Die Rolle von Chemerin in Tiermodellen der hypertensiven Nephropathie und Glomerulonephritis - opus4.kobv.de
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Die Rolle von Chemerin in Tiermodellen der hypertensiven Nephropathie und Glomerulonephritis Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen Arbeitsgemeinschaft Prof. Dr. rer. nat. Hartner / PD Dr. med. Fahlbusch Der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med. vorgelegt von Alexander Florian Claudius Mocker
Als Dissertation genehmigt von der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Markus F. Neurath Gutachter: PD Dr. Fabian Fahlbusch Gutachterin: Prof. Dr. Andrea Hartner Gutachter: Prof. Dr. Carsten Willam Gutachter: Prof. Dr. Jörg Dötsch Tag der mündlichen Prüfung: 22. März 2022
Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 1 1.1. Deutsche Version 1 1.2. Englische Version 3 2. Einordnung der Publikationsdissertation in den wissenschaftlichen Hintergrund 4 2.1. Vitamin A 4 2.1.1. Struktur 2.1.2. Vorkommen, Mangel und Intoxikation 2.1.3. Intestinale und zelluläre Aufnahme 2.1.4. Intrazellulärer Retinoidsignalweg 2.1.5. Retinoide – Therapieansätze und Teratogenität 2.2. RARRES1 und Chemerin 7 2.2.1. RARRES1 – Lokalisierung und Funktion 2.2.2. Chemerin – Lokalisierung und Funktion 2.2.2.1. Einflüsse auf Stoffwechsel und Angiogenese 2.2.2.2. Einfluss auf Inflammation und Fibrose 2.2.2.3. Bezugspunkte zur chronischen Niereninsuffizienz 2.3. Chronische Nierenerkrankung 9 2.3.1. Definition und Einteilung 2.3.2. Epidemiologische Daten 2.3.3. Auswirkungen auf Gesellschaft und Gesundheitssystem 2.3.4. Physiologie 2.3.5. Häufige Ursachen und Pathophysiologie 2.3.6. Histologie der hypertensiven Nephropathie und Glomerulonephritis 2.4. Renale Inflammation und Fibrose 13 2.4.1. Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) 2.4.2. Überschneidungspunkte des RAAS mit Inflammation und Fibrose 2.4.3. Renale Entzündung – Akteure, Signalkaskaden, Effekte 2.4.4. Renale Fibrose – Gemeinsame Endstrecke multipler Nierenerkrankungen 2.5. Erläuterung der eingesetzten Tiermodelle 16 2.5.1. Orte der Nierenschädigung 2.5.2. Das „two-kidney, one-clip“ (2k1c) Tiermodell 2.5.3. Das „anti-Thy 1.1“ Tiermodell 3. Fragestellung 18 4. Quellenangaben 19 5. Publikation 24 6. Danksagung 40
1. Zusammenfassung 1.1. Deutsche Version (adaptiert von Mocker et al. (1)) Hintergrund und Ziele Chemerin und die Interaktion mit seinem Rezeptor, Chemokin-like Rezeptor 1 (CmklR1), sind mit Volkskrankheiten, wie koronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck oder dem metabolischen Syndrom assoziiert. Diese Verknüpfung besteht insbesondere hinsichtlich der Prozesse Chemotaxis und Inflammation, sowie über Endotheleffekte. Ferner konnte beim Menschen eine inverse Korrelation zwischen Serum-Chemerinspiegeln und Nierenfunktion gezeigt werden. Bisher ist nur wenig über die Rolle von Chemerin bei hypertensiver Nephropathie und renalen Entzündungsvorgängen bekannt. Methoden In der Publikation von Mocker et al. (1) wurden in zwei unterschiedlichen Rattenmodellen (two-kidney, one-clip-Modell und anti-Thy1.1-Modell) systemische und renale Chemerinspiegel untersucht, um diese mit Markern renaler Entzündung und Fibrose zu korrelieren. Ferner wurden in den Modellen arterieller Blutdruck, Serum- und Urinparameter renaler Schädigung bestimmt. Die Plasmaspiegel von Chemerin wurden via Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA) untersucht. Für immunhistochemische Färbungen von Chemerin und proinflammatorischer beziehungsweise profibrotischer Marker wurden in Methyl-Carnoy fixierte, renale Gewebeschnitte besagter Tiermodelle verwendet. Mittels Echtzeit-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) wurde die Genexpression von Chemerin und Fibrosemarkern untersucht. Die Proteinexpression von Chemerin wurde via Western Blot dargestellt. Ergebnisse und Beobachtungen In den von Mocker et al. (1) verwendeten Tiermodellen konnten jeweils unterschiedliche Formen der Nierenschädigung festgestellt werden. So waren im two-kidney, one-clip-Modell (2k1c) ein Hypertonus mit erhöhten Serumkreatinin- und Harnstoffspiegeln nachweisbar, während sich im anti-Thy1.1-Modell eine Normotonie und Anzeichen einer Glomerulonephritis zeigten. Renale immunhistochemische Färbungen ergaben ein Verteilungsmuster der Chemerin- beziehungsweise CmklR1-Expression, welches der Lokalisation der Nierenschädigung im jeweiligen Modell entspricht (tubulär in 2k1c versus glomerulär in anti-Thy1.1). In beiden Modellen waren die renale Expression von Chemerin und CmklR1 (RT-PCR, Western Blot) im Vergleich zu Kontrollen erhöht und die Chemerinexpression zeigte eine positive Korrelation verglichen mit Markern renaler Entzündung und Fibrose. Im 2k1c-Modell zeigte sich eine gesteigerte Gewebsinfiltration von 1
M1-Makrophagen und neutrophilen Granulozyten, Fibroblastenaktivierung, erhöhte TGFβ-1- Expression und vermehrte Bildung von Fibronektin und Kollagenen. Im anti-Thy1.1-Modell korrelierte die renale Chemerinexpression mit der glomerulären Infiltration von M1- Makrophagen und der Expression von renalem Kollagen IV. Beide Modelle zeigten eine Assoziation von Chemerin mit Serummarkern für Nierenschädigung, allerdings unabhängig vom Hypertonus. Schlussfolgerungen und Diskussion Mocker et al. (1) konnten eine Verbindung zwischen der renalen Chemerinexpression und dem Ausmaß lokaler Entzündungsprozesse und Fibrose in Modellen der Nierenschädigung aufzeigen. Frei zirkulierendes Chemerin schien nur eine geringe Eignung als Serummarker der Nierenschädigung in den verwendeten Modellen zu besitzen. 2
