Die räumliche Relevanz berufsbedingter Nebenwohnsitze - Empfehlungen für die Transformation des ehemaligen Postareals in Karlsruhe - KIT
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Die räumliche Relevanz berufsbedingter Nebenwohnsitze Empfehlungen für die Transformation des ehemaligen Postareals in Karlsruhe
Impressum Inhaltsverzeichnis Ein Forschungsprojekt finanziert durch den KIT-Strategiefonds. 4 1. Vorwort 8 2. Projekthintergrund Projektleitung: Prof. Kerstin Gothe 10 2. 1. Theoretischer Hintergrund KIT, Institut Entwerfen für Stadt und Landschaft Prof. Dr. Caroline Kramer 18 2. 2. Expertenworkshop KIT, Institut für Geographie und Geoökologie 22 3. 10 Thesen und deren Diskussion Verfasser: 24 3. 1. Konkrete Zielsetzung Dr. Markus Kaltenbach 24 3. 2. Örtliche Relevanz KIT, Institut Entwerfen für Stadt und Landschaft 25 3. 3. Regionale Strategien Kooperation: VOLKSWOHNUNG GmbH 26 3. 4. Zielgruppe Uta Hellich, Anja Kulik 27 3. 5. Relevante Teilgruppe Mario Rösner, Anne Thieß 30 3. 6. Nachbarschaftliches Zusammenleben Zeichnungen und Grafiken: 31 3. 7. Chance des Digitalen Dr. Markus Kaltenbach 32 3. 8. Nachhaltigkeit Gestaltung und Satz: Dr. Markus Kaltenbach 34 4. Testplanung 34 4. 1. Kontext und Lage Mitarbeit im Expertenworkshop: Daniel Haselberger 36 4. 2. Transformation des Areals KIT, Institut Entwerfen für Stadt und Landschaft 38 4. 3. Planungsprämissen der Testplanung Hanna Jäger KIT, Institut für Geographie und Geoökologie 40 4. 4. Städtebauliche Grundstruktur Lektorat: 44 4. 5. Prämisse der Adressbildung Anna Schork 46 4. 6. Prämisse der Zugänglichkeit KIT, Institut Entwerfen für Stadt und Landschaft 48 4. 7. Prämisse der Durchmischung Bild Cover: 58 4. 8. Prämisse der Funktionsüberlagerung Dr. Markus Kaltenbach 62 4. 9. Prämisse der Zahlen und Kenngrößen Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 64 4. 10. Prämisse intelligentes Mobilitätskonzept Kaiserstraße 12 66 5. Anhang 76131 Karlsruhe 66 5. 1. Verwendete Abkürzungen 67 5. 2. Literaturverweise Feb. 2021 69 5. 3. Expertengespräche Seite 2 Seite 3
1. Vorwort Das Projekt „Daheim Unterwegs: informiert und nachhaltig Leben und mobil Sein“ verbindet wesentliche Themen der KIT Dachstrategie, Diese Broschüre ist entstanden im Rahmen eines gemeinsamen indem es die spezifischen Kompetenzen im Bereich „Natürliche und Projektes mit Prof. Dr. Caroline Kramer (Institut für Geographie und gebaute Umfeld“ zu eben diesen Themen miteinander vernetzt. Die Geoökologie / Lehrstuhl für Humangeographie am KIT). Expertise der Architektur, die sich mit der nachhaltigen Gestaltung und Die Fragestellungen dieses gemeinsamen Projektes waren: Wie verän- Nutzung der Gebäude beschäftigt, kann mit den Forschungsschwer- dert sich das Leben des postmodernen, hoch mobilen Menschen, der punkten der Geographie verknüpft werden, die ökologische, soziale nahezu immer und überall auf Informationen zugreifen kann, um seinen und räumliche Prozesse auf einer anderen Maßstabsebene im Blick Lebensalltag, seine Mobilität, seine Erwerbstätigkeit und seine Teilha- hat. Damit verband sich die Erwartung, dass mit diesem Projekt zu- be am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu gestalten. Welche kunftsweisendes Wissen für Gesellschaft und Umwelt geschaffen wird, Veränderungen ergeben sich dadurch für die technische, bauliche, in- Prof. Kerstin Gothe das sozial, ökologisch und ökonomisch nützlich ist und dass das Pro- Fotografie: Ralf Stieber frastrukturelle und soziale Umwelt dieser Menschen? Was geschieht, jekt die Stadtforschung am KIT nachhaltig stärkt und zur Bildung eines wenn zu jeder Zeit und überall Informationen über Orte, Ereignisse Kompetenznetzwerkes mit Impulsen in den Feldern Mobilität und In- oder Verkehrsmittel verfügbar sind, wenn sich diese Informationen zu formation beiträgt. raumbezogenem Wissen vernetzen? Inwieweit verändern sie das Ver- halten des Einzelnen? Wieweit verändert sich das Verhältnis zwischen Beim ersten Querschnittsthema sollten die Ergebnisse der Disser- öffentlichem und privatem Raum, wenn Menschen sich gleichzeitig tation von Markus Kaltenbach, die im Sommer 2020 abgeschlossen auch in digitalen Räumen aufhalten? wurde, in konkrete Empfehlungen für ein Planungs- oder Bauvorha- Dies spielt gerade für die räumlichen Angebote eine Rolle, denn diese ben in Karlsruhe überführt werden. Die Testplanung soll spezifische verändern sich infolge ihrer Langlebigkeit deutlich langsamer als etwa Wohnangebote für Multilokale in eine Arealsentwicklung integrieren Veränderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie. und mit einem Dienstleistungsangebot ergänzen. Die enge Anbindung Auf diese Entwicklungen auf unterschiedlichen Raum- und Zeithori- der Stadtforschung an konkrete Entwicklungen in Karlsruhe sollte die zonten sollte das Projekt eingehen und anhand zweier ausgewählter Positionierung des KIT in der Stadtgesellschaft unterstützen. Querschnittsthemen Potenziale sowohl für baulich-technologische als auch räumlich-planerische Maßnahmen bzw. Innovationen identifizie- Diese Erwartungen sind aus meiner Sicht in dem Projekt hervorragend ren. Die beiden Themenschwerpunkte waren: erfüllt worden. Durch die Kooperation mit dem Stadtplanungsamt und der VOLKSWOHNUNG entstand ein fruchtbarer Diskurs für eine kon- 1. Die räumliche Dimension residenzieller Multilokalität (Archi- krete Planungsaufgabe, nämlich die Überplanung des Postareals am tektur / Stadtplanung): Immer mehr Menschen leben und arbeiten Bahnhof in Karlsruhe. Markus Kaltenbach hat anlässlich dieser Aufga- an mehreren Orten. Die Dissertation von Markus Kaltenbach, auf der be nicht nur konkrete Planungsempfehlungen aus seiner Dissertation das Architekturprojekt aufbaute, untersuchte, wie diese Orte der- abgeleitet, sondern sie auch im Wege konkreter Entwurfsvorschläge zeit beschaffen sind. Daran anknüpfend sollte gefragt werden, wie überprüft und vorgestellt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Anregungen Angebote für Wohnung und Quartier für diese hoch mobilen Men- ihren Weg in die weitere Vorbereitung des Architekturwettbewerbs und schen, die häufig auch als Pioniere der Postmoderne angesehen wer- die konkrete Arbeit der VOLKSWOHNUNG finden. den, beschaffen sein sollten, um ihren Lebensalltag zu erleichtern. Wir danken dem Strategiefonds KIT für die großzügige Förderung die- ser Arbeit und allen, die an den Workshops beteiligt waren und freuen 2. Raumbezogene Informationen und ihre Nutzung für raumbe- uns, die Dokumentation vorlegen zu können. zogenes Handeln im öffentlichen Raum (Geographie): Im zweiten Querschnittsthema geht es um Nutzungspotenziale neuer Räume, wie Das Projekt ist im Übrigen auch eingebunden in Forschungs- bzw. Pro- sie derzeit in Karlsruhe an vielen Stellen entstehen, etwa im Zuge der jektseminare, die im Rahmen von LehreForschung fachübergreifend durch- U-Strab sowie durch die geplante Öffnung des KIT-Campus zur Stadt. geführt und dokumentiert wurden. Über zwei Semester hinweg wur- Es soll untersucht werden, wie sich Nutzer/innen über diese Räume den diese durch das BMBF innerhalb der Architektur und Geographie mit Hilfe digitaler Medien informieren und vernetzen, wie sie digitale gefördert. Auf diese Weise vereinten diese Projekte auf besondere Art mit realen Räumen verbinden und wie die Abgrenzung zwischen Öf- und Weise Forschung, Lehre und Innovation. fentlichkeit und Privatheit geschieht. Dieser Projektteil befindet sich derzeit in der empirischen Phase. Erste Prof. Kerstin Gothe Ergebnisse werden Ende des Jahres vorliegen. Seite 4 Seite 5
