Die Behandlung der sozialen Angststörung und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung in der Versorgung: eine naturalistische Studie zu einer ...
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english translation available DOI:10.1159/000497738 Originalarbeit / Research Article Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 Published online: 6. Juni 2019 DOI: 10.1159/000497620 Die Behandlung der sozialen Angststörung und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung in der Versorgung: eine naturalistische Studie zu einer kombinierten Einzel- und Gruppentherapie Johanna Boettcher Anna Weinbrecht Manuel Heinrich Babette Renneberg Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland Schlüsselwörter starken Anstieg der Selbstwirksamkeit (d = 1,1). Während der Effectiveness · Gruppentherapie · Soziale Phobie · Gruppentherapie nahmen die sozialen Ängste am stärksten Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ab. ÄVPS war kein signifikanter Prädiktor für den Therapie erfolg. Diskussion: Die Effektstärken der kombinierten Be- handlung sind mit denen anderer Studien in der Routinever- Zusammenfassung sorgung vergleichbar. Patient*innen mit ÄVPS erlebten ähn- Hintergrund: Eine Vielzahl von randomisiert-kontrollierten liche Therapieerfolge wie Patient*innen ohne ÄVPS. Studien belegen die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltens- © 2019 S. Karger AG, Basel therapie (KVT) für soziale Ängste. Die Wirksamkeit der KVT unter Routinebedingungen wurde allerdings seltener unter- sucht. In den wenigen naturalistischen Studien werden Er- Treatment of Social Anxiety Disorder and Avoidant gebnisse ausschließlich für die soziale Angststörung (SAS) Personality Disorder in Routine Care: A Naturalistic berichtet. Befunde für die ängstlich-vermeidende Persön- Study of Combined Individual and Group Therapy lichkeitsstörung (ÄVPS) stehen noch gänzlich aus. Die vor liegende Studie untersucht die Wirksamkeit einer kombi- nierten Gruppen- und Einzeltherapie für SAS und ÄVPS in Keywords der Routineversorgung. Methode: Einhundert und fünf Pa Effectiveness · Group therapy · Social phobia · Avoidant tient*innen mit SAS, von welchen 36% komorbid mit ÄVPS personality disorder diagnostiziert waren, nahmen an einer Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie teil. Die Patient*innen füllten zu Beginn der Einzeltherapie, vor der Gruppentherapie, nach Abstract der Gruppentherapie und am Ende der Einzeltherapie Frage- Background: Cognitive behavioral therapy (CBT) in a bögen aus. Ergebnisse: Die Behandlung führte zu einer star- group or individual format has proven effective for treat- ken Verbesserung sozialängstlicher Symptome (d = 1,1), zu ing social anxiety in numerous randomized controlled tri- einer Verringerung depressiver Symptome (d = 1,0) und all- als. Studies in routine care are rare and focus exclusively gemeiner psychischer Beschwerden (d = 1,1) sowie zu einem on social anxiety disorder (SAD). Findings for avoidant karger@karger.com © 2019 S. Karger AG, Basel Johanna Boettcher www.karger.com/ver Klinische Psychologie und Psychotherapie, Freie Universität Berlin Habelschwerdter Allee 45 DE–14195 Berlin (Deutschland) E-Mail johanna.boettcher @ fu-berlin.de
personality disorder (AVPD) are missing. The current ef- [für eine ausführliche Diskussion siehe Weinbrecht et al., fectiveness study evaluates a combination of group and 2016]. individual CBT for patients with SAD with or without Die SAS ist gut behandelbar. Insbesondere die ko AVPD. Methods: One hundred and five patients diag- gnitive Verhaltenstherapie (KVT) verfügt über robus- nosed with SAD with or without comorbid AVPD complet- te Wirksamkeitsbelege. Jüngste Metaanalysen berichten ed a combination of group and individual CBT. We admin- über Effektgrößen aus randomisierten Kontrollstudien istered outcome measures prior to individual therapy, von d = 0,70–1,19 im Vergleich zu Wartelistenkontroll- prior to group therapy, after group therapy, and after in- gruppen [Acarturk et al., 2009; Mayo-Wilson et al., 2014; dividual therapy. Results: Patients experienced a strong Barkowski et al., 2016]. Für die ÄVPS ist die Befundlage decline in social anxiety symptoms (d = 1.1), depression begrenzter, da Studien zur Behandlung von SAS es meist (d = 1.0), and general mental distress (d = 1.1). They also versäumen, Ergebnisse für Personen mit (komorbider) showed a large increase in self-efficacy (d = 1.1). Descrip- ÄVPS separat darzustellen. Einige Studien untersuchten, tively, the largest decreases in social anxiety occurred dur- ob die komorbide Diagnose einer ÄVPS den Behand- ing the group treatment. Controlling for pretreatment se- lungserfolg schmälert und Personen mit einer komorbi- verity and