Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
Zustand der Vogelwelt in der Schweiz
Bericht 2019
Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
Im Fokus

                       Der harte Winter 2017/18 führte zu Be-
                       standseinbrüchen bei Standvögeln und
                       Kurzstreckenziehern, etwa bei Wald-
                       baumläufer, Rotkehlchen und Winter-
                       goldhähnchen.  Seite 6

Dank dem «Monitoring Häufige Brut-
vögel» (MHB) ist die Bestandsent-
wicklung von häufigen und weit ver-
breiteten Brutvogelarten seit 1999 genau
dokumentiert.  Seite 8

                       Trotz massiver Siedlungsausdehnung
                       gingen die Bestände typischer Siedlungs-
                       arten zwischen 1993–1996 und 2013–
                       2016 zurück. Fehlende Brutnischen und
                       sterile Gartenanlagen gehören zu den
                       Ursachen.  Seite 12

Mit dem EuroBirdPortal (EBP) kann das
räumliche und zeitliche Auftreten der
Vögel in Europa zeitnah mitverfolgt
werden. Die Vogelwarte unterstützte den
Aufbau des EBP wesentlich.  Seite 22

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
Seit 25 Jahren wird die Bestandsent-
wicklung der spärlichen Wintergäste
dokumentiert. Während Rotmilan und
Ringeltauben auch in der Brutzeit Zu-
nahmen zeigen, geht die Feldlerche im
Winter ebenfalls zurück.  Seite 24

                                                            Der Gesamtbestand der überwinternden
                                                            Wasservögel in der Schweiz ist zwar seit
                                                            Mitte der 1990er-Jahre leicht rückläufig.
                                                            Langfristig positive Trends weisen indes
                                                            Reiher und Gänse auf.  Seite 26

Auch auf europäischer Ebene erlitten
Landwirtschaftsarten herbe Einbussen.
Seit 1980 ging ihr Bestand um 57 %
zurück. Dagegen sind Waldarten mehr
oder weniger stabil.  Seite 32

 Inhaltsverzeichnis
 Editorial ........................................................................................ 4
 Brutvögel ...................................................................................... 6
 Durchzügler ................................................................................ 18
 Wintergäste ................................................................................ 24        Weitere Informationen
 Internationales ........................................................................... 32         Weitere Informationen inklusive Bestands-
                                                                                                        entwicklung der Brutvogelarten und zusätz-
 Dank ............................................................................................ 34   lichen Analysen finden Sie online:
                                                                                                        www.vogelwarte.ch/zustand
 Impressum ....................................................................................35

