Die Spielgeschichte im pädagogischen Diskurs und als Medium - Katharina Jung Pädagogik - Ciando
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Pädagogik Katharina Jung Die Spielgeschichte im pädagogischen Diskurs und als Medium Eine Struktur- und Feinanalyse Magisterarbeit
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Katharina Jung Die Spielgeschichte im pädagogischen Diskurs und als Medium Eine Struktur- und Feinanalyse Diplom.de
Katharina Jung Die Spielgeschichte im pädagogischen Diskurs und als Medium Eine Struktur- und Feinanalyse Magisterarbeit Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Institut für Erziehungswissenschaft März 2005 ID 11216
Katharina Jung Die Spielgeschichte im pädagogischen Diskurs und als Medium Eine Struktur- und Feinanalyse ISBN: 978-3-8366-1216-6 Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008 Zugl. Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland, Magisterarbeit, 2005 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. © Diplomica Verlag GmbH http://www.diplom.de, Hamburg 2008 Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung .......................................................................................... 1 2. Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstands zur Spielgeschichte ................. 3 2.1 Definition und Nutzung.................................................................................................... 3 2.2 Strukturmerkmale und Kategorisierung ........................................................................... 9 2.2.1 Spiel und Geschichte als Ausgangspunkte der Betrachtung ................................... 10 2.2.2 Hypermedialität als Ausgangspunkt........................................................................ 16 2.2.3 Interaktivität als Ausgangspunkt ............................................................................. 20 2.3 Bildungsrelevante Aspekte............................................................................................. 27 2.4 Qualitätskriterien............................................................................................................ 36 3. Ein Versuch der Ordnung der im Diskurs verwendeten Begrifflichkeiten und Kategorien....................................................................................................................... 41 3.1 Definition und Ebenen von Medium, Erzählen, Spiel ................................................... 41 3.2 Merkmale des digitalen Tertiärmediums Computer und seiner Anwendungen aus medienontologischer Perspektive.................................................................................... 47 3.2.1 Computer................................................................................................................. 47 3.2.2 Hypermedia auf CD-ROM ...................................................................................... 47 3.2.3 Computerspiele........................................................................................................ 54 4. Analyse der Spielgeschichte „Zwerg Nase − ein interaktives Märchen“ .................. 57 4.1 Zur Wahl des Beispiels und zum methodischen Vorgehen............................................ 57 4.2 Zu den Transkripten ....................................................................................................... 59 4.3 Produktions-, Distributions-, und Rezeptionsbedingungen des Produkts ...................... 62 4.4 Rekonstruktion der Spielgeschichte ............................................................................... 65 4.4.1 Zu Transkript 1........................................................................................................ 69 4.4.2 Zu Transkript 2........................................................................................................ 70 4.5 Darstellungsformen: Codierungsarten und Sinnesmodalitäten ...................................... 70 4.5.1 Grafik ...................................................................................................................... 71 4.5.1 Perspektive .............................................................................................................. 74 4.5.3 Bewegung................................................................................................................ 75 4.5.4 Steuerung/Zeichen/Regeln ...................................................................................... 77 4.5.5 Auditiver und schriftlicher Text.............................................................................. 82 4.5.6 Sounds ..................................................................................................................... 83 4.5.7 Musik....................................................................................................................... 84 4.5.8 Erzählmittel ............................................................................................................. 86
4.6 Struktur........................................................................................................................... 90 4.6.1 Räume...................................................................................................................... 90 4.6.2 Zeit .......................................................................................................................... 92 4.6.3 Figuren .................................................................................................................... 95 4.6.4 Die Rolle des Spielers ............................................................................................. 97 4.6.5 Ablaufstrukturen...................................................................................................... 99 4.6.6 Aufgaben und Feedback........................................................................................ 100 4.6.7 Regeln.................................................................................................................... 106 4.6.8 Aufbau/Dramaturgie/Rhythmus ............................................................................ 