Perspektiven der Wasserkraft Flussrevitalisierungen Hochwasserschutz Stadt Zürich (Teil 2) Unwetterschäden 2013 1-2014
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1-2014 13. März 2014 Lacs du Vieux Emosson et d’Emosson, Foto: M. Martinez/www.michelmartinez.ch · Perspektiven der Wasserkraft · Flussrevitalisierungen · Hochwasserschutz Stadt Zürich (Teil 2) · Unwetterschäden 2013
Eine Wellenkarte des Zürichsees (Kanton Zürich) Richard Staubli, Stephanie Matthias, Andreas Huber, Felix Hermann, Silke Dierer, Stefano Pellandini Abschnitt kann man auf der Karte die zu Zusammenfassung erwartenden Wellenhöhen für ein 30-, 100- Das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich liess eine und 300-jährliches Ereignis für verschie- Wellenkarte des Zürichsees (Gebiet Kanton Zürich) erarbeiten. Auf der Karte sind die dene Windrichtungen in sogenannten Wel- zu erwartenden Wellenhöhen und Wellenparameter für ein 30-, 100- und 300-jährli- lenrosen (Bild 2) herauslesen. Weiter sind ches Ereignis dargestellt. Für die Erstellung der Karte wurden die vorhandenen Wind- auf der Karte pro Uferabschnitt die Wel- daten des Zürichsees ausgewertet und extrapoliert. Die Karte gibt die signifikanten lenparameter Wellenhöhe, -periode und Tiefwasserwellen pro Uferabschnitt an. Um die Wellen in Ufernähe zu bestimmen, müssen die ufernahen Prozesse im Flachwasser- und Uferbereich berücksichtigt -länge in einer Tabelle zusammengestellt. und beurteilt werden. Dies erfordert ein entsprechendes Fachwissen. Die Wellen- Bei den angegebenen Wellenhöhen karte ist eine gute Grundlage für das Erkennen von Schwachstellen am Ufer, für die handelt es sich um die signifikante Wellen- Abschätzung der Gefährdung infolge Wellen und für die Planung von Uferbereichen höhe der Tiefwasserwelle (siehe Kap. 2.2), und Bauwerken sowie für die Planung von Uferrenaturierungen. welche den Seegang beschreibt. Aufgrund der Flachwasserprozesse (siehe Kap. 2.2 und 3.1) können sich in Ufernähe Wellen- 1. Die Wellenkarte Karte beschränkt sich auf das Seegebiet richtung, -höhe und -länge wesentlich än- Im Auftrage des AWEL, Baudirektion des des Kantons Zürich. dern. Auch der kleinräumliche Uferverlauf Kantons Zürich, wurde eine Wellenkarte Das Ufer des Zürichsees wird auf kann die Wellenbildung in Ufernähe stark für den Zürichsee (Bild 1) erarbeitet. Die dieser Karte in 23 Abschnitte unterteilt. Pro beeinflussen. Befinden sich die Betrach- Bild 1. Wellenkarte des Zürichsees (Gebiet Kanton Zürich). «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden 31
Qualität spielen somit eine zentrale Rolle bei der Ermittlung von Wellen. Die Aufbe- reitung der Winddaten für den Zürichsee erfolgte durch die Firma Meteotest in Bern. Ziel war es, die Windverhältnisse am Zü- richsee in sogenannten IDF-Diagrammen (Intensität, Dauer, Frequenz) darzustellen. Da die Beziehung Winddauer und -stärke von der Windrichtung abhängt, wurde pro Betrachtungspunkt und Windrichtung je- weils ein IDF-Diagramm (Bild 3) erstellt. Es wurden zwölf verschiedene Sektoren definiert. In einem ersten Schritt wurde re- cherchiert, welche langjährigen Messrei- hen der Windgeschwindigkeit und -rich- tung im Bereich des Zürichsees zur Verfü- gung stehen. Für die Berechnung von 30-, Bild 2. Beispiel einer Wellenrose für einen bestimmten Uferabschnitt; Angabe der Wel- 100- und 300-jährlichen Wiederkehrperio- lenhöhen für verschiedene Windrichtungen und verschiedene Wiederkehrperioden. den ist es wichtig, dass die eingehenden Winddaten einen möglichst langen Zeit- tungspunkte in Uferbuchten oder im Wel- Bericht, der die Methodik und die Anwen- raum umfassen. lenschatten von Uferauskragungen, sind dung der Karte beschreibt. Mit den Anga- Nach der Analyse aller Kriterien die Wellen am Betrachtungspunkt wesent- ben aus der Wellenkarte sollen die Grund- wurde beschlossen, die