ablauf und Inhalt der folgenden Streitrede erklärt. Der Dialog beginnt mit
wüster, emphatischer Beschimpfung und dreimaliger Verfluchung des Todes von Seiten des
Ackermanns: „Grymmyger tilger aller landt, schedlicher ächter aller welte, frayssmer
mörder aller lewte, jr Todt, euch sey verfluchet!4“ Der Kläger scheint mit seinem
anfänglichen Gestus einen mittelalterlichen Mord- und Raubprozess einzuleiten, doch seine
Anklage ist ungeordnet und muss erst in den folgenden Reden um die entscheidenden Fakten
ergänzt werden. Den mittelalterlichen Tod- und Jenseitsvorstellungen gemäß wird der Tod als
von Gott erschaffen gedacht („Gott, ewer tremer“5). Der Tod bezeichnet sich im Text selbst
als „gottes hant“6. So fordert der Ackermann auch Gottes Entschädigung und Rache am Tod:

3
  Vgl. Gerhard Hahn: Der Ackermann aus Böhmen des Johannes von Tepl. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1984. (= Erträge der Forschung. 215.) S. 10.
4
  Johannes von Tepl: Der Ackermann. Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hg., übersetzt und kommentiert
von Christian Kiening. Stuttgart: Reclam 2000. (= Universal-Bibliothek. 18075.), S. 6. In weiterer Folge zitiert
als: Ackermann.
5
  Ebd.
6
  Ebd. S. 32.
6

„ergecze mich vngehewers verlusts, michels schadens, vnseligs trubsals vnde jemerliches
waysentums! Dobey gerich mich an dem erczschalcke Tod, gott, aller vntat gerecher!“7

Der Tod, in mehreren Illustrationen als Knochenmann dargestellt, tritt im zweiten Kapitel
erstmals auf. Gleich zu Beginn gibt er die geringen Erfolgsaussichten des Ackermanns zu
bedenken: „Doch trewens, fluchens, zettergeschreyes, hendewendens vnd aller ankreutung
sey wir allen enden vncz her wol genesen.“8 Und „Wene nicht, das du vnnser herlich vnde
gewaltig macht ymmer mugest geswechen.“9 Der Tod, der von sich selbst im Pluralis
Majestatis spricht, gesteht allerdings ein, „lewten leydes genuglich“10 zugefügt zu haben. Er
fordert den Kläger auf, sich zu erkennen zu geben, worauf sich der Ackermann wie folgt
charakterisiert: „Jch bins genant ein ackerman, von vogelwat ist meyn pflug,jch wone jn
Beheymer lande.“11 An den strafprozessartigen Einstieg anschließend bekundet der
Ackermann: „jr hapt vnwiderbringelich rawb an mir getan.“12 Der Tod, der sich quasi als
Naturgewalt empfindet, will daraufhin sein gerechtes Urteil und Handeln argumentativ
beweisen: Er sei unbestechlich, verschone weder Adel, Können, Schönheit oder Jugend. „Wir
tun als die sunn, die scheint vber gut vnd vber bose. Wir nehmen gut vnde bose jn vnser
gewalt.“13 Er rät dem Ackermann lapidar, sich eine neue Frau zu suchen.

Während der Ackermann am Sinn des Todes und der Sterblichkeit überhaupt zweifelt,
appelliert der Tod an die „vernunfft“14 des Ackermanns und beschwört eine Welt ohne Tod -
heillos überbevölkert und im ewigen Kampf um die zu knappe Nahrung.

Der Streit wird durch den Urteilsspruch Gottes als höchster richterlicher Instanz beendet:
„Darvmb clager, hab ere, Tot,syge!“15

Man könnte die Figur des Ackermanns als eine Art „Anti-Orpheus“ deuten. Orpheus, dessen
Frau Eurydike just am Hochzeitstag an einem Schlangenbiss stirbt, steigt in der griechischen
Mythologie in die Unterwelt hinab, um sie zurückzuholen. Während Orpheus durch seinen
Gesang die Götter der Unterwelt (Hades und Persephone) zu Tränen rührt und dadurch seine
verstorbene Frau Eurydike zurückbekommt, kann der Ackermann beim Tod weder Gefühle
wecken noch ihn durch Argumentation zur Rückgabe der Verstorbenen bewegen. Allerdings
ist auch Orpheus’ Glück von kurzer Dauer: Er kann die Bedingung, sich nicht nach der hinter
7
  Ackermann. S. 26.
8
  Ebd. S. 8.
9
  Ebd.
10
   Ebd.
11
   Ebd.
12
   Ebd. S. 9.
13
   Ebd. S. 14.
14
   Ebd. S. 18.
15
   Ebd. S. 74.
7

ihm gehenden Geliebten umzublicken, bis sie die Oberwelt erreicht haben, nicht erfüllen und
die Hand des Todes umhüllt Eurydike diesmal endgültig.

