Didaktik der Physik Frühjahrstagung - virtuell 2021 - PhyDid
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Didaktik der Physik Frühjahrstagung – virtuell 2021 Augmented Reality-Experimente zur Wellenphysik Albert Teichrew*, Marlon Grasse* *Institut für Didaktik der Physik, Goethe-Universität Frankfurt am Main teichrew@physik.uni-frankfurt.de Kurzfassung Mit dem GeoGebra 3D Rechner lassen sich Visualisierungen abstrakter Strukturen modellieren und mithilfe der App auf einem Smartphone oder Tablet als virtuelle Objekte in den realen Raum plat- zieren. Damit wird eine Erweiterung realer Experimente mit idealen Darstellungen ermöglicht, die als Augmented Reality-Experimente bezeichnet werden. Virtuelle Bestandteile sollen reale Struktu- ren dort erweitern, wo nicht beobachtbare Elemente zum Verständnis des Experiments beitragen und den Vergleich von Modell und Realität erleichtern. Für Experimente mit Mikrowellen wurden vier Modelle konstruiert, die in der Lage sind, die Versuchsaufbauten nachzuempfinden und solche Wellenphänomene wie Reflexion, Beugung und Interferenz sichtbar zu machen. Die Messwerte aus dem Experiment können direkt mit dem Modell verglichen werden, um die in der Theorie entwi- ckelten Annahmen zu überprüfen. In dem Beitrag werden Entwicklung und ein möglicher Unter- richtseinsatz von vier Augmented Reality-Experimenten zur Wellenphysik vorgestellt. 1. Hintergrund 1.1. AR-Experimente Die Durchführung von Experimenten ist nicht nur Für das Lehren und Lernen der Physik verfolgen wir eine verbreitete Methode des naturwissenschaftlichen das Ziel, Experimente im realen Raum mithilfe von Unterrichts, sondern ein wesentlicher Schritt der Er- AR mit virtuellen Objekten zu erweitern, die zum kenntnisgewinnung. Naturwissenschaftliches Wissen Verständnis des Experiments beitragen (vgl. Teich- stützt sich zwar auf empirische Belege, der Weg dort- rew & Erb, 2020b, 2020c). Für ein AR-Experiment hin ist allerdings subjektiv und theoriegeladen. Hinter werden virtuelle Objekte in Form von dynamischen dem Experiment als Frage an die Natur steht eine Modellen verwendet, die auf abstrakten naturwissen- Frage an das Modell, mit dem die Natur im Vorfeld schaftlichen Ideen und Konzepten basieren (vgl. rekonstruiert wurde. Naturwissenschaftlicher Unter- Teichrew & Erb, 2020d). Sie sollen virtuelle Inhalte richt sollte deshalb ein Lernen mit Modellen und Ex- vermitteln, die dabei helfen, das Zustandekommen re- perimenten in einem gemeinsamen Problemlösepro- aler Inhalte in Form von Beobachtungen und Mess- zess ermöglichen (vgl. Teichrew & Erb, 2020a). werten nachvollziehen zu können (vgl. Teichrew & Augmented Reality (dt. erweiterte Realität, AR) wird Erb, 2020e). In diesem Beitrag werden AR- definiert als eine Echtzeitansicht einer physischen re- Experimente vorgestellt, in denen Phänomene der alen Umgebung, die durch Hinzufügen virtueller Wellenphysik wie Reflexion, Beugung und Interfe- computergenerierter Informationen erweitert wurde renz durch animierte Visualisierungen sichtbar ge- (Carmigniani & Furht, 2011, S. 3). Technisch lässt macht werden. Sie sollen Lernende unterstützen, die sich AR dadurch realisieren, dass entweder der von Experimente und einhergehenden Phänomene auf ein der Kamera eingefangene Bildausschnitt auf einem physikalisch angemessenes Wellenkonzept zurück- Bildschirm oder das Sichtfenster einer Brille mit vir- zuführen. tuellen Objekten überlagert wird. In den meisten Fäl- 1.2. Schülervorstellungen zur Wellenphysik len wird ein immersiver Effekt angestrebt, bei