Der RAF Terror des Jahres 1977 ist untrennbar mit dem Südwesten verknüpft

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Der RAF‐Terror des Jahres 1977 ist untrennbar mit
dem Südwesten verknüpft
Autor: Stefan Jehle

Auch Jahrzehnte nach „dem deutschen Herbst“ bleibt vieles erklärungsbedürftig
Karlsruhe, die „Hauptstadt des Rechts“, Synonym auch für das in juristischen Fachkreisen
zuweilen als „Karlsruher Republik“ bezeichnete Nachkriegsdeutschland, stand lange Zeit im
Fokus des linksextremistischen Terrors. Die im Südwesten ‐ politisch gesehen ‐
zweitwichtigste Großstadt, ist seit 1951 Sitz der beiden höchsten deutschen Gerichte, dem
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Bundesgerichtshof (BGH) mit 16 von seinen 17
Senaten. Damit untrennbar verbunden sind auch Bundesanwaltschaft und
Generalbundesanwalt.

Diese zivil‐ und strafrechtlich gesehen höchsten Rechtsinstanzen in Deutschland waren lange
Zeit wichtige „Ziele“ in den Augen von einstigen Terroristen der „Rote Armee Fraktion“
(RAF). Am Oberlandesgericht in Stuttgart wurden später zahlreiche Strafprozesse gegen die
Täter abgearbeitet. Und nicht zuletzt stand lange Zeit auch das Hochsicherheitsgefängnis in
Stuttgart‐Stammheim im Brennpunkt. Im Oktober 1977 hatten dort die RAF‐Terroristen
Baader, Ensslin und Raspe Selbstmord begangen: vorläufiger Höhepunkt nach einer Serie
sinnloser Mordanschläge.

Die „Offensive 1977“ – der totalitäre Angriff auf den Staat
Der Generalbundesanwalt ist ein Sinnbild des demokratischen Rechtsstaates. Seit dem
Spätherbst des Jahres 1950 hat der höchste staatliche Ankläger der Bundesrepublik
Deutschland seinen Dienstsitz in Karlsruhe. Bereits 2007 wurde besonders viel und
besonders intensiv über die staatliche Gerichtsbarkeit diskutiert: in diesem Jahr jährte sich
zum 30. Mal das Attentat von Terroristen der „RAF“ auf Siegfried Buback, den fünften
Generalbundesanwalt der Nachkriegszeit. Der Mord war Auftakt der „Offensive 1977“,
Symbol für den totalitären Angriff auf den Staat, der noch Jahre danach vor allem als der so
genannte „deutsche Herbst“ firmiert.

Der Name Buback, des Mannes also, der auf einer Zufahrtsstraße zum Karlsruher
Stadtzentrum am 7.April 1977 von zwei Motorradschützen erschossen wurde, einem
kaltblütigen Tötungsakt, dem auch zwei Begleiter von Buback zum Opfer fielen, beschäftigte
auch noch im Jahre 2012 anhaltend die Öffentlichkeit. Von Schuld und Reue war dabei die
Rede, auch von Wahrhaftigkeit.

Doch letztlich muss nun auch Michael Buback, der Sohn des Getöteten, eingestehen, dass es
wohl nie ein endgültiges Urteil über die Wahrheit ‐ und damit die tatsächlichen Abläufe an
jenem Gründonnerstag, kurz vor Ostern, im Jahr 1977 ‐ geben wird. Es bleibt ein Rest des
Schweigens. Wie auch bei zahlreichen weiteren Terrorakten desselben Jahres.