   3. Todesdiskurs an der Zeitenwende

Der Ackermann ist ein Schlüsseltext des klassischen Todesdiskurses, der zugleich im
Schnittbereich der Geistesströmungen steht. Zum einen ist er Zeitzeuge der heraufglänzenden
Renaissance und löst sich von zu starker Einfügung in ein christliches Weltbild, zum anderen
ist auch letzteres noch präsent.

Die Argumente, die im Zusammenhang mit der Todesthematik vorgebracht werden, die
stilistischen und rhetorischen Mittel, stammen aus dem gelehrten Mittelalter. Im dialogischen
Widerstreit vertritt, oberflächlich betrachtet, der Ackermann die frühhumanistische
Renaissance, der Tod das Mittelalter – dies allerdings nicht ohne (von Seiten des Autors
dialektisch beabsichtigte?) Widersprüche.

Der Tod wird als von Gott eingesetzte „Naturgewalt“ charakterisiert, die mit dem Sündenfall
Adams und Evas im Paradies in die Welt gekommen sei. Diese Auffassung ist eng verknüpft
mit mittelalterlichen Tod- und Jenseitsvorstellungen. Der Tod tritt als arroganter, jedoch
gelehrter Schulmeister auf und vertritt ein misogynes Weltbild. Man könnte dies als eine
Reaktion auf die gesteigerte Frauen- und Marienverehrung des Spätmittelalters verstehen.
Solch frauenfeindliche Texte besitzen leider durchaus literarische Tradition.

Der Ackermann wendet sich gegen den paradiesischen Ursprung des Todes und dadurch quasi
gegen die Sterblichkeit schlechthin. Er versteht den Menschen im Gegensatz zum Tod als
Krone der Schöpfung, ist ein Lebensbejaher und scheint mit beiden Beinen im Diesseits zu
stehen – humanistische Tendenzen. Andererseits beschwört der Ackermann in seiner letzten
Rede die Phantasie eines für alle Ewigkeit in der Hölle schmorenden Todes.

Der Ackermann akzeptiert anfangs das in Aussicht gestellte und für den mittelalterlichen
Menschen so bedeutsame Seelenheil seiner Gattin nicht, er stellt auch keine „vanitas“-
Betrachtungen an, sondern will hier auf Erden und zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau
glücklich sein. Der Ackermann vertritt damit ein nicht mehr ganz im Mittelalter verhaftetes
diesseitsorientiertes Weltbild. Dennoch schließt der Text mit einem Gebet des Ackermanns
für das Seelenheil seiner Frau.
8