1.2 English version (adapted from Mocker et al. (1)) Introduction An association of Chemerin and its receptor, chemokine-like receptor 1 (CmklR1), with chemotaxis, inflammation, and endothelial function is especially seen in metabolic syndrome, coronary heart disease, and hypertension. Circulating chemerin levels and renal function show an inverse relation in humans. So far, little is known about the potential role of chemerin in hypertensive nephropathy and renal inflammation. Methods Mocker et al. (1) determined systemic and renal chemerin levels in 2-kidney-1-clip (2k1c) hypertensive and anti-Thy1.1 nephritic rats, respectively, to explore the correlation between chemerin and markers of renal inflammation and fibrosis. They measured blood pressure, serum and urine parameters. Plasma chemerin was determined via enzyme-linked immunosorbent assay (ELISA). Immunohistochemical detection of chemerin and proinflammatory / profibrotic markers was performed in methyl Carnoy-fixed sections of rat kidneys. Gene expression of chemerin and markers of fibrosis was investigated via real-time polymerase chain reaction (PCR). Protein expression of chemerin was examined via western blot. Results Mocker et al. (1) were able to show that 2k1c rats were hypertensive with increased serum urea and creatinine, while Thy1.1 rats were normotensive with signs of glomerulonephritis. Immunohistochemistry revealed a model-specific induction of chemerin and CmklR1 expression at the corresponding site of renal damage (tubular in 2k1c vs. glomerular in anti- Thy1.1). In both models, renal expression of chemerin and its receptor CmklR1 (RT-PCR, western blot) were increased and chemerin correlated positively with markers of inflammation and fibrosis. In 2k1c rats, infiltration of M1 macrophages and neutrophil granulocytes, as well as fibroblast activation, TGFβ-1 expression and the expression of fibronectin and collagens had a strong correlation with chemerin expression. In anti-Thy1.1, chemerin was correlated with glomerular infiltration of M1 macrophages and renal collagen IV expression. In both models chemerin correlated with serum markers of renal damage, but not with blood pressure levels. Conclusion The findings of Mocker et al. (1) demonstrated an association between renal chemerin expression and the degree of local inflammation and fibrosis related to renal damage. However, its use as circulating biomarker of renal inflammation seemed to be limited in their rat models. 3
2. Einordnung der Publikationsdissertation in den wissenschaftlichen Hintergrund 2.1. Vitamin A 2.1.1. Struktur Vitamin A ist für den Menschen und andere Säugetiere essenziell, da es wie alle Vitamine nicht bedarfsgerecht hergestellt werden kann und über die Nahrung aufgenommen werden muss. Relevante Nahrungsquellen ergeben sich aus der Aufnahme von Provitamin A, beispielsweise in Form des Pflanzenfarbstoffs beta-Carotin oder von Retinsäurederivaten aus Geweben tierischen Ursprungs (2). Der Begriff Vitamin A bezeichnet in erster Linie all-trans-Retinol, wird aber gemeinhin als Sammelbezeichnung für Retinale, Retinole, Retinsäuren und Retinylpalmitat verwendet (2, 3). Diese Unterformen werden treffender unter dem Sammelbegriff der Retinoide zusammengefasst. Wichtige Gemeinsamkeiten in der Molekularstruktur der Retinoide sind der beta-Jonon-Ring, eine Polyen-Seitenkette und daran anschließende polare Endgruppen, welche sich je nach Retinoid unterscheiden (4). 2.12. Vorkommen, Mangel und Intoxikation Besonders hohe Konzentrationen des fettlöslichen Vitamin A finden sich in Leber, Lunge oder anderen Organgeweben, gefolgt von Milchprodukten (2). Relevante Quellen für Provitamin A stellen Obst und Gemüse dar, insbesondere Möhren, Orangen oder Mangos (2). Initial führt ein Mangel an Vitamin A zu reversibler Nachtblindheit und Blutbildungsstörungen wie einer Leukozytopenie oder Thrombopenie (5). Da insbesondere die Fotorezeptoren des Auges auf Vitamin A zur Aufrechterhaltung des Visus angewiesen sind, kommt es im Verlauf zu Epithelveränderungen wie Netzhautflecken (Bitot-Flecken), Xerosis corneae und Keratomalazie (6, 7). Auch andere Gewebe benötigen Vitamin A zur Zellproliferation. Klassische Beispiele sind eine verminderte Tränensekretion und Xerosis cutis (7). Ferner führt ein mittel- bis langfristiger Mangel an Vitamin A zu Wachstumshemmung, Gewichtsverlust und schlimmstenfalls zum Tod (5, 8). Außerdem kommt es zu einer erhöhten Infektanfälligkeit, erklärt durch die verminderte Produktion dendritischer Zellen, Makrophagen und T- Lymphozyten, wobei insbesondere regulatorische T-Zellen betroffen sind (9). Auffallend sind starke Schwankungsbreiten zwischen der Symptomintensität und dem Symptombeginn aufgrund hoher Speicherkapazitäten für Vitamin A in Form von Retinylester in der Leber und anderen Geweben (5). 4
