DER ANDERE FUSSBALL - Arbeiterfußball in Nürnberg Ausstellung 11.1. bis 2.2.2022 in Nürnberg - Deutsche Akademie für Fußball ...
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DER ANDERE FUSSBALL 100 Jahre Arbeiterfußball - 125 Jahre Arbeitersport all Arbeiterfußb in Nürnberg ung regionale Ergänz Ausstellung 11.1. bis 2.2.2022 in Nürnberg Amt für Kultur und Freizeit
DER ANDE RE FUSSBA 2. Auflage • 2021 100 Jahre Ar beiterfußball L - 125 Jahre Arbeitersport L BEGLEITBROSCHÜRE Neu überarbeitete und erweiterte Ausgabe 2021 allgemeine Begleit- Broschüre Die allgemeine Begleitbroschüre zur Ausstellung ist für 7 € an der Pforte der Kulturwerkstatt Auf AEG zu erwerben. Unter Mitarbeit Redaktion Heinric von Reiner Fricke, h Nahr und Rolf Fromm Eike Stiller Thomas Oel hagen, Ralf lermann, Hel Knipping, Rai ga Roos und ner Hertle, Uli Werner Skrent Matheja, ny 1
SSTELLUNG DIE WANDERAU USSBALL“ „DER ANDERE F ...in Nürnberg Die Ausstellung des Paderborner Kreis – und sein Lernzentrum „Kopfball“ gemein- Arbeiterfußball e.V. war erstmals im Okto- sam mit engagierten Einzelpersonen in die ber 2018 im Deutschen Fußballmuseum in Kulturwerkstatt Auf AEG ein. Dortmund zu sehen. Seitdem tourt sie durch die Republik und wächst stetig: Zu den ur- Dort präsentieren wir zusätzlich die Ergeb- sprünglich 16 Roll-ups sind inzwischen wei- nisse der Spurensuche zum Arbeitersport tere regionale dazugekommen, u. a. zum und Arbeiterfußball in der Region. Uns sind Arbeiterfußball in Frankfurt, Bielefeld, Stutt- derzeit 15 Nürnberger Fußballvereine be- gart, Magdeburg, Hamburg und Babelsberg. kannt, die ihre Wurzeln im Arbeitersport ha- ben. Bemerkenswert sind darüber hinaus die „Der andere Fußball“ ist eine Würdigung politisch-historischen Kontexte der Arbeiter- der Vereine und Sportler*innen, die v. a. in sportbewegung, die sich im Nürnberg der den 1920er Jahren für einen anderen Fuß- 1920er Jahre besonders deutlich zeigen – ball standen, eingebunden in die Kultur und gerade mit Blick auf das 2. Arbeitersport- Ziele der internationalen Arbeiterbewegung. und Turnfest, das 1929 in Nürnberg gefeiert Solidarität und Opferbereitschaft standen wurde – und bereits das letzte seiner Art ge- als Werte über dem rein sportlichen Erfolg. wesen sein sollte. Es herrschte ein aus heutiger Perspektive „fast fremdartiger Glauben an eine besse- Die Ergebnisse der Recherchen sind – re Zukunft“ (Schröder, S. 217). Ein Lebensgefühl, festgehalten auf zwei Roll-ups – fortan das 1933 durch die Machtübernahme der Bestandteil der Ausstellung und werden Nationalsozialisten brutal beendet wurde. in der vorliegenden Broschüre ausführ- lich dargestellt. Für die Erarbeitung gilt Uli Die 17. Station der Ausstellung ist nun in Matheja (Paderborner Kreis - Arbeiterfuß- Nürnberg. In der traditionsreichen Arbei- ball e.V.) und Benjamin Wolf (Autor 1. FC terstadt laden die Deutsche Akademie für Nürnberg Fußballfibel und Fanzine „Der Fußball-Kultur, das Fanprojekt Nürnberg Daggl“) besonderer Dank. 3
N, TURNVATER JAH gefügtes Machtgebilde“, sondern lediglich DIE BISMARCK UND ein „ewiger Bund [...] von 22 Fürstenstaa- SETZE SOZIALISTENGE ten und drei Hansestädten [...] unter preu- ßischer Führerschaft“, den der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Die deutsche Turnbewegung geht zurück Bundes, die Könige von Bayern und Würt- auf „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn temberg sowie die Großherzöge von Baden (1778 – 1852), für den Leibeserziehung der und Hessen(-Darmstadt) „zum Schutze des Vorbereitung auf den Kampf gegen die na- Bundesgebietes“ geschlossen hatten. (Vorwort poleonische Besetzung Deutschlands die- zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871) Der vom nen sollte. So wurde aus dem römischen Kaiser ernannte Reichskanzler (i. d. R. auch „mens sana in corpore sano“ in Deutschland preußischer Ministerpräsident) war als Vor- „frisch, fromm, fröhlich, frei“. Der auf dem sitzender des Bundesrates nur dem Kaiser Wiener Kongress 1814/15 verabschiedeten gegenüber verantwortlich und unterlag kei- Restauration der vorrevolutionären Herr- ner parlamentarischen Kontrolle. schaftsstrukturen stand die Turnbewegung zunächst kritisch gegenüber, was im sog. Da Bismarck sich nach den Annexionen des „Vormärz“ zu mehreren Turnsperren und Königreichs Hannover, des Kurfürstentums nach 1848 erneut zu politischer Verfolgung Hessen(-Kassel), des Herzogtums Nassau führte. Auch der 1846 gegründete Turnverein und der Freien Stadt Frankfurt 1866 den Zorn Nürnberg schloss sich der demokratischen des preußischen Adels eingehandelt hatte, Bewegung an und wurde 1850 „wegen poli- war der „weiße Revolutionär“ (Gall 1980) auf tischer Agitation“ verboten. Erst 1859 durfte die Unterstützung des sich im Zuge der In- er sich als „Gymnastischer Verein“ neu for- dustrialisierung herausbildenden „Industrie- mieren, musste aber auf jede „politische“ adels“ angewiesen und zu einem ständigen Tätigkeit verzichten. (TSV 1846 Nürnberg: Über uns) Spagat zwischen den verschiedenen politi- schen Strömungen gezwungen. Während in Nach 1871 unterstützte die 1868 gegründete Preußen das alte Dreiklassenwahlrecht un- Deutsche Turnerschaft (DT) dann allerdings angetastet blieb, konnte er auf Reichsebene das neue Kaiserreich und die von Otto von sehr wohl mit einem Mehrheitswahlrecht Bismarck (1815 – 1898) konzipierte Verfas- leben. Im Reichstag vertreten waren die in sung, nach der weder die Staatsgewalt vom den einzelnen Wahlkreisen von der männli- Volke ausging (Art. 1 der Weimarer Verfassung 1919) noch chen Bevölkerung über 25 Jahren mit abso- von diesem „kraft seiner verfassungsgeben- luter Mehrheit gewählten Kandidaten. Damit den Gewalt“ beschlossen wurde (Präambel des war es mit der Demokratie aber auch schon Bonner Grundgesetzes 1949) . Nach Oliver F. R. Haardt vorbei. Auf Grund der Altersstruktur waren war das Deutsche Reich nämlich kein „fest- nämlich nur rund 20 % der Bevölkerung 4
