Die Selbstgerechten Über die bürgerliche Ablasspartei Déi Gréng - Forum.lu
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6 forum 416 Politik Die Selbstgerechten Über die bürgerliche Ablasspartei Déi Gréng Victor Weitzel Im Herbst 2019 endete mit der Traversini-Affäre wo es auch Posten zu verteilen gibt, von ca. 600 jäh die Erfolgssträhne der luxemburgischen Grü- im Jahr 2013 auf um die 1.000 Mitglieder 2019 nen. Der populäre Differdinger Député-maire, der gestiegen. Die Grünen sind mit neun Abgeordne- zudem im Gespräch stand, wegen der schweren ten, drei mehr als bei ihrer ersten Regierungsbetei- Erkrankung des grünen Vizepremiers und Justizmi- ligung, die vierte Partei im Parlament. Sie besetzen nisters Félix Braz in die Regierung nachzurücken, fünf Ministerposten, davon drei – Justiz, Verteidi- fiel über die sogenannte Gartenhäuschen-Affäre. Das gung und Innere Sicherheit –, die zu den hoheit- erste Mal in ihrer Geschichte wurden Déi Gréng mit lichen Kernaufgaben des Staates gehören, während dem Vorwurf konfrontiert, dass einer ihrer wich- die beiden größeren Koalitionspartner sich die bei- tigsten politischen Vertreter ausgerechnet gegen das den anderen teilen – die Finanzen für die DP, die Naturschutzgesetz verstoßen und öffentliche Mittel Außenpolitik für die LSAP. Damit tragen sie eine für Privatzwecke missbraucht haben könnte. Das vor besondere staatspolitische Verantwortung. Mit der dem Hintergrund, dass die Partei innerhalb eines Übernahme des Wohnungsbauministeriums 2018 Jahres zwei ihrer Spitzenpolitiker verloren hatte: sind sie zudem zuständig für die Lösung der Woh- Camille Gira durch seinen plötzlichen Tod, dann nungsnot, die das größte Problem fast aller jungen Félix Braz wegen der gesundheitlichen Folgen eines Haushalte ist und das der Klein- und Mittelverdiener Herzinfarkts. Zudem geriet die grüne Umweltminis- aller Generationen. terin Carole Dieschbourg ins Fahrwasser der Affäre, weil ihre Verwaltung Roberto Traversini nachträg- Nun aber gibt es schlechte Umfragewerte. Konnten lich Genehmigungen erteilt hatte. Das hatte die Déi Gréng im Dezember 2019 noch 15,9 % der Opposition schnell als eine Gefälligkeit gegenüber Wahlabsichten auf sich verbuchen und damit die dem bedrängten Parteifreund ausgelegt. Die Grü- LSAP überholen, sank diese Zahl im Juni 2020 auf nen, selbst stets schnell zugegen, um dem Gegner 13,4 % und im Dezember 2020 sogar auf 11,5 %. politische, moralische und rechtliche Verfehlungen Die letzte Meinungsumfrage ließ auf den Verlust vorzuwerfen, hatten ihre institutionelle Unschuld eines Sitzes schließen. Diese schlechten Werte sind verloren. Sie reagierten allerdings schnell, entzogen nicht nur der Traversini-Affäre zuzurechnen, auch ihrem Député-maire die Unterstützung, legten ihm nicht den ständigen wüsten Anfeindungen aus den den Rücktritt von all seinen Ämtern nahe und leis- Bauern- und Jägerverbänden und -kreisen, denen teten genug Überzeugungsarbeit, sodass die Integri- die Umweltministerin ausgesetzt ist, oder der Stim- tät der angeschlagenen Ministerin Dieschbourg bald mungsmache gegen die Justizministerin Sam Tanson nicht mehr zur Debatte stand. in den sozialen Medien, die zuweilen strafrechtlich relevante Züge annimmt. Sie hängen vielmehr mit 1000 Mitglieder und schlechte Umfragewerte der Frage zusammen, ob Déi Gréng es in Zukunft noch schaffen werden, Menschen aus den neuen Parteipolitisch gesehen ist die Bilanz der Grünen Milieus, die aus der Auflösung des traditionellen jetzt, über ein Jahr später und nach mehr als sieben Arbeitermilieus und des traditionellen katholischen Jahren Regierungsbeteiligung, gemischt. Die Zahl Milieus entstanden sind, darunter besonders jene der Parteimitglieder ist, und das war wohl nicht Teile des bürgerlichen Mittelstands, die bis in die anders zu erwarten bei einer Regierungsbeteiligung, 1980er diesen sich auflösenden Milieus zur Seite
