Die Vielfalt und Bedeutung der Totholzkäfer - Verborgener Mikrokosmos - Kanton ...
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Amt für Wald und Naturgefahren Verborgener Mikrokosmos Die Vielfalt und Bedeutung der Totholzkäfer www.wald-naturgefahren.gr.ch Faktenblatt 21 Amt für Wald und Naturgefahren Erste Auflage Uffizi da guaud e privels da la natira Ufficio foreste e pericoli naturali August 2021 1
Käfer sind häufig und gut gepanzert Die häufigste Tiergruppe auf der Käfer viel schnellere Bewegungen wahr- Erde sind Käfer. Jede vierte Tierart nehmen als der Mensch. Die Antennen, Deckflügel Fühler weltweit und jede fünfte Tierart in der die wir umgangssprachlich als Fühler be- Schweiz gehört zu den Käfern. Welt- zeichnen, dienen als Tast- und Geruchs- weit zählt man ungefähr 350’000 organ. Sie sind in einzelne Glieder unter- verschiedene Käferarten. In der teilt und sehr unterschiedlich geformt. Schweiz sind es bis heute rund 6’300, Auge Käfer haben zudem ausgeprägte beis- wobei sich die Liste jährlich erwei- sendkauende Mundwerkzeuge. Diese tert. Es werden fortlaufend weitere Kop f sind je nach bevorzugtem Speiseplan Arten nachgewiesen, welche in Bru unterschiedlich geformt. Bei den männ- st unserem Land oder in Graubünden lichen Hirschkäfern sind Teile davon das erste Mal gefunden werden. stark vergrössert. Diese Art «Geweih» Beine Wie die übrigen Insekten haben Käfer dient nicht mehr der Nahrungsaufnah- Hin terl e ib einen dreiteiligen Körper aus Kopf, me, sondern im Kampf um die begehr- Brust und Hinterleib. Charakteristisch ten Weibchen gegen andere Rivalen. für Käfer ist ihre gut gepanzerte Aus- Das Hirschkäfermännchen ist mit bis Hinterflügel senschale. Die äusseren Deckflü- zu 8 cm Körperlänge der grösste Käfer gel sind verhärtet und schützen die in der Schweiz. Nicht immer sind bei Bauplan eines Käfers (Beispiel Scharlachroter häutigen Hinterflügel sowie den ver- den Käfern die Männchen grösser. Feuerkäfer; Bild: Jason Steel). letzlichen Hinterleib. Vor dem Abflug werden die Deckflügel hochgeklappt, damit die darunterliegenden Hinter- flügel für den Flug entfaltet und in Bewegung gesetzt werden können. Meist gut erkennbar sind die drei Bein- paare, die an der Brust verankert sind. Der Kopf trägt die meisten Sinnesorga- ne. Mit den Komplexaugen können Waldmaikäfer haben gefächerte Fühler. Ein Hirschkäfermännchen Mit ihnen spüren die Männchen bei der mit den geweihartig vergrösserten Paarung die Weibchen auf (Bild: T. Marent). Mundwerkzeugen (Bild: J. Hassler). Wussten Sie, dass... Verkürzte Deckflügel • der Riesenbockkäfer der tropischen Regenwälder Südamerikas, der längste Käfer weltweit, bis 20 cm lang werden kann? • das Glühwürmchen auch ein Käfer ist, dessen Weib- chen am Hinterleib ein Der Braunrote Raubkurzflügler gehört Leuchtorgan besitzt und zur artenreichsten Käferfamilie der durch dessen Licht in der Schweiz, zu den Kurzflügelkäfern. Diese Käferarten haben verkürzte Paarungszeit die Männchen Deckflügel. Die längeren Hinter- angelockt werden? flügel werden auf eindrückliche Art und Weise unter den Deck- • man das Hochklappen der Beim Alpenbock ist Deckflügel beim Abflug eines flügeln zusammengefaltet das Weibchen (rechts) (Bild: B. Wermelinger, WSL). Marienkäfers besonders grösser, das Männchen (links) hat dafür viel längere Fühler Schauen Sie selbst: gut beobachten kann? (Bild: L. Borowiec). 2
Die verschiedenen Lebensabschnitte Jeder vierte Käfer in der Schweiz ist in käfer brauchen im Gegensatz dazu für seiner Lebensweise an Holz gebunden. die gesamte Entwicklung nur ein paar Alle Käferarten, welche ohne den Le- Monate. Sie pflanzen sich am inneren bensraum Holz nicht überleben könnten, Rand der Rinde fort, wo die Larven im bezeichnet man als Totholzkäfer. Holz Bast nährstoffreiche Nahrung finden. kann ihre direkte Nahrungsquelle, oder Totholzkäfer sind für den Wald unver- alte sowie abgestorbene Bäume ihr ein- zichtbar. Die Larven zerkleinern beim ziger Lebensraum sein. Man zählt eben- Nagen von Gängen das Holz und er- so jene Käfer zu den Totholzkäfern, wel- höhen so die Angriffsfläche für viele che sich in Holzpilzen entwickeln, noch holzabbauende Pilze und Bakterien. lebende Bäume besiedeln, oder sich Nagelöcher und Larvengänge erhöhen Totholzkäfer brauchen kräftige Mundwerkzeuge, von anderen Totholzinsekten ernähren. um sich nach der vollendeten Entwicklung ins Freie die Feuchtigkeit und Sauerstoffzufuhr Käfer entwickeln sich in ihrem Lebens- im Holzinnern, was den Holzabbau nagen zu können. Bestens ausgerüstet dazu ist der Grosse Pappelbock (Bild: B. Wermelinger, WSL). zyklus in vier verschiedenen Stadien: beschleunigt. Ohne die Käfer würde Vom Ei zur Larve, weiter zur Puppe und dieser Abbau ungemein viel länger schliesslich zum ausgewachsenen Käfer dauern. Käfer übernehmen so im Wald- (Imago genannt). Je nach Käferart be- ökosystem eine wichtige Aufgabe beim vorzugen sie für ihre Entwicklung unter- Recycling von Holz. Da Holz (Zellulose) schiedliche Teile des Baumes: Rinde, schwer in Energie umgewandelt wer- Holzkörper des Baumstammes, Äste den kann, helfen im Darm von gewis- oder auch Wurzeln. Käferarten wie sen Käfern auch