Der Terror kann nur in geschichtlichem Kontext verstanden werden
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Der Terror des Jahres 1977 ‐ und alle vorangegangenen und später noch folgenden Attentate
und Sprengstoffanschläge bis zur mutmaßlichen Selbstauflösung der RAF im Jahr 1998 ‐ kann
vermutlich nur im geschichtlichen Kontext verstanden werden. Das legen auch einige der
zum „Erinnerungsjahr 2007“ neu ‐ oder aktualisiert ‐ wieder aufgelegten Schriftwerke nahe.
Der renommierte Journalist der Süddeutschen Zeitung, Willi Winkler, der eigentlich zunächst
vor allem im Feuilleton zu Hause ist, vergleicht in seinem Buch, „Die Geschichte der RAF“,
den deutschen Herbst mit einer „großen deutschen Passionsgeschichte“.

Am Beispiel der Ulrike Meinhof ‐ lange Zeit firmierte die RAF unter dem Namen „Baader‐
Meinhof‐Bande“ ‐ einer früher respektierten linken Journalistin, beschreibt er erklärend,
woher denn das Böse wohl komme. Wie die Meinhof zuerst gegen die Springer‐Presse
revoltierte, „vor dem aufkommenden Polizeistaat warnte“. In der Entführung und der
späteren Ermordung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns‐Martin Schleyer im
September und Oktober 1977 erkennt Winkler auch eine Auseinandersetzung mit der
deutschen Geschichte: der in Offenburg geborene Schleyer, lange Zeit Vorstandsmitglied
der damaligen Daimler‐Benz AG, war im zweiten Weltkrieg Mitglied der Waffen SS und
Beamter der Besatzungsbehörden im tschechischen Prag. Gewaltsam zu Tode kam Schleyer
1977 in einem Wald nahe dem elsässischen Mulhouse ‐ getötet von RAF‐Terroristen.

Die RAF und ihre Kombattanten, und deren unter erkennbarem Realitätsverlust als
„revolutionär“ erklärten Taten, finden ihre Wurzeln (auch) in mangelnder
Auseinandersetzung der Deutschen mit Verbrechen der Nationalsozialisten noch in den
1950er Jahren. Die Terroristen lösten sich ‐ als radikalisierte Gruppe ‐ später von der
Studentenbewegung der 1968er Jahre. Die Schüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg im
Juni 1967 ‐ mit der daraus resultierenden „Bewegung 2.Juni“ ‐ und der gescheiterte
Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke April 1968 trieb Teile der deutschen
Studentenbewegung zusehends in den Untergrund.

Wurden terroristische Gefangene vom Staat bevorzugt behandelt?
Doch auch das alles reicht als Erklärung nicht aus. Der ehemalige Karlsruher
Gerichtsreporter Ulf G. Stuberger ‐ als Mitglied der an den höchsten deutschen Gerichten
tätigen Justizpressekonferenz ‐ widmet eher nüchtern sein Buch „Die Akte RAF ‐ Taten und
Motive, Täter und Opfer“ vor allem den ermordeten Menschen und ihren Hinterbliebenen,
und „jenen Gefangenen, welche die Vorzüge terroristischer Gewalttäter, die der Staat diesen
gewährt, nicht genießen können“.

Viele der späteren Rückblicke, da ist Stuberger wohl einig mit dem späteren
Generalbundesanwalt Kay Nehm (Amtszeit 1994‐2006), fixierten ‐ und fixieren ‐ sich vor
allem auf die Tätersicht. Das dürfte auch für das dickleibige Buch des langjährigen Spiegel‐
Chefredakteurs Stefan Aust („Der Baader‐Meinhof‐Komplex“) gelten, ein 672 Seiten
umfassendes Werk ‐ erstmals 1985 verlegt, und 1998 neu aufgelegt ‐ das auch inzwischen als
Kinofilm auf dem Markt ist. Aust selbst hatte zwischen 1966 und 1969 eng mit Ulrike
Meinhof, der späteren Terroristin, zusammengearbeitet ‐ innerhalb der Redaktion der linken
Zeitschrift „konkret“.