Berechnungen lich kleiner, als im vorgelagerten Tiefwas- lagen für das Erkennen von Schwach- auf Grundlage der Klimatologie Wädenswil serbereich. Die Auswirkungen der Flach- stellen am Ufer, für die Abschätzung der durchzuführen (Bild 4). Ausschlaggebend wasserprozesse und der kleinräumlichen Gefährdung infolge Wellen und für die Pla- für diese Entscheidung war, dass die Kli- Uferstrukturen müssen fallweise situativ nung von Uferbereichen und Bauwerken matologie mit zwölf Jahren Dauer zu den durch eine Fachperson beurteilt werden. zur Verfügung gestellt werden. längsten verfügbaren Messungen gehört, Die Wellenkarte beschränkt sich die Messstation in Wädenswil in der Nähe auf windinduzierte Wellen. Wellen, die 2. Grundlagen und Entstehung des Seeufers liegt und die Messung als durch andere Einwirkungen erzeugt wer- der Wellenkarte sehr zuverlässig eingestuft wird. Die Auf- den, wie beispielsweise durch Schiffe und spaltung in Windrichtungssektoren führte Wellen infolge Erdbeben, sind nicht be- 2.1 Winddaten jedoch dazu, dass schon bei Zeitreihen rücksichtigt. Auftretende Winde sind die hauptsäch- von zwölf Jahren in vielen Sektoren nicht Integrierender Bestandteil der Wel- liche Ursache für die Bildung von Wellen genug Werte für eine Extremwertstatistik lenkarte ist der dazugehörende technische auf Gewässern. Die Winddaten und deren vorlagen. Bild 3. Beispiel eines IDF-Diagramms (Intensität, Dauer, Bild 4. Windrose der Messungen in Wädenswil (10 m über Frequenz) für die Windrichtung 180–210 Grad (orange = 30-jähr- Grund). licher, braun = 100-jährlicher, violett = 300-jährlicher Wind). 32 «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden
Für die Generierung der IDF-Dia- und -richtung wird analysiert, welche grossflächige Seegrundaufnahmen von gramme wurde ein CFD-Modell (computa- Windgeschwindigkeit bei einem Winder- Dr. R. A. Schlund vor. Der Zürichsee wurde tional fluid dynamics) zu Hilfe genommen, eignis einer bestimmten Dauer überschrit- im Jahre 1972 ganzflächig vermessen. Die welches ermöglicht, dreidimensionale ten wird. Mithilfe von Extremwertstatistik Äquidistanz zwischen den Höhenlinien Windfelder bei verschiedenen Anström- wurden dann die Windgeschwindigkeiten dieser Aufnahmen beträgt 2.5 m, bzw. in richtungen zu berechnen. Mit dem Mo- für die Wiederkehrperioden von 2, 5, 10, Ufernähe 2 m (teilweise auch 1 m). Die Ufer- dell WindSim, das für die Bestimmung der 30, 50, 100 und 300 Jahren geschätzt. Die zone wurde damals nicht speziell vermes- Energieerträge von Windparks entwickelt Werte für die Windgeschwindigkeit mit sen. Die am nächsten des Ufers liegende wurde, ist es möglich, Zeitreihen der Wind- 100 und 300 Jahren Wiederkehrperiode Höhenkurve liegt auf Kote 404 m ü. M. geschwindigkeit von einem Standort zum sind aufgrund der verhältnismässig kurzen bzw. bei einer Wassertiefe von 2 m (ab Mit- anderen zu transferieren. Messreihe mit einer höheren Unsicherheit telwasserstand). Die Genauigkeit dieser Für das gesamte Modellgebiet behaftet. Die mithilfe der Extremwertsta- Aufnahmen ist nicht bekannt. Im ufernahen wurde ein digitales Geländemodell ver- tistik berechneten Windgeschwindigkei- Bereich, wo die Wassertiefe einen mass- wendet (Quelle: DHM25 © swisstopo). Ein ten für die verschiedenen Zeitdauern und gebenden Einfluss auf die Wellenbildung Rauigkeitsmodell wurde aus dem BN24- Wiederkehrperioden bilden die Grundla- hat, liegen somit keine Informationen über Bodennutzungs-Datensatz der Schweiz gen für die IDF-Diagramme. den Seegrundverlauf vor. generiert (Quelle: BFS/GEOSTAT). Die in Die so generierten IDF-Diagramme Das untere Seebecken zwischen den Datensätzen angegebenen Gelände- wurden auf ihre Plausibilität überprüft und Zürichhorn und Quaibrücke wurde eben- höhen und Rauigkeitslängen wurden an- wo erforderlich aufgrund der relativ kurzen falls von Dr. R. A. Schlund 1974 noch etwas hand der topografischen Karte des Bun- Messreihe an einen plausiblen Verlauf an- genauer vermessen. Die Äquidistanzen desamts für Landestopografie swisstopo gepasst. bei diesen Aufnahmen betragen 1 m. Aber geprüft und stimmen mit dieser – im Rah- auch bei diesen Aufnahmen ist die Genau- men der erwarteten Genauigkeit – überein. 