Um die Bedeutung des Seelenheils für den mittelalterlichen Menschen hervorzuheben,
möchte ich näher auf das Jenseitsverständnis des Mittelalters16 eingehen. Tod und Jenseits
sind zentrale Themen im mittelalterlichen Denken. Der mittelalterliche Mensch lebt
vollkommen jenseitsorientiert - nicht zuletzt auch deshalb, weil der Tod realiter ständig
präsent ist: So liegt die durchschnittliche Lebenserwartung u. a. aufgrund von unzureichenden
hygienischen Verhältnissen und kaum vorhandener medizinischer Versorgung bei etwa 35
Jahren. Die Annahme eines Jüngsten Gerichts am Ende aller Zeiten gipfelt in einer von Seiten
des Klerus häufig geschürten Angst vor dem schlimmsten der Fälle, nämlich nach dem Tod in
die Hölle zu kommen,. So findet man Mittel und Wege, zu Lebzeiten Vorsorge für das
Seelenheil im Jenseits zu treffen. Denn nach dem Tod – so die Überzeugung – kann man
selbst nichts mehr zur eigenen Erlösung beitragen. Die Scholastik, besonders Thomas von
Aquin (+1274)17, vertritt die Auffassung, die Kirche besitze aus dem Wirken Christi und der
Heiligen einen unausschöpfbaren Schatz (thesaurus ecclesiae), aus dem sie Gläubigen für eine
Gegenleistung einen Bonus für das Jenseits zur Verfügung stellen können. Jener ist auf
verschiedenste Weise zu erlangen. Zum einen hält man sich an die Bibel, d. h. an den Glauben
an Gott sowie daran, Gutes zu tun und dem Bösen nicht anheim zu fallen. Auch Almosen für
die Bedürftigen gelten als der Erlösung förderlich. Letzteres sieht in der Praxis so aus, dass
man der Kirche Geldspenden zukommen lässt oder sie nach dem Ableben zum Miterben
macht, da sie die Armenfürsorge zu ihren Aufgaben zählt und sich quasi als Treuhänderin
empfindet. Daraus entwickelt sich der sogenannte Ablasshandel. Die Gläubigen können nun
durch Geld (Stiftungen, Almosen) oder gemeinnützige Werke wie die Teilnahme an einem
Kreuzzug oder einen Beitrag zum Kirchenbau Vergebung von ihren Sünden erlangen,
natürlich unter Voraussetzung „ehrlicher“ Reue. Wenn man sich mit finanziellen Mitteln
einen Schatz im Himmel anlegt, schafft man sich nach mittelalterlicher Terminologie
‚seelgerät‘, also gleichsam einen Vorrat für die Seele. Man ist jedoch selbst nach dem eigenen
Ableben noch nicht vollkommen verloren, so werden auch Messen bzw. - wie im Ackermann
- Fürbitten für das Seelenheil der Verstorbenen von immenser Wichtigkeit.

Obwohl Johannes von Tepl durchgängig mit der Präsenz Gottes operiert, vermeidet er
Argumente, die den Trauerschmerz im Blick auf die christliche Heilsgeschichte aufheben
würden. Auch die traditionelle Begründung des Todes als Strafe einer sündigen und

16
   Vgl. Peter Jezler: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge – Eine Einführung. In: Himmel. Hölle. Fegefeuer. Das
Jenseits im Mittelalter. Hrsg. von der Gesellschaft für das Schweizerische Landesmuseum. 2., durchgesehene
Auflage. München: Fink: 1994, S. 13 – 26. In weiterer Folge zitiert als: Jenseitsmodelle.
17
   Vgl. Wilhelm Volkert: Adel bis Zunft. Ein Lexikon des Mittelalters. München: Beck 1991, S. 11.
9

gefallenen Menschheit fehlt fast zur Gänze – ein weiterer Ausblick in ein neues geistiges
Zeitalter.

    4. Gegenwartsbezüge

    4.1. Trauerarbeit / Trauerbewältigung

Wir Mitglieder der westlichen, kapitalistisch geprägten Gesellschaften leben in einer Zeit, wo
der Tod uns zwar tagtäglich in den Medien begegnet, anders als im Mittelalter im täglichen
Leben jedoch ganz und gar nicht omnipräsent ist. Das liegt wohl einerseits an der durch
rasenden medizinischen Fortschritt im Vergleich zum Mittelalter immens gesteigerten
Lebenserwartung – ein heute geborenes Mädchen hat kann mit einer durchschnittlichen
Lebenserwartung von etwa 100 Jahren rechnen – in Kombination mit einem Leben in
Wohlstand und der Abnahme extrem jenseitsgeprägter religiöser Denkmodelle.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das Thema Tod an Furcht oder Unverständlichkeit eingebüßt
hat. Der Tod ist für uns „moderne“ Menschen allerdings in eine gewisse Ferne gerückt bzw.
von uns gerückt und verdrängt worden. Da wir nicht mehr ständig von Tod umgeben sind,
wollen / können wir uns vielfach auch im Falle seines tatsächlichen Eintritts in unserem
engeren Umfeld nicht mit ihm konfrontieren. Einem diskreten Tod folgen diskrete
Todesanzeige und Trauerfeier, vor allem aber diskrete Trauer. Offizielle Staatstrauer
beschränkt sich, übertrieben formuliert, auf eine einzige Schweigeminute.

Nicht nur vergessen ist das früher selbstverständliche Trauerjahr, sondern geradezu
unmöglich: Bereits Tage nach einem Todesfall sogar im engsten Familienkreis muss das
Berufs- und Alltagsleben quasi „in alter Frische“ wieder aufgenommen werden können. Wer
länger als einige Wochen trauert, erntet bereits Unverständnis.