depression, a comorbid diagnosis of AVPD was den ÄVPS weniger von der Behandlung profitieren als not associated with symptom improvement during treat- Personen ohne ÄVPS. Die große Mehrheit der Studien ment. Discussion: The results of the combined treatment fand keinen solchen Zusammenhang [Brown et al., 1995; were comparable to those of other effectiveness studies. Hope et al., 1995; Feske et al., 1996; van Velzen et al., 1997; Group treatment seemed to accelerate change in social Scholing und Emmelkamp, 1999; Huppert et al., 2008; fears. Patients with AVPD showed the same average im- Borge et al., 2010]. Zwei Studien fanden schlechtere Er- provements as patients without comorbid AVPD. gebnisse für Personen mit komorbider ÄVPS auf min © 2019 S. Karger AG, Basel destens einem Outcome-Maß [Chambless et al., 1997; Oosterbaan et al., 2002]. Neben Hinweisen aus der Lite- ratur zur SAS gibt es auch einige Studien, die speziell die Behandlung der ÄVPS in den Fokus nehmen. Diese be- Einführung richten über eine moderate bis starke Reduktion der so- zialen Angstsymptome und moderate Remissionsraten Die soziale Angststörung (SAS) ist eine der häufigsten für die Diagnose der ÄVPS [z.B. Renneberg et al., 1990; psychischen Störungen in westlichen Ländern. Die Le- Emmelkamp et al., 2006; Strauss et al., 2006; Rees und benszeitprävalenzrate variiert zwischen 6,6 und 12,1% in Pritchard, 2015]. Europa und Nordamerika [Fehm et al., 2005; Kessler et Die KVT für SAS und ÄVPS kann im Einzel- oder al., 2005]. Eng mit der SAS verbunden und daher hoch Gruppenformat angewendet werden. Es wird derzeit leb- komorbide ist die ängstlich-vermeidende Persönlich- haft darüber diskutiert, welches Behandlungsformat für keitsstörung (ÄVPS). Sie tritt bei 40–88% der Fälle einer sozial ängstliche Patient*innen vorzuziehen ist [z.B. generalisierten SAS auf. Diese derart starke Überlappung Aderka, 2009]. Jedes Format hat seine Vorteile. Die Grup- führt dazu, dass es eine rege Diskussion darüber gibt, ob pentherapie aktiviert spezifische Wirkmechanismen: Ko- die ÄVPS und SAS überhaupt qualitativ unterschiedliche häsion, Informationsaustausch, Lernen am Modell und Phänomene sind. Viele Studien stützen die Hypothese die Universalität des Leidens [Fiedler, 2005]. Diese kön- eines Kontinuums, wo ÄVPS und SAS als Ausdruck des- nen die Wirkung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen selben Konstrukts (soziale Angst) betrachtet werden. Die Interventionen verstärken. Darüber hinaus bieten Grup- ÄVPS stellt dabei die schwerwiegendere Form dar und ist pensitzungen eine kontinuierliche Exposition für sozial mit stärkeren Beeinträchtigungen in allen Funktionsbe- ängstliche Patient*innen. Die Einzeltherapie hingegen reichen verbunden [z.B. Bögels et al., 2010]. Andere Stu- garantiert mehr Zeit für die detaillierte Exploration der dien konzentrieren sich auf spezifische Merkmale, die für spezifischen Überzeugungen des Einzelnen und die Ge- Patient*innen mit ÄVPS, nicht aber für Patient*innen staltung von individuell zugeschnittenen Verhaltensex- mit SAS, charakteristisch sind [z.B. emotionale Zurück- perimenten. Einige Autor*innen argumentieren auch, haltung: Marques et al., 2012]. Offenbar hängt die Ab- dass die soziale Situation einer Gruppensitzung für einige grenzung der SAS von der ÄVPS weitgehend davon ab, Patient*innen zu angstprovozierend sein kann und somit wie breit man das Konstrukt der sozialen Angst definiert. den Lernprozess behindert [Stangier et al., 2003]. Bisher Breitere Definitionen sozialer Angst (einschließlich ihrer untersuchte nur eine Studie eine Kombination aus Grup- Auswirkungen auf das Selbstbild und die Beziehungen zu pen- und Einzeltherapie. Olivares-Olivares et al. [2008] anderen) unterstützen die Kontinuums-Hypothese, wäh- konnten zeigen, dass zusätzliche Einzelsitzungen die rend ein engeres Verständnis sozialer Angst die qualita- Wirksamkeit einer Gruppenbehandlung für sozial ängst- tiven Unterschiede zwischen ÄVPS und SAS hervorhebt liche Jugendliche verbessern. Es scheint naheliegend, 190 Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 Boettcher/Weinbrecht/Heinrich/ DOI: 10.1159/000497620 Renneberg