Ein Vitamin-A-Mangel während der Schwangerschaft führt beim Neugeborenen zu einer erhöhten Rate an kongenitaler Blindheit und zu Fehlbildungen des Herz-Kreislaufsystems, des ZNS, des Urogenitaltrakts, des Bewegungsapparats und der Lunge, welche bis zum intrauterinen Fruchttod reichen können (10, 11). Die erwähnte Speicherfunktion der Leber ist bei dem Verzehr Vitamin A-reicher Gewebe ursächlich für akute Vergiftungen (12). Ähnlich anderer Intoxikationen zählen Übelkeit, Erbrechen, Abgeschlagenheit und starker Kopfschmerz zu den häufigsten Symptomen (13). Typisch ist eine perioral begrenzte oder das gesamte Integument betreffende Epidermolyse (12). Eine chronisch gesteigerte Aufnahme von Vitamin A führt zu Anorexie, Haarverlust oder trockener juckender Haut (13). Im Kindesalter kann es durch eine übermäßige Aufnahme von Vitamin A zu einem vorzeitigen Schluss der Epiphysenfugen und subperiostalen Knochenwucherungen kommen (14). Während der Schwangerschaft kann eine erhöhte Aufnahme von Vitamin A insbesondere in den ersten sechs Wochen post conceptionem zu fetalen Fehlbildungen führen und das Risiko einer Totgeburt steigern (15). Eine Tagesmenge von über 25.000 IU sollte daher aufgrund der Teratogenität nicht überschritten werden (16). 2.1.3. Intestinale und zelluläre Aufnahme Retinsäuren werden nach Aufnahme über den Darm frei flottierend im Blutkreislauf verteilt oder an Retinsäure-Bindeproteine, wie beispielsweise Retinol-Bindeprotein 4 (RBP4), Interphotorezeptormatrix Retinoidbindeprotein (IRBP), Epididymales Retinoidbindeprotein (ERBP) oder beta-trace, gekoppelt (3). Diese Bindeproteine sind für die Retinsäureaufnahme nicht zwingend notwendig, da in Knock-out Tiermodellen nur unter gleichzeitiger Vitamin A- Minderversorgung Mangelzustände auftreten (3). Die Serumspiegel der Bindeproteine ergeben ferner keinen spezifischen Hinweis auf die Vitamin A-Versorgung des Organismus, da beispielsweise RBP als negatives akute Phase Protein auf Entzündungszustände reagiert (17). Die intrazelluläre Aufnahme von Vitamin A und Retinoiden erfolgt über den von Retinsäure 6 stimulierten Vitamin A-Rezeptor (STRA6) (18). Weitere zelluläre Aufnahmemöglichkeiten für Retinoide sind die direkte Membrandiffusion oder die Aufnahme über Lipoproteine, hier insbesondere durch Chylomikronen oder VLDL / LDL (3, 19). 5
2.1.4. Intrazellulärer Retinoidsignalweg Sobald Vitamin A oder andere Retinoide über die zuvor erwähnten Aufnahmemechanismen in die Zellen gelangt sind, binden sie an zelluläre Retinolbindeproteine (CRBP), wodurch ein sofortiger Verlust der Retinoide via Rückdiffusion über Zellmembranen verhindert wird (20). Nach Bindung können Retinoide über die Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT) mittels Esterbildung in Retinylester überführt werden, welche die Speicherform für Vitamin A darstellen (3). Einen regulatorisch bedeutenden Stellenwert nehmen Retinsäuren ein, welche mittels zweifacher Dehydrierung über Retinal hergestellt werden (3). Als Leitsubstanz gilt hier die all-trans Retinsäure (ATRA) (3). Intrazellulär binden Retinsäuren wiederum an zelluläre Retinsäurebindeproteine (bspw. ATRA an CRABP-I oder -II), welche einen Transport in den Zellkern ermöglichen (3). Im Zellkern nehmen Retinsäuren über spezifische Rezeptoren (Retinoic Acid Receptor / Retinoic X Receptor) Einfluss auf die Expression regulatorischer Gene von Wachstumsprozessen, Zelldifferenzierung und Apoptose (21). Diese Rezeptoren bestehen aus je einem variablen RAR (alpha, beta, oder gamma) und einem konstanten RXR-Anteil (21). Nach Bindung von Retinsäure an den RAR-Anteil und daraus resultierender Heterodimerisierung mit RXR werden in bestimmten Promotorregionen Retinsäure- Responsive Elemente (RAREs) aktiviert (vgl. Abb. 1) (21). Diese führen in Folge zur vermehrten Produktion der Retinsäurerezeptor Responderproteine 1 und 2 (RARRES1 / RARRES2) (22-24). RA RARRES 1 / RARRES 2 RAR RXR Genexpression Promoter Abb. 1: Schema der Promoteraktivierung durch Retinsäuren (RA) an einem Retinsäurerezeptor (RAR & RXR) nach Hübner (24). 2.1.5. Retinoide – Therapieansätze und Teratogenität Ein bekanntes Beispiel für Retinoide als systemischer Therapieansatz stellt die akute Promyelozytenleukämie (APL) dar. Bei dieser Unterform der akuten myeloischen Leukämie (AML) kommt es aufgrund einer Translokationsmutation zur Bildung eines Fusionsproteins im Retinsäurerezeptor alpha mit daraus resultierender Funktionseinschränkung des Rezeptors (25). 6
Die Gabe von all-trans Retinsäure (ATRA) fördert die Ausdifferenzierung von Tumorzellen zu funktionell reifen Leukozyten und führt daher in vielen Fällen zu einer Komplettremission der Erkrankung (25). Häufiger wird ATRA zur dermatologischen Lokaltherapie von Leukoplakien, Krebsvorstufen der Cervix uteri oder der aktinischen Keratose genutzt (26). Hier führt ATRA zum einen zu einer verbesserten Ausdifferenzierung der Zellen, zum anderen kommen immunmodulatorische Eigenschaften zum Tragen (26). Diese Immunmodulation lässt sich am Beispiel der Aknetherapie gut veranschaulichen (27). Hier konnte gezeigt werden, dass die topische Applikation von ATRA die durch Proprionibacterium acnes ausgelöste und durch Matrix- Metalloproteasen (insbesondere MMP-9) und Toll-Like-Rezeptor 2 vermittelte Immunreaktion unterbrechen kann (27). Des Weiteren kann die Immunantwort durch eine verminderte Expression von Interleukinen (z.B. IL-12) verändert werden (9). Eine Therapie mittels ATRA während der Schwangerschaft stellt eine Kontraindikation dar. Sie kann fetale Fehlbildungen des ZNS, Thymus, des kardiovaskulären Systems und kraniofaziale Fehlbindungen verursachen (28). Typisch sind eine Mikrotie oder Anotie mit meist fehlendem äußerem und innerem Gehörgang (28). 2.2. RARRES1 und Chemerin 2.2.1. RARRES1 – Lokalisierung und Funktion Retinsäuren nehmen über RAR/RXR Einfluss auf die Expression von Retinsäurerezeptor- responder kodierender Gene (21). Diese Gene führen unter anderem zur Produktion der Retinsäurerezeptor Responderproteine 1 und 2 (RARRES1 / RARRES2) (22, 23). RARRES1 wurde erstmals in Hautgewebe beschrieben, welches mit ATRA behandelt wurde und ist auch unter den Begriffen Tazaroten-induziertes Gen 1 (TIG1), Latexin-like (LXNL) oder Phorbol Ester-induziertes Gen 1 (PERG-1) bekannt (22). Es kommt ausschließlich membranständig vor und wird vermehrt von Epithelzellen exprimiert (22). RARRES1 hat in den meisten Tumoren wachstumshemmende und Apoptose-induzierende Eigenschaften (29, 30), kann aber je nach Entität und epigenetischer Methylierung auch zu einem Tumorprogress führen, wie beispielsweise im inflammatorischen Mammakarzinom (31). Der negative Einfluss auf das Tumorwachstum wird von RARRES1 durch Angiogenese- inhibition und gleichzeitiger Induktion von Autophagie erzielt (30). Außerdem sind Einflüsse auf den Fettgewebsmetabolismus bekannt, wobei RARRES1 hier vor allem bei plötzlicher Gewichtsabnahme und der Entdifferenzierung von Adipozyten eine Rolle spielt (32). 7