Es kommt daher nicht von ungefähr, dass Schlagwörter wie Trauerbewältigung und
Trauerarbeit in den letzten Jahren immer präsenter geworden sind. Es gibt neben anderen
Anlaufstellen (z. B. Telefonseelsorge) bereits seit längerer Zeit eigene Selbsthilfegruppen für
trauernde Angehörige, außerdem ein breites Spektrum an diesbezüglicher „Ratgeber“-
Literatur. Sieht man sich, z. B. im Internet, ein wenig um, wird man bald feststellen, dass
Trauer – einem gewissen psychologischen Common Sense nach zu urteilen – in mehreren,
10

meist vier, Phasen18 zu bewältigen ist: Die erste Phase ist gekennzeichnet durch Nicht-
Wahrhaben-Wollen, Verleugnung und Schock. In der zweiten Phase brechen die Gefühle auf

     Wir haben die Hoffnung aufgegeben und verspüren den vollen Schmerz und die Verzweiflung. (...)
     Wir glauben, nie mehr wieder glücklich sein zu können. Wir hadern mit dem Schicksal, ‚womit wir
     das verdient haben’. (...) Unsere Gedanken kreisen ununterbrochen darum, was wir nie mehr
     gemeinsam mit dem verstorbenen Menschen erleben können. Das Leben draußen erscheint uns
     wie ein Film, an dem wir nicht mehr teilhaben können. Diese Phase ist die schmerzlichste und
     schwierigste Phase in der Trauerbewältigung.19
In der dritten Phase kommt es zu einer langsamen Neuorientierung. Trauer und Hadern lassen
langsam nach und sind nicht mehr so intensiv. In dieser regressiven Phase zieht sich die / der
Trauernde auf sich selbst zurück. Die vierte Phase der Trauer schließt schlussendlich die
Akzeptanz des Verlustes mit ein. „Die / der Trauernde hat den Verlust akzeptiert, ohne dass
der Verstorbene vergessen wäre.“20

Der Ackermann-Text, unter dem Aspekt der Trauerbewältigung gelesen, erweist sich als
äußerst aufschlussreich. Im Laufe des Gesprächs scheint der Ackermann mehrere der oben
skizzierten Phasen der Trauer zu durchlaufen:

Der Ackermann, in seiner Todesanklage anfänglich äußerst emotional und emphatisch, schreit
seinen Zeter „mit gewundenen henden“21. Bereits an diesem Trauergestus des Händeringens
ist die starke Betroffenheit des Ackermanns zu erkennen. Zu Beginn des Textes spricht der
Ackermann von „vnwiderbringelich rawb“22. Er sieht also von Anfang an die
Unwiederbringlichkeit der Toten ein, will diese Tatsache jedoch nicht wahrhaben und fordert
dennoch ihre Rückkehr. Dies könnte auf die erste Phase der Trauer hinweisen.

Der Ackermann beschreibt überhöht das „frewdenreiche“23 Leben an der Seite seiner
verstorbenen Ehefrau und glaubt, nie wieder glücklich sein zu können: „Bey trubem getranck,
auff durrem ast, betrubett, swarcz vnd zurstort bleyb vnd hewl an vnterlaß!“24 oder „Zwar
trauren soll ich ymmer, empflogen ist mir meyn erentreicher valcke, mein tugenthafftige
fraw.“25 – Symptome der zweiten Trauerphase.

Im Fortschreiten des Dialoges verlagert sich das Gespräch zwischen Ackermann und Tod
immer mehr auf allgemeine Themen des Lebens und des Todes. Es scheint aber erst das Urteil

18
   Vgl. www.palverlag.de/Trauerarbeit.html; http://praxis11.de/trauer_trauerarbeit/trauerarbeit.htm;
www.ausgang-und-ende.de
19
   www.palverlag.de/Trauerarbeit.html
20
   http://praxis11.de/trauer_trauerarbeit/trauerarbeit.htm
21
   Ackermann S. 6.
22
   Ebd. S. 9.
23
   Ebd. S. 10.
24
   Ebd.
25
   Ebd. S. 16.
11

Gottes zu sein, das den Ackermann schlussendlich begreifen und akzeptieren lässt, dass seine
Frau wirklich tot ist. Dafür spricht auch das Fürbittengebet, das den Text abrundet. Im Gebet
wird Gott unter anderem als „trauerenwenter“26 angerufen. In mittelalterlicher Manier bittet
der Ackermann für das Seelenheil seiner Frau Margaretha und hat damit jegliche
Rückgabeforderungen aufgegeben, ohne die Tote jedoch zu vergessen: „Ist sie mir leiplichen
tot, in meyner gedechtnüß lept sie mir doch ymmer.“27