dem Sowohl bei Schüler*innen als auch bei Studierenden die virtuellen Objekte bei Veränderung der Position verbleiben nach der Behandlung von Wellen alterna- des mobilen Geräts oder der Brille an der zugewiese- tive Vorstellungen. Hopf und Wilhelm (2018) zählen nen Stelle relativ zum realen Raum verbleiben. Reale die in mehreren Studien erfassten Lernschwierigkei- Situationen können dadurch um virtuelle Informatio- ten auf (vgl. Caleon & Subramaniam, 2010; Coetzee nen erweitert werden, die einen erkennbaren Bezug & Imenda, 2012; Maurines, 2010; Mendel, Hember- zur Realität enthalten und abstrakte Konzepte damit ger & Bresges, 2013; Wittmann, 2002). Mit einer ent- leichter verständlich werden (Bloxham, 2014). Meta- sprechenden didaktischen Strukturierung soll der Analysen haben gezeigt, dass mit AR das Lernen in Einsatz der entwickelten Modelle den folgenden verschiedenen Inhaltsbereichen (Garzón & Acevedo, Schülervorstellungen begegnen (didaktische Rekon- 2019) und mit verschiedenen Unterrichtsmethoden struktion nach Kattmann, Duit, Gropengießer & verbessert werden kann (Garzón, Kinshuk, Baldiris, Komorek, 1997): Gutiérrez & Pavón, 2020). 427
Teichrew, Grasse Eine wesentliche Schülervorstellung im Bereich der Abbildungen, die pragmatische Verkürzungen ent- Wellenlehre ist, dass Wellen als materielle Objekte halten. Bei genauerer Betrachtung treten in der Lehre wahrgenommen werden. Vor allem in Bezug auf solche absichtlichen Abweichungen zwischen Modell Licht ist die Betonung von Wellen als mathemati- und Original an vielen Stellen auf und müssen im sches Hilfsmittel, um die Ausbreitung elektromagne- Lernprozess explizit behandelt werden. tischer Strahlung zu beschreiben, wichtig. Die entwi- Gemäß dem Huygensschen Prinzip kann jeder Punkt ckelten Wellendarstellungen basieren auf mathemati- einer Wellenfront als Ausgangspunkt einer Elemen- schen Gleichungen, die an die reale Situation bis zu tarwelle betrachtet werden. Als Elementarwellen einer gewissen Grenze angepasst werden. Ihre Rolle werden sich kreisförmig in der xy-Ebene ausbreitende als Hilfsmittel zur Deutung experimenteller Ergeb- Wellen modelliert: nisse wird dadurch besonders deutlich. 2 , , sin 2 ! !. {2} Beim Phänomen der Beugung wird oft argumentiert, dass der mittlere Teil eines Lichtbündels unverändert durch die Mitte geht und nur die auf den Rand tref- fenden Lichtstrahlen abgelenkt werden. Dieser Vor- Ebene und kreisförmige Wellen sowie ihre Überlage- stellung kann durch die konsequente Vermeidung des rung dienen in den AR-Experimenten als virtuelle Strahlenbegriffs und der Visualisierung von Elemen- Objekte, die dabei helfen sollen, das Auftreten realer tarwellen begegnet werden. Inhalte zu verstehen (s. Tab.1). Da zur Interferenz oft nur die beiden Extremfälle der Objekte Inhalte völligen Auslöschung, oder wenn sich zwei gleiche real Mikrowellensen- empfangene Signale Wellenberge zu einem doppelten Wellenberg überla- gern, visualisiert werden, fällt es Lernenden schwer der, Empfänger als Zeigerauschläge am zu verstehen, dass sich die Auslenkungen der beiden und Hindernis Messgerät Wellenzüge überlagern und man durch Addition an virtuell ebene und kreis- Schwingungen an be- jedem Ort die resultierende Amplitude bestimmen förmige Wellen so- stimmten Stellen und kann. Die gewählten Wellendarstellungen können wie ihre Überlage- Wellenausbreitung in animiert werden, sodass die Überlagerung zu ver- rung bestimmte Richtungen schiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten Tab.1: Aufzählung von realen