wahlberechtigt. Ferner wurden die Wahlkrei- sen.“ (Geiges, S. 16 f.) Daher kam es am 21. Mai se bis zum Ende der Monarchie 1918 nicht 1893 in Gera zur Gründung des Arbeiter-Tur- den demographischen Veränderungen der nerbunds (ATB). Neben den Arbeiterturnern Bevölkerungsstruktur, die zu einer Heraus- gehörten auch der Arbeiter-Samariterbund bildung eines Industrieproletariats führten, (Ursprünge 1888 in Berlin), die Naturfreun- angepasst. So blieben Sozialisten und So- de (gegründet 1895 in Wien) und der Rad- zialdemokraten bis zu Bismarcks Entlassung fahrerbund „Solidarität“ (gegründet 1896 in 1890 die größten innenpolitischen Gegner. Offenbach) zur Arbeitersportbewegung. Ob- Eine Verschärfung des Pressegesetzes und wohl als Partei verboten, konnten die Sozial- die Einführung eines politischen Paragra- demokraten ihre Arbeit im Reichstag und im fen ins Strafgesetzbuch ließ sich aber im Vereinsleben fortsetzen und die Zahl ihrer Reichstag nicht durchsetzen. Erst nach zwei Reichstagsabgeordneten von neun im Jahr Kaiserattentaten und Neuwahlen 1878 fand 1878 auf 35 im Jahr 1890 steigern. Wegen sich eine parlamentarische Mehrheit für das der staatlichen Überwachung wurden Ge- „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Be- sangvereine, Schrebergartenkolonien und strebungen der Sozialdemokratie“, das bis vermehrt auch Turnvereine sozusagen zu 1890 mehrmals verlängert wurde. Diese „Tarnorganisationen“ der SPD. Auch der Maßnahme ist allerdings auch ein Indiz da- 1862 gegründete TV Glaishammer trat 1893 für, dass es Bismarck nicht gelungen war, die aus der Deutschen Turnerschaft aus und Arbeiterschaft in den neuen deutschen Staat schloss sich als erster süddeutscher Verein zu integrieren. Die DT gehörte zu den Unter- dem neuen Arbeiter-Turnerbund an. stützern des Sozialistengesetzes. N DES NÜRNBERG: VO ICHES „DEUTSCHEN RE Kein Wunder, dass die Arbeiterschaft in den traditionellen Turnvereinen nicht wohlgelit- IN“ ZUR ten war. Lars Geiges führt an, dass „in Orten SCHATZKÄSTLE RG mit einer starken industriellen Arbeiterschaft ROTEN HOCHBU häufig zwei, drei oder mehr Vereine der DT [entstanden], deren Mitgliederstrukturen re- Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Nürn- lativ homogen waren und sich gerade darin berg dank einer „dynamische[n] Entwick- voneinander unterschieden: Ein Verein war lung“ sowohl „zum industriellen Herzen für das Bürgertum, ein zweiter für den Mit- Bayerns“ als auch „zu einer Symbolstadt telstand und der dritte für die Arbeiterschaft. für den deutschen Nationalismus“. Einer- Mitglieder, die sich offen zur Sozialdemo- seits „rote Hochburg“, andererseits die kratie bekannten, bzw. Vereine, in denen „deutscheste der deutschen Städte“ – ein sozialdemokratische Mitglieder die Mehrheit „Doppelgesicht der Stadt, das sich ja auch besaßen, wurden aus der DT ausgeschlos- topographisch in deutlicher Trennung des 5
Stadtbilds innerhalb und außerhalb der 360.000 an (Beer, S. 94). Eklatant dabei der Stadtmauern zeigte, gehört zu den Beson- „Schub in Richtung Arbeiterstadt und Fa- derheiten der Nürnberger Geschichte bis in brikindustrie“. Allein zwischen 1895 und die Katastrophe des Nationalsozialismus.“ 1907 wuchs die Zahl der Arbeiter von Selbst eine Postkarte vom 2. Arbei- (Beer, S. 90) 41.941 auf 93.271, was einem Anteil von ter-Turn- und Sportfest 1929 bediente sich 73,3 % aller Beschäftigten der Stadt be- dieses Bildes. deutete (Beer, S. 93). Hatte Nürnberg bei der Eingliederung in Diese Entwicklung spiegelte sich jedoch den bayerischen Staat 1806 rund 25.000 nicht in der politischen Partizipation der Einwohner, so verdoppelte sich die Zahl Arbeiterschaft auf kommunaler, Landes- sowohl durch Zuzug als auch durch die und Reichsebene wieder. Ein 1869 unter- Eingemeindung von Vorstädten bis 1846 nommener Vorstoß zur Liberalisierung des auf über 50.000 und bis 1881 auf über Wahlrechts in Bayern wurde im Landtag 100.000. Nach weiteren Eingemein- von „Fortschrittlern und Liberalen“ nicht dungen 1898/99 stieg die Bevölkerung nur abgelehnt, sondern dahingehend ver- bis 1900 auf rund 261.000 und bis zum schärft, dass das Gemeindewahlrecht an Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 auf fast das Bürgerrecht gekoppelt wurde, für das 6
hohe Gebühren zu entrichten waren. Absicht Auf kommunaler Ebene war der Weg stei- war, „gewisse Personen von der Erlangung niger. Erst nachdem 1907 das Verhältnis- des Wahlrechts abzuhalten“ (Gärtner, S. 103). So wahlrecht in Gemeinden mit über 4000 waren in Nürnberg 1869 von 70.000 Ein- Einwohnern eingeführt worden war, konn- wohnern nur 6191 männliche Personen bei ten die Sozialdemokraten zehn der 20 neu Kommunalwahlen wahlberechtigt, 1887 zu besetzenden Mandate in der Gemeinde- von 120.000 nur 5593. Zum Vergleich: Bei vertretung erringen und fortan zwei Mitglie- Gruppenbild der 1893 in den bayerischen Landtag gewählten SPD-Abgeordneten. V. l.: Gabriel Löwenstein, Franz Josef Ehrhart, Karl Grillenberger, Johann Scherm (alle Nürnberg) und Georg von Vollmar (München). (BayHStA Bildersammlung Nr. 5635) den Reichstagswahlen 1884 durften rund der im Magistrat der Stadt Nürnberg stel- 22.000 Nürnberger an die Urnen gehen. len. 1911 verdoppelte die SPD ihre Mandate (Gärtner, S. 105 und 107) Karl Grillenberger, Chefredak- und war jetzt zweitstärkste Fraktion. 1912 teur der „Fränkschen Tagespost“, war 1881 verteidigte Albert Südekum sein Reichs- als erster bayerischer Sozialdemokrat in tagsmandat mit 66,5 % der abgegebenen den Reichstag eingezogen. Im bayerischen Stimmen und bei den Landtagswahlen ge- Landtag war die SPD erstmals 1893 mit fünf wann die SPD neun Mandate hinzu und Abgeordneten vertreten. war nun drittstärkste Fraktion. 7
BERG: AUCH IN NÜRN trolle. Mal wurde versucht, die Vereine für EIN ZUM VOM TURNVER „politisch“ zu erklären, was den Aufbau T ARBEITERSPOR von Jugendabteilungen erschwerte, da es Unter-18-Jährigen untersagt war, Mitglied in einem politischen Verein zu werden, Da nach dem TV Glaishammer auch die mal wurde den Vereinen der Gebrauch Turnvereine Gostenhof, St. Johannis und städtischer Turnhallen untersagt. Trotzdem Neuwetzendorf die DT verließen, wurde wuchs die Mitgliedschaft im ATB von 1903 am 18. Februar 1894 der Arbeiterturngau bis 1914 von rund 9000 auf rund 187.000 „Nürnberg und Umgebung“ gebildet, dem (Ueberhorst, S. 31 und 351) . Gespalten blieb allerdings auch die Arbeiter-Turnvereine Bleiweishof, lange Zeit die Einstellung der ATB-Führung Steinbühl sowie Neu-Lichtenhof und Neu- zu neuen Sportarten wie Fußball. In dieser Gibitzenhof beitraten. Nachdem in München Hinsicht unterschieden sich „bürgerliche“ ein zweiter Bezirk enstanden war, wurde im und „proletarische“ Turner kaum. Noch August 1895 der 7. Kreis im ATB gegründet. 1909 wurde Fußball als „gesundheitsschä- digend betrachtet und die einseitige körper- liche Ausbildung sogenannter »Nur-Fuß- baller« beklagt.