             4.2.      Der prozessierte Tod

„Ey Gott, aller betrubten herczen troster, trost mich vnd ergecze mich armen, betrubten,
ellenden, selbsiczenden man!“28 Der Ackermann klagt den Tod nicht nur des Raubes, Mordes
und Ehebruchs („herre Tot, aller e brecher“29) an, sondern fordert bei Gott als Richter
Entschädigung für seinen Verlust – die Schadenersatzforderung des Ackermanns verhallt
unerfüllt.

Auch heute wird dem Tod immer wieder der Prozess gemacht, wobei kaum hinterfragt wird,
inwiefern Geld den eigenen bevorstehenden Tod oder den Verlust eines geliebten Menschen
aufwiegen kann. Nichtsdestotrotz hat es sich vor allem in den USA durch ein Rechtssystem,
das Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe erlaubt, etabliert, eine finanzielle
Entschädigung für den Tod auf juristischem Weg zu erstreiten. Man denke nur an die
Sammelklagen von durch jahrzehntelangen Tabakkonsum schwer erkrankten RaucherInnen
gegen Tabakfirmen. Obwohl in diesen jahredauernden Gerichtsstreits das letzte Urteil noch
nicht gefällt ist, scheint der Tod wie im Ackermann-Text den Sieg davon zu tragen. Im Mai
2003 hat ein Berufungsgericht in Florida hat eine Sammelklage im Milliardenumfang gegen
die amerikanische Tabakindustrie verworfen und ihr damit einen großen juristischen Sieg
beschert30. Das Gericht wies damit ein Urteil von Juli 2000 zurück. Darin waren die fünf
größten Tabakkonzerne der Vereinigten Staaten zu einer Strafe von 145 Milliarden Dollar
(etwa 125 Milliarden Euro) Strafe verurteilt worden. Die Kläger hatten Schmerzensgeld für
300.000 bis 700.000 Raucher geltend gemacht.

26
   Ackermann S. 78.
27
   Ebd. S.50.
28
   Ebd. S. 30.
29
   Ebd. S. 26.
30
   Quelle: dpa, Reuters.
12

Auch in Europa klagen RaucherInnen Tabakfirmen, die Schadenssummen sind aber im
Vergleich mit den USA äußerst gering. Ein Beispiel für den prozessierten Tod aus Österreich
ist der Kaprun-Prozess. Seit dem Seilbahnunglück von Kaprun gibt es in Österreich nicht nur
für die Verletzten/Geschädigten selbst, sondern auch für Angehörigen Schmerzensgeld. „Die
Generali hat pro Hinterbliebenen damals 7200 Euro angeboten. Nun sind die Gerichte am
Zug und müssen entscheiden, was ein Menschenleben wert ist: die angebotenen 7200 Euro
oder gar das Vierfache.“31

Die Tendenz zu Schmerzensgeldprozessen (v. a. nach Verkehrsunfällen) ist im allgemeinen
auch in Österreich stark steigend.32 Frappant sind dabei die juristischen Termini. So spricht
man vom finanziell zu bemessenden „Trauerschaden“33 oder „Trauergeld“34 als „Ersatz von
Seelenschmerz“35. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Im Vorjahr wurden einem
Mann, dem am Arbeitsplatz der Tod seiner Frau und seiner zwei Kinder mitgeteilt wurde und
der seither Frühpensionist ist, 65.000 Euro an Trauergeld zugesprochen.

            4.3.     Euthanasie – Konzept des ‚guten’ Todes36

Der    Begriff     der   ‚Euthanasie’     hat   im Laufe        der   Jahrhunderte      einen    massiven
Bedeutungswandel - vom geschätzten und erstrebten Philosophentod bis hin zur heute eher
negativ konnotierten Sterbehilfe - erfahren. Auch im Ackermann-Text taucht die Frage nach
dem „guten Tod“ auf. Um diese Textstelle geistesgeschichtlich besser einordnen zu können,
möchte ich ihr einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Euthanasie als Konzept des
„guten Todes“ vorausschicken und damit auch den LeserInnen in Erinnerung rufen, dass die
Vorstellung eines „guten Todes“ keine fixe, sondern eine sich ständig wandelnde ist.