und virtuellen Objekten beobachtet werden kann. und Inhalten von AR-Experimenten zur Wellenphysik 2. Entwicklung 2.1. Modelle Um die Ausbreitung eines eng begrenzten Bündels Es wurden vier Modelle mit dem GeoGebra 3D Rech- elektromagnetischer Wellen mathematisch zu be- ner entwickelt (https://www.geogebra.org/3d/). Für schreiben, wird der Ansatz einer harmonischen ebe- die Visualisierung der Wellen nach {1} und {2} wird nen Welle gewählt, die sich in x-Richtung ausbreitet. der GeoGebra-Befehl Oberfläche verwendet. Er er- Der orts- und zeitabhängige Betrag der elektrischen stellt für einen gegebenen x-, y- und z-Ausdruck eine variablen " und # in jeweils gegebenen Intervallen Feldstärke Fläche in 3D (s. z.B. Abb.1), indem zwei Parameter- , sin 2 {1} verwendet werden (s. z.B. Abb.2). schwingt in z-Richtung mit der Amplitude , einer Frequenz , der Ausbreitungsgeschwindigkeit ⋅ und einer Phasenverschiebung zum Zeit- punkt 0. Da für die untersuchten Phänomene le- diglich das Vorhandensein einer Schwingung an be- stimmten Stellen bzw. die Wellenausbreitung in be- stimmte Richtungen eine Rolle spielt, wird auf 1 gesetzt. Um die Phänomene in einer für AR geeigne- ten Größenordnung beobachten zu können, wird in Abb.1: Ausschnitt der 3D Grafik-Ansicht des Modells zu den Experimenten mit Mikrowellen gearbeitet. Als stehenden Wellen Wellenlänge kann deshalb ein Wert im cm-Bereich vorgegeben werden. Die Periodendauer wird ab- In allen Modellen nimmt die Variable Zeit Werte zwi- sichtlich so gewählt, dass eine sichtbare Schwingung schen 0 und ein. Mit der Play-Taste des zugehöri- bzw. Wellenausbreitung visualisiert wird. Frequenz gen Schiebereglers werden die Werte schrittweise ab- und Ausbreitungsgeschwindigkeit der modellierten gefahren, sodass aufgrund der verwendeten Werte Wellen entsprechen damit nicht der Wirklichkeit. Ge- eine Animation der Wellenbewegung beobachtet mäß den von Stachowiak (1973) formulierten Merk- werden kann. malen von Modellen betrachten wir somit 428
Augmented Reality-Experimente zur Wellenphysik Abb.2: Ausschnitt der Algebra-Ansicht des Modells zu stehenden Wellen Der Schieberegler Höhe hebt die modellierten Flä- auf verschiedenen Positionen die Amplituden der chen aus der xy-Ebene heraus, um sie später auf der angezeigten Wellen als Vektorpfeil an. Höhe des Senders einblenden zu können. Die Schie- b) Im Modell Beugung an einer Kante wird in Rot beregler Anfang, Ende und Breite grenzen die model- eine ebene Welle modelliert, die sich in x-Rich- lierten Flächen so ein, dass sie den Dimensionen der tung entlang einer Kante ausbreitet. Zusätzlich Experimente entsprechen. Außerdem kommt der wird eine kreisförmige Welle direkt an der Kante GeoGebra 3D Rechner bei zu großen Flächen an gesetzt (s. Ew1 in Abb.3), die eine Ausbreitung seine Grenzen, sodass die Animation nicht mehr des Signals nach links hinter das Hindernis andeu- gleichmäßig abläuft. tet. Allerdings müssen weitere Elementarwellen Zusätzlich werden Gerüste aus grauen gestrichelten innerhalb der Wellenfront betrachtet werden, die Strecken und die Position des Senders konstruiert, sich hinter das Hindernis ausbreiten. In Blau wird was die Anpassung der Modelle an die Experimen- deshalb stellvertretend eine Kreiswelle model- tieranordnung in AR erleichtert. Mit dem Schiebereg- liert, deren Ursprung sich eine halbe Wellenlänge ler Ansicht kann gewählt werden, welche modellier- rechts neben der Kante befindet (s. Ewn in Abb.3). ten Wellen gerade sichtbar sind, wobei die folgende In Violett wird hinter dem