Screenshot über https://tinyurl.com/d47kw83k Josée Lorsché, Meris Sehovic und Djuna Bernard (v. l. n. r.) beim digitalen Kongress von Déi Gréng am 21. März 2021 standen, weiterhin an sich zu binden. Denn das war dem früheren katholischen Milieu, die aus Sorge um bis dahin das soziologische Erfolgsrezept der Grünen. die Schöpfung, die historische Bausubstanz und die steigende soziale Not nicht mehr schwarz, auf keinen Grüne Durchbrüche vor 2013 Fall blau, und daher eher grün als rot gestimmt hat- ten. Auch hier waren es wieder Akademiker, Lehrer, Félix Braz war der erste, dem es nach den Gemein- Sozialarbeiter, Kulturschaffende und sozial engagierte dewahlen 1999 gelang, in einer großen Gemeinde, Kreise, die die Grünen stärkten, auch wenn deren Esch-sur-Alzette, über eine rot-grüne Koalition in kulturelle Prägung in der Hauptstadt nicht so stark den Schöffenrat vorzudringen. Damals stand die Par- von der politischen Linken bestimmt war wie in Esch. tei eher links und hatte viel Wählerzulauf aus Krei- sen von Akademikern, Lehrern, Kulturschaffenden, Ein anderer Faktor spielte eine Rolle. Das grüne Sozialarbeitern und sozial engagierten Menschen, Milieu im Bezirk Zentrum wird seit den 1980er Jah- denen die Sozialisten nicht genügend Akzente auf ren von der Umweltorganisation Mouvement éco- Stadtplanung und Umwelt legten. Indem die Grü- logique geprägt. Der Méco, obschon stark staatlich nen diese Koalition eingingen, ermöglichten sie es über seine Stiftung subventioniert, lehnt jegliche zwar den angeschlagenen Sozialisten und der Escher organische Verquickung mit politischen Parteien ab. Linken insgesamt, ihre Hegemonie bis ins Jahr 2017 Sein Ziel: als Pressuregroup auf die umweltpolitische zu bewahren, doch gelang es ihnen, auch ihr eigenes Agenda von Staat, Gemeinden und Betrieben Ein- Profil zu schärfen, das zunehmend liberaler bis bür- fluss nehmen, die dann Studienbüros mit weiteren gerlicher wurde. Untersuchungen beauftragen. Zur Galaxie der poli- tischen grünen Mandatsträger im Zentrum gehören Die Gemeindewahlen von 2005 brachten dann ein daher seit der Jahrhundertwende zunehmend auch weiteres Novum. Den Grünen gelang der Sprung in die Berater- und Studienbüros, die – direkt oder den Schöffenrat der Hauptstadt, aber nicht mit einer indirekt aus der Matrix Méco hervorgegangen – Den Grünen linksstehenden Partei, sondern mit der rechtslibera- Staat, Gemeinden und Wirtschaft im Kontext unter- gelang der Sprung len DP, die mit nur ganz kurzen Unterbrechungen schiedlicher Umweltproblematiken ihre Dienste in den Schöffenrat die Hauptstadt seit Ende des Ersten Weltkriegs fest anbieten und sich ihren Lebensunterhalt mit öffent- der Hauptstadt im Griff hielt. Auch hier hatten die Grünen es unter lichen Aufträgen zur Entwicklung von Strategien, nicht mit einer François Bausch fertiggebracht, Stimmen aus Kreisen die abwechselnd zwischen Protestkampagnen und linksstehenden an sich zu ziehen, die weit über die traditionelle Wäh- lang- bis mittelfristiger Lösungssuche anzusiedeln lerschaft der im Zentrum eher als Protestpartei wahr- sind, verdienen. In anderen Worten: Im Zentrums- Partei, sondern mit genommenen Déi Gréng hinausreichten. Dass sie bezirk gibt es stärker als anderswo eine Art grünen der rechtsliberalen die Sozialisten einige Stimmen gekostet hatten, war Wirtschaftszweig, der eng mit umweltpolitischen DP. nicht neu, aber diesmal gab es auch viele Wähler aus Prozessen verbunden ist.
