Der Brand von Notre Dame in Paris am 15.4.2019

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Der Brand von Notre Dame in Paris am 15.4.2019

Das tragische Ereignis vom Beginn der Karwoche, dem 15. April 2019 in Paris,
hat uns alle tief berührt und in Trauer versetzt. Ich habe den Brand am Fernseher
bis 3 Uhr Früh verfolgt und gehofft, dass die Kathedrale überlebt.
Vorbemerkung
Während der gesamten Osterwoche gab in allen Medien Kommentare zu dieser
Tragödie. Man las viele eloquente und gelehrige Analysen. Hervorgehoben wurde
die nationale Bedeutung dieses kulturellen Denkmals, seine Rolle in der
Geschichte bis zum Begräbnis von Präsident Mitterand, und sein Identifikation
stiftender Wert für Frankreich mit hohem Symbolgehalt. Es gab auch kritische
Stimmen. laizistisch betont und nüchtern, die von verbauten Steinen und altem
Holz sprachen und mit Zynismus die Reaktion der Öffentlichkeit belächelten.
Natürlich wurde auch auf wenig rühmliche Aktivitäten der katholischen Kirche in
der Vergangenheit bis zu den sexuellen Entgleisungen eingegangen. Das
Kirchengebäude wurde mit der Geschichte seiner Glaubensgemeinschaft
gleichgesetzt.
Es wäre nach Meinung des Autors angemessener, wesentlich offener und somit
anders an das Thema heranzugehen, nicht kunsthistorisch wertend, nicht
antireligiös und nicht sozialkritisch. Eine Deutung der Wertigkeit der Kathedrale
aus dem gegenwärtigen Zeitgeist ist ebenso einseitig wie die Kritik an den
Spendern für den Wiederaufbau. Haben nicht in der Vergangenheit gefeierte
Stifter den Bau von Kirchen erst möglich gemacht, unabhängig von der damit
verbundenen Absicht?
Zeitgeist des Hochmittelalters
Um die Bedeutung der Kathedrale zu erspüren, sollten wir uns in die Zeit der
Erbauung zurückversetzen und das gesellschaftliche Klima auf uns wirken lassen.
So könnte es gelingen, für uns Menschen der Gegenwart einige wichtige
Botschaften für unser Leben zu erhalten.
Das 12. und 13. Jahrhundert war in Frankreich eine Zeit des religiösen und
denkerischen Aufbruchs in eine neue Dimension. Der Glaube spielte eine zentrale
Rolle. Die Proponenten dieses Aufbruchs waren der Abt von St. Denis, Suger
(1081-1151), Bernhard von Clairvaux (1090-1153), Abelard (1079-1142) an der
Sorbonne in Paris und Petrus Venerabilis von Cluny (1092-1156). Suger war nicht
nur Geistlicher sondern auch Staatsmann. Er folgte dem inneren Auftrag, in St.
Denis (Baubeginn 1137), der Begräbnisstätte der französischen Könige im

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Norden von Paris, eine Kirche zu erbauen. Ein katholischer Theoretiker hatte eine
Lichttheologie entwickelt, die Suger als Inspirationsquelle nutzte. Unter göttlicher
Weisung, wie er sagte, hat er einen neuen Baustil kreiert, den es vorher nicht gab,
eine Lichtarchitektur, die das göttliche Jerusalem symbolisieren sollte.