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
EDITORIAL

Den schleichenden Wandel messen
Es ist Mitte Mai, 5 Uhr morgens. Ich        man sich an die veränderten Lebens-
stehe in einem normalen Laubmisch-          räume und ihre Bewohner. Diese
wald im Schweizer Mittelland und            Prozesse laufen schleichend ab. Nur
lausche dem überschwänglichen               die systematische Erhebung von Brut-
Vogelgezwitscher. Die singenden             vögeln über viele Jahre in «ganz ge-
Männchen von ganz kommunen                  wöhnlichen» Lebensräumen mit
Arten posaunen lauthals ihre Strophen       «ganz gewöhnlichen» Vogelarten
heraus, als herrsche ein Gesangswett-       zeigt auf, wie sich die Schweiz und
bewerb. In der angrenzenden frisch ge-      ihre Avifauna verändern. Genau
schnittenen Wiese sind ein Fuchs, ein       dazu wurde vor 20 Jahren in weiser
Rotmilan und mehrere Rabenkrähen            Voraussicht für die Bedeutung solcher
eifrig auf Nahrungssuche. Genau in          Daten das «Monitoring Häufige Brut-
diesem Waldstück verbrachte ich vor         vögel» (MHB) ins Leben gerufen.
über 30 Jahren unzählige Stunden. Mit       Mittlerweile liegen wertvolle Daten-
meinen zwei Schulfreunden suchten           reihen von 267 Kilometerquadraten
wir nach Vogelnestern und verglichen        vor, welche die Entwicklung von Ver-
die Eier und Jungvögel mit den Fotos        breitung und Bestand häufiger Brut-          qualitativ hochwertigsten Daten, die
im Vogelführer. Frühmorgens legten          vogelarten dokumentieren. Eine gross-       abrufbereit vorhanden waren.
wir uns am Waldrand auf die Lauer und       artige Leistung!                               Ich wünsche mir, dass die Resultate
erfreuten uns an den entdeckten Feld-          Als Leiter der Naturschutz-, Jagd-       unzähliger begeisterter Kartiererinnen
hasen und Rehen. Während die Finken,        und Fischereibehörde des Kantons            und Kartierer noch vermehrt zum Er-
Drosseln und Meisen weiter um die           St. Gallen war ich schon oft froh, dass     halt der heimischen Biodiversität bei-
Wette singen, versuche ich mich zu          ich auf ornithologische Daten der           tragen können. Gerne stehe ich auch
erinnern, welche Vogelarten heute           Vogelwarte, wie jene des MHB, zurück-       am nächsten Sonntag wieder um
Morgen gegenüber damals nicht mehr          greifen konnte. Nicht nur bei der Be-       4.30 Uhr auf, um dazu «mein» MHB-
zu hören sind. Ich erinnere mich, wie       urteilung von umweltrelevanten Bau-         Quadrat zu kartieren! Unserer Vogel-
ich genau an dieser Stelle damals den       vorhaben wie Windkraftanlagen oder          welt zuliebe.
ersten Waldlaubsänger singen hörte. Er      Richtplananpassungen. Im Rahmen der
war ein regelmässiger Sänger in diesem      Erstellung der St. Galler Biodiversitäts-                       Dr. Dominik Thiel
Laubwald. Ebenso der Trauerschnäpper.       strategie haben wir zuerst eine um-           Leiter des Amts für Natur, Jagd und
Am Waldrand war der Feldhase nicht          fassende Situationsanalyse über die          Fischerei des Kantons St. Gallen und
wegzudenken. Alle drei Arten sind hier      Biodiversität im Kanton verfasst, um              Mitglied der Wissenschaftlichen
inzwischen verschwunden.                    anschliessend griffige Massnahmen zu                   Kommission der Vogelwarte
   Haben Sie auch schon solche Ver-         definieren. Die Brutvogeldaten zählten
gleiche gemacht? Wie schnell gewöhnt        auch hier zu den verlässlichsten und

Bei den Kartierungen für das «Monitoring
Häufige Brutvögel» (MHB) werden das frühe
Aufstehen und die körperlichen Anstren-
gungen oft mit einmaligen Beobachtungen
belohnt. Die wärmeliebende Zippammer hat
2017 und 2018 im Vergleich zu den letzten
zehn Jahren neue Höchststände erreicht.

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
Der Bestand des Waldlaubsängers in der
Schweiz hat seit 1990 um zwei Drittel
abgenommen. Regionale Erhebungen
zeigen noch massivere Einbrüche. Mit
dem Rückgang wird die Art bald nicht
mehr auf genügend Flächen vorkom-
men, um noch mit dem «Monitoring
Häufige Brutvögel» (MHB) erfasst zu
werden.
Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
Der Bestand der Wacholderdrossel ist in der Schweiz in 20 Jahren um über einen Drittel zurückgegangen – sind das Auswirkungen des
Klimawandels?