© MLog Treffen zwischen Wohnungsbauminister Henri Kox und den Vertretern der Mieterschutz Lëtzebuerg ASBL Bei den Lokalwahlen 2011 wurden die Koalitio- Sprung in die Regierung gelang, während die LSAP nen, die die Grünen in Luxemburg und Esch ein- keinen Sitz verlor und die DP vier gewinnen konnte. gegangen waren, bestätigt. Insgesamt gewannen sie Da sie aber auch über eine starke Verankerung in 72 Sitze, ein Plus von 31 Sitzen. Dieses Resultat allen vier Bezirken verfügten, eröffnete sich damit legte einen neuen Trend zugunsten der Gréng als ein Gelegenheitsfenster für sie und all die Kräfte, Hauptnutztragende der Auflösung der traditionellen die in DP und LSAP der Vorherrschaft der CSV ein Milieus offen. Zudem war es ihnen im Südwesten Ende setzen wollten. des Landes über die Jahre auch gelungen, Persön- lichkeiten und Kreise anzuziehen, die weniger aus Im Norden dominierte ein „rurbaner“ Flügel um dem Dunstkreis enttäuschter Sympathisanten linker den Député-maire von Beckerich Camille Gira, der Parteien stammten, sondern linksliberal und öko- aus seiner Gemeinde ein vielbeachtetes Laborato- logisch geprägt, dazu stark im Vereins- und Sport rium für grüne Politik in einem ländlichen Raum leben der dortigen Gemeinden engagiert, noch ohne im Wandel gemacht hatte. Diese Politik brachte politische Heimat waren, was sich jetzt auszahlte. eine Reihe national und europäisch subventionier- Dazu zählen z. B. der Differdinger Schöffe Paulo ter Initiativen im Bereich der nachhaltigen Entwick- Aguiar, der Mitte der 1990er Jahre mit 16 Jahren lung und des Naturschutzes hervor. Das schuf neue ins Großherzogtum zog, oder aber der Apotheker Arbeitsplätze, die wiederum z. T. von jungen Akade- Marc Hansen aus Bascharage, der 2011 dort in den mikern aus der Region besetzt wurden. Gemeinderat zog und 2019 für Roberto Traversini ins Parlament nachrückte. Im Osten waren zwei alteingesessene Familien ton- angebend: der Clan um den damaligen Député-maire Die Grünen 2013 Henri Kox, eine alteingesessene Winzergroßfamilie, die sich während der politischen Auseinandersetzun- Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass den Grü- gen um den Bau eines Atommeilers in Remerschen nen bei den vorgezogenen Wahlen vom Oktober in den 1970er Jahren von der CSV gelöst hatte, und 2013 trotz des Verlustes eines Sitzes im Zentrum der die in der Agrarindustrie tätige Dieschbourg-Familie.