Thematische Vorbemerkung Die grafische Darstellung und textliche Erläuterung der folgenden Test- Lebensmodelle und Erwerbsbiografien folgen heute häufig nicht mehr planung sind das Ergebnis eines intensiven Austauschs und Dialogs. tradierten Mustern. Jenseits des Familienmodells der klassischen Die vorliegende Dokumentation kann aufgrund der vielfältigen und mit- Kernfamilie mit Vater, Mutter, Kind in einer Wohnung verändert sich die unter weitreichenden Anregungen der einbezogenen Expertinnen und soziale und räumliche Praxis des Wohnens. Hintergrund sind u. a. eine Experten kein vollständiges Abbild aller angesprochenen Diskussions- Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und steigende räumliche Mobilität. punkte des durchgeführten Workshops leisten. Die mitlaufenden Zitate Der Alltag vieler Menschen verteilt sich über mehrere Orte, um privaten neben den Fließtexten sollen diesen Diskurs und Wissensaustausch und beruflichen Bedürfnissen gleichermaßen zu genügen. illustrieren und auf die vielschichtigen thematischen Querbezüge hin- An den Lebenspraktiken von Menschen, die ihren Alltag aufgrund ihrer weisen, ohne im Einzelnen darauf einzugehen. beruflichen Tätigkeit über mehrere Orte hinweg organisieren (berufsbe- dingte Multilokalität), werden die aktuellen gesellschaftlichen Verände- Dr. Markus Kaltenbach Aktuelles Geschehen Fotografie: Bernd Seeland rungen in besonderem Maße deutlich. Die aktuell andauernde Covid-19-Pandemie wirft grundsätzliche Fra- gen im Hinblick auf berufsbedingte multilokale Lebensentwürfe und Wenn Menschen aus beruflichen Gründen einen Nebenwohnsitz in der deren Relevanz auf. Mobilitätseinschränkungen und der erzwungene Stadt ihrer beruflichen Tätigkeit unterhalten, dann geschieht dies aus Rückzug ins Private führten in den vergangenen Monaten zu einer einer gewissen Notwendigkeit heraus. Die Arbeitsstelle liegt in einer Neubewertung von Lebensentwürfen und Wohnsituationen. Nicht zu- entsprechend räumlichen und damit auch zeitlichen Distanz zum ei- letzt das Arbeiten von zu Hause stellt dabei neue Möglichkeiten, aber gentlichen Wohnsitz, dem (sozialen) Lebensmittelpunkt, was ein tägli- auch neue räumliche Anforderungen an die Wohnsituationen und die ches Pendeln ausschließt. Bindungen am Hauptwohnsitz oder bspw. Arbeitsorte dar. Befristungen im Arbeitsverhältnis stehen zugleich einer dauerhaften Es ist derzeit ungewiss, zu welchen bleibenden Veränderungen die Migration an den Ort der Arbeit im Wege. Pandemie in unserer Gesellschaft führen wird. Wir gehen jedoch da- Die Notwendigkeit nach berufsbedingten Nebenwohnsitzen ist dabei von aus, dass berufsbedingte Multilokalität als Denkfigur und die im ein Phänomen, welches sich nicht auf Metropolen beschränkt und Folgenden dargestellten Entwurfsprämissen unabhängig dieser Un- auch eine Stadt wie Karlsruhe betrifft. wägbarkeiten Gültigkeit und Relevanz besitzen. Was ist die räumliche Relevanz dieser gesellschaftlichen Verände- Danksagung rungen? Können Erkenntnisse aus einer theoretischen Untersuchung Die vorliegende Dokumentation stellt einen wichtigen Meilenstein im berufsbedingter Nebenwohnsitze für die Planungspraxis nutzbar ge- Forschungsprojekt „Daheim-Unterwegs“ finanziert durch den KIT-Stra- macht werden? tegiefonds dar. Allen Beteiligten und Förderern seitens des KITs sei an Wie kann eine Anwendung der theoretischen Erkenntnisse ganz kon- dieser Stelle herzlich gedankt. kret auf dem ehemaligen Postareal in Karlsruhe aussehen und zur Unser Dank gilt auch allen Gesprächspartnerinnen und Gesprächs- Schaffung eines nachhaltigen und resilienten Stadtbausteins beitra- partnern im Rahmen des Expertenworkshops und den anschließenden gen? Videokonferenzen (Teilnehmerliste siehe Kapitel 5. 3). Nicht zuletzt gilt unser Dank den Vertreterinnen und Vertretern der Methodische Vorbemerkung VOLKSWOHNUNG GmbH. Mit großem Interesse und Begeisterung für „Assessing and meeting the needs of clients and users, understanding die Thematik wurde das Projekt inhaltlich als auch finanziell von ihnen a building for reuse, or working with precedents in order to produce unterstützt. Mit großem Vertrauen und Offenheit begegneten sie den more engaging architectural spaces are all founded on good research.“ mitunter auch kritischen Fragestellungen und ermöglichten einen wert- (Lucas, 2016, S. 184) vollen Erfahrungsaustausch. Während der theoretische Hintergrund des Projektes (siehe Kapitel 2) Für die Transformation und Entwicklung des Postareals wünsche ich mittels einer Kombination von sozialwissenschaftlichen und räumlichen der VOLKSWOHNUNG gutes Gelingen und hoffe einen konstruktiven Analysemethoden erarbeitet wurde, kann die im Folgenden dargestell- Beitrag und hilfreiche Anregungen für die zukünftige Gestaltung und te Testplanung für das Postareal als „Research by Design“-Prozess Konzeption des Postareals beisteuern zu können. verstanden werden. Die entwerferische Tätigkeit ist dabei zentraler methodischer Bestandteil und Teil des Erkenntnisgewinns, der auf eine Dr. Markus Kaltenbach intensive Forschung, wie von Ray Lucas gefordert, aufbaut. Seite 6 Seite 7
