DIE TIERWOHLABGABE ALS INSTRUMENT FÜR BESSERE HALTUNGSBEDINGUNGEN
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Suzanne Tucker/Unsplash DIE TIERWOHLABGABE ALS INSTRUMENT FÜR BESSERE HALTUNGSBEDINGUNGEN Sie kann aber nur ein erster Schritt sein Die Bedingungen der Nutztierhaltung in Deutschland müssen dringend verbessert werden. Eine erste Idee zur Finanzierung der notwendigen Maßnahmen ist eine Tierwohlabgabe. Langfristig sollten im Landwirt- schaftssektor unterschiedliche Instrumente zusammenarbeiten, die ne- ben dem Tierwohl auch Umwelt- und Klimaziele im Auge behalten. S kandal auf dem Tierwohl-Hof: Aktivisten filmen Zeitungen. Sie sind Zeugnis dafür, dass Nutztiere nicht verletzte Schweine in einem Betrieb der Initiative auf allen Höfen so glücklich leben, wie es die Werbebilder Tierwohl. Tierrechtler kritisieren Behörden für die auf Milch- und Wurstverpackungen suggerieren, und sie vergebenen Gütesiegel“ 1, „Tierskandal im Allgäu: vermitteln eindrücklich, dass sich in der Tierhaltung, bei Mehr Kontrollen, aber ohne Generalverdacht“ 2, „Immer Tiertransporten und in Schlachthöfen mancherorts etwas neue Skandale: Ist Thüringen die Schweinehölle?“ 3. Solche ändern muss. In die Medien schaffen es in der Regel nur die und ähnliche Schlagzeilen liest man immer wieder in den Extremfälle, bei denen ein bisschen finanzielle Unterstüt- Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021 35
zung im Rahmen einer Tierwohlabgabe nicht die Lösung darstellt, sondern vielmehr die Strafverfolgungsbehörden aktiv werden müssten. Doch unterhalb dieser Skandale gibt es rechtlich zulässige Formen der Nutztierhaltung, die mit artgerechter Haltung nur bedingt etwas zu tun haben. Spalt- böden, enge Kastenstände, Anbindehaltung oder wenig Be- schäftigungsmöglichkeiten gefährden die Gesundheit und das Wohl der Tiere. Die Umstrukturierung des Sektors: eine große finanzielle Belastung Doch Stallumbauten oder die Reduktion von Tierbestän- den, um mehr Platz zu schaffen, verursachen Kosten oder führen zu Mindereinnahmen, weshalb sich viele landwirt- schaftliche Betriebe finanziell nicht in der Lage sehen, diese erhoben wird. So würden die oft bestehende Preisdifferenz Investitionen ohne Unterstützung zu tätigen. Der Wissen- zwischen Waren aus artgerechter Haltung und anderen schaftliche Beirat das Bundesministerium für Ernährung weniger tierfreundlichen Haltungsformen verringert und und Landwirtschaft geht davon aus, dass jährlich rund Anreize gesetzt werden, sich für das im Sinne des Tierwohls fünf Milliarden Euro benötigt würden, um den Sektor bessere Produkt zu entscheiden. Hierfür müsste endlich das tierwohlgerecht umzubauen, Mehrkosten zu decken und schon lange erwartete staatliche Tierwohllabel sowie Kon- Einkommenseinbußen auf Grund reduzierter Tierbestände trollmechanismen eingeführt werden. Um auch Import- zu kompensieren. Die ErzeugerInnenpreise für Fleisch- und ware miteinzubeziehen, wäre langfristig eine europaweit Milchprodukte decken zum Teil jedoch nicht einmal die einheitliche Kennzeichnung der Haltungsbedingungen Produktionskosten, und allein mit den Einnahmen aus erstrebenswert. dem Verkauf ihrer Ware sind Investitionen in Stallum- Das unter dem Namen Borchert-Kommission bekannte bauten oder die Reduktion von Tierbeständen für viele Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung empfiehlt ergänzend LandwirtInnen finanziell kaum leistbar. Viele Konsumen- eine schrittweise Anhebung der gesetzlichen Mindeststan- tInnen befinden sich in einem Zwiespalt. Sie wünschen sich dards. Langfristig würde diese nicht nur LandwirtInnen Milch- und Fleischprodukte von Tieren aus artgerechter