Diabetes und die interprofessionelle Zusammenarbeit - Entlebucher Hausärztetage 2020
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Diabetes und die interprofessionelle Zusammenarbeit Entlebucher Hausärztetage 2020 Sven Streit Professor und Leiter Interprofessionelle Grundversorgung, BIHAM, Universität Bern Hausarzt Konolfingen
Vorbemerkung: Agenda Vorstellung Kein Interessenskonflikt 1. Relevanz Diabetes - heute und morgen noch Kein Sponsoring durch Industrie mehr 2. Messen von Qualität bei der Behandlung von Diabetes 3. Interprofessionell – warum und wie? 4. Aus der Praxis für die Praxis – MPK Studie 5. Zusammenfassung
Diabetes auf dem Vormarsch Weltweit: Anzahl der Diabetesbetroffenen zwischen 1980 (108 Mill.) und 2014 (422 Mill.) fast vervierfacht Schweiz: Anteil der Bevölkerung mit Diabetes Männer Frauen - 2017 5,4% 3,5% - 2007 4,0% 2,9% Anteil der Bevölkerung, die 2017 eine BZ-/HbA1c- 48,8% 54,1% Messung hatten Bevölkerung ab 15 Jahren in Privathaushalten Quelle: SGB; WHO – Global Report on Diabetes
Bedeutung von Diabetes für die Schweiz • 320’000 Menschen betroffen von Diabetes1 • Direkte Kosten von Diabetes ca. 100 Mio CHF/Jahr2 • Diabetes als Risikofaktor für Folgekrankheiten mit Auswirkungen auf: • Mortalität • Morbidität • Verlorene Lebensqualität (DALYs)3 1 Diabetes Schweiz 2 nach Huber SAEZ 2018 3 Global Disease Burden
16% der verlorenen Lebensqualität in der Schweiz durch Diabetes (mit)verursacht https://vizhub.healthdata.org/gbd-compare/
Wie steht es um die Qualität? • Nur 42% der Patienten mit Diabetes nehmen ihre oralen Antidiabetika regelmässig (>80% der Tage) ein (Helsana)1 • Wer sie aber regelmässig einnimmt hat eine tiefere Rate von Hospitalisation (-7%) und Sterblichkeit (-10%)1 • Patienten von Praxen mit integrierter Versorgung sind seltener hospitalisiert und warden kostengünstiger betreut (-10%)2 • Weitere Verbesserungen sind möglich mit3: − Rückmeldung des Patienten an den Arzt − gut ausgebildeten multidisziplinären Versorgerteams 1 Huber Medicine 2016 2 Huber J Int C 2016 − Patientenschulungen 3 Seitz Diab Obes Metab 2011
Mission • Implementierung von "Best Practices" • Fokus auf Patientinnen und Patienten • Agieren in enger Abstimmung der Akteure • Bestreben nach langfristigen und flächendeckenden Lösungen
Wie Qualität messen? Quellen für Qualitätsmessungen Gesundheitsfachpersonen Labor etc. Versicherer Patient bzw. Krankenakten • Beobachtungen • Laborwerte • Zufriedenheit • Funktionstest • Befunde • Abgerechnete Leistungen • Beschwerden • Körperliche Untersuchung • Teilws. “Surrogate“ • Belastungen und Bedarf • Typ. “Harte Endpunkte“ • Compliance
Was sind PROMs? ❖ Patient-reported outcome measures (PROMs) liefern Informationen zum Gesundheitszustand und zu den Auswirkungen einer Intervention/Behandlung aus Sicht einer Patientin/eines Patienten. ❖ PROMs fördern die patientenorientierte Behandlung, die Kommunikation zwischen Patient und Arzt sowie das Patienten- management (Monitoring und Anpassung des Behandlungsverlaufs, Erkennung von unerkannten Krankheiten etc.). ❖ PROMs erlauben, Rückschlüsse auf den medizinischen Nutzen und die Indikationsstellung zu ziehen. Quelle: FMH; SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG 2018;99(40):1352–1353
Wie werden PROMs erfasst? ❖ Fragebögen • Generelle Lebensqualität (EQ-5D) Wie mobil sind Sie? Wie können Sie ihren Alltag sst. bewältigen? • krankheitsspezifische Lebensqualität (Diabetes-Treatment-Satisfaction Questionnaire, DTSQ) Wie zufrieden sind s mit der laufenden Behandlung? • Behandlungslast (Treatment Burden Questionnaire, TBQ) Wie stark eingeschränkt durch Arztbesuche und andere Termine?