Politik April 2021 9 Im Süden hatten die Grünen mit dem als moderat in dem er, vielleicht unbeabsichtigt, wie ein von geltenden Félix Braz ihre Basis über ihren histori- der Wohnungsnot vollkommen unberührter Mana- schen Kern hinaus erweitern können. Auch hatten ger spricht: „Wenn hier nicht jeder eine Wohnung sie mit Braz, dessen Eltern in den 1960er Jahren aus finden kann, dann müssen wir ein Interesse daran Portugal eingewandert waren, im luso-luxemburgi- haben, dass das im nahen Ausland klappt, aber ohne schen Umfeld punkten können, wo man traditionell dass dies dort zu Verwerfungen führt.“ bisher eher in Richtung der Volksparteien CSV und LSAP geschaut hatte. Turmes, ein Gegner des CETA-Handelsvertrags mit Kanada, musste mit ansehen, wie seine Listengefähr- Im Zentrum blieben die Grünen trotz des Verlus- tin und Nord-Abgeordnete Stéphanie Empain die tes eines Restsitzes in diesem Bezirk stark verankert. Zustimmung der Grünen zu ebendiesem CETA- Zudem verfügten sie nun über eine breite Erfahrung Vertrag im Parlament vortrug. Für den linken Flügel in der Zusammenarbeit mit der LSAP und der DP. In ein Sündenfall. „Le décrochage des écologistes de la anderen Worten: Déi Gréng waren in den vier Wahl- société civile est désormais acté. Les Verts luxem- bezirken implantiert, koalitionserfahren, z. T. schon bourgeois ont assumé leur Bad Godesberg“, schrieb parlamentarische Veteranen und ausreichend fit, um Luc Caregari im Mai 2020 in der woxx. Und Josée 2013 in eine Regierungskoalition einzutreten. Lorsché meinte dazu, warnend auf Turmes gemünzt, in ihrem Tageblatt-August-Interview: „Was CETA Die Grünen nach 2018 und vor 2023 anbelangt, haben wir ein Abkommen innerhalb der Regierung, dass der jeweils zuständige Minister Obschon sie konsolidiert aus den Gemeindewahlen die Priorität hat, Entscheidungen für sein Ressort von 2017 und gestärkt aus den Parlamentswahlen vorschlagen zu können. Wenn wir uns permanent von 2018 hervorgingen, sieht es im Jahre 2021 und gegenseitig ein Bein stellen, können wir genauso im Hinblick auf das Superwahljahr 2023 nicht mehr gut aufhören.“ Während der Veteran Turmes Krö- so glorreich für die Grünen aus. ten schlucken und sich belehren lassen muss, hat Empain inzwischen ihre Karriere als Berufspolitike- Im Norden des Landes konnte der 2018 nach dem rin angeleiert. Sie ist Präsidentin des Luxemburgi- Tod von Camille Gira in die Regierung berufene schen Leichtathletikverbands (FLA) geworden, und langjährige Europaparlamentarier Claude Turmes ihr Mann wurde im Transportministerium auf einen die schlechte Ausgangssituation seiner Partei im leitenden Posten befördert, was von der normalisier- Nordbezirk auffangen. Er blieb Minister, und mit der ten Zielstrebigkeit des grünen Nachwuchses zeugt. 35-jährigen Kleinunternehmerin Stéphanie Empain rückte eine Exponentin der U-40-Generation ins Im Osten des Landes ist die personenstarke Kox- Parlament nach. Turmes, der als Europaparlamen- Familie, beruflich sehr breit und hochqualifiziert auf- tarier mit viel Charisma und gut dokumentiert die gestellt, 2021 am präsentesten, der Dieschbourg-Clan kompliziertesten Dossiers einem breiten Publikum hingegen angeschlagen. Die Koxens verfügen über nahezubringen vermochte, macht nun auf Landes- weitverzweigte politische Zugänge in vielen Interes- ebene