Der Tourismus in Baden-Württemberg im Corona-Jahr 2020
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11+12/2020 Umwelt, Verkehr, Tourismus Der Tourismus in Baden-Württemberg im Corona-Jahr 2020 Bilanz erste 9 Monate: Über 43 % weniger Gäste und 36 % weniger Übernachtungen als im Vorjahr Christine Ehrhardt Die letzten 10 Jahre können für den Touris- niedrigsten fielen die Verluste im Rückblick mus in Baden-Württemberg insgesamt als bisher in den Monaten August und Sep- „fette Jahre“ bezeichnet werden: Seit 2010 tember 2020 aus mit einem Rückgang der stiegen die Gäste- und Übernachtungszahlen Gästezahlen um 22,4 % bzw. 23,9 % und der in den Beherbergungsbetrieben des Landes Übernachtungszahlen um 16,3 % bzw. 12,8 % kontinuierlich an. Im Zeitraum 2010 bis 2019 (Schaubild 1). erhöhte sich die Zahl der Gäste um insgesamt 39,3 %, die der Übernachtungen um 31,4 %. Diese Erfolgsserie fand mit der weltweiten Angesichts der globalen Ausbrei- Christine Ehrhardt M. A. ist Corona-Pandemie ein jähes Ende. Seit März tung des Corona-Virus wurden in Leiterin des Referats „Dienstleistungen, 2020 sind die Gäste- und Übernachtungs- Baden-Württemberg Mitte März Tourismus, Handwerk“ im zahlen stark eingebrochen. Selbst für die 2020 zunächst unter anderem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg. Sommermonate, in denen Reisen möglich Messen, Ausstellungen, kulturelle Ver waren und viele Menschen einem Urlaub in anstaltungen und Freizeitangebote ein Deutschland den Vorzug gaben, ist die Bilanz geschränkt oder ganz abgesagt. Hinzu in Baden-Württemberg negativ. Vor diesem kamen weltweit Reisewarnungen für Hintergrund und angesichts der Anfang No- Touristen sowie Grenzschließungen. Mit vember 2020 erneut verhängten Beherber- Inkrafttreten der Corona-Verordnung gungsverbote, deren Aufhebung derzeit nicht des Landes Baden-Württemberg zum absehbar ist,1 steht die Tourismuswirtschaft 17. März 2020 wurde dann der Be- Baden-Württembergs vor einer außerordent- trieb von Beherbergungsbetrieben, Cam- lichen Herausforderung. Der vorliegende Bei- pingplätzen und Wohnmobilstellplät- trag fasst die wichtigsten Entwicklungen und zen für touristische Zwecke im Land vor Eckdaten des Landestourismus für den Zeit- übergehend untersagt. Eine Beherber- raum Januar bis September 2020 zusammen. gung durfte ab diesem Stichtag lediglich noch ausnahmsweise zu geschäftlichen, dienstlichen oder in besonderen Härte- Übernachtungen gegenüber dem Vorjahr fällen zu privaten Zwecken erfolgen. Be- fast 16 Millionen im Minus reits im Verlauf des März und verstärkt dann im April und im Mai 2020 waren Von Januar bis September 2020 verbuchten deshalb zahlreiche Betriebe aufgrund die Beherbergungsbetriebe im Südwesten der Corona-Pandemie geschlossen – im rund 10,1 Millionen (Mill.) Gästeankünfte – April 2020 auf dem Höhepunkt der Krise das sind 7,7 Mill. oder 43,1 % weniger als im ca. 45 %. Ab 18. Mai 2020 durften zu- Vorjahr. Die Zahl der Übernachtungen ging um nächst Ferienwohnungen und Camping- rund 15,9 Mill. oder 36 % auf 28,3 Mill. zurück. plätze wieder für den touristischen Be- Während die Monate Januar und Februar mit trieb geöffnet werden. Ab 29. Mai 2020 Zunahmen bei den Gäste- und Übernach folgten alle weiteren Beherbergungs- tungszahlen noch „normal“ und nach dem betriebe. Die anschließende über die Muster der Vorjahre verliefen, brachen ab Sommermonate und bis in den Herbst März 2020 die Ergebnisse ein (siehe