Hindernis die Überla- Farbcodierung verwendet wird: gerung der beiden Elementarwellen dargestellt. Einzeln betrachtete Wellenanteile in Rot und Die Überlagerung zeigt, dass sich die Welle zwar Blau. hinter das Hindernis ausbreitet, ihre Amplitude Überlagerung von mehreren Wellenanteilen in aber in der Nähe des Hindernisses gegen Null Violett. geht. Quadrat der Amplitude als Intensität in Orange. Die vier Modelle können im Browser als GeoGebra- Buch nacheinander untersucht und angepasst werden: https://www.geogebra.org/m/mpgscgp8 a) Im Modell Stehende Wellen wird in Rot eine ebene Welle als einlaufende Welle modelliert, die sich in x-Richtung ausbreitet. Da bei der Refle- xion einer elektromagnetischen Welle an einer Metallplatte sich das elektrische Feld wie eine Seilwelle mit einem festen Ende verhält, wird in Blau eine in entgegengesetzter Richtung verlau- fende Welle mit einem Phasensprung von ge- rechnet. In Violett wird die Summe aus beiden Wellen als Überlagerung dargestellt. Die Überla- gerung aus einlaufender und reflektierter Welle Abb.3: Ausschnitt der 3D Grafik-Ansicht des Modells zur führt zur Ausbildung von Wellenknoten, an denen Beugung an einer Kante die Amplitude immer Null ist, und Wellenbäu- c) Im Modell Interferenz an Acrylblöcken wird in chen, an denen die Amplitude zwischen einem Rot links von der Mitte eine ebene Welle und auf Maximum und Minimum hin- und herschwingt. der rechten Seite eine kreisförmige Welle model- Der Punkt E kann verschoben werden und zeigt liert. In Blau wird rechts von der Mitte eine ebene 429
Teichrew, Grasse Welle und auf der linken Seite eine kreisförmige einigen ergänzenden Materialien verwendet (z.B. Welle modelliert (s. Abb.4). Für beiden Seiten mehrere Acrylblöcke mit einer 3 cm langen Seite). werden Phasenverschiebungen aufgrund der Än- Der Mikrowellensender strahlt ein Bündel elektro- derung der optischen Weglänge berechnet, die magnetischer Wellen mit einer Frequenz von dadurch entsteht, dass auf die linke oder rechte 9,4 GHz bzw. einer Wellenlänge von ca. 3 cm ab. Das Seite Acrylblöcke unterschiedlicher Länge ge- Signal wird von einem Empfänger in Form einer setzt werden, die die Ausbreitungsgeschwindig- Sonde oder Hornantenne empfangen und als Span- keit der Wellen verringern. Auf beiden Seiten nung am Messgerät ausgegeben. In den vier Teilex- überlagern sich demnach ebene Wellen der einen perimenten werden verschiedene Objekte als Hinder- Seite und kreisförmige Wellen der anderen Seite, nisse vor den Sender gestellt (s. Tab.2): die sich aufgrund von Beugung in den anderen reales Hindernis modellierte Wellen Bereich ausbreiten. Wenn beide Seiten einen Gangunterschied von einer halben Wellenlänge a) mittig angeordnete einlaufende ebene Welle bzw. eine Phasendifferenz von aufweisen, dann Metallplatte als Re- reflektierte ebene Welle überlagern sich in der Mitte Wellenberge der ei- flektor führt zu ste- Überlagerung nen Seite mit Wellentälern der anderen Seite, so- henden Wellen dass sich beide Teile gegenseitig aufheben. In Vi- b) versetzte Metall- ebene und kreisförmige olett kann anhand der berechneten Überlagerung platte als Beugungs- Welle an der Kante nachvollzogen werden, dass das immer dann der kante kreisförmige Welle ne- Fall ist, wenn sich eine Seite um eine Blocklänge ben der Kante von 3 cm von der anderen unterscheidet: Wird Überlagerung ein Brechungsindex $ von 1,5 angenommen, gilt nämlich für Acrylglas und Mikrowellenstrahlung c) Acrylblöcke zur Er- ebene Welle links und für die optische Weglänge Λ eines 3 cm langen