eine eher triste, technokratisch verkrampfte sensbereichen, und dies nicht nur im Osten des Lan- Figur. In einem Interview, das im August 2020 im des, sondern mit Jo Kox bis an die Verwaltungsspitze Tageblatt erschien, gab Fraktionschefin Josée Lorsché des Kulturministeriums. Henri Kox, der 2019 in die folgendes über ihren Parteifreund zum Besten: Regierung nachgerückt ist, erweist sich allerdings „Claude Turmes kam von einer anderen politischen immer mehr als ein enttäuschender Wohnungsbau- Plattform nach Luxemburg zurück und ist nun auf minister und ein schwacher Sicherheitsminister. Er dem Boden der Tatsachen gelandet. Er hat erkannt, ist unfähig, seiner zuweilen klaren Sprache zur Woh- dass es komplexer ist, Teil der Luxemburger Regie- nungsnot, zu den illegalen Machenschaften oder rung als Mitglied des Europaparlaments zu sein.“ dem Sicherheitsproblem in Luxemburg-Stadt Taten folgen zu lassen. Sein Bruder Martin Kox hat 2017 In der Tat bringt Turmes es nicht fertig, seine Landes- die Escher Koalition mit CSV und DP eingefädelt, planungspolitik und seine grenzübergreifende Regi- aus der sich die piefige Schildatruppe zusammensetzt, onalpolitik verständlich zu vermitteln. Obschon sein die sich alle möglichen Pannen in Sachen Bebauungs- Im Hinblick auf Ministerium sie ausführlich bis detailversessen doku- plan, Wohngemeinschaften, Esch2022 usw. erlaubt das Superwahljahr mentiert, ist es für betroffene Bürger kaum mög- hat. Stramm bürgerlich orientiert hat Martin Kox lich, sich diese Vorhaben anzueignen und in einen den Abgang der historischen Escher linken Grünen 2023 sieht es nicht politischen Erwartungshorizont einzuordnen. Und um Muck Huss in Kauf genommen. Für Henri Kox mehr so glorreich sein fehlendes Gespür für das, was für die Menschen ins Parlament nachgerückt ist dessen Nichte Chantal für die Grünen wirklich wichtig ist, zeigt sich in einem Gespräch Gary, die vorher in dem vom Transportministerium aus. mit dem Lëtzebuerger Land am 26. Februar 2021, abhängigen Verkéiersverbond tätig war. Obschon sehr
ddd © SIP / Emmanuel Claude Energieminister Claude Turmes bei der Präsentation der Strategie zur Kreislaufwirtschaft für Luxemburg am 8. Februar 2021 gut vernetzt in der Sport- und Vereinswelt, hat sie Ihr Nachfolger an der Spitze der hauptstädtischen politisch noch nicht viel von sich verlauten lassen. Gemeindefraktion, François Benoy, wurde eben- falls Abgeordneter und gilt als potenzieller Spitzen- Im Zentrum wird die Situation für die Grünen kandidat für die Gemeindewahlen. Er war vorher komplizierter. 2017 nutzte die leicht angeschlagene Pfadfinder, wie Sam Tanson Ex-RTL-Journalist DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer die Gemeindewah- und Koordinator von natur&ëmwelt, eine der vie- len, um eine konservativ-bürgerliche Koalition mit len subventionierten Brutstätten des grünen Nach- der CSV einzugehen, die zwei Sitze zugelegt hatte. wuchses. Seine Art ist es, harte Fragen wie z. B. die Sie war des Hangs der wahltechnisch stagnierenden nach Armut und Sicherheit mit einem bestimmten Grünen müde geworden, fast alle Angelegenheiten Neusprech-Brei zu zerreden. Da ist von „Multikau- zu problematisieren und sie daran zu hindern, (fast) salität“ die Rede, von „transversalen“ Lösungen, die alles selbst zu bestimmen. nur durch ein