dass die Kombination von Gruppen- und Einzelbehand- lung eine wertvolle Option für Personen mit SAS sein kann. Während die Evidenz für die Wirksamkeit der KVT unter kontrollierten Forschungsbedingungen für die SAS und in geringerem Maße auch für die ÄVPS robust ist, sind die Daten über die Wirksamkeit dieser Behand- lungen in der klinischen Routine lückenhafter. Natura listische Effectivenessstudien sind wichtig um festzustel- len, wie gut eine Behandlung in der Praxis funktioniert. Um die externe Validität zu maximieren, wenden Ef fectivenessstudien weniger Einschlusskriterien an (z.B. schließen sie bestimmte Komorbiditäten nicht aus), wen- den keine Manuale an oder kontrollieren nicht die Ein- haltung der vorhandenen Manuale und machen keine Einschränkungen hinsichtlich des Abstands und der An- zahl der Sitzungen. Vier Studien zur SAS untersuchten, ob die guten Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien in der Routineversorgung Bestand hatten. Alle Studien konnten die Wirksamkeit in der Routineversor- gung bestätigen und zeigten einen moderaten bis starken Rückgang der sozialen Ängste (d = 0,7–1,0) [Lincoln et al., 2003; Gaston et al., 2006; McEvoy, 2007; Crecelius und Hiller, 2014]. Alle diese Studien wendeten nur wenige Ausschlusskriterien an. Drei von ihnen verwendeten ein der Routineversorgung ähnliches Rekrutierungsverfah- ren. Drei wendeten ein Manual an. Eine weitere, kürzlich Abb. 1. Patient*innenfluss und Anzahl der ausgefüllten Fragebö- publizierte Studie untersuchte die KVT für soziale Ängs- gen zu allen Messzeitpunkten. BDI-II, Beck Depression Inventory; te in der Routineversorgung und zeigte eine starke Re- BSI_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom duktion der Symptomatik bei 77 eingeschlossenen Pa Inventory; GSE, General Self-Efficacy Scale; GSI, Global Severity tient*innen [Hoyer et al., 2017]. Es ist jedoch anzumer- Index des Brief Symptom Inventory; SIAS, Social Interaction Anx- ken, dass die Verfahren und Ausschlusskriterien in dieser iety Scale; SPS, Social Phobia Scale. Studie denen einer randomisiert-kontrollierten Studie sehr ähnlich waren, sodass die Ergebnisse die Realität in der Routineversorgung möglicherweise nicht abbilden. Bisher hat keine der Effectivenessstudien die Auswir- lungsformen verglichen. Der Einfluss einer komorbiden kungen einer komorbiden Diagnose der ÄVPS unter- Diagnose einer ÄVPS auf die Symptomverbesserung sucht. Es bleibt unklar, ob schwer beeinträchtigte Pa während der Behandlung wird berücksichtigt. tient*innen in der Routineversorgung von der KVT in gleichem Maße profitieren wie weniger schwer beein- trächtigte Patient*innen. Darüber hinaus wurden in allen Methoden früheren Effectivenessstudien entweder Gruppen- oder Teilnehmende und Verfahren Einzeltherapien evaluiert. Die aktuelle Studie untersuchte Die Studie wurde an unserer Hochschulambulanz durchge- eine Kombination aus Einzel- und Gruppenbehandlung. führt. In dieser Ambulanz behandeln approbierte KVT-Thera Die Studie folgte einem naturalistischen, unkontrol- peut*innen erwachsene Patient*innen. Die Behandlungskosten lierten Design. Sie hatte das Ziel, mögliche Verbesse- werden von den Krankenkassen übernommen. Nach einem ersten Aufnahmegespräch unterziehen sich die Patient*innen dem rungen in der sozialängstlichen Symptomatik durch die Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV (SKID) Achse-I- kombinierte Behandlung zu evaluieren. Wir beschreiben und Achse-II-Störungen [Fydrich et al., 1997; Wittchen et al., Veränderungsraten in verschiedenen Behandlungspha- 1997], welches von ausgebildeten und supervidierten Masterstu- sen (Einzeltherapie, Gruppentherapie, weitere Einzelthe- dierenden der Psychologie durchgeführt wird. rapie), um einen Eindruck davon zu bekommen, wann Für die aktuelle Studie wurden Patient*innen mit einer Primär- diagnose der SAS oder einer ÄVPS eingeladen, zusätzlich zu ihrer Veränderungen auftreten. Da diese Studie in der Routi- Einzeltherapie an einer standardisierten Gruppenbehandlung teil- neversorgung durchgeführt wurde, haben wir die kombi- zunehmen. Die Einzeltherapeut*innen entschieden, für wen die nierte Behandlung nicht direkt mit anderen Behand- zusätzliche Gruppenbehandlung geeignet erschien, und erläu- Gruppen- und Einzeltherapie für SAS und Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 191 ÄVPS DOI: 10.1159/000497620
terten die Vorteile des kombinierten Ansatzes. Die Patient*innen viduelles kognitives Modell ihrer sozialen Ängste, welches die Rol- begannen mit der Einzeltherapie und wurden dann zur nächsten le einer negativ verzerrten Selbstwahrnehmung in sozialen Situa- verfügbaren Gruppenbehandlung eingeladen. Nach 6 Wochen tionen veranschaulicht. Die Teilnehmenden führten Rollenspiele Gruppentherapie setzten die Patient*innen ihre Einzeltherapie mit Video-Feedback durch. Der zweite Behandlungstag war Ver- fort und schlossen diese ab. Wir analysierten die Daten aller haltensexperimenten zur Auswirkung von Sicherheitsverhalten Patient*innen, die sich zwischen Januar 2010 und November 2016 und Selbstaufmerksamkeit gewidmet. Die Teilnehmenden erstell- dem kombinierten Behandlungsansatz unterzogen hatten. Für die ten eine Hierarchie von Angst auslösenden Situationen. Die dritte aktuelle Studie wählten wir keine spezifischen Ein- oder Aus- Sitzung (2,5 Stunden) konzentrierte sich auf negative