2.2 Topografie des Zürichsees igkeit nicht bekannt und die Uferzonen Aufgrund der Grösse des Modellgebietes Der Seegrundverlauf ist für die Wellenaus- wurden nicht speziell vermessen. wurde die Modellierung mit einer Gitter- bildung im ufernahen Bereich wichtig, da Ansonsten liegen keine grossflä- weite von 100 m durchgeführt. Der Fokus die Wellenbildung durch Reibungseffekte chigen Vermessungen des Seegrundver- liegt auf den Windverhältnissen über Was- am Seegrund (Flachwasserprozesse siehe laufes vor. Aufgrund der fehlenden See- ser, wo Gelände bzw. Bodennutzung recht Kap. 2.3 und 3.1) und durch den kleinräum- grundkoten in Ufernähe entschied man, homogen sind. Daher wird die Gitterweite lichen Uferverlauf beeinflusst wird. sich bei der Wellenkarte auf Tiefwasser- als ausreichend betrachtet. Vom Zürichsee liegen nur ältere wellen zu beschränken (siehe Kap. 2.3). Auf Basis dieser Grundlagen wur- den die dreidimensionalen Windfelder für zwölf verschiedene Anströmrichtungen (30°-Sektoren) mit der Software WindSim berechnet. Die berechneten Windfelder wurden mit der Windstatistik von Wädens- wil gewichtet. Somit erhielt man für jeden Gitternetzpunkt der Modellierung eine Windstatistik, die als Zeitreihe extrahiert werden konnte. Die Genauigkeit der Windmodellie- rung wurde geprüft, indem die Klimatolo- Bild 5. Schematische Wellendarstellung mit Parameter. gie auf 10 m Höhe am Standort Wädens- wil auf die Positionen der Windmessungen Mythenquai, Schmerikon und Zürich-Flun- tern in 10 m Höhe transferiert wurde. Die transferierten Klimatologien wurden mit den Mastmessungen auf 10 m Höhe ver- glichen. Der Vergleich bestätigte, dass die Windmodellierung verlässliche Ergeb- nisse liefert. Auf Grundlage der transferier- ten Zeitreihen wurden IDF-Diagramme berechnet. Die IDF-Diagramme zeigen, welche Windgeschwindigkeit mit einer bestimmten Dauer bei verschiedenen Wiederkehrperioden erreicht wird. Dabei sind für die Wellenmodellierung Wieder- kehrperioden von 30, 100 und 300 Jahren und Windereignisse mit einer Dauer von bis zu 10 Stunden von Interesse. Mittels der Zeitreihen für Windgeschwindigkeit Bild 6. Mögliche Bewegungen der Wasserteilchen in einer Welle. «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden 33
2.3 Wellentheorie Auf Basis der Grundlagen «Wind» und «To- pografie» konnten nun die Wellen auf dem Zürichsee berechnet werden. Eine Welle ist eine periodische Be- wegung des Wasserspiegels. Die Oberflä- chenwellen auf dem Zürichsee entstehen durch den windinduzierten Energieeintrag infolge der Reibung an der Wasseroberflä- che. Eine idealisierte Welle wird durch ver- schiedene Parameter beschrieben (Bild 5). In ausreichend tiefem Wasser pflanzen sich Wasserteilchen als oszilla- torische Wellen fort. Beim Passieren einer Welle bewegen sich die Wasserteilchen auf kreisförmigen Bahnen, sogenannten Orbitalbahnen (Bild 6). Diese Bewegung der Wasserteilchen setzt sich bis in eine Tiefe von L/2 (halbe Wellenlänge) fort. Bild 7. Übergang Tiefwasser- zu Flachwasserbereich (d = Wassertiefe, L = Wellen- Der Durchmesser der Kreise nimmt länge). mit der Tiefe exponenziell ab. Ist die Was- sertiefe grösser als L/2, hat der Seeboden keinen Einfluss auf die Bewegungen der Wasserteilchen; hier spricht man vom Tief- wasserbereich. Im Zürichsee mit üblichen Wellenlängen von ca. 12 m bis 25 m be- ginnt der Tiefwasserbereich ab einer Tiefe von 6 m bis 12 m. Nähert man sich dem Ufer bis die Wassertiefe kleiner als L/2 wird, so wer- den die Wellen infolge