2. Projekthintergrund Die im Folgenden dargestellte Testplanung (Kapitel 4. 3) entspricht weitestgehend dem im Workshop diskutierten Planungsstand un- Forschungsprojekt „Daheim Unterwegs“ ter Berücksichtigung von insbesondere sprachlicher Anmerkungen Die vorliegende Untersuchung ist Teil des Forschungsprojekts „Daheim durch die Expertinnen und Experten. Wertvolle Impulse im Hinblick auf Unterwegs: informiert und nachhaltig Leben und mobil Sein“ (Projekt- Programm, Funktion, Organisation und Kenngrößen wurden aus den leitung Prof. Kerstin Gothe und Prof. Dr. Caroline Kramer) finanziert Gesprächen aufgegriffen und flossen in die textliche Ausarbeitung ein. durch den KIT-Strategiefonds (Laufzeit 2019-2022). Punktuell wurde die Planung um zusätzliche erläuternde Grafiken zur Als kooperatives Forschungsprojekt zwischen dem Institut Entwerfen besseren Verständlichkeit ergänzt. für Stadt und Landschaft und dem Institut für Geographie und Geoöko- Thesen logie ist die Untersuchung zur räumlichen Relevanz berufsbedingter Die Brücke zwischen Theorie und Anwendung bildete ein Thesen- Nebenwohnsitze Teil einer interdisziplinären Stadtforschung bestehend papier mit 10 Thesen (siehe Kapitel 3). aus den Disziplinen Architektur, Städtebau und der Humangeographie. Die im Vorfeld des Workshops versandten Thesen boten den beteilig- Das Forschungsprojekt nimmt das Leben des postmodernen, hoch ten Expertinnen und Experten einen schnellen Einstieg in die Thematik mobilen Menschen in den Blick, der nahezu überall auf Informati- und dienten darüber hinaus als Leitfaden für die im Workshop geführte onen zugreifen kann, um seinen Lebensalltag, seine Mobilität, seine Diskussion. Erwerbstätigkeit und seine Teilhabe am gesellschaftlichen und kultu- rellen Leben zu gestalten. Veränderungen der technischen, baulichen, Expertengespräche infrastrukturellen, ökologischen und sozialen Umwelt dieser Menschen Die Testplanung und deren planerische Empfehlungen wurden im stehen dabei im Zentrum des Forschungsinteresses. Rahmen von Expertengesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung der Stadt Karlsruhe, Vertreterinnen und Dissertation zur räumlichen Dimension residenzieller Multilokalität Vertretern der Wohnungswirtschaft und Baubranche, der Internati- Den theoretischen Ausgangspunkt bildet die Dissertation „Die räumli- onalen Bauausstellung Region Stuttgart 2027 sowie Verbänden der che Dimension residenzieller Multilokalität - Eine Untersuchung beruf- 1 M. Kaltenbach (2020). Wohnungswirtschaft diskutiert (Liste aller beteiligten Expertinnen und lich induzierter städtischer Nebenwohnsitze und ihrer städtebaulichen Die räumliche Dimension resi- denzieller Multilokalität - Eine Experten siehe Kapitel 5. 3). Relevanz“.1 Untersuchung beruflich indu- zierter städtischer Nebenwohn- Hierzu wurde am 13. Okt. 2020 ein Workshop am KIT ausgerichtet (sie- Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die theoretischen Erkennt- sitze und ihrer städtebaulichen Relevanz Dissertation am KIT. he Kapitel 2. 2) und zwei ergänzende Videokonferenzen im Nachgang nisse der Dissertation (Kapitel 2. 1) anhand einer konkreten Planung DOI: 10.5445/IR/1000122543 geführt2. 2 Aufgrund der Co- in Karlsruhe anzuwenden, ihre Gültigkeit und Praktikabilität zu testen (Open Access) vid-19-Pandemie war es nicht allen Die Auswahl der hinzugezogenen Expertinnen und Experten geht Teilnehmer/innen möglich phy- und die Ergebnisse mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen sisch an der Veranstaltung vor Ort dabei weit über den akademischen Kontext hinaus und sucht ganz am KIT teilzunehmen. Arbeitsgebieten zu diskutieren. bewusst den Diskurs und Austausch mit der Politik und der Praxis. Die Videokonferenzen wurden da- her im Nachgang als alternatives Die Diskussionen und Gespräche wurden nicht im Einzelnen Beteiligungsformat ergänzend an- Testplanung geboten. dokumentiert. Neben den aufgegriffenen Zitaten der Expertinnen und Die Testplanung ist methodisch als „Research by Design“-Ansatz zu Experten wird in Kapitel 3 der Versuch unternommen, die zentralen verstehen. Theoretische Erkenntnisse werden auf eine konkrete Auf- Themenschwerpunkte der Gespräche zusammenzufassen und zu gabenstellung und einen spezifischen Ort übertragen, angewandt und reflektieren. weiterentwickelt. Als Anwendungsbeispiel dient ein 1,6 ha großes Areal der VOLKS- WOHNUNG GmbH, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft in Karlsruhe (siehe Kapitel 4). Die Testplanung wurde dabei von der VOLKSWOHNUNG inhaltlich begleitet und im Rahmen des Workshops ideell sowie beim Druck der Broschüre finanziell unterstützt. Der Bear- beitungszeitraum der Testplanung war März bis Oktober 2020. Die Testplanung konnte an eine erste städtebauliche Machbarkeitsstu- die von sa_partners in Kooperation mit WSW & Partner GmbH (März 2019) anknüpfen und auf ein daraus resultierendes schematisches Bebauungs- und Nutzungskonzept (Aug. 2019) aufbauen. Seite 8 Seite 9
2. 1. Theoretischer Hintergrund Ziel der Untersuchung Hinsichtlich der sozialen Dimension, den mit der residenziellen Multi- Die räumliche Dimension residenzieller Multilokalität - Eine Un- lokalität einhergehenden Herausforderungen für Individuen, Haushalte tersuchung beruflich induzierter städtischer Nebenwohnsitze und und Familien liegen durch akteurszentrierten Studien bereits Erkennt- ihrer städtebaulichen Relevanz nisse vor. Die räumliche Dimension hingegen ist noch wenig erforscht. Zum einen hat die Untersuchung daher zum Ziel, die phänomenologi- Das Entwerfen und Gestalten von gebautem Raum geht stets einher sche Bandbreite und damit eine Realitätserschließung des räumlichen mit einer Antizipation der zukünftigen Nutzer/innen und einer gewissen Spektrums der beruflich induzierten städtischen Nebenwohnsitze dar- Annahme hinsichtlich der Nutzung der jeweiligen Räumlichkeit. zulegen (Forschungsziel A). Nicht zuletzt im Wohnungsbau ist aber zu beobachten, dass die klas- Des Weiteren wird die räumliche Relevanz der Thematik für die städte- sische Kernfamilie sowie standardisierte Lebensmodelle häufig noch bauliche Planung untersucht und daraus abgeleitete Planungsparame- immer den Planungshorizont bestimmen und damit die gesellschaftli- ter und Handlungsempfehlungen formuliert (Forschungsziel B). che Realität nur unzulänglich abgebildet wird. Eine zunehmende Indivi- Das Kapitel „Theoretischer Hinter- Planungsparameter sind Aspekte im Themenkomplex der beruflich dualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen sowie eine steigende grund“ basiert auf der Dissertation induzierten residenziellen Multilokalität, welche mit einer Varianz und von M. Kaltenbach (2020). Die räumliche Mobilität führen zu neuen Raum-Nutzungsverhalten und zu räumliche Dimension residenzi- kontextueller Unterschiedlichkeit bestimmten identifizierten Mustern eller Multilokalität - Eine Unter- veränderten Anforderungen an den gebauten Raum. suchung beruflich induzierter oder Typen folgen. Diese Muster und Typen erlauben Rückschlüsse städtischer Nebenwohnsitze Am Beispiel von multilokalen Akteuren, Personen, die ihren Le- und ihrer städtebaulichen Rele- auf einen strategischen und planerischen Umgang mit der Thematik. vanz. Dissertation am KIT. DOI: bensalltag über mehrere Orte hinweg organisieren,1 werden diese ge- 10.5445/IR/1000122543 (Open sellschaftlichen Veränderungen in besonderem Maße deutlich. Multi- Access - Volltext online frei ver- Vorgehen fügbar) lokale Wohnpraktiken werden als Extremform begriffen, anhand derer Das Ziel, sich verändernde Raumnutzungsverhalten und damit einher- sich die gesellschaftlichen Veränderungen und die damit einhergehen- gehende räumliche Anforderungen zu untersuchen, legt