Situation der Brutvögel
2018 war – wiederum – ein Jahr                 auch langanhaltenden trockenen Be-              scheinen dessen Auswirkungen bei
der Wetterextreme. Dies zeigte                 dingungen. Der April übertraf die Norm          den Brutvögeln vor allem positiv zu
sich insbesondere in einem neuen               1981–2010 um 3,9 °C. Mit 2,4 °C über            sein. Einige seltene oder spärliche
Temperatur-Jahresrekord, und auch              der Norm brach das Sommerhalbjahr               Arten wie Schlangenadler, Bienen-
das Sommerhalbjahr war so warm wie             2018 den bisherigen Wärmerekord                 fresser und Schwarzkehlchen scheinen
noch nie seit Messbeginn 1864. Be-             von 2003 (+2,2 °C). Eine Besonder-              als Brutvögel in der Schweiz von der
gleitet wurde die Rekordwärme von              heit dieser Periode war aber auch eine          Klimaerwärmung zu profitieren. Auch
einer monatelangen Regenarmut.                 anhaltende Regenarmut. Im Mittel                der Swiss Bird Index SBI® Climate
Solche «verrückten» Jahre haben Aus-           über die ganze Schweiz fiel von Juni             Change Plus (SBI® CC Plus) hat seit
wirkungen auf die einheimischen Brut-          bis August nur 71 % Niederschlag der            1990 stark zugenommen. Demgegen-
vögel, sowohl kurz- wie auch langfristig.      Norm, regional (z.B. in der Ostschweiz)         über ist der SBI® CC Minus nicht ent-
                                               gab es noch tiefere Werte.                      sprechend negativ. Für die Berechnung
Schneereicher Winter, aber                         Diese Witterungsumstände ermög-             des SBI® CC Plus und Minus wurden
danach günstige Brutperiode                    lichten wohl vielen Arten einen guten           je diejenigen 20 Arten ausgewählt, für
Der schneereiche und teilweise sehr            Bruterfolg. Für Arten, die ihre Nahrung         deren Verbreitungsgebiet die Modelle
kalte Winter 2017/18 liess die Be-             vorwiegend am Boden suchen (z.B.                den grössten Gewinn bzw. Verlust
stände etlicher Standvögel und                 Drosseln), ist es hingegen schwierig ge-        vorhersagen.
Kurzstreckenzieher einbrechen. So              wesen, im verkrusteten Erdreich aus-               Beim SBI® werden jedoch die
gingen Arten wie Tannenmeise, Hau-             reichend Regenwürmer zu finden.                  relativen Änderungen von einzelnen
benmeise, Felsenschwalbe, Schwanz-                                                             Arten gemittelt, entsprechend zeigt z.B.
meise, Waldbaumläufer, Amsel, Rot-              Keineswegs positive Klimaeffekte               der Bienenfresser als neuer Brutvogel
kehlchen und Wintergoldhähnchen im              Der massive Anstieg der Sommer-                eine enorme Zunahme. Wenn jedoch
Vergleich zum Vorjahr deutlich zurück.          temperaturen in den letzten Jahren             statt den relativen die absoluten Ver-
   Auf diesen harten Winter folgte eine         ist eine Folge der laufenden Klima-            änderungen der Bestandszahlen be-
günstige Brutperiode mit warmen, aber           erwärmung. Auf den ersten Blick                trachtet werden, dann ändert sich

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
BRUTVÖGEL

diese Einschätzung. Mit dem neuen                Arten zusammen über denselben Zeit-                     Obwohl auch andere Einfluss-
Schweizer Brutvogelatlas können in               raum um rund 91 000 Brutpaare (von                  faktoren wie die Intensivierung der
Kombination mit den Brutbestands-                453 000 auf 362 000) abgenommen.                    Landwirtschaft und die Nutzungsauf-
indices die Bestandsschätzungen von              Dabei haben insbesondere die drei                   gabe mit folgender Wiederbewaldung
2013–2016 mit jenen von 1993–                    häufigsten Arten herbe Verluste er-                  in wenig ertragsreichen Lagen ihren
1996 verglichen werden. Über die                 fahren. So gingen die Bestände von                  Einfluss haben, verursacht der Klima-
letzten 20 Jahre haben die 20 Arten              Ringdrossel (–30 000 Paare), Gimpel                 wandel bei den Brutvögeln also bereits
aus dem SBI® CC Plus zusammen                    (–32 500 Paare) und Wacholderdrossel                substanzielle Veränderungen. Davon
um rund 7700 Paare zugenommen                    (–26 500 Paare) deutlich zurück. Weil               sind in erster Linie Bergvögel negativ
(von 25 400 auf 33 100). Die drei                es in dieser Gruppe jedoch im Gegen-                betroffen. Besorgniserregend dabei
häufigsten Arten in dieser Gruppe sind            satz zum SBI® CC Plus auch Arten gibt,              ist, dass die Schweiz für das Überleben
Zippammer (von 1993–1996 bis 2013–               die relativ gesehen stark zugenommen                vieler dieser Arten international eine
2016 +380 Brutpaare), Felsenschwalbe             haben (v.a. Weissstorch um +161 %),                 besondere Verantwortung trägt.
(+2600) und Pirol (+920). Jedoch ver-            heben sich Zu- und Abnahmen auf, d.h.
fügen die Arten dieser Artengruppe               der Index ist insgesamt ausgeglichen.
über viel geringere Bestände als jene            Ein vollständiger Überblick über die                       Weitere Informationen
des SBI® CC Minus. Bei der Gruppe                Zahlen aller 40 Brutvogelarten ist on-                     www.vogelwarte.ch/zustand/brut
des SBI® CC Minus haben alle 20                  line verfügbar.

Für Gimpel (links) und Schneesperling trägt die Schweiz eine grosse internationale Verantwortung. Beide Arten gehören zum SBI® Climate
Change Minus mit prognostizierter negativer Entwicklung. Die Bestände beider Arten haben seit 1993–1996 abgenommen.