Der Vorläuferstil, die Romanik
Doch vorerst zum damals gängigen Stil, der Romanik. Sakralbauten wurden in
Frankreich bis in das 12. Jahrhundert im romanischen Duktus errichtet, noch
länger nach den Bauvorschriften der Zisterzienser von Bernhard von Clairvaux
im Resteuropa teilweise sogar bis ins 14. Jahrhundert. Bernhard forderte Askese
und Leere.
Romanische Kirchen besaßen dicke und schwere Wände, kleine Fenster, Tonnen-
oder Kreuzgewölbe und wenig Schmuck. Der Kirchenraum war als Klangraum
konzipiert, mit langen Nachhallzeiten bis zu 6 Sekunden, um den Gebetsgesang
der Mönche zur vollen Blüte zu bringen. Die Akustik der Kirchen wurde für den
gregorianischen Choral entworfen und die gewölbten Decken reflektierten die
Klangwellen zu einem multitonalen Klangerlebnis.
Wenige Stimmen wurden zu himmlischen Chören und drangen tief in die Herzen
der Zuhörer und der Sänger. Die Wellen der Klänge führten den Gläubigen in
seinen eigenen inneren Raum und das war die Absicht der Erbauer dieser Kirchen.
Die romanische Kirche war also das Vorbild für Suger. Diesem seit der
karolingischen Zeit gepflegten Baustil setzte er seine Vision entgegen. Sein
Baustil sollte im Laufe der Zeit ganz Europa erobern und der Paradigmenwechsel,
den er initiierte, begründete das lichtvolle Mittelalter, das oft für das dunkle
gehalten wird.
Der neue Stil, die Gotik
Die neue Bauweise sollte mit einem reduzierten Bauskelett auskommen, um Platz
für große Lichtflächen freizugeben. Suger hatte die Absicht, wie bereits erwähnt,
ein reales Abbild des Göttlichen Jerusalem auf Erden zu erschaffen. Der
Evangelist Johannes beschreibt in seiner Apokalypse die göttliche Stadt
lichtdurchflutet und mit farbigen Edelsteinen geschmückt.
Suger folgte einer inneren Vision, von der er sagte, Gott habe sie ihm gezeigt.
Wenn wir die weitere Entwicklung der gotischen Tragwerke verfolgen, können
wir nicht umhin, an höhere Eingebung zu glauben.
Die Baumeister der Bauhütten formten die Strebebögen, die den Gewölbeschub
aufnehmen, genauso, wie es eine statische Berechnung vorgegeben hätte. Diese
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Berechnungsmethode gab es aber noch nicht. Die Kunst bestand darin, in den
Bögen keine Zugspannungen auftreten zu lassen, weil Bausteine nur auf Druck
belastbar sind, den sie dann in die Fundamente weiterleiten können.
Damit das Tragwerk Standfestigkeit bekommt, baute man auf den Strebepfeilern
Türmchen. die uns als architektonischer Zierrat erscheinen. Sie sind aber statisch
nötig, weil sie eine zusätzliche Druckkomponente einbringen, die Zugspannungen
verhindert. Dieser Geniestreich ermöglichte es, bei minimalem Materialaufwand
Leichtigkeit und Transparenz zu erzielen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir uns in einen ‚“Raum des Wissens“
einklinken können, in dem alle Kenntnis vorhanden ist. Das Werkzeug ist die
Intuition, mit der kreative Menschen arbeiten. Abt Suger hatte Zugang zu diesem
Raum, den er für göttlich hielt. Der Blick in diese immaterielle Dimension führte
ihn zur Erfindung der gotischen Baukunst. Daraus ist für uns eine Botschaft
ableitbar: im Kontakt mit dieser Dimension ist es uns möglich, über unser
gewohntes Lebensgefühl hinauszuwachsen.

Farbigkeit der Gotik
Die behauenen Steine der französischen Kathedralen sind Kalkstein, wie Le
Corbusier in seiner Schrift „Quand les Catherales etaient blanches“ so schön
darlegt. Im frisch gebrochenen Zustand sind die Steine weich und daher leicht zu
behauen und zu Figuren zu formen. Mit der Zeit erhärtet der Stein durch
Aufnahme von CO2 aus der Luft und wird wetterbeständig.
Die farbigen Gläser warfen ihr Licht auf eine weiße Konstruktion. Der Effekt der
Edelsteine des göttlichen Jerusalem verzauberte den Besucher der Kirche. Die
Rosetten mit bis zu 12 Meter Durchmesser sind ein weiteres konstruktives
Wunder. Ohne Stahleinlagen haben sie 850 Jahre allen Widrigkeiten zum Trotz
standgehalten.

Motivation der Meister der Bauhütten
 Ich möchte dazu einladen, in die Gefühlswelt und Motivation der Bauleute des
Hochmittelalters einzutreten. Welch eine Seelenkraft war hier am Wirken! Den
besten Nachweis stellen die Skulpturen an uneinsehbaren Stellen in
schwindelnden Höhen dar. Sie sind gleich bearbeitet wie jene im direkten
Sehbereich. „Soli Deo Gloria“, nur zu Gottes Ehre haben die Bildhauer und
Steinmetze gearbeitet. Im Innenraum der Kathedrale ist ebenfalls die Sehnsucht
nach Gottvereinigung ablesbar. Immer höher hinauf soll nicht nur der Blick,
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sondern die Seele getragen werden. Hier finde ich wieder einen Hinweis für in
unserer Zeit Lebende: eine kreative Arbeit in reiner Motivation ausgeführt
bereichert die Seele viel mehr als es ein nur ökonomisches Ziel je kann.

