Die Sehnsucht nach orientalischem Punk - Norient

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Die Sehnsucht nach orientalischem Punk | norient.com                   14 Jun 2022 08:09:51

    Die Sehnsucht nach
    orientalischem Punk
    by Friedlind Riedel

    No U Turn, Kaaiza Tin Moong, Sideeffect, Die Toten Hosen.
    So liest sich das Line-up einer stickig-schwülen
    Nikolausnacht im Kandawgyi Park in Yangon, der pop-
    kulturellen Hauptstadt Myanmars. Das Konzert mit dem Titel
    Die Toten Hosen in Myanmar – A Somewhat Different
    Anniversary ist die ist die spektakuläre Abschlussfeier eines
    Jubiläumsjahres zum Anlass von 60 Jahren diplomatischer
    Beziehungen zwischen Deutschland und Myanmar.
    Veranstalter der Punk-Rock-Party ist niemand anderes als
    die deutsche Botschaft in Yangon. Programmatisches Ziel ist
    «West Meets East» / «Old Meets Young»; und in der Tat, im
    Konzert amalgamieren «Ost» und «West» auf zugleich
    denkwürdige wie fulminante Art und Weise.
    Die Gitter zum Eingang der Freilichtbühne sind die materialisierten
    Erwartungen der Veranstalter: «Maximal 5000 Leute werden reingelassen,
    dann machen wir dicht». Doch auch mit Einbruch der Dunkelheit um halb
    sechs bleibt der übergrosse Ansturm aus. Beeindruckend ist jedoch die
    Präsenz deutscher Hosen-Fans, die deutlich über die Hälfte der etwa 3000
    Konzertbesucher ausmachen. Aus ganz Südostasien sind deutsche

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Die Sehnsucht nach orientalischem Punk | norient.com                    14 Jun 2022 08:09:51

    Auswanderer und Südostasien-Backpacker für ein Wochenende nach Yangon
    gepilgert; aus Bangkok, Chiang Mai, Singapur, Kuala Lumpur oder Pnom
    Pehn.

    In den Berichten und Bildern, die das Konzert dokumentieren, liest und sieht
    man von diesen treuen Anhängern jedoch kaum etwas. Stattdessen schreiben
    Rolling Stones und Bild Zeitung, 6000 burmesische Punks seien erschienen –
    und es ist diese deutsche Sehnsucht nach Punks in Myanmar, die vielleicht
    das Herzstück des «West meets East»-Konzerts ausmacht.

    Neben der Überzahl deutscher Hosen-Jünger sind es vor allem neugierige
    junge einglobalisierte Yangoner und Yangonerinnern – «My Boss is German,
    he said I should go here» – oder erwartungsvolle Musiker und Musikerinnen.
    Unter diesen sticht die Handvoll Bilderbuch-Punks schwarz-rot-laut hervor.
    Bis in die Haarspitzen durchgestylt in Nieten-Kluft, mit
    Totenkopfapplikationen, Antifa-Buttons und roten Irokesen spielen die
    burmesischen Punks (alle männlich) gekonnt mit der Aufmerksamkeit des
    «Westens»: In Formation marschieren sie in den hinteren, leeren Teil der
    Freilichttribüne ein und geben ein paralleles Konzert – Head-banging zum
    schrägen Klang einer Miniaturgitarre, die wohl mehr als modisches
    Accessoire dient, denn als Musikinstrument. Die Blitze der Kameras und
    Strahler des Fernsehteams ZDF geben der Truppe den Rhythmus vor und
    begeisterte Touristen gehen für gemeinsame Selfies auf Tuchfühlung. Hier
    sind sie endlich, die burmesischen Punks, die vermeintlich offensichtlichen
    Rebellen gegen das Militärregime, junge Autonome von denen man bereits
    viel in deutschen Zeitungen lesen konnte.

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Die Sehnsucht nach orientalischem Punk | norient.com                    14 Jun 2022 08:09:51

    Die Band No U Turn nimmt den schweren Anfang, die auf die unbeleuchteten
    Ränge zurückgezogene Hosen-Gemeinde auf Yangon einzuspielen. Ob der
    geringen Resonanz irritierte deutsche Fans sammeln sich jedoch allmählich
    vor der Bühne um sich die unbekannten und doch irgendwie vertrauten Beats
    zunächst etwas unbeholfen, dann immer sicherer, einzuverleiben. Das sieht
    nach jeder Menge Spass und affektierter Kommunikation aus und zieht mehr
    und mehr Neugierige nach vorne. «Keine Ahnung wie die erste Band hiess,
    aber das war guter Punk» kommentiert hinterher ein Hosen-Fan.