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              1990   1994   1998   2002   2006   2010   2014    2018                   1990   1994   1998   2002    2006    2010    2014     2018

Die Bestände von etlichen Standvögeln und Kurzstreckenziehern wie       Die Entwicklung des Swiss Bird Index SBI® Climate Change Minus
Waldbaumläufer (grün), Rotkehlchen (rot) und Wintergoldhähnchen         (blau) und SBI® CC Plus (rot) 1990–2018: Bei den Arten mit vorher-
(blau) sind 2018 wegen des in den Bergen schneereichen und teil-        gesagter negativer Entwicklung (SBI® CC Minus) ist kaum eine Ent-
weise kalten Winters 2017/18 kurzfristig zurückgegangen.                wicklung erkennbar ist. Betrachtet man die Veränderung der ab-
                                                                        soluten Bestände statt der hier dargestellten kombinierten Index-
                                                                        werten, ist der Trend hingegen eindeutig negativ.

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Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
BRUTVÖGEL

Die 267 über das ganze Land verteilten Kilometerquadrate sind so vielfältig wie die Schweiz. Indem sie alle Lebensräume, Regionen und Höhen-
stufen repräsentieren, gestatten sie einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der verbreiteten Brutvögel der Schweiz.

Verbreitete Arten werden häufiger, Zugvögel seltener

Die Bestandsentwicklung vieler eher             dokumentiert. Der Abschluss des Brut-            Durchführbarkeit quantitativer Aufnah-
seltener Brutvogelarten aufzuzeigen,            vogelatlas 1993–1996 hatte gezeigt,              men auch in schwierigem Gelände. Da-
hat die Vogelwarte – dank ihrem lan-            dass mit einem vereinfachten Verfah-             durch ermutigt, startete die Vogelwarte
desweiten Netz mit vielen aktiven Frei-         ren zur Revierkartierung eine Metho-             1999 das «Monitoring Häufige Brutvö-
willigen – seit Mitte der 1980er-Jah-           de gefunden war, mit der landesweit              gel» (MHB), ein Überwachungsprojekt,
re recht gut im Griff. Hingegen blie-           auf effiziente Art Daten zu Verbreitung           bei dem seither alljährlich quantitative
ben kurzfristige Schwankungen und               und Beständen gesammelt werden                   Bestandserhebungen in 267 repräsen-
längerfristige Bestandsveränderungen            konnten. Basierend darauf führten wir            tativ ausgewählten Kilometerquadra-
der eher häufigen und weit verbreite-            1997 und 1998 im Tessin umfangrei-               ten durchgeführt werden.
ten Brutvogelarten lange Zeit schlecht          che Testläufe durch. Sie bestätigten die
                                                                                                 Wichtige Standardisierungen
                                                                                                 Bei Langzeiterhebungen sind klare,
                                                                                                 über die Jahre möglichst unveränderte
                                                                                                 Vorgaben entscheidend. Mit dem Fak-
                                                                                                 tor Mensch kommt dann immer noch
                                                                                                 ein gewisses «Grundrauschen» zum
                                                                                                 Tragen, das sich nicht wegdiskutieren
                                                                                                 lässt und das zu einer gesunden Por-
                                                                        Die 267 Kilometer-       tion Vorsicht bei der Interpretation der
                                                                        quadrate, die seit       Ergebnisse rät.
                                                                        1999 alljährlich er-         Die für das MHB ausgewählten Kilo-
                                                                        hoben werden, ba-        meterquadrate sind zu einem grossen
                                                                        sieren im Wesentli-
                                                                                                 Teil im regelmässig über die Schweiz
                                                                        chen auf dem Netz
                                                                        des «Biodiversitäts-     gespannten Stichprobennetz des
                                                                        monitorings              «Biodiversitätsmonitoring Schweiz»
                                                                        Schweiz» (BDM).          (BDM) enthalten. Stellenweise wurden

 8
Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
BRUTVÖGEL

                                                                                                                          erreichen. Aktuell gibt es Überlegun-
                                                                                                                          gen, die Kartiererinnen und Kartierer
                                                                                                                          durch eine Automatisierung der Re-
                                                                                                                          vierausscheidung zu unterstützen und
                                                                                                                          somit noch eine bessere schweizweite
                                                                                                                          Vergleichbarkeit zu erreichen.