Warum interessiert Behandlungslast? • Berücksichtigt alles, was Patienten tun, um sich um ihre Gesundheit zu kümmern: Arztbesuche, medizinische Tests, Behandlungsmanagement und Änderungen des Lebensstils 1 • Steht im Zusammenhang mit Krankenhausaufenthalten 2 und dem Überleben 3. • Wird immer mehr gebraucht gegen die fragmentierte Medizin 4 • Viele verfügbare Messinstrumente, z. krankheitsspezifisch oder personenspezifisch (d. h. Patient oder Gesundheitsfachperson) 5 • > 59 Punkte im TBS zeigt Überforderung von multimorbiden Patienten an 6 1 TranVT, BMC Medicine 2012 3 Rasmussen JN, JAMA 2007 5 Sheehan OC BMC Geriatrics 2019 2 Ho PM, Ach Intern Med 2006 4 May C, BMJ 2009 6 Tran VT Mayo Clin Proc 2020
SGED - Kriterien
SGED- Kriterien
Herr M, 63jährig - oder wie Guidelines den Patienten sehen • Diabetes mellitus Typ 2 seit 2005, HbA1c aktuell 8-9% mit OAD • Nephropathie • Polyneuropathie • cvRF: Adipositas (BMI 32.8kg/m2), LDL manchmal
Hintergrund von Herrn M, 63jährig - oder wie ich ihn sehe • Im Krieg 8 Monate Einzelhaft und Folter mit schwerem Schädelhirntrauma und in der Folge Epilepsie • Stolzer Familienvater (6 Kinder) und Professor, pendelt zwischen Heimatland und der Schweiz • Viel Vertrauen in den Hausarzt (15 Konsultationen in 1 Jahr!) • “kommt kurz in die Praxis für HbA1c= 10%, will sich mehr Mühe geben” • “Kurzkons, fast keine Zeit” • Lumbago, Wundinfekt Zehe, Divertikulitis, Angst vor COVID-19, Thoraxschmerzen, Reisezeugnis wegen COVID-19, Thoraxschmerzen, Zahnschmerzen, Halsschmerzen, Ohrenschmerzen • Health literacy: Polyneuropathie besser nach B12-Substition und somit fehlt “sein Gefühl” für Diabetes ist schlecht eingestellt; keine Kenntnisse über Diabetes und Folge für Peripherie
Interprofessionell warum und wie?
Profitieren Patienten? • Patienten: Kohorte mit >4000 Hausarztpatienten in UK • Intervention: Interprofessionelles Training von Hausärzten und “practice nurses” • Resultate: • HbA1c sinkt • Fusskontrollen vermehrt • Mehr Microalbuminurie getestet • Besser eingestellter Blutdruck/LDL • Weniger Überweisungen Ching D, BMJ Open 2016
Profitieren Hausärzte? • Hausärzte: 127 Kanadische Hausärzte mit interprofessioneller Organisation und 41 ohne • Interpro vs. Nicht-Interpro: • Mehr Austausch/Verträge • Mehr Vertrauen in Spezialisten, Pflegende/Apotheken • Zufrieden, delegieren zu können • Bessere Qualität gem. Hausärzten Szafran O, BMC Fam Pract 2019
Profitiert das Gesundheitswesen? • Systematic Review: 122 Studien von 1985-2017 • Kosten sparen durch: • ACE-H/Sartane zur BD Einstellung • Schulung Fusskontrolle • Suche nach Retinopathie Siegel KR, Diabetes Care 2020
Interprofessionelle Betreuung (CCM)
Interprofessionelle Betreuung (CCM) Advanced Practice Nurse (APN) Hausarzt/-ärztin Diabetologe/-in MPA MPK mit klinischer Fachrichtung ...und einige mehr!