106 4.6.9 Kohärenz ............................................................................................................... 110 4.7 Untersuchung einer ausgewählten Sequenz unter dem Aspekt der Linearität und ein genauerer Blick auf das interaktive Erzählen................................................................ 112 4.7.1 Linearität ............................................................................................................... 113 4.7.2 Interaktives Erzählen und „Erleben“..................................................................... 117 4.8 Vergleich der Inhalte und Strukturen der Spielgeschichte mit Hauffs Originalmärchen und mögliche Ursachen für Unterschiede und Gemeinsamkeiten ................................ 118 5. Fazit und Rückschlüsse auf den bisherigen Diskurs................................................. 123 5.1 Strukturmerkmale und Kategorisierung ....................................................................... 123 5.2 Bildungsrelevante Aspekte........................................................................................... 126 5.3 Qualitätskriterien.......................................................................................................... 132 6. Abschluss und Ausblick ............................................................................................... 139 7. Literatur- und Abkürzungsverzeichnis...................................................................... 142 8. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 149 9. Anhangsverzeichnis...................................................................................................... 149
1. Einleitung und Fragestellung So genannte Neue Medien werden insgesamt und damit auch für die Pädagogik immer bedeutsamer. Einerseits gibt es mehr oder weniger explizit als „Bildungsmedien“ gekennzeichnete Angebote (Lernsoftware, Edutainment/Infotainment), andererseits z.B. das Internet, dessen wissensvermittelnde Funktion und damit Bildungsrelevanz in unserer Informations- und Mediengesellschaft offensichtlich ist. Daneben verkaufen sich erfolgreich Medien, die vornehmlich zur Unterhaltung entwickelt und verwendet werden. Wie bei Literatur im Medium Buch bedeutet das aber nicht, dass diese für Bildungsprozesse irrelevant sind. Im Gegenteil: Gerade auf der Suche nach den „Geschichtenerzählern“1 von heute und der damit u.a. zusammenhängenden Suche nach der Motivation der Schüler sind sie − aufgrund der Aktualität und der Faszinationskraft des Gegenstandes − relevant für formelle und informelle Bildungsprozesse. Ein solcher, mitunter umstrittener „Geschichtenerzähler“ ist das Computerspiel, insbesondere das Genre der Spielgeschichte („im Fritz`schen Sinne“, vgl. Kap. 2.1). Dazugehörige speziell für Kinder produzierte Titel − im Folgenden bezeichnet als „Spielgeschichte“ (vgl. ebd.) − wurden bisher vor allem im literaturdidaktischen Diskurs thematisiert. Dieser Diskurs sowie die Spielgeschichte selbst sollen im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Nicht nur die Benennung der Spielgeschichte ist umstritten, sondern auch Definition und Unterkategorisierungen sind unklar. Im Zuge der bzw. neben den Definitions- und Kategorisierungsfragen wurde bisher vor allem versucht, die strukturellen Besonderheiten des Mediums Spielgeschichte zu klären, um Konsequenzen für Einsatz und Verwendung, speziell im Literaturunterricht, festzustellen. In diesem Zusammenhang wird in einem Großteil der herangezogenen Texte von zwei Bestandteilen ausgegangen, aus denen sich die Spielgeschichte zusammensetzt: Spiel und Narration. Zumeist werden diese als zwei unabhängige und in gewissem Maße in Konkurrenz stehende Elemente betrachtet, deren Kombination ein Problem darstellt, das nur unbefriedigend gelöst werden kann. Hier soll u.a. untersucht werden, ob eine solche Perspektive die einzig mögliche ist und inwieweit ein neues Medium nicht auch ein Recht auf neue Ordnungskategorien bzw. Zwischenformen hat. Dies zu hinterfragen erscheint insofern besonders sinnvoll, als im Kontext der digitalen Medien immer wieder die durch sie mögliche „Hybridisierung“ betont wird.2 Nicht unabhängig von der Fokussierung der „Elemente“ Spiel und Narration überwiegen im bisherigen Diskurs allgemeine Kategorisierungsversuche zur Spielgeschichte, also vor allem quantitativ 1 Vgl. auch Hurrelmann 2001, Böhme-Dürr, 25. 2 Vgl. z.B. Wenz 2001, 85. 1
ausgerichtete Texte,3 während Einzel- und Mikroanalysen kaum zu finden sind. Dabei wurden sie jedoch mehrfach gefordert. So stellt z.B. der Literaturdidaktiker Bernhard Rank fest: „Was noch aussteht, ist eine differenzierte Analyse einzelner Produktionen und der ihnen zugrunde liegenden Mikrostrukturen.“4 Dieser Forderung wird im Rahmen der vorliegenden Magisterarbeit nachgegangen. Die Feinanalyse soll u.a durchgeführt werden, um genauer zu untersuchen wie „non-„ oder „multi-linear“ das hypermediale Beispiel „Zwerg Nase − ein interaktives Märchen“ wirklich ist − und zwar abgesehen von der jeweiligen Zusammensetzbarkeit seiner „Bausteine.“ Insgesamt soll – vor allem im Zuge der Struktur- und Feinanalyse des Beispiels − versucht werden, ergiebige Ansätze des bisherigen Diskurses hervorzuheben und bislang vernachlässigte Aspekte aufzuweisen. Als Folgerung aus diesen Überlegungen soll hier zunächst der Begriff der Spielgeschichte weitestgehend geklärt werden. Als Grundlage für das weitere Vorgehen werden zudem Daten und Ergebnisse zur Nutzung von Computerspielen und Spielgeschichten angeführt (Kap. 2.1). Daraufhin wird versucht, die Auseinandersetzung um Strukturmerkmale und Kategorisierungen nach Schwerpunkten der Ausgangsperspektive und der Argumentation der jeweiligen Wissenschaftler zu systematisieren (Kap. 2.2).5 Allerdings steht gerade die Frage der Kategorisierungen für die Struktur- und Feinanalyse eines Einzelmediums nicht im Vordergrund. Sie wird hier folglich weniger ausführlich behandelt. In Kapitel 2.3 werden bildungsrelevante Folgerungen und Ergebnisse der jeweiligen Wissenschaftler zusammengetragen sowie durch Ergebnisse empirischer Untersuchungen ergänzt. Im darauffolgenden Kapitel (2.4) werden bisherige Aussagen und Ergebnisse zu Qualitätskriterien von Spielgeschichten gesammelt und dargestellt. Diese sind ebenfalls für den pädagogischen Kontext von großer Bedeutung. Entscheidend sind sie für eine Auswahl und Beurteilung von Spielgeschichten und somit auch für einen möglichen Einfluss der Pädagogik auf die Produktionsseite. Im Anschluss an die Darstellung des Diskurses werden die unterschiedlich bzw. uneindeutig verwendeten Begrifflichkeiten so weit wie möglich geklärt (Kap. 3.1). Zudem sollen die Eigenarten des Mediums Computerspiel bzw. der Spielgeschichte noch einmal unter der weniger verwendungsorientierten6, medienontologischen Perspektive betrachtet werden (Kap. 3.2). Dies kann zu Ergänzungen und Erweiterungen der im Diskurs genannten Merkmale und 3 Vgl. auch Leubner, 195. 