unterstützen, die zwar eine intrinsische Motivation, aber Haltung, zeitgleich sind sie sehr preisbewusst und ent- teilweise keine finanziellen Mittel haben, Tierwohlmaßnah- scheiden sich daher häufig für günstige Produkte. Es wäre men umzusetzen. Es würde damit auch ein ordnungsrecht- jedoch falsch, ausschließlich die EndverbraucherInnen für licher Rahmen geschaffen werden, der die ProduzentInnen den Preisdruck auf dem Fleisch- und Milchmarkt verant- von tierischen Produkten in die Pflicht nimmt. wortlich zu machen. Überproduktion und die Hoffnung, Selten erwähnt bleiben im Zuge dieses Diskurses die tierische Lebensmittel auf dem Weltmarkt vertreiben zu steigenden Milch- und Fleischexportquoten Deutschlands. können, geopolitische Maßnahmen wie das Russlandem- Laut Statistischem Bundesamt ist die Menge an exportier- bargo, Ereignisse wie das Auftreten der Schweinepest und tem Fleisch und Fleischwaren zwischen 2009 und 2019 um das daraus resultierende Exportverbot nach China und die rund 20 % gestiegen. Da die benötigten fünf Milliarden Marktmacht einiger weniger Handelsketten leisten ihren Euro Investitionsbedarf in Tierwohlmaßnahmen aber nur Beitrag zum Preisdumping. auf die innerhalb Deutschlands verkauften Waren erhoben würden, kämen deutsche KonsumentInnen dafür auf, dass Tierwohlabgabe, einheitliche Kennzeichnung, Menschen im Ausland tierische Produkte aus artgerechter Mindeststandards – Mögliche Maßnahmen Haltung kaufen können, ohne für die Mehrkosten zahlen zur Verbesserung der Situation zu müssen. Im Rahmen der Diskussion, welche Instrumente dem Land- Doch auch unter diesen Bedingungen wäre die finanzi- wirtschaftssektor zur Verfügung gestellt werden können, elle Mehrbelastung moderat. Legt man den durchschnitt- um LandwirtInnen zu unterstützen, die in artgerechte Hal- lichen Konsum pro Person und Jahr und die empfohlene tung investieren wollen, wird die Einführung einer Tier- Höhe einer Tierwohlabgabe der Borchert-Kommission zu- wohlabgabe diskutiert. Die Abgabe soll auf den Preis tieri- grunde, ergeben sich Mehrkosten in Höhe von zwei Euro scher Produkte aufgeschlagen werden und zur Finanzierung und 87 Cent pro Monat und Person. Diese sehr geringe der Umstrukturierung des Tierhaltungssektors beitragen. Mehrbelastung könnte von den meisten KonsumentInnen Zur Ausgestaltung dieser Abgabe gibt es verschiedene Vor- problemlos kompensiert werden, entweder durch das Zah- schläge. So könnte die Abgabe bedarfsspezifisch erhoben len des höheren Preises oder durch gelegentlichen Verzicht werden, sodass zum Beispiel die auf Schweinefleisch erho- auf Fleisch- und Milchprodukte. Von gravierenden sozialen bene Tierwohlabgabe den Investitionsbedarf in der Schwei- Verteilungseffekten im Zusammenhang mit einer Tierwohl- nezucht deckt, die auf Milchprodukte erhobene Abgabe den abgabe kann also nicht die Rede sein. Transferleistungen Bedarf in der Milchviehhaltung. Möglich wäre auch eine sollten aber selbstverständlich zeitgleich mit der Einfüh- nach Haltungsformen differenzierte Abgabe, wobei für Pro- rung einer solchen Abgabe angepasst werden, da Empfän- dukte aus nachweislich artgerechter Haltung (z. B. belegt gerInnen von Sozialleistungen bereits heute ein sehr knapp durch das EU-Biosiegel) keine oder eine geringere Abgabe kalkuliertes Budget für Lebensmittel zur Verfügung steht, 36 Schwerpunkt