der Reibung am Seegrund durch verschiedene Prozesse beeinflusst. Hier finden die sogenannten Flachwasserprozesse (Bild 7) statt. In der Natur überlagern sich die einzelnen Wellen und es entsteht der See- gang (Bild 8). Der Seegang kann als line- are Überlagerung von Wellenkomponen- ten aufgefasst werden. Für die Berech- nungen geht man von einer Überlagerung einer grossen Anzahl von sinusförmigen langkämmigen Wellenkomponenten mit unterschiedlicher Richtung, Amplituden und Wellenlängen aus (idealisiertes Mo- dell für lineare Wellentheorie). Gleichzei- Bild 8. Durch Superposition mehrerer Wellen entsteht der Seegang. tig unterliegen die Wellen verschiedenen physikalischen Prozessen, wie z.B. dem sinusförmigen Wellen mit ihrer Frequenz Rund 13.5% aller Wellen sind grösser als Energieeintrag durch Wind, Atmosphäre, lassen sich den entsprechenden Ener- die signifikante Welle. Die mittlere Wellen- der Energiedissipation durch das Brechen giedichten zuordnen. Anhand des so er- höhe in einem Spektrum liegt bei 0.63 der der Wellen usw. mittelten Energiedichtespektrums (Bild 9) signifikanten Wellenhöhe (Hm = 0.63 × Hs). Die mathematische Beschreibung können nun Kenngrössen des Seegangs Verschiedene Forscher haben an- dieser Prozesse sowie die räumliche und bestimmt werden. hand von empirischen Untersuchungen zeitliche Entwicklung des Seeganges er- Wichtige Kenngrössen, mit wel- Wellenspektren ermittelt und diese dann folgen auf der Basis der linearen Wellen- chen der Seegang beschrieben wird, in mathematischen Formeln dargestellt. theorie unter Verwendung der Spektral- sind die signifikante Wellenhöhe Hs = H1/3 Bekannte Spektren sind das Pierson- analyse. Die Wellen auf einem See können und die Peakperiode. Sie sind durch die Moskowitz-Spektrum oder das Jonswap- als Signale eines Zufallsprozesses gedeu- Häufigkeitsverteilung der Wellenhöhen Spektrum für Tiefwasserwellen. tet und damit statistisch untersucht wer- (Bild 10) gegeben. Die signifikante Wellen- Für eine stationäre Windgeschwin- den. Mittels der Fourier-Analyse werden höhe entspricht dem Mittelwert des Drit- digkeit und homogene Windfelder wurden die Wellenkomponenten eines Seegangs tels der höchsten Wellen. Die maximal auf- verschiedene Formeln publiziert, um die in sinusförmige Komponenten mit definier- tretende Welle ist nochmals um den Fak- Seegangsparameter für ingenieurtechni- ten Wellenhöhen und Perioden zerlegt. Die tor 1.86 grösser als die signifikante Welle. sche Anwendungen zu beschreiben. Oft 34 «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden
Bild 9. Energiedichtespektrum eines Seeganges. Bild 10. Häufigkeits- und Summenhäufigkeitsverteilung der Wellenhöhen eines Seeganges [6]. werden die mathematischen Funktionen auch in sogenannten Fetchdiagrammen dargestellt. Aus diesen Diagrammen kann die signifikante Wellenhöhe bei einer ge- gebenen Windgeschwindigkeit, -dauer und Fetchlänge – d.h. die Seelänge, wel- che für den Energieeintrag zur Verfügung steht (vgl. Kap. 2.4) – herausgelesen wer- den. Diese Diagramme stimmen nur für den Tiefwasserbereich. Neben den genannten Frequenz- spektren mit den dazugehörigen Fetchdia- grammen stehen heute auch numerische Modelle zur Verfügung, um die Seegangs- entwicklung zu modellieren. Diesen Pro- grammen liegen teilweise unterschiedli- che Theorien zugrunde. Sie erlauben, die zeitliche Entwicklung eines Seeganges zu berechnen. Zudem kann man auch insta- tionäre Windereignisse (Böen usw.) und nicht lineare Prozesse im Übergangs- und Flachwasserbereich erfassen. Für die Erstellung der Wellenkarte wurde diskutiert, welche Modelle ange- Bild 11. Bestimmung der Fetchlängen für zwölf Sektoren. wandt werden sollen. Die numerischen Modelle sind interessant, um die Wellen- tionäre Windereignisse abzubilden Fetchlängen (= Anlaufstrecken) des Win- bildung in Ufernähe berechnen zu