automa- schlusskriterien. tische Gedanken und ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung sozialer Abbildung 1 zeigt den Patient*innenfluss. Insgesamt wurden Ängste. Die Patient*innen entwickelten alternative, hilfreiche Ge- 105 Patient*innen in die Kombinationsbehandlung aufgenom- danken und testeten deren Einfluss auf die soziale Angst in Rollen- men. Von diesen füllten 5 (4,8%) das primäre Outcome-Maß vor spielen. Die vierte Sitzung widmete sich Verhaltensexperimenten der Behandlung nicht aus, 7 (6,7%) füllten das primäre Outcome- zum pre-event processing. Die Bedeutung von post-event processing Maß vor der Gruppentherapie nicht aus, und von 26 (24,8%) bzw. wurde diskutiert. In der fünften Sitzung lag der Fokus auf den kör- 32 (30,5%) fehlten die Daten zum primären Outcome nach der perlichen Symptomen sozialer Angstzustände. In Rollenspielen Gruppen- bzw. am Ende der Einzeltherapie. Die Raten fehlender unternahmen die Patient*innen den Versuch, die körperlichen Werte bei anderen Fragebögen waren höher (Abb. 1), was auf or- Symptome zu intensivieren und beobachteten, wie sich dies auf ganisatorische Probleme zu Beginn der Studie zurückzuführen ist. ihre sozialen Ängste auswirkte. In der sechsten Sitzung führten die Für 4 Teilnehmende waren keine Informationen über das SKID Patient*innen Rollenspiele zu relevanten sozialen Standardsituati- verfügbar. Zum Zeitpunkt der Datenanalyse befanden sich 16 onen durch (z.B. Small Talk auf einer Party). In der siebten Sitzung Patient*innen (15%) noch in einer Einzeltherapie mit durch- wurde die Prävention von Rückfällen thematisiert. Am Ende jeder schnittlich 39,7 absolvierten Sitzungen (SD = 8,4). Neunundsieb- Sitzung wurden für jede/n Patient*in Hausaufgaben mit besonde- zig Patient*innen (75%) hatten die Therapie mit durchschnittlich rem Schwerpunkt auf der Durchführung von Verhaltensexperi- 35,2 (SD = 20,6) Einzelsitzungen abgeschlossen. Zehn Patient*innen menten formuliert. (10%) hatten die Einzelbehandlung nach durchschnittlich 29,0 (SD = 13,3) Sitzungen abgebrochen. Nur zwei Patient*innen hat- Erhebungsinstrumente ten das Gruppenprogramm vorzeitig beendet. Der Abbruch der Die Fragebögen wurden vor der Einzelbehandlung, vor der Gruppentherapie hatte keine Auswirkungen auf die Einzelthera- Gruppenbehandlung, nach der Gruppenbehandlung und am Ende pie. Zum Zeitpunkt der Datenanalyse hatten die Patient*innen im der Einzelbehandlung ausgefüllt. Durchschnitt über alle Patient*innen hinweg 36 Stunden Einzel- Als primäres Outcome-Maß wurde die Subskala Interperso- therapie (SD = 18) absolviert. nelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory (BSI_IS) [deutsche Fünfundfünfzig Prozent der Patient*innen waren weiblich. Version: Franke, 2000] gewählt, da dieses Maß für die meisten Das Durchschnittsalter betrug 34 Jahre (SD = 9). Die Mehr- Teilnehmenden verfügbar war. Das BSI_IS bewertet Gefühle der heit der Teilnehmenden war hochgebildet. Dreißig Patient*innen Unzulänglichkeit und Verlegenheit in sozialen Situationen mit (35,3%) hatten das Abitur absolviert und fast die Hälfte von ihnen vier Items auf einer 5-Punkte-Likertskala (0–4). Für Psychothera- hatte einen Universitätsabschluss (47,1%). Nur 20% unserer Pa pie-Patient*innen zeigte das BSI_IS gute psychometrische Eigen- tient*innen waren zu Beginn der Studie in einer Beziehung. Sechs- schaften und hohe Korrelationen mit anderen Skalen der Sozial- unddreißig Prozent der Patient*innen erfüllten die diagnostischen phobie [Geisheim et al., 2002]. Als sekundäre Outcome-Maße Kriterien der ÄVPS. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (55%) wurden die Angst vor sozialen Leistungssituationen mit der Social erfüllten die Kriterien für eine andere aktuelle Störung der Achse Phobia Scale (SPS) und die Angst vor Interaktionssituationen mit I. Die häufigsten komorbiden Erkrankungen waren depressive der Social Interaction Anxiety Scale (SIAS) [deutsche Version: Störungen und andere Angststörungen. Patient*innen, die die Stangier et al., 1999] erfasst. Depressive Symptome wurden mit Therapie abgebrochen hatten, wurden mit denen verglichen, die dem Beck Depression Inventory (BDI-II) gemessen [deutsche die Behandlung abgeschlossen hatten. Patient*innen, die die Be- Version: Hautzinger et al., 2000]. Darüber hinaus wurden die handlung abgebrochen hatten, waren signifikant jünger als Pa Selbstwirksamkeit mit der 10-Item-Skala für die allgemeine Selbst- tient*innen, die in der Intervention geblieben waren (t(16,89) = wirksamkeit [General Self-Efficacy Scale (GSE): Jerusalem und –2,61, p = 0,02), unterschieden sich aber nicht hinsichtlich anderer Schwarzer, 1986] und die allgemeine psychische Belastung mit demographischer oder klinischer Variablen (alle p-Werte >0,28) dem Global Severity Index (GSI) des BSI [Franke, 2000] gemessen. oder hinsichtlich primärer und sekundärer Outcome-Maße zu Studienbeginn (alle p-Werte >0,30). Statistische Analysen Die Mittelwertunterschiede zwischen benachbarten Messzeit- Interventionen punkten (vor Einzeltherapie, vor Gruppentherapie, nach Grup- Einzeltherapie. Die Patient*innen erhielten KVT. Die Behand- pentherapie, nach Einzeltherapie) wurden mit Hilfe von Single- lung war nicht manualisiert. Auch komorbide Beschwerden wur- Indicator Latent Change (LC)-Score-Modellen untersucht [New- den berücksichtigt. som, 2015]. Insgesamt ähnelt der LC-Ansatz der Berechnung von Gruppentherapie. Die Gruppentherapie folgte einem für den ANOVAs/t-Tests [Coman et al., 2013]. Der LC-Ansatz erleichtert Einsatz in der Ambulanz entwickelten Manual. Das Manual ver- jedoch die Einbeziehung mehrerer imputierter Datensätze sowie eint Elemente der kognitiven Therapie [Stangier et al., 2009], der die Berücksichtigung von Clustering. Zuerst wurde die Gesamt- KVT-Gruppentherapie [Heimberg und Becker, 2002] und der in- veränderung nur unter Berücksichtigung des ersten und letz- tensiven Kurzzeittherapie der ÄVPS [Renneberg et al., 1990]. Die ten Messzeitpunkts untersucht. Danach wurden schrittweise die Gruppensitzungen wurden von zwei approbierten Verhaltensthe Change-Score-Modelle unter Beachtung der vier Messzeitpunkte rapeut*innen durchgeführt. Die Gruppen umfassten 3–6 Pa geschätzt, wobei potenziell diskontinuierliche Veränderungsmus tient*innen. Die Behandlung begann mit einer intensiven zweitä- ter berücksichtigt wurden (Phasenmodell). Die Nestung von Indi- gigen Sitzung, auf die 5 wöchentliche Sitzungen von 2,5 Stunden viduen innerhalb von Behandlungsgruppen zwischen dem zwei- folgten. Am ersten Tag entwickelten die Teilnehmenden ein indi- ten und dritten Messzeitpunkt (28 Gruppen, durchschnittliche 192 Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 Boettcher/Weinbrecht/Heinrich/ DOI: 10.1159/000497620 Renneberg
Clustergröße 3,75) wurde durch die Korrektur der Standardfehler interpretiert werden); Prä-Einzel, vor Einzeltherapie; Prä-Gruppe, vor Gruppentherapie; Post-Einzel, nach Einzeltherapie; Post-Gruppe, nach Gruppentherapie; SE, Standardfehler; SIAS, Social Interaction An- fikante Ergebnisse sind fett gedruckt. BDI-II, Beck Depression Inventory; BSI_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory; GSE, General Self-Efficacy Scale; GSI, Global Severity Index des Brief Symptom Inventory; KI, Konfidenzintervall; M, Mittelwertunterschied zwischen den entsprechenden Bewertungspunkten (die Mittelwerte können als Änderung in Einheiten der Skala des Fragebogens Unter Berücksichtigung der Bonferroni-Korrektur wurden nur Unterschiede mit p < 0,003 (Phasenmodell) und p < 0,008 (Gesamtmittelwertänderung) als statistisch signifikant bewertet. Statistisch signi- –0,38 [–0,61, –0,15] –0,51 [–0,75, –0,27] –0,35 [–0,6, –0,09] –0,23 [–0,48, 0,01] mit der in Mplus implementierten Funktion TYPE = COMPLEX 0,37 [0,15, 0,59] 0,43 [0,16, 0,69] berücksichtigt [Asparouhov, 2004; Muthén und Muthén, 2011]. Die geschätzten Modelle sind vollständig gesättigt. Daher sind kei- d [95% KI] ne Informationen über die Modellpassung verfügbar. Fehlende Daten wurden unter der Annahme Missing at Ran- dom multiple imputiert (MI). MI wurde mit dem in R implemen- Post-Gruppe – Post-Einzel tierten mice-Befehl durchgeführt [van Buuren und Groothuis- 0,001 0,001
Die Selbstwirksamkeit änderte sich in der ersten Zeit der Einzeltherapie nicht signifikant (d = –0,05). Während der Gruppenbehandlung (d = 0,76) sowie den anschlie- ßenden Einzelsitzungen (d = 0,43) nahm die Selbstwirk- samkeit signifikant zu. Depressive Symptome nahmen sowohl in der ersten Behandlungsphase (d = –0,41) als auch während der Gruppenbehandlung (d = –0,74) deut- lich ab, jedoch nicht nach der Gruppenbehandlung (d = –0,23). Die globale psychische Belastung nahm nur wäh- rend der Gruppenbehandlung signifikant ab (d = –0,60). Die Rolle der ÄVPS Abbildung 2 zeigt Veränderungen der sozialen Angst für die Gruppe der Patient*innen mit einer ÄVPS und die Gruppe ohne komorbide ÄVPS (Mittelwerte und Stan- dardabweichungen stehen auf Nachfrage bei der Erstau- torin zur Verfügung). Wie erwartet waren die Symptom- werte für die Gruppe mit ÄVPS konstant höher. Um zu beurteilen, ob die Diagnose der ÄVPS mit ei- ner ungünstigeren Symptomentwicklung verknüpft war, führten wir getrennte Regressionsanalysen für die Verän- derung über die gesamte Behandlungsdauer und für die einzelnen Behandlungsphasen durch. Eine komorbide Diagnose der ÄVPS, eine komorbide Diagnose der De- pression und initiale Symptombelastung (BSI_IS) wur- den als Prädiktoren aufgenommen. Die Veränderung Abb. 2. Unbedingte Mittelwerte der BIS_IS-Scores für die Gesamt- stichprobe