Die psychische Dimension der Corona-Pandemie - Behandlung von Ängsten 19. Januar 2021 Katja Cattapan
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Die psychische Dimension der Corona-Pandemie - Behandlung von Ängsten 19. Januar 2021 Katja Cattapan
Psychische Belastungen im Rahmen der Pandemie Langandauernde Krise, mit vielen unbekannten Variablen, kaum Erfahrungswissen, geringes kollektives «Krisengedächtnis» Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust • Sorge um die persönliche Gesundheit oder die anderer nahestehender Personen • Sorge in Bezug auf die soziale und ökonomische Situation • Arbeitsüberforderung (v.a. im Gesundheitsbereich, aber auch bei homeschooling / homeoffice) • ethisches Dilemma (Triage bei Mangel an Intensivbetten, Umgang mit besonders gefährdeten Personen) • schwerer Krankheitsverlauf einer Covid-19-Infektion bei sich oder nahestehenden Personen, Verlust eines Angehörigen, oft unter schwierigen Bedingungen • negative Folgen der Schutz- und Quarantänemassnahmen • Reduktion von menschlichen Kontakten, Einsamkeit • finanzielle und soziale Probleme durch Arbeitsplatzverlust und Konkurse • Veränderung der Alltags- und Arbeitsaktivitäten • weniger Zugriff auf bewährte positive Ressourcen (Reisen, Freizeitaktivitäten) • Einschränkung der Mimik durch Maskentragen • Reaktivierung des Gefühls von Ausgeliefertsein bei traumatisierten Menschen • Veränderungen der täglichen Routinen • Bisher nicht erlebte Eingriffe des Staates in persönliche Belange
Studienlage Risikofaktoren Resilienzfaktoren • Kontakt zu SARS-CoV-2-Patienten • gesunder Lebensstil • weibliches Geschlecht • soziale Kontakte • Alleinerziehende • Akzeptanz von ängstlichen und negativen • Migrationshintergrund Emotionen • Gesundheitsberufe • Selbstwirksamkeitserleben • reduzierter (wahrgenommener) • Wissen um den Zugang zu medizinischer Gesundheitsstatus Behandlung • Sorgen um Nahestehende • ältere, krisenerprobte Menschen • Substanzmissbrauch • unterdrückte ängstliche und negative Emotionen Gilan et al., 2020 Petzold et al. 2020
Massnahmen zur Stärkung der Stressresilienz im Rahmen der Pandemie • Förderung von sozialer Unterstützung und sozialem Kontakt • Planung von Tagesroutinen • Förderung der Selbstfürsorge • Einlegen von regelmässigen Medienpausen • Information über individuelle und evidenzbasierte Maßnahmen, die man ergreifen kann, um das Infektionsrisiko zu verringern • Erlernen und Anwenden von Entspannungsverfahren • Achtsamkeit • achtsame, akzeptierende Haltung in einer aussergewöhnlichen Situation • Akzeptanz und Zulassen von negativen Gefühlen • Praxis der Achtsamkeitsübungen • Achten auf Flexibilität und Kreativität in der Gestaltung des Alltags • gesunde Ernährung • Integration von regelmässiger Bewegung in den Alltag (am Besten in der Natur) Gilan et al., 2020 Vinkers et al. 2020
Online-Programme zur Resilienzförderung Resilienz und Optimismus während der Corona-Pandemie (6 Module, 3 Wochen; Studienteilnahme, Start sofort oder Wartegruppe nach 3 Wochen) www.selfhelp.psy.unibe.ch/roco Res-up! Resilienz im Alltag (5 Module, mit persönlicher Begleitung / Beratung über 12 Wochen; Studienteilnahme) Was ist Resilienz? Wie sehen meine resilienten Fähigkeiten aus? Was kann ich im Alltag dafür tun, meine Widerstandskräfte zu stärken? Wie kann ich neue Strategien für mich entdecken? Anmeldung: res-up@uni-wh.de
Online-Training zum Thema Stress in der Partnerschaft Studienteilnahme Stress und seine Folgen: Wie können Sie selbst besser mit Stress umgehen? Wie können Sie als Paar besser mit Stress umgehen? Wie beeinflusst Stress Ihre Partnerschaft? Wie können Sie auch unter Stress angemessen miteinander reden und Konflikte besprechen? Wie finden Sie gemeinsam Lösungen für Probleme? www.paarlife.ch https://www.online-therapy.ch/paarlifestudie/index.php#section-kontakt
Online-Material zum Umgang mit Angst in der Corona-pandemie www.umgang-mit-angst-vor-coronavirus.com/ Modul 1: Was geschieht bei Angst und Sorgen? Modul 2: Gesundheitsverhalten und Bewältigungsstrategien Modul 3: Atmung und Frühlingsgefühle Informations- und Arbeitsblätter, Audioaufnahmen mit Meditations- und Imaginationsübungen