Die Funktion von RARRES1 im Rahmen chronischer Nierenerkrankungen bleibt derzeit noch unklar, wobei eine positive Korrelation zwischen der RARRES1-Expression und dem Ausmaß glomerulärer Nierenschädigung bei diabetischer Nephropathie und fokal segmentaler Glomerulosklerose nachgewiesen werden konnte (33). 2.2.2. Chemerin – Lokalisierung und Funktion RARRES2 wurde wie RARRES1 zuerst in der Haut beschrieben und ist unter den Begriffen Chemerin, HP10433 und Tazaroten-induziertes Gen 2 (TIG2) bekannt (23). Es wird hauptsächlich in der Leber und in weißem Fettgewebe exprimiert, kommt allerdings auch in Lungengewebe, Gefäßen, dem Ovar, den Nieren und der Plazenta vor (34). In diesen Geweben existiert es als metabolisch inaktive Speicherform Pro-Chemerin, welche durch Proteolyse in aktives Chemerin überführt wird (35). Im Gegensatz zu RARRES1 wird es sezerniert und wirkt im Zielgewebe als Chemoattraktans für Makrophagen und unreife dendritische Zellen (35). Seine Gewebewirkung wird größtenteils durch einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor namens Chemokin-like Rezeptor 1 (CmklR1, oder Chemerin Rezeptor 23) vermittelt, wobei weitere Signalwege über G-Protein-gekoppelten Rezeptor 1 (GPR1) und C-C Motiv Rezeptor-like 2 (CCRL2) bekannt sind (35). 2.2.2.1. Einflüsse auf Stoffwechsel und Angiogenese Chemerin verursacht als Adipozytokin eine vermehrte Bildung von weißem Fettgewebe und führt zu einer vermehrten Glukoseaufnahme in Zellen (36, 37). Dadurch liegt eine Assoziation zu Übergewicht und Typ-2-Diabetes nahe (36, 38). Erhöhte Serumspiegel von Chemerin sind ferner mit dem metabolischen Syndrom und den Volkskrankheiten Bluthochdruck, koronarer Herzerkrankung und Atherosklerose assoziiert (38, 39). Es konnte zudem gezeigt werden, dass Chemerin durch Leukozytenaktivierung und Stimulation der Chemotaxis von dendritischen Zellen und Makrophagen eine Rolle bei Immun- und Entzündungsreaktionen spielt (35, 39). Diese migrationsfördernden Eigenschaften spiegeln sich im angiogenen Potential von Chemerin wider (40). So wird einerseits die Adhäsion und Proliferation von Endothelzellen gesteigert, andererseits eine Atherosklerose-typische Entzündungsreaktion in der Gefäßwand ausgelöst (41, 42). Im Gegensatz dazu kann Chemerin über Reduktion der Proliferation und Invasion bestimmter Tumorzellreihen und über Leukozytenrekrutierung tumorsuppressive Eigenschaften ausüben (43). In der Schwangerschaft beeinflusst Chemerin den maternofetalen Nährstoffaustausch und ist mit erhöhter maternaler Insulinresistenz und Gestationsdiabetes assoziiert (44). 8
2.2.2.2. Einfluss auf Inflammation und Fibrose Der Einfluss von Chemerin auf das Immunsystem wird größtenteils über CmklR1 ausgeübt, welcher als einziger Chemerin-Rezeptor in signifikantem Ausmaß in die Expression proinflammatorischer Gene involviert ist (41). Neben hämatopoietischen Zelllinien, Endothelzellen und Fettgewebe kommt Chemerin daher insbesondere in Zellen des Immunsystems vor, wie beispielsweise in Monozyten, Makrophagen, unreifen dendritischen Zellen oder Lymphozyten (41, 45). Ferner kann über CmklR1 die Migration von Lymphozyten in entzündetes Gewebe und Lymphorgane gesteuert werden, was im Falle von Makrophagen über den transformierenden Wachstumsfaktor-beta (TGF-beta), in Monozyten via Tumornekrosefaktoren (TNF) und Interferon-gamma (IFN-gamma) und in NK-Zellen mittels Interleukin 2 und 15 reguliert wird (45). 2.2.2.3. Bezugspunkte zur chronischen Niereninsuffizienz Bei chronischer Niereninsuffizienz (CKD) konnte in mehreren Versuchen eine inverse Korrelation zwischen dem Serumchemerinspiegel und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) gezeigt werden (46). So steigen im Rahmen der Niereninsuffizienz Serumchemerin und Serumkreatinin konkordant an (46). Bei dialysepflichtigen Patienten sind die Serumchemerinspiegel chronisch erhöht und fallen drei Monate nach Nierentransplantation auf Normalwerte ab (46). Ob diese Erhöhung der Serumchemerinspiegel auf eine Überexpression im Rahmen metabolischer Erkrankungen, die verminderte renale Funktionsfähigkeit selbst, oder auf eine Eigenproduktion der Niere zurückzuführen ist, konnte bisher nicht klar differenziert werden (34, 46). 2.3. Chronische Nierenerkrankung 2.3.3. Definition und Einteilung Definiert wird die chronische Niereninsuffizienz nach den Kidney Disease: Improving Global Outcome (KDIGO) Leitlinien von 2012 (siehe Tabelle 1) als Strukturveränderung oder Funktionsstörung der Niere, die länger als 3 Monate besteht (47). Hierunter fallen beispielsweise eine auf < 60 mL/min/1,73m2 verminderte GFR oder eine Albuminurie ≥ 30 mg/24h (47). Je nach Ursache, GFR-Verlust oder Schwere der Albuminurie ergeben sich unterschiedliche Abstufungen (Tabelle 1) (47). So wird die Minderung der GFR in 5 Stadien unterteilt, wobei ohne Vorschädigung erst ab Stadium 3 von einer Niereninsuffizienz gesprochen wird (47). Eine terminale Niereninsuffizienz wird als GFR unter 15 mL/min/1,73m2 9
