Die BGH-Entscheidung in Sachen Facebook - Kartellrechtliche Leitplanken in der Internetökonomie? - Orth ...

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Die BGH-Entscheidung in Sachen Facebook - Kartellrechtliche Leitplanken in der Internetökonomie? - Orth ...
Newsletter 3/2020
                                                                    Kartellrecht / IP-/IT-Recht

Die BGH-Entscheidung in Sachen Facebook –
Kartellrechtliche Leitplanken in der
Internetökonomie?
Mit großer Spannung ist weit über die Gren-    konkreten Begründung. Diese wich nämlich
zen Deutschlands hinaus die Entscheidung       entscheidend von der des Bundeskartell-
des BGH i. S. Facebook erwartet worden. Am     amtes in der Untersagungsverfügung ab, so-
23. Juni 2020 war es dann soweit: Nach 3,5     weit man es der bisher veröffentlichten
Stunden Verhandlung verkündete der Vor-        Pressemitteilung entnehmen kann.
sitzende des Kartellsenats, Prof. Dr. Meier-
Beck, am Nachmittag, dass das „F“ aus GAFA     Der Missbrauch läge in der fehlenden Wahl-
(i) über eine marktbeherrschende Stellung      möglichkeit der Nutzer. Bildlich gesprochen
verfüge und diese (ii) missbraucht habe.1      entfernte der BGH damit ein Glied aus der
                                               Argumentationskette des Bundeskartellam-
Soweit, so klar, möchte man meinen. Bei der    tes. Denn auch das Bundeskartellamt stellte
Begründung des Missbrauchs setzte der          auf die fehlende Wahlmöglichkeit ab, nahm
BGH aber mit einem eigenen Ansatz an. Das      diese aber nur als erstes Glied in der Argu-
war überraschend.                              mentationskette, an deren Ende ein kartell-
                                               rechtlicher Missbrauch (abgeleitet aus ei-
Nicht nur der Umstand als solcher, dass der    nem Verstoß gegen datenschutzrechtliche
BGH im vorläufigen Rechtsschutz faktisch       Bestimmungen) stand.
die Hauptsache, über die nun noch zu ent-
scheiden ist, vorwegnahm. Sondern auch
und vor allem vor dem Hintergrund der

1Zur Pressemitteilung des Gerichts:
https://www.bundesgerichtshof.de/Shared-
Docs/Pressemitteilun-
gen/DE/2020/2020080.html?nn=13438126
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Newsletter – Kartellrecht / IP-/IT-Recht 3/2019

                                                                                                               2
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Der Blickwinkel des Bundes-                               beliebig duplizierbar und damit auch Drit-
kartellamtes                                              ten zur Verfügung stellbar.3