zeugung von Gang- kreisförmige Welle Blocks: Λ & ⋅ $ 3 cm ⋅ 1,5 4,5 cm. Die op- unterschieden und rechts tische Weglängendifferenz ∆Λ von 1,5 cm führt Interferenz ebene Welle rechts und kreisförmige Welle links sendifferenz ∆ ⋅ ∆Λ ⋅ 1,5 cm bei einer Wellenlänge von 3 cm zu einer Pha- /0 /0 Überlagerung 1 2 cm . d) Doppelspalt aus Me- kreisförmige Welle links tallplatten zur kreisförmige Welle Vermessung von In- rechts terferenzmustern Überlagerung Intensität Tab.2: Gegenüberstellung der realen Hindernisse in den vier Teilexperimenten a) bis d) und der modellierten Wel- len in ihren Farben a) Im ersten Teilexperiment zu stehenden Wellen werden an manchen Orten zwischen Sender und Reflektor Signale mit der Sonde empfangen und an manchen nicht. Das ist ein Hinweis darauf, Abb.4: Ausschnitt der 3D Grafik-Ansicht des Modells zur dass elektromagnetische Strahlung reflektiert Interferenz an Acrylblöcken wird und es zur Ausbildung von Wellenbäuchen und -knoten kommt. d) Im Modell Interferenz am Doppelspalt werden in b) Im Experiment zur Beugung an einer Kante kann Rot und Blau zwei kreisförmige Wellen mit einem der kontinuierliche Abfall der Signalstärke hinter einstellbaren Abstand modelliert. In Violett wird einer links der Mitte platzierten Metallplatte ge- die Summe aus beiden Wellen als Überlagerung messen werden. Dazu werden mit der Hornan- dargestellt. An gewissen Orten treffen zu jedem tenne Winkel von 0° bis 90° abgefahren. Dem- Zeitpunkt Wellenberge auf Wellentäler, sodass nach kann sich elektromagnetische Strahlung teil- die Amplitude dort null ist. Dazwischen breiten weise hinter ein Hindernis ausbreiten. sich Wellen in verschiedene Richtungen aus. In Orange wird das Quadrat der Amplitude berech- c) Im Experiment zur Interferenz an Acrylblöcken net. Diese Fläche enthält keine negativen Anteile wird zunächst ein Block mit einer Länge von 3 cm und zeigt die Intensität des Signals an verschiede- links der Mitte vor den Sender gestellt, sodass nen Stellen an. In dieser Ansicht kann der Punkt kein Signal gemessen werden kann. Das Hinzufü- E auf Stellen mit und ohne sichtbare Intensität um gen eines zweiten Blocks rechts der Mitte bringt die orangene Fläche im Kreis bewegt werden. das Signal wieder zurück, obwohl sich jetzt scheinbar mehr Hindernisse im „Strahlengang“ 2.2. Experimente befinden. Damit kann gezeigt werden, dass Acryl- Für die Überprüfung der Modelle im Experiment wird glas zwar durchlässig für Mikrowellenstrahlung der Mikrowellensatz von 3B Scientific (2017) mit ist, jedoch wird die Ausbreitungsgeschwindigkeit 430
Augmented Reality-Experimente zur Wellenphysik verlangsamt, sodass sich einzelne Wellenanteile GeoGebra-Buch kann unter jedem Modell die Durch- mit einem Gangunterschied von einer halben Wel- führung des AR-Experiments in einem kurzen Video lenlänge gegenseitig auslöschen können. betrachtet werden: d) Im Experiment zur Interferenz am Doppelspalt a) Das AR-Experiment zu stehenden Wellen zeigt, werden mehrere Intensitätsminima und -maxima dass die Orte der modellierten Bäuche und Knoten an verschiedenen Stellen gemessen. Dazu werden mit den Orten, an denen Signale gemessen oder mit der Hornantenne Winkel von -90° bis 90° ab- nicht gemessen werden können, ungefähr über- gefahren. Wenn elektromagnetische Strahlung auf einstimmen (s. Abb.5). Öffnungen in der Größenordnung der Wellen- länge gerichtet wird, findet anscheinend keine ge- radlinige Ausbreitung mehr statt, sondern eine Überlagerung von Wellenanteilen, die sich in alle Richtungen hinter das Hindernis ausbreiten. 