und Patient*innen mit und ohne ängstlich-vermei- über die gesamte Behandlung wurde ausschließlich durch dende Persönlichkeitsstörung (AVPD) zu allen Messzeitpunkten. die initiale Symptombelastung prädiziert (BSI_IS; b = BIS_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom –0,63, SE = 0,09, p < 0,001). Eine höhere initiale Sym- Inventory; pre, vor Einzeltherapie; pre-group, vor Gruppenthera- ptombelastung vor der Behandlung war mit einer stär- pie; post-group, nach Gruppentherapie; post, nach Einzeltherapie. keren Abnahme der Symptome verbunden. ÄVPS und Depression zeigten keinen signifikanten Einfluss auf die Veränderung während der gesamten Behandlung (ÄVPS: Ängste. Abbildung 2 zeigt die Mittelwerte des BSI_IS zu b = 0,19, SE = 0,14, p = 0,20; Depression: b = 0,22, SE = den einzelnen Messzeitpunkten. Die Veränderungen auf 0,14, p = 0,19) oder auf die Veränderung in einzelnen den beiden zusätzlichen sozialen Angstskalen (SIAS, SPS) Phasen der Behandlung (ÄVPS: alle b < 0,35, alle p > 0,12; waren vergleichbar. Die Verbesserungen über die ge- Depression: alle b < 0,25, alle p > 0,08). samte Behandlung waren groß (SIAS: d = –1,19; SPS: d = –0,98). Auch hier gab es vor der Gruppenbehandlung kei- Klinische Veränderungen nen signifikanten Rückgang der sozialen Angstsymptome Auf dem BSI_IS zeigten 73% der Teilnehmenden eine bei SIAS (d = –0,15) und SPS (d = –0,15), aber die Sym- klinisch relevante Veränderung (72 bzw. 68% bei SIAS ptome nahmen sowohl während der Gruppentherapie und SPS). Vier bis sechs Patient*innen (4–6%) zeigten (SIAS: d = –0,93; SPS: d = –0,81) als auch in der anschlie- eine reliable Verschlechterung sozialer Ängste; 34% der ßenden Einzeltherapie (SIAS: d = –0,51; SPS: d = –0,37) Teilnehmenden wurden als remittiert eingestuft (48/66% signifikant ab. auf der SIAS/SPS), und 28% der Teilnehmenden erfüllten die Kriterien für klinische Veränderung (verbessert und Veränderung der sekundären Outcome-Maße remittiert; 42/50% auf der SIAS/SPS). Es wurden Veränderungen der Selbstwirksamkeit (GSE), der allgemeinen psychischen Belastung (GSI) und Aufrechterhaltung der Behandlungseffekte der depressiven Symptome (BDI-II) untersucht. Über die Zwölf Monate nach Beendigung der Behandlung wur- gesamte Behandlungsdauer hinweg zeigte sich für alle den die Patient*innen per Post kontaktiert und gebeten, Outcome-Maße ein großer, signifikanter Effekt (Selbst- primäre und sekundäre Outcome-Maße erneut auszufül- wirksamkeit: d = 1,13; psychische Belastung: d = –1,11; len. Eine Teilstichprobe von 29 Patient*innen (39,7%) Depression: d = –1,01) (für Details siehe Tab. 1). schickte ausgefüllte Fragebögen zurück. 194 Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 Boettcher/Weinbrecht/Heinrich/ DOI: 10.1159/000497620 Renneberg
Tabelle 2. Studienmerkmale und Intention-to-treat-Effektstärken früherer Wirksamkeitsstudien Diese McEvoy Crecelius und Lincoln et al. McCarthy et al. Gaston et al. Hoyer et al. Studie [2007] Hiller [2014] [2003] [2013] [2006] [2017] N 105 153 144 217 252 54 77 Behandlungsabbruch 11% 18% 33% 8% 6% 7% 28% Fehlende Werte 31% n/a 6% 19% 20% 30% 20–25% Behandlungsdosis (mittlere Anzahl Sitzungen) 63 28 33 n/a 35 25 25 Effektstärke (innerhalb) soziale Angst 1,1 0,7–0,8 0,9 0,7a 0,9–1,0 0,7–0,8a 1,1–1,7 Effektstärke (innerhalb) Depression 1,0 0,7 0,5a 1,0 1,1 Effektstärke (innerhalb) allgemeine psychische 1,1 0,3 Belastung a Intention-to-treat-Effektgrößen angegeben nach McEvoy [2007]. Ein t-Test für abhängige Stichproben zeigte keine si- einträchtigt waren als andere Patient*innen in der Routi- gnifikanten Veränderungen für das BSI_IS vom Post- neversorgung. Ein großer Teil unserer Patient*innen war zum 12-Monate-Follow-up-Messzeitpunkt (Mittelwert hochgebildet, was in Hochschulambulanzen jedoch nicht unterschied = 0,16, t(28) = 1,49, p = 0,15, d = 0,17). Das unüblich ist [Crecelius und Hiller, 2014]. gleiche Bild zeigte sich bei den beiden zusätzlichen Die Behandlungsdosis in der aktuellen Studie war Fragebögen zur sozialen Angst SPS (Mittelwertunter- deutlich höher als in anderen Effectivenessstudien schied = 0,60, t(19) = 0,45, p = 0,66, d = 0,05) und SIAS (Tab. 2). Im Durchschnitt absolvierten die Patient*innen (Mittelwertunterschied = 1,69, t(20) = –0,65, p = 0,52, 36 Stunden Einzeltherapie plus 28 Stunden intensive d = 0,10). So blieb bei dieser kleinen Teilstichprobe die Gruppentherapie. Dabei entsprechen 30–40 Sitzungen durchschnittliche Symptombelastung nach der Behand- dem Durchschnitt in deutschen Hochschulambulanzen lung stabil. Ebenso gab es keine signifikanten Follow- [Schindler und Hiller, 2010; Jacobi et al., 2011; Crecelius up-Unterschiede für die Selbstwirksamkeit (Mittelwert- und Hiller, 2014]. In Übereinstimmung mit dem Dosis- unterschied für GSE = –0,07, t(29) = –0,10, p = 0,92, d = Wirkungs-Modell der Psychotherapie [Lambert et al., –0,01), für die depressiven Symptome (Mittelwertunter- 2001] schien die höhere Behandlungsdosis in der aktu- schied für BDI-II = 0,93, t(28) = 0,76, p = 0,46, d = 0,09) ellen Studie die Raten klinisch relevanter Veränderungen und für die allgemeine Symptombelastung (Mittelwert- zu verbessern. Crecelius und Hiller [2014] sowie Lincoln unterschied für GSI = 0,12, t(28) = 2,06, p = 0,05, d = et al. [2003] berichteten über Verbesserungsraten von 0,20). 