Warnsymptome Psychiatrische Erkrankungen • Irritierbarkeit • Anpassungsstörungen Angst / Depression • Ängste Häufig sind die • Angststörungen Warnsymptome • Grübeln • Depressionen vorübergehend, im • Schlafstörungen Sinne einer • PTSD / Reaktivierung PTSD Anpassungsreaktion, • Erschöpfung und nicht pathologisch. • Psychose • Anspannung • Suchterkrankungen • Aggression • Komplizierte Trauer • Konzentrationsstörungen • Substanzmissbrauch • Sozialer Rückzug • Pathologisches Horten Die langfristige Entwicklung auf die psychische Gesundheit ist unklar Suizidalität? Entwicklungsstörungen? Zwangsstörungen? Vinkers et al., 2020
Gesundheitsbezogene Ängste im Rahmen der Pandemie Dysfunktionale Ängste «Ich vermeide oder versuche alles zu kontrollieren». «Funktionale» Realangst / Furcht «Ich schütze mich (und Lupe et al., 2020 Pathologische andere) und ich versuche Furchtlosigkeit mein Leben der besonderen Situation anzupassen». «Mir kann nichts passieren. Die Situation ist nicht aussergewöhnlich».
«Funktionale» • Akzeptanz, dass es sich um eine komplexe und aussergewöhnliche Situation handelt Realangst / Furcht • Nutzung persönlicher Erlebnisse aus «Ich schütze mich und ich früheren Krisen (insbesondere bei älteren versuche mein Leben gut zu Menschen) leben». • Fähigkeit, flexibel auf Veränderungen zu reagieren • Fokussierung auf persönliche Werte • Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, diese auszuhalten • Begünstigend sind finanzielle und soziale Ressourcen, die Fähigkeit, allein zu sein, und Hobbys und Interessen, die auch in Pandemiezeiten durchgeführt werden können
• Furchtlosigkeit als • Furchtlosigkeit spezifisch in andauernde dieser Pandemie-Situation Persönlichkeitseigen- schaft • Andere Themen haben einen höheren Stellenwert in der persönlichen Einschätzung, z.B. ökonomische Ängste oder Veränderungen der Tagesroutine • «Verdrängung», da andere stabilisierende Schemata sonst in Gefahr sind, geringe Flexibilität im Umgang mit Veränderungen • Verantwortungslosigkeit in Bezug auf schützenswerte Personen
Differenzierung der Corona-Ängste • Angst: ♀ > ♂ • Jüngere Menschen leiden überproportional mehr an Ängsten in Bezug auf Ökonomie, Veränderungen der Tagesroutine und Isolation • Ökonomische Ängste: Einbezug von sozialen und finanziellen Faktoren in den therapeutischen Prozess, Sozial-/Finanzberatung N=1200 Bareket-Bojmel et al. , 2020
Differenzierung Angstsymptome im Rahmen der Corona- Pandemie • generalisiert (frei flottierend) • gesundheitsbezogen (in Bezug auf sich selbst / andere) • ökonomisch • die Tagesroutinen betreffend • Überforderung im Arbeitskontext, bei Pflegeaufgaben, Kinderbetreuung • Isolation, Einsamkeit • in Bezug auf staatliche Kontrolle, Wahrung der Grundrechte • Cave! Übergang in eine Depression oder somatoforme Störungen
Pathologische Ängste in der Corona-Pandemie – Diagnostische Einschätzung nach ICD 10 Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion (F43.22) • Individuelle Prädisposition / Vulnerabilität, aber das Krankheitsbild wäre ohne die äussere Belastung wahrscheinlich nicht entstanden • Dauer nicht länger als 6 Monate, Ausprägung weniger stark als bei Angststörung Generalisierte Angst (F41.1) • Frei flottierende Angst, Sorge als zentrales Symptom, überzogene Ängste auf verschiedene Situationen • Vegetative Symptome • Symptome weiten sich in stressreichen Zeiten aus oder bilden sich dann erst vollständig aus Spezifische Phobie (F40.2) Eher nicht passend • Wird gestellt, wenn es sich um definierte, eigentlich ungefährliche Situationen handelt • Diagnose wird nicht vergeben, wenn es sich um Krankheitsangst handelt Hypochondrische Störung (F45.2) • Angst oder Überzeugung, dass körperliche Beschwerden Anzeichen für eine schwere Erkrankung sein könnten oder dass eine ernsthafte Krankheit vorliegt Ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (F60.6); andere Persönlichkeitsstörungen (F60) • Beginn im späten Kindesalter oder der Adoleszenz • Bezieht sich auf verschiedene persönliche und soziale Situationen
Generalisierte Angststörung - Leitfragen Fühlen Sie sich nervös und angespannt? Machen Sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen? Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein und dies nicht unter Kontrolle zu haben? Sorgen Sie sich die meiste Zeit, ohne zu einer Lösung zu gelangen? Befürchten Sie oft, dass ein Unglück passieren könnte?