“ (Geiges, S. 34) Nachdem 1910 in Berlin erste „Serienspiele“ durchgeführt wurden, folgten bis 1914 auch Bremen, das Königreich und die preußische Provinz Sachsen, Thüringen, Rheinland-Westfalen, Hessen und Hessen-Nassau sowie Bayern (Frommhagen 2011, S. 18) . 1901 kamen mit Bamberg (3.), und 1902 mit Der 1. Weltkrieg beschleunigte die Entwick- Würzburg (4.) weitere Bezirke dazu. 1923 lung, denn das Leben an der Front machte wurde Südbayern als 19. Kreis selbständig. keinen Unterschied zwischen „bürgerli- Der 7. Kreis umfasste 1925 neun Bezir- chen“ und „proletarischen“ Soldaten. 1919 ke: Nürnberg (1.), Regensburg (2.), Hof (3.), wurde daher aus dem Arbeiter-Turner- der Schweinfurt (4.), Stockheim (5.), Weiden Arbeiter-Turn- und Sportbund und zwei Jah- (6.), Coburg (7.), Bayreuth (8.), Marktredwitz re später Fußball formell als eigenständige (9.). Wenig später wechselte Ingolstadt als Sparte im ATSB anerkannt (Hauk, S. 164/165). In 10. Bezirk aus dem 19. in den 7. Kreis. der Weimarer Republik entwickelte sich der Arbeitersport nach Partei, Gewerkschaft Bis zum Ende der Monarchie 1918 stand und Genossenschaftsbewegung zur „vierten der ATB unter ständiger polizeilicher Kon- Säule“ der Arbeiterbewegung (Skrentny, S. 2). 8
RBEITER- NÜRNBERGER A . Am 26. September 1923 wurde der Bayerns) R FUSSBALL IN DE 1921 als Ministerpräsident zurückgetretene UBLIK WEIMARER REP Kahr Generalstaatskommissar mit dikta- torischen Vollmachten und verhängte den Ausnahmezustand (bis 16. Februar 1925). In der Weimarer Republik wurden die So- Er weigerte sich außerdem, Anordnungen zialdemokraten stärkste politische Kraft in der Reichsregierung (u. a. das Verbot des Nürnberg. Unter Leitung von Oberbürger- NSDAP-Organs „Völkischer Beobachter“) meister Dr. Hermann Luppe (DDP) wurden durchzusetzen und spielte auch beim miss- zahlreiche soziale Projekte umgesetzt lungenen Hitlerputsch vom 8./9. Novem- und 1928 am Dutzendteich eine moder- ber 1923 in München eine höchst unrühm- ne Sportanlage erreichte, wo 1929 das liche Rolle. Am 11. November 1923 wurden 2. Arbeiter-Turn- und Sportfest des ATSB NSDAP und KPD reichsweit verboten. Den- ausgetragen wurde. Luppe, 1919/20 Mit- noch konnte sich der „Völkische Block“ bei glied der Weimarer Nationalversamm- den Landtags- und Reichstagswahlen 1924 lung, war ein entschiedener Vertreter in Nürnberg auf Anhieb einen Stimmenan- der neuen Demokratie, was seine Arbeit teil von 27,8, bzw. 26,0 % sichern. nicht unbedingt erleichterte, da „die poli- tische Wirklichkeit“ in Bayern „nach- Auch die staatliche Beobachtung der haltig durch monarchische und rechts- Arbeitersportbewegung wurde wie schon radikale Kräfte bestimmt [wurde].“ So im Kaiserreich fortgesetzt. So vermerkte versuchte Ministerpräsident Gustav Ritter die Polizeidirektion Nürnberg-Fürth am von Kahr (BVP) nach Niederschlagung 10. April 1926, dass es „nicht im Staats- der Münchner Räterepublik 1919 und des interesse gelegen sein [dürfe], durch Kapp-Putsches 1920 „mit allen Mitteln staatliche Zuschüsse an die Arbeiter- die vor 1918 herrschenden Verhältnisse turn- und Sportvereine die Erziehung und wiederherzustellen und Bayern zu einer Heranbildung von Klassenkämpfern und »Ordnungszelle« des Reichs zu formen.“ gleichzeitig die Sozialdemokratie in ihren Am 1./2. September 1923 (zitiert nach Weigang, S. 26) Bestrebungen auf Errichtung der sozialisti- nutzten Nationalsozialisten und völkische schen Republik finanziell zu stärken.“ (zitiert Wehrverbände mit Duldung des Nürnber- nach Bach-Damaskinos, S. 188 f.) Dennoch nahm „die ger Polizeidirektors Heinrich Gareis den Arbeitersportbewegung seit Kriegsende „Deutschen Tag“ zu „parademäßigen einen ungeahnten Aufschwung [...] und Aufmärschen“, bei denen „das Straßen- kann sich, sowohl was ihre vielfältige Ver- bild [...] völlig vom Hakenkreuz, der feld- zweigung und ihre Leistungen anbelangt, grauen Kappe und den schwarzweißroten getrost mit den bürgerlichen Sportvereini- Fahnen beherrscht“ wurde (vgl. Historisches Lexikon gungen messen“. (Gärtner, S. 379) 9
MIT GL IED ERE NTWICKLUNG DIE RBEITERSPORT- Erfolgreichster Verein war der TSV Nürn- NÜ RN BE RG ER A berg-Ost, der neben drei Süddeutschen Meisterschaften 1930 und 1932 auch ND DER VEREINE ANHA ATSB-Bundesmeister wurde. Das Foto aus dem Archiv vom Rolf Frommhagen TSBERICHTE ATSB-GESCHÄF zeigt die „Oster“ am 21. Mai 1932 in hellen Hemden vor dem Endspiel im Nürnberger Stadion (4:1 gegen FT Cottbus 93). 1920 13 Vereine (12 mit Fußballsparte) mit 4653 Mitgliedern (davon 1110 Fußballer) 1924/25 21 Vereine (19) mit 6296 Mitgliedern (1959 Fußballer) 1926/27 24 Vereine (21) mit 6513 Mitgliedern (2198 Fußballer) 1928/29 27 Vereine (23) mit 6553 Mitgliedern (2179 Fußballer) Zum Vergleich der 1. FC Nürnberg: 3336 Mitglieder (1920), 2413 (1923), 3009 (1926) Jahr Meister 1. Bez. Mittelfranken Meister 7. Kreis Bayern Süddeutscher Meister 1920 TSV 1895 Fürth TSV 1895 Fürth TSV 1895 Fürth 1921 TSVgg Nürnberg-Südost TSVgg Nürnberg-Südost FT Frankfurt, Abt. 6 Bornheim 1922 TSV Nürnberg-Ost Münchner BSC ATSV Mannheim-Rheinau Teilung in Nord- (7. Kreis) und Südbayern (19. Kreis) 1923 TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost * 1924 VfR Mögeldorf VfR Mögeldorf * 1925 TSVgg 1891 Nürnberg-West TSVgg 1891 Nürnberg-West TSVgg 1891 Nürnberg-West 1926 TSV St. Leonhard-Schweinau TSV St. Leonhard-Schweinau TSV St. Leonhard-Schweinau 1927 TSVgg 1891 Nürnberg-West TSVgg 1891 Nürnberg-West TSVgg 1891 Nürnberg-West 1928 SpVgg 1916 Nürnberg-Zabo FTSV Weiden ASV Frankfurt-Westend 1929 TSV St. Leonhard-Schweinau FTSV Weiden FTSV Weiden 1930 TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost 1931 TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost 1932 TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost TSV Nürnberg-Ost 1933 TV 1884 Gostenhof TV 1884 Gostenhof nicht beendet *) 1923 und 1924 nachm der nordbayerische Meister an der Mitteldeutschen Meisterschaft teil. 10