agierendes Aufgebot von Experten, NGOs und Sozialarbeitern, also den Déi Gréng Sam Tanson, frühere RTL-Journalistin und Anwäl- nahestehende Berufsgruppen – wenn möglich „par- tin, die nach François Bausch die Grünen in der tizipativ“ – herbeigeführt werden können. Am Ende Hauptstadt anführte, wechselte 2018 in die Regie- gibt es keine Sicherheitsprobleme im Garer Viertel, rung. Als Justizministerin muss sie die Reform sondern nur Opfer auf Seiten der Drogenabhängi- der Verfassung bis zum Ende der Legislative mit gen und Dealer. Von seiner Partei zum parlamenta- dem Parlament, aber ohne das versprochene Refe- rischen Budgetberichterstatter für 2021 nach vorne rendum durchbringen. Der konsensfähige Verfas- gepusht, ist Benoy ein weiterer typischer Exponent sungsentwurf ist dabei in Sachen Unabhängigkeit der neuen Generation der Grünen: hohes soziales der Justiz immer konservativer und trotz Beschnei- Kapital, höflich, moderat, kundenfreundlich gegen- dung einiger Kompetenzen des Großherzogs immer über den grün-affinen Strukturen, nie daran zwei- monarchischer ausgefallen. Als Kulturministerin felnd, dass er zu den Guten gehört, und mit seinem und vor der Pandemie auch als Hoffnungsträgerin Auftreten als idealer Schwiegersohn ein ausgesuchter der Kulturschaffenden hat sie nun den Schwarzen Blickfang für die Bürgerlichen, die so doch noch der Peter gezogen, weil sie alle Mühe hat, dem wirt- grünen Versuchung erliegen könnten. schaftlich gebeutelten Kulturmilieu, das für ihre Partei wichtig ist, konsequentere Unterstützung Die andere Aufsteigerin des Bezirks Zentrum und zukommen zu lassen. jüngstes Mitglied der Chamber ist Djuna Bernard,
Politik April 2021 11 ebenfalls Pfadfinderin, gut vernetzt, zudem Partei- konzentrieren soll, sowie die Überlegung, die NATO Ko-Präsidentin. Sie verfügt nur über eine sehr kurze solle die Entwicklungsarbeit bei der Berechnung von berufliche Erfahrung im Sozialarbeitermilieu. Sie Luxemburgs Beitrag zur Lastenteilung in Sachen will 2023, so hat es zumindest François Bausch transatlantischer Sicherheit miteinbeziehen, machen schon im Oktober 2019 dem Tageblatt-Chefredak- es nicht besser. teur Dhiraj Sabharwal in Wuhan und Chengdu erzählt, mit ihrem Ko-Präsidenten Meris Sehovic, Die politisch in eine schwierige Situation geratene Turmes’ früherem Assistenten im EU-Parlament, die Tanson als Spitzenkandidatin im Oktober 2023, Liste im Süden anleiten. Der Wortlaut des Mentors Benoy in der Reserve für die Stadt bei den Kom- dieser Nachwuchsgeneration offenbart zudem einen munalwahlen vom Juni 2023, und sollte er dann in durchaus eigenen Ton, in dem die Grünen überei- den Schöffenrat gelangen, nicht mehr ministrabel nander wie über Familienmitglieder plaudern: „Sie bei einem Erfolg der Gréng bei den Parlamentswah- (Bernard) hat mir aber gesagt, dass sie sich jetzt len, Bausch als erschöpfter Mentor am Ende seiner eine Wohnung im Südbezirk gekauft hat. Sie will Karriere angelangt, ähnlich wie die Abgeordneten bei den nächsten Wahlen im Südbezirk kandidie- Back und Margue, die im Wahljahr 71 respektive ren. Ich finde das eine sehr gute Sache und werde 67 Jahre alt sein werden und vielleicht nicht einmal das voll unterstützen.