spezialisierte Bakterien beispielsweise der Grosse Eichenbock und Pilze bei der Verdauung des Holzes brauchen für die vollständige Entwick- mit. Totholzkäferarten, die sich nach der lung mehrere Jahre. Sie verbringen den Verpuppung von Blütenpollen ernähren, grössten Teil ihres Lebens als Larve helfen bei der Bestäubung von Pflan- im Holz. In den wenigen Wochen als zen. Für viele Tierarten, insbesondere Die Larve eines Balkenschröters frisst sich durch ausgewachsene Käfer suchen sie einen Vögel, sind die Totholzkäfer und deren das Holz und ‚schrotet’ dieses in kleine Stücke (Bild: B. Wermelinger, WSL). Geschlechtspartner. Nach erfolgreicher Larven eine wichtige Nahrungsquelle. Paarung legt das Weibchen die Eier in der Rinde oder im Holzkörper ab und der Zyklus beginnt von vorne. Borken- Der Lebenszyklus eines Totholzkäfers am Beispiel des Grossen Eichenbocks (Bilder: shutterstock.com). Ei Die Verpuppung dieses Käfers ist erfolgt. Das Tier entwickelt sich nun zum aus- Larve gewachsenen Käfer (Bild: J. Hassler). Puppe Wussten Sie, dass... • Totholzkäfer meist den grössten Teil ihres Lebens als Larve verbringen? Imago (ausgewachsener Käfer) • die aus der Puppe geschlüpften Käfer immer dieselbe Grösse behalten? • die teils prachtvollen, geschlüpften Käfer meist nur ein paar Wochen alt werden? 3
Der vielfältige Mikrokosmos FRISCHES TOT HOL Z MORSCHES TOT HOL Z MODERHOL Z MULM Holz ist nicht gleich Holz für einen Während der Zersetzungsphase neh- Besiedler Totholzkäfer. Die Holzeigenschaften men jene Totholzkäferarten zu, welche lebender Bäume verändern sich bei dessen Abbau kon- sich räuberisch von anderen Totholz- tinuierlich. Viele Totholzkäfer haben insekten ernähren. Es existieren zudem spezialisierte Lebensweisen, die vom Pilzbewohner, deren Larven sich von Zustand des Holzes abhängen. Pioniere spezifischen Baumpilzen ernähren oder können bereits einen geschwächten, sich in Pilzfruchtkörpern entwickeln. lebenden Baum besiedeln und ihn im Der fortschreitende Zersetzungspro- Extremfall zum Absterben bringen. zess weicht das Holz weiter auf und Frisch abgestorbenes Holz ist noch um- es entsteht sogenanntes Moderholz. geben von der nährstoffreichen Rinde, Viele Käfer, Fliegen- und Mückenlar- welche Erstbesiedlern besonders gute ven, die sich im Moderholz entwickeln, Nahrung bietet. Durch die Aktivität der leben vom Pilzgeflecht, welches das Gewisse Borkenkäfer sind bekannt Totholzkäfer und das Austrocknen der Holz abbaut. Zuletzt verliert das Holz dafür, dass sie geschwächte aber Rinde fällt diese ab. Je wärmer und seine zusammenhängende Struktur noch lebende Bäume besiedeln und deren Absterben einleiten oder feuchter der Standort ist, desto schnel- und verkommt zu einem lockeren, beschleunigen können. Abgebildet ler wird das nun freigelegte Holz abge- pulvrigen Gemisch, dem sogenann- der bekannteste Borkenkäfer der 112 baut. Der Abbau von austrocknenden ten Mulm. Dieses Gemisch besteht Schweizer Borkenkäferarten: der Dürrständern erfolgt langsam. Liegen- aus kleinen Holzpartikeln, vermischt rund 4.5 mm lange «Buchdrucker». (Bild: B. Wermelinger, WSL). des Totholz mit Kontakt zum feuchten mit Kot von Totholzinsekten. Waldboden wird schneller von Pilzen, Die Besiedlung von Totholz hängt von Erstbesiedler Bakterien sowie Käfern besiedelt und vielen Aspekten ab: Zersetzungsgrad, abgestorbener Bäume dadurch rascher weicher und morsch. Feuchtigkeitsgehalt und Pilzbewuchs des Holzes sowie Stammdurchmes- ser und Besonnung. Am Anfang des Holzabbaus hat die Baumart einen grossen Einfluss, welche Käfer sich darin entwickeln können. Jede zweite Totholzkäferart bevorzugt Laubholz als Lebensraum, nur jede vierte dagegen lieber Nadelholz. Je weiter das Holz abgebaut ist, desto weniger entschei- dend ist die Baumart für die Käferarten. Der Schusterbock ist ein typischer Erstbesiedler abgestorbener Fichten (Bild: Y. Chittaro). 4
Käfer der Viele wenig bekannte sowie Verschiedene Totholzkäferarten benöti- Zersetzungsphase gefährdete Totholzkäfer gen zum Überleben grosse Mengen an Totholz, was im Schweizer Wald nicht Die meisten der 1’750 Totholzkäfer- überall in genügendem Masse vorhan- arten in der Schweiz leben unauf- den ist. Zudem sind alte, absterbende fällig. Vereinzelte Holzkäferarten, Bäume mit dicken, toten Ästen und welche Schäden am Wald anrichten Höhlen, selten geworden. Bei vielen können, bilden die Ausnahme. Viele seltenen Totholzkäferarten ist daher das Totholzkäferarten sind so wenig Überleben in der Schweiz gefährdet. bekannt, dass sie keinen deutschen Namen besitzen und man den wis- Um die Gefährdung bedrohter Lebewe- senschaftlichen, lateinischen Namen sen in der Schweiz zu messen, werden (kursiv geschrieben) verwendet. Rote Listen erstellt. In diesen wird der Der Balkenschröter entwickelt sich in Gefährdungsgrad der Arten eingestuft In den vergangenen Jahrhunderten morschem Holz von Laubbäumen. und es werden Massnahmen empfoh- wurden Wälder aufgrund des hohen len, mit denen das Überleben der Arten Energiebedarfs für den Bergbau, die Natürliche Feinde gesichert werden soll. In der Schweiz Kalkbrennerei oder die Kohleherstel- von Totholzkäfern wurde bisher eine Rote Liste