3. Einsatz Um die entwickelten Modelle als virtuelle Objekte di- rekt in die Experimente einzublenden, muss zunächst der GeoGebra 3D Rechner als App auf einem AR- fähigen Smartphone oder Tablet installiert werden. Über folgende Links oder entsprechende QR-Codes werden die Modelle in der App geöffnet: Abb.5: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi- a) Stehende Wellen: ments zu stehenden Wellen https://www.geogebra.org/3d/v9cvhbd6 b) Das AR-Experiment zur Beugung zeigt, dass der b) Beugung an einer Kante: Winkel, bei dem die Amplitude verschwindet, mit https://www.geogebra.org/3d/jq8wx764 den Messungen ungefähr übereinstimmt (s. Abb.6). c) Interferenz an Acrylblöcken: https://www.geogebra.org/3d/fhgjfbwr d) Interferenz am Doppelspalt: https://www.geogebra.org/3d/vjtcqnxx Durch das Tippen in der 3D-Ansicht auf die AR-Taste unten rechts wird die Kamera eingeschal- tet. Das Gerät sollte daraufhin etwas herumbewegt werden, sodass die Flächenerkennung stattfinden kann. Sobald auf eine Stelle der erkannten Fläche ge- tippt wird, taucht das jeweilige Modell in der Kame- raansicht auf und bleibt selbst bei Bewegung an dem zugewiesenen Ort. Es werden somit keine speziellen Abb.6: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi- Marker oder passend dimensionierte Objekte für ments zur Beugung an einer Kante diese Art der AR benötigt. Das zieht allerdings auch die Aufgabe nach sich, das 3D-Objekt selbstständig im Raum anzuordnen. Mit zwei Fingern wird das Mo- dell an die richtige Stelle bewegt, gedreht, größer oder kleiner gemacht (Pinch-to-Zoom). Es hat sich bewährt, Parameter des real aufgebauten Experiments wie Höhe des Senders und Abstand zum Hindernis auszumessen und noch vor dem Einblenden mit den Schiebereglern einzustellen (1 Längeneinheit im Mo- dell entspricht 1 cm im Experiment). Das aktuelle Verhältnis wird im AR-Modus unten links angezeigt und kann durch Vergrößern oder Verkleinern des Mo- dells auf 1:1 cm eingestellt werden. Im besten Fall arbeitet eine Person am Modell und eine Person am Experiment. Alternativ kann das Mo- bilgerät an einem Stativ befestigt werden, sodass die Hände zum Experimentieren frei bleiben. Sobald die virtuellen und realen Objekte aneinander ausgerichtet Abb.7: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi- wurden, kann mit dem Vergleich realer und virtueller ments zur Interferenz an Acrylblöcken Inhalte begonnen werden. In dem verlinkten 431
Teichrew, Grasse c) Das AR-Experiment zur Interferenz an Acrylblö- geschieht. Dadurch sollen oft mühsam eingeführte cken zeigt, dass die gegenseitige Aufhebung der physikalische Konzepte ihre Legitimation direkt am beiden Seiten bei den vorhergesagten Längenun- Phänomen erhalten und eine größere Bedeutung für terschieden der Blöcke in der Messung eintritt die Lernenden erlangen. (s. Abb.7). Gleichzeit wird der Modellcharakter des in Form von d) Das AR-Experiment zur Interferenz am Doppel- mathematischen Gleichungen und ihren Visualisie- spalt zeigt, dass die Winkel, an denen Intensitäts- rungen vorliegenden physikalischen Wissens deut- minima und -maxima gemessen werden, mit den lich. Die Modelle erfüllen zwar ihren Zweck, haben im Modell für den Punkt E eingestellten Winkeln allerdings auch ihre Grenzen, die es zu diskutieren ungefähr übereinstimmen (s. Abb.8). gilt: Die berechnete und visualisierte Wellenbewe- gung entspricht weder in der Animationsgeschwin- digkeit noch in der Form der realen, aber unsichtbaren elektromagnetischen Strahlung. Als mentale Hilfs- mittel sind