“ Umgekehrt hat Bernard in mehr dabei sein werden, der putative Jugendmag- dem legendären Paperjam-Interview vom 3. April net Djuna Bernard in den wahlpolitisch schwieri- 2019, in dem sie unaufgefordert erklärt, sie könne gen Süden abgewandert: Die Grünen werden es im sich durchaus vorstellen, einmal Premierministe- Oktober 2023 im Zentrumsbezirk schwer haben, rin zu werden, erzählt, wie Bausch sie für die Liste ihre Klientel bei der Stange zu halten. angeworben hatte und ihn als einen der Menschen erwähnt, die seit ihrem 16. Lebensjahr den größten Im Süden, dem größten Wahlbezirk, werden die Einfluss auf sie ausgeübt haben.2 Grünen es ähnlich schwer haben. Sie müssen zumin- dest ihre drei Sitze verteidigen, und dies ohne das Bausch selbst will 2023 nicht mehr auf die Regie- Zugpferd Félix Braz, ohne weitere größere Affinitä- rungsbank, aber trotzdem noch einmal ins Parla- ten mit linker politischer Sensibilität, die in Esch und ment. Er ist der grüne Politiker, dessen Arbeit die Differdingen verspielt wurden, und das mit den im größte Sichtbarkeit erlangt hat – insbesondere durch Süden völlig unbekannten, lokal nicht implantier- die Neuaufstellung des öffentlichen Personennahver- ten und bis dato nicht so richtig gebrieften Bernard kehrs: höhere Frequenzen der Linien, neue Verbin- und Sehovic als Spitzenkandidaten. Davon zeugt ein dungen, Gratistransport, die Tram in der Hauptstadt Interview, das beide im Oktober 2020 mit Paperjam und weitere Großprojekte in spe. Die Pandemie hat über die industrielle Zukunft Luxemburgs geführt verhindert, dass diese ÖPNV-Maßnahmen ihre volle haben, die für den Süden von besonderer Bedeutung Wirkung auf die Entlastung der Straßen und die ist. Völlig unbedacht wird in seelenlosem Manager CO₂-Bilanz des Landes entfalten konnten. Als eine slang drauf losgeredet: „En tant que Déi Gréng, Entlastung der unter wachsendem Druck stehenden notre vision de la politique industrielle est claire: faire Normalverdiener wurden seine Maßnahmen auf avancer l’économie verte vers la neutralité climatique jeden Fall von den sozial Schwächeren akzeptiert. à l’horizon 2050.“ Oder: „Avec la stratégie Rifkin, Nur waren sie nicht nur so gedacht. nous avons mis la digitalisation et la durabilité au centre du développement économique du pays, et Die Affären um die geheimen Polizeidatenbanken donc aussi au centre de la politique industrielle, avec und den militärischen Regierungssatelliten LUXEO- l’ambition de faire du Luxembourg un centre indus- Sys mach(t)en Bausch als Verteidigungs- und Minis- triel durable et digital d’excellence.“ 4 Da wird nicht ter für innere Sicherheit ordentlich zu schaffen. hinterfragt, was für gesellschaftliche Auswirkungen Beide Affären hatte er von seinem Vorgänger Etienne diese auf Wasserstoff und Durchdigitalisierung des Schneider (LSAP) geerbt. Er selbst und Henri Kox, Alltags basierte Strategie haben könnte, u. a. auf die seit Juli 2020 Minister für innere Sicherheit, versu- Umwelt, die wachsenden Ungleichheiten und die chen, Ordnung in diese Dossiers zu bringen, haben Teilhabe an diesem Modell. Uberisierung der Wirt- Die Grünen aber mangels Affinität eine strukturelle Schwierigkeit schaft, Arbeitnehmerrechte, Instrumentalisierung werden es im mit den Milieus der Streit- und Sicherheitskräfte. Es und Verdinglichung der Personen, Beschleunigung, Oktober 2023 im gibt zudem Leute aus diesem Umfeld, die systema- sind auch kein