4 Rank 2000, 199. Er selbst unternimmt anschließend den Versuch einen Aspekt, nämlich die „neuen Formen des Erzählens“, detailliert − wieder aber im Vergleich verschiedener Beispiele − genauer zu untersuchen. Ebd. 5 Da hier die Frage nach Adaptionen nicht zentral sein soll (s.u.), wurde z.B. der Text von Isa Schikorsky nicht aufgegriffen, der sehr stark die Adaptionsfrage in den Mittelpunkt stellt. (s.a. Literaturliste). Andere Texte, die dem Diskurs zuzurechnen sind, hier aber nicht explizit aufgegriffen werden, sind die von Lange und Eibl (s. ebd.). 6 Im Sinne einer Untersuchung auf dem Hintergrund der möglichen Nutzung in pädagogischen Kontexten. 2
Besonderheiten führen, auch weil die Perspektive anderer Disziplinen einbezogen und der Blick somit erweitert wird. Anhand von aus Diskurs und Medienontologie abgeleiteten Kategorien wird dann in Kapitel 4 die Struktur- und Feinanalyse des konkreten Beispiels „Zwerg Nase- ein interaktives Märchen“ durchgeführt. Dazu werden verschiedene Transkriptionsverfahren erprobt, die zu einer fundierteren Untersuchung des Beispiels beitragen sollen. Da es sich bei der Spielgeschichte um einen sehr komplexen Gegenstand handelt, werden dabei unvermeidlich einige Punkte, z.B. der vom Medium weniger abhängige Inhalt, eher vernachlässigt, andere dafür umso genauer untersucht. In Kapitel 4.8 soll eine kurze Gegenüberstellung des Originals und der CD-ROM-Adaption vorgenommen werden − allein schon, um bestimmte Ergebnisse als medienspezifisch einstufen zu können. Der Vergleich mit dem Original wird hier aber nicht im Vordergrund stehen. Dasselbe gilt, allgemeiner formuliert, für den Vergleich der Spielgeschichte mit fiktiven Geschichten in anderen Medien, speziell in der Literatur. Wenn auch die − bisher häufig angewendete − vergleichende Perspektive Vorteile hat, wird hier davon ausgegangen, dass sie den Blick auf bestimmte Eigenheiten des Mediums verstellen kann.7 Den Abschluss bilden Fazit und Rückschlüsse auf den bisherigen Diskurs − wie in Kapitel 2 −, geordnet nach strukturellen, bildungsrelevanten und qualitativen Aspekten (Kap. 5). In Kapitel 6 werden wichtige Aspekte noch einmal konzentriert aufgegriffen. Generell − sowie bezogen auf die Systematisierung des Diskurses − ist zu beachten, dass sich so gut wie alle betrachteten Punkte überschneiden und ergänzen. Dies hängt u.a. mit der Integration von Merkmalen unterschiedlicher „Gesamtmedien“8 in „Hypermedia“ und der dazu zu rechnenden Spielgeschichte zusammen. 2. Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstands zur Spielgeschichte 2.1 Definition und Nutzung Der Begriff der Spielgeschichte wurde von Jürgen Fritz Mitte der 1990er Jahre in die Diskussion eingeführt.9 Im pädagogischen Diskurs werden damit vor allem hypermediale CD- 7 Petra Wieler fasst die Punkte, in denen sich die beiden Medien Buch und Spielgeschichte unterscheiden, wie folgt zusammen: „[….] Zugleich aber unterscheiden sich die Medien in ihrer Erzähltransparenz, d.h. durch die Art ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten und medienspezifischen Angebotsweisen, durch ihre perspektivischen Betonungen (vgl. BÖHME-DÜRR 2000, 28), vor allem durch den Anteil ihrer verbalen und nonverbalen Symbolsysteme.“ Vgl. Wieler, 26. Als Gemeinsamkeit wird aus pädagogischer Sicht z.B. vermutet, dass Spielgeschichten wie es auch der Literatur im Medium Buch zugesprochen wird, als Anregung zu subjektiv relevanter Sinnkonstruktion und Artikulation eigener Erfahrungen wirksam werden können, inwiefern und auf welche Weise ist dabei noch unklar. (Ebd.) 8 Begriff nach Tulodziecki 1997/2004, vgl. 3.2. 9 Bünger 2002 b), 163. 3
ROM-Produktionen für Kinder bezeichnet, die fiktionale Stoffe umsetzen. Häufig handelt es sich um Literaturadaptionen.10 Fritz versteht die Spielgeschichte allgemeiner als eine Unterart von Computerspielen. Sie zeichnet sich seines Erachtens dadurch aus, dass zumindest ansatzweise eine Geschichte erzählt wird. Außerdem kennzeichne sie das Auftauchen von Elementen aus Denk- und Actionspielen11, mit deren Hilfe Aufgaben konstruiert werden und deren Bewältigung Bedingung für den Fortgang der Geschichte ist. Dies trifft auch auf die im pädagogischen Diskurs bisher hauptsächlich behandelten Literaturadaptionen zu. Allerdings werden hier die „Actionelemente“ zumeist durch „Spielaufgaben, die Geschicklichkeit, Orientierung im Raum, Reaktionsschnelligkeit etc. erfordern“ ersetzt.12 Dass es sich bei Fritz und den Literaturdidaktikern um zwei unterschiedliche Definitionen handelt, zeigt sich z.B. daran, dass im literaturdidaktischen Diskurs des Öfteren Gemeinsamkeiten von Adventure-Games und Spielgeschichten festgestellt werden13, während Fritz Adventure-Games Spielgeschichten unterordnet. Die für die Betrachtung von Spielgeschichten ebenfalls relevanten Adventure-Games definiert Vollmer folgendermaßen: „[...] Adventure-Spiele können Kampf- und Action-Elemente enthalten. Im Zentrum steht jedoch eine Spielgeschichte mit oft märchenhaften Zügen. Es gilt eine Hauptaufgabe zu erfüllen, z.B. einen Schatz zu finden oder eine entführte Prinzessin zu befreien. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Spielfigur Rätsel löst, bestimmte Gegenstände (Landkarten, Werkzeuge) entdeckt und deren richtige Handhabung herausfindet. Der Spieler steuert meist einen Helden oder eine Gruppe von Abenteurern ohne Zeitdruck durch komplexe virtuelle Welten. Zum Spielen von Adventure-Spielen braucht man vor allem Ausdauer und Einfallsreichtum. Allein logisches Vorgehen reicht meist nicht aus. Oft kommt man durch intuitives 14 Vorgehen und das Versuch- und Irrtum-Verfahren weiter.“ Im literaturdidaktischen Diskurs werden den Spielgeschichten meist auch so genannte „Virtuelle Spielplätze“ (s.u.) zugeordnet, die nicht auf einer durchgehenden Geschichte beruhen, sondern sich nach Fritz` Unterteilung u.a. aus Denk- und Geschicklichkeitsspielen und „Funny-Games“15 zusammensetzen. Der Begriff Spielgeschichte wird somit von einigen Pädagogen nahezu als eigenes Kindergenre verwendet. Es wird folglich teilweise zwischen Adventures als Spielgeschichten für Erwachsene und Spielgeschichten als Oberbegriff für 10 Vgl. auch Leubner, 194. 11 Fritz (1993) unterteilt Computerspiele in abstrakte Denk- und Geschicklichkeitsspiele, Kampfspiele und Funny-Games („bei denen aktionale Rollen, von der einfachen Lenkungsaufgabe bis zur komplexen Bewegungsanimation, vorrangig gefragt sind. Dazu rechnen einfache Einsammelspiele in Labyrinthen [...], Comic-Adventures mit eher sequentiellen Strukturen und Funny-Denkspiele wie Lemmings.“ – Kübler 2002, 142), in Simulationen und Spielgeschichten. Vgl. Kübler 2002, 141 f. 12 Bünger, 2002 b), 164. 13 Vgl. z.B. Dolle-Weinkauff 2001, 37 f. 14 Fromme u.a. 2000, 36. Zum Diskurs um den Begriff „Kindermedien“ vgl. z.B. Kübler 2002, 11 ff./Bertschi-Kaufmann 2000, 37 ff. 15 Vgl. FN 11. 4
alles, was sich in CD-ROM-Form auf dem Kindermarkt findet, unterschieden16. Dolle- Weinkauff definiert die Spielgeschichte z.B. wie folgt: „[…] ein zwischen Vorführung und Spiel changierendes Unterhaltungsgenre, das von kinderliterarischen Stoffen einerseits und den seit den 80er Jahren populären Videospielen andererseits inspiriert ist.“17 Hier soll dieser Unterscheidung insofern nachgegangen werden, als mit dem Begriff Adventures solche Spielgeschichten im Fritz`schen Sinne gemeint sind, die nicht speziell für junge Spieler18 entwickelt wurden, um diese von denen abzugrenzen, die sich als Zielgruppen-, also Kindermedium im engeren Sinne, verstehen.19 Diese Spielgeschichten verfolgen − wie auch Kinderliteratur − nicht unmittelbar einen pädagogischen Zweck, besitzen aber immer auch pädagogische Elemente.20 Ist die Spielgeschichte im übergreifenden, also im Fritz`schen Sinne gemeint, wird sie auch so bezeichnet. Allerdings wird sich zeigen, dass Adventure-Games vielen Spielgeschichten näher sind als einige Spielgeschichten einander. Um etwas Licht in diese Verwirrung zu bringen, dürfte Büngers Unterkategorisierung hilfreich sein (s.u.). Dass auf dem Markt der Spielgeschichten bisher Literaturadaptionen überwiegen, hat verschiedene Gründe: Bekannte „Marken“ verkaufen sich besser und die finanziellen Risiken einer neuen Produktion sind damit geringer.21 Dies gilt auch, weil die Chancen für eine wesentlich preiswertere Serienproduktion höher werden, je bekannter und beliebter ihr „Held“ bereits bei Kindern ist. Dass auch in wissenschaftlichen Texten die Untersuchung und Besprechung von Literaturadaptionen bisher überwiegt, hat neben der Häufigkeit ihres Auftretens noch andere Gründe: Sie bieten sich speziell aus literaturdidaktischer Sicht an, da ein Vergleich mit dem Originalprodukt unternommen werden kann. Dies ist besonders für das wichtige Forschungsziel der Literaturdidaktik relevant, die neuen Medien auf ihre Spezifika und lernförderlichen Aspekte im Vergleich zu den herkömmlichen im Unterricht genutzten Medien (also vor allem dem Buch) zu durchleuchten.22 Allgemein sind Spielgeschichten für die Literaturdidaktik besonders interessant, weil das Instrumentarium der herkömmlichen literarischen Analyse verglichen mit anderen Computerspielen am ehesten noch für Spielgeschichten taugt. In diesen sind nämlich narrative Elemente stärker als in anderen Computerspielen vertreten.23 16 Vgl. auch Leubner, der die Spielgeschichte nach „dem Sprachgebrauch der fachwissenschaftlichen und didaktischen Diskussion“ für „sämtliche Computer-Programme für Kinder, die zumindest im Ansatz sowohl narrative als auch spielerische Elemente aufweisen“ verwendet. Leubner, 194. 17 Dolle-Weinkauff 2000, 186. 18 Im Folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form für Jungen und Mädchen verwendet, gemeint sind aber immer beide! 19 Z.B. an Altersangaben und an der Anlehnung an kinderliterarischen Texten zu erkennen. 20 Dolle-Weinkauff 2000,186: „[…] die Scheiben [Spielgeschichten], die nicht unmittelbar einen pädagogischen Zweck verfolgen, immer aber Elemente daraus besitzen.“ 21 Vgl. auch Rank 2000, 198. 22 Vgl. z.B. Wieler, 24. 23 Vgl. auch Koch, 113. 5
Inwieweit bei den Adaptionen die Nähe zum „Original“ tatsächlich gegeben ist, ist von Produkt zu Produkt sehr unterschiedlich. Es gibt Spielgeschichten, die nur die Figuren oder bestimmte grafische Erkennungsmerkmale übernehmen. Andere halten sich sehr genau an die Vorlage. Gerade von Seiten der Produktion (vgl. z.B. Stephan Kollhoff, Tivola) wird immer wieder betont, dass eine 1:1 Umsetzung der linearen Geschichte eine dem neuen Medium angemessene und attraktive Umsetzung verhindere.24 Wie Dolle-Weinkauff feststellt, geht es hierbei nicht um eine „relativ einfache Form der Adaption“ − wie z.B. vom Buch zum Hörbuch −, sondern um eine in Hinsicht auf den medialen Transfer sehr komplexe: „Da der Computer praktisch alle Präsentationsformen herkömmlicher Medien simuliert, kommen beim Zugriff auf eine Multimedia-CD auditive Angebote von Musik und Text, Präsentationen mit Schriftzeichen, fotografischen Aufnahmen, Animations- und Realfilmsequenzen zur Anwendung. […] Des Weiteren handelt es sich bei der Multimedia-Anwendung um ein Angebot, das dem Rezipienten erlaubt, mit Hilfe der Eingabeinstrumente des Computers […] an bestimmten dafür vorgesehenen Stellen einzugreifen. […]“ 25 Die Transformation eines kinderliterarischen Szenarios in Hypermedia hat „gravierende 26 Veränderungen“ zur Folge. Sie führt zu einem „Nebeneinander verschiedener ,Textbausteine´“ und der „Aufgabe der für das herkömmliche Erzählen konstitutiven Textstruktur“27. Damit stellt sich sogar die Frage, mit welcher Berechtigung noch von „Erzählen“ gesprochen werden kann.28 Zur Nutzung und zum Markt von Spielgeschichten gibt es bisher kaum Zahlen. Zu Computerspielen (womit zumeist Bildschirmspiele, also Konsolen- und Computerspiele gemeint sind) − unabhängig von den jeweiligen Genres – liegen dagegen statistische Ergebnisse vor. Computerspiele gehören danach mittlerweile zum Alltag der meisten Kinder, zumal heute in der Mehrheit der Haushalte ein Computer vorhanden ist.29 Insgesamt wird in der Freizeit der Computer von Erwachsenen und Kindern bevorzugt zum Spielen genutzt.30 „Etwa 87% der Heranwachsenden zwischen 7 und 15 Jahren spielen mehr oder weniger regelmäßig Computerspiele.