können. oder die Wellenentwicklung zu verfol- des notwendig. Die Fetchlänge hängt Aus folgenden Überlegungen hat man sich gen. Die Wellenkarte soll Maximalwel- sowohl von der Lage des betrachteten jedoch entschieden, keine numerische Si- len liefern. Diese entstehen, wenn sich Uferabschnittes wie auch von der Wind- mulation durchzuführen, sondern sich auf der Seegang voll ausgebildet hat. Auch richtung ab. Je länger die Fetchlänge bei Tiefwasserwellen zu beschränken und mit liegen zu wenige Winddaten vor, um gegebener Windstärke ist, desto mehr Theorien, basierend auf Wellenspektren, auftretende instationäre Windereig- Energieeintrag vom Wind kann erfolgen zu operieren: nisse zu modellieren. Die einfacheren und desto grössere Wellen entstehen. Von • Um den Flachwasserbereich modellie- Ansätze über Frequenzspektren lie- einem fetchbegrenzten Seegang ist aus- ren zu können, müsste der Seegrund- fern diese Maximalwellen im Tiefwas- zugehen, wenn die Windeinwirkung min- verlauf in Ufernähe und dessen Be- serbereich. destens so lange andauert, dass infolge schaffenheit bekannt sein. Diese Daten Die Wellenhöhen in der Wellenkarte des zur Verfügung stehenden Fetches kein liegen nicht vor. Eine Aufnahme des wurden nach der Theorie von K. Richter, weiterer Energieeintrag mehr möglich ist. Seegrundes entlang des Ufers wäre welche auf dem Jonswap-Spektrum ba- Ist die Winddauer kürzer, so spricht man zu aufwendig. Somit können die Vor- siert, bestimmt (vgl. Kap 2.5). von dauerbegrenztem Seegang. teile der numerischen Modellierung in Zieht man vom Betrachtungspunkt Ufernähe nicht genutzt werden. 2.4 Bestimmung der Fetchlängen einen Strahl gegen die Windrichtung, so • Es ist nicht Ziel der Wellenkarte, insta- Für die Wellenberechnung sind die entspricht die Fetchlänge der Strecke zwi- «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden 35
schen Betrachtungspunkt und Schnitt- punkt Strahl mit gegenüberliegender Ufer- linie. Für jede Richtung ergibt sich somit eine andere Fetchlänge. Für die IDF-Wind- diagramme wurden Sektoren von 30 Grad gebildet. Für jeden Sektor wurde ein IDF- Diagramm erzeugt. Innerhalb eines Sek- tors wurde jeweils die längste Fetchlänge als massgebend erachtet und damit wur- den die weiteren Wellenberechnungen durchgeführt. 2.5 Bestimmung der Tiefwasserwellen Mithilfe der Wellentheorie nach K. Richter können nun die Tiefwasserwellen für jeden Uferabschnitt und jede Windrichtung er- mittelt werden. Dabei sind die IDF-Dia- gramme und die bestimmten Fetchlängen die Ausgangsgrössen. Fetchbegrenzter Seegang (siehe Kap. 2.3) Bild 12. Beispiel von Refraktion, einer der möglichen Flachwasserprozesse. durch Veränderung der Energietrans- Um die ufernahen Prozesse richtig (1) portgeschwindigkeit beurteilen zu können, sind daher oft zusätz- • Brechen: Energieumwandlung als liche Grundlagenerhebungen erforderlich. Dauerbegrenzter Seegang (siehe Kap. 2.3) Folge der Überschreitung der Grenz- Insbesondere der genaue Uferverlauf und steilheit, bzw. einer Wassertiefenbe- Seegrundverlauf in der Übergangs- und grenzung Flachwasserzone müssen aufgenommen • Bodenreibung werden. Auch die Beschaffenheit des See- (2) Trifft die Welle auf das Ufer, kommt es zu grundes (Körnung,) kann für gewisse Fra- weiteren Prozessen: gestellungen (z.B. Erosionsprozesse) eine H Wellenhöhe [m] • Wellenreflektion: Durch ein Hindernis erforderliche Information sein. x Fetchlänge [m] wird der Schwingungsvorgang der U Windgeschwindigkeit auf 10 m Höhe Welle gestört 3.2 Bemessungswelle [m/s] • Auflaufen der Welle (bei flachen Ufer- Die Angaben aus der Wellenkarte bilden t Winddauer [s] böschungen) eine Grundlage für die Dimensionierung g Erdbeschleunigung [m/s2] • Wellentransmission: Ein Teil der Wel- von Bauwerken. Aus der Wellenkarte re- lenenergie wird transmittiert (Wellen- sultiert die signifikante Wellenhöhe für