Viele Akteure – der „zweiten Generation“ – stammen aus dem Südwesten
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Dennoch soll hier ‐ an einigen Beispielen ‐ namentlich aufgeführt werden, welchen engen
Bezug auch die aktiven RAF‐Terroristen der ersten und vor allem der zweiten Generation zu
Baden‐Württemberg hatten. In Karlsruhe fand schon 1972 einer der ersten RAF‐Anschläge
überhaupt statt: auf den VW‐Käfer eines Bundesrichters in der Klosestraße, in der Nähe des
Hauptbahnhofs. Der Anschlag hatte Wolfgang Buddenberg gegolten, schwer verletzt wurde
stattdessen sein Frau. Vier Tage zuvor, am 11.Mai gab es bei einem Bombenanschlag auf das
US‐Hauptquartier in Frankfurt einen Toten und 13 Verletzte. Am 24. Mai folgte der Anschlag
auf das US‐Hauptquartier in Heidelberg, mit drei Toten und fünf Verletzten.

Zu damaliger Zeit galten als Hauptakteure der RAF („der ersten Generation“) Andreas
Baader, Holger Meins, Jan‐Carl Raspe, sowie Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Die fünf
Rädelsführer wurden alle im Juni 1972 verhaftet, und kamen später in das eigens erbaute
Hochsicherheitsgefängnis in Stammheim. Gudrun Ensslin war Tochter eines evangelischen
Pfarrers von schwäbischer Herkunft. Weitere Täter der zweiten und dritten Generation
stammten aus dem Südwesten.

Zwei der in späteren Phasen wichtigsten Köpfe der RAF, Christian Klar und Brigitte
Mohnhaupt, hatten unmittelbaren Bezug zu Karlsruhe, oder stammten aus der ehemaligen
badischen Landeshauptstadt. Christian Klar, geboren 1952 in Freiburg, ist als ehemaliges
Mitglied der sogenannten „zweiten Generation“ der RAF Sohn einer Gymnasiallehrerin in
Karlsbad (Landkreis Karlsruhe) und des Vizepräsidenten des Oberschulamtes Karlsruhe. Teile
der Schulzeit verbrachte er in Lörrach, danach besuchte er ein Gymnasium in Ettlingen, der
Nachbarstadt von Karlsruhe.

Auch beim zweiten Buback‐Prozess nach 2011 blieb viel im Dunkeln
1973 zog Klar in eine gemeinsame Wohngemeinschaft mit den späteren RAF‐Genossen
Adelheid Schulz (geboren in Lörrach/Südbaden) und Günter Sonnenberg (geboren in
Karlsruhe) in der Karlsruher Innenstadt. Dazu gesellte sich später Knut Folkerts. Sonnenberg
und Verena Becker ‐ die nach 2011 noch einmal eine wichtige Rolle spielen sollte in einem
zweiten Buback‐Prozess, bei dem Hintergründe des Mords an jenem Gründonnerstag 1977
aber ebenso im Dunkeln blieben ‐ wurden 1977 in Singen/Südbaden verhaftet.

Der als in seinen Aussagen ‐ und der Authentizität und Wahrhaftigkeit ‐ als wankelmütig
geltende Ex‐RAF‐Terrorist Peter‐Jürgen Boock lebt heute in der Nähe von Freiburg. In
Stuttgart fiel die dubiose Rolle des RAF‐Anwalts Klaus Croissant (zunächst Wahlverteidiger
von Andreas Baader) ebenso ins Auge, wie die des späteren Bundesinnenministers Otto
Schily (u.a. Wahlverteidiger von Gudrun Ensslin).