‚Euthanasie’ wird heute meist mit ‚Sterbehilfe’ gleichgesetzt. Wörtlich bedeutet der aus dem
Altgriechischen stammende Begriff jedoch ‚guter Tod’. Etwa im 5. Jh. v. Chr. ist die erste
Verwendung für das Adverb ‚euthanatos’ bei dem griechischen Schriftsteller Kratinos belegt,
neben Aristophanes einer der bekanntesten attischen Komödiendichter. Das Substantiv

31
   Claudia Ruff: Schmerzensgeld nimmt stark zu. In: Der Standard (22./23. Mai 2004).
32
   Ebd.
33
   Ebd.
34
   Ebd.
35
   Ebd.
36
   Vgl. Andreas Frewer: Geschichte und Ethik der Euthanasie: Der „gute Tod“ und die Aufgaben der Medizin.
In: Brandenburgisches Ärzteblatt (12/2001) bzw. www.aeksh.de/shae/200207/h027058a.html
13

‚euthanasia’ wurde möglicherweise erstmalig durch den Poeten Poseidippos (um 300 v. Chr.)
verwendet. Bei ihm heißt es: „Von dem, was von den Göttern ein Mensch zu erlangen fleht,
wünscht er nichts Besseres als den guten Tod.“37

Euthanasie als Inbegriff des ‚guten Todes’ bedeutet allerdings nicht wie heute die letale
Erlösung nach langer, schwerer, unheilbarer Krankheit, sondern das Gegenteil. Der ‚gute Tod’
der griechisch-römischen Antike ist der ‚leichte Tod’ ohne vorangegangene Krankheit, z. T.
wird dies auch mit dem ‚autothanatos’, dem Freitod als Selbsttötung assoziiert.

Neben den Dichtern wird der Begriff mit positiver Konnotation auch durch die Philosophen
weiter verbreitet. Bei Cicero treffen wir in der Korrespondenz mit seinem Freund Atticus auf
den Begriff ‚euthanasia’ im Sinne eines ehrenhaften und würdevollen Tod des
Geistesmenschen. Klassische Vorbilder eines - wenn auch tragischen, so doch würdevollen -
Philosophentodes waren die Suizide des Sokrates (399 v. Chr.) und des Seneca (65 n. Chr.).
Bei Seneca spielte in Person des Freundes und Leibarztes Statius Annaeus auch die Medizin
eine Rolle; nachdem der stoische Denker - ebenso wie Sokrates primär aus politischen
Gründen in den Tod getrieben - ein Gift genommen hatte, sich das Ende aber noch nicht
einstellte, war es der Arzt, der durch ein warmes Bad und die Eröffnung von Blutgefäßen das
Sterben beschleunigt haben soll.

Das antike Verständnis von Euthanasie als einem ‚guten Tod’ ist insgesamt sehr vielschichtig
und umfasst die folgenden Konzepte: Den ‚leichten’ Tod ohne vorhergehende Krankheit, den
würdevollen Tod im Sinne des tugendhaften Weisen bzw. eines idealisierten Philosophen-
Todes sowie den schnellen Tod, entweder schmerzlos oder auch ehrenhaft im Krieg. Darüber
hinaus lassen sich Belege finden, die einen Tod aus der Situation eines übervollen
Lebensgenusses oder eines ‚rechtzeitigen’ im Sinne eines ‚frühzeitigen’ Todes (auch in der
Jugend) mit dem Begriff der Euthanasie belegten. Aktive Sterbehilfe von Seiten eines Arztes
ist die Ausnahme. Der Suizid, das Freiwillig-aus-dem-Leben-gehen (sponte ex vita exire)
wurde nicht selten geschätzt

Das Wissen um die Sterblichkeit (memento mori!) und die Todesverachtung (contemne
mortem!) prägten die geistesgeschichtliche Konzeption eines gelingenden Sterbens.

Am Ende der Antike übernimmt Jesus als „Christus medicus“ die Rolle des göttlichen,
wundertuenden und todesmächtigen Arztes. Kerngehalt christlicher Lehre ist die
Überzeugung, dass das Leben von Gott stamme und es dem Menschen nicht erlaubt sei, über
Geburt und Tod zu entscheiden. Dies führt zur Ablehnung von Sterbehilfe oder Euthanasie im

37
     Frewer.
14

antiken Sinne und auch zur Ächtung des Suizids als Sünde. Gleichermaßen einflussreich ist
das christliche Verständnis für die Sozialethik: Die Prinzipien „misericordia“ und „caritas“
werden für humanes Handeln entscheidend. Krankheit, Schmerz und Leid wie auch Tod sind
gottgewollte Prüfungen.