das 3. Anwendung der Wellenkarte brecher, usw.) 30-, 100- und 300-jährliche Ereignis. Wel- • Wellendiffraktion: Ausbreitung der che Wellenkräfte für die Dimensionierung 3.1 Prozesse in Ufernähe Wellen hinter einem Hindernis, z.B. eines Bauwerkes herangezogen werden, Aus der Wellenkarte können die Wellen vor einer Buhne oder Mole hängen von dessen Nutzung, Bedeutung, einer Uferzone im Tiefwasserbereich her- • Wellenüberlauf angestrebter Lebensdauer und akzeptier- ausgelesen werden. Nähern sich die Wellen Der Zürichsee hat eine längliche tem Risiko ab. Es ist Sache des Ingeni- dem Ufer, so werden sie durch den Uferver- Form und erstreckt sich von Nordwesten eurs, sich diesbezüglich Überlegungen zu lauf, durch vorhandene Bauwerke und die Richtung Südosten. Die Windrichtungen, machen und die Jährlichkeit der Bemes- Bodenreibung beeinflusst. Die sogenann- welche die grössten Wellen auf dem See sungswelle festzulegen. ten Flachuferprozesse beschreiben diese induzieren, wehen aus den Richtungen Bauwerke werden gemäss Norm Beeinflussung. Es handelt sich dabei um Nordwesten und Südosten. Dies führt SIA 260 normalerweise auf eine Nutzungs- nicht lineare Prozesse, welche in der Fach- dazu, dass in einigen Uferabschnitten dauer von 50 bis 100 Jahren ausgelegt. Die literatur ausführlich beschrieben sind. Für die grössten Wellen einen uferparallelen Wahrscheinlichkeit, dass ein 100-jährli- die Beurteilung der Wellenentwicklung in Verlauf aufweisen. Speziell uferparallele ches Ereignis mindestens einmal auftritt, Ufernähe braucht es Wasserbauerfahrung Wellen werden durch den kleinräumlichen liegt bei einer angenommenen Bauwerks- und Kenntnis der Wellentheorie. Uferverlauf stark beeinflusst. Geschwun- lebensdauer von 50 Jahren bei 40%. Der Bei den Flachwasserprozessen unter- gene Uferverläufe, Landzungen, Halb- Ingenieur muss sich überlegen, wie er die scheiden wir zwischen: inseln usw. können solche Wellen örtlich Bemessungswelle ansetzt. Dies hängt • Refraktion: Tiefenparalleles Ein- stark abschwächen und ablenken. Nur von der Bedeutung und dem Tragverhal- schwenken der Wellenberge (Bild 12) mittels einer situativen, fachmännischen ten (Trägheit, Beweglichkeit, Robustheit, • Shoaling: Veränderung der Wellen- Beurteilung am Betrachtungspunkt kön- usw.) des Bauwerkes oder des betrachte- länge, Wellenhöhe und Fortschrittge- nen solche Einflüsse auf die Wellenaus- ten funktionalen Grenzwertes (Tragfähig- schwindigkeit mit der Wassertiefe; breitung abgeschätzt werden. keit, Überlauf, Erosion usw.) und der ak- 36 «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden
zeptierten Auftretenswahrscheinlichkeit der Bemessungswelle ab. Auch muss bei der Berechnung nach Norm SIA 260 der angesetzte Lastfaktor bei der Bestimmung der Bemessungswelle mitberücksichtigt werden. Bei einem höher angesetzten Lastfaktor wird mit einer kleineren Welle gerechnet und umgekehrt. Für Gebrauchstauglichkeits- und Ermüdungsüberlegungen sind die in der Wellenkarte aufgeführten Extremwellen nicht geeignet. Für solche Betrachtungen sollte man auf durchschnittlichen Wellen basieren. Auch sind die Häufigkeit und die Dauer der Wellenereignisse zu berück- sichtigen. Bild 13. Naturansicht des modellierten Gebietes mit Blick in die Hauptwindrichtung. Im 4. Praktische Beispiele Vordergrund sind die Riffs zu sehen. 