IND: DAS PROBLEMK „Die Inanspruchnahme der Tagespresse ORT- DIE ARBEITERSP muß für viele Zwecke genügen. Wird die EIS PRESSE IM 7. KR örtliche Arbeiterpresse und das Bundes- orgen dann aufmerksam gelesen, kommen wir Heinrich Sorg (1898 – 1963) betonte im auch so einigermaßen Geschäftsbericht 1928/29 des 9. Kreises glimpflich über die Mi- die wichtige Rolle des Pressewesens für sere der Zeit hinweg.“ die Arbeitersportbewegung. „Stünde einer („Freie Sportwoche“ vom 13. Dezember Bundespresse eine gut entwickelte Kreis- 1922) In der Bibliothek der presse zur Seite, hätten wir, in Verbindung Friedrich-Ebert-Stiftung mit den Tageszeitungen, ein Pressenetz, in Bonn fanden sich aller- daß nicht nur innerorganisatorisch allen dings drei Exemplare des Anforderungen gerecht werden könnte, 4. Jahrgangs 1924 eines sondern auch dem außenstehenden Pu- „Mitteilungsblattes für blikum beizukommen in der Lage wäre.“ den 7. Kreis“. Wie für den 5. Fußballkreis (Thüringen) bereits 1923 belegt, lagen die Seit seiner Gründung gab der AT(S)B die zweiseitigen Blätter vermutlich doch als „Arbeiter-Turn-Zeitung“ (seit 1931 „Arbei- Beilage der „Freien Sportwoche“ bei. Die ter-Turn- und Sportzeitung“) heraus. 1919 „Misere der Zeit“ wurde bei einer Schriftlei- kam die „Freie Sportwoche“ dazu. Die tertagung 1924 in Leipzig deutlich, denn die „Fränkische Tagespost“ wurde 1871 als „Arbeiter-Turn-Zeitung“ wurde im 7. Kreis „Fürther Demokratisches Wochenblatt“ be- nur von 11,5 % der Turner und die „Freie gründet und erschien von 1874 bis 1878 als Sportwoche“ nur von 17 % der Fußballer „Nürnberg-Fürther Sozialdemokrat“. Mit gelesen (Mitteilungsblatt vom 12. November 1924). Karl Grillenberger, Philipp Scheidemann und Kurt Eisner hatte das Blatt prominen- te Herausgeber und Redakteure. Lediglich auf der Kreisebene haperte es. Das am 1. Mai 1921 erstmals erschienene monat- liche „Mitteilungsblatt des Arbeiter-Turn- Zu den finanziellen Problemen kamen in- und Sportbundes, 7. Kreis, Bayern“ musste haltliche dazu. Durch Ablehnung des Leis- schon nach anderthalb Jahren aus finan- tungsgedankens im „bürgerlichen“ Sport ziellen Gründen wieder eingestellt werden. galt nämlich die Prämisse, „Unwahres, Der Wunsch, Kreisblätter künftig „als Beila- Selbstverständliches und Ueberflüssiges [...] ge der Freien Sportwoche“ herauszugeben, von vornherein weg[zulassen]. Schade um wurde aus Kostengründen nicht umgesetzt. die Tinte.“ Dazu gehörten auch Minuten- 11
angaben bei Toren, denn „die Wichtigkeit „Freien Sportwoche“ vom 24. September des Momentes liegt nicht in der Zeit, die 1928 genannt: „Saumselige und mangel- Erde bleibt auch nicht stehen“. Unterbleiben hafte Zuleitung der Spielergebnisse an die sollten auch „Lobhudeleien und hervorhe- Kreispressezentrale. [...] Vielleicht tragen bende[n] Namensnennungen [...]. Im Rah- diese Zeilen dazu bei, die Vereine in erster men des Arbeitersports soll es keinen Per- Linie zur Erfüllung ihrer Pflichten zu brin- sonenkultus geben.“ Getadelt wurden auch gen, dann werden auch Bezirk und Kreis Mannschaftsbilder. „Ehe mal ein solches mit mehr Freude bei der Sache sein.“ Dazu Verwendung finden kann, ist die Mannschaft kam ein starres Spielsystem, in dem die schließlich nicht mehr zusammen, das Bild höchste Spielklasse nicht nur in Nürnberg wertlos und die jetzt hohen Ausgaben [...] in mehreren Gruppen spielte, so dass 1932 besser für belehrende Bilder angewandt.“ nicht weniger als 260 Mannschaften „erst- („Freie Sportwoche“ vom 19. Mai 1920) klassig“ waren. So erreichten selten die spielstärksten Mannschaften das Endspiel Auch die Qualität der Beiträge wurde im- um die Kreismeisterschaft. Aus heutiger mer wieder kritisiert, doch blieben viele Ap- Sicht unverständlich ist auch der weitge- pelle ungehört. Als Gründe für die schlechte hende Verzicht auf Tabellen im Bundesor- Berichterstattung im 7. Kreis wurden in der gan, während die „Fränkische Tagespost“ 12
Abteilung A Abteilung B Gostenhof 15 Sp. 25 P. Südost 16 Sp. 27 P. Laufamholz 16 Sp. 21 P. Ost 13 Sp. 20 P. Fr. T. Nürnberg 16 Sp. 18 P. Glaishammer 15 Sp. 20 P. Schweinau 17 Sp. 18 P. Süd 16 Sp. 18 P. West 14 Sp. 16 P. Röthenbach 17 Sp. 14 P. Südwest 16 Sp. 16 P. Schwabach 14 Sp. 12 P. Mögeldorf 17 Sp. 15 P. T.- u. Spv. Fürth 13 Sp. 11 P. Rangierbahnhof 14 Sp. 11 P. Zabo 14 Sp. 11 P. Johannis 15 Sp. 10 P. BC. Fürth 17 Sp. 9 P. Lauf 14 Sp. 4 P. Buchenbühl 15 Sp. 8 P. sogar Kastentabellen und regelmäßig län- und Rugby im ATSB“ ablöste. Immerhin er- gere Spielberichte veröffentlichte. schien am 3. Oktober 1932 ein Zwischen- stand der beiden Nürnberger Gruppen Daran änderte sich auch im „Fußball-Stür- und am 6. März 1933 sogar ein Foto mit mer“ wenig, der 1932 die „Freie Sportwo- Spielernamen und Positionen vom letzten che“ als „Amtliche Zeitschrift für Fußball Kreismeister TV 1884 Gostenhof. 13
FEST DAS 2. BUNDES TURN- DES ARBEITER- Mit diesen Worten aus dem Gedicht „Dem DES 1929 neuen Sieg entgegen“ aus der Festschrift UND SPORTBUN Nr. 3 begrüßte der Sozialdemokrat und IN NÜRNBERG Gewerkschafter Wilhelm Bock die Teilneh- mer des 2. ATSB-Bundesfestes in Nürn- berg. 1929 ist Deutschland eine parlamen- tarische Demokratie, Paul von Hindenburg Zum zweiten Male werden wir, ist Reichspräsident, in Bayern regiert die voran das rote Schlachtpanier, konservative Bayerische Volkspartei (BVP) zum Kampfe aufmarschieren. und die Welt steht kurz vor einer großen Und Millionen an der Zahl, Weltwirtschaftskrise. Die Zeiten in der die werden zum zweiten Mal jungen Republik sind unruhig. Die NSDAP ins Land der Zukunft führen. gewinnt immer mehr Anhänger, während sich im sozialistischen Lager Sozialdemo- Und wieder ruft die heil‘ge Pflicht, kraten und Kommunisten Steine in den ihr Schwestern, Brüder, zögert nicht Weg legen. Die Zeit schien reif für ein Zei- für‘s schöne Ziel zu streiten. chen der Einheit und des Aufbruchs, das Die Fahnen hoch, im gleichen Tritt, mit dem Bundesfest in die Republik ge- in Reih und Glied mit festen Schritt, sendet werden sollte. so woll‘n wir vorwärts schreiten. Das erste Fest fand im Juli 1922 in Leipzig Mag auch das Schicksal mit Gewalt statt. Bis zu 100.000 Teilnehmer fanden dem Einzelnen gebieten Halt, sich zwischen dem 22. und 24. Juli auf wir werden dennoch siegen dem Messegelände zusammen und traten und mehr als Hunderttausend sein; im sportlichen Wettbewerb gegeneinan- So ziehen wir in Nürnberg ein der an. Sieben Jahre später sollte in Nürn- und unsre Fahnen fliegen. berg das Bundesfest seine zweite Auflage erleben. Die Entscheidungen der Gremien Und ob wir Weib sind oder Mann, des ATSB zugunsten der fränkischen Me- ein Meer von Fahnen uns voran tropole können von mehreren Seiten aus auf Siegumrauschten Wegen. betrachtet werden. Nürnberg war in den So schreiten wir als stolze Macht 1920er Jahren eine Industriestadt und aus fluchbelad‘ner dunkler Nacht eines der Zentren der deutschen Arbei- dem neuen Sieg entgegen.“ terbewegung, zum Beispiel wurde hier am 5. Juli 1919 der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) gegründet. 14