für vier lung stark genutzt. Bis zum Beginn Käferfamilien mit mehrheitlich Totholz- der 1950er Jahre war der Energie- käferarten erstellt. Sie umfasst 256 holzbedarf enorm hoch. Jeder am Bo- Arten aus den Familien der Prachtkäfer, den liegende Ast sowie dünne, tote, Bockkäfer, Rosenkäfer und Schröter. stehende Stämme wurden durch die Jeder achte dieser Totholzkäfer ist in Bevölkerung als Brennholz genutzt. der Schweiz vom Aussterben bedroht. Es entstanden ausgeräumte Wälder und der Lebensraum der Totholzkä- ferarten wurde stark eingeschränkt. Urwald Die Larven des Scharlachroten Ein Urwald ist ein vom Menschen Feuerkäfers leben unter der nicht beeinflusster, unberührter gelockerten Borke abgestorbener Bäume. Sie ernähren sich bevorzugt 36% Wald. Das gilt für die meisten tropi- schen Regenwälder wie auch für den von anderen Totholzkäferlarven. Nicht gefährdet Fichtenurwald Scatlé in Graubünden. In Urwäldern erreichen Bäume ein Besiedler von Baumpilzen sehr hohes Alter und sterben auf na- türliche Weise ab. Da kein Holz ent- nommen wird, ist die Totholzmenge 18% in einem Urwald um ein Vielfaches Potenziell gefährdet höher als im Wirtschaftswald. Der Vergleich zwischen dem Fichtenur- wald Scatlé und der durchschnittli- 16% chen Menge Totholz in Graubünden Verletzlich zeigt den deutlichen Unterschied. Durchschnittliche Totholzmenge in Kubikmeter (m³) Der Vierfleckige Baumschwamm- 17% pro Hektare im Bündner Wald: käfer lebt in Baumpilzen. Stark gefährdet (Bild: B. Wermelinger, WSL). 12% Vom Aussterben bedroht 1% Urwald Scatlé Im Durchschnitt Ausgestorben 269 m³ 26 m³ Die 256 Käferarten der Roten Liste der Schweiz, pro Hektare pro Hektare aufgeteilt nach ihrem Gefährdungsgrad. 5
Das Überleben der Totholzkäfer sichern Damit das Überleben aller Lebewesen Ein Habitatbaum bietet vielen gesichert wird, welche auf alte Bäume Lebewesen ein Zuhause und Totholz angewiesen sind, werden im Kanton Graubünden diverse Mass- nahmen getroffen. Mit der naturnahen Waldbewirtschaftung werden durch die Kronentotholz Forstbetriebe bewusst Totholz sowie ökologisch wertvolle Einzelbäume im Bestand belassen. In grossflächigen Naturwaldreservaten wird der Wald seiner natürlichen Entwicklung über- lassen, so dass die Bäume ihr natür- liches Alter erreichen können. Im be- wirtschafteten Wald werden kleinere Flächen mit alten Bäumen und viel Baumhöhle Totholz ausgeschieden und dort auf jegliche Eingriffe verzichtet. Diese Flächen nennt man Altholzinseln. Grosse Totholzäste In Sonderwaldreservaten wird die Risse und Spalten Bewirtschaftung auf die Lebensraum- aufwertung von gewissen Tier- und Rindenverletzungen Pflanzenarten sowie auf alte Kulturfor- Grobe, alte Borke men ausgerichtet. Im Eichwald von Tamins hilft die Förderung der Eiche Mulmhöhle beispielsweise jenen Totholzkäfern, Grosse Wurzelanläufe die alte, knorrige Eichen bewohnen. Im Wald werden zudem bewusst alte, Pilzfruchtkörper grosse, teils absterbende Bäume stehen gelassen. Sie werden als Habitatbäume bezeichnet und können vertraglich ge- schützt werden. Sie zeichnen sich durch Mulmhöhle besondere und seltene Kleinstlebens- räume, sogenannte Baummikrohabitate Wenn sich in einer Baumhöhle Mulm aus. Oftmals beherbergen solche Habi- bildet und ansammelt, spricht man von tatbäume sehr selten gewordene und einer Mulmhöhle. Mulm ist ein Gemisch anspruchsvolle Totholzkäferarten.Der aus zersetztem Holz und Exkrementen langsame Alterungs- und Abbauprozess von Insekten oder anderen Tierarten schafft relativ konstante Lebensbedin- wie Fledermäusen. Die Entstehung ei- gungen über Jahrzehnte. Baummikroha- ner Mulmhöhle dauert oft Jahrzehnte. bitate sind sehr wertvoll, da sie von spe- In ihr leben seltene und gefährdete zialisierten Tier-, Pflanzen-, Pilz-, Moos- Totholzkäferarten wie der Eremit und und Flechtenarten besiedelt werden. der Veränderliche Edelscharrkäfer. In Mulmhöhlen, welche durch Rosen- Drei Rosenkäferlarven im Mulm, käfer bewohnt werden, findet man einem Gemisch aus Käferkot Teile von Kokons. In diesen verpuppen und verrottendem Holz. sich die Larven. 6
Wer wohnt alles in unserem Wald? «Man liebt nur, was man steht verschiedensten Waldorganis- So wurden in den vergangenen men nicht mehr zur Verfügung. Nur Jahren in ungenutzten Wäldern kennt und man schützt nur, wenn wir die vielfältigen Zusammen- verschiedener Waldhöhenstufen was man liebt». hänge des Lebensraumes verste- Totholzkäfererhebungen durchgeführt. Konrad Lorenz hen, können wir die Auswirkungen Es ist ein faszinierender Mikrokosmos, unseres Handelns abschätzen. der einem bei einem Waldspazier- Das Handeln von uns Menschen gang nicht direkt ins Auge sticht. veränderte den Lebensraum Wald in Zur Erhaltung und Förderung der den vergangenen Jahrhunderten und Biodiversität in den Wäldern Grau- tut es heute noch. Der Anteil Holz, den bündens, wird deshalb seit 2009 wie- wir als nachhaltigen Rohstoff nutzen, der aktiv zu Totholzkäfern geforscht. Unteres Prättigau – Panas-ch/Ischla da Strada – Biosfera Val Müstair – Crap Ses – Waldföhren- drei verschiedene Wald- Auenwald (buchenfreier fünf verschiedene Wald- wald (Seite 10) höhenstufen Laubwald, Seite 12) höhenstufen (Seite 