“31 Auch Kinder, deren Eltern keinen Computer zu Hause haben, verschaffen sich Zugang zu Computerspielen − sie sind sehr flexibel, was den Spielort betrifft.32 Dies ergänzt sich mit dem Ergebnis, dass zwei Drittel der sieben bis 14jährigen Kinder (insbesondere Jungen) 24 Z.B. Kolloff, 10. 25 Dolle-Weinkauff 2000, 186 f. 26 Dolle-Weinkauff 2000, 187. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 2000 fand sich in 57 % der Haushalte der Familien der sechs bis 13-jährigen ein Computer, 2003 schon bei zwei Dritteln, Tendenz steigend. (Vgl. KIM 2003, 13) Es ist also zu vermuten, dass der Computer in Familien mit Kindern in absehbarer Zeit ebenso verbreitet sein wird wie der Fernseher. (Ebd.) Es ist folglich von sehr guten Zugangsmöglichkeiten zur Hardware für die Nutzung von Computerspielen auszugehen, zumal diese u.a. auch in Bibliotheken und Jugendhäusern zugänglich sind. 30 Vgl. z.B. Heidtmann 1999, 266. 31 Fromme u.a. 2000, 28. 32 Petzold, 52. 6
häufig und gerne mit anderen zusammen spielen. Das Klischee vom „alleine vorm Computer hockenden Kind“ ist also nicht berechtigt.33 Die Eltern sind allerdings seltene Spielpartner. Nach einer Untersuchung von Fromme/Vollmer u.a.34 sind es vor allem die jüngeren, nämlich die sieben- bis zehnjährigen Jungen, die regelmäßig − d.h. mindestens einmal die Woche − Video- oder Computerspiele spielen. (Fast 70 Prozent der Jungen gaben an regelmäßig zu spielen, dagegen nur ca. 35 Prozent der Mädchen.)35 Am beliebtesten sind in dieser Altersgruppe Jump&Run-Spiele.36 Danach folgen Kampfspiele.37 Denk- und Geschicklichkeitsspiele sind bei den Jüngeren (diesmal vor allem bei den Mädchen) ebenfalls recht gefragt. Adventures rangieren an fünfter Stelle der Beliebtheitsskala.38 Sie werden normalerweise, wie Spielgeschichten, am Computer und nicht mit einer Spielkonsole gespielt. Die Nutzungshäufigkeit und Beliebtheit von Adventures korreliert dementsprechend mit dem Zugang zu einem Computer − meist dem der Eltern − bzw. mit der besuchten Schulart.39 Schüler des Gymnasiums, die eher Zugang zu einem Computer haben, spielen im Vergleich zu Haupt- und Realschülern am häufigsten Spiele dieses Genres.40 Die zwei wichtigsten Spielanlässe für Kinder sind − nach der Untersuchung von Vollmer/Fromme u.a.41 − Langeweile (das Computerspiel wird also als „Lückenfüller“ im kindlichen Zeitbudget genutzt) und das oben beschriebene gemeinsame Spielen. Dies zeigt, dass die Spiele in der Freizeit, wie ihr Name schon sagt, vor allem eine unterhaltende Funktion haben. Gerade die jüngeren Kinder sind aber beim Kauf noch auf die Eltern angewiesen, die häufig Wert auf erzieherische und bildende Aspekte legen.42 Damit rückt auch die Seite der Eltern- und Kinderwünsche bedienenden Produktion ins Blickfeld, für die Kinder eine lukrative und wichtige, wenngleich schwierige Zielgruppe sind.43 33 Ebd., 49 f. 34 Beim Bielefelder Forschungsprojekt: „Evaluation der Computerspielkultur bei Heranwachsenden“ wurden Kinder zwischen sieben und 17 Jahren zu folgenden Bereichen befragt: Soziodemographische Daten, Spielverhalten, Spielumgebung, Bewertung verschiedenerer Merkmale von Video- und Computerspielen (unterteilt nach den Dimensionen der medialen Präsentation, der Dramaturgie und der Kompetenzanforderungen, die Bildschirmspiele an Spieler stellen), Einschätzungen von Kindern, die keine Video- und Computerspiele haben. Vgl. Fromme u.a. 2000, 18. 35 Alles vgl. Fromme u.a. 2000, 29 f. 36 Fromme u.a. 2000, 40. 37 Diese sind auch bei jüngeren Mädchen im Unterschied zu älteren noch recht beliebt. 38 Während ihre Beliebtheit mit zunehmendem Alter bei den Jungen zunimmt, nimmt sie bei den Mädchen ab. Vgl. Fromme u.a. 2000, 42. 39 Fromme u.a. 2000, 40. 40 Ebd., 43. Renn- und Flugspiele sowie Systemsimulationen sind bei Schülern aller Schularten eher unbeliebt (bei den jüngeren v. a. letztere, da sie wohl eine Überforderung für sie bedeuten). 41 Gerade der bevorzugte Spielanlass der Langeweile wurde schon in mehreren Studien bestätigt. Vgl. z.B. auch Fritz 1995, 239. 42 Petzold, 53. Drei Viertel der Eltern von Grundschulkindern haben − allein schon aus Kostengründen − Einfluss auf den Kauf von Computerspielen. 43 Einerseits sind sie Innovationen gegenüber aufgeschlossen und gelten somit als Tester für neue Trends, zudem sollen sie als Zielgruppe schon für später (z.B. an einen Fernsehsender) gebunden werden und haben durch die Einwirkungsmöglichkeiten auf ihre Eltern eine gewisse Kaufkraft inne. Andererseits sind ihre Vorlieben 7