                                                          Ein Ausbeutungsmissbrauch läge nicht vor.
Nach Ansicht des BKartA missbraucht Face-
                                                          Die Verwendung von unzulässigen Ver-
book seine marktbeherrschende Stellung
                                                          tragskonditionen stelle noch keine Gefähr-
durch die Verwendung von Nutzungsbedin-
                                                          dung der Schutzgüter des Kartellrechts dar.4
gungen, die eine datenschutzrechtswidrige
                                                          Auch habe sich die im Rahmen des Miss-
Verarbeitung der Nutzerdaten ermöglichen.
                                                          brauchsvorwurfs gebotene Kausalitätsprü-
Der datenschutzrechtliche Verstoß liege in
                                                          fung nicht an den Bestimmungen des Daten-
der Verarbeitung und Verknüpfung von
                                                          schutzrechts, sondern an den Grundsätzen
„Off-Facebook-Daten“ mit den personenbe-
                                                          des Kartellrechts zu bemessen.5 Es handele
zogenen Daten, die aus der Facebook-Nut-
                                                          sich bei der Zustimmung der Verbraucher
zung selbst entstehen. Darin läge die miss-
                                                          um eine höchstpersönliche Abwägung auf
bräuchliche Ausnutzung der marktbeherr-
                                                          der Grundlage eigener Präferenzen und
schenden Stellung auf dem Markt für soziale
                                                          Wünsche.6 Das BKartA habe keine hinrei-
Netzwerke in Form des Konditionenmiss-
                                                          chenden Ermittlungen zur Ausbildung der
brauches. Aufgeworfen war damit die Frage
                                                          Nutzungsbedingungen in dem „Als-ob Wett-
von Freund- und/oder Feindschaft des Da-
                                                          bewerb“ angestellt.7 Außerdem reichen die
tenschutz- und Kartellrechts. Grund genug
                                                          Ausführungen des BKartA nicht aus, um ei-
für uns, einen praxisgruppenübergreifen-
                                                          nen Behinderungsmissbrauch zulasten der
den Newsletter von Kartellrecht und IP-/IT-
                                                          anderen Wettbewerber darzustellen.8 Die
Recht aufzusetzen.
                                                          Abstellungsmaßnahme sei auch ungeeignet,
Die Position des OLG Düsseldorf                           da die geforderte Einwilligung des Nutzers
                                                          keinen Einfluss auf den Behinderungsmiss-
Das OLG fand (wie auch sonst) deutliche                   brauch haben könne.9
Worte, warum die Position des Bundeskar-
tellamtes unzutreffend war. Es ordnete da-                Bereits im Frühjahr 2019 gab es Kritik an
her die aufschiebende Wirkung der Be-                     der Zuständigkeit des Bundeskartellamts
schwerde gegen die Verfügung des BKartA                   im Hinblick auf das Vorgehen gegen Daten-
mit Beschluss vom 26. August 2019 an.2                    schutzverletzungen.10 Im Datenschutzrecht
                                                          bestehen zwei grundsätzliche Wege, rechts-
Das OLG konnte kein wettbewerbsschädli-                   widriges Verhalten zu ahnden: Zum einen
ches Ergebnis erkennen. Die Daten seien                   können die zuständigen Datenschutzauf-
                                                          sichtsbehörden Bußgelder in Höhe von bis
                                                          zu 20 Mio. EUR oder 4 % des gesamten welt-

2 OLG Düsseldorf, Beschl. vom 26.08.2019- VI-             10https://www.delegedata.de/2019/02/bun-
Kart 1/19 (V) MMR 2019, 742.                              deskartellamt-erlasst-untersagungsverfuegung-
3 Ibid., Rn. 24.                                          gegen-facebook-warum-das-vorgehen-der-
4 Ibid., Rn. 39.                                          behoerde-datenschutzrechtlich-kritisch-be-
5 Ibid., Rn. 32 f, 66 f.                                  trachtet-werden-muss/ (letzter Abruf:
6 Ibid., Rn. 69.                                          27.06.2020)
7 Ibid., Rn. 70.
8 Ibid., Rn. 83 f.
9 Ibid., Rn. 80.
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Newsletter – Kartellrecht / IP-/IT-Recht 3/2019