Die 1949 geborene Brigitte Mohnhaupt, Tochter eines Verlagskaufmanns vom Niederrhein,
absolvierte 1967 in Bruchsal (Landkreis Karlsruhe) ihr Abitur. Sie saß 1976 für einige Monate
im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart‐Stammheim ein, in unmittelbarer räumlicher Nähe zu
den Terroristen der „ersten Generation“, Baader, Ensslin und Raspe ‐ und wurde dort ganz
offenkundig vom bisherigen Hauptakteur Baader zur neuen „Rädelsführerin“ herangebildet.
Mohnhaupt war, zusammen mit Christian Klar, maßgeblich an den zahlreichen
Mordattentaten und Anschläge des „deutschen Herbst“ im Jahr 1977 beteiligt.
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Am „Kommando‐Ulrike‐Meinhof“ (Ulrike Meinhof hatte sich am 9.Mai 1976 in ihrer Zelle in
Stammheim erhängt), das für den Buback‐Mord am 7.April ’77 verantwortlich zeichnete,
waren ‐ nach den späteren Ermittlungsergebnissen ‐ Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte
Mohnhaupt, sowie vermutlich auch der in Karlsruhe geborene Günther Sonnenberg
beteiligt. Wer letztlich geschossen hat, blieb auch nach dem neuerlichen Prozess gegen
Verena Becker im Jahre 2012 weiter unklar.

RAF‐Haupttäter: verhaftet, dann ausgereist, und wieder festgesetzt...
Die Zeittafeln, die den neueren Werken über die RAF‐Terroranschläge angehängt sind, listen
die Verhaftungen der RAF‐Mitglieder „der zweiten Generation“. Bereits im Mai 1977 werden
Verena Becker und Günther Sonnenberg festgenommen, Mai 1978 folgt in Paris Stefan
Wisniewski ‐ der ebenfalls am Buback‐Mord beteiligt gewesen sein soll. Am selben Tag, dem
11.Mai, werden in Zagreb (Ex‐Jugoslawien) u.a. Peter‐Jürgen Boock, Brigitte Mohnhaupt und
Rolf‐Klemens Wagner festgenommen, auch wenn diese dann im Anschluss noch
vorübergehend im Südjemen weilten.

Boock wird 1981 erneut festgesetzt, am 16.November 1982 erfolgt in Hessen die Festnahme
von Adelheid Schulz und Christian Klar ‐ und gleichzeitig, mit neuerlicher Festsetzung, von
Brigitte Mohnhaupt. Die wichtigsten Urteil gegen die „zweite Generation“ werden 1978,
1980 und 1985 gesprochen ‐ zuletzt gegen Klar und Mohnhaupt. 1980 hatte sich ein halbes
Dutzend ehemaliger RAF‐Täter zudem in die damalige DDR abgesetzt, scheinbar losgesagt,
diese wurden dann 1990 verhaftet.

Der „Offensive 1977“ folgten weitere Morde bis zuletzt im Jahr 1991...
Allein bei der „Offensive 1977“ hatte es im April 1977 mit dem Buback‐Mord, im Juli beim
Mord an Dresdner‐Bank‐Chef Jürgen Ponto, sowie bei Entführung und Mord von Hanns‐
Martin Schleyer und der Entführung der Lufthansa‐Maschine „Landshut“ in Mogadischu
(Somalia) rund ein Dutzend Tote gegeben ‐ darunter mehrere unbeteiligte Begleitpersonen,
sowie ein Lufthansakapitän. Morde der Folgejahre (in der „dritten Generation“) waren
Attentate auf MTU‐Chef Ernst Zimmermann, 1985, Siemens‐Manager Karl‐Heinz Beckurts,
1986, Diplomat Gerold von Braunmühl, 1986 ‐ sowie November 1989, der Mord an Alfred
Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, und April 1991, an Detlev Karsten
Rohwedder, Chef der Treuhand.

Die kühl wirkende Statistik und die näheren Abläufe nach Jahreszahlen sagen wenig aus über
das Umfeld, und vor allem die Befindlichkeiten in der deutschen Gesellschaft und in der
politischen Klasse zu diesen Zeiten. Nie mehr in den Folgejahren jedoch war wohl soviel
Verunsicherung zu spüren, wie beim „deutschen Herbst“ 1977. Überall im Land fanden in
regelmäßiger Folge Polizeikontrollen statt ‐ oft waren ganze Straßenzüge abgesperrt von
schwer bewaffneten Sicherheitskräften. Das noch junge Nachkriegsdeutschland schien
erschüttert. Die Terrorjahre waren die größte innenpolitische Herausforderung der jungen
Republik.