Gerade mit Blick auf die globalen sozialen Implikationen des Klimawandels kann die Erhebung einer Tierwohlabgabe nur der erste Schritt bei einer Vielzahl von Maßnahmen im Landwirtschaftssektor sein. mit dem eine ausgewogene und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen und andererseits die Produktionsweisen kaum finanzierbar ist. und Konsumgewohnheiten so zu verändern, dass die Über- lastung der Umwelt durch Lebensmittelproduktion gestoppt Umwelt, Klima und Gesundheit wird. Hierzu gehört, dass Fleisch- und Milchwaren wieder müssen mitgedacht werden zu einem gelegentlichen Genussmittel werden müssen. Im Die Haltungsbedingungen von Nutztieren sind nur ein As- Gegenzug müssen sie mit einem Preis belegt werden, der die pekt, der in naher Zukunft von der Politik im Landwirt- Arbeit der ProduzentInnen honoriert, den Investitionsbe- schaftssektor adressiert werden muss. Die Emission von darf in der Landwirtschaft deckt und die Klimafolgekosten Treibhausgasen und Luftschadstoffen muss reduziert, die internalisiert. Biodiversität bewahrt und gefördert werden. Außerdem sind große Teile der landwirtschaftlichen Produktion Wet- Ann-Cathrin Beermann terereignissen wie Dürre, Starkregen und Sturm schutzlos ausgeliefert und somit besonders vulnerabel gegenüber dem Die Autorin ist Wissenschaftliche Referentin beim Forum Klimawandel, der die Häufigkeit und Intensität dieser Er- Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) eignisse erhöhen wird. Folglich müssen Anpassungsmaß- nahmen an die Auswirkungen des Klimawandels entwickelt und finanziert werden. Daher sollte Agrarpolitik ganzheit- 1 TAZ, 21.10.2016 lich gedacht werden und umwelt- sowie gesundheitspoliti- 2 Augsburger Allgemeine, 24.09.2020 sche Ziele mitberücksichtigt werden. Im Kontext der Tierwohlabgabe ist daher aus um- 3 Thüringen 24, 03.05.2017 weltpolitischer Perspektive wichtig, dass auch der Beitrag zur Realisierung von Umwelt- und Klimaschutzzielen zu einem Kriterium bei der Ausschüttung der Fördermittel gemacht wird. So sollte durch Stallumbauten kein zusätz- licher Flächenverbrauch entstehen, in Regionen mit hohen Nitratüberschüssen müssten die Bestandsdichte auf ein umweltverträgliches Maß reduziert und Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgas- und Luftschadstoffemissio- nen realisiert werden. Denn Tierwohl ist ein drängendes ethisch-moralisches Problem, dessen Behebung aber nicht die Bewältigung anderer, drängender Herausforderungen in den Hintergrund stellen darf. Gerade mit Blick auf die globalen sozialen Implikationen des Klimawandels kann die Erhebung einer Tierwohlabgabe nur der erste Schritt bei einer Vielzahl von Maßnahmen im Landwirtschaftssek- tor sein. Ökonomische Instrumente, die Klimafolgekosten internalisieren, Anreize zu nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum setzen oder Umweltsystemdienst- leistungen wie das Anlegen von Agroforsten und die Rena- turierung von Mooren honorieren, sind hier eine Schlüssel- komponente des politischen Werkzeugkastens. Sie können aber nicht alle Probleme gleichermaßen gut adressieren, weshalb in Zukunft alle umweltpolitischen Instrumente – von der Information bis zum scharfen Schwert des Ord- nungsrechts – genutzt werden müssen, um einerseits Land- wirtInnen langfristig ein existenzsicherndes Einkommen Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021 37
RUNDBRIEF Forum Umwelt und Entwicklung 2/2021 REICHT’S FÜR ALLE ? WELTERNÄHRUNG AN DEN GRENZEN DES WACHSTUMS WATER FUTURES MANCHMAL IST DIE TRANSFORMATION ERNÄHRUNGSSYSTEME WENIGER MEHR ALS ANLAGEOBJEKT Eine gefährliche Form DER ERNÄHRUNGSSYSTEME der Kommerzialisierung Abschied von Weltmärkten Richtungs- & Machtfragen Folgen der Finanzialisierung durch global-solidarische von Ernährung & von Wasser der Welternährungspolitik Regionalisierung Landwirtschaft › Seite 32 › Seite 17 ISSN 186 4-0 982 › Seite 14 › Seite 7
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