Thema. Bürgerlicher könnte die Ori- Zentrumsbezirk tisch darauf hinarbeiten, die Fähigkeit der Grünen, entierung der Grünen im Südbezirk nicht ausfallen. sich in diesen hoheitlichen Bereichen zu behaupten, schwer haben, ihre zu behindern. Unbedarfte Äußerungen einer Josée Partei-Ko-Vorsitzende Djuna Bernard hat diese Klientel bei der Lorsché3, die unverdaute Idee einer „parlamenta- Art zu funktionieren einmal im Paperjam aus ihrer Stange zu halten. rischen Armee“, die sich auf humanitäre Einsätze persönlichen Perspektive ganz unbefangen und
ddd © SIP/Julien Warnand Carole Dieschbourg, Ministerin für Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung, bei der Pressekonferenz zu „Gréng Relance fir Lëtzebuerg – E Plus fir d’Klima, d’Handwierk an d’Bierger“ am 29. Mai 2020 authentisch beschrieben.5 Sie erklärt dort dem Jour- 1 Fünf von neun Mitgliedern der Grünen-Fraktion sind inzwischen jünger als 40 Jahre, während die anderen, mit 53, 60, 65 und 69 nalisten, dass weite Reisen ihr péché mignon sind. Sie Jahren deutlich älter sind, und die mittlere und unterbesetzte wisse zwar, dass das nicht sehr ökologisch sei. Und Generation der vierzigjährigen Ministerinnen mit Dieschbourg dann kommt es, wie es von jedem Luxemburger Mit- und Tanson sitzt neben den Veteranen Bausch, Turmes und Kox in der Regierung, was 2023 zu einer Art Generationsbruch telständler, SUV-Fahrer, Globetrotter und Vielflie- führen könnte. ger mit residualem schlechtem Gewissen kommen 2 https://paperjam.lu/article/jai-senti-que-je-devais-y-alle könnte: „Mais il y a différentes manières de voyager, (letzter Aufruf: 23. März 2021). il faut le faire à bon escient. Je pense aussi que nous 3 Wie unbedarft sich Josée Lorsché äußern kann, zeigt ihr pouvons agir pour l’environnement chacun à notre Interview mit dem Tageblatt vom 10. August 2020 mit Luc échelle, par des voies différentes. Personnellement, je Laboulle: „François Bausch hat in den vergangenen Jahren unheimlich viel im Bereich der Mobilität geleistet. Wenn wir in vais chez Naturata plutôt que dans d’autres magasins dieser Koalition das Verteidigungsressort übernommen haben, quand cela est possible, je prône les circuits courts zeigt das vor allem, dass François Bausch ein Realpolitiker ist, [...]. Cela compense un peu les voyages.“ der die Verantwortung nicht scheut. Sein Ziel ist es ja nicht, Krieg zu führen, sondern ethische Kriterien einzuführen, um zu zeigen, dass Polizei und Armee demokratische Werte vertreten Im Land, das einen der größten ökologischen Fuß- und unsere Grundrechte schützen.“ abdrücke der Welt hat und schon Mitte Februar 4 https://paperjam.lu/article/politique-et-industrie-dei-gre den Overshoot Day erreicht, sind die Grünen im (letzter Aufruf: 23. März 2021). Jahre 2021 keine ökologische Protestpartei mehr, 5 https://paperjam.lu/article/jai-senti-que-je-devais-y-alle aber doch mehr als eine banale Regierungspartei. Sie (letzter Aufruf: 23. März 2021). sind eine bürgerliche Ablasspartei, und Naturata ist ihre Kirche, und jeder von ihnen ein kleiner Tetzel, bei dem sich die Wähler von ihrer Schuld freikaufen können. In dem Sinne ist im Marienland der Apfel direkt unter den Baum gefallen. Ob die Gréng gegen Schismen gefeit sind, ist demnach sehr unwahr- scheinlich.
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