    Kaaiza Tin Moong, in Zwei-Mann-Formation mit Akustik Gitarre und Stage-
    Piano bietet ein Kontrastprogramm zwischen den beiden anderen Vorbands:
    Elaborierte Vorspiele und instrumentale Narrationen zwischen den Strophen,
    in Oktaven gedoppelte melodische Moll-Skalen auf dem Tasteninstrument
    und ein Spiel mit starken affektiven Brüchen zwischen den einzelnen
    musikalischen Teilen. Während das vielen der deutschen Punkrockern
    deutlich zu «alternativ» zu «Indie» und «irgendwie unpassend für ein
    Punkkonzert» ist, nimmt das Yangoner Publikum die emotionalen,
    langgezogenen musikalischen Phrasen mit lauten und ebenso sentimental
    gedehnten Zurufen auf.

    Sideeffect brechen endlich das letzte Eis. Die Indie-Punk-Band, mit einem
    Sänger, der jede Menge Deutsch mit den überraschten Zuhörern spricht,
    schafft es, mit seiner Band musikalisch eigensinnig und doch souverän die
    Menge einzuheizen. Egal aus welchem politischen System man gekommen
    war, das Zucken in der rechten Hand auf Hüfthöhe beim vorpreschenden
    Gitarrensolo, das wilde Ganzkörperwackeln beim kulminieren der Songs in
    eingängigen Refrains, zieht sich quer durch die Menge. In der ausgelassenen
    Atmosphäre der prägnanten Songs sind alle «wir», Vorurteile und
    Verunsicherungen verwischen und lösen sich in gemeinsam gegrölten
    Refrains auf der Silbe «ohhhohohhooo» auf. Sideeffect ist das perfekte
    Vorglühen für die musikalische Hitzewelle Campino.

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    Dieser hat offensichtlich Burmesisch gelernt und einen beeindruckend
    umfangreichen Wort- und Phrasenschatz verinnerlicht, der zwar scheinbar
    nicht von den burmesisch sprechenden Zuhörern verstanden wird, aber
    immerhin eine Eindruck schindende Liebesgeste darstellt. In einem Mix aus
    Deutsch, Englisch und Burmesisch predigt er den Glauben an die Rebellion
    und die Verbrüderung in der «Fuck-you-all-Gesinnung». «Lie-Be», Silben, die
    in der Sprache Myanmars eine harter Kraftausdruck sind und so viel wie
    «Scheisse» oder «Fuck-off» bedeuten, sind dabei das Leitmotiv des
    Campinoschen Apells: «We do not sing about love we sing about Lie-Be!»

    Die «Foreigner Band»
    Der lokale Widerhall auf Campinos «Lie-bes»-Zurufe fällt schwach aus, nicht
    nur weil man es nicht versteht, sondern vielleicht auch, weil Yangoner
    Musiker andere Sehnsüchte und Ideale antreiben. Um das internationale
    Publikum nicht zu enttäuschen, waren durch die deutsche Botschaft gezielt
    Bands eingeladen worden, die kein sogenanntes Copy Thachin spielen, keine
    1:1 abgekupferten anglo-amerikanischen, thailändischen oder japanischen
    Pop und Rock Songs, ein in Burma weit verbreitetes Genre, dass dem Ideal
    musikalischer (insbesondere melodischer) Innovation in der deutschen
    Popmusik zutiefst widerstrebt. Sideeffect, die kein Copy Thachin spielen, die
    es «geschafft haben» und schon in Deutschland oder Texas rockten, werden
    jedoch hier in Yangon als die «Foreigner Band» beargwöhnt, die auf NGO-
    Weihnachtsfeiern spielen und die einen kanadischen Manager haben. Ihre
    Musik klingelt in deutschen Ohren und intoniert den westlichen Traum der
    Rebellion gegen Unterdrückung und militante Bevormundung. Doch die
    ohrenscheinliche Selbstverständlichkeit, dass Punk-Rock mit politischer
    Rebellion gleichzusetzen sei, ist in Myanmar nicht unbedingt der (Normal-
    )Fall. In einer ausführlichen Ethnographie Burma‘s Pop Music Industry
    beschreibt Heather MacLachlan etwa ein anderes Bild der populären
    Musikszenen Yangons, die das Narrativ der kulturimperialistischen Punk-