13) Scatlé – Subalpiner Fichtenwald (Seite 8) Buchenfreie Laubwälder Buchenwälder Tannen-Buchenwälder Tannen-Fichtenwälder Subalpine Fichtenwälder Lärchen-Arvenwälder Waldföhrenwälder Bergföhrenwälder Schweizerischer Nationalpark – Berg- Naturpark Beverin – föhrenwald fünf verschiedene Waldhöhenstufen Totholzkäfererhebungen in den verschiedenen Mont Grand Soazza – Capetta- und Waldhöhenstufen im Kastanienselve (buchen- Cröterwald – Lärchen- Kanton Graubünden freier Laubwald, Seite 11) Arvenwald (Seite 9) (AWN, 2021). Wussten Sie, dass... Urwaldreliktarten • gewisse in Graubünden Ein Hinweis, wie ungestört ein Wald in der lebende Käferarten in ganz Vergangenheit war, kann die Häufigkeit von Mitteleuropa selten sind? sogenannten Urwaldreliktarten geben. Die Bezeichnung Urwaldreliktart bedeutet, dass eine Totholzkäferart in der Schweiz oder in ganz Mitteleuropa (Eckelt et al. 2018) nur noch sehr selten vorkommt und für ihr Der Nachweis der Urwaldreliktart Corticaria Überleben alte Wälder und Bäume sowie lateritia in einem Waldföhrenwald war einer viel Totholz benötigt. Ihr Vorkommen zeigt von mehreren bemerkenswerten Funden in an, dass urwaldähnliche Zustände im Gebiet Graubünden. Der Käfer wurde zuvor in der Schweiz erst dreimal nachgewiesen. vorhanden sind. In Graubünden wurden Der 1.8 mm kleine Käfer kommt vor allem im Rahmen der Totholzkäfererhebungen an verpilzten, trockenen Borken von Nadel- 37 Urwaldreliktarten nachgewiesen. bäumen vor (Bild: L. Borowiec). 7
Zu Hause im Urwald Der Urwald Scatlé liegt im Val Frisal, Durch Naturereignisse wie Lawinen, Diese finden unter den altersschwa- einem Seitental der Surselva, das bei Stürme, starke Schneefälle oder den chen Fichten beste Bedingungen, um Breil/Brigels nach Norden abzweigt. Befall durch Pilze und Insekten, sterben sich zu ernähren und fortzupflanzen. Er erstreckt sich von etwa 1’500 bis immer wieder stattliche Bäume ab. Ihre Feinde sind jedoch mit 24 Arten 2’000 m ü. M. Die dominierende Folglich resultiert daraus eine enorm ebenso zahlreich vertreten. Der Fund Baumart ist die Fichte. Pollenanalysen hohe Totholzmenge und beste Lebens- des Kurzflügelkäfers Trigonurus mellyi haben gezeigt, dass forstliche Ein- bedingungen für diverse Totholzkäfer. war eine bemerkenswerte Entdeckung. griffe in diesem Wald bis zurück ins Von dieser höchst seltenen Urwald- 13. Jahrhundert ausgeschlossen wer- Bei der Untersuchung der Totholz- reliktart gelang einzig vor über 100 den können. Er ist somit einer der käfervielfalt in Scatlé konnten 330 ver- Jahren ein Nachweis in der Schweiz letzten Fichtenurwälder der Alpen und schiedene Käferarten bestimmt wer- und aktuell sind lediglich einige Funde wurde bereits 1910 als Waldreservat den. Knapp die Hälfte dieser Käfer sind in Italien und Frankreich bekannt. unter Schutz gestellt. Die Bäume ste- Totholzkäferarten. Einer von ihnen ist hen vielerorts auf grossen Felsblöcken ein Nagekäfer namens Dorcatoma eines ehemaligen Felssturzes. Die punctulata. Seine Larven entwickeln ältesten Bäume sind über 400 Jahre alt sich im Rotrandigen Baumschwamm, Der höchst seltene Trigonurus mellyi gehört zu den Kurzflügelkäfern. und etliche haben einen Stammdurch- einem auffälligen und häufigen Wie bei vielen seltenen Käfern messer von über 80 cm. Die gesamte Konsolenpilz in Scatlé und generell ist kein deutscher Name Holzmenge dieser Bäume ist pro Fläche in den Wäldern Graubündens. bekannt (Bild: M. Borer). dadurch überdurchschnittlich hoch Es konnten insgesamt 16 Borken- für einen Gebirgswald in Graubünden. käferarten nachgewiesen werden. 1 mm In Scatlé ist reichlich Totholz in allen Varianten vorhanden. Nicht nur wir Menschen mögen Pilze. Im Rotrandigen Baumschwamm entwickeln sich die Larven von Dorca- toma punctulata und vielen weiteren Totholzkäfern. Unordnung im Wald Wussten Sie, dass... Das kleinflächige Chaos in Urwäldern ren. Nur wenn dieses Gleichgewicht • Fichten (umgangssprachlich kommt vielen Arten zu Gute und fördert unter den Organismen (Insekten und Rottanne genannt) über 500 auch im bewirtschafteten Wald eine Pilze) ausgeglichen ist, sind Wälder Jahre alt werden können? vielfältige Lebensgemeinschaft. Wenn in sich natürlich widerstandsfähig. • Fichten im bewirtschafteten Wald Fichten einst vom Borkenkäfer befal- meist im Alter von weniger als len wurden und abgestorben im Wald 150 Jahren geerntet werden? verbleiben, können sie eine wertvolle • man in Graubünden einen Brutstätte für Organismen sein, die der letzten Fichtenurwäl- sich ihrerseits von Borkenkäfern ernäh- der Europas findet? 8
