SCHLUSS MIT HORMONGIFTEN! - NGOs fordern von der Bundesregierung, endlich die Belastung mit Hormongiften zu stoppen - Forum Umwelt ...

 
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SCHLUSS MIT HORMONGIFTEN! - NGOs fordern von der Bundesregierung, endlich die Belastung mit Hormongiften zu stoppen - Forum Umwelt ...
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SCHLUSS MIT
HORMONGIFTEN!
NGOs fordern von der Bundesregierung,
endlich die Belastung mit Hormongiften
zu stoppen
Hormonell schädliche Chemikalien (endocrine disrupting
chemicals, EDCs) finden sich in vielen Alltagsprodukten und
werden mit gesundheitlichen Schäden wie Unfruchtbarkeit,
hormonell bedingten Krebsarten und neurologischen Erkran-
kungen in Zusammenhang gebracht. Jetzt hat ein Bündnis
von Organisationen der Zivilgesellschaft in Deutschland ein
Maßnahmenpaket für die politisch Verantwortlichen ge-
schnürt. Die Bevölkerung muss endlich auch in Deutschland
besser vor der Belastung mit hormonschädlichen Chemikali-
en geschützt werden. Das fordern die Autorinnen des jetzt
veröffentlichten Forderungspapiers Hormongifte Stoppen!
Wir brauchen einen EDC-Aktionsplan.