eine Kombi- 1 Definition in Anleh- den räumlichen Belange besonders gut untersuchen lassen. nung an Rolshoven, 2006 nation von räumlichen Analysen und sozialwissenschaftlichen Metho- Durch die ergänzende Planungsperspektive des multilokalen Akteurs den nahe. Gerade das Zusammenspiel von Raum und Akteur liegt im soll räumliche Planung und gesellschaftliche Realität wieder stärker in Zentrum des Erkenntnisinteresses und stellt ein zentrales Merkmal und Einklang gebracht werden. Alleinstellungskriterium der Untersuchung dar. Das unter diesem Gesichtspunkt wenig erforschte Themenfeld und eine mangelnde Datengrundlage3 legen einen explorativen und quali- 3 Zur mangelnden Thematische Eingrenzung Datengrundlage siehe ausführli- Residenzielle Multilokalität ist eine Form der räumlichen Mobilität und tativen Forschungszugang nahe. cher Weichhart & Rumpolt, 2015 zwischen der dauerhaften Migration und der Zirkulation, bspw. dem Mit dem Ziel, ein breites räumliches Spektrum abzubilden (Forschungs- Tagespendeln, zu verorten.2 Der Alltag des multilokalen Akteurs er- ziel A), wurden Fallstudien möglichst unterschiedlicher Nebenwohnsit- streckt sich dabei über mehrere Orte, an denen ihm jeweils eine Form 2 Definition nach ze untersucht. Nach vorbereitenden räumlichen Analysen hinsichtlich Weichhart, 2009 von Behausung zur Verfügung steht. Behausungen können dabei auch Lage und räumlichem Kontext des jeweiligen Nebenwohnsitzes wur- atypische Wohnformen annehmen. den mit den Probanden leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Zur Untersuchung der städtebaulichen Relevanz sind insbesondere Durch das Durchführen der Interviews am jeweiligen Nebenwohnsitz die beruflich induzierten Nebenwohnsitze geeignet. Sie bedingen zum stellten diese zugleich den Zugang zur privaten Behausung dar und er- einen eine kritische räumliche Distanz zwischen den Behausungen, möglichten die räumliche Analyse des Nebenwohnsitzes auf Gebäude- da beruflich induzierte Nebenwohnsitze immer als Reaktion auf eine ebene und der individuellen Wohneinheit. räumliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zu verstehen Die darauffolgende grafische Dokumentation und Auswertung der sind. Zum anderen erfasst die beruflich induzierte residenzielle Multilo- räumlichen Situation auf unterschiedlichen Maßstabsebenen wurde mit kalität, entgegen bspw. freizeitbedingter residenzieller Multilokalität in einer qualitativen Inhaltsanalyse des durch die Interviews gewonnenen Form von Ferienhäusern, sämtliche gesellschaftlichen Schichten. Textmaterials kombiniert und durch Experteninterviews ergänzt. Der Durch die Untersuchung von explizit städtischen Nebenwohnsitzen Erhebungsraum des Samples umfasst die Bundesländer Baden-Würt- können unmittelbar Rückschlüsse auf eben diesen Stadtraum gezo- temberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, um einen möglichst ver- gen werden. Mit Nebenwohnsitzen sind im Folgenden daher immer gleichbaren kulturellen und wirtschaftlichen Kontext zu gewährleisten. beruflich induzierte städtische Nebenwohnsitze gemeint. Mit Multilokalität ist immer die beruflich induzierte residenzielle Multi- Abb. 1 Thematische lokalität gemeint. Eingrenzung (Kaltenbach, 2020) Seite 10 Seite 11
Erkenntnisse So kann bspw. das alleinige Vorhandenseins von gewerblichen Wohn- Die Untersuchung bringt erste Erkenntnisse hinsichtlich (a) des Wohn- angeboten wie Hotels und Serviced Apartments kein Garant dafür raumes, (b) des Arbeitsplatzumfeldes, (c) der zentralen Mobilitätsorte sein, dass eine Kommune tatsächlich genügend adäquate Wohnrau- sowie (d) des Wettbewerbs zwischen Städten. mangebote für beruflich bedingte Multilokale bereit hält. a) Wohnraum Raumtyp A Auf Ebene des Wohnraumes illustriert das erhobene Sample auf plaka- 4 Zur Begrifflichkeit Übernachtungsmöglichkeit der Behausungsstrategie siehe tive Weise das breite räumliche Spektrum an ‚Behausungsstrategien’.4 Sturm & Meyer, 2009 Das Spektrum ist dabei wesentlich vielschichtiger als häufig angenom- men und geht weit über klassische gewerbliche Angebote wie bspw. dem Serviced Apartment hinaus. Es umfasst das informelle Übernach- ten am Arbeitsplatz sowie die repräsentative Stadtwohnung gleicher- maßen. Dabei können drei Typen von Nebenwohnsitzen differenziert werden. Raumtyp A „Übernachtungsmöglichkeit“ bietet neben der Übernach- tungsfunktion wenig bis keinen Spielraum für weitere Aktivitäten (z. B. wenn informell am Arbeitsplatz übernachtet wird). Raumtyp B „funkti- - Übernachten am -Übernachten bei - Hostel onale Behausung“ ist durch seine Funktionalität gekennzeichnet. Der Arbeitsplatz Freunden / Bekannten - Monteursunterkunft Nebenwohnsitz stellt hier eine pragmatische, wenngleich auch häufig - Untermiete* - Baucontainer - Airbnb* - Wohnwagen eine Kompromisslösung dar (z. B. das relativ kostspielige Übernachten in einem möblierten Apartment). Raumtyp C entspricht weitestgehend Raumtyp B der Wunschsituation des Probanden und ist als „Ort des Wohnens und Funktionale Behausung Wohlfühlens“ auf eine gewisse Beständigkeit ausgelegt. Die räumli- chen Situationen werden dabei anhand vier Unterscheidungsdimen- sionen differenziert. Dies ist zum einen (1) der Grad der Informalität und rechtlichen Sicherheit der jeweiligen Wohnsituation, welcher von informell bis formell variieren kann. Zum anderen (2) gibt es die Unterscheidungsdimension der Dauerhaf- tigkeit einer Behausung. Der Nebenwohnsitz kann von temporär bis hin zu einer konstanten und auf Dauer ausgelegten Situation variieren. Ein Indikator sind bspw. die Zeiträume etwaiger vertraglicher Bindungen. Ein weiteres zentrales Unterscheidungsmerkmal (3) ist das Verfügen - Hotel - WG-Zimmer - Serviced Apartment* über privaten Rückzugsraum. Von keinerlei privatem Raum bis hin zu - Pension - Untermiete* - Furnished Apartment viel Privatsphäre unterscheiden sich hier die Nebenwohnsitze elemen- - Serviced - Airbnb* - Mikro-Apartment tar. Hinsichtlich Ausstattung und Einrichtung (4) können die Neben- Apartment* - Studio* wohnsitze von provisorisch bis permanent unterschieden werden. Raumtyp C Privater Ort zum Wohnen und Wohlfühlen Die Abgrenzung der Typen ist dabei nicht trennscharf und kann je nach individueller Auslegung und Abwägung der Dimensionen unterschied- lich ausgelegt werden. Eine Berufstätigen-Wohngemeinschaft bspw. mag für den einen eine Übergangslösung sein; für jemand anderen kann es die präferierte und auf Dauer ausgelegte Wohnsituation dar- stellen. Die Unterscheidungsdimensionen zeigen aber auf, wie un- wahrscheinlich es ist, dass ein Bautypus bzw. ein spezifisches Wohn- angebot für Personen, die aus beruflichen Gründen multilokal leben, die Bandbreite an Bedürfnissen alleine befriedigen kann. Abb. 2 Identifizierte Raumtypen, (Kaltenbach, 2020) - (vollwertige) Wohnung * Mehrfachnennung - Studio* Seite 12 Seite 13