Die      europäische    Heilkunde   des   Mittelalters   ist   überwiegend   von      christlichen
Wertvorstellungen zum Sterben geprägt. Die Diätetik als „Lebenskunst“ (ars vivendi)
korrespondiert mit der Sterbekunst. Zu dieser „ars moriendi“ entwickelt sich eine eigene
Literaturgattung. Traktate und Anleitungen für Priester, Angehörige und Ärzte sollen den
Menschen rechtzeitig auf das Sterben vorbereiten, da - im Gegensatz zur Antike - zu den am
weitesten verbreiteten Ängsten ein plötzlicher unvorbereiteter Tod zählt.

Eines der wichtigsten Sterbebücher des Spätmittelalters, das in etwa zeitgleich zum
Ackermann entstandene Opus tripartitum de praeceptis decalogi, de confessione et de arte
moriendi (1408) stammt von Johannes Charlier (1363 - 1429). Im letzten Teil des Werks wird
der Mensch zur Sterbekunst ermahnt; er soll sich der Allmacht Gottes unterwerfen, nach der
alle Menschen sterben müssen. Mit dieser Position endet schließlich auch der Ackermann-
Text. Gott selbst ist es, der im vorletzten Kapitel mahnt: „Der clager claget sein verlust, als
obe sie sein erbrecht were; er wenet nicht, das sie von vns were verlyhen. (...) Yeder mensch
dem tode das leben, den leyp der erden, die sele vns pflichtig ist zu geben.“38 Obwohl dieser
Schluss geprägt ist durch oben beschriebene mittelalterliche Vorstellungen von Leben und
Tod, beruft sich der personifizierte Tod im Text immer wieder auf antike Philosophen. Des
Ackermanns Frau sei die Güte und das Glück erwiesen worden, in ihren besten Tagen, in
bester Achtung zu sterben. „Das haben gelopt, das haben begert alle weissagen, wann sie
sprachent: am besten zu sterben, wann am besten zu leben. Er ist nit wol gestorben, wer
sterbens het begert. Er hat zu lange gelebt, wer vns vmb sterben hat angeruffet.“39

Der Begriff der Euthanasie, wie bereits skizziert, bis heute einem steten Bedeutungswandel
unterworfen. Das Verhältnis zur Euthanasie ist im 20. Jh. schwierig geworden – nicht zuletzt
durch den Mord an Kindern, Kranken und Behinderten im Dritten Reich unter dem
Deckmantel der Euthanasie. Seit den 1980er Jahren, nach einer Zeit der Verdrängung und
Tabuisierung dieses Themas, ist die Euthanasie-Diskussion im Sinne von aktiver bzw.
passiver Sterbehilfe wieder aufgeflammt. Allerdings wird es nicht leicht sein, diesbezüglich
allgemein akzeptierte Entscheidungen zu treffen. Denn wenn es um uns selbst geht, ist in
unserem heutigen Bewusstsein der einzig ‚gute’ Tod der abwesende Tod.

38
     Ackermann S. 74.
39
     Ebd. 28.
15

5. Schlusswort. Dem Tod ein Schnippchen schlagen?

„Die erczt, die den lewten das leben lengen, müssen vns zu teyl werden; würcz, krawt, salben
vnd llerlay appoteckenpuluere konnen sie nicht gehelffen.“40

So spricht der Tod zum Ackermann. Allerdings hat man es bis heute nicht aufgegeben, dem
Tod       „ein   Schnippchen   zu   schlagen“,   indem   man     durch   Medizin   (Antibiotika,
Transplantationschirurgie...) und Technik den Tod nicht nur hinauszögert, sondern bereits
Verstorbene mitunter auch einfriert – in der Hoffnung, sie eines Tages wieder zum Leben
erwecken zu können. Während der Ackermann diesbezüglich auf eventuelles Wohlwollen
Gottes und des Todes angewiesen wäre, vertrauen wir auf die Wissenschaft und unser eigenes
ständig wachsendes Wissen.

Einen Versuch, dem Tod nicht nur zu entgehen, sondern auch „ewige Jugend“ zu erlangen,
stellt Klonen dar – der Mensch als sein eigenes Ersatzteillager. Bereits heute sind wir der
ewigen Jugend einen bedeutenden Schritt näher gekommen: durch Schönheitschirurgie und
Kosmetikindustrie ist es möglich, beinahe faltenlos zu altern.