definiert (47). Nach Schwere der Albuminurie kann die CKD in 3 Stadien von unter 30 mg/g, zwischen 30 - 300 mg/g und über 300 mg/g differenziert werden (47). Risikofaktoren für die Progression einer CKD sind neben deren Ursache und des Krankheitsstadiums insbesondere Diabetes, arterielle Hypertonie, kardiovaskuläre Begleiterkrankungen, Dyslipidämie, Adipositas, Nikotinkonsum und nephrotoxische Medikamente (47, 48). Diese Risikofaktoren sind von besonderer klinischer Bedeutung, da sie durch entsprechende Individualtherapie und Lebensstiländerung modifizierbar sind (47, 48). Albuminurie (in mg/mmol) A1 A2 A3 Normal bis Moderat Stark erhöht leicht erhöht erhöht 30 G1 Normal bis hoch ≥ 90 G2 Leicht vermindert 60 - 89 G 3a Leicht bis moderat 45 - 59 GFR vermindert (in G 3b Moderat bis stark 30 - 44 ml/min/ vermindert 1.73 m2) G4 Stark vermindert 15 - 29 G5 Terminale ≤ 15 Niereninsuffizienz Tab. 1: Risiko für terminale Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Komplikationen bei CKD in Abhängigkeit von GFR und Albuminurie nach KDIGO 2012: A = Albuminurie, G = GFR, Grün = kein erhöhtes Risiko bzw. keine CKD, gelb = mäßig erhöhtes Risiko, orange = hohes Risiko, rot = sehr hohes Risiko (47). 2.3.1. Fallzahlen in Deutschland und weltweit Etwa 12,7% der deutschen Bevölkerung zeigten in einer Stichprobe des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2011 Anzeichen einer eingeschränkten Nierenfunktion (49). In dieser Stichprobe wurde eine Einschränkung der Nierenfunktion als eine Albuminurie ≥ 30 mg/L oder eine Einschränkung der eGFR < 60 mL/min/1,73m2 (49) definiert. Weltweite Schätzungen über die Prävalenz chronischer Niereninsuffizienz gehen von etwa 10-15% der Weltbevölkerung aus (50, 51). Interessant ist hier ein höherer Anteil von Betroffenen in westlich geprägten Regionen 10
wie Nordamerika, Europa oder Australien (50, 51). Dies legt eine Assoziation mit Wohlstandserkrankungen wie Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes mellitus nahe, die in diesen Bevölkerungsgruppen eine ähnliche oder höhere Verbreitung haben (52, 53). Besonders auffallend ist eine Dynamik in Schwellenländern, welche durch die steigende Industrialisierung nicht nur bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Übergewicht einen Anstieg der Fallzahlen verzeichnen, sondern auch bei chronischer Niereninsuffizienz (51-53). 2.3.2. Epidemiologische Daten Trotz der bereits hohen Prävalenz der CKD und angesichts steigender Fallzahlen besteht nur ein geringes Krankheitsbewusstsein in der Bevölkerung. So wussten in der oben erwähnten Kohorte des RKI nur 28% der Probanden von ihrer eingeschränkten Nierenfunktion und nur etwa zwei Drittel der Erkrankten waren aufgrund ihrer CKD bei einem Arzt vorstellig (49). Aus den Vereinigten Staaten sind ähnliche Schätzungen aus dem Jahr 2008 vorhanden, wobei in dieser Gruppe nur 10% der Probanden über ihre eingeschränkte Nierenfunktion Bescheid wussten (54). Gründe hierfür sind in der Symptomarmut und dem Mangel an spezifischen Symptomen in Frühstadien der CKD zu suchen (51, 55). In Kontrast dazu stehen die hohen gesundheitsökonomischen Kosten, die im Spätstadium der Niereninsuffizienz verursacht werden (56, 57). Beispielsweise können 10,2% der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung auf Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz in den Stadien 3 und 4 zurückgeführt werden (57). Weitere 1,6% werden durch etwa 92.000 Dialysepatienten deutschlandweit verursacht (57, 58). Diese weltweite Entwicklung erhält durch den Mangel an präventivtherapeutischen Maßnahmen in Frühstadien der chronischen Niereninsuffizienz und damit verbundener hoher Morbidität und Mortalität eine besondere Brisanz (59). 2.3.4. Physiologie Um die renalen Schädigungsprozesse der verschiedenen Ursachen von CKD besser zu verdeutlichen, lohnt es an dieser Stelle kurz die Physiologie einer gesunden Niere zu rekapitulieren. Der Filtrierapparat einer gesunden humanen Niere besteht aus etwa einer Million Nephronen, bei Ratten beläuft sich deren Anzahl auf etwa 30.000 (60, 61). Diese können grob in ein rindenständiges Nierenkörperchen und das Tubulussystem untergliedert werden (62). Das Nierenkörperchen selbst besteht aus zu- bzw. abführenden Gefäßen (Glomerulus) und deren Endothel, einer glomerulären Basalmembran und den Podozyten (62). Die Podozyten bilden gemeinsam mit Plattenepithelzellen und der Glomeruluskammer die Bowman-Kapsel (62). 11
Hier wird ein serumähnliches Ultrafiltrat abgepresst, welches im Tubulussystem zu Restharn konzentriert wird (63). Das an die Glomeruluskapsel anschließende Tubulussystem teilt sich in einen proximalen und distalen Tubulus auf, deren gerade Anteile als Henle-Schleife in das Nierenmark ziehen (62). Der distale Tubulus zieht im Verlauf am Glomerulus vorbei und bildet mit der Macula densa den juxtaglomerulären Apparat (JGA) als Nephron-internen Rückkopplungsmechanismus (62, 63). Im Anschluss wird der Harn über das Sammelrohrsystem weiter konzentriert und über die ableitenden Harnwege ausgeschieden (63). Die renale Gefäßversorgungsarchitektur lässt sich grob in zwei Abschnitte zwischen Rinde und Mark einteilen, die durch die Aa. arcuatae voneinander getrennt werden (62). Das arterielle Blut gelangt über die A. renalis nach Aufspaltung in die Segmentarterien über die Aa. interlobares an den Markpyramiden vorbei und mündet in den Aa. arcuatae (64). Von dort werden zuerst die Glomeruli versorgt (62). Das danach vom Ultrafiltrat befreite Blut fließt bei marknahen Glomeruli über die Arteriola recta in das Nierenmark, während abführende Gefäße oberflächennaher Glomeruli die Rinde mit Nährstoffen versorgen. Gemeinsame Endstrecke sind die Vv. arcuatae und die abführende V. renalis (62). 