Musiker unter Anpassungsdruck - Norient

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Musiker unter Anpassungsdruck | norient.com                                   4 Sep 2022 06:29:19

    Musiker unter
    Anpassungsdruck
    by Markus Ganz

    Auch Schweizer Musiker müssen sich unter dem Druck der
    im Internet herrschenden Gratismentalität anpassen und
    Eigeninitiative entwickeln. Ihre Situation unterscheidet sich
    in mancher Hinsicht von der ihrer ausländischen Kollegen.

    Die Schweizer Pop-Musik-Szene gedeiht, als ob es die weltweite Krise des
    Musikbusiness nicht gäbe. Es werden mehr neue Alben veröffentlicht denn je,
    die stilistische Vielfalt ist gross, das Niveau steigt. Viele dieser einheimischen
    Musiker vermögen sich denn auch immer besser gegenüber der
    ausländischen Konkurrenz durchzusetzen. Jedenfalls im Inland: Es ist schon
    fast zur Regel geworden, dass in den Top Ten der Schweizer Hitparade drei
    bis fünf Alben von Schweizer Künstlern stammen.

    Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich diese Alben auch gut verkaufen –
    dass diese Musiker davon leben können. Denn die Hitparade ist nur eine
    relative Verkaufsrangliste. Tatsächlich ist der Tonträgerumsatz auch in der
    Schweiz regelrecht eingebrochen. Der Gesamtumsatz des Labelverbands Ifpi
    Schweiz, dessen Mitglieder etwa 90 Prozent des Schweizer Marktes
    umsetzen, sank innerhalb von zehn Jahren von 302 Millionen Franken im Jahr
    2001 um fast 60 Prozent auf 124 Millionen Franken im letzten Jahr; allein im
    letzten Jahr betrug der Rückgang fast 16 Prozent. Pessimistisch stimmt, dass
    die wachsenden digitalen Verkäufe die Verluste der physischen Tonträger
    nach wie vor nicht annähernd kompensieren können.

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Musiker unter Anpassungsdruck | norient.com                               4 Sep 2022 06:29:19

    Die oft als Zukunftsmodell bezeichneten Streaming-Dienste wie Simfy oder
    Spotify mögen für Musikfans grossartig sein, da man sich damit sogar legal
    Musik gratis anhören kann, wenn man Werbung akzeptiert. Die
    Rechteinhaber erhalten jedoch entsprechend wenig Geld dafür. Der Musiker
    Reto Burrell hat errechnet, dass seine Songs 44 400-mal abgespielt werden
    müssen, damit er sich dafür eine Cola und ein Sandwich kaufen kann. Der
    Verein Musikschaffende Schweiz, dessen Präsident Burrell ist, bezeichnet
    diese «intransparenten» Vergütungssysteme denn auch als «Katastrophe für
    die Künstler».

    Der Boom in der Schweizer Pop-Musik erklärt sich zu einem guten Teil damit,
    dass die allermeisten Künstler die Musik im Nebenerwerb betreiben, dem sie
    dank – im Vergleich zum Ausland – nach wie vor gut bezahlten Jobs viel Zeit
    widmen können. Ob dies Selbstverwirklichung oder Selbstausbeutung ist,
    kann dem Musikfan egal sein. Es fragt sich allerdings, ob damit der Musik
    nicht die existenzielle Dringlichkeit verloren geht.

    Verlagerung in den Konzertmarkt
    Der Musikmarkt hat sich stark von Tonträgern zu Konzerten verlagert, auch in
    der Schweiz. Während der Gesamtumsatz des Labelverbands Ifpi Schweiz in
    den letzten Jahren drastisch gesunken ist, kann der Schweizer
    Veranstalterverband SMPA steigende Zahlen vermelden. Seine Mitglieder,
    die etwa 80 Prozent des Schweizer Marktes umsetzen, vermochten den
    Umsatz von 173 Millionen Franken (2005) auf 281 Millionen Franken (2011) zu
    steigern. Der Umsatz ist mittlerweile also mehr als doppelt so hoch wie
    derjenige der Ifpi-Mitglieder, doch scheint nun die Marktsättigung erreicht zu
    sein. Umstritten bleibt die verbreitete und auch vom Schweizer Bundesrat
    vertretene These, wonach die Musiker die sinkenden Verkäufe von
    Tonträgern mit mehr Konzerten kompensieren könnten. Fachleute wie der
    international tätige Konzertagent und Tourneeveranstalter Berthold Seliger
    widersprechen: Dies gelinge nur wenigen Stars wie Madonna. Wenig
    bekannte Schweizer Musiker haben Mühe, Auftrittsmöglichkeiten mit
    rentablen Gagen zu finden.