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weit erzielten Jahresumsatzes verhängen                   datenschutzrechtliche Fragestellungen han-
(Art. 83 DSGVO). Alternativ können be-                    dele. So umging das Gericht elegant syste-
troffene Personen Schadensersatz für mate-                matische Bedenken, die z. B. gegen die Zu-
rielle, aber ebenfalls auch für immaterielle              ständigkeit des BKartA erhoben wurden.
Schäden geltend machen (Art. 82 DSGVO).                   Das Gericht verwandte das Bild eines
Nicht höchstrichterlich geklärt ist bisher die            marktbeherrschenden „Trocknerherstel-
Frage, ob und inwieweit Verletzungen von                  lers“, der seine Kunden auch nicht mit dem
Vorschriften der DSGVO auch von anderen                   Verweis auf die Nicht-Notwendigkeit eines
Marktteilnehmern oder Verbänden selb-                     Trockners zur Eingehung jeglicher Nut-
ständig im Wege wettbewerbsrechtlicher                    zungsbedingungen zwingen könne.
Abmahnungen geahndet werden können.
Die Beantwortung dieser Frage ist davon                   Das Argument der fehlenden Wahlmöglich-
abhängig, ob die Vorschriften der DSGVO                   keit ist spannend, aber auch noch unklar.
sog. marktverhaltensregelnde Vorschriften                 Der Nutzer müsse frei zwischen einem An-
im Sinne des § 3a UWG darstellen. Zum Teil                gebot unter Verwendung intensiverer Per-
wird die Anwendbarkeit des § 3a UWG auf                   sonalisierung durch die Nutzung von „Off-
(manche) Vorschriften der DSGVO bejaht.11                 Facebook-Daten“ sowie einem Angebot un-
Dementgegen wird eingewendet, die                         ter Verwendung weniger intensiver Perso-
DSGVO sei auf eine Vollharmonisierung aus-                nalisierung ohne die Nutzung solcher Daten
gerichtet und enthalte daher ein abge-                    wählen können. Unklar bleibt, warum es ge-
schlossenes Regelungssystem.12 Für eine                   rade diese beiden Alternativen (und nicht
Klärung dieser relevanten Frage könnte                    mehr) geben soll?
bald der EuGH sorgen, nachdem ihm der
                                                          Facebook sei auf zwei Märkten tätig, indem
BGH im Mai 2020 diese konkrete Frage in ei-
                                                          es sowohl soziales Netzwerk als auch Wer-
nem anhängigen Verfahren zur Vorabent-
                                                          beplattform sei. Die Bereitstellung von per-
scheidung vorgelegt hat.13
                                                          sonalisierten Erlebnissen und Kommunika-
Dann kam der BGH                                          tionsinhalten gegenüber den Nutzern sowie
                                                          die Refinanzierung der Plattform mittels
Viele Kommentatoren hatten durchaus er-                   Werbung verschränkt diese Märkte. Die
wartet, dass der BGH klar Stellung bezieht.               Wahlfreiheit des Nutzers stellt dabei einen
Dies jedoch eher erst später im Hauptsache-               ökonomisch bedeutsamen Aspekt dar. Dies
verfahren, nicht aber im Eilverfahren. Er tat             liege am „Lock-in-Effekt“. Durch die inten-
es – wie eingangs erwähnt – dennoch und                   sive Personalisierung der Werbung steigt
hob den Beschluss des OLG Düsseldorf auf                  der Wert der eigenen Plattform. Andere
und stellte die sofortige Vollziehbarkeit der             Wettbewerber verlieren an Attraktivität. So
Verfügung des BKartA her. Er betonte, dass                scheint der BGH durch den Ausbeutungs-
es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt                  missbrauch aufgrund der besonderen Kons-
um zentrale kartellrechtliche und nicht                   tellation und Rolle von Daten in diesen