i-Punkt). reichende Erholungsphase des Lan- Dabei war der April 2020 sowohl mit Blick destourismus fand Anfang November auf die Gästezahlen (– 94 %) als auch auf die 2020 im Zug der sogenannten „zweiten Übernachtungszahlen (– 88,3 %) der bislang Welle“ mit erneutem Lockdown und lan- schwärzeste Monat seit Beginn der Zeitrei- desweiten Beherbergungsverboten ein hen. Auch nachdem die Beherbergungsbe- vorläufiges Ende. Übernachtungsange- triebe im Mai 2020 schrittweise und mit Auf bote sind seitdem bis auf Weiteres nur lagen wieder öffnen durften, war selbst in den mehr zu geschäftlichen, dienstlichen normalerweise stärksten Monaten Juli und oder – in besonderen Härtefällen – zu August das Minus bei den Gäste- und Über- privaten Zwecken zur erlaubt. 1 Redaktionsschluss nachtungszahlen weiterhin erheblich. Am 19.11.2020. 47
Umwelt, Verkehr, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11+12/2020 Tourismus S1 Übernachtungen*) in Baden-Württemberg Januar 2018 bis September 2020 nach Wohnsitz der Gäste**) Übernachtungen in Mill. 7 6 Übernachtungen insgesamt 5 4 Inlandsgäste 3 2 Auslandsgäste 1 0 Aug Aug Aug Jul Jul Jul Okt Okt Jan Feb Jan Feb Jan Feb Apr Dez Apr Dez Apr Mrz Mai Jun Mrz Mai Jun Mrz Mai Jun Sep Sep Sep Nov Nov 2018 2019 2020 *) In geöffneten Beherbergungsbetrieben/auf Campingplätzen mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten bzw. Stellplätzen. – **) Ohne Kalender- und Saisonbereinigung. Datenquelle: Monatserhebung im Tourismus. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 606 20 Gäste aus Deutschland: Rückgang von Alle Landkreise im Minus – 30,5 % bei den Übernachtungen aber breites Spektrum Bereits in der Vergangenheit hatte der über- Die regionale Analyse zeigt für die ersten wiegende Teil der Touristen in Baden-Würt- 9 Monate 2020 im Vergleich zum Vorjahr fol- temberg seinen Wohnsitz in Deutschland – im gendes Bild: Die geringsten Einbußen bei den Jahr 2019 waren es 76,7 %. Im Verlauf der Übernachtungen verzeichneten bisher die Corona-Pandemie hat sich der Anteil der Landkreise Konstanz (– 18,2 %), Bodenseekreis Gäste aus Deutschland weiter erhöht. In den (– 22,4 %) und Ravensburg (– 24,9 %). Dem ersten 9 Monaten 2020 hatte mit einem Anteil gegenüber traf die „Corona-Keule“ die Be von 82,4 % die große Mehrheit der Gäste (rund herbergungsbetriebe in den Stadtkreisen 8,4 Mill.) ihren Wohnsitz im Inland und buchte Stuttgart (– 54,4 %) und Heilbronn (– 52,6 %) 24 Mill. Übernachtungen. Für den Zeitraum sowie im Landkreis Esslingen (– 51,8 %) am Januar bis September ergab sich für die In härtesten (Schaubild 2). landsgäste bei den Ankünften gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 38,5 % und bei den Übernachtungen ein Minus von 30,5 %. Corona-Gewinner und -verlierer unter den Städten und Gemeinden Geschäft mit Gästen aus dem Ausland Auf kommunaler Ebene finden sich einerseits deutlich schwächer Städte und Gemeinden, die im Zeitraum Januar bis September 2020 bei den Über Bei den ausländischen Gästen fallen die Er nachtungen starke Verluste verkraften muss- gebnisse coronabedingt weiterhin deutlich ten (Gemeinde Großerlach, Rems-Murr-Kreis: schwächer aus: Von Januar bis September – 84,1 %, Gemeinde Sternenfels, Enzkreis: ging die Zahl der Ankünfte aus dem Ausland – 76,8 % und Stadt Weil der Stadt, Landkreis gegenüber dem Vorjahr um 57,8 % oder rund Böblingen: – 74,6 %) (Tabelle). 2,4 Mill. zurück. Die Zahl der Übernachtungen ausländischer Gäste lag gegenüber dem Vor- Andererseits konnte eine Reihe von Städten jahreszeitraum um 55,6 % im Minus und und Gemeinden trotz Corona ihr Übernach- betrug rund 4,3 Mill. tungsergebnis aus den ersten 9 Monaten 2019 48