Der zeitliche Rahmen einer beruflich bedingten Multilokalität kann da- Hier wäre insbesondere das Studio wie auch die Kleinstwohnung zu bei sehr variieren und beeinflusst die Wahl der Behausung maßgeblich nennen. Ausgestattet mit Nasszelle und Einbauküche (ggf. auch wei- mit. Es liegt nahe, dass im Falle eines begrenzten Zeitraumes andere teren Einbauschränken), erlaubt sie einen relativ einfachen und un- Kriterien an die Behausung gestellt werden als bei einem unbefristeten komplizierten Start am Nebenwohnsitz. Sie kann dabei sukzessive Arbeitsverhältnis am Ort des Nebenwohnsitzes. eingerichtet und angeeignet werden und dadurch auch für die weite- Besonders aufschlussreich für die multilokalen Bedürfnisse sind die ren Phasen der Multilokalität Wohn- und Lebensraum ohne weiteren länger andauernden multilokalen Situationen. Hier können typische Umzug bieten. Wohnkarrieren identifiziert werden, anhand derer wiederum drei Pha- sen der beruflich induzierten residenziellen Multilokalität deutlich wer- Neben unterschiedlichen (Wohn-)Raumtypen und unterschiedlichen den. Es besteht dabei ein Zusammenhang zwischen den Phasen der Phasen der berufsbedingten residenziellen Multilokalität kommt ins- Multilokalität und den zuvor beschriebenen Raumtypen an Neben- besondere der Verortung der Wohnangebote in der Stadt besondere wohnsitzen. Relevanz zu. Hierbei können drei zentrale Muster bzw. Verortungsstra- tegien identifiziert werden. Da die Multilokalität häufig ohnehin hohe Die Multilokalität ist häufig geprägt durch eine spezifische Anfangs- Mobilitätsanforderungen stellt, wird der Standort des Nebenwohnsit- phase. Zu Beginn ist insbesondere die schnelle Verfügbarkeit einer Be- zes i. d. R. sehr strategisch gewählt. In Muster A wird der Nebenwohn- hausung häufig ausschlaggebend, sodass hier auf temporäre, mitunter sitz entlang der Wegekette zwischen Mobilitätsort (Verbindungsort gewerbliche Wohnangebote zurückgegriffen wird. zum Hauptwohnsitz) und Arbeitsplatz verortet. In Muster B wird der Die Anfangsphase ist gefolgt von einer Übergangsphase, die häufig mit Nebenwohnsitz in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz gesucht. In einem Wechsel der Behausung einhergeht. Daran schließt die Phase Muster C ist die Nähe zum Mobilitätsort ausschlaggebendes Lagekri- der Verstetigung an, in welcher der Nebenwohnsitz auf unbestimmte terium für den Nebenwohnsitz. Zeit aufrecht erhalten werden soll. Dabei impliziert insbesondere das Muster B, der Verortung des Neben- wohnsitzes in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Arbeitsplatz neue räumliche Anforderungen an das Arbeitsplatzumfeld. b) Arbeitsplatzumfeld temporär provisorisch permanent Beruflich induzierte Multilokalität geht stets einher mit Bindungen des Akteurs am Hauptwohnsitz. Diese häufig sozialen Bindungen halten ihn von einer dauerhaften Migration ab und haben zur Folge, dass die Abb. 3 Die drei Phasen Anfangsphase Übergangsphase Phase der Verstetigung berufsbedingter Multilokalität, Akteure die Zeit am Nebenwohnsitz möglichst effizient und kompakt (Kaltenbach, 2020) gestalten möchten. Wenn Arbeitstage am Zweitwohnsitz nicht mehr dem Muster einer klas- Fall M: Nicht jeder multilokale Akteur wird diese Phasen durchlaufen und ge- sischen 40 Stunden Woche folgen und die Zeiträume am Arbeitsplatz rade die im Vorfeld zeitlich Boardinghaus klar begrenzten beruflichen Minihaus Arrangements Maisonettewohnung mitunter deutlich länger ausfallen, entstehen neue Anforderungen an werden unter 4 Wochen Umständen keine 1 Jahr Phase der Verstetigung zeitlich erlauben. das Arbeitsumfeld. Dabei kann das Arbeitsplatzumfeld sogar wichtiger Dennoch legt das untersuchte Sample nahe, dass unbegrenzt der Aufenthalt häu- als das unmittelbare Wohnumfeld am beruflichen Nebenwohnsitz sein „Wohnen auf Zeit“ fig länger dauert als zu Beginn von den Probanden angenommen und (sofern Arbeitsplatzumfeld und Wohnumfeld, dem Verortungsmuster B ggf. sogar eine dauerhafte Migration und damit die Beendigung der folgend, nicht ohnehin deckungsgleich sind). Arbeitsplatznähe attraktives Stadtquartier Multilokalität darauf folgt. Das lokale Angebot von adäquatem Wohn- Durch die Arbeitszentriertheit am Arbeitsort kommt es zum einen zu raum für die jeweilige Phase scheint dabei mitentscheidend für den längeren Arbeitsphasen am Arbeitsplatz. Die Nachfrage nach Pausen- Übergang in eine nächste Phase zu sein. Ein entspannter und differen- und Erholungsangeboten beschränkt sich dadurch nicht nur auf die Fall H: zierter Wohnungsmarkt ist insofern auch für beruflich induzierte resi- gewöhnliche Mittagspause. Angeboten kleinräumiger Naherholung, denzielle FurnishedMultilokalität Apartment äußerst relevant. Studio die auch für kurze Arbeitspausen erreichbar sind, kommt dabei eine Die Wohnkarrieren beschreiben dabei auch ein spezifisches Raum-Nut- besondere Bedeutung zu. Zum anderen konzentrieren sich auch die 1 Jahr mehrere Jahr zeitlich zerverhalten, dessen Berücksichtigung über Arbeitgeber für die strategische private Weitermiete unbegrenzt Stadtpla- sozialen Kontakte von Multilokalen am Arbeitsort häufig auf das kolle- nung als sehr fruchtbar eingeschätzt wird. giale Umfeld. „Wohnen auf Zeit“ Besonders interessant scheinen auch Wohnraum-Typen zu sein, wel- Öffentliche unkommerzielle Räume mit niederschwelligen Verweilan- che die Kapazität haben, für alle drei Phasen Relevanz zu besitzen. geboten und hoher Aufenthaltsqualität können hier die soziale Interak- Arbeitsplatznähe ruhigeres Quartier Seite 14 Seite 15 Experte I:
tion zwischen Arbeitskollegen fördern, was in besonderem Maße den zur Multilokalität eine zentrale Rolle. Im Kontext von residenzieller Mul- multilokal lebenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Gute tilokalität kommt jedoch neben der anfänglichen Entscheidung der kommt. Für monofunktionale Bürostandorte stellen Nebenwohnsitze kontinuierliche Vergleich zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz hinzu. 7 S t a n d o r t o ff e r t e n sind: „Attribute von Orten, die zugleich eine Chance der Belebung und Aktivierung dar. Die Standortofferten7 der Wohnsitze ergänzen sich im Falle einer Mul- geeignet erscheinen, bestimmte Nutzungsansprüche von Men- Hier kann auf zuvor identifizierte Muster zurückgegriffen werden. Eine tilokalität gegenseitig, stehen aber auch im unmittelbaren und andau- schen zu realisieren.