Hoch oben an der Waldgrenze Der Capettawald, ein Arvenwald einem Meter erreichen und ein Alter käferarten Corticaria orbicollis, Myce- auf 1’800 – 2’100 m ü. M., und der von über 600 Jahren aufweisen. Die toporus caliginosus und Ischnoglossa Cröterwald, ein Lärchenweidwald auf Erhebung der Totholzkäfer in den Jah- elegantula (alle Arten ohne deutsche 1’700 – 2’100 m ü. M., liegen im Avers. ren 2014 und 2015 im Capettawald Bezeichnung) hat man das erste Mal Aus schriftlichen Überlieferungen weiss gilt als erste bisher bekannte Unter- in der Schweiz entdeckt. Neben Corti- man, dass diese Wälder schon vor suchung dieser Art in Arvenwäldern. caria orbicollis wurden zwei weitere langer Zeit eine spezielle Bedeutung Urwaldreliktarten, Ampedus auripes hatten. Während die umliegenden Wäl- In diesen hoch gelegenen Wäldern an und Lordithon speciosus, gefunden. der intensiv bewirtschaftet wurden, der Waldgrenze konnten 287 verschie- Dies lässt vermuten, dass hoch ge- war die Holznutzung im Capettawald dene Käferarten identifiziert werden. legene, alte Lärchen-Arvenwälder, eingeschränkt, um ihn als letzte Holz- Die Artenvielfalt ist geringer als an tie- wertvolle Lebensräume für Totholz- reserve (Bannwald) zu erhalten. Der fer gelegenen und wärmeren Standor- käfer sind. beweidete Cröterwald war schon im- ten. Die Entwicklung der Käferlarven mer sehr locker mit Lärchen bestockt, ist aufgrund tieferer Temperaturen nur wenige Bäume wurden genutzt. langsamer als in wärmeren Tallagen. Durch diese Bewirtschaftungsformen Knapp 100 der identifizierten Käfer- und die Beweidung konnten über die arten gehören zu jenen, welche das Jahrhunderte eindrückliche Bäume Totholz als Lebensraum nutzen. Fast heranwachsen, welche teilweise ei- jede zweite Käferart gehört zur Familie nen Stammdurchmesser von über der Kurzflügelkäfer. Die drei Totholz- Die Lärchen im Cröterwald stehen weit auseinander und die Beweidung verhindert Eine monumentale Arve im Capettawald verliert das Aufkommen eines Jungwaldes. Die uralten Bäume hatten somit Platz und an Vitalität. Grosse Teile des rechten Stammes keine Konkurrenz, um zu imposanten Baummonumenten heranzuwachsen. sind abgestorben und bieten Totholzkäfern einen wertvollen Lebensraum. Kurzflügelkäfer Wussten Sie, dass... Eine der drei gefundenen Urwaldreliktarten • im Avers einzelne Lärchen und ist Lordithon speciosus, eine Kurzflügelkäferart. Arven bereits zum Waldbild ge- Sie scheint es kalt zu mögen und kommt in Berg- hörten, als Christoph Kolumbus gebieten wie auch im hohen Norden vor. Dort 1492 Amerika entdeckte? findet man sie oft an Holzpilzen, welche offen- sichtlich für das Überleben der Art wichtig sind. Kurzflügelkäfer gehören zu den häufigsten Lordithon speciosus wird etwa 1 cm gross und hat Totholzkäferarten in Graubünden. Die Mehr- wie alle Kurzflügelkäfer zahl dieser Käfer ernährt sich räuberisch von verkürzte Flügeldecken Fliegenmaden und anderer leichter Beute. (Bild: L. Borowiec). 9
Am Sonnenhang im Föhrenwald Wussten Sie, dass... • im Föhrenwald «Gärtner» leben? Der Grosse und der Kleine Waldgärtner sind 3.5 bis 5 mm grosse Borken- käfer. Sie schliessen die Entwicklung zu ausgewach- senen Käfern unter der Bor- ke von abgestorbenen oder geschwächten Waldföhren ab. Anschliessend fressen sich die Jungkäfer durch die jun- gen Triebe umliegender Waldföhren. Es handelt sich um die Nahrungsaufnahme bis zum Erreichen der Ge- Totholz im Waldföhrenwald von Crap Ses. schlechtsreife, die als Rei- fungsfrass bezeichnet wird. Am trockenen Südhang bei Crap Ses Die ausgehöhlten Triebe im Surses wachsen Waldföhren. brechen später durch den Durch ihre lockeren, lichtdurchlässigen Wind ab und die Baum- Baumkronen gelangt viel Sonnenlicht krone sieht danach buschig und Wärme in den Waldbestand. Die aus, als wäre sie mit der Totholzkäfervielfalt ist entsprechend Gartenschere beschnitten hoch. In und an den teilweise über worden. 300-jährigen Waldföhren wurden 441 Käferarten und davon 261 Totholzkä- ferarten gefunden. Ein Vergleich mit den Vogelarten in der Schweiz zeigt Bemerkenswertes: Es wurden in einem Sommer auf einer Waldfläche von rund 6 Fussballfeldern (4 Hektaren) mehr Käferarten (441 Arten) nachgewie- Der Achtpunkt-Kiefern-Prachtkäfer ist einfach an seinen sen, als Vogelarten in der gesamten acht gelben Flecken zu erkennen (Bild: Y. Chittaro). Schweiz vorkommen (426 Arten). Der Achtpunkt-Kiefern-Prachtkäfer ist Sechs weitere Totholzkäferarten sind ein typischer Totholzkäfer der warmen, ebenso auf der Roten Liste der Schweiz Viele abgebrochene, hohle Trieb- sonnigen Waldföhrenwälder. Er ist einer und gelten als potenziell gefährdet. spitzen am Boden deuten darauf hin, dass sich Waldgärtner durch ihre von fünf gefundenen Totholzkäferarten Unter den entdeckten Bewohnern Jungtriebe gefressen haben. bei Crap Ses, deren Vorkommen in der von Crap Ses fand sich ebenso die in (Bild: B. Wermelinger, WSL). Schweiz als verletzlich eingestuft wird. Mitteleuropa selten gewordene Art Lacon lepidopterus. Es ist eine von sieben nachgewiesenen Urwaldrelikt- arten. Von diesem Käfer weiss man, dass er nur noch in Wäldern lebt, in denen sich der Wald ohne Eingriffe des Menschen entwickelt hat. Viele seltene und gefährdete Totholzkäfer- arten leben im Waldföhrenwald. Er hat für die Biodiversität in Graubünden somit eine wichtige Bedeutung. Der Grosse Waldgärtner (Bild: B. Wermelinger, WSL). 10