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11+12/2020 Umwelt, Verkehr, Tourismus Veränderung der Übernachtungszahlen*) gegenüber dem Vorjahreszeitraum S2 in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs Januar bis September 2020 Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum in % – 18,2 Konstanz (LKR) – 22,4 Bodenseekreis (LKR) – 24,9 Ravensburg (LKR) – 26,5 Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) – 27,1 Sigmaringen (LKR) – 28,5 C alw (LKR) – 28,7 Freudenstadt (LKR) – 30,5 Waldshut (LKR) – 30,9 Emmendingen (LKR) – 31,9 Freiburg im Breisgau (SKR) – 32,9 Ortenaukreis (LKR) – 33,4 Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR) – 34,6 Lörrach (LKR) – 34,8 Biberach (LKR) – 35,5 Main-Tauber-Kreis (LKR) – 36,0 Baden-Württemberg – 36,3 Alb-Donau-Kreis (LKR) – 36,3 Göppingen (LKR) – 36,7 Zollernalbkreis (LKR) – 37,3 Schwäbisch Hall (LKR) – 38,5 Neckar-Odenwald-Kreis (LKR) – 38,7 Reutlingen (LKR) – 39,1 Heilbronn (LKR) – 39,9 Heidenheim (LKR) – 40,2 Tuttlingen (LKR) – 40,6 Karlsruhe (LKR) – 40,8 Rottweil (LKR) – 41,5 Enzkreis (LKR) – 42,7 Hohenlohekreis (LKR) – 42,8 Pforzheim (SKR) – 43,0 Baden-Baden (SKR) – 43,2 Ostalbkreis (LKR) – 43,4 Ludwigsburg (LKR) – 43,9 Tübingen (LKR) – 44,2 Ulm (SKR) – 45,0 Rastatt (LKR) – 45,0 Böblingen (LKR) – 46,0 Heidelberg (SKR) – 46,8 Mannheim (SKR) – 48,2 Karlsruhe (SKR) – 49,4 Rhein-Neckar-Kreis (LKR) – 50,0 Rems-Murr-Kreis (LKR) – 51,8 Esslingen LKR) – 52,6 Heilbronn (SKR) – 54,4 Stuttgart (SKR) *) In geöffneten Beherbergungsbetrieben/auf Campingplätzen mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten bzw. Stellplätzen. Datenquelle: Monatserhebung im Tourismus. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 607 20 49
Umwelt, Verkehr, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11+12/2020 Tourismus deutlich übertreffen: An der Spitze steht die im Vergleich zum Vorjahr bisher tendenziell Hegauer Gemeinde Steißlingen im Landkreis stärker eingebrochen sind als die kleinerer Konstanz mit einem Übernachtungsplus von Kommunen. 104,5 % – gefolgt von den Gemeinden Tamm im Landkreis Ludwigsburg (+ 56 %) und Ellen- berg, einem Campingreiseziel im Ostalbkreis Süd-Nord-Gefälle bei den Ergebnissen (+ 40,4 %). Bei der Interpretation der Gemein- der Reisegebiete dewerte ist allerdings zu beachten, dass die relativen Veränderungsraten zum Teil auf der Keines der neun Reisegebiete des Landes Grundlage geringer Absolutzahlen zustande schaffte es in den ersten 9 Monaten dieses kommen. Jahres, seine Übernachtungszahlen im Ver- gleich zum Vorjahreszeitraum zu steigern Wertet man die relativen Veränderungsraten oder diese auch nur zu halten. Die gerings- für die ersten 9 Monate 2020 nach Gemeinde- ten Einbußen bei den Übernachtungen ver- größenklassen aus dann zeichnet sich außer- buchten im Süden der Hegau (– 16,1 %), der dem ab, dass im Verlauf der Corona-Pande- Bodensee (– 21,1 %) und das Württember- mie die Übernachtungsergebnisse größerer gische Allgäu-Oberschwaben (– 26,8 %). Die Städte und Gemeinden Baden-Württembergs übrigen Reisegebiete lagen im betrachteten Rangliste der Städte und Gemeinden Baden-Württembergs Januar bis September 2020 T nach Veränderungsrate der