“ (Weich- hart, 2009, S. 2) Verortung von Nebenwohnsitzen in unmittelbarer Nähe zu Bürostand- ernden Vergleich zueinander, da sie von den multilokalen Akteuren in orten würde dem Verortungsmuster B folgen. Aufgrund der pragmati- ihrem Alltag wechselseitig benutzt, bewohnt, beurteilt und wertge- schen Standortentscheidung wäre insbesondere die funktionale Be- schätzt werden. Dies stellt eine Vergleichsdimension zwischen Städten hausung (Typ B) naheliegend, wobei in erster Linie die Anfangsphase dar, welche in Form und Ausmaß nur im Kontext einer andauernden und/oder Phase des Übergangs der beruflichen residenziellen Multilo- residenziellen Multilokalität gegeben ist. Für Städte ist es insofern be- kalität adressiert würden. sonders wichtig, auf eine eigene Identität, ein klares Profil und spezi- Gerade in der Anfangsphase sind die multilokalen Akteure zu weit- fische Standortqualitäten zu setzen und sich diesem Ausgesetztsein reichenden Kompromissen bereit, wobei die einfache Verfügbarkeit des kontinuierlichen und andauernden Vergleichs bewusst zu werden. von Wohnangebot und die funktionale Nähe zur Arbeitsstelle gewisse Standortmängel hinsichtlich Aufenthaltsqualität und Urbanität über- wiegen können. Arbeitsstandorte erfahren durch die Anreicherung mit Nebenwohnsit- zen eine Aufwertung. Die multilokalen Akteure fungieren als Pioniere Stadt des berufsbedingten Mobilitätsort zur Belebung des zuvor monofunktionalen Standorts und können zur Nebenwohnsitzes weiteren Funktionsmischung anregen bzw. Folgenutzungen nach sich 5 Vgl. z. B. die Trans- ziehen und so zu einer dauerhaften Belebung des Standortes führen.5 formation des Lyoner Quartiers Standortqualitäten in Frankfurt a. M. (ehemals Bü- Lage Ort des Hauptwohnsitzes Ergänzen von rostadt) Standortofferten Arbeitsplatz c) Mobilitätsorte Umfeld Kontinuierlicher Aufgrund der hohen Mobilitätsanforderung, welche mit der Multilokali- Vergleich der Orte tät einhergeht, kommt des Weiteren den zentralen Mobilitätsorten eine besondere Bedeutung zu. Als zentrale Mobilitätsorte fungieren je nach Nebenwohnsitz Hauptwohnsitz Wohnumfeld Wohnumfeld Verkehrsmittel insbesondere Bahnhöfe, Flughäfen, Busbahnhöfe und zentrale Umsteigepunkte des ÖPNVs. Die Mobilitätsorte sind zum einen Ort des Ankommens in der Stadt des Abb. 4 Wechselwirkung Nebenwohnsitzes und zum anderen das Bindeglied zum Hauptwohn- Fazit und/oder Abhängigkeiten sitz. Als immer wiederkehrender Ort des Ankommens im Alltag eines verschiedener Standortfaktoren Es ist nicht das Ziel, Städte einzig und allein auf multilokale Lebenssti- bei berufsbedingter Multilokalen prägt er signifikant das Bild einer Stadt mit. le auszurichten. Städte sind Schauplatz einer großen Bandbreite ver- Multilokalität (Kaltenbach, 2020) Muster A Muster B Muster C Da die Erschließungsgunst des Nebenwohnsitzes bei berufsbeding- schiedenster Lebensentwürfe, was es zu bewahren und zu fördern gilt. ten Multilokalen einen besonderen Stellenwert hat, liegt es nahe, ent- Dem Appell, beruflich bedingte Multilokale als relevante Akteursgrup- sprechende Wohnangebote in räumlicher Nähe zu Mobilitätsorten an- pe in der Planungspraxis zu berücksichtigen, liegt vielmehr die Annah- Mobilitätsort Mobilitätsort Mobilitätsort zubieten (Verortungsmuster C). Bei Bauvorhaben im näheren Umfeld me zugrunde, dass eine planerische Berücksichtigung einen Mehrwert von Mobilitätsorten sollten Kommunen folglich einen Wohnungsmix weit über diese Gruppe hinaus darstellt. Nebenwohnsitz fordern, der neben dem klassischen Wohnraum auch multilokalitäts- Die geforderten Aufenthaltsqualitäten an Gewerbe- und Bürostandor- Wohnumfeld gerechten Wohnraum vorsieht. ten kommen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute; den Multilokalen lediglich in besonderem Maße. Neue multilokalitätsge- d) Wettbewerb der Städte rechteNebenwohnsitz Wohnformen werden auch für andere Lebensmodelle von hoher Nebenwohnsitz Der Wettbewerb zwischen Städten wurde bislang stark auf attrakti- Wohnumfeld Wohnumfeld Attraktivität sein. ve Arbeitsplätze und den Zuzug von hoch qualifizierten Arbeitnehmer/ Insofern ist die multilokalitätsgerechte Planung als Planungswerkzeug 6 Vgl. z. B. Florida, Arbeitsplatz Arbeitsplatz innen reduziert.6 Für Firmen wurden dabei auch zunehmend weiche 2008 zu verstehen, um den sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Umfeld Umfeld Verän- Standortfaktoren wichtig, um die bestqualifizierten Arbeitskräfte für ih- derungen räumlich Rechnung zu tragen und auf diese Weise zu nach- ren Standort zu begeistern. haltigeren und zukunftsträchtigeren Lösungsansätzen zu kommen. Stadtimage und Standortqualitäten spielen auch bei der Entscheidung Arbeitsplatz Umfeld Seite 16 Seite 17
2. 2. Expertenworkshop Fotos: KIT Studienwerkstatt / Seeland, Maisch Im Rahmen des Expertenworkshops wurden die theoretischen Befun- de sowie deren konkrete Anwendung in Form der Testplanung zur Dis- kussion gestellt. Zielsetzung des Workshops war die Einbindung der teilnehmenden Ex- pertinnen und Experten als wertvolle Wissens- und Erfahrungsressour- ce für die Weiterentwicklung der Thematik. Formate Um den unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen gerecht zu werden, wurden verschiedene Workshopformate variiert. Ein thematischer Einstieg wurde mittels Impulsvorträgen durch die Professorinnen Kerstin Gothe und Dr. Caroline Kramer in ihrer Rolle als Projektleiter des Forschungsprojektes sowie als Moderatorinnen des Workshops geleistet. Die Impulsvorträge waren gefolgt von einem Fachvortrag von Dr. Mar- kus Kaltenbach, der sowohl die theoretischen Hintergründe als auch deren konkrete Anwendung in Form der Testplanung umfasste. Im Vorfeld des Workshops wurde ein zehn Thesen umfassendes Papier an die Teilnehmer/innen verschickt. In Form von 5-10-minütigen Kurz- statements wurde zu individuell ausgewählten Thesen von den einge- ladenen Expertinnen und Experten Stellung bezogen. Die Kurzstatements bildeten den Einstieg in eine moderierte Plenums- diskussion, welche in Form einer Blitzlichtrunde1 abgeschlossen wur- 1 Blitzlicht ist eine Me- thode, bei der sich die sämtlichen de. Teilnehmer/innen in ein bis zwei Sätzen zu einer vom Moderator oder einer Moderatorin gestellten Frage äußern. Seite 18 Seite 19
Wissens- und Erfahrungsaustausch Fotos: KIT Studienwerkstatt / Seeland, Maisch Der Expertenworkshop stellte einen wertvollen Wissens- und Erfah- rungsaustausch dar, der die Thematik aus unterschiedlichen Blickwin- keln und Perspektiven beleuchtete. Die Rede- und Diskussionsbeiträge wurden zunächst protokolliert und mittels Audioaufnahme aufgezeichnet. Im Nachgang des Workshops wurde dieses Material ausgewertet. Neben der Insbesondere die im Workshop noch verwendeten z. T. unklaren For- fachlichen Expertise mulierungen und Begrifflichkeiten wurden reflektiert und entsprechend verfügten 100 % der Teilnehmer/innen über überarbeitet. persönliche Erfahrun- gen mit berufsbedingter Multilokalität. Ergänzende Videokonferenzen Aufgrund der COVID19-Pandemie gab es für eine Reihe an Expertin- nen und Experten erhebliche Einschränkungen, die mitunter einer phy- sischen Teilnahme am Workshop entgegen standen. Im Nachgang des Workshops wurden daher zusätzlich ergänzende Vi- deokonferenzen angeboten. Dieses Angebot wurde von drei weiteren Expertinnen und Experten wahrgenommen. Die Videogespräche wurden von Prof. Kerstin Gothe, Prof. Dr. Caroline Kramer und Dr. Markus Kaltenbach gemeinsam durchgeführt. Den Einstieg der Gespräche bildete hier ein Kurzvortrag von Dr. Mar- kus Kaltenbach, welcher die theoretischen Befunde, die Testplanung sowie die zentralen Diskussionspunkte des Workshops umriss und in einem gemeinsamen moderierten Gespräch mündete. Die Gespräche wurden ebenfalls aufgezeichnet und flossen in die hier vorliegende Auswertung mit ein. Seite 20 Seite 21