Riesenkastanien im warmen Süden In den Bündner Südtälern wachsen gelten als selten und haben den Status Kastanienbäume. In sogenannten Kas- «Urwaldreliktart». Der Veränderliche Wussten Sie, wer Ihnen die tanienselven wurden zur Gewinnung der Edelscharrkäfer ist einer von ihnen. Kastanien streitig macht? edlen Kastanien die Bäume freigehalten Er gilt in der Schweiz als stark gefähr- Unter anderem der Kastanienrüss- und über Generationen gepflegt. Diese det. Dies zeigt, dass auch einzelne, ler. Der Rüssel ist beim Weibchen traditionelle Bewirtschaftungsform wur- uralte Bäume in ihrem Inneren über etwa so lang wie ihr Körper (bis de nach dem zweiten Weltkrieg meist Jahrzehnte bis Jahrhunderte Urwald- 9 mm). Damit bohrt der Käfer ein aufgegeben, wurde aber seit Beginn reliktarten beherbergen. Weitere 11 Loch in eine wachsende Frucht des 20. Jahrhunderts vielerorts wieder gefundene Käferarten gelten in der und legt ein Ei hinein. Daraus ent- reaktivert. In der Selve Mont Grand Schweiz als ge-fährdet. So der Acht-fle- wickelt sich die gefrässige Larve. der Gemeinde Soazza stehen einzigar- ckige Augenbock, welcher hierzulande Sie ernährt sich von der Kastanie tige, uralte, riesige Kastanienbäume. sogar vom Aussterben bedroht ist. Etli- und bohrt sich aus der Frucht. Da- Es sind richtige Baumriesen, teils mit che der in Soazza lebenden Totholzkäfer- nach verpuppt sie sich im Boden. einem Stammumfang von über 7 m. arten gehören zu den Blütenbesuchern der Bockkäfer. Während sich die Lar- Weil solche Baumriesen besondere ven dieser Tiere im Totholz entwickeln, ökologische Werte aufweisen, hat fressen die ausgewachsenen Käfer man sie in einem Inventar erfasst. bevorzugt Pollen von Blumen und Sträu- In Soazza findet man 26 solcher chern. Sie sind meistens problemlos von Baumriesen. So viele wie in keiner Auge erkennbar und oft bunt gefärbt. anderen Gemeinde in der Schweiz. Die Baumstämme sind im Inneren meist hohl. Es ist daher schwierig das Alter der Bäume zu bestimmen. Man schätzt, dass die Kastanien von Soazza über 300, teils bis 800 Jahre alt sind! Die Larven des Kastanienrüsslers mögen Die uralten, noch lebendigen Bäume Kastanien (Bild: B. Wermelinger, WSL). zerfallen nur langsam und sind dank vielen Baumhöhlen und Mikrohabitaten ein wertvoller Lebensraum für Tot- holzkäfer und viele andere Insekten. Im Holz und in den zahlreichen Baum- Der zur Familie der höhlen der Riesenkastanien von Mont Rosenkäfer gehörende schwarze Veränderliche Grand wurden 308 verschiedene Käfer- Edelscharrkäfer ist gut arten (ohne Kurzflügelkäfer) gefunden. an seinen gelblich-weiss- Die Hälfte der gefundenen Käferarten Der hohle Stamm einer Riesenkastanie lichen Punkten auf den Deck- gehört zu den Totholzkäfern. Zwölf (Bild: L. Plozza). flügeln zu erkennen. Man findet ihn in der Schweiz immer seltener. der gefundenen Totholzkäferarten (Bild: L. Borowiec). Der Achtfleckige Augenbock ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht. Er mag eher dunkle Waldbestände. So fand man ihn in Soazza in einer verkümmerten Kastanie, die abseits der gepflegten Selven von Laubwald über- wachsen wird (Bild: Y. Chitarro). Monumentale Kastanien in den bewirtschafteten Selven von Soazza (Bild: L. Plozza). 11
In der dynamischen Aue Auenlandschaften haben in der Schweiz men und andernorts Kies und Sand ab- Weiden-Prachtkäfer, der Grünlich- in den letzten 150 Jahren einen star- tragen. Mit der hohen Dynamik im Au- gelbe Widderbock, der Grosse Erlen- ken Rückgang erlitten. Vier von fünf enwald entsteht auch reichlich Totholz. prachtkäfer sowie der Alpenwespen- Auen in der Schweiz wurden in diesem bock und der Vierbindige Halsbock. Die Auengebiete Panas-ch und Isch- Zeitraum durch Flussverbauungen und Allen gemeinsam ist, dass sich ihre la da Strada im Unterengadin gelten intensive Landnutzung zerstört. Viele Larven vor allem in Weiden und Erlen als Auen von nationaler Bedeutung. der übrig gebliebenen Auen stehen entwickeln, welche in den beiden Der Auenwald besteht aus Weisser- heute unter Schutz. Jede zehnte Tierart Auengebieten häufig vorkommen. len und Weiden, vereinzelt kommen in der Schweiz ist auf diesen Lebens- auch Waldföhren vor. In der Aue Der imposante Moschusbock ist raum angewiesen. So auch zahlreiche Panas-ch wurden die Fichten für die ebenso ein Auenbewohner und lebt in Auenwälder lebende Totholzkäfer- Revitalisierung grossflächig entfernt. in geschwächten Weiden. Die Larven arten, welche als gefährdet gelten. Ein hoher Anteil an Straucharten wie des Moschusbocks benötigen für die Viele Auengebiete lassen sich nur da- Schwarzes Geissblatt, Berberitze und Entwicklung zum Käfer zwei bis drei durch erhalten, indem sie durch bauliche Sanddorn ergänzen das Waldbild. Jahre. Der wunderschön metallisch Eingriffe wieder in ihren alten dynami- In den Auenwäldern Panas-ch und gefärbte Bockkäfer wird bis 3.5 cm lang. schen Zustand gebracht werden. So Ischla da Strada wurden knapp 500 Manche Moschusböcke schimmern wurde die auf Totholzkäfervorkommen Käferarten identifiziert. Davon sind bronzefarben, andere grünlich, bläulich. untersuchte Aue Panas-ch am Inn im rund 200 Totholzkäferarten. Zu den Unterengadin revitalisiert. Der Fluss typischen Auenbewohnern und ge- kann so wieder mitgeführtes Geschiebe fährdeten Totholzkäferarten in der ablagern, den Auenwald überschwem- Schweiz gehören der Goldgrüne Weisserlen und Weiden sind typische Baumarten Ein Moschusbock in Originalgrösse auf einem des Auenwaldes. Weidenstamm in der Aue Panas-ch. Wussten Sie, dass... • der Moschusbock ein Sekret ab- sondern kann, das nach Moschus riecht? Er wandelt einen Stoff, den er beim Fressen des Weidenhol- zes aufnimmt, in diesen Duft um. • Auenwälder in der Schweiz oft geschützte Lebensräume sind? Der Grosse Erlenprachtkäfer ist für sein Überleben Der Grünlichgelbe Widderbock bei der Paarung. auf die Erlenwälder in den Auen angewiesen (Bild: Z. Bagosi / Alamy Stock Photo). 12