                                                                                                                          Zunahme bei verbreiteten Arten
                                                                                                                          Um aussagekräftige Trends zu berech-
                                                                                                                          nen, sollte eine Art möglichst alljähr-
                                                                                                                          lich auf mindestens 30 Flächen vorhan-
                                                                                                                          den sein. Dieses Kriterium erfüllen ak-
Bei der Aufbereitung der Kartierergebnisse wurden grosse Fortschritte erzielt: Die Handauswertun-                         tuell 74 Arten; für Braunkehlchen und
gen von 2002 (links) gestalteten sich wesentlich aufwändiger als jene mit «Terrimap online» von                           Waldlaubsänger besteht jedoch die Ge-
2017 (rechts). Letztere macht die Ergebnisse auch anschaulicher und fängt viele Eingabefehler ab.
                                                                                                                          fahr, dass sie diese Stichprobengrösse
                                                                                                                          bald nicht mehr erreichen. Über den
                                                                                                                          gesamten Zeitraum (1999–2018) be-
         Übersicht über die MHB-Kartierungen 1999–2018                                                                    trachtet weisen 56 Arten Zunahmen
         Kartierte Kilometerquadrate pro Jahr                                                                    267      auf, 25 Arten blieben – teilweise bei er-
         Gültige Kartierungen insgesamt                                                                        5285
                                                                                                                          heblichen kurzfristigen Schwankungen
         Fehlende oder ungültige Kartierungen                                                                     55
         Gefundene Reviere insgesamt                                                                       1 278 236      – etwa gleich und 17 Arten verzeich-
         Angetroffene Brutvogelarten                                                                             164      neten Rückgänge. Dieses recht positi-
         Beteiligte KartiererInnen                                                                             ≥ 528      ve Gesamtbild kommt zustande, weil
                                                                                                                          im MHB vorab häufige, verbreitete und
                                                                                                                          damit wenig anspruchsvolle Arten er-
                                                                                                                          hoben werden. Standvögel, Genera-
Quadrate leicht verschoben, wenn sie                       höhere Anforderungen bezüglich Brut-                           listen und diverse Waldbewohner ha-
sich aus topografischen Gründen, etwa                       hinweisen zu erfüllen. Die 2006 einge-                         ben eher zulegen können. Unter den
wegen Unzugänglichkeit in sehr stei-                       führte Software «Terrimap» bzw. die                            im MHB spärlich vertretenen Langstre-
lem Gelände oder hohem Seeanteil,                          sie ab 2012 ersetzende Online-Lösung                           ckenziehern finden sich hingegen et-
für quantitative Erhebungen nicht eig-                     «Terrimap online» trugen ihrerseits zu                         liche Arten, die teils markante Rück-
neten. Die einmal gewählten Routen                         einer weiteren Standardisierung und                            gänge ausweisen.
sind fix. Die Kartiererinnen und Kar-                       zur Vermeidung von Fehlern bei.
tierer orientieren sich bezüglich Datum                       Über regelmässig angebotene Kur-
und Dauer der Erhebungen an den An-                        se, die Einführung von Nachfolgern
gaben ihrer Vorgänger. Für spät ein-                       durch erfahrene Kartierer und eine mi-
treffende Brutvogelarten müssen Nach-                      nutiöse Kontrolle der Kartierergebnisse
weise nach einem bestimmten Datum                          wird versucht, eine bestmögliche Kon-
vorliegen, für eher unstete Arten sind                     tinuität der Aufnahmeergebnisse zu

                   50                                                                                450
                   45                                                                                400
                   40                                                                                350
                                                                                Anzahl Reviere/km2
Anzahl Arten/km2

                   35
                                                                                                     300
                   30
                                                                                                     250
                   25
                                                                                                     200
                   20
                                                                                                     150
                   15
                   10                                                                                100

                   5                                                                                  50
                   0                                                                                  0
                        1999   2002   2005   2008   2011      2014    2017                                 1999    2002    2005    2008    2011    2014    2017

Pro Jahr und Kilometerquadrat werden durchschnittlich etwa 33 Arten (links) mit insgesamt 242 Revieren gefunden (rechts, dargestellt sind die
Mittelwerte mit der Standardabweichung). Beide Werte sind über die Jahre etwas angestiegen, was vorab auf die Zunahme einiger Waldarten
zurückzuführen ist.

                                                                                                                                                                  9
Zustand der Vogelwelt in der Schweiz Bericht 2019 - Vogelwarte Sempach
BRUTVÖGEL

Viel Dynamik – in der Höhe wie
in den Niederungen

Über die Bestandsdynamik der Bewoh-                            ist, wie