MPK – Beruf mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten
Ausbildung Klinische Richtung Administrative Richtung • Chronic Care Management I • Chronic Care Management I • Chronic Care Management II • Chronic Care Management II • Qualitätsmanagement in der Arztpraxis • Qualitätsmanagement in der Arztpraxis • Beratung von Langzeitpatienten mit • Praxismanagement • Diabetes • Personalführung • Rheuma • Atemwegserkrankungen • Rechnungswesen • Koronare Herzkrankheit • Vertiefte EDV Kompetenzen • Hirnleistungsschwäche • Wiederaufbereitung von Medizinprodukten • Dosisintensives Röntgen • Dosisintensives Röntgen • Wundbehandlung
Anwendung in der Praxis Klinische Richtung Administrative Richtung • Diabetescoaching • Leitende MPA • Ernährungscoaching • Personalführung • Rauchstoppberatung • Arbeitszeitplanung • COPD • Ressortzuteilung • Herzinsuffizienz • Organisation MPA- • Wundbehandlung Ausbildung • Dosisintensives Röntgen • Rechnungswesen, EDV • Qualitätssicherung
MPK ist prädestiniert T2DM zu betreuen Ausbildung Aufgaben ❖ Langjährige theoretische und ❖ Beratung Lifestyle-Maßnahmen praktische Ausbildung – BMI – 3 Jahre MPA-Ausbildung – Rauchstopp – 3 Jahre Berufserfahrung – Impfberatung – 2 Jahre MPK-Ausbildung (berufsbegleitend) ❖ Selbstmanagement fördern ❖ Ausbildungsmodule MPK – U.a. Behandlung Langzeitpatienten ❖ Kontrolluntersuchungen Diabetes durchführen – Chronic Care Management I+II – Erfassen von Organbeteiligungen (Fussuntersuchung, Nephropathiesuche, Lipidstatus, Blutdruck, HbA1c) – Kontrolle Vorsorgeuntersuchungen
Man nehme: - Relevante chronische Krankheit - Bedürfnis nach Qualitätsverbesserung - Motivierte MPKs und Hausärzte - SGED, PROMS (QoL, TBQ) - breite Unterstützung …und kocht an einem Institut für Hausarztmedizin eine Studie
Aus der Praxis für die Praxis – MPK Studie Vergleich Praxen mit und ohne MPK in der Betreuung von Patienteninnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes
Breit unterstützt
Fragestellung Wie unterscheiden sich Modell mit/ohne MPKs in Bezug auf: ❖ Lebensqualität mit Diabetes ❖ SGED-Kriterien ❖ Behandlungslast ❖ Zufriedenheit Patient/Arzt/MPK ❖ Welche weitere Verbesserungen braucht es? MPK-Studie stellt Patientensicht und seine diabetesspezifische Lebensqualität in den Fokus (PROMs) Ansorg, SAEZ 2020 (geplantes Erscheinungsdatum 23.9.2020)
Die 5 Ziele der Studie Patientenzufriedenheit Hypo- / Hyperglykämien Qualität Behandlung Benefit Patientengruppen Perspektive Behandlungsteam
Wer mitmacht ❖ Patienten mit DM > 18 Jahre ❖ Krankheitsdauer: min. 2 Jahre ❖ Seit 1 Jahr bei MPK/HA in Behandlung ❖ MPK mit klinischer Fachrichtung seit 1 Jahr abgeschlossen Praxis A Praxis B T2DM Patienten T2DM Patienten mit MPK ohne MPK
Wenig Aufwand für grossen Nutzen ✓ 8-10 Patienten finden ✓ Einverständniserklärung einholen und Fragebogen an Patienten austeilen ✓ Fragebogen ausfüllen und Daten für SGED-Score eingeben ✚ Motivation des Praxispersonals sich weiterzuentwickeln ✚ Teilnahme an Forschungsprojekt - Mitentwicklung von innovativen Praxismodellen ✚ Patienten für eigenes Krankheitsgeschehen sensibilisieren und Eigenverantwortlichkeit stärken ✚ Diabetestherapie in der Grundversorgung zu verbessern
Pilotumfrage 2019 bei den MPKs: • 55 TeilnehmerInnen (Rücklaufquote > 80%) • 26 – 58 Jahre • 84% aktuell als MPK tätig • Abschlussjahr 2014 – 2018 • 34 MPKs (76%) würden bei einer solchen Studie mitmachen
Wo steht die MPK-Studie? • Ethikkommission bewilligte die Studie • Genügend MPK-Praxen (Ziel 10, aktuell 14) • Kontrollpraxen (Ziel 10, aktuell 8) • Patientenrekrutierung ist gestartet (1.9.)
Zusammenfassung • Ego einpacken - Teamgeist auspacken • Diabetes: es gibt immer was zu tun, die Frage ist wer macht was • Interprofessionelle Zusammenarbeit hat das Potential: Ziele gemeinsam besser zu erreichen, Qualität zu verbessern, Gesundheitsfachpersonen entlastet und zufriedener arbeiten zu lassen • Machen wir uns nichts vor: Integrierte Versorgung braucht Investionen (Geld, Zeit, Vertrauen und genügende Gesundheitsfachpersonen) • Die MPK-Studie wird für die Schweiz eine Grundlage schaffen für den Effekt der MPK auf Lebensqualität, SGED-Kriterien, Behandlungslast etc. bei Patienten mit Diabetes – Forschung aus der Praxis für die Praxis
Danke an: Kathi Ansorg – Dissertantin Zum Nachlesen: Ansorg, Schweizerische Nicole Thönen – Präsidentin SVA Ärztezeitung, geplantes Erscheinungsdatum 23.9.2020 Organisation Entlebucher Hausärztetage Yvonne Kohler, Aldo Kramis Projektgruppe und Unterstützer der MPK- Studie Grafiken: Thenounproject.com Food Business News IT daily net sven.streit@biham.unibe.ch
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