Bio-psychosoziales-Störungsmodell Rief & Strauss, 2018
Behandlung: Generalisierte Angststörung Behandlungsstrategie • im Gegensatz zur Panikstörung oder sozialen Phobie ist die «klassische» kognitive Verhaltenstherapie weniger wirksam (CBT < 50%; Cupjers et al. 2014, 2016) • erweiterter Therapieansatz unter Einbezug von frühen Prägungen, ungünstigen Umweltbedingungen und neurobiologischen Erkenntnissen («CBT plus») • erweiterte Diagnostik • Psychoedukation • Individuelle Therapieplanung • Fokus auf die therapeutischen Beziehungsgestaltung • Ressourcenaktivierung • «Blick nach innen»: Umgang mit negativen Affekten und ungeklärten Beziehungen • Umgang mit dysfunktionalen Kognitionen • Behandlung der Insomnie Egle et al., in preparation
Diagnostik Vulnerabilität • Emotionale Deprivation und Traumatisierung in der Kindheit (KERF) • Checkliste kompensatorischer Schutzfaktoren • Bindungstypologie (ECR-RD) Auslösefaktoren • Interaktionsverhalten: Inventar für Interpersonelle Probleme (IIP) • Motivationale/Vermeidungsschemata (FAMOS/INK) • Resilienz-Skala für Erwachsene (RSA) Symptomatik • Psychische Beschwerdebelastung (BSCL) • ICD-11-Trauma-Inventar (ITQ) • State Trait Angstinventar STAI • Persönlichkeitsinventar PSSI Aufrechterhaltende Faktoren • Coping-Fragebogen (CSQ) -> Katastrophisieren Biofeedback-Stresstest Egle et al., in preparation
Behandlung: Generalisierte Angststörung Schemata • auf unangenehme Dinge vorbereitet zu sein, um diesen zuvorzukommen, sie zu verhindern • permanentes Sich-Sorgen als Ablenkungsstrategie von der Auseinandersetzung mit eigenen unangenehmen, schwierigen Gefühlen • eingeschränkte Selbstwirksamkeit, eher auf andere, als auf sich selbst vertrauen Zugrundeliegende Überzeugungen • Perfektionismus • übersteigertes Verantwortungsbewusstsein / «die Dinge laufen aus dem Ruder, wenn wir uns nicht sorgen» • hohes Kontrollbedürfnis Egle et al., in preparation
Psychotherapeutische Ziele • Bearbeitung von krankheitsbezogenen Copingstrategien • Erkennen maladaptiver Stressbewältigungsstrategien • Bearbeitung motivationaler Vermeidungs- und Konfliktschemata • Ressourcenaktivierung Egle et al., in preparation
Gestaltung der therapeutischen Beziehung • Grundannahme Bindungstypologie • ängstlich-überfürsorgliche, wenig feinfühlige Bezugsperson, die Neugier- Verhalten in der frühen Entwicklung einschränkte und wenig verlässlich war • negatives Selbstbild und der Neigung, Schutz und Sicherheit bei anderen zu suchen • meist unsicher-verwickelter (-ambivalenter) Bindungsstil • Therapeutische Beziehung • Förderung von Autonomie und Selbstwirksamkeit • Cave! Keine Überfürsorglichkeit bei ängstlich-anklammerndem Verhalten • häufige Termine • hohe Transparenz des therapeutischen Vorgehens (Psychoedukation zu Beginn) Craske & Barlow, 2015; Egle et al., in preparation
Psychoedukation / Transparenz Informationen über • Symptomatologie • Ätiologie • Behandlung • Übungen Craske & Barlow, 2015; deutsch von Flückiger
Tagebuch führen • Aufzeichnungen (Craske & Barlow, Themenblock 2) • Sorgentagebuch, Stimmungsprotokoll, Fortschrittstagebuch • Auslöser der Sorgenketten identifizieren • Erkennen der Sorgensituationen • Dokumentation und Beurteilung von Veränderungen • Beobachtung ist ein Schritt in Richtung Distanzierung, Austieg aus dem «Strudel» Craske & Barlow, 2015