Die verborgene Vielfalt im Val Müstair Im gesamten Val Müstair war bis vor wenig überraschend, da dort Dürrstän- Kurzem wenig Wissen über das Vor- der oder liegende Baumstämme am kommen von Totholzkäfern vorhanden. Boden häufig sind. Ein sehr wertvoller Von den rund 6’300 in der Schweiz be- Lebensraum im Val Müstair ist ebenso kannten Käferarten lagen, ohne die Fa- der Rombach-Auenwald. Er ist einer der milie der Laufkäfer zu berücksichtigen, wenigen Laubwälder im Tal. 60 Totholz- Nachweise von lediglich 360 Arten vor. käferarten wurden nur dort gefunden. Bei einer Totholzkäfererhebung in ver- Ein Neufund für die Schweiz ist die schiedenen Waldhöhenstufen des Tales Entdeckung des Borkenkäfers Trypo- im Jahr 2018 wurden mehr als doppelt phloeus rybinskii. Dieser lebt in ver- so viele Käferarten gefunden. Bei rund schiedenen Weiden- und Pappelarten. 500 Käferarten war es sogar der erste Ein weiterer seltener Fund gelang Nachweis im Val Müstair! Ein Zeichen, mit dem Vierlinigen Halsbock (Cornu- dass man über die Vielfalt dieser Tiere mutila lineata). Dieser wurde in der an vielen Orten noch sehr wenig weiss. Schweiz vor rund 100 Jahren das Jede dritte gefundene Käferart im Val letzte Mal gefunden und in den Baum- Müstair ist auf Totholz angewiesen. Im kronen des God da Munt, nördlich von Naturwaldreservat Ils Crippels, wo der Tschierv, entdeckt. Das gemessene Der Vierlinige Halsbock mit der charakteristischen Wald seiner natürlichen Dynamik über- Höchstalter der dortigen Habitatbäu- Zeichnung auf den Deckflügeln. lassen wird, wurde eine sehr grosse me mit über 1 m Durchmesser be- Männchen (links) und Weib- Totholzkäfervielfalt festgestellt. Dies ist trug über 450 Jahre. chen (rechts) (Bild: L. Borowiec). Im lückigen Auenwald des Rombachs wachsen zwischen den dünnen Weisserlen Hochstauden. Auf den weissen Blütendolden finden ausgewachsene Käfer u. a. Nahrung. Ein wertvoller Habitatbaum für Totholzkäfer, eine über 450 Jahre alte Waldföhre oberhalb von Tschierv. Der in der Schweiz gefährdete Gelbbraune Kugelhals- Der leuchtend gelb gefärbte Leiterbock entwickelt bock lebt in Fichtenwäldern (Bild: Y. Chittaro). sich in den Laubbäumen der Rombach-Aue. 13
Unterschiedliche Wälder beherbergen unterschiedliche Totholzkäfer Im Kanton Graubünden wurden in den Es wurden hauptsächlich Wälder un- vergangenen Jahren im Rahmen der tersucht, welche in der Vergangenheit Totholzkäferforschung 1’500 Käferarten vom Menschen nicht oder nur wenig identifiziert. Die Erhebungen zeigen beeinflusst wurden. Totholz war somit auf, wie viel Leben in alten Bäumen über Jahrhunderte stetig vorhanden. und scheinbar totem Holz steckt! Jede Der Nachweis von 37 Urwaldreliktarten dritte gefundene Käferart könnte ohne unterstreicht den Urwaldcharakter die- Totholz nicht überleben. Dazu kommen ser Wälder und zeigt, dass der Kanton Käferarten, die Totholz als Lebensraum Graubünden eine reichhaltige Totholz- nutzen, für ihr Überleben aber nicht käfervielfalt beherbergt. 31 dieser sel- unmittelbar davon abhängig sind. tenen Urwaldreliktarten hat man nur in je einer der verschiedenen Untersu- Viele Totholzkäferarten wurden in meh- chungen nachgewiesen. Die hohe reren Waldgebieten gefunden. Jeder Anzahl gefundener Totholzkäferarten untersuchte Waldtyp beherbergte und Urwaldreliktarten zeigt die hohe Der Gemeine Schmalbock ist ein weit verbreiteter aber genauso Totholzkäferarten, die Diversität der Wälder Graubündens in Bockkäfer. Er wurde in unterschiedlichsten Waldgebieten in Graubünden nachgewiesen in keinem anderen Gebiet gefunden den verschiedenen Höhenstufen, mit (Bild: B. Wermelinger, WSL). wurden. Am grössten waren die Un- unterschiedlichen Baumartenzusam- terschiede zwischen den Arten in der mensetzungen. Der Schutz und Erhalt Kastanienselve im Süden und den dieser vielfältigen Wald-Lebensräume restlichen Gebieten. Zwei von fünf der und damit der zahlreichen seltenen dort gefundenen Arten wurden in kei- und gefährdeten Totholzkäferarten nem anderen Gebiet nachgewiesen. haben eine hohe Priorität. Wie leben die in den Forschungsprojekten gefundenen Totholzkäferarten? Pilzholzbesiedler Anzahl Arten, ca. Altholzbesiedler 100 Anzahl Arten, ca. 210 Spezielisierte Lebensweise in Verbindung mit Totholz Anzahl Arten, ca. 20 Frischholzbesiedler Mulmhöhlenbesiedler Anzahl Arten, ca. Anzahl Arten, ca. Der in der Schweiz stark gefährdete Eichen-Zangenbock gehört zu den Frischholzbesiedlern. 180 10 Er lebt in warmen Laubwäldern und wurde im Rahmen der Totholzkäfererhebungen in den Kastanienselven in Soazza gefunden (Bild: B. Wermelinger, WSL). Die meisten der gefundenen Totholz- frisches Totholz, das seit weniger als käferarten leben in Totholz, das bereits einem Jahr abgestorben ist. Totholzkä- Wussten Sie, dass... seit Längerem abgestorben ist. Es kann ferarten, welche Holzpilze bewohnen • in Graubünden über 500 Totholz- sich dabei ebenso um einen toten Ast sind weniger zahlreich. Arten mit ei- käferarten für ihr Überleben auf an einem noch lebenden Baum handeln. ner sehr spezialisierten Lebensweise Alt- und Totholz angewiesen sind? Diese Käfer werden als Altholzbesiedler (z. B. Kotfresser in Brutgängen anderer bezeichnet. Am zweitmeisten Arten Totholzinsekten) sowie Mulmhöhlen- • gewisse Käferarten in Ameisen- bevorzugen absterbende Bäume oder bewohner sind am wenigsten häufig. haufen oder Hummelnestern leben? 14