sie allerdings in der Lage, Vorhersagen für reale Prozesse zu liefern. Es wurden noch weitere Idealisierungen aus pragma- tischen Gründen vorgenommen: Die Anzahl und Po- sition der modellierten Elementarwellen wurden so gewählt, dass destruktive Interferenz in den betrach- teten Bereichen vorliegt. Nach dem Huygensschen Prinzip müsste jeder Punkt einer Wellenfront als Ele- mentarwelle betrachtet werden. Des Weiteren wurde der Wert der mit Abstand abnehmenden Intensität nicht thematisiert. Schließlich kann fern der Strah- lungsachse des Senders auch der Ansatz der ebenen Wellen hinterfragt werden, sodass die Breite der Vi- sualisierung nicht zu groß gewählt werden sollte. Abb.8: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi- Nichtsdestotrotz ermöglichen die vorgenommenen ments zur Interferenz am Doppelspalt Idealisierungen und Elementarisierungen, das Wel- 4. Diskussion lenkonzept den Lernzielen entsprechend zu visuali- sieren und so den Schülervorstellungen der Lernen- Der Vergleich von Modell und Experiment zeigt je- den zu begegnen. weils, dass die Modellergebnisse mit den Messungen Eine Untersuchung, ob der Lernprozess oder das kon- übereinstimmen. Der Güte der Übereinstimmung zeptuelle Verständnis zur Wellenphysik durch AR- hängt allerding stark davon ab, wie gut die im Modell Experimente stärker unterstützt wird als durch her- eingestellten Parameter zu der im Experiment tat- sächlich vorliegenden Realsituation passen. Vor al- kömmliche Experimente, steht noch aus. Allerdings lem die korrekte Ausrichtung der modellierten Flä- konnten für andere Bereiche der Physik Hinweise ge- funden werden, dass AR-Experimente Lernende da- chen kann im ersten Moment eine Herausforderung bei unterstützen, reale Phänomene mit physikalischen darstellen. Es ist hilfreich, den Versuchsaufbau von Modellvorstellungen zu verknüpfen (vgl. Weber & verschiedenen Seiten zu betrachten und zu kontrollie- Teichrew, 2021). ren, ob die Position stimmt. Die Stabilität der virtuel- len Objekte im realen Raum nimmt jedoch mit der 5. Literatur Zeit durch viel Bewegung des Mobilgeräts und Ver- 3B Scientific GmbH. (2017). Bedienungsanleitung - schiebung von realen Objekten ab, die ursprünglich Mikrowellensatz 9,4 GHz (230 V, 50/60 Hz). als Anhaltspunkte für die Flächenerkennung dienten. Zugriff am 17.4.2021. Verfügbar unter: Als Lösung sollte die AR-Ansicht neugestartet wer- https://www.3bscientific.de/product- den, indem für kurze Zeit in die 3D-Ansicht gewech- manual/1009950_1009951_DE1.pdf selt wird. Außerdem kann eine gemusterte Unterlage vor dem Aufbau platziert werden, die eine schnellere Bloxham, J. (2014). Augmented Reality Learning. und stabilere Flächenerkennung im Vergleich zum ITNOW, 56(3), 44–45. Oxford Academic. weißen Tisch ermöglicht. Der Einstieg in AR mit Caleon, I. & Subramaniam, R. (2010). Development GeoGebra kann im Übrigen auch durch einfachere and Application of a Three‐Tier Diagnostic AR-Experimente erfolgen (vgl. Teichrew & Erb, Test to Assess Secondary Students’ 2020d). Understanding of Waves. International Journal Beim Lernen mit Modellen und Experimenten in ei- of Science Education, 32(7), 939–961. nem gemeinsamen Problemlöseprozess liegt das Ziel https://doi.org/10.1080/09500690902890130 eines Experiments im Vergleich der Modellhypothe- Carmigniani, J. & Furht, B. (2011). Augmented sen mit den Beobachtungen während eines Experi- Reality: An Overview. In B. Furht (Hrsg.), ments, was in AR-Experimenten besonders deutlich 432
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