                     Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021           51
SCHLUSS MIT HORMONGIFTEN! - NGOs fordern von der Bundesregierung, endlich die Belastung mit Hormongiften zu stoppen - Forum Umwelt ...
E
              DCs finden sich in vielen Produkten aus Plastik,
              in Kosmetik, Textilien, Spielzeug, als Rückstände
              endokriner (hormonell wirksamer) Pestizide in Le-
              bensmitteln, in Biozidprodukten und vielem mehr –
     meist ohne Wissen der VerbraucherInnen.
         Hormongifte sind Substanzen, die das Hormonsys-
     tem stören. Sie werden auch als endokrine Disruptoren
     bezeichnet und können zum Beispiel natürliche Hormone
     blockieren oder nachahmen und dabei wichtige Abläufe im
     Körper zu früh, zu spät oder gar nicht auslösen. Besonders
     bekannte Hormongifte sind etwa Zusätze in Kunststoffen
     wie Bisphenol A und Phthalate (Weichmacher), aber auch
     bestimmte Pestizide und Biozide haben diese gefährliche       Regulierung von EDCs in der EU
     Stoffeigenschaft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)       Endokrine Eigenschaften sollen bei der Stoffbewertung
     hat gemeinsam mit dem Umweltprogramm der Vereinten            von Chemikalien in allen betroffenen EU-Gesetzgebun-
     Nationen (UNEP) im Jahr 2012 einen Bericht zu EDCs und        gen berücksichtigt werden. Das hat die EU 1999 in einer
     deren Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen veröffent-          Strategie zum Umgang mit EDCs festgeschrieben. Es
     licht. Sie bezeichnen EDCs als „globale Bedrohung“.  1 Ver-   mangelte aber lange an Definitionen und wissenschafts-
     schiedene Untersuchungen gehen von rund 800 bis 1.000         basierten Kriterien für die Identifizierung von EDCs.
     Chemikalien mit endokriner Wirkung aus. Studien zeigen,       Konkret wurde es erst zehn Jahre später mit der Überar-
     dass in allen Kindern und Erwachsenen EDCs nachgewie-         beitung des europäischen Pestizidrechts. Dabei wurden
     sen werden können. Auch Lebensmittel sind oft belastet:       Verwendungsverbote (inklusive Ausnahmeregelungen)
     Eine Analyse zeigt, dass rund 23 % aller untersuchten Obst-   für solche Pestizide und Biozide festgeschrieben, die
     und Gemüseproben in der EU mindestens einen solchen           hormonschädigende Eigenschaften haben können. Dazu
     Pestizidrückstand aufweisen und in jeder achten bis neun-     sollten auch Identifizierungskriterien festgelegt werden.
     ten Probe mehrere hormonell wirksame Pestizidrückstände       Trotz erheblichen Lobbydrucks und um Jahre verspätet
     nachzuweisen waren.  2                                        trat 2018 eine politische Einigung über eine Definition
                                                                   in Kraft. Obwohl stark verbesserungswürdig wurde mit
     EDCs sind allgegenwärtig und gefährlich                       dem Inkrafttreten dieser Kriterien für das Biozid- und
     EDCs werden unter anderem mit folgenden Krankheiten           das Pestizidrecht zum ersten Mal der Weg für eine syste-
     in Zusammenhang gebracht: Diabetes Typ II, Übergewicht,       matische Identifizierung und Regulierung im Stoffrecht
     männliche und weibliche Fortpflanzungsstörungen wie Un-       beschritten.
     fruchtbarkeit, Brustkrebs, Hodenkrebs, Schilddrüsenkrebs,         Mittlerweile müssen Pestizide und Biozide im Rah-
     Herzprobleme, Asthma, neurologische Störungen, Ent-           men der Stoffgenehmigung und der Mittelzulassung auf
     wicklungsstörungen und Verhaltensstörungen wie ADHS.          ihre hormonstörenden Eigenschaften nach Vorgaben der
     Die verstärkte Zunahme dieser Krankheiten kann nicht          vereinbarten Kriterien überprüft werden. Allerdings sto-
     allein mit genetischen Effekten erklärt werden, bestätigen    cken viele Verfahren, weil in vielen Fällen die von den
     WissenschaftlerInnen. Neben anderen Faktoren spielen          Antragstellern vorgelegten Daten gar nicht oder nur un-
     auch EDCs eine Rolle. Verschiedene Untersuchungen zei-        zureichend sind, um endokrine Wirkungen und Schäden
     gen, dass die Gesundheitskosten durch die EDC-Exposition      zu erkennen und zu bewerten.
     extrem hoch sind. Sie beziffern die Gesundheitskosten in
     der EU in Bezug auf männliche Reproduktionsstörungen          Hin zu einer umfassenden
     auf 15 Milliarden Euro, in Bezug auf Übergewicht und          EDC-Strategie auf allen Ebenen
     Diabetes auf über 18 Milliarden Euro, und in Bezug auf        Das Ziel, EDCs wirksam zu regulieren, ist noch lange
     neurobehaviorale Defizite und Krankheiten auf über 150        nicht erreicht. Deshalb hat die EU-Kommission 2017 eine
     Milliarden Euro jährlich.  3                                  Überarbeitung der EDC-Strategie von 1999 angekündigt.
         EDCs wirken sich auch auf die Umwelt aus. Sie können      Herausgekommen ist bislang aber nur ein Kommunika-
     die Gesundheit und Überlebenschancen von Tieren nega-         tionspapier und das Vorhaben, zunächst eine Folgenab-
     tiv beeinflussen. Wachstum, Geschlecht, Verhalten und         schätzung für alle betroffenen Gesetzesbereiche durchzu-
     Fortpflanzung werden durch EDCs beeinträchtigt. Die           führen, anstatt endlich konkrete Maßnahmen, Zeitpläne
     Auswirkungen des Biozids Tributylzinn (TBT), das gegen        und Ziele zu formulieren.
     den Bewuchs an Schiffrümpfen eingesetzt und entlang der           Die NGO-Allianz „EDC-Free Europe“ fasste 2018 in
     internationalen Schifffahrtsrouten kontinuierlich in die      einem Acht-Punkte-Katalog ihre zentralen Forderungen
     Meeresumwelt freigesetzt wurde, führt beispielsweise selbst   zum Umgang mit EDCs zusammen, unter anderem die
     bei niedrigsten TBT-Konzentrationen im Nanogrammbe-           dringende Notwendigkeit zur EDC-Regulierung in allen
     reich zur Ausbildung von Penissen bei weiblichen Mee-         betroffenen Gesetzgebungen wie für Kosmetika und Spiel-
     resschnecken. Seit 2003 sind TBT-haltige Schiffsanstriche     zeug, und die Festlegung einer umfassenden Strategie.  4
     in den Mitgliedsländern der Internationalen Schifffahrts-     Auch das EU-Parlament votierte mit großer Mehrheit im
     Organisation verboten, aber weiterhin in der Umwelt nach-     April 2019 für eine nicht bindende Resolution an die EU-
     zuweisen.                                                     Kommission, damit diese einen Gesetzesentwurf zum