56%, während sich 73% der Teilnehmenden der vorlie- genden Studie klinisch relevant verbesserten. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der aktuellen Diskussion Studie, dass Patient*innen in der Routineversorgung von der kombinierten Behandlung profitieren. Vorläufige Er- Ziel dieser Studie war es, eine erste Einschätzung zu gebnisse in einer kleinen Teilstichprobe von Patient*innen geben, wie Patient*innen von einer kombinierten Be- deuten auch darauf hin, dass die durchschnittliche Sym- handlung von Gruppen- und Einzeltherapie bei SAS und ptombelastung nach Abschluss der Behandlung gering ÄVPS profitieren. Die Behandlung erfolgte in der Routi- bleibt. neversorgung und richtete sich an alle Patient*innen, die Es zeigte sich außerdem, dass der größte Rückgang der aufgrund sozialer Ängste eine Behandlung aufsuchten. sozialen Angstsymptome während der Gruppenbehand- Patient*innen, die an der kombinierten Behandlung teil- lung auftrat. In der vorliegenden naturalistischen Studie nahmen, zeigten einen starken Rückgang der sozialen wurden Reihenfolgeneffekte nicht kontrolliert, sodass Angstsymptome. Tabelle 2 fasst die Effektgrößen der vor- der Effekt der Gruppenbehandlung nicht vom Zeiteffekt liegenden Studie und früherer Effectivenessstudien für getrennt betrachtet werden kann. Dennoch können un- die SAS zusammen. Die in der aktuellen Studie beobach- sere deskriptiven Ergebnisse als Hinweis gewertet wer- teten Effektstärken sind mit den Effekten früherer Studi- den, dass Personen, die an einer kombinierten Behand- en vergleichbar, die entweder eine Gruppen- oder eine lung teilnehmen, die größten Verbesserungen der Sym- Einzelbehandlung anwendeten. Auch die Zusammenset- ptome während des strukturierten und fokussierten zung unserer Stichprobe ist mit vorherigen Studien ver- Gruppenansatzes aufweisen. In der Tat nahm die soziale gleichbar. Die anfängliche Symptombelastung zeigt, dass Angst erst nach Beginn der Gruppentherapie deutlich ab. unsere Patient*innen nicht mehr oder weniger stark be- Nur bei den depressiven Symptomen zeigte sich schon Gruppen- und Einzeltherapie für SAS und Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 195 ÄVPS DOI: 10.1159/000497620
während der anfänglichen Einzelsitzungen eine deutliche len einer aktiven Vergleichsgruppe. Um den relativen Besserung. Dieser Befund steht im Einklang mit dem Nutzen der Ergänzung der Einzeltherapie durch ein Phasenmodell der Psychotherapie. Dieses postuliert, dass Gruppenprogramm abzuschätzen, ist ein direkter Ver- eine Remoralisierung oder Steigerung des subjektiven gleich zu alleiniger Einzeltherapie erforderlich. Zukünf- Wohlbefindens zeitlich vor der Veränderung der ange- tige Studien sollten diese Frage in einem randomisierten strebten Symptome stattfindet [Howard et al., 1993]. kontrollierten Design untersuchen. Die Selbstwirksamkeit der Patient*innen nahm wäh- Eine weitere Einschränkung, die auch oft mit natura- rend der Behandlung stark zu. Sie verbesserte sich nach listischen Studien in Verbindung gebracht wird, ist der Beginn der Gruppenbehandlung und in den folgenden hohe Anteil an Personen, die keine Fragebögen ausfüllen. Einzelsitzungen deutlich. Auch Gallagher et al. [2013] Etwa 30% unserer Teilnehmenden versäumten es, nach zeigten in einer Behandlungsstudie, dass die Selbstwirk- der Behandlung die Fragebögen auszufüllen. Dies liegt in samkeit in späteren Behandlungsphasen stärker zunahm der Range bisheriger Studien, aber eher im oberen Be- als in früheren. Sie führten dies auf die Bewältigungser- reich. Um sicherzustellen, dass unser Umgang mit feh- fahrung in Expositionsübungen zurück. Unsere Grup- lenden Daten nicht zu verzerrten Ergebnissen führte, penbehandlung fokussiert stark auf Exposition und Ver- führten wir eine Completer-Analyse durch, die vergleich- haltensexperimente. Dies könnte für Patient*innen die bare Hauptergebnisse ergab (Ergebnisse auf Anfrage bei Wahrnehmung von Kontrolle und Bewältigung gefördert der Erstautorin verfügbar). Die Abbrecherquoten hinge- haben und damit zu einer Stärkung der Selbstwirksam- gen waren in der aktuellen Studie niedrig. Nur 11% der keit geführt haben [Bandura, 1997]. Patient*innen brachen die Behandlung ab, was für die Auf der