Ein Blick ausserhalb des Waldes Totholz gibt es nicht nur im Wald. Jeder ausgewachsenen Käfer dauert 3 bis 4 Baum auch ausserhalb des Waldes Jahre. Die Käfer leben über mehrere hat das Potenzial zu einem wertvollen Generationen im selben Baum und be- Lebensraum für Totholzkäferarten zu wegen sich nur wenige hundert Meter werden. Alleen, Baumhecken sowie von ihrer Mulmhöhle weg. Für Graubün- Einzelbäume in der Kulturlandschaft sind den weiss man einzig, dass er noch in für die Vernetzung der im Wald leben- Soazza und Tamins vorkommt, da bisher den Arten von grösster Bedeutung. keine weiteren Funde bekannt sind. An bewusst stehengelassenen, alten Obstbäume sind für Totholzkäfer wert- und absterbenden Bäumen finden sel- voll, weil sie schneller altern als Bäume ten gewordene Totholzkäferarten wie im Wald. Die frühere Besiedlung durch der Eremit (auch Juchtenkäfer genannt) Pilze und Insekten beschleunigt die geeignete Brutstätten. Er ist eine vom Bildung von Totholz und Mulmhöhlen. Aussterben bedrohte Rosenkäferart. Im Frühjahr sind die blühenden Bäu- Der dunkel gefärbte Eremit wird 3 bis 4 cm lang Die Larven des Eremiten leben in Mulm- me auch für die Entwicklung und das und ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht (Bild: L. Kamber). höhlen, bevorzugt in Laubbäumen des Überleben vieler Insekten bedeutend. Offenlandes. Die Entwicklung zum Wussten Sie, dass... • viele Insekten und auch Totholz- käfer von etwas Unordnung im eigenen Garten profitieren? Absterbende Obstbäume sind ein wertvoller Lebens- raum für gefährdete Totholzkäferarten. Experiment Die Larven der Rosenkäfer, wie z. B. die des Eremiten, sehen sehr ähnlich aus wie jene des Maikäfers, der ein landwirtschaftlicher Schädling werden kann. Mit einem kleinen Experiment lassen sich die Larven verschiedener Rosenkäferarten gut von Maikäferlarven unterscheiden: Man legt die Larven auf eine ebene Unterlage und wartet bis sie sich bewegen. Die Maikäferlarve bleibt gekrümmt in der Seitenlage und ver- sucht sich auf diese Weise wegzube- Maikäferlarven leben im Boden. Sie haben kräftige Eine Rosenkäferlarve auf dem Rücken mit gestreckten, wegen. Die Rosenkäferlarve streckt Beine und eine leicht abgesetzte Kopfkapsel feinen Beinen. Rosenkäferlarven findet man auch im sich, kriecht aber auf dem Rücken (Bild: C. Hütter, Alamy Stock Photo). Kompost (Bild: L. Kamber). davon und streckt die unscheinbaren Stummelbeinchen in die Höhe. 15
Verweise Weitere Informationen unter: www.cscf.ch https://lepus.unine.ch/carto/ https://totholz.wsl.ch/de/totholz/abbau-von-holz.html Amt für Wald und Naturgefahren (2020): Biodiversität im Wald. Erhaltung und Förderung der natürlichen Vielfalt in Graubündens Wäldern. Faktenblatt 15. Chur. Amt für Wald und Naturgefahren (2021): Wald-Höhenstufen im Kanton Graubünden. Kartierungen von H. U. Frey, M. Bichsel & T. Preiswerk, inkl. Ergänzungen Zoller 1992. Chur. Bellmann, H. (2018): Der Kosmos Insektenführer. KOSMOS Verlag, Stuttgart. Bütler, R. et al. (2020): Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. Bütler, R. et al. (2020): Taschenführer der Baummikrohabitate. Beschreibung und Schwellenwerte für die Feldaufnahmen. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. Eckelt, A. et al. (2017): «Primeval forest relict beetles» of Central Europe: a set of 168 umbrella species for the protection of primeval forest remnants. Journal of Insect Conservation. Lachat, T. et al. (2019): Totholz im Wald. Entstehung, Bedeutung und Förderung. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. Marent, T. (2020): Die schönsten Insekten der Schweiz. Ringier Axel Springer Verlag. Monnerat, C. et al. (2016): Rote Liste der Prachtkäfer, Bockkäfer, Rosenkäfer und Schröter. Gefährdete Arten der Schweiz. BAFU Bern; CSCF, Neuenburg; WSL, Birmensdorf. Wermelinger, B. (2017): Insekten im Wald. Vielfalt, Funktionen und Bedeutung. Haupt Verlag. Impressum Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden Fotos, falls nicht anders beschriftet: Abenis AG, Chur Kontaktadresse und weitere Informationen unter: Titelblatt: Alpenböcke bei der Paarung. Das Männchen www.wald-naturgefahren.gr.ch bewacht das Weibchen nach der Begattung, um eine fremde Zweitbegattung zu verhindern. Das Weibchen 1. Auflage (500 Ex.), August 2021. legt die Eier in den Spalt im Holz (Bild: J. Hassler). Autoren: Remo Wild, Romano Costa, Bild Rückseite: Der Buchenbock (Cerambyx scopolii) Barbara Huber, Jürg Hassler, Marco Vanoni auf einem Baumstrunk. Grafische Gestaltung: Edgar Zanoni SGD 16
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