Übernachtungen*) zum Vorjahreszeitraum**) Amtlicher Veränderung Rang Stadt/Gemeinde Übernachtungen Gemeindeschlüssel in % 1 119024 Großerlach 491 – 84,1 2 236061 Sternenfels 1 317 – 76,8 3 115050 Weil der Stadt, Stadt 2 932 – 74,6 4 125110 Obersulm 2 901 – 74,4 5 119037 Kaisersbach 8 736 – 70,5 6 115048 Waldenbuch, Stadt 5 466 – 67,7 7 119004 Althütte 8 860 – 67,4 8 225109 Walldürn, Stadt 7 724 – 67,3 9 136038 Lauchheim, Stadt 8 061 – 66,9 10 226095 Walldorf, Stadt 41 774 – 66,9 … … … 514 335061 Öhningen 21 369 + 9,7 515 235018 Dobel 35 719 + 12,3 516 225052 Limbach 14 280 + 13,7 517 316003 Biederbach 10 575 + 16,5 518 437076 Mengen, Stadt 14 763 + 17,3 519 335035 Hilzingen 11 726 + 20,1 520 215110 Waldbronn 26 567 + 23,0 521 136018 Ellenberg 8 990 + 40,4 522 118071 Tamm 7 586 + 56,0 523 335077 Steißlingen 13 093 + 104,5 *) In Städten und Gemeinden mit geöffneten Beherbergungsbetrieben/auf Campingplätzen mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten bzw. Stellplät- zen, die nicht der statistischen Geheimhaltung unterliegen. – **) Vorläufige Ergebnisse. Datenquelle: Monatserhebung im Tourismus. 50
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11+12/2020 Umwelt, Verkehr, Tourismus Veränderung der Übernachtungen*) gegenüber dem Vorjahreszeitraum S3 in Baden-Württemberg Januar bis September 2020 nach Reisegebieten Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum in % – 16,1 Hegau – 21,1 Bodensee Württembergisches – 26,8 Allgäu-Oberschwaben – 29,4 Südlicher Schwarzwald – 33,5 Mittlerer Schwarzwald – 36,0 Baden-Württemberg – 37,1 Nördlicher Schwarzwald – 40,1 Schwäbische Alb – 43,3 Nördliches Baden-Württemberg – 49,9 Region Stuttgart *) In geöffneten Beherbergungsbetrieben/auf Campingplätzen mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten bzw. Stellplätzen. Datenquelle: Monatserhebung im Tourismus. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 608 20 Zeitraum teils knapp unter, teils sogar noch Fazit und Ausblick deutlicher über dem Landeswert von – 36 %. Die mit Abstand schmerzhaftesten Rückgänge Die Corona-Pandemie dürfte die Tourismus- aber bilanzierten im Norden Baden-Württem- wirtschaft Baden-Württembergs auch weiter- bergs die Region Stuttgart (– 49,9 %), das hin beeinträchtigen. Der Anfang November Nördliche Baden-Württemberg (– 43,3 %) und 2020 erneut verhängte landesweite Teil-Lock- die Schwäbische Alb (– 40,1 %) (Schaubild 3). down mit starken Einschränkungen für alle Be- herbergungsbetriebe droht die in der Touris- muswirtschaft über die Sommermonate hin- Verschiebungen bei den Marktanteilen weg erzielten Erholungstendenzen in der Ge- der Betriebsarten samtjahresbilanz teilweise wieder aufzuzeh- ren. Die kommenden Monatsergebnisse der Im Zeitraum Januar bis September 2020 folgte amtlichen Tourismusstatistik werden zeigen, aufgrund der Pandemie auch die Verteilung wie die Reise in diesem Ausnahmejahr und der Übernachtungen auf die verschiedenen darüber hinaus für die Branche weitergeht. Betriebsarten neuen Regeln: Während im Ver- gleich zum Vorjahr vor allem die Hotels, die Jugendherbergen und Hütten und die Er- holungs- und Ferienheime Einbußen hinneh men mussten, konnten Campingplätze, Ferien- zentren, Ferienhäuser und Ferienwohnungen Weitere Auskünfte erteilt sowie Vorsorge- und Rehabilitationskliniken Christine Ehrhardt, Telefon 0711/641- 22 20, ihre Marktanteile ausbauen. Christine.Ehrhardt@stala.bwl.de 51
Sie können auch lesen