4.1 Beispiele im technischen Bericht Im technischen Bericht zur Wellenkarte werden zwei praktische Beispiele darge- stellt und deren Berechnung dargelegt. Es handelt sich um die Berechnung einer Hafenmole und die Dimensionierung eines Flachufers. Die Beispiele sollen zeigen, wie aufgrund der Angaben der Wellenkarte und der Beurteilung der ufernahen Pro- Bild 14. Geländemodell für die Simulation. zesse Dimensionierungen vorgenommen werden können. Die nachfolgenden Darstellungen und Richterswil beim neu erstellten See- Das Beispiel des Flachufers wurde wurden mit dem Programm «gerris» erstellt uferweg. Es ist ein Streifen von 450 m × noch numerische simuliert (Kap. 4.2). Mit (gfs.sourceforge.net), einem freien CFD- 150 m, welcher sich vom Tiefwasserbe- dieser Berechnung wollte man testen, wie Solver, welcher auf dem octree-Verfahren reich bis zum Ufer erstreckt. Die Orientie- weit die Prozesse im Uferbereich theore- basiert. Mit diesem Verfahren werden die rung des Ufers ist so, dass die grössten tisch erfasst und abgebildet werden können. Gleichungen in kubischen Zellen mittels fi- Wellen aus nordwestlicher Richtung direkt niter Volumen gelöst. Je nach Bedarf kann ins Gebiet hineinlaufen, die Randbedin- 4.2 Numerische Simulation des eine Zelle in der laufenden Rechnung re- gung also einfach gehalten werden kann Wellengangs am Seeufer kursiv in acht Unterzellen aufgeteilt wer- (Bild 13). Bis die im Tiefenwasserbereich entstan- den, bis die gewünschte Feinheit erreicht Die modellierten Wellen entspre- denen Wellen am Ufer aufgelaufen sind ist. Mit dieser Methode ergeben sich ein- chen dem 100-jährlichen Extremereignis und dort ihre Wirkungen entfalten können, fache Zellengleichungen und es existieren mit einer Wellenhöhe von 1.4 m und einer müssen sie einige Veränderungen über robuste Lösungsalgorithmen. Dafür müs- Wellenlänge von 30 m. So muss die Was- sich ergehen lassen. Sie werden eventuell sen alle Oberflächen, welche quer durch sertiefe am linken Modellrand mindestens von ihrer ursprünglichen Richtung abge- die Zellen verlaufen, mit aufwendigeren 15 m betragen, damit es sich noch um Tief- lenkt, sie können brechen, sie interagieren Verfahren (Volume of Fluid, VOF) appro- wasserwellen handelt. Das Geländemodell mit dem Seegrund. All diese Prozesse sind ximiert werden. wurde mittels der bathymetrischen Karte komplex und können mit den bekannten Das untersuchte Gebiet befindet und den Plänen der beiden Riffs erstellt, Näherungsformeln nur entlang eines ein- sich am Zürichsee, zwischen Wädenswil welche sich im Untersuchungsgebiet be- zelnen Strahles beschrieben werden. Eine andere Herangehensweise besteht in der numerischen Simulation eines Ufer- abschnittes. Da es sich um einen Über- gangsbereich handelt, können keine Ver- Bild 15. Simulation einfachungen eingesetzt werden. Es muss des Wellengangs das vollständige Set der Navier-Stokes- bei einem Extrem- Gleichungen gelöst werden, inklusive dem ereignis. In der Tracking der freien Oberfläche. Um ein ver- Bildmitte ist eine nünftig grosses Gebiet in genügend feiner brechende Welle Auflösung zu bearbeiten, braucht es eine zu sehen; darunter gute Adaption der Zellengrösse an das befindet sich das physikalische Problem. Riff. «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden 37
Empfehlungen des Arbeitsausschusses «Ufer- einfassungen» Häfen und Wasserstrassen EAU 2004, 10. Auflage, Ernst & Sohn Verlag für Archi- tektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin, 2005. Huber, A., Hächler, Hp., Ziemer, F. (1984): Wel- lenmessungen auf dem Walensee, Mitteilungen der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie ETH, Zürich. Mai, S., Peasler, C., Zimmermann, C. (2004): Bild 16. Ansicht von oben. Gut zu erkennen ist, wie die Wellen abgelenkt werden Wellen und Seegang an Küsten und Küsten- (Refraktion) und ans Ufer branden. bauwerken mit Seegangsatlas der Deutschen Nordküste, Vorlesungsergänzungen des Lehr- stuhls für Wasserbau und Küsteningenieurwe- sen Franzius-Institut, Universität Hannover. Schlund, R.A. (1972, 1975): Pläne der Tiefen- kurve des Zürichsees im Kanton Zürich. Shore Protection Manual, Volume I by U. S. Army Coastal Engeneering Research Center, 2001. Trokay, Y. (2011): Foehn wind generating waves on Lake Zurich, Institute for Atmospheric and Bild 17. Die Geschwindigkeitsverteilung am Boden zeigt die Stärke der