2.3.5. Häufige Ursachen und Pathophysiologie Die Ursachen chronischer Niereninsuffizienz sind vielfältig und regional unterschiedlich. In westlichen Ländern führen vor allem metabolische Systemerkrankungen wie Diabetes mellitus, Übergewicht oder arterielle Hypertonie zu einer Nierenschädigung (65, 66). Weitere ursächliche Grunderkrankungen sind in Abstufung ihrer Häufigkeit chronisch verlaufende Glomerulonephritiden und polyzystische Nierenerkrankungen, gefolgt von seltenen hereditären Syndromen (66, 67). Ferner kann man anhand der Klinik und laborchemischer Ergebnisse Rückschlüsse auf den Schädigungsort und die Grunderkrankung ziehen. Defekte der glomerulären Basalmembran führen zu einer erhöhten Permeabilität von Proteinen, während zelluläre Bestandteile noch zurückgehalten werden können (55, 63). Da suffiziente Rückresorptionsmechanismen für Makroproteine fehlen, zeigen sich ein erhöhter Albumingehalt im Urin oder ein erhöhter Albuminquotient zwischen Blut und Urin (47, 55). Die isolierte Makroproteinurie tritt regelhaft bei der diabetischen Glomerulosklerose und bei Glomerulonephritiden auf (47, 55, 68). Auch bei Vaskulitiden, Pyelonephritiden oder im Verlauf der hypertensiven Nephropathie kann sich eine Albuminurie entwickeln (47, 55, 68). Sollten die Rückresorptionsmechanismen des Tubulussystems geschädigt sein, kommt es in der Folge zu einer fehlenden Wiederaufnahme von Mikroproteinen wie alpha1- oder beta2-Mikroglobulin (69). Weitere Hinweise auf die 12
renale Grunderkrankung gibt das Urinsediment. Erythrozyten, insbesondere Akanthozyten und Erythrozytenzylinder, weisen meist auf eine Schädigung des glomerulären Endothels hin, wodurch Zellen durch die geschädigte Basalmembran und die vergrößerten Zwischenräume zwischen den Podozytenschlitzen in den Harn übertreten können (47, 55, 68). Leukozyten und Leukozytenzylinder weisen hingegen auf ein inflammatorisches Geschehen im Tubulussystem und Interstitium hin und treten gehäuft im Rahmen der interstitiellen Nephritis auf (47, 55, 68). 2.3.6. Histologie der hypertensiven Nephropathie und Glomerulonephritis Endstrecke der meisten länger andauernden Nierenschädigungen sind fibrosierende Umbauprozesse im Nierengewebe, welche zu Glomerulosklerose, Tubulusatrophie und interstitieller Fibrose führen (55, 65). Diese Fibrose entsteht durch die langfristige Gewebsschädigung im Rahmen der zugrundeliegenden Erkrankung (beispielsweise renale Hypertonie oder Diabetes mellitus) und führt zu einer sich selbsterhaltenden Entzündungsreaktion mit Verdickung der Basalmembran, Hypoxie und Ausschüttung proinflammatorischer Produkte (55, 70). Bei der hypertensiven Nephropatie kommt es durch den gesteigerten intravasalen Druck und der konsekutiven Arteriosklerose zu Umbauprozessen der Gefäßwand und durch rezidivierende Ischämien im mäßig oxygenierten Tubulussystem zu fibrotischem Umbau in diesen Bereichen (71). Im Gegensatz dazu sind viele chronische Glomerulonephritiden von glomerulär-mesangialen Veränderungen geprägt. Als typisches Beispiel ist vor allem die mesangioproliferative Glomerulonephritis als Folge von Medikamentenintoxikationen zu nennen (72). 2.4. Renale Entzündung und Fibrose 2.4.1. Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) Bei den drei Hauptursachen der CKD, hypertensiver Nephropathie, diabetischer Nephropathie und Glomerulonephritis, sind inflammatorische Mechanismen bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung der Nierenschädigung involviert (65). Ursächlich hierfür ist im Falle der hypertensiven Nephropathie die renale Minderperfusion bzw. Ischämie-Reperfusion und die damit verbundene Aktivierung des Renin-Angiotensin- Aldosteron-Systems (RAAS) (73). Durch Sympathikusaktivierung, Verminderung des renalen Perfusionsdrucks oder des Serum-Chloridgehalts wird vermehrt Renin aus Prorenin durch Zellen des juxtaglomerulären Apparats (JGA) mittels Proteolyse abgespalten (73). Das Prä- 13
Prohormon Angiotensinogen wird hauptsächlich in der Leber gebildet (73). Die Bindung von Renin an Angiotensinogen bewirkt die Abspaltung des Dekapeptids Angiotensin I von Angiotensinogen (73, 74). Angiotensin I wird von dem hauptsächlich membrangebundenen Angiotensin-Converting-Enzym (ACE) in das metabolisch aktive Oktapeptid Angiotensin II überführt (73, 74). Dies geschieht vor allem an Gefäßendothelien, am Bürstensaumepithel oder an Neuroendothelzellen (73). Angiotensin II führt unter anderem zu Vasokonstriktion, Natriumretention, Gewebefibrose, oxidativen Stress und Aldosteronfreisetzung (73, 74). Aldosteron wird als Mineralocorticoid von der Nebennierenrinde hergestellt und sorgt für eine vermehrte renale Natrium- bzw. Wasserretention in Verbindung mit einer vermehrten Ausscheidung von Kalium und Protonen (75). 