52   Aus dem Forum
Eine globale Bedrohung braucht
         auch globale Lösungen.

Umgang mit EDCs vorlegt. Diese Position findet auch            zu EDCs arbeitet, ist der Strategische Ansatz für ein Inter-
im Rat der Europäischen Union Unterstützung.                   nationales Chemikalienmanagement SAICM.  5 Leider sind
    Gerade, weil auf EU-Ebene die Regulierung von EDCs         bisher nur – nach langer Verspätung und unter enormem
entweder noch nicht existiert oder sehr schleppend voran-      Lobbydruck – drei beschreibende Berichte erschienen. Nur
schreitet, bedarf es umso mehr der Initiative auf deutscher    wenige Aufklärungsmaterialien wurden erstellt. Insgesamt
Ebene. Was möglich wäre, zeigt Frankreich: Das Land hat        ist die Arbeit zu EDCs im Rahmen von SAICM ungenügend
bereits zum zweiten Mal einen umfangreichen Aktionsplan        und halbherzig. Es ist dringend notwendig, nicht erreichte
zum Schutz vor EDCs aufgestellt.                               Ziele, auch in einem Nachfolgeprozess von SAICM, dessen
    Mit ihrer Kampagne „Hormongifte stoppen!“ fordern          Mandat gegenwärtig unter Pandemie-Bedingungen – und
die Organisationen HEJSupport, das Pestizid Aktions-           deutscher Präsidentschaft – verhandelt wird, weiterzuver-
Netzwerk Deutschland und Women Engage for a Common             folgen und gegebenenfalls mit verbindlichen Verpflichtun-
Future unter anderem:                                          gen für die Akteure zu versehen.
  » Strengere Regulierung in Deutschland und Europa, bei-
    spielsweise in Form eines Verbots von EDCs in Alltags-                                           Wolfgang Obenland
    produkten, und ein Verbot von chemisch-synthetischen
    Pestiziden und Bioziden für Laien, ergänzt um die Ein-     Der Autor leitet den Arbeitsbereich Internationale
    führung von Lenkungsinstrumenten wie Steuern und           Chemikalienpolitik beim Forum Umwelt & Entwicklung
    Abgaben für gefährliche Chemikalien, inklusive EDCs;
  » eine einheitliche Identifizierung und Klassifizierung
    von bekannten und verdächtigen EDCs auf EU-Ebene;
  » von der Bundesregierung die Initiierung einer Strategie       Zur Kampagnenwebseite mit weiteren
    zur Minderung der Belastung durch endokrine Disrup-           Informationen:
    toren mit konkreten Zielen, Zeitplänen und der Bereit-        https://hej-support.org/hormongifte-stoppen/
    stellung von Finanzmitteln für Forschungsaktivitäten,
    Förderung von Alternativen und Informationskampa-
    gnen;
  » eine Informationskampagne für alle, besonders aber für     1 WHO, UNEP (2013): Global Assessment of the State of the
    Schwangere und Familien, mit dem Ziel der Expositi-          Science of Endocrine Disruptors.
    onsreduktion, ähnlich der AIDS-Kampagnen;                    https://apps.who.int/iris/handle/10665/78101
  » eine Deklarationspflicht für ProduzentInnen und Han-
                                                               2 PAN Europe (2017): Endocrine Disrupting Pesticides in European
    del. Jeder Anbieter muss Verbraucherinformationen zu
                                                                 Food.
    den Inhaltsstoffen seiner Produkte inklusive der Ver-
                                                                 https://www.pan-europe.info/sites/pan-europe.info/files/
    packung unmittelbar (also auf dem Produkt oder der
                                                                 Report_ED%20pesticides%20in%20EU%20food_PAN%20
    Verpackung) zur Verfügung stellen;
                                                                 Europe.pdf
  » die engagierte Mitarbeit der Bundesregierung an einer
    neuen, umfassenden EDC-Gemeinschaftsstrategie der          3 WHO, UNEP (2012) sowie https://academic.oup.com/jcem/
    EU, unter anderem im Rahmen des 7. Umweltaktions-            article/100/4/1267/2815068 und https://ehp.niehs.nih.gov/
    programms;                                                   doi/10.1289/EHP358.
  » die Umsetzung eines Arbeitsschwerpunktes Endokrine         4 EDC Free Europe (2018): Acht Forderungen für eine EU EDC-
    Disruptoren im Rahmen des Aktionsprogramms Um-               Strategie. https://pan-germany.org/download/
    welt und Gesundheit;                                         acht-forderungen-fuer-eine-eu-edc-strategie/
  » die Veröffentlichung und kontinuierliche Aktualisie-       5 Vgl. Rundbrief IV/2019 https://www.forumue.de/rundbrief-iv-
    rung einer Liste von identifizierten oder verdächtigen,      2019-die-geister-die-wir-riefen-chemikalien/
    hormonstörenden Chemikalien, die einfach öffentlich
    zugänglich und verständlich ist.

Eine globale Bedrohung braucht auch globale Lösungen.
Die einzige internationale politische Plattform, die derzeit

                                                         Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021                           53
RUNDBRIEF
Forum Umwelt und Entwicklung                                                                 2/2021

                                   REICHT’S FÜR ALLE ?
                                   WELTERNÄHRUNG AN DEN
                                   GRENZEN DES WACHSTUMS
                                                              WATER FUTURES            MANCHMAL IST
   DIE TRANSFORMATION          ERNÄHRUNGSSYSTEME                                       WENIGER MEHR
                               ALS ANLAGEOBJEKT               Eine gefährliche Form
   DER ERNÄHRUNGSSYSTEME                                      der Kommerzialisierung   Abschied von Weltmärkten
   Richtungs- & Machtfragen    Folgen der Finanzialisierung                            durch global-solidarische
                               von Ernährung &                von Wasser
   der Welternährungspolitik                                                           Regionalisierung
                               Landwirtschaft                                          › Seite 32
                                                              › Seite 17                            ISSN 186 4-0 982
                               › Seite 14
   › Seite 7
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