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eine Heerschau der völkischen Wehrver- bände, die unter anderem von Adolf Hitler angeführt wurde. Der erste Reichspartei- tag der NSDAP in Nürnberg fand im Jahr 1927 statt. Die Konflikte innerhalb der Arbeiterschaft sollten auch vor dem Bundesfest in Nürn- berg ihre Auswirkungen entfalten. Ein Jahr vor der Veranstaltung kam es nach langen Konflikten zur Spaltung zwischen den so- zialdemokratischen und kommunistischen Sportlern. Unruhige Zeiten, dennoch be- reitete man sich in Nürnberg gewissen- haft und voller Eifer auf das Bundesfest vor. Die Stadt putzte sich heraus für ihre zahlreich erwarteten Gäste aus Nah und Fern. Sehenswürdigkeiten wie die Kaiser- burg, die Insel Schütt oder der Hauptmarkt sollten eine schöne Kulisse für das freudig erwartete Ereignis liefern. Es wurde ein Auf der anderen Seite wird auch von ei- Wohnungsausschuss gebildet, um die Un- nem Zeichen an die damalige bayerische terkünfte der Gäste zu koordinieren. Auch Staatsregierung gesprochen. Die Bayeri- Nürnberger Arbeiter rückten zu Hause die sche Volkspartei (BVP) sah sich als Partei Möbel zur Seite, um Schlafplätze für die des politischen Katholizismus, warnte vor Genossen zu schaffen. Küchen, eine Post- einem um sich greifenden Bolschewismus stelle, Kraftwagenlinien und ein medizini- in der Weimarer Republik, sie erkor die scher Dienst wurden eingerichtet. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zu ihrem politischen Gegner und Die Wettkämpfe fanden auf einem 3000 sympathisierte mit antirepublikanischen Quadratkilometer großen Gelände auf Bestrebungen, wie sie vornehmlich von dem Zeppelinfeld, nahe des Dutzend- der NSDAP betrieben wurden. Diese war teichs, statt. Das Herzstück bildete dabei auch im „roten Nürnberg“ präsent und ak- das Städtische Stadion (heute Max-Mor- tiv. Bereits im September 1923 veranstal- lock-Stadion). Dieses wurde im Jahr 1928 tete sie, ohne Gegenwehr der örtlichen fertiggestellt und galt damals als das mo- Arbeiterschaft, den „Deutschen Tag“ – dernste der Welt. Am 19. Juli wurde das 16
2. Bundesfest offiziell mit einem Festakt gen. Die Teilnehmer versammelten sich im Nürnberger Rathaus eröffnet. Bis zum an Treffpunkten, die über die gesamte Sonntag traten 1645 Sportler und Sport- Stadt verteilt waren und liefen mit Fahnen, lerinnen in 3000 Wettbewerben gegenei- Trommeln, Pfeifen, geschlossen in Achter- nander an. Sie maßen sich beim Turnen, Reihen durch die Stadt zum Zeppelinfeld. in der Leichtathletik, beim Handball, Fuß- Den Abschluss bildete am Abend eine fei- ball und Wassersport. Neben den eng ge- erliche Schlusskundgebung im Stadion. takteten sportlichen Wettkämpfen wurde den insgesamt 120.000 Aktiven und Be- Die Organisatoren zeigten sich zufrieden suchern einiges geboten. In den verschie- mit dem Bundesfest in Nürnberg und sa- denen Stadtteilen wurden in Kneipen, hen die Tage im Juli als Aufbruch für die Arbeiterbewegung. „Das war unser Fest, unser Sieg!“ steht in einer im Nachgang veröffentlichten Fest- schrift geschrieben. Es sollte das letzte Bundesfest bleiben. Nach der „Macht- übernahme“ durch Adolf Hitler im Ja- nuar 1933 kam es nur wenige Wochen Der Festumzug in der Königsstraße. (Archiv Dr. Eike Stiller) später zu einer Be- setzung der ATSB- Restaurants, Gemeinde- und Festsälen Geschäftsstelle durch die Polizei. Dies Kreisabende organisiert. Die Geselligkeit kam einer Zerschlagung des Verbandes und die Solidarität sollten im Mittelpunkt gleich. Das Vermögen wurde von den Na- stehen und nicht der sportliche Wettbe- zis beschlagnahmt, die Arbeitersportler werb und der Drang zu gewinnen. So gab gingen in den Widerstand, passten sich es neben den Wettkämpfen unter dem Ti- an oder wechselten die Seiten. tel „Unser Körper in Formung, Schulung, Kraft und Schönheit“ Massenübungen, an denen mehrere tausend Menschen teil- nahmen. Den Höhepunkt des Bundesfes- tes bildete der Festzug am Sonntagmor- Benjamin Wolf 17
TISCHE DER KOMMUNIS RAUM Die Quellenlage zum Rotsport im Raum „ROTSPORT“ IM Nürnberg ist dünn, da Ulrich Neuhäußler- NÜRNBERG Wespy in seiner 1981 publizierten Disserta- tion über „Die KPD in Nordbayern 1919 – Nach Gründung der KPD am 30. Dezember 1933“ den Sport nur tangiert. Immerhin 1918 blieben die kommunistischen Arbeiter- erfährt man, dass der „»Zentralsportverein sportler zunächst im ATB, der auf seinem für proletarische Körper- und Geisteskul- 12. Bundesturntag 1919 in Leipzig jedoch die tur« Nürnberg, zugleich Landes-Leitung der Formel „Diktatur des Proletariats“ ablehnte. »Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit« 1921 wurde in Moskau die „Rote Sportinter- für Bayern“ 1931 seinen Sitz in der Koper- nationale“ (RSI) als Gegenpol zur 1920 gebil- nikusstraße 7/9 in Galgenhof hatte (S. 208 f.). deten „Luzerner Sportinternationale“ (LSI, ab Vom KG-Organ „Roter Bayernsport“ hat mir 1928: Sozialistische Arbeiter-Sport-Internatio- die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürn- nale/SASI) gegründet. Auf die erste Arbeiter- berg dankenswerterweise drei Exemplare, Olympiade 1925 in Frankfurt antwortete die die die Zeit des „Dritten Reichs“ überlebt RSI 1928 mit einer Spartakiade in Moskau. haben, zur Verfügung gestellt. Wichtigste Die 1931 kurz vor der zweiten Arbeiter-Olym- Quelle war die „Neue Zeitung. Ausgabe A“ piade in Wien begonnene Spartakiade in (vormals „Nordbayerische Volkszeitung“), Berlin wurde nach polizeilichem Verbot in deren Jahrgänge 1930 bis 1933 in der Moskau beendet. Bereits seit 1928 wurden Bayerischen Staatsbibliothek in München kommunistische Funktionäre und Vereine eingesehen werden konnten. aus dem ATSB ausgeschlossen, was 1929 zur Bildung einer „Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbei- tersport“ (ab 1930 „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“) führte. Die ideologischen Differenzen zwischen SPD und KPD, die letztlich zur Spaltung der Arbeitersportbe- wegung führte, sind bei Horst Ueberhorst in Kapitel V dargestellt (u. a. „Der Weg zur Spaltung“, „Die Arbeiter-Turn- und Sportbe- wegung im Zeichen der »Eisernen Front«“ und „Die kommunistische Opposition“). Etwa 1932 publizierte der ATSB selbst eine 40-sei- tige Schrift zu diesem Thema. Den kommu- Der erste in Nordbayern aus dem ATSB nistischen Standpunkt aus DDR-Zeiten ver- ausgeschlossene Verein war im April 1931 tritt das Autorenkollektiv um Martin Zöller. der oberfränkische TSV Selb 06. Im De- 18