Umgang mit negativen Affekten und Beziehungsproblemen / Ressourcenaktivierung • Blick nach innen • Bearbeitung von negativen Affekten und ungeklärten Beziehungen im gegenwärtigen Alltag • nicht wahrgenommene / zugelassene «Wut und Ärger» können Angst machen • Thematisieren von Beziehungs- und Selbstwertproblemen • Verständnis zu biographischen Prägungen • Ressourcenaktivierung • individuelle Resilienzfaktoren erarbeiten • positive Aktivitäten fördern • Bewegung (Einfluss auf die vegetative Symptomatik, Verbesserung der Dysfunktion zwischen pro- und antiinflammatorischen Cytokinen) Egle et al., in preparation
Angstkomponenten (Craske & Barlow, Themenblock 3)
Ursachen / Aufrechterhaltung (Craske & Barlow, Themenblock 4)
„Ein letzter Grund, warum sich jemand mit einer generalisierten Angststörung übermäßige Sorgen macht, obwohl dies keine Probleme löst und alles nur noch verschlimmert, erklärt sich durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse. Übermäßige Sorgen bewirken, dass unsere Gedanken voll und ganz auf die Gefahr fixiert sind. Es erscheint nicht mehr möglich, dass wir uns auf die Gefühle und Bilder, welche den gefahrvollen Gedanken zugrunde liegen, konzentrieren. Wir denken also so stark über anstehende Probleme nach, dass wir keine Zeit mehr haben, uns unseren negativen Emotionen zu widmen. Dies liegt daran, dass das Denken an ein Problem und das Fühlen von Emotionen verschiedene Gebiete des Gehirns beanspruchen. Unsere Angst können wir aber nur dann vermindern, wenn wir uns auf unsere Emotionen und Gefühle einlassen und uns diesen stellen. Das ständige Sorgen hält uns davon ab, uns mit den möglichen negativen Emotionen auseinanderzusetzen. Die sorgenvollen Gedanken sind sozusagen Vorwand dafür, uns den negativen Gefühlen nicht zu stellen. Dies ist wiederum ein Grund, warum wir uns sorgen (auch wenn wir es nicht wollen). Obwohl wir wissen, dass die Lösung darin liegt, sich mit unseren Gefühlen zu konfrontieren und mit ihnen zu arbeiten, sorgen wir uns ständig, um genau dies zu vermeiden“. Craske & Barlow, deutsch: Flückiger, 2015
Entspannung (Craske & Barlow, Themenblock 5) • Verbesserung der Entspannungsfähigkeit • Progressive Relaxation, EMG-Biofeedback • Regelmässiges Üben • Ziel: Ein-Schritt-Entspannung Insomniebehandlung • Schlafhygiene • Veränderung dysfunktionaler Kognitionen • ggf. Psychopharmaka (keine Benzodiazepine oder Z- Substanzen) Craske & Barlow, 2015; Egle et al., in preparation
Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen (Craske & Barlow, Themenblock 6, 7 und 8) • Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen • Veränderung automatischer Angstgedanken • Hinterfragen von überschätzten Risiken • Verhaltensexperimente • Entkatastrophisieren und Entdramatisieren («heisse» versus «kühle» Gedanken) • Konfrontation mit bildhaften Sorgenszenarien Craske & Barlow, 2015; Egle et al., in preparation
Pharmakotherapie • S3 Leitlinie: Psycho- oder Pharmakotherapie bei Beginn Empfeh- lungsgrad SSRI Escitalopram Cipralex ® 10-20 mg A Paroxetin Deroxat ® 20-50 mg A SNRI Duloxetin Cymbalta ® 60-120 mg A Venlafaxin Efexor ® 75-225 mg A Kalziummodu- Pregabalin Lyrica ® 150-600 mg B Erhöhtes Abhängigkeitspotential, lator nicht bei Sucht Trizyklisch. AD Opiramol Insidon ® 50-300 mg 0 (kann) Azapiron Buspiron 15-60 mg 0 (kann) Nicht in der CH • WFSBP: Quetiapin Sequase ® (50-300 mg) • Lavendelöl Laitea ® (80 mg) kontrollierte Studien zeigen Wirksamkeit (Kasper et al., 2017); Indikation CH: Ängstlichkeit, Unruhe
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kompetenzzentrum für Psychiatrie und Psychotherapie Kontaktangaben der Referentin: am Zürichsee k.cattapan@sa-ki.ch
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