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    Das hat auch mit der verschlechterten Situation vieler Musikklubs zu tun, wo
    solche Gruppen am ehesten auftreten können. Der Verein Petzi, der
    Schweizer Dachverband der nicht gewinnorientierten Musikklubs, erklärte
    gegenüber dem Branchenmagazin «Musikmarkt», dass in den letzten drei
    Jahren wohl mehr Klubs geschlossen als neue eröffnet worden seien.
    Gefährdet seien weiterhin viele, vor allem wegen Klagen von Anwohnern. Man
    wünsche sich denn auch, dass die Behörden nicht nur Subventionen
    sprächen, sondern Musikklubs auch proaktiv unterstützten, sprich: die
    Rahmenbedingungen verbesserten.

    Angesichts der schwierigen Bedingungen sowohl im Tonträger- wie im
    Konzertmarkt haben die Tantièmen für Musiker stark an Bedeutung
    gewonnen. Entsprechend hat sich der Kampf ums Urheberrecht zugespitzt
    und tritt er nun in eine entscheidende Phase. Denn je länger die
    Gratismentalität des Internets geduldet wird, desto schwieriger wird eine
    Umkehr. Ein Blick in die Internetforen widerspiegelt das abnehmende
    Verständnis dafür, dass das Urheberrecht wichtig für eine florierende Kultur
    ist. Selbst der Bundesrat hat im letzten November in seinem «Bericht zur
    unerlaubten Werknutzung über das Internet» vor dieser Tendenz kapituliert.
    Er sah keinen Handlungsbedarf, weil das Urheberrecht «inzwischen
    dermassen stark als Hindernis für den Zugang zur Kultur empfunden und
    dessen Legitimität in einem Ausmass angezweifelt wird, dass die
    Piratenpartei die Befreiung der Kultur vom Urheberrecht gar als Punkt in ihr
    Parteiprogramm aufgenommen hat».

    Inzwischen hat der Wind allerdings gedreht. Es brauchte vermutlich gerade
    diesen gemäss dem Musiker Christoph Trummer «geradezu beleidigenden»
    Bericht des Bundesrats, um die Interessengruppen des Urheberrechts zu
    vereinen. Zwanzig Organisationen der schweizerischen Medien- und
    Kulturbranche haben sich zur «Allianz gegen Internet-Piraterie»
    zusammengeschlossen, um für bessere Bedingungen zu kämpfen. Für den

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    Bereich Musik entscheidend ist, dass darunter auch der Anfang 2012
    gegründete Verein Musikschaffende Schweiz ist, der rund 300 Mitglieder
    zählt, darunter auch prominente von Bligg und DJ Bobo bis zu Yello und Züri
    West. Die meisten Musiker hatten sich in der Urheberrechtsdebatte bisher
    zurückgehalten, wohl auch aus der Angst heraus, ihre Fans zu verärgern.

    Obwohl dieser Verein noch jung ist, hat er sich bereits deutlich in der
    Öffentlichkeit bemerkbar gemacht und ist auch im Bundeshaus vorstellig
    geworden. Insbesondere Präsident Reto Burrell hat offensiv die Interessen
    der Musiker vertreten. In den letzten Monaten haben sowohl der National-
    wie der Ständerat Postulate angenommen, die den Bundesrat zur Suche nach
    einer den Kulturschaffenden entgegenkommenden Lösung auffordern.

    Modell Flat Rate
    Sowohl Nationalrat Balthasar Glättli wie Ständerat Luc Recordon erwähnen in
    ihren Postulaten explizit Pauschalen, die bei den Internet-Benutzern erhoben
    würden – notabene zwangsweise. Im Zentrum steht dabei eine sogenannte
    Flat Rate, wie sie im Musikbereich seit einigen Jahren erörtert und etwa von
    Gerd Leonhard propagiert wird. Der «Medien-Futurist» hat in einem offenen
    Brief einen konkreten Vorschlag gemacht. Mit einer Musik-Flat-Rate von
    einem Franken pro Woche und Nutzer sollen das Streamen und das
    Downloaden von (fast) allen verfügbaren Werken legalisiert werden.
    Gleichzeitig könnten mit den eingenommenen Gebühren die Ansprüche aller
    Rechteinhaber befriedigt werden, wie er in einem Szenario vorrechnet.