Klaus Pflieger, seit 2001 amtierender Generalstaatsanwalt für die acht Staatsanwaltschaften
im württembergischen Landesteil in Stuttgart ‐ und ab 1976 u.a. Mitglied des
Ermittlungsteams in Sachen Selbstmorde im Hochsicherheitstrakt von Stammheim, sowie
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nach 1980 als Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft u.a. Mitverfasser der Anklageschriften
gegen Peter‐Jürgen Boock, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, zog im Jahr 2003 sein
erstes vorläufiges Resumée. Für einen der einstigen Ankläger geschah dies erstaunlich
nüchtern und distanziert.

Ehemaliger Ankläger: Gewalt kann kein Mittel der Auseinandersetzung sein!
Als Verfasser des Buches „Die Rote Armee Fraktion – RAF – 14.5.1970 bis 20.4.1998“, das
2011 in dritter, aktualisierter Auflage erschien, räumt er selbst ein, in den 1968er Jahren als
Student in Tübingen bei Demonstrationen dabei gewesen zu sein. Mit der weit
überwiegenden Zahl seiner Mitstudenten sei er jedoch der Meinung gewesen, dass Gewalt
kein Mittel der Auseinandersetzung sein, Unrecht nicht mit Unrecht beantwortet werden
könne. Gleichwohl sieht auch Pflieger die Ursachen des späteren Terrorismus in den als
Ungerechtigkeiten empfundenen kriegerischen Auseinandersetzungen in Vietnam, der
westlichen Überflussgesellschaft und anhaltender Armut in der Dritten Welt, dem
Schweigen der eigenen Eltern über das Dritte Reich ‐ oder Gewalt des Staates gegen
Demonstranten. Pflieger versucht die Taten zu verstehen. Aber, so sein Fazit, am Ende des
nüchtern beschreibenden Buchs: Terrorismus kann unsere freiheitliche Grundordnung nicht
gefährden!

Gleichwohl fordert er, Terroristen nicht anders zu behandeln, als andere Straftäter. Das
betrifft Doppelbestrafung, auch etwa vorzeitige Amnestie. Wie es etwa Inhalt jener
Diskussionen war, die kurz vor den Entlassungen von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt
entbrannten. Die räumliche Nähe zum Geschehen, und den einstigen Wohn‐ und
Lebensorten, führte im Frühjahr 2007 zu einer regen Anteilnahme an der Diskussion um eine
mögliche vorzeitige Haftentlassung von Christian Klar, der seit 1982 in der
Justizvollzugsanstalt in Bruchsal einsaß. Sowohl bei Brigitte Mohnhaupt, die nach Verbüßung
von 24 Jahren Mindesthaftzeit am 25. März 2007 aus einem bayerischen Gefängnis in der
Nähe von Augsburg vorzeitig entlassen wurde, wie auch bei Christian Klar, war nie eine
besonders auffällige Reue zu den begangenen Taten erkennbar. Nach einer langen
öffentlichen Diskussion, die zeitweilig das Amt des höchsten Repräsentanten des Staates zu
beschädigen drohte, entschied sich Bundespräsident Horst Köhler im Falle von Christian Klar
im Frühjahr 2007 gegen eine vorzeitige Begnadigung.

Topterrorist Christian Klar, 25 Jahre später: „Ich verstehe die Gefühle der Opfer und
bedauere das Leid dieser Menschen“
Klar kam dann nach einer Mindesthaftdauer von 26 Jahren am 19.12., kurz vor Weihnachten
des Jahres 2008 auf freien Fuß – er lebt heute unauffällig in Berlin. Im Sommer 2007 schon
hatte er erstmals Freigang aus dem Gefängnis erhalten.