2.4.2. Überschneidungspunkte des RAAS mit Inflammation und Fibrose Die Komponenten des RAAS haben mehrere Überschneidungspunkte zu inflammatorischen Prozessen. Renin und dessen Propeptid Prorenin induzieren über einen gemeinsamen Rezeptor unabhängig von Angiotensin II die Bildung von Transforming-Growth-Factor-beta (TGF-beta), Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) und die Bildung von Bestandteilen der Extrazellulärmatrix wie Fibronektin oder Kollagen-1 (74). Eine weitere Verbindung von RAAS und Inflammation besteht über Angiotensin II selbst. Dessen Expression führt über den AT1-Rezeptor zur vermehrten Produktion profibrotischer Wachstumsfaktoren wie TGF-beta und dadurch zur Proliferation der Extrazellulärmatrix (76, 77). Hierdurch werden in Mesangiumszellen vermehrt Typ 1 Prokollagen und Fibronektin gebildet (78). Ferner werden via AT1 und AT2 vermehrt proinflammatorische Signalkaskaden angestoßen, wie Nuclear-Factor-kappa-B (NF-kappa B), der Mitogen-aktivierte Proteinkinase (MAPK) Signalweg, Rho- oder Redox-Signalwege (77). Durch Aktivierung dieser Signalkaskaden wird die Produktion von Interleukin 6 und Monozyten-Chemoattraktant- Protein-1 (MCP-1) angeregt (77). Über AT2 wird außerdem die endogene Synthese von TGF- beta angeregt, welches zu vermehrter renaler Fibrose führt (76). Den dritten Überschneidungspunkt stellt Aldosteron dar, welches mittels Bildung von Sauerstoffradikalen zu einer verstärkten NF-kappa B-Antwort führt und eine vermehrte Genexpression von TGF-beta, PAI-1, Endothelin 1 (ET-1) und weiterer Wachstumsfaktoren anregt (79). Ferner verstärkt Aldosteron die Effekte von Angiotensin II auf den systolischen Blutdruck durch Aktivierung des MAP-Kinase Signalwegs in Gefäßmuskelzellen (80). 14
2.4.3. Renale Entzündung – Akteure, Signalkaskaden, Effekte Die zugrundeliegenden Ursachen chronischer Nierenschädigung sind vielfältig, führen jedoch meist zu chronischer Entzündung und Fibrose (55, 70). Im Zentrum der Entzündungsreaktion steht die Einwanderung von Leukozyten in das Interstitium, welche durch Zytokine und Chemokine initiiert und moduliert wird (65). Diese Zyto- und Chemokine können von beinahe allen Zellen der Niere hergestellt werden (70). Von besonderem Interesse als Bestandteil der ausgeschütteten Entzündungsmediatoren sind die Chemokine, zu denen auch Chemerin zählt (35). Die eingewanderten Leukozyten kann man grob in Regulator- und Effektorzellen einteilen, wobei letztere sich in M1 & M2 Makrophagen, neutrophile Granulozyten, CD4 positive T-Helferzellen, zytotoxische CD8 positive T-Zellen, B-Zellen und dendritische Zellen unterteilen lassen (65). Je nach aktivierendem Chemokin werden andere Zellreihen an den Ort der Entzündung gelockt (70). Im Falle von Chemerin werden besonders Haupthistokompabilitätskomplex (MHC) II positive antigen-präsentierende Zellen wie Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen rekrutiert (81). Diese eingewanderten Makrophagen können selbst Entzündungsmediatoren wie verschiedene TNF oder reaktive Sauerstoffspezies herstellen und auf diesem Weg die Entzündung aufrechterhalten (65, 70). Durch die ausgeschütteten TNF werden auf auto- und parakrinem Weg weitere Leukozyten aktiviert und die Apoptose von Zellen des Nierenparenchyms wie Gefäßendothelien, Tubulusepithelien oder Podozyten induziert (82). Diese Leukozytenaktivierung geschieht durch die Aktivierung proinflammatorischer Signalkaskaden wie NF-kappa B (83). Dies regt die nukleäre Expression einer breiten Palette von Genen an, welche für Inflammation, Immunsystem, Apoptose, Zellproliferation und Zelldifferenzierung kodieren (83). Zu den in der Frühphase der Entzündungsreaktion vermehrt exprimierten Proteinen zählen Zytokine wie IL-6, IL-8 und MCP-1, wobei in der Spätphase Oberflächenrezeptoren, Adhäsionsmoleküle und Chemokine eine größere Rolle spielen (83). 2.4.4. Renale Fibrose – Gemeinsame Endstrecke multipler Nierenerkrankungen Wenn die renale Entzündung lange genug besteht, werden im weiteren Verlauf von Makrophagen vermehrt profibrotische Wachstumsfaktoren wie TGF-beta ausgeschüttet (82). Dies führt über die vermehrte Bildung von Myofibroblasten, Fibronektin und Kollagenen (insbesondere Kollagen Typ III) zu einer Verdickung der Extrazellulärmatrix (EZM) (84). Ferner werden durch TGF-beta über verschiedene Smad-Proteine profibrotische Gene und proteolytische Gewebsfaktoren wie Matrix-Metalloprotease-1 (MMP-1) aktiviert (85). Außerdem können durch TGF-beta selbst via MCP-1 Makrophagen in das Gewebe einwandern 15
und Fibroblasten in Myofibroblasten differenziert werden (85). Bei dieser Umwandlung wird Smooth Muscle Aktin (SMA) gebildet, welches als Marker für Gewebsfibrose verwendet werden kann (86). Allerdings bilden nicht nur Fibroblasten und Myofibroblasten Bestandteile der Extrazellulärmatrix. Auch renales Tubulusepithel, glatte Gefäßmuskulatur und einige Makrophagen können zu einer Verdickung beitragen, welche durch die Produktion und Freisetzung von Fibronektin und Kollagenen wie Typ I und Typ III Kollagen verursacht wird (87, 88). Durch die Verdickung der Extrazellulärmatrix kommt es zu einer Tubulusatrophie und zur Rarefizierung kleiner Gefäße, wodurch Gewebshypoxie begünstigt wird und somit ein renaler Teufelskreis aus selbstverstärkender Inflammation und Fibrose entsteht (87, 88). Dadurch bildet Fibrose die Endstrecke der meisten chronischen Nierenerkrankungen (55, 70, 86). 2.5. Erläuterung der eingesetzten Tiermodelle 2.5.1. Orte der Nierenschädigung Der Publikation von Mocker et. al (1) lagen methodisch zwei etablierte Tiermodelle renaler Schädigung zugrunde, welche häufige Ursachen humaner CKD abbilden. Im Folgenden wird daher kurz auf diese Modelle eingegangen. Das 2k1c-Modell (two-kidney, one-clip, Details siehe 2.5.2.) führt durch Verschluss einer Nierenarterie mittels Metallclip zu einer hypertensiven Nephropathie mit konsekutiven Schäden am Tubulussystem und renoparenchymatösen Gefäßen (89). Im Gegensatz dazu ist die durch Antikörper gegen Thymozyten-Antigen 1.1 ausgelöste mesangioproliferative Glomerulonephritis mit Glomerulosklerose des anti-Thy1.1-Modells (Details siehe 2.5.3.) durch Schädigung am Nierenkörperchen geprägt (72). Damit ergeben sich bei gleichzeitig hoher klinischer Relevanz der abgebildeten Krankheitsmuster nur geringe Überschneidungspunkte für den Hauptort der renalen Schädigung zwischen beiden Modellen. 2.5.2. Das „two-kidney, one-clip“ (2k1c) Tiermodell Das 2k1c Tiermodell wurde erstmals 1934 zur Investigation der renalen Hypertonie in Haushunden beschrieben (90). Im Gegensatz zum Hund neigen Nagetiere seltener zu renalen Kollateralkreisläufen und bilden daher eine dem Menschen ähnlichere Gefäßversorgung ab (64). Die Grundzüge des Modells sind seit seiner Etablierung beibehalten worden und besitzen daher eine entsprechend gute Datenlage in der Literatur. Der Ablauf der renalen Schädigung unterteilt sich in eine akute und eine chronische Phase (91). 16