11   Vgl. dazu unter anderem OLG Ham-                     13
                                                             Pressemitteilung des BGH (I ZR 186/17):
burg, Urt. v. 25.10.2018 – 3 U 66/17; OLG Stutt-          https://www.bundesgerichtshof.de/Shared-
gart, Urteil vom 27.02.2020 - 2 U 257/19                  Docs/Pressemitteilun-
12 Vgl. dazu unter anderem LG Bochum, Ur-
                                                          gen/DE/2020/2020066.html?nn=10690868
teil vom 7.8.2018 – I-12 O 85/18; LG Wiesba-              (letzter Abruf: 01.07.2020)
den, Urteil vom 5.11.2018 – 5 O 214/18
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verschränkten Märkten auch einen Behin-                   laufende Verfahren gegen Amazon bei der
derungsmissbrauch begründet zu sehen.                     EU-Kommission, im Hinblick auf Amazons
                                                          Doppelrolle als Marktplatz und Einzelhänd-
Wettbewerbsbezug der Wahl-                                ler.
entscheidung
                                                          Sollte ich mich für die Entschei-
Es drängt sich die Frage auf, wie sich das                dung interessieren, wenn ich
Vorhandensein einer Wahlmöglichkeit auf                   nicht zu den GAFA gehöre?
den Wettbewerb auswirken soll? Verständ-
lich ist das Wahlargument. Aber wo ist der                Ja, denn die Entscheidung spielt überall dort
Bezug zum Wettbewerb? Das Postulat der                    eine Rolle, wo Unternehmen kostenlose An-
eigenständigen Entscheidung (unabhängig                   gebote mit Werbung finanzieren und durch
von anderen Marktteilnehmern) vermag                      die Nutzungsbedingungen die Wahlfreiheit
nicht die alleinige Antwort zu geben.                     der Kunden einschränken. Anwendungsfel-
                                                          der gibt es einige.
Wie geht es weiter?
                                                          Eintrittsbedingung ist aber die marktbe-
Nunmehr bleibt die Entscheidung des OLG                   herrschende Stellung. Von einer marktbe-
Düsseldorf im Hauptsacheverfahren abzu-                   herrschenden Stellung wird ab einem
warten. Sollte das OLG hier weiter seine im               Marktanteil von 40 Prozent ausgegangen
Eilverfahren deutlich gewordene Auffas-                   (§ 18 Abs. 4 GWB). Aufgrund von häufig
sung vertreten, ist es vorstellbar, dass sich             klein-teiligen Marktabgrenzungen trifft dies
der BGH ein zweites Mal intensiver mit dem                auf eine Vielzahl von Unternehmen zu.
Sachverhalt auseinandersetzen muss.
                                                          Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber
Durch die BGH-Entscheidung vom 23. Juni                   im Nachgang zum Verfahren tätig wird. De
2020 scheint das Ergebnis aber in vielen                  lege ferenda erscheint es auch als gangbarer
Konturen scharf gezeichnet. Mit Ablauf des                Weg, das inkriminierte Verhalten im Rah-
Eilverfahrens endete die Hemmung der                      men der AGB-Klausel-Kontrolle einzubin-
viermonatigen Frist, binnen derer Facebook                den. Der vom OLG Düsseldorf beschriebe-
einen Umsetzungsplan vorzulegen hat.                      nen Gleichgültigkeit der Nutzer gegenüber
                                                          den Nutzungsbedingungen könnte auch im
In welchem Kontext steht die                              Rahmen der Klausel-Kontrolle genüge getan
GAFA-Entscheidung?                                        werden. Dies wäre die konsequente Fort-
                                                          führung des bereits beschrittenen Weges,
Es gibt aktuell vielfach Bestrebungen auf eu-
                                                          strengere Anforderungen an die AGB von
ropäischer und nationaler Bühne, die sich
                                                          Online-Diensten zu implementieren. Dies
mit den kartellrechtlichen Fragestellungen
                                                          sieht man nicht zuletzt an der P2B-Verord-
der Internetökonomie auseinandersetzen.
                                                          nung oder an der künftig umzusetzenden
Zu viele, um diese alle zu skizzieren.
                                                          Omnibus-Richtlinie.
Zu nennen sind hier die aktuelle 10. GWB-
Novelle, die ab dem 12. Juli 2020 anzuwen-
dende P2B-Verordnung sowie das noch
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                                            Dr. Lars Maritzen LL.B MLE
                                            Rechtsanwalt, Salary Partner

                                            T +49 211 60035-292
                                            lars.maritzen@orthkluth.com

                                            Maria Krönig LL.M. (Waseda University)
                                            Rechtsanwältin

                                            T +49 211 60035-294
                                            maria.kroenig@orthkluth.com

                                             Prof. Dr. Michael Bohne
                                             Of Counsel

                                             T +49 211 60035-174
                                             michael.bohne@orthkluth.com
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