zember 1931 trat der Zentralsportverein „alten“ TSV Nürnberg-West zum Wech- Nürnberg zum ersten Mal an die Öffent- sel in den Rotsport zu bewegen, denn lichkeit („Neue Zeitung“ vom 1. und 5. Dezember 1931). Ab die ATSB-Geschäftsberichte weisen bei Januar 1932 fanden Serienspiele zur Er- diesem zwischen 1926/27 und 1928/29 mittlung des nordbayerischen Meisters einen Mitgliederschwund von 338 (davon statt, der zu den Reichsmeisterschaften 150 Fußballer) auf 66 (davon 54 Fußbal- gemeldet werden sollte. Aber erst, nach- ler) nach. Prominentester „Wester“ war dem im Februar 1932 der TSV Eibach 08 Daniel Dorn (1900 – 1968, Foto), mit 33 zum Rotsport übertrat, finden sich ver- Einsätzen (davon 25 Länderspielen) Re- mehrt Hinweise auf Spiele in der Region. kordspieler der ATSB-Bundesauswahl. Er Am 26. Juni wurde an der Zerzabelshof- gehörte der siegreichen deutschen Mann- straße der Sportplatz des ZSV Nürnberg schaft bei der Arbeiter-Olympiade 1925 in eingeweiht, auf dem am 4. Juni bereits Frankfurt an und bestritt später auch ein das Schlussspiel um die Landesmeister- Spiel für die IG-Auswahl. Mit Max Knörl schaft zwischen dem Rasensportverein und Michael Tischner nahmen 1932 zwei Nürnberg-West und dem FSV Selb 06 „Wester“ an der dritten Tour der KG-Aus- stattgefunden hatte (6:2). In der Süddeut- wahl durch die UdSSR teil. schen Meisterschaft schied der RSV West jedoch am 10. Juli beim FSV Stuttgart-Ost Die Serienspiele im Nürnberger Bezirk be- vor 1700 Zuschauern unglücklich mit 2:3 gannen am 24. September 1932 mit neun in der Verlängerung aus. Mannschaften. Der aus jeweils vier hektogra- Sp. ge. ver. u. p West 6 6 0 0 12 Südost 6 6 0 0 12 Schwabach 7 3 3 1 7 Städt. Arbeiter 4 2 2 0 4 Eibach 8 4 4 0 8 Fichte 8 2 5 1 5 Erlangen 7 2 5 0 4 Nordost 7 3 4 0 6 Johannis 7 1 6 0 2 Der RSV West war der erfolgreichste phierten Seiten bestehende „Rote Bayern- Nürnberger Verein, da es ihm anscheinend sport“ berichtete ausführlich über die Spiele gelungen war, viele Mitglieder aus dem und veröffentlichte sogar Tabellen. Als zum 19
Serienspiele eine Woche später beendet. Am 28. Februar titelte die „Neue Zeitung“ in ihrer letzten Ausgabe: „Alarm! Alarm! Die gesamte KPD.-Presse in Preußen verboten. Die SPD.-Presse vom gleichen Schicksal bedroht.“ Es war der Morgen nach dem Reichstagsbrand. Während die „Fränkische Tagespost“ an diesem Tag nicht erscheinen durfte, kündigte die „Neue Zeitung“ für den 13. März noch das erstmalige Erscheinen der Zeitschrift „Der rote Sportler“ an. Da aber lief die Verfolgung von Kommunisten bereits auf Abschluss der Vorrunde die verlustpunktfrei- Hochtouren. „Verhaftet wurden vor allem en Mannschaften von West und Südost auf- die in der »legalen« Zeit politisch aktiven einandertrafen, schrieb er am 21. November: und [...] besonders bekannten Funktionäre „Wer wird Bezirksmeister? – Südost erhielt der Orts- und Stadtteilgruppen, der Wohn- in der letzten Woche neue Kräfte. [...] West gebietsorganisationen und der lokalen Rote tritt in kompletter Aufstellung mit den bei- Hilfe-, Erwerbslosen-, Rotsport- und ähnli- den Russlandfahren Tischner und Knörl an chen Gruppen“. (Mehringer, S. 77) u[nd] sie werden ihr Bestes herausgeben um UNG DIE ZERSCHLAG den Sieg für ihre Farben zu sichern.“ Das Er- DES ARBEITER- gebnis von 7:2 für West konnte der „Neuen Zeitung“ entnommen werden. Nach dem RT- 30. Januar 1933 trat die Sportberichterstat- TURN- UND SPO tung zwar hinter der politischen Agitation in BUNDES 1933 den Hintergrund, doch erschien in der „Neu- en Zeitung“ vom 13. Februar 1933 noch eine Anzeige des Nürnberger Zentralsportvereins Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichs- mit den Sprechzeiten am Sportplatz Zabo kanzler schien den Arbeitersport zunächst und seiner Unterabteilungen Südost, Nord- wenig zu beeinträchtigen. Am 19. Februar ost, Altstadt, Johannis, Süd, Schweinau, 1933 wurde der TV 1884 Gostenhof durch Gostenhof, dem Sänger-Chor, der Samari- ein 3:0 gegen die SpVgg Bayreuth-Altstadt ter-Abteilung und der Gymnastikgruppe für vor 3000 Zuschauern im Nürnberger Stadi- Frauen. Die letzten bekannten Ergebnisse on Kreismeister. Mit der nach dem Reichs- aus Nürnberg datieren vom 19. Februar tagsbrand noch am 28. Februar verkün- (ZSV Fürth I – RSV West I 2:1, ZSV Fürth II – deten „Verordnung des Reichspräsidenten RSV West II 2:2). In München wurden die zum Schutz von Volk und Staat“ wurden die 20
Bürgerrechte der Wei- marer Verfassung außer Kraft gesetzt und die „Wahlen“ vom 5. März zur Farce. Zusammen mit der „Verordnung des Reichspräsiden- ten zum Schutze des Deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933 und dem Ermächtigungs- gesetz vom 24. März 1933 diente diese Ver- ordnung zur Festigung der Machtposition Adolf Hitlers und der Besei- tigung des demokrati- schen Rechtsstaats. Ungeachtet des Terrors gegen Sozialdemokra- ten und Kommunisten begannen am 12. März die Spiele um die Süd- deutsche Meisterschaft. In Mannheim unterlag die FTSVgg Dietzenbach gegen den 1. FFC 1921 Ludwigshafen mit zu bestimmenden Tag gegen Nürnberg-Gos- 2:3. Der weitere Verlauf der Süddeutschen tenhof.“ („Der Fußball-Stürmer“ vom 20. März 1933) Es war Meisterschaft fiel dann „den politischen Er- die letzte Ausgabe des Blattes, in dem aber eignissen [...] zum Opfer. In Nürnberg sind auch zu lesen war, dass „im Gegensatz zu die Spielplätze der Arbeitersportler bis auf Nürnberg [...] die Spiele in Würzburg, Bay- zwei Ausnahmen polizeilich gesperrt. Die reuth und der Oberpfalz keinerlei einschrän- weitere Austragung der Süddeutschen Meis- kenden Bestimmungen“ unterlagen. terschaft denkt man sich nun so, dass am 26. März Stuttgart-Ost gegen FT München Bereits Mitte März wurde die Bayerische spielt und der Sieger hieraus an einem noch Politische Polizei gebildet, deren Leiter am 21