3. 10 Thesen und deren Diskussion Die zehn Thesen zur Relevanz von berufsbedingten Nebenwohnsitzen 10 Thesen 1 wurden den Teilnehmer/innen des Workshops im Vorfeld als themati- Berufsbedingte multilokale scher Einstieg zugeschickt. Akteure - eine planungsrelevante Im Workshop dienten die Thesen als Ausgangspunkt und als Anreiz, Zur Relevanz von berufsbedingten Gruppe! städtischen Nebenwohnsitzen Für die einzelne Person ist Multilokalität, Multilokalität und ihre Anforderungen an Stadt und Wohnungsversor- ein Leben an mehreren Orten, vielleicht nur eine biografische Durchgangssituation gung gemeinsam zu diskutieren. (z. B. im Studium, in der beruflichen Etablierung oder in einer post-familiären Phase). In der Summe bleiben die Die Teilnehmer/innen hatten darüber hinaus die Möglichkeit, über Kle- multilokalen Akteure jedoch für die Stadt eine konstante und damit bepunkte ihre Zustimmung oder Vorbehalte gegenüber den formulier- planungsrelevante Bevölkerungsgruppe. 1 Nicht alle Teilnehmer/ ten Thesen auf einem Plakat zum Ausdruck zu bringen (Abb. 6).1 innen machten von den Klebe- punkten Gebrauch und / oder nut- Dabei ließ sich eine große Zustimmung der Expertinnen und Experten zen diese in vollem Umfang. zu den Thesen feststellen. Während Thesen 1, 2 und 5-10 überwiegend 2 3 4 Zustimmung erfuhren, gab es bei These 3 und 4 gewisse Vorbehalte. Aktuell wird das Thema Multilokalität kann als hilfreiche Multilokalität ist nicht „Multilokalität“ bedeutender! Denkfigur für die räumlichen gleichzusetzen mit Befristung! Konsequenzen gesellschaftlichen Pluralisierung und Individualisierung von Multilokale Arrangements können zeitlich Es ist wenig verwunderlich, dass die Teilnehmer/innen, welche der Ein- Lebensstilen führen zu einer Auflösung Wandels dienen.* befristet sein (Studium / Ausbildung, tradierter Lebensmuster. Das betrifft Projektarbeit, Saisonarbeit). ladung des Workshops gefolgt sind, die Relevanz (These 1) und zuneh- nicht nur Einpersonenhaushalte. Gerade Das Leben an mehreren Orten stellt eine Viele multilokale Arrangements sind Extremform heutiger Lebenspraktiken dar, mende Wichtigkeit der Thematik (These 2) zustimmten. auch Doppelverdienerhaushalte können jedoch nicht per se auf einen bestimmten anhand derer der gesellschaftliche Wandel häufig nicht mehr alle Anforderungen Zeitraum begrenzt, sondern werden auf besonders deutlich wird. Bei These 3 gab der Begriff des ‚Prototypen‘ Anlass für Diskussion.2 2 Ursprüngliche Formu- eines Haushaltes an einem Ort realisieren. Durch eine ‚multilokalitätsgerechte unbestimmte Zeit aufrechterhalten. lierung der These 3: „Multilokalität Zudem führt die Flexibilisierung des Multilokale Behausungen sollten Er wurde so verstanden, dass zukünftig sämtliche Lebensformen von Planung‘ können Bedürfnisse adressiert kann als Prototyp gesellschaftli- Arbeitsmarktes und zunehmende daher ein Mindestmaß an räumlicher werden, die einen Mehrwert weit über die chen Wandels verstanden wer- Globalisierung zu einer steigenden Aufenthaltsqualität aufweisen, um auch auf Multilokalität geprägt sein werden. Wir haben die These daher umfor- den!“ Mobilität der Arbeitnehmer/innen. Gruppe der Multilokalen generieren. Dauer adäquaten Wohnraum zu bieten. muliert. Die These 4 hinsichtlich dauerhafter multilokaler Lebensarrangements 5 6 7 Fehlende Wohnangebote für Die gezielte räumliche Verortung Ermöglichen von Wohnkarrieren! steht in gewissem Widerspruch zu den persönlichen Erfahrungen der Multilokale bedeuten einen von passendem Wohnraum kann Berufsbedingte Multilokalität lässt sich Teilnehmer/innen des Workshops. Sie alle verfügen über eigene mul- Standortnachteil für eine Stadt! ein strategischer Baustein der in verschiedene Phasen differenzieren, Stadtentwicklung sein! welche mit verschiedenen Anforderungen tilokale Erfahrungen in ihrer Vergangenheit, wobei sie diese selbst als Es gibt verschiedene Phasen einer an die Behausung einhergehen. Es braucht berufsbedingten Multilokalität, welche Unter Berücksichtigung der Verortungs- daher mehr als nur Boardinghäuser, zeitlich befristete biografische Durchgangssituation erlebt haben. Die- jeweils entsprechende Wohnangebote muster können Multilokale als Pioniere zur um „Wohnkarrieren“ zu ermöglichen. benötigen. Das Nichtvorhandensein Aktivierung von Stadtquartieren genutzt se persönlichen Erfahrungen sind an dieser Stelle jedoch wenig reprä- von adäquatem Wohnraum und ein werden. Sie fördern eine weltoffene Robusten und flexiblen Räumlichkeiten, die mehreren Phasen der Multilokalität angespannter Wohnungsmarkt sind sentativ und können nicht die gesellschaftliche Bandbreite multilokaler für Multilokale hinderlich und können Atmosphäre, bevorzugen öffentliche gerecht werden können, gilt dabei ein gesamtstädtische Räume und können ein besonderes Augenmerk. Dabei ist eine Akteure widerspiegeln. einer Multilokalität entgegenwirken und Quartier bereichern. Negativen Aspekten Mischung von sesshaften und mobilen insbesondere die Suche nach qualifizierten wie Gentrifizierung und Anonymität gilt es Bewohnern/innen auf verschiedenen Arbeitskräften für Arbeitgeber erschweren. bei Wohnquartieren entgegenzuwirken. Maßstabsebenen erstrebenswert. Die Diskussion der Thesen führte im weiteren Verlauf des Experten- workshops zu einer zu intensiven Auseinandersetzung mit dem kon- 8 9 10 kreten Anwendungsbeispiel (Testplanung in Kapitel 4) im Hinblick auf Neue Anforderungen für das Stadtimage und klares Profil werden Von der Multilokalität zum Arbeitsumfeld! wichtiger! Erstwohnsitz! dessen Funktion, Gestalt und Organisation. Multilokalität führt zu einem andauernden Darüber hinaus wurden grundsätzlichere Fragen von den Expertinnen Berufsbedingte Multilokalität führt häufig Wettbewerb zwischen den verschiedenen Auf eine zunächst berufsbedingte zu einer Konzentration von Arbeitszeit. residenzielle Multilokalität kann und Experten aufgeworfen. Diese über die Testplanung hinausgehen- Arbeitstage folgen nicht mehr klassischen Orten, wobei weichen Standortfaktoren eine dauerhafte Migration und Zeitmustern. Das räumliche Arbeitsumfeld sowie Mobilitätsorten eine zentrale Rolle langfristige