deskriptiven Ebene schien es, dass nicht alle lange Behandlungsdauer bemerkenswert ist. Ein spezi- Patient*innen gleichermaßen von der Gruppentherapie fisches Problem der aktuellen Studie war der hohe Anteil profitierten. Patient*innen mit einer komorbiden Dia- der Personen, die bei der Prä-Erhebung keine symptom- gnose der ÄVPS erlebten zwar über den gesamten Be- spezifischen Fragebögen (SIAS und SPS) erhielten, ein handlungszeitraum vergleichbare Verbesserungen, zeig organisatorischer Fehler zu Beginn der Studie. Daher ten jedoch während der Gruppenbehandlung weniger sollten die Ergebnisse zu SPS und SIAS nur mit großer steile Änderungsraten als Patient*innen ohne ÄVPS Vorsicht interpretiert werden. Aus diesem Grund haben (Abb. 2). In einer anschließenden Prädiktoranalyse wur- wir als primäres Outcome-Maß das BSI_IS verwendet, de der Einfluss der ÄVPS jedoch nicht signifikant. Eine obwohl Studien zum BSI darauf hinweisen, dass die an- Diagnose der ÄVPS sagte das Behandlungsergebnis nicht genommene Neun-Faktoren-Struktur nur bedingt empi- vorher, weder in den Phasen der Einzeltherapie noch risch gestützt wird [Urbán et al., 2014]. Daten aus einer während der Gruppenbehandlung. Damit stehen unsere psychotherapeutischen Ambulanz, die der unseren sehr Ergebnisse im Einklang mit den meisten früheren Studi- ähnlich ist, unterstützen jedoch die Verwendung des en (siehe Einführung), die zeigten, dass eine komorbide BSI_IS als Maß für soziale Ängste [Geisheim et al., 2002]. Diagnose der ÄVPS keinen negativen Einfluss auf das Be- Eine weitere Einschränkung des naturalistischen De- handlungsergebnis hat. In unserer Studie profitierten die signs der Studie war, dass die Einzeltherapie nicht stan- stärker beeinträchtigten Patient*innen mit ÄVPS in dardisiert war. Obwohl alle Patient*innen eine KVT er- einem vergleichbaren Ausmaß wie Patient*innen ohne hielten, gibt es keine Informationen über die therapeu- komorbide Diagnose einer ÄVPS. tischen Inhalte der einzelnen Sitzungen. Wir können davon ausgehen, dass die Einzelsitzungen zumindest teil- Limitationen weise Inhalte abdeckten, die auch während der Gruppen- Die erste und größte Einschränkung der aktuellen Stu- behandlung thematisiert wurden (z.B. individuelles Stö- die ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. Auch wenn dies rungsmodell). Die Effekte der Gruppentherapie könnten eine gängige Einschränkung bei Studien in der Routine- daher teilweise auf eine Wiederholung des Gelernten zu- versorgung ist, hindert uns das Fehlen einer Vergleichs- rückgeführt werden. Zukünftige Studien sollten Anzahl gruppe daran, endgültige Schlussfolgerungen über die re- und Inhalt der Einzelsitzungen festlegen. Eine weitere Li- lative Wirksamkeit der Behandlung zu ziehen. Gleichzei- mitation der vorliegenden Studie ist, dass wir keine Infor- tig sind die erreichten Effektgrößen mit denen früherer mationen darüber haben, wie viele Patient*innen in Ein- Effectivenessstudien vergleichbar und liegen weit über zeltherapie die Teilnahme an der zusätzlichen Gruppen- denen von Wartelistenvergleichsgruppen [g = 0,1; Steinert behandlung abgelehnt haben. et al., 2017]. Es erscheint daher schlüssig, dass die ange- Zusammenfassend zeigt die aktuelle Studie, dass wandte Kombination von Gruppen- und Einzelbehand- Patient*innen in KVT in der Routineversorgung eine lung für die Behandlung sozialer Ängste in der klinischen starke Reduktion sozialer Ängste erleben. Die Ergebnis- Praxis wirksamer ist als keine Intervention. Eine rele- se deuten darauf hin, dass eine Kombination aus Ein- vantere Einschränkung des aktuellen Designs ist das Feh- zel- und Gruppenbehandlung machbar und wirksam ist. 196 Verhaltenstherapie 2020;30:189–198 Boettcher/Weinbrecht/Heinrich/ DOI: 10.1159/000497620 Renneberg
Gleichzeitig zeigt die aktuelle Studie Effektgrößen, die Statement of Ethics mit früheren Effectivenessstudien vergleichbar sind, ob- Die Patient*innen wurden über das Ziel der Studie informiert wohl die Behandlungsdosis in der vorliegenden Studie und gaben ihr schriftliches Einverständnis. deutlich höher war. Zukünftige Studien sollten unter- suchen, wie viele Sitzungen (Gruppen- oder Einzelbe- Disclosure Statement handlung) erforderlich sind, um annehmbare Verände- rungsraten für unterschiedlich stark beeinträchtigte Pa Es bestehen keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit tient*innen zu erzielen. dieser Arbeit. Literatur Acarturk C, Cuijpers P, van Straten A, de Graaf R. Fehm L, Pelissolo A, Furmark T, Wittchen HU. Huppert JD, Strunk DR, Ledley DR, Davidson JR, Psychological treatment of social anxiety dis- Size and burden of social phobia in Europe. Foa EB. Generalized social anxiety disorder order: a meta-analysis. 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