40
     Ackermann S. 14.
16

6. Literatur und Internetquellen

Frewer, Andreas: Geschichte und Ethik der Euthanasie: Der „gute Tod“ und die Aufgaben der
Medizin. In: Brandenburgisches Ärzteblatt (12/2001) bzw. www.aeksh.de/shae/200207/h027058a.html

Hahn, Gerhard: Der Ackermann aus Böhmen des Johannes von Tepl. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1984. (= Erträge der Forschung. 215.)

Jezler, Peter: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge – Eine Einführung. In: Himmel. Hölle.
Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Hrsg. von der Gesellschaft für das Schweizerische
Landesmuseum. 2., durchgesehene Auflage. München: Fink: 1994, S. 13 – 26.

Kiening, Christian: Schwierige Modernität. Der >Ackermann< des Johannes von Tepl und die
Ambiguität historischen Wandels. Tübingen: Niemeyer 1998.(= Münchener Texte und
Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. 113.)

Ruff, Claudia: Schmerzensgeld nimmt stark zu. In: Der Standard (22./23. Mai 2004).

Tepl, Johannes von: Der Ackermann. Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hg., übersetzt
und kommentiert von Christian Kiening. Stuttgart: Reclam 2000. (= Universal-Bibliothek.
18075.)

Volkert, Wilhelm: Adel bis Zunft. Ein Lexikon des Mittelalters. München: Beck 1991.

http://praxis11.de/trauer_trauerarbeit/trauerarbeit.htm

www.palverlag.de/Trauerarbeit.html

www.ausgang-und-ende.de

www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/henfflin/cpg76.html
17

7. Links

www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Tepl/tep_tod.html
Hier findet sich neben dem gesamten Ackermann-Text online außerdem eine mit
Illustrationen bebilderte Einführung.

www.nd.edu/~gantho/anth354-532/Ackermann492-507.html
Dieser Link führt ebenfalls zum Ackermann-Text, nebst englischer Einleitung sowie
Illustrationen.

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg76
Online-Faksimile der um 1470 entstandenen Ackermann-Ausgabe aus der Stuttgarter
Werkstatt Ludwig Henfflins (Cod. Pal. germ. 76)

http://streiter-art.de/ackermann_2/main.htm?nr=01
Der Ackermann und der Tod – von einem heutigen Zeitgenossen illustriert. Dieser Link führt
zu den Ackermann-Radierungen des Künstlers Bernd Streiter von 1994.

www.radio.cz/de/artikel/36653
Das Werk Johannes’ von Tepl wurde auch vertont. 2003 fand in der Prager Staatsoper die
Weltpremiere der Kammeroper Orac a smrt (Der Ackermann und der Tod) des tschechischen
Jazzmusikers und Komponisten Emil Viklicky statt. Der Link enthält ein Kurzinterview sowie
Infos zur Oper.

www.stuttgart-rot.de/Detailseiten/Gemeinde/denkmale_in_rot.htm#Der%20Ackermann
Ein Ackermann-Denkmal von 1995
18

8. Anhang

Bernd Streiter: Sense, Ätzradierung 1994 (aus dem Ackermann-Zyklus)

Bamberg: Pfister, um 1462/63
19

Cod. Pal. Germ. 76 (Werkstatt Ludwig Henfflin, Stuttgart,um 1470)

Dialogszene zwischen dem Ackermann und dem Tod. Die braune, skelettierte Gestalt des
Todes steht als Redender links, wobei er dem anklagenden Ackermann sein Szepter entgegen
hält. Mit der anderen Hand stützt er seine herausfallenden Gedärme.
20

ThULB Jena, Ms. Sag. f. 13, Bl. 16v (um 1475)
Gott erscheint, umrahmt von Engeln, um sein Urteil zu sprechen.
21

Holzschnitt, vor 1480 (Inkunabelsammlung der Wiener Hofbibliothek)
Die älteste Darstellung von Saaz
22

Bernd Streiter. Tod und Ackermann, Kaltnadelradierung 1994

Bernd Streiter: Ackermann, Kohlezeichnung, 1994
23

Titelholzschnitt des 1473 bei Martin Flach in Basel erschienenen Ackermann-Drucks
(Karlsruhe, Badische Landesbibliothek)
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