Ergriffenheit über Notre Dame
Wieso sind wir heute wieder von einer Kathedrale so ergriffen und wenn sie wie
Notre Dame (erbaut 1163-1345) zerstört wird, so betroffen und entsetzt? Im Stein
ist die Information der Erbauer und die Geschichte des Baues gespeichert. Das
spürt man intuitiv und wenn wir der Kathedrale nicht nur mit Analyse und Skepsis
begegnen, fühlen wir uns erhoben, uns selbst näher, in die Gemeinschaft
eingebettet, von Sakralität umgeben. Um dieses Gefühl zu erleben, hören wir
Konzerte, suchen die Stille eines Berges oder meditieren in einer Kathedrale. Das
sind Werte, die ein nur-nach-außen-gerichtetes Leben nicht bietet und der Verlust
eines Ortes wie Notre Dame bedeutet, dass wir den Zugang zu unserer Seele
verlieren. Das ist sehr schmerzhaft und mit Zynismus können wir diesen Verlust
nicht ersetzen.
Das Gefühl eines wesentlichen Verlustes geht über das Persönliche hinaus. Die
Nachricht des Brandes löste eine internationale Solidarität mit Frankreich aus.
Über der Präsidentschaftskanzlei in Wien wurde die französische Nationalflagge
gehisst. Notre Dame ist im kollektiven Gedächtnis tief verankert, mehr als die von
den Taliban zerstörten Buddha Statuen oder das von dem I$ zerstörte Palmira. Die
Kathedrale ist mehr als ein Baudenkmal, sie ist Europäischer Geist und das
Europäische Bemühen, der Banalität des Alltagslebens eine transzendente
Dimension gegenüber zu stellen. Damit bringt sie unser aller Sehnsucht nach
einem tieferen Sinn unserer Existenz zum Schwingen. Sie vermittelt einen Aspekt
von Ewigkeit, einen Kontrast zur Endlichkeit unseres Lebens. Daraus entsteht
Ehrfurcht, im tiefsten Sinne sogar vor unserer eigenen Seele. Und sie ist
meisterliches Menschenwerk, real in Materie verwirklicht. Das ist viel mehr als
die virtuellen Bilder unserer digitalen Welt. Sie atmet europäischen Geist, den wir
schützen sollten und wieder stärker beleben. Der Brand fordert uns dazu auf.

Subtile Energien
Ich möchte noch auf einen unsichtbaren Aspekt der Kathedralen eingehen. Die
Meister der gotischen Baukunst waren nicht nur Ästheten erster Güte, begnadete
Konstrukteure, sondern auch Kenner der subtilen Schwingungen. Die
Standortwahl und Ausrichtung der Achsen der Kirchen erfolgte nach
feinenergetischen Kraftfeldern und Linien. Die Proportionen der Bauelemente
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wurden so aufeinander abgestimmt, dass eine sakrale Atmosphäre entstehen
konnte. In diesem Zusammenhang sprechen wir von den Bauhütten-
geheimnissen, die vom Meister an den Schüler mündlich weitergegeben wurden.
Dazu gibt es leider keine Aufzeichnungen.
Heutige radiästhetische Untersuchungen zeigen, mit welch feinenergetischer
Akribie damals gearbeitet wurde. Es ist faszinierend herauszufinden, wie es
gelungen ist, einen Baukörper zu einer Antenne oder einem wirksamen
Empfänger für hochfrequente kosmische Schwingungen auszubauen. Es gelingt
Wenigen, neue Kirchen mit dieser Qualität auszustatten, weil es auch dem
Zeitgeist nicht mehr entspricht, darauf Wert zu legen.

Restaurierung der Kathedrale
Um wenigstens einen Teil dieser ursprünglichen Qualität in die Gegenwart zu
retten, kann Notre Dame nur in der ursprünglichen Fassung restauriert
beziehungsweise neu aufgebaut werden. Der Dachstuhl könnte eine
Leimbinderkonstruktion werden, das wäre energetisch besser als ein Stahlbau.
Veränderungen des Originals im Laufe der Geschichte spielen dabei eine
geringere Rolle. Es sind nicht nur die Gestalt, die Architektur, das
Gesamtkunstwerk, die die Bedeutung der Kathedrale ausmachen, es ist die
Schwingung, die uns beglückt. So besehen ist die Kathedrale ein universales
Bauwerk, nicht nur dem Christentum zuzuordnen. Wie sich zeigt, ist die
Schwingung so stark, dass sie nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa ergreift.

Geistige Deutung
Der Wiederaufbau der Kathedrale Notre Dame ist ein europäisches Projekt und
es ist ein Impuls, mehr Einigkeit und Gleichklang im Lande selbst und zwischen
den Nationen zu erwecken. Dieses sakrale Gebäude hat sich im Laufe der
Jahrhunderte zu einer Wesenheit gewandelt, über die Materie hinausgewachsen,
mit einer eigenen Seele verbunden. Diesen Gedanken weiterverfolgend, könnte
man zu der Deutung veranlasst sein, dass es sich um eine Selbstaufopferung
handelte, mit dem Einsatz des Feuers eine reinigende Kraft. Möglicherweise hat
die geballte psychische Energie der Bürger von Paris in der Nacht vom 15. April
die Kathedrale vor dem Einsturz bewahrt. Es fehlten nur mehr 15 Minuten. Waren
das nicht Zeichen für alle, die sehen können?
Georg Thurn Valsassina, Dipl.Ing.Arch.                          Wien, 24.4.2019

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