Direkt nach Clipping einer Nierenarterie kommt es durch die Minderperfusion zur Aktivierung des RAAS der betroffenen Niere mit Anstieg des Plasmarenins und Aktivitätssteigerung des ACE mit in der Folge erhöhtem AT2 (91). Durch diese Mechanismen und dem daraus resultierenden Hypertonus versucht der Körper eine Gewebeperfusion in der geclippten Niere aufrechtzuerhalten. Im Anschluss pendelt sich der Blutdruck bei erhöhten Werten ein und die Plasmaspiegel der RAAS-Hormone normalisieren sich, während die Expression von Renin und AT1/AT2 in der geclippten Niere konstant erhöht bleibt (91, 92). Morphologisch führt die Stenose nach etwa zwei bis vier Wochen zu einer Schrumpfniere auf der geclippten Seite und kontralateral zu reaktiver Hypertrophie (92). Ferner werden nach dieser Zeit Umbauprozesse durch den erhöhten renalen Gefäßwiderstand und den verminderten Ultrafiltrationskoeffizienten in der ungeclippten Niere sichtbar. Dadurch sinkt die Gesamt-GFR und es kommt zu einer Salz- und Wasserretention (93). Ursächlich ist dabei die erhöhte lokale Aktivität von ACE und AT2 in der ungeclippten Niere (91). Charakteristisch sind die unterschiedlichen histopathologischen Veränderungen beider Nieren nach 5 Wochen. Während die geclippte Niere eine globale Nierenschädigung mit Glomerulosklerose, Tubulusatrophie und interstitieller Fibrose zeigt, sind die Schäden bei der ungeclippten Niere diskreter und betreffen primär das Tubulussystem und Interstitium (94). 2.5.3. Das „anti-Thy1.1“ Tiermodell Im anti-Thy1.1-Modell nutzt man das auf Mesangiumzellen der Ratte vorkommende Thymozyten-Antigen 1.1 zum Auslösen einer Typ 2 Immunreaktion mit konsekutiver Zelllyse und Apoptose durch Komplementaktivierung (72). Die Injektion von aufgereinigtem Antithymozytenserum oder monoklonalen anti-Thy1.1-Antikörpern in den Blutkreislauf der Ratten führt initial zu einer renalen Mesangiolyse und Bildung von Mikroaneurysmen mit darauffolgender Leukozyteninvasion (72, 95). In Verbindung mit den durch Nekrose der Mesangiumszellen ausgeschütteten Entzündungsmediatoren bildet sich ein inflammatorisches Milieu, das zu einer Verdickung des Mesangiums führt (72, 96). Diese Verdickung ist zum einen auf die Proliferation der Mesangiumszellen, zum anderen auf eine verstärkte Bildung von Proteoglykanen, Kollagen Typ I & Typ IV und Laminin zurückzuführen (96). Ihr Maximum erreicht diese Mesangiumsproliferation etwa 14 Tage nach Injektion, bevor Abräumprozesse einsetzen (97). Interessanterweise bleiben die Hyperzellularität und die Folgen der Mikroaneurysmen bis weit über 6 Wochen nach Injektion histologisch nachweisbar (96, 97). 17
Charakteristisch für die Klinik der anti-Thy-1.1-mesangioproliferativen Glomerulonephritis ist eine sofort beginnende massive Proteinurie, welche nach 2-4 Tagen ihr Maximum erreicht und nach etwa 3 Wochen auf Normalwerte absinkt (97). Zusammenfassend sind durch den kombinierten Einsatz obiger Tiermodelle im Rahmen der hier vorgestellten Studie (Mocker et al.) Rückschlüsse über die renale Expression und Lokalisation von Markergenen und Markerproteinen möglich, um deren Expressionsverhalten in Zusammenhang mit verschiedenen renalen Schädigungsmustern zu setzen (1). 3. Fragestellung von Mocker et al. 2020 Im Rahmen der Publikation von Mocker et. al. wurde die Rolle von Chemerin als potentielles renales Markergen und Markerprotein für Gewebeschädigung im 2k1c und anti-Thy1.1. Tiermodell untersucht. Besonderer Fokus lag dabei auf der Korrelation von Chemerin und dessen Rezeptor CmklR1 mit charakteristischen Inflammations- und Fibroseprozessen dieser CKD Modelle (1). Ferner wurde hierbei die renale Lokalisation von Chemerin analysiert (1). In Hinblick auf humane Studien zu erhöhten Chemerinspiegeln im Serum von Dialysepatienten soll untersucht werden, ob Chemerin in den verwendeten Tiermodellen als Serummarker für Nierenschädigung fungieren kann (1, 46). Da insbesondere Angiotensin II und Chemerin über NF-kappa-B und den MAPK Signalweg auf ähnliche Weise Einfluss auf Fibrose nehmen können (42, 77), sollten Schnittpunkte zwischen RAAS und Chemerin in den verwendeten Tiermodellen identifiziert werden (1). Hinsichtlich der zahlreichen Interaktionspunkte zwischen chronischer Nierenschädigung, dem RAAS, renaler Gewebsinflammation und -fibrose sollte daher untersucht werden, ob Chemerin hier als Schlüsselmediator gesehen werden kann (1). Da Chemerin mittels Leukozytenaktivierung und Stimulation der Chemotaxis von dendritischen Zellen und Makrophagen Immun- und Entzündungsreaktionen beeinflusst (35, 39), sollte im Speziellen evaluiert werden, welche Leukozytensubpopulationen am ehesten mit der renalen Chemerinexpression korrelieren (1). 18
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