Dass es speziell zu Spielgeschichten kaum Zahlen gibt, hängt wohl auch mit den Unklarheiten in der Genre-Zuordnung zusammen.44 Heidtmann nennt einzelne Veröffentlichungszahlen aus der Mitte der 90er Jahre, nach denen die Disney-Produktionen zu gleichnamigen Filmen mehr als 100.000-mal verkauft wurden und die erste TKKG-Adaption von Tivola innerhalb eines halben Jahres 50.000-mal.45 In beiden Fällen handele es sich jedoch um seltene Erfolgsgeschichten. Am gesamten deutschen CD-ROM-Umsatz hielten Kindertitel 1997 einen Anteil von 20 Prozent46. Mitgerechnet sind dabei allerdings auch non-fiktionale Titel. Dolle-Weinkauff schreibt 2000, die einst − abgesehen von Lernsoftware − tot-geglaubten CD- ROMs für Kinder erlebten wieder einen Aufwärtstrend. Dabei bezieht er sich auf einen Artikel aus dem „Deutschen Börsenblatt des Buchhandels“ von 1999.47. Bertschi- Kaufmann/Tresch stellen 2003 bezogen auf die Ausleihe-Zahlen der Multimedia anbietenden Bibliotheken zwar ebenfalls fest, dass die Attraktivität von Spielgeschichten48 unbestreitbar ist. Allerdings sei das Sortiment in diesem Bereich in den letzen Jahren nicht so stark gestiegen, wie Marktprognosen vermuten ließen.49 Relativ einig ist man sich darüber, dass insgesamt nur solche Produkte höhere Verkaufszahlen erreichen, die bekannte Erzählstoffe oder Figuren adaptieren.50 Dies hängt mit der immer größeren Bedeutung des Medienverbundsystems zusammen − ein typisches Kennzeichen für den heutigen Kindermedienmarkt. Andere Merkmale sind die Schnelllebigkeit, ein Hang zu Dauerbrennern und dem Reihenprinzip, bzw. zur „medialen Vervielfachung“, die „ständig für periodische Präsenz und breite Popularität“ einer Marke sorgt51: Der Medienverbund zeigt sich darin, dass populäre Figuren und Geschichten aus Buch und Fernsehen in verschiedensten medialen Angeboten präsent sind. Intermedial und transmedial werden sie vermarktet. Zusätzlich werden zahlreiche Merchandisingprodukte angeboten, die teilweise mehr Gewinne einspielen als das Originalprodukt.52 Auf Produzentenseite äußert sich der Medienverbund in einem Geflecht von Lizenzen, das teilweise Einfluss auf das Aussehen und teilweise schlecht kalkulierbar und Fragen z.B. der erzieherischen Bonität oder zumindest Unbedenklichkeit und die Vorlieben der kaufenden Eltern müssen bei der Produktion berücksichtigt werden. Vgl. Kübler 2002, 20 ff. 44 Dass bei Vollmers (u.a.) Genre-Einteilung nicht klar ist, wo Spielgeschichten einzuordnen sind, verweist auf diese Problematik: Selbst wenn man Spielgeschichten z.B. bei Adventures einordnen würde, bleibt die Frage, ob die Kinder in der Befragung das auch getan haben. Spielgeschichten sind wohl, wie auch ein Großteil anderer Spiele, ein Mischtyp. Vgl. auch Fromme u.a. 2000, 107. 45 Heidtmann, 1999, 265. 46 Heidtmann, 1999, 263. 47 Dolle-Weinkauff 2000, 186. 48 Nach ihren Begrifflichkeiten „Interactive Books“. 49 Bertschi-Kaufmann 2003, 75. 50 Vgl. z.B. Rank, 198. Wobei sich die meisten dabei auf Heidtmanns Zahlen beziehen (vgl. Heidtmann 1999, 265). 51 Kübler 2002, 21. 52 Vgl. z.B. Heidtmann 2000, 30, Kübler 2002, 26. 8
die Ausprägung der Geschichte und ihrer Figuren hat.53 Auch für die Betrachtung eines einzelnen Produktes ist die Beachtung des Medienverbundsystems insofern relevant, als z.B. narrative Elemente und Figuren in einer Spielgeschichte immer auch im Zusammenhang mit anderen Produkten zu derselben Geschichte gesehen werden müssen. Schließlich werden sie (je nach Vorkenntnissen des Spielers) in Wechselwirkung mit diesen rezipiert. Der Punkt der tatsächlichen Nutzung von Spielgeschichten wird insgesamt im Diskurs kaum behandelt. Verschiedenes, wie z.B. die von Bertschi-Kauffmann/Tresch genannten Ausleihzahlen der Bibliotheken, deutet aber darauf hin, dass jüngere Kinder Spielgeschichten besitzen und nutzen: Heidtmann stellt fest, dass die sehr teuren CD-ROM-Produktionen auf ein immer jüngeres Publikum abzielen, weil lediglich dieses dazu bereit sei, sich dieselbe Geschichte immer wieder anzusehen.54 Eltern von Grundschulkindern haben zudem einen großen Einfluss auf den Kauf von Spielen.55 Da Eltern gerne kaufen, was sie aus ihrer eigenen Jugend − wenn auch in anderer medialer Form − kennen, dürften gerade Adaptionen gut bei ihnen ankommen.56 2.2 Strukturmerkmale und Kategorisierung In älteren Texten waren die Fronten zwischen Befürwortern des „neuen Mediums“ (vgl. z.B. Heidtmann) und Kritikern (vgl. z.B. Schartner) klarer als heute.57 Man setzte sich vor allem mit der veränderten Position und den veränderten Möglichkeiten für den Nutzer auseinander. Heute geht der Spielgeschichten-Diskurs dagegen mehr ins strukturelle Detail (vgl. z.B. Bünger).58 Interessant ist die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang kaum eine Debatte stattgefunden hat, die dem Diskurs um digitale Literatur für Erwachsene ähnelt: In Letzterem wurde z.B. von Porombka eine stärkere Orientierung an Unterhaltungsqualitäten des „neuen Mediums“ gefordert, die z.B. in Computerspielen genutzt würden.59 Dies nennt er als Alternative zu bisherigen Versuchen einer bloßen Hypertextualisierung linear-organisierter Texte und einer Umsetzung strukturalistischer Ideen. Derartiges war bezogen auf hypertextuelle Produktionen 53 Z.B. indem es dazu führt, dass Figuren aus Kostengründen, Gründen der Autorschaft oder der internationalen Vermarktbarkeit etwas von ihrem charakteristischen Aussehen/ihren Eigenschaften oder z.B. Geschichten ihre Titelmelodien abgeben oder abgeben müssen. 54 Und folglich die Eltern dazu bereit sind, das entsprechende Geld für eine CD-ROM auszugeben. Vgl. Heidtmann 1999, 265. 55 S. FN 42. 56 Kübler 2002, 8. 57 Wie generell typisch für den Diskurs um „neue Medien“, speziell auch den Hypertext. Vgl. Porombka 2001, 11 ff. 58 Wenn auch immer noch in gewissem Maße eine Bevorzugung der Literatur bei den Literaturdidaktikern zu erkennen ist, wie auch andere Wissenschaftsrichtungen ihre spezifische Sichtweise des Gegenstandes für kanonisch zu halten neigen. Vgl. Ewers 2000, 76. Dies ist auch durch ihre eigene Medienerfahrung zu erklären. (Zur Generationenfrage bezogen auf Medien vgl. Schäffer. − s.a. FN 386) Die Tatsache, dass das „neue Medium“ nicht mehr ignoriert werden kann, ist aber allgemein anerkannt. Vgl. Richter 2000, Vorwort. 59 Und die der „Erlebnisgesellschaft“ entsprächen. Vgl. Porombka, 2002, 16 ff. 9