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    Rocker verfehlt. Der musikalische und körperkultische Zeichendschungel der
    Pop- und Rockstars ist eben nicht international ein-deutig. In intensiven
    Gesprächen mit Musikerinnen und Akteuren der lokalen Musikindustrie wird
    vielmehr deutlich, dass eine gesellschaftspolitische Rebellion nicht das
    treibende Moment der Szenen ist und dass traditionelle, oft buddhistische
    oder christliche Werte den Alltag der tätowierten Rockstars prägen. Warum
    auch nicht.

    Yangon boomt. Heavy Metal- und Hardchore-Bands haben sich ihre eigenen
    Klangräume geschaffen. Galerien, Bars, Musiklabels, Kreativschuppen
    schiessen aus dem Boden. «Yangon ist Hip Hop Stadt», wird mir erklärt.
    Punks seien eigentlich ganz woanders, in Pyin Oo Lwin zum Beispiel. Aber
    warum stürzen sich Bild-, Text- und Ton-Journalisten auf die kleine Gruppe
    dieser vertraut klingenden und aussehenden Punks? Vielleicht weil diese den
    westlichen Traum von politischer Freiheit verkörpern? Vielleicht weil das
    übermässig fremde Land durch die Punks plötzlich so nahbar ist und mit den
    vermeintlich symbolträchtigen Sounds anschlussfähig für Campinos und
    Konsule? «Die müssen noch viel lernen, aber die sind ja schon erstaunlich
    gut» kommentiert «West» über «East» schweissgebadet nach der tropisch-
    schwülen Musikfete in mein Aufnahmegerät.

    Kunsthistoriker Werner Kraus stellte in einem Vortrag im Goethe-Institut
    Yangon die zentrale These auf, dass südostasiatische Staaten-im-Werden,
    oder besser im Loswerden der kolonialen Fremdherrschaft, ihre eigene
    Zivilisiertheit damals dadurch bewiesen (oder beweisen mussten), dass sie in
    eigenen Galerien eigene Kunstwerke präsentierten, die von Engländern und
    Franzosen als originäre «Kunst» anerkannt werden konnten und etwa keine
    schlechten Kopien europäischer Werke darstellten. Heute ist der rebellische
    Punker vielleicht auch ein solches (unfreiwilliges, freiwilliges oder bewusst
    inszeniertes) Ausstellungstück, das europäischen Respekt eintreibt und sich
    als Anerkennung international auszahlt, denn: rebellierende Minderheiten sind
    eben In und grosse Nummern auf World Music Festivals. Doch was ist mit den
    hunderten von HipHop-, Punk-, Hardchore-, Soft-Pop-oder Indie-Bands in
    Yangon, die nicht mit der Rückendeckung eines ausländischen Managers
    politische Kritik betreiben können oder wollen? Deren fehlende
    Wahrnehmung in westlichen Medien zeigt, wie selbsterfüllend ihre Strukturen
    und Prophetien sind. Das heisst nicht, dass alle Ganzkörpermusiker hier
    unpolitisch, konservativ oder unkritisch seien. Ganz und gar nicht. Aber die
    Party ist so viel mehr als eine einseitige Rebellion gegen ausgediente Normen
    und brutale Systeme und die Ambiguitäten sind so viel spannender als die
    Monotonie vergehender Diktaturen.

    Im Artikel werden die Namen des Landes oder der Sprache
    Myanmar/myanmar und Burma/burmesisch vermischt gebraucht um die
    lokalen Inkohärenzen nicht durch eine ideologische Position linguistisch
    auszumerzen.

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    → Published on March 10, 2015

    → Last updated on May 24, 2019

    Friedlind Riedel ist Doktorandin am Musikwissenschaftlichen Seminar der
    Universität Göttingen, und fuhr die letzten Monate mit dem Mofa durch Süd-
    Myanmar auf der Suche nach Musik in Ritualen, sogenannten Nat Pwes. Ihr
    Interesse gilt dem atmosphärischen Potential von Musik und den politischen und
    sozialen Implikationen, die solche Atmosphären mit sich bringen.

    → Topics

          Counter-Culture
         Cultural Diplomacy
              Othering
              All Topics

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