Grundström- Climate Science ETH, Zurich, March. ungen und wo Sediment verfrachtet werden kann. Wasserbauliche Mitteilungen, Wellen – Progno- sen – Wirkungen – Befestigungen, Institut für finden (Bild 14). Grössen an jedem Punkt gespeichert sind. Wasserbau und Technische Hydromechanik, Am linken Modellrand muss die So lassen sich interessante Auswertungen Technische Universität Dresden, 1996. Welle definiert werden, dies geschieht machen. Als Beispiel hierfür ist im Bild 17 durch die Vorgabe der auf Orbitalbahnen der Geschwindigkeitsbetrag am Seegrund Anschrift der Verfasser kreisenden, mit der Tiefe abnehmenden zu sehen. Damit lässt sich aufgrund der Richard Staubli, dipl. Ing. ETHZ, Ingenieurbüro Geschwindigkeitsvektoren. An den Seiten Geschwindigkeiten abschätzen, welche Staubli, Kurath & Partner AG des Rechengebietes besteht eine Sym- Schubspannungen auftreten und wel- richard.staubli@wasserbau.ch metriebedingung, das Ufer ist als feste che Sedimentkörner mitgerissen werden. Stephanie Matthias, M.Sc. ETHZ., Ingenieur- Berandung definiert. Ausser der Wellen- Aus einer Zeitfolge solcher Darstellungen büro Staubli, Kurath & Partner AG bewegung am Einströmrand muss nichts könnte dann mitverfolgt werden, wo Sedi- stephanie.matthias@wasserbau.ch mehr vorgegeben werden, alles andere ment erodiert und wieder abgelagert wird. Andreas Huber, Dr. dipl. Ing. ETHZ beratender entsteht dann sozusagen von selbst im In- Ingenieur neren des Rechengebietes. Literatur huber.andreas@ggaweb.ch Eine virtuelle Beobachterin würde Brinkmann, B. (2005): Seehäfen, Planung und Felix Hermann, Dr. dipl. Ing. ETHZ, Amt für Ab- in Ufernähe etwa das Bild 15 sehen. In Entwurf, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. fall, Wasser, Energie und Luft Bildmitte ist gerade eine sich brechende Bruschin, Jaques (1974); Vagues de bise sur le felix.hermann@bd.zh.ch Welle zu sehen. Die Wellenhöhe hat bis Petit-Lac, I Prévision et analyse, II Stations de Silke Dierer, Dr. rer. nat. (Meteorology), Meteo- zum Auftreffen am Ufer nur wenig abge- mesure; Etude éffectuée pour le Département test nommen – sie beträgt immer noch mehr des Travaux Publics du Canton de Genève, silke.dierer@meteotest.ch als 1 m. Juillet 1974 EPFL, Département de génie civil, Stefano Pellandini, dipl. Ing. ETHZ, Projektlei- Von den Riffen ist nur zeitweise Laboratoire d’hydraulique. ter Wasserbau, Amt für Abfall, Wasser, Energie etwas zu sehen. Aus der Vogelperspek- Bruschin, Jaques, Falvey, Henry (1975); Va- und Luft tive sieht die Szenerie dann wie in Bild 16 gues de vent sur un plan d’eau confiné, Con- stefano.pellandini@bd.zh.ch. aus: Es ist gut zu erkennen, wie die Wellen sidérations générales et application au Léman dort brechen, wo das Ufer flacher wird, (Petit-Lac) Communication du Laboratoire und wie die Wellen zum Ufer hin abgelenkt d’hydraulique de l’EPFL, Bulletin techniques werden (Refraktion). Wie in der Wellenthe- de la Suisse romande – 101e année – No 14-3 orie beschrieben, laufen sie nicht parallel juillet 1975. ans Ufer, sondern mit einem Winkel von Bruschin, Jaques, Schneiter, Louis (1978); Ca- etwa 30 Grad. ractéristiques des vagues dans les lacs pro- Eine solche numerische Simulation fonds, Vagues de bise sur le Léman (Petit-Lac) – ist sehr aufwendig. Sie kann den Wellen- Campagne de mesures 1974–1978, Bulletin verlauf in der Flachwasserzone jedoch gut techniques de la Suisse romande – 104e année erfassen und abbilden. Der grosse Vorteil – No 19–14 septembre 1978. solcher Simulationen besteht auch darin, Die Küste, Archiv für Forschung und Technik an dass in der grossen Datenmenge (ein ein- der Nord- und Ostsee, EAK 2001, Empfehlun- zelner Zeitpunkt belegt gut 700 MB) alle gen für Küstenschutzwerke. 38 «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 1, CH-5401 Baden
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