für Kinder insoweit nicht notwendig, als in sie relativ bald multimediale und spielerische Elemente einbezogen wurden.60 So war und ist in diesem Kontext weniger „digitale Literatur“61 als Alternative zum Buch thematisiert worden als vielmehr die Spielgeschichte. Im Diskurs wird die Spielgeschichte und teilweise auch das Adventure von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet. 2.2.1 Spiel und Geschichte als Ausgangspunkte der Betrachtung Besonders einem Punkt wurde im hier behandelten Diskurs große Beachtung geschenkt: der Vermischung bzw. dem „Nebeneinander“ von spielerischen und narrativen Elementen62. Bünger sieht in diesen beiden Bestandteilen von Spielgeschichten einen strukturellen Antagonismus, den sie mit Hilfe der Kategorie der „Ordnung narrativer Zeit“ des Erzähltheoretikers Genettes zu beschreiben versucht: Während in einer Geschichte durch den zeitlichen Zusammenhang einzelner Episoden ein sinnvolles Ganzes entstünde, existiere in einem Spiel keine solche logische Verkettung. Im Gegenteil sei eine gewisse Beliebigkeit und Zufälligkeit in der Abfolge der Handlungszüge ein spezifisches Merkmal desselben.63 Der Verlauf werde von den Spielenden bestimmt. Statt einer festgelegten und unbedingt notwendigen Ordnung − wie sie die Narration bestimme − kenne das Spiel Beliebigkeit und Wahlfreiheit. Insgesamt benennt sie als Strukturmerkmale für Narration individualisierte Personen, eine sukzessiv-logisch aufgebaute Geschehensstruktur, Raum und Zeit. Im Spiel hingegen gebe es keine individualisierten Figuren, keinen fixen, logischen Aufbau und keine vorgegebenen zeitlichen Strukturen.64 Bei ihren Ausführungen zum Spiel bezieht sie sich aufs Regelspiel, da sich dieses als sinnvoll herausgestellt habe. Damit beruft sie sich auf einen Text von Klimmt. Der spricht allerdings davon, dass es sinnvoll ist auf Rollen- und Regelspiele zu rekurrieren.65 Die Schwierigkeit der Vereinbarung von Narration und Spiel ist nach Bünger „die zentrale Schwierigkeit aller Kinder- und Jugendliteraturadaptionen.“66 Der von ihr in diesem Zusammenhang zitierte Kommunikationswissenschaftler Arthur Asa Berger findet diese „Antinomie zwischen Spiel und Geschichte“ sogar in fast allen Genres von Computerspielen. Er sieht eine ausgeprägte Spielstruktur grundsätzlich nur da vertreten, wo die Geschichte in den Hintergrund tritt und andersherum.67 Folglich sind nach Bünger alle Spielgeschichten zwischen zwei Polen anzusiedeln: dem der Geschichte und dem des Spiels. 60 Was mit der Zuordnung des Spiels zum Kind und dem generellen Hang zur Bildlichkeit in allen Kindermedien zusammenhängt. Zu erklären ist dies u.a. durch die begrenzten Lesekenntnisse der Kinder. 61 Zur Begriffswahl vgl. Simanowski, 16 ff. 62 Rank 2000, Dolle-Weinkauff 2000, Bünger 2002 a) und b) u. a. 63 Bünger, 2002 a), 2. 64 Ebd. 65 Klimmt, 28. Die Romanistin und Linguistin Wenz erläutert schlüssig, warum sich in Hypermedien Aspekte des freien und des regelgeleiteten Spiels finden. Vgl. Wenz 1999. 66 Bünger 2002 b),164. 67 Bünger 2002 b) 164. 10
Sie stellt fest, dass rein lineare Stoffe zu Gunsten stärker ludisch ausgeprägter immer mehr verdrängt wurden. In diesem Zusammenhang erachtet sie den Rückschluss für zulässig, dass spielerische Stoffe eine attraktivere Rezeption ermöglichen und sich deshalb besser verkaufen. Folglich enthielten alle heute neu entstehenden Spielgeschichten zumindest in geringem Maße ludische Strukturen.68 Da Bünger den Begriff der Spielgeschichte insgesamt für zu grob erachtet, schlägt sie eine Binnengliederung vor. Hierbei unterscheidet sie nach der Gewichtung der ludischen und narrativen Elemente. Damit wird ihres Erachtens der zentralen und letztlich unlösbaren Problematik der Unvereinbarkeit beider Elemente von Produzentenseite aus begegnet. Ihre Kategorisierung soll hier dargestellt und verwendet werden,69 da sie hilft, die heterogenen, unter dem Begriff Spielgeschichten subsumierten, Phänomene zu systematisieren. Bünger unterscheidet zwischen den Subgenres Virtueller Spielplatz als stark durch ludische Elemente und Beliebigkeit in der Reihenfolge geprägt, Living Book70 als stark linear geprägt (am entgegengesetzten Pol) und Spielgeschichte i.e.S. als ausgewogenes Mittel zwischen ludischen und narrativen Elementen sowie zwischen Wahlfreiheit und narrativer Ordnung71. Letzterer Kategorie ordnet sie beispielsweise die durch Adventure-Strukturen geprägte72 Adaption „Ronja Räubertochter“ zu. Ihre Untersuchung der CD-ROM mit Hilfe Genettes Modus der Ordnung soll hier genauer dargestellt werden, weil dabei auch andere in struktureller Hinsicht interessante Punkte deutlich werden: Bünger unterscheidet bei dem Beispiel zwischen drei Spiel- bzw. Narrationsmodi: Der erste ist der rein-narrative Modus in Form von Cut-Scenes, in dem komplexe Erzählinhalte präsentiert werden. Zum zweiten rechnet sie Phasen mit rein ludischem Charakter, zumeist in Form von Geschicklichkeitsspielen. Den dritten Modus sieht sie dort, wo „im Stil des Adventures spielerisch-freies Bewegen durch den Spielraum möglich [ist], und […] Erzählinhalte präsentiert [werden].“73 Der Umgang mit der Kategorie Ordnung innerhalb dieser drei Typen 68 Bünger 2002 a), 1. 69 Trotz späterer Kritik an der starren Unterscheidung spielerischer und narrativer Elemente. 70 Dieser Begriff wird in den USA (vgl. Bünger 2000 b), 165) und teilweise auch im deutschsprachigen Raum (vgl. Dolle-Weinkauff 2000, 192) auch für Spielgeschichten insgesamt verwendet. 71 Bünger 2002 b), 165 f. Als Spielgeschichte i.e..S. ließen sich z.B. die Simsalagrimm-Adaptionen der grimmschen Märchen anführen (z.B. das tapfere Schneiderlein), in denen der Spieler Spiele finden und bestehen muss, um in der Geschichte weiterzukommen. Dabei ist die Reihenfolge sehr klar vorgegeben, und die eigenen Erkundungsmöglichkeiten sind stark begrenzt. Aber auch Tivolas „Schneewittchen und die 7 Hänsel“ wäre in diesem Bereich anzusiedeln. In diesem Märchenmix ist die gesamte Geschichte ein Spiel. Der Spieler kann dabei den Mix und das Ende beeinflussen, dennoch werden eindeutig „Geschichten“ erzählt. An der Unterschiedlichkeit der beiden Beispiele sowie im Vergleich zu dem von Bünger angeführten Beispiel „Ronja Räubertochter“, das durch Adventure-Strukturen geprägt ist, zeigt sich, dass selbst diese Kategorisierung noch recht grob ist. 72 Da man Gegenstände sammeln und Aufgaben lösen muss, um eine Sequenz des Spiels abzuschließen und in der Geschichte weiterzukommen. Andererseits können zugleich aber auch Spiele um des Spielens willen gespielt werden. Außerdem verändern sich sogar im Zuge der Geschichte die Jahreszeiten, was verdeutlicht, dass eine erzählte Zeit vorhanden ist und thematisiert wird. 73 Bünger 2002 a), 4. 11