Entscheidung für die den Diskussionsschwerpunkte sind im Folgenden zusammenfassend von Arbeitsstätten wird für soziale zukommt. Multilokale können gewisser Stadt als Erstwohnsitz folgen. Begegnungen wichtiger. Für Büro- und Maßen als Botschafter lokaler Qualitäten Durch planerische Berücksichtigung dargestellt. Gewerbestandorte entstehen neue einer Stadt verstanden werden. multilokaler Anforderungen kann dieser Anforderungen an Naherholung und an Erstkontakte mit einer Stadt (z. B. Entscheidungsprozess begünstigt werden. den öffentlichen Raum. Gemischt genutzte Tagungen, Messen, touristische Auf diese Weise können qualifizierte Gebiete mit sozialen und kulturellen Aufenthalte) können darüber hinaus Arbeitskräfte gebunden werden und Angeboten sind für Multilokale vorteilhaft. die Entstehung von berufsbedingter bewusste Standortentscheidungen für die Multilokalität begünstigen. Stadt können forciert werden. Abb. 5 Fotografie des Thesenplakats - Klebepunkte Abb. 6 Thesenpapier der Teilnehmer/innen * Umformulierung der These signalisieren überwiegend aufgrund des Feedbacks im Zustimmung Expertenworkshop Seite 22 Seite 23
3. 1. Konkrete Zielsetzung Berufsbedingte Multilokalität kann als Teil einer urbanen Realität ver- standen werden, die losgelöst von spezifischen Berufsgruppen und Welche konkrete Zielsetzung soll die planerische Berücksichtigung be- Einkommensschichten und bestimmten Orten praktiziert wird (siehe Multilokalität ist „Teil rufsbedingter Multilokalität verfolgen? Kapitel 3. 4). Daher kann berufsbedingte Multilokalität auch unab- der sozialen Wirklich- hängig von der spezifischen lokalen Nachfrage einen lohnenswerten keit“. Aus Sicht der Expertinnen und Experten wurde diese Frage anhand der zehn Thesen noch nicht beantwortet und soll daher im Folgenden Planungsansatz darstellen und erst in einem zweiten Schritt ggf. mit Gerd Kuhn dargelegt werden. speziellen örtlichen Nachfragen abgeglichen werden. Inhaltlich verfolgt die planerische Berücksichtigung berufsbedingter Berufsbedingte Multilokalität kann als elementarer Be- Multilokalität im Rahmen der Testplanung das Ziel einer sozialen Woh- standteil heutiger Lebenspraktiken verstanden werden, nungspolitik, die das Zusammenleben einer diversen und pluralisti- die unabhängig von der spezifischen Örtlichkeit Rele- schen Stadtbevölkerung fördert. vanz besitzt. Neben dem gesellschaftlich stark verankerten Ideal der Kernfamilie und der Idealvorstellung von Wohnen und Arbeiten in unmittelbarer räumlicher Nähe scheint es uns lohnenswert, die andere Seite der ge- 3. 3. Regionale Strategien lebten Praktiken mit in die räumliche Betrachtung einzubeziehen. Im Kontext der Fragen nach der örtlichen Relevanz der Thematik wur- Darüber hinaus hat die Testplanung das Ziel der Schaffung von robus- den auch Forderungen nach regionalen Strategien und Leitbildern for- 1 Nachhaltigkeit um- ten und nachhaltigen1 Stadtstrukturen, die flexibel auf die sich stetig fasst dabei stets sowohl die sozia- muliert. le, ökonomische als auch ökologi- verändernde Gesellschaft reagieren können. sche Dimension gleichermaßen. Analog zur lokalen Relevanz steht außer Frage, dass es in Maß und 1 Im Workshop wurde Die Testplanung verfolgt dabei nicht das Ziel einer deterministischen Form zu regionalen Unterschieden kommt. hier auch die Formulierung des Multilokalen als ‚Prototypen ge- Wohnstruktur, die exklusiv für berufsbedingte Nebenwohnsitze konzi- Wir verstehen berufsbedingte Multilokalität jedoch in einem allge- sellschaftlicher Veränderungen‘ (in Anlehnung an Dittrich-Wesbuer piert ist, sondern sucht nach Formen der Integration und des Mitein- meineren Sinne als Extremform1 heutiger Lebenspraktiken, in der die et al. (2015)) gebraucht. Es stellte sich jedoch disziplinübergreifend anders. Folgen einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, einer steigenden heraus, dass diese Formulierung Mobilität sowie Folgen der Digitalisierung und Individualisierung bzw. missverständlich ist. Es ist davon auszugehen, dass die Ziel der Planung sollte eine Angebotsvielfalt mit größt- Auflösung tradierter Lebensmuster besonders deutlich werden. multilokale Lebensführung auch zukünftig nicht zum Normalfall wer- möglicher Offenheit, Nutzungsneutralität und individuel- Nicht jeder wird aufgrund der genannten gesellschaftlichen Verände- den wird. Dennoch ist und bleibt Multilokalität als gelebte Praxis lem Aneignungspotenzial sein. rungen zum Multilokalen, ist jedoch in unterschiedlicher Intensität und eine relevante Dimension und Teil einer pluralistischen (Stadt-)Gesell- Ausprägung ebenfalls von diesen Veränderungen betroffen. schaft. Insofern gilt auch hier unsere Empfehlung aus Kapitel 3. 2, dass be- (Siehe Anmerkung zu These 3) 3. 2. Örtliche Relevanz rufsbedingte Multilokalität als Denkmuster unabhängig von lokalen Strategien betrachtet werden kann, da es um grundsätzliche gesell- Einzelne Gesprächsteilnehmer/innen stellen die Frage, inwiefern der schaftliche Veränderungen geht, die allerorts für eine diverse und plu- spezifische Ort die grundsätzliche Relevanz der Thematik beeinflusst. ralistische Stadtgesellschaft Geltung haben. Es ist natürlich vollkommen richtig, dass der regionale Kontext sowie Für die Stadt Karlsruhe, als Teil einer Technologieregion mit Arbeits- “Wo geht die Arbeits- der jeweilige Ort die Formen und das Maß berufsbedingter Multiloka- plätzen von überregionaler Bedeutung, als Hochschulstandort und welt hin?“ lität erheblich beeinflussen. Hierbei spielt insbesondere das Profil des Standort von wichtigen Bundesorganen bietet die Stadt zugleich ein Anita Breitbach lokalen Arbeitsmarktes eine zentrale Rolle.1 1 Klassische Beispiele breit gefächertes sowie stellenweise hoch spezialisiertes Arbeitsange- besonderer Ausprägung von be- rufsbedingter Multilokalität sind bot mit einer Nachfrage nach Arbeitnehmer/innen weit über die eigene bspw. Städte wie Wolfsburg oder Versteht man berufsbedingte Multilokalität dagegen vielmehr als Denk- Frankfurt am Main mit Firmensitzen Stadtgrenze hinaus. Um nicht zuletzt auch für eine innovative Grün- von überregional operierenden Fir- derszene und als Innovationsstandort interessant zu sein, braucht es modell für eine sich stetig wandelnde Gesellschaft mit dem Ziel einer men mit besonders vielen multilo- Angebotsvielfalt (3. 1), dann können regionale Ausprägungen zunächst kalen Arbeitnehmer/innen. passende Wohnangebote. Projektarbeit, Befristungen oder spezifische in den Hintergrund treten, da eine Ausdifferenzierung und Pluralisie- Firmenlaufbahnen fordern räumliche Flexibilität der Arbeitnehmer/in- rung von Lebensstilen allerorts zu beobachten ist. nen und verlangen nach neuen Wohnformen abseits der klassischen 2-3-Zimmer-Wohnung. Seite 24 Seite 25
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