In einem Interview mit dem früheren Fernsehjournalisten Günter Gaus hatte er sich 2001
schon einmal zum Thema „Schuldbewusstsein und Reue“ geäußert. 2003 hatte er ein
Gnadengesuch an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau gerichtet:
„Selbstverständlich muss ich eine Schuld anerkennen. Ich verstehe die Gefühle der Opfer
und bedauere das Leid dieser Menschen“, ließ er wissen. Aber zur Aufklärung der RAF‐Mord
hat er bis heute keinen Deut beigetragen. Insbesondere der Mord an Generalbundesanwalt
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Siegfried Buback, als der Auftakt zur „Offensive 77“, gilt bis heute als weitgehend ungeklärt.
Sowohl Klar als auch Mohnhaupt haben zur Tat selbst stets geschwiegen.

Kay Nehm, Generalbundesanwalt von 1994 bis 2006 (und damit ähnlich lange im Amt wie
Buback’s unmittelbarer Nachfolger, Kurt Rebmann, Generalbundesanwalt von 1977‐1990)
hatte Ende Oktober 2007 im Badischen Staatstheater in Karlsruhe bemängelt, dass er die
Fokussierung der Diskussion auf die RAF‐Terroristen und deren Sicht der Dinge, sowie ‐ so
sein Ausdruck: „die literarisch geprägte Aufarbeitung der Geschehnisse“ ‐ für wenig glücklich
hält. Anders als „in der veröffentlichten Meinung“ bekannt, habe die Bundesanwaltschaft an
den Gedenktagen stets auch vor allem den Kontakt zu den Opferfamilien wach gehalten.

Nehm hielt es für bedenklich, „dass die Geschichte der Täter in der öffentlichen Meinung
alles Leid der Angehörigen der Opfer zu überdecken droht.“ Ihn treibt Sorge um
„Legendenbildung“ an, bis heute fehle es an einer umfassenden Aufarbeitung.

„Dem Unrecht ihres Tuns müssten sich die Täter noch stellen“, sagt ein Gerichtsreporter
Auch Ulf G. Stuberger, der als Gerichtsreporter ein ganz besonderes Schicksal erlebte ‐ er
musste aus Sicherheitsgründen zeitweilig in Namibia, weit weg von Deutschland,
untertauchen, weil er irrigerweise in den Fokus der RAF‐Terroristen geraten war ‐ fehlt bis
heute ein einsichtiges Reuebekenntnis. Erstaunt zeigt er sich darüber, wie in Deutschland
öffentlich von den Opfern Versöhnung mit den Tätern erwartet werde, nicht aber Reue von
den Tätern. Dem Unrecht ihres Tuns müssten sich die Täter noch stellen, schrieb Stuberger
in seinem Buch im Januar 2008 – zu einem Zeitpunkt also, der noch nicht allzu lange zurück
liegt.

Die zitierte Literatur:
Willi Winkler: Die Geschichte der RAF – Berlin 2007, Rowohlt, 528 S.
Rezension dazu: http://hsozkult.geschichte.hu‐berlin.de/rezensionen/2007‐4‐069

Ulf G. Stuberger: Die Akte RAF: Taten und Motive. Täter und Opfer – München 2008, Herbig,
319 S.
Inhalt: http://www.herbig.net/uploads/tx_ttipcshop/media/stuberger‐inhalt.pdf

Stefan Aust: Der Baader‐Meinhof‐Komplex, Hamburg 1985/1998, neu und ergänzt: 2008,
Hoffmann und Campe/Goldmann, 672 S.

Klaus Pflieger: Die Rote Armee Fraktion. RAF. 14.5.1970 bis 20.4.1998, Baden‐Baden
2003/2007/2011, Nomos, 207 S.
http://www.pflieger‐home.de/

August 2012
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