sei insofern unproblematisch, als in den Cut-Scenes eine Ordnung im Genette`schen Sinne vorliege und in reinen Spielphasen keine existiere. In den Mischformen werde versucht, grobe Fehler in der Ordnung zu vermeiden. Es könne bei ihnen aber zu Unstimmigkeiten kommen, also z.B. zu der Wiederholung eines Satzes. Die eigentliche Schwierigkeit sieht sie allerdings nicht darin, Ordnung und Wahlfreiheit auszubalancieren, sondern die globale Zeitstruktur trotz der Wahlfreiheit zu gewährleisten. Bei „Ronja Räubertochter“74 gibt es nach Bünger bezüglich der globalen Zeitstruktur, die die einzelnen Bausteine (Suchphasen, Cut-Scenes, Spiele) verbindet, zwei Zeitebenen:75 die „Zeit der Geschichte“ und eine weitere Zeitebene, die der Spieler durch sein Handeln bestimmt. Ihr Verhältnis zueinander sei keine feste Größe, wie man es von der erzählten und der Erzählzeit narrativer Artefakte kenne.76 Es werde − zumindest auf die Kategorien „Dauer“ und „Frequenz“ bezogen − durch die individuelle Rezeption mitbestimmt. Als stabil sieht Bünger jedoch die „Ordnung beider Zeitebenen“ an. Sie sei nicht gefährdet, da sie ähnlich wie im Adventure durch „Knotenpunkte“ garantiert werde. Diese verknüpften an zentralen Stellen die sonst unverbunden nebeneinander stehenden Zeitebenen der Geschichte und der Rezeption. Im Falle von „Ronja Räubertochter“ hieße das, dass sich teilweise keine neue Handlungsmöglichkeit erschließt, bevor ein bestimmter narrativer Inhalt rezipiert worden ist. Die Abfolge von „Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten“ finde in einer fixen und immer gleichen zeitlichen Ordnung statt. So ist nach Bünger in „Ronja Räubertochter“ und somit nach ihrer Definition in einer „Spielgeschichte i.e.S.“, „das Problem der Verknüpfung von Spiel- und Narrationsprinzipien durch Aufgreifen bewährter Adventuremuster gelöst.“77 Dies macht die Nähe der „Spielgeschichte i.e.S.“, die hier im Mittelpunkt stehen soll, zum Adventure-Game mehr als deutlich. Was Bünger aber bei ihren Überlegungen kaum beachtet ist die Bedeutung des Raumes in Spielgeschichten. Sie sieht in ihm zwar „das einzige der oben aufgeführten Strukturmerkmale, das einer Verknüpfung von Regelspiel und Geschichte nicht entgegen steht“78, reduziert seine Funktion aber in beiden Fällen auf die eines „Gestaltungsmittel[s]“, das Stimmungen und Atmosphären transportiere.79 Zudem ist die Frage, ob der Raum gerade in „Spielgeschichten i.e.S.“ für die „Geschichte“ nicht viel mehr leistet, als „nicht entgegen zu stehen“. Denn es 74 Wie auch z.B. bei den „Simsalagrimm“–Märchen auf CD-ROM. 75 Bünger, 2002 a), 5. 76 Ebd. 77 Bünger 2002a), 5. 78 Bünger 2002 a), 2. 79 Ebd. 12
lässt sich kaum leugnen, dass die Zeit als „perspektivische Betonung“ in Computerspielen zurücktritt und die des Raumes an Bedeutung gewinnt.80 Dolle-Weinkauff (1999) betont den Raum als das hauptsächlich strukturierende und verbindende Element unter den Kompositionsformen der Spielgeschichte.81 Er sieht das durch die Bildschirmbegrenzung eingerahmte Bild82 als eine Art Bühne, auf der Handlungen ausgelöst werden können bzw. auf der ein Verlassen der einen und das Betreten einer anderen Bühne/eines anderen simulierten Raumes veranlasst werden kann. Das Prinzip des fixen Raum-Rahmens ist [...] dasjenige, das die Kohärenz der CD-Präsentation sichert, da auf eine sukzessiv-erzählerische Rahmenstruktur verzichtet wird.83 Nicht die Geschichte, sondern das System des Raum-Rahmens − darstellbar als Flowchart − sei es, das die disparaten Teile zusammenhalte.84 Wie Bünger setzt auch Dolle-Weinkauff eine Trennbarkeit von Spiel und Narration in Spielgeschichten voraus und unterscheidet in seiner Typologie danach:85 In der Kategorie der verlinkten Erzählung bleibt die (vereinfachte) Erzählung intakt weil die Spielinhalte nur als austauschbare, für die Kohärenz nicht relevante Partikel auftreten. In der parallelisierten Erzählung bleibt sie dagegen ganz, weil die Spielelemente formal von der der Erzählung getrennt sind, weshalb das Spiel die Erzählung nicht dominieren kann. In der marginalisierten Erzählung wird die Erzählung zurückgedrängt. Spielelemente dominieren hier und sind nicht formal von der Erzählung getrennt. In Dolle-Weinkauffs letztem Typus, dem Spiel als Hypertextgenerator, bildet das Moment der Erzählung nur noch „eine stofflich-motivische Hintergrundfolie“ für die „Spielhandlung“.86 Die „Erzählung“ erscheint insgesamt in Dolle- Weinkauffs Typologie als bedroht und leicht durch „das Spiel“ dominierbar. Spiel und Narration werden somit geradezu zu Gegnern. Insgesamt ist er der Meinung, die Hypertextualisierung beschneide Erzählungen sehr viel mehr, als dass sie diesen neue Dimensionen eröffne.87 Während Bünger nicht eindeutig bewertet, sondern mehr eine Problematik in der Vereinbarkeit von spielerischen und narrativen Elementen feststellt, 80 Vgl. auch Böhme-Dürr (28), die die Dominanz räumlicher Dimensionen als typische „perspektivische Betonung“ für die interaktiven Medien (bzw. das Internet) ansieht, während in Print- und Audiomedien durch die Fokussierung auf Sprache temporal-lineare Strukturen und im Fernsehen Personen dominierten. Aber auch anhand den angeführten Beispielen lässt sich feststellen, dass Spielgeschichten häufig entlang von Räumen organisiert sind: So kann man z.B. bei „Schneewittchen und die 7 Hänsel“ (vgl. FN 71) dank der Speicherungsmöglichkeiten in die bereits „erspielten“ Bilder zurückspringen. Dabei springt man weniger an eine bestimmte Stelle der Geschichte als vielmehr „an einen Ort“, von dem aus man dann wieder bestimmte andere Orte erreichen kann (z.B. an die Waldkreuzung, von der aus man zum Hexenhaus gelangen kann...). 81 Dolle-Weinkauff 2000, 192. 82 Koch schlägt zwar für den Begriff „Bild“ den der „Maske“ (vgl. Koch, 114 f.) vor, um ihn vom filmischen Bild und dessen Besonderheiten abzugrenzen. Hier sollen aber der des Bildes als statischer Ausschnitt, der des Raumes als die Tiefe thematisierend vorgezogen werden, da sie leichter verständlich sind. 83 Dolle-Weinkauff 2000, 194. 84 Was vordergründig durch ihre Einfärbung im Sinne der jeweiligen Hintergrundstory gewährleistet würde. 85 Dolle-Weinkauff 2000: Erzählung und Interaktion.190-192. 86 Vgl. auch Leubner, 195. 87 Dolle-Weinkauff, 195. 13
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