    So bestechend einfach der Vorschlag einer Flat Rate klingt, so findet sie bis
    jetzt nur wenig Unterstützung. Skeptisch bis vehement ablehnend äussern
    sich insbesondere Tonträgerproduzenten, Verwertungsgesellschaften und
    der Verein Musikschaffende Schweiz. Argumentiert wird vor allem damit,
    dass die Definition eines gerechten Verteilschlüssels sehr schwierig und die
    Pauschalbesteuerung der Konsumenten ungerecht sei, die Urheber verlören
    die Kontrolle über ihre Werke. Gerd Leonhard bezeichnet dies in einer Replik
    als «das Lamentieren der Ewiggestrigen», denn es gebe im digitalen Zeitalter
    «keine Lösung mehr, die perfekte Kontrolle und neue Einnahmen garantiert».

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    Doch auch der Bundesrat hat seine Bedenken. «Eine Entschädigung, die den
    Austausch nicht lizenzierter Werke im Internet abdeckt, würde auch das
    unerlaubte Anbieten (den Upload) mit einschliessen und damit eine sichere
    Heimat für illegale Plattformen wie Pirate Bay schaffen. Eine solche Lösung
    wäre zudem mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der
    Schweiz kaum vereinbar.» Trotzdem ist eine genauere Untersuchung mit
    Vorschlägen zum Thema Urheberrecht sinnvoll, wie sie Bundesrätin
    Sommaruga bis Ende 2013 versprochen hat. Denn bei der Entgeltung der
    Urheber für die Verwendung ihrer Werke in Radio und Fernsehen konnte einst
    auch eine einfache Lösung gefunden werden. Absehbar ist, dass der
    Bundesrat die im Unterschied zu vielen Nachbarländern liberale Regelung
    beibehalten will, wonach das Herunterladen für den Eigengebrauch legal ist.
    Gut vorstellbar ist, dass stärker gegen illegale Uploads vorgegangen werden
    soll, sprich: geltendes Recht besser durchgesetzt würde.

    Eigeninitiative gefragt

    Die Musiker tun gut daran, nicht politische und rechtliche Entscheidungen
    abzuwarten, sondern mehr Eigeninitiative zu entwickeln. Das kann mit
    Sponsoring sein, wie es etwa DJ Antoine praktiziert. Oder mit Crowdfunding,
    bei dem übers Internet Unterstützungsbeiträge für Projekte gesammelt
    werden. Dies wird auch in der Schweiz an Bedeutung gewinnen, zumal mit
    Pledgemusic seit kurzem eine auf Musik spezialisierte internationale
    Plattform zur Verfügung steht.

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    Es ist aber illusorisch zu glauben, dass Schweizer Musiker wie die
    amerikanische Sängerin Amanda Palmer derart eine Million Dollar auftreiben
    können. Die Realität für die meisten wird heissen, dass sie für kleinere,
    spezielle Projekte einige tausend Franken zusammenbringen. Das reicht nicht
    annähernd für den Aufbau einer soliden, womöglich internationalen Karriere.
    Die dazu nötigen Investitionen wurden lange – etwa im Fall von Gotthard –
    zumindest teilweise von den Plattenfirmen getätigt, denen dafür nun das
    Geld fehlt.

    Unangemessen sind darum Vorwürfe, wenn die öffentliche Hand gezielt
    talentierte Künstler unterstützt. Das Musikblog 78s hatte errechnet, dass
    Sophie Hunger in den letzten Jahren von verschiedenen Institutionen mit
    insgesamt rund 250 000 Franken unterstützt wurde; diesen Frühling kamen
    mit dem Förderpreis des Kantons Zürich noch 40 000 Franken hinzu. Das ist
    viel Geld, doch ohne dieses wäre ihr neues Album vielleicht gar nie
    entstanden, das Ende September veröffentlicht wird.

    Markus Ganz, geboren 1961 in Zürich, war von 1982 bis 1987 leitender Redaktor des
    Schweizer Magazins Music Scene. Seither ist er freischaffender Journalist mit
    Schwerpunkt Musik, vorwiegend für die Neue Zürcher Zeitung, sowie
    Geschäftsführer der Musikpresseagentur Wohrt. Er hat Beiträge für mehrere Bücher
    verfasst und wirkt immer wieder als Dozent an mehreren Instituten. Seit Mitte der
    siebziger Jahre macht er als Amateur selbst Musik mit Synthesizern. Mit der
    Künstlerin Betha Sarasin schuf er 1988 das Buch «Die Reise zu den Seen», eine Art
    modernes Märchen mit Kunstbildern, Musik und Text in Deutsch, Englisch und
    Chinesisch.

    → published on august 27, 2012

    → last updated on july 20, 2019

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