Plan für eine schwarz-grüne Verkehrspolitik - Tagesspiegel

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Plan für eine schwarz-grüne Verkehrspolitik
von Jens Tartler

veröffentlicht am 09.03.2021

Aus heutiger Sicht ist eine schwarz-grüne Koalition die wahrscheinlichste
Konstellation für die nächste Bundesregierung. Tagesspiegel Background hat
mit den führenden Verkehrspolitikern von Union und Grünen über
Schnittmengen und Konfliktpunkte gesprochen.

Für die Grünen ist klar: Nach den CSU-Ministern Peter Ramsauer, Alexander
Dobrindt und Andreas Scheuer wollen sie zeigen, dass eine modernere und
umweltverträglichere Mobilitätspolitik möglich ist. „Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen
wollen, müssen wir im Verkehrsressort etwas ändern“, sagt Cem Özdemir, früherer
Parteichef und heutiger Vorsitzender des Verkehrsausschusses, im Gespräch mit Tagesspiegel
Background. „Natürlich drängen wir Grüne deshalb darauf, im Verkehrsbereich
Verantwortung zu übernehmen.“ Und Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher
der Grünen-Fraktion im Bundestag, gibt schon mal einen Vorgeschmack auf mögliche
Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl am 26. September: „Das Pariser
Klimaabkommen muss mit Umsetzungsschritten konkretisiert werden. Andernfalls gibt
es keine Unterschrift der Grünen unter einen Koalitionsvertrag.“

Derart klare Kriterien formuliert Ulrich Lange nicht. Im Gespräch mit Background macht
der Fraktionsvize der Union im Bundestag aber deutlich, dass zum Beispiel das Thema
Straßenbau „kritisch“ werden könnte. An anderen Stellen, etwa beim Ausstieg aus dem
Verbrennungsmotor, ist der CSU-Abgeordnete aus dem schwäbischen Nördlingen
erstaunlich konziliant. Hier eine Übersicht, an welchen Stellen es zwischen Grünen und
Schwarzen knirschen könnte und an welchen nicht.

Straßenbau

„Ein CDU/CSU-Abgeordneter hat es in seiner DNA, möglichst viele Straßenbauprojekte für
seinen Wahlkreis rauszuholen, möglichst viele Bänder durchzuschneiden“, spottet Cem
Özdemir. „Schade, dass beim Schließen von Funklöchern keine Bänder zerschnitten werden.“
Dann wäre Deutschland schon viel weiter. Die Grünen fordern ein Straßenbaumoratorium,
um das Klima zu schützen. Ihr Argument: Ein Neu- und Ausbau von Straßen produziert
immer noch mehr Verkehr. Özdemir fordert als kleinsten gemeinsamen Nenner,
im Bundeshaushalt kein Geld mehr für den Neubau freizugeben.

Das sieht Ulrich Lange anders. „Die Straße spielt für uns weiterhin eine wichtige Rolle“, sagt
er. Auch wenn die Union grundsätzlich dem Erhalt Vorrang gebe vor dem Neu- und Ausbau,
so seien neue Fahrbahnen keinesfalls auszuschließen. „Es gibt einfach Verkehrsmengen, für
die die jetzige Ausbaustufe nicht ausreicht und die auch nicht auf den öffentlichen Verkehr
verlagert werden können.“ Solche Engpässe müssten beseitigt werden. Das Argument, dass
mehr Straßenbau mehr Verkehr gebiert, lässt Lange nicht gelten. Gelbhaar stichelt: „Die
Union tönt im Plenum: Autobahnbau ist Klimaschutz! Da ist eine Mauer zwischen uns.“

Autoindustrie
Die Debatte um die Zukunft der deutschen Vorzeigeindustrie wird oft verengt auf ein Datum
für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für Pkw. Für die Grünen ist das Jahr 2030
gesetzt. Danach noch Neufahrzeuge mit Verbrenner zuzulassen, ist aus ihrer Sicht absurd,
wenn der deutsche Verkehr spätestens 2050 CO2-neutral sein soll.

Lange verweist ganz gelassen auf die Aussage seines Parteichefs Markus Söder,
der 2035 als Ausstiegsjahr genannt hatte. „Haben Sie danach in der Union einen Sturm der
Entrüstung wahrgenommen?“, fragt er rhetorisch. „Ich nicht. Damit sind wir positioniert.“ Ob
nun 2030 oder 2035 – darüber werde man sich mit den Grünen schon einigen.

Dass aber CDU und CSU genauso wie der Autoindustrieverband VDA die bestehenden
Verbrenner noch viele Jahre mit synthetischen Kraftstoffen betreiben wollen, hält Gelbhaar
für einen Fehler: „E-Fuels brauchen wir für anderes als Pkw.“ Etwa für die Industrie oder für
große Schiffe. „Bei Pkw sind sie viel zu teuer und ineffizient.“

Gelbhaar weist auch das Argument zurück, dass Europa mit einem Verbrennerausstieg
weltweit isoliert wäre, weil zum Beispiel in Südamerika, Afrika und Indien auch 2040 noch
mit Benzin und Diesel gefahren werde: „Die EU ist der vielleicht größte Markt der Welt.
Wenn wir hier einen Standard setzen, werden alsbald auch andernorts nur noch E-Autos in
den Showrooms stehen und ein Jahr später auf dem Gebrauchtwagenmarkt auftauchen.“ Dass
sich auch die US-Autobauer Ford und GM vom Verbrenner verabschieden, zeigt für
Gelbhaar, dass Deutschland „die Nachhut“ sei.

Der Schwabe Özdemir befasst sich schon seit vielen Jahren mit dem Wandel der Branche. Er
ist zum Beispiel mit Audi-Chef Markus Duesmann im regelmäßigen Austausch. „Ich sage
der Autoindustrie: Es soll möglichst keine Strukturbrüche geben, aber sicher auch kein
Weiter so. Die Klimaziele stehen. Punkt.“ Özdemir rechnet für 2030 mit 14 bis 15 Millionen
E-Autos auf Deutschlands Straßen. Plug-in-Hybride sieht er kritisch, weil sie im realen Leben
weit mehr Sprit verbrauchen als im Prospekt angegeben. Deshalb würde er deren Förderung
daran knüpfen, dass sie nachweislich zu mehr als 50 Prozent elektrisch gefahren wurden. Das
könnte man leicht bei der Hauptuntersuchung überprüfen.

Bahn

Bahnpolitik ist weit mehr als das Management des Staatskonzerns Deutsche Bahn (DB). Aber
dass die aktuelle Koalition aus Union und SPD vorhat, die Verträge von Vorstandschef
Richard Lutz und Vize Ronald Pofalla ohne Not vorzeitig zu verlängern, stößt nicht nur
dem FDP-Verkehrspolitiker Christian Jung sauer auf. „Das ist eine sehr legitime Kritik“,
sagt Stefan Gelbhaar. „Diese Weichenstellung sollte der neuen Bundesregierung überlassen
bleiben.“ Die Probleme der DB würden zwar tiefer gehen als diese Personalien. „Trotzdem
fände ich einen Neuanfang an der Spitze nicht verkehrt“, sagt er. „Es wäre endlich mal Zeit
für eine Frau.“

Gelbhaar sieht bei der Deutschen Bahn ein riesiges Potenzial, aber auch einen immensen
Reformbedarf. „Nur immer mehr Geld und mehr Schulden sind nicht die Lösung.“ So würde
Gelbhaar zum Beispiel für die seit Jahrzehnten nicht realisierte Rheinstrecke lieber eine
eigene Projektgesellschaft gründen, als weiteres Geld in den Konzern zu kippen.

Gerade weil die Grünen die Strukturen der DB als Hindernis für mehr ökonomische Effizienz
und mehr Wettbewerb auf der Schiene sehen, fordern sie seit Jahren die Trennung von Netz
und Betrieb. Sollte das mit der Union nicht zu machen sein, wollen sie einen Plan B
umsetzen. Der soll unter anderem einen schärferen Zugriff der Aufsichtsbehörden vorsehen,
um den Wettbewerb zu stärken.

Özdemir sagt, die Trennung sei zwar richtig, wegen interner Widerstände könnte sie aber die
DB lange lahmlegen. Deshalb wäre es vielleicht geschickter, mit den Reformern innerhalb
des Staatskonzerns zusammenzuarbeiten und an dem Projekt mehrere Jahre dranzubleiben.

CSU-Mann Lange sagt, er stehe einer Trennung von Netz und Betrieb gar nicht ablehnend
gegenüber. Man sollte das Thema Bahn „grundsätzlicher angehen und auch über neue
Modelle reden“. Übereinstimmung mit den Grünen sieht er bei der Senkung
der Trassenpreise, der Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken und
beim Deutschlandtakt. Der könne aber nur funktionieren, wenn die Bundesländer
Bahnverkehr bestellen und bezahlen würden. Und der baden-württembergische
Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen beispielsweise bestelle nur Verkehr
bis zur Landesgrenze nach Bayern. Ob andere Landesminister das anders machen, dazu sagt
Lange nichts.

Nachtzüge

In ihrer grundsätzlichen Begeisterung für das Thema sind sich die drei Abgeordneten einig.
Lange schwärmt davon, wie er auf Klassenfahrt mit dem Nachtzug nach Rom und nach
Griechenland gefahren ist. Gelbhaar träumt davon, morgens in Paris anzukommen und direkt
auf den Champs-Élysées zu flanieren. Auch einen Nachtzug Berlin-Moskau könnte er sich
gut vorstellen.

In der Realität lobt zwar auch Verkehrsminister Scheuer die klimafreundliche Alternative zum
Fliegen, doch sein Staatsunternehmen DB hält sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen
zurück und überlässt vor allem der österreichischen ÖBB das Feld. Das wollen die Grünen
ändern, sobald sie der nächsten Bundesregierung angehören. Das wirtschaftlich stärkste Land
in Europa müsse sich hier auch finanziell engagieren, fordert Özdemir.

Innerdeutsche Flüge

Die Zugverbindungen zum Beispiel von Berlin nach Frankfurt, München oder Köln werden
immer schneller. Und trotzdem gibt es immer noch viele Reisende, die von der Hauptstadt
nach Frankfurt fliegen – und das nicht, um einen Langstreckenflug anzutreten. Doch selbst die
Grünen als angebliche „Verbotspartei“ wollen innerdeutsche Flüge nicht per Gesetz
stoppen. „Das müssen wir uns Strecke für Strecke anschauen“, sagt Özdemir. „Ich wüsste
aber weder, wie man ein Verbot umsetzen könnte, noch will ich das.“ Er bevorzuge
klimafreundliche und schnelle Alternativen mit der Bahn. „Fliegen ist viel zu billig, das muss
sich ändern.“ Auch Gelbhaar ist gegen ein Verbot. Er möchte durch niedrigere Trassenpreise
und eine Besteuerung des Flugbenzins die Bahn so wettbewerbsfähig machen, dass sich
Fliegen im Inland schlicht nicht mehr lohnt.

Unionsfraktionsvize Lange sagt erwartungsgemäß: „Ich bin kein Freund des Verbietens.“ Er
selbst fliege „kaum noch“ von Berlin nach München. Klar sei: „19-Euro-Tickets gehen gar
nicht.“ Da müsse die Regulierung ansetzen. Wie genau lässt er aber offen.

ÖPNV stärken
„Da geht mit den Grünen sicher einiges“, sagt CSU-Mann Lange. Auf dem Land könne man
zwar nicht ganz aufs Auto verzichten. „Aber auch da ist der ÖPNV mehr als der Schulbus
zweimal am Tag.“ Mit Rufbussen und Fahrten-Pooling lasse sich der öffentliche Verkehr
deutlich verbessern.

Alles Sonntagsreden, meint Gelbhaar. Immer wenn es um mehr Geld für den ÖPNV gehe,
seien das Bundesverkehrsministerium und die Unionsfraktion im Bundestag sehr
zurückhaltend. Man müsse auch auf dem Land erreichen, dass niemand mehr auf das Auto
angewiesen sei. Und Rufbusse und gepoolte Fahrzeuge seien dort nun mal nicht
eigenwirtschaftlich zu betreiben. So müsse der Staat einspringen.

Özdemir verweist auf den bisherigen Finanzierungskreislauf: Straße finanziert Straße. Die
hohen Einnahmen aus der Lkw-Maut fließen nur in den Verkehrsträger Straße. Das müsse
dringend geändert werden, so Özdemir.

Umverteilung des Stadtraums

Auf den ersten Blick ist es das ideologisch aufgeladene Thema schlechthin – wie man auch in
Berlin besichtigen kann, wo die CDU gegen die vom rot-rot-grünen Senat eingeleitete
Verkehrswende zu Felde zieht. Auch der Berliner Bundestagsabgeordnete Gelbhaar, der
zuvor im Abgeordnetenhaus gesessen hatte, räumt ein: „Den Konflikt kann man nicht
leugnen.“ Er sei gespannt, ob die Union auf Bundesebene bereit wäre, die Entscheidung über
den städtischen Raum den Kommunen zu überlassen. Das würde vielen Kommunen
Chancen und Freiheit verschaffen. „Heute ist es ja leider so: Parkplätze bauen geht einfach,
aber sie in eine Fahrradstraße umwidmen wird bundesrechtlich unnötig massiv
verkompliziert.“

Genau zu diesem Befreiungsschlag ist CSU-Mann Lange bereit. „Ich bin ein Anhänger der
Subsidiarität.“ Er würde die Straßenverkehrsordnung so ändern, dass die Kommunen
selbst entscheiden können. „Das muss ich nicht aus Berlin vorschreiben.“ Das gelte auch für
die Themen autofreie Innenstädte und Quartierspolitik.

Das hört Gelbhaar gerne. Er sieht Barcelona mit seinen autofreien Kiezblocks als Vorbild.
Er sagt: „Sicherheit kann nicht darin bestehen, dass wir alle in Panzern rumfahren.“ Aber
auch er würde über autofreie Innenstädte vor Ort entscheiden lassen. Es gebe kein Rezept, das
für jede Stadt passe. Auch der in Berlin immer wieder genannte S-Bahn-Ring würde
Gelbhaar nicht ausreichen: „Berlin hat viel mehr Kieze innerhalb und außerhalb des Rings,
in denen sich das anbietet.“

Mobilitätsplattformen

Die Grünen fordern, dass das sogenannte plattformbasierte Mietwagengewerbe bei sozialen
und ökologischen Standards keinen Rabatt bekommt. Sonst gewinne am Ende nur Uber,
warnt Gelbhaar. Lange sagt, jetzt habe man sich gerade erst mit Grünen und SPD auf
das Personenbeförderungsgesetz geeinigt. Das solle man erst mal wirken lassen.

Ein anderes Plattformthema sind die fehlenden gemeinsamen IT-Standards. Gelbhaar
beklagt, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Standard habe. Daimler einen anderen als die
BVG; der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr will von der Berliner App Jelbi nichts wissen. Es sei
fast unmöglich, 500 Unternehmen an einen Tisch zu bekommen. Möglicherweise, so
Gelbhaar, habe die Bundesregierung Glück und die EU-Kommission nehme ihr das Thema
aus der Hand. Lange erwartet, dass es zumindest „mittelfristig“ eine gemeinsame App für die
meisten Verkehrsunternehmen geben werde.

Die Grünen fordern in ihrem neuen Parteiprogramm eine stärkere Regulierung der
Mobilitätsplattformen und gegebenenfalls eine öffentlich-rechtliche Lösung. Gelbhaar
kritisiert, dass die jetzige Bundesregierung das Thema Mobilpass und Datenraum auf die
Autoindustrie verengt habe. Auch das müsse sich ändern.
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