1. April 1933 SS-Führer Heinrich Himmler Aufbau befindlichen [...] deutschen Sport- als „Politischer Polizeikommandeur Bay- verbänden an[zu]schließen“, ehemalige erns“ übernahm. Sein Stellvertreter wurde Arbeitersportler durften bis zum 1. Oktober Reinhard Heydrich, Chef des Sicherheits- 1933 nicht in andere Vereine aufgenom- dienstes der SS. Am 29. März ordnete das men werden. In beiden Fällen konnte der bayerische Innenministerium das Verbot Reichssportkommissar Ausnahmen zulas- marxistischer Organisationen an. Jede Be- sen. Eine solche ist vom TSV Johannis 1883 tätigung von Organisationen, deren „leiten- überliefert, der 1933 seine „unglücklichsten de Kräfte der marxistischen Weltanschau- Stunden“ erlebte, „nämlich das Verbot der ung nahestehen oder ihre Haltung darauf gesamten Arbeitersport-Bewegung mit der schliessen lässt, ist verboten“. Am 17. Mai Folge von Hausdurchsuchungen, Beschlag- 1933 forderte die Polizeidirektion Nürn- nahme des Heimes, des Grundstücks und berg-Fürth die Städtische Sparkasse Nürn- des gesamten Vereinseigentums.“ Die An- berg unter dem Betreff „Beschlagnahme“ fang 1934 signalisierte und am 14. Juni 1934 „zur Feststellung der in Frage kommenden vollzogene Wiederaufnahme seiner sportli- Konten“ von 60 Arbeiter-Sport- und Sän- chen Tätigkeit erfolgte allerdings „unter er- gervereinen auf. Bis auf Südwest standen schwerten Bedingungen; dem Verein wur- alle 15 der obersten Spielklasse ange- den zwei Vereinsführer vorgesetzt.“ (125 Jahre hörenden Nürnberger Fußballvereine im TSV Johannis 1883, S. 11) 1. Bezirk auf der Liste. Die Sparkasse zöger- te die Sache jedoch hinaus und verweigerte Auch der SV Zabo, Kreismeister 1928, vorläufig die Überweisung der Guthaben an wurde 1933 „aufgelöst und das Vereins- die Bayerische Politische Polizei, da diese vermögen beschlagnahmt.“ (Flyer 100 Jahre SpVgg zur Deckung von Hypothekenzinsen ver- Zabo Eintracht ) Auf dem inzwischen von der SA wendet werden sollen. In einem Schreiben als Exerzierplatz genutzten Sportgelände an den Bayerischen Sparkassen- und Giro- der FT Nürnberg-Süd in der Werderau, verband vom 31. Januar 1934 wurden die wurden im Juli 1933 „etwa 300 Juden Hypothekendarlehen an „marxistische Or- [...] zusammen[getrieben] und [...] einen ganisationen“ mit 65.657,24 Mark beziffert Tag lang“ gequält (Neidiger, S. 20). Beim in . (Stadtarchiv Nürnberg/StadtAN E 53/2 Nr. 1891) „Reichsbahn-Turn- und Sportverein“ um- benannten ATSV Rangierbahnhof wurde Am 27. Juni 1933 verfügte Reichsinnen- noch 1940 „eine richtige Gesinnung“ an- minister Frick in einem Rundschreiben an gemahnt und der Vorstand angewiesen, die Landesregierungen „die endgültige Li- „dass sich der Verein nur im nationalsozia- quidierung des Arbeitersports“. (Teichler, S. 229 ff.) listischen Sinne betätigt. Sollten sich bei Ehemaligen Arbeitersportvereinen war es der Überwachung des Vereins Mißstände untersagt, sich vor dem 1. April 1934 den „im bemerkbar machen, [...] müsse er mit der 22
Sportgelände der FT Nürnberg-Süd in der Werderau (Luftaufnahme aus dem Jahr 1927, StadtAN A 97 Nr. 132) polizeil. Auflösung [...] rechnen.“ Manch- NIS DER mal genügten auch bloße Vermutungen DAS VERMÄCHT IT für eine Verhaftung. So im Fall des SC Ger- mania Schniegling, der im März 1933 in VERGANGENHE Verdacht einer „vermutlich politischem Tä- tigkeit“ geriet, nachdem Mitglieder der Pri- Obwohl die Alliierten 1945 alle von der vatmannschaft Blau-Weiß am Königsplatz NSDAP betreuten Vereine und Verbände, aufgefallen waren. Kriminalpolizeiliche zu denen auch die im Nationalsozialis- Untersuchungen ergaben schließlich, dass tischen Reichsbund für Leibesübungen von den 23 Festgenommenen „der größ- (NSRL) organisierten Sportvereine zähl- te Teil politisch nicht einwandfrei“ sei und ten, verboten und ihr Vermögen beschlag- sich „vor der nationalen Erhebung für die nahmt hatten, wurde bereits am 18. Juli KPD aktiv betätigt“ hatte. Um „unter dem 1945 der Bayerische Landes-Sportverband Deckmantel des Sports eine illegale Betä- (BLSV) gegründet. Neben vielen ehemali- tigung“ auszuschließen, hatten beim TSV gen Arbeitersportlern waren auch Vertre- 1846 Nürnberg ab 1933 „Neueintretende ter der katholischen DJK, des ehemaligen über 18 Jahren, die früher einem Arbei- Rotsport und der bürgerlichen Sportbewe- ter-Turn- und Sportverein angehörten, eine gung dabei. Mit dem BLSV sollte eine neue Eidesstattliche Erklärung zu unterschrei- „politisch und religiös unabhängige, sport- ben (vgl. StadtAN C 7/V 4476, C 7/V 6072, C7/V 5574, C7/ C 666). arten-übergreifende Organisation“ gebildet 23
werden (DSFS, S. 6). Während Heinrich Sorg, Fußballsport, die in der Nazizeit das Schiff ehemaliger Sekretär im 9. Kreis, 1946 aus nicht verließen, sondern treu ihrem Sport dem englischen Exil in einem Brief an den dienten, ins Gesicht springen zu dürfen“. Mit SPD-Vorstand bezweifelte, „daß nach dem der Neugründung des DFB, „ungeändert in Dritten Reich der Ton in der Sportbewe- seiner Struktur, hoffentlich auch ungeändert gung von den verboten gewesenen Arbei- in seinem Wesen“ könne schließlich der tersportlern angegeben wird. Es ist heute Einfluss dieser „Wilden“ gebrochen werden, in den meisten Fällen umgekehrt“ (Ueberhorst, „die in den letzten vier Jahren in törichter , fürchtete Friedrich Wildung (1872 – S.280) Weise versuchten, nach zentralistischen 1954), Vater der späteren Bundestagspräsi- Grundsätzen den Sport auszurichten.“ („Der dentin Annemarie Renger, vor 1933 Leiter Fußball-Sport“, 4. Juli 1949) der Zentralkommission für Arbeitersport und nach dem Krieg Sportreferent der SPD, Da in Süddeutschland parallel an der Wie- einen Verlust an Einfluss „auf die Entwick- dergründung des 1933 aufgelösten Süd- lung der allgemeinen Sportbewegung [...], deutschen Fußball-Verbands gearbeitet wenn wir uns jetzt einkapseln. Es bleibt wurde, nahm im Herbst 1945 neben den uns gar kein anderer Weg, als zunächst alle vier mittelfränkischen Gruppen des BLSV, Anstrengungen zu machen, um den deut- in denen ehemalige ATSB-Vereine wie schen Sport in eine demokratische Rich- Altenfurt, Buchenbühl, Gostenhof, Johan- tung zu drängen.“ (Ueberhorst, S. 279) nis, Katzwang, Laufamholz, FT Nürnberg, Nürnberg-Ost, Süd und West, Rangier- So verzichtete die Sportkonferenz der SPD bahnhof, Vach, Zabo und der aus einer Fu- am 26./27. September 1946 in Frankfurt sion von Eibach und St. Leonhard-Schwei- einstimmig auf eine eigene Organisation, nau gebildete FTSV Südwest spielten, gab aber den Anspruch auf die sozialistische auch die Oberliga Süd mit den Altmeistern Durchdringung der Sportbewegung nicht auf 1. FC Nürnberg und SpVgg Fürth ihren Be- (Uerberhorst, S. 281) . Sorgs Bedenken waren nicht trieb auf. Bei der Wiedergründung des grundlos, denn der von ehemaligen Arbei- DFB wurde Wildung 1950 Ehrenmitglied. tersportlern über die Landessportbünde in Die im gleichen Jahr erschienene Jubi- Angriff genommene Neuaufbau des deut- läumsschrift „50 Jahre Deutscher Fuß- schen Sports stieß bei den alten Führungs- ball-Bund“ widmete „Fußball im einstigen eliten, die sich schon bald nach Kriegsende Arbeiter-Turn- und Sportbund“ vier Seiten wieder an die Spitze der Fußball-Bewegung mit einer Übersicht der ATSB-Länderspie- gesetzt hatte, auf taube Ohren. Dort erhoff- le und einem Foto der Bundesauswahl te man sich die Wiederherstellung der Zu- vom Spiel 1930 in Kassel „mit“ England stände von vor 1933. „Einige wilde Männer (3:1). Der Beitrag von Ulrich Preussner glaubten, nach 1945 all den Verdienten im endet mit der Mahnung „Möge der DFB 24
stets des Opfers bewußt bleiben, das der sport nachgewiesen werden. Zwar sind eini- einstige Arbeiter-Turn- und Sportbund zur ge Traditionsnamen wie Süd, Ost und West Überwindung der früheren Zersplitterung durch Fusionen verschwunden, doch 13 der gebracht hat.“ („50 Jahre DFB“, S. 224) Zehn Jah- 15 Vereine weisen auf ihrer Homepage auf re später referierte Carl Koppehel über die ihr Schicksal zwischen 1933 und 1945 hin. § Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und 2.1. der Satzung des 1946 durch Zusammen- bezeichnete Dr. Josef Klein ungeniert als schluss von TG 1888 und FT 1893 entstan- „politisch sehr rührigen Mann“ („60 Jahre DFB“, denen Tuspo Nürnberg nennt noch heute S. 36) . Erst im Jubiläumsbuch „100 Jahre „die Förderung des Sports [...] auf nichtmi- DFB“ wurde 2000 darauf verwiesen, dass litärischer Grundlage unter entschiedener Klein „eine bedeutsame Rolle durch Ver- Anwendung demokratischer Grundsätze“ breitung nationalsozialistischen Gedan- als Vereinszweck. Auf dem Sportplatz des kenguts in der Jugendarbeit [des West- TSV Johannis 1883 erinnert ein Gedenk- deutschen Spielverbandes, Anm. d. Verf.] stein mit ATSB-Logo an die gefallenen spielte“ und „von 1932 bis 1936 [...] für „Sport-Genossen“ des 1. Weltkriegs. Die Zei- die NSDAP im Reichs- tag“ saß. Nach 50 Jah- ren wurde erstmals auch wieder der ATSB er- wähnt. Allerdings sucht man ihn im Register ver- geblich („100 Jahre DFB“, S. 285 ff. und 291 ff.) . Die Zusammenarbeit ehe- maliger ATSB-Mitglieder mit der DJK, dem bür- gerlichen Sport und dem Rotsport wurde auch von den amerikanischen Besatzungsbehörden ten höherklassigen Fußballs sind allerdings akzeptiert, die dem BLSV am 21. Juni 1946 inzwischen vorbei. Lediglich der TSV Buch die erforderliche Lizenz erteilten (Kozu, S. 93). spielt 2021/22 überregional in der sechst- Zu diesem Zeitpunkt waren auch die Ver- klassigen Landesliga Nordost. Eine Stufe eine des SFV dem BLSV beigetreten, so tiefer ist die SpVgg Mögeldorf 2000 unter- dass ab Sommer 1946 ein gemeinsames wegs, in der ehemalige ATSB-Vereine wie Ligasystem existierte. In Nürnberg können TB 1879/VfR Mögeldorf, TSV Ost und TSV heute bei 15 Vereinen Wurzeln im Arbeiter- Südost aufgegangen sind. Die achtklassige 25
SG Viktoria Nürnberg-Fürth 1883 verweist Die deutschen Fußballmeister in der Weimarer Republik auf die Tradition des TSV West 1891 und TV Jahr DFB ATSB 1884 Gostenhof. Das Gros der Klubs ist in 1920 1. FC Nürnberg TSV 1895 Fürth der neuntklassigen Kreisklasse Nürnberg/ 1921 1. FC Nürnberg TB 1892 Leipzig-Stötteritz Frankenhöhe zu finden: SSV Elektra Hellas 1922 kein Meister TB 1892 Leipzig-Stötteritz (der ehemalige TSV der Nürnberg-Fürther 1923 Hamburger SV VfL 1892 Leipzig-Stötteritz Straßenbahn), SV Laufamholz, Tuspo Nürn- 1924 1. FC Nürnberg Dresdner SV 1910 berg, TSV Johannis 1883, TV Glaishammer, 1925 1. FC Nürnberg Dresdner SV 1910 ESV Rangierbahnhof und ATV 1973 Franko- 1926 SpVgg Fürth Dresdner SV 1910 nia (u. a. ASV Nürnberg-Süd) sowie der TSV 1927 1. FC Nürnberg Dresdner SV 1910 Katzwang in der Kreisklasse Neumarkt/Jura 1928 Hamburger SV Pankower SC Adler 08 Nord. Der TSV Altenfurt und TSV Azzurri 1929 SpVgg Fürth SC Lorbeer 06 Hamburg Südwest spielen in der A-Klasse, der ASV 1930 Hertha BSC TSV Nürnberg-Ost 1897 Buchenbühl und die SpVgg Zabo Eintracht 1931 Hertha BSC SC Lorbeer 06 Hamburg in der elftklassigen B-Klasse. Allen gemein- 1932 Bayern München TSV Nürnberg-Ost 1897 sam ist jedoch das alte ATSB-Motto „Frisch, 1933 Fortuna Düsseldorf nicht mehr ausgetragen frei, stark und treu“. den) kam zweimal zu höchsten Ehren und G, der MTV Fürth 1892 gewann die ersten ZERSCHLAGUN beiden von der DT organisierten Wettbe- UND AUSGRENZUNG werbe. Lediglich im Rotsport ging Mittel- VERFOLGUNG franken leer aus. Nach Zerschlagung der beiden Arbeiter- Ein Dreivierteljahrhundert nach Kriegs- sportverbände 1933 hatten auch die an- ende dürfte den wenigsten bekannt sein, deren Sportverbände keine große Zukunft. dass Mittelfranken mit dem 1. FC Nürnberg Zwar hatte sich die Deutsche Turnerschaft und der SpVgg Fürth nicht nur beim DFB wegen ihrer deutschnationalen Einstellung Deutsche Meisterschaften errang. Der TSV Hoffnungen auf eine stärkere Einflussnah- 1895 Fürth (Nachfolger Tuspo ist 2003 in me beim Aufbau des Sports im NS-Staat der SpVgg Greuther Fürth aufgegangen) gemacht, wurde jedoch im Juli 1934 zum war 1920 der erste, der TSV Nürnberg-Ost Fachamt I im Deutschen Reichsbund für 1932 der letzte ATSB-Bundesmeister. Aber Leibesübungen degradiert und 1936 auf- auch die katholische DJK und zeitweise gelöst. Nach dem 2. Weltkrieg wurde mit die Deutsche Turnerschaft (DT) ermittelten der Gründung des Deutschen Turnerbunds „ihren“ Fußballmeister. DJK Sparta Nürn- (DTB) 1950 ein Schlussstrich unter die berg (seit 1956 mit der DJK Noris verbun- Vergangenheit gezogen. 26
Durch das am 25. Juli DJK DT Rotsport 1934 zwischen Reichs- jugendführer Baldur von DJK Essen-Katernberg 1919 Schirach und Reichs- während der „Reinlichen Scheidung“ von 1925 bis sportführer Hans von 1930 ausgetragen. Tschammer und Osten DJK Essen-Katernberg 1919 abgeschlossene Abkom- 1930 nach Abspaltung MTV Fürth 1892 bzw. Ausschluss aus men über die Einglie- MTV Fürth 1892 dem ATSB gebildet. derung der Turn- und DJK Sparta Nürnberg 1918 TV 1851 Forst Sportjugend in die Hit- Harburger TB 1865 lerjugend (HJ) und den TV 1846 Mannheim Bund Deutscher Mädel Kruppsche TG Essen 1910 (BDM) wurde den Ver- Dresdner SV 1910 einen die Jugendarbeit DJK Sparta Nürnberg 1918 FT Jeßnitz entzogen. „Jugendli- nicht mehr ausgetragen che, welche ihren Ein- tritt in HJ bezw. BDM nicht durchführen wol- len, werden von den Vereinen ausgeschlos- sen.“ Während „bürger- liche“ Vereine für die Nutzung ihrer „Übungs- plätze, Hallen und Ge- räte [...] ein örtlich zu vereinbarendes Entgelt“ bekamen (Bekanntmachung 1934, , bedeutete das Punkte 2 und 5) Abkommen für gläubige Christen schlicht emo- tionale Erpressung. Ab dem 23. Juli 1935 fielen sowohl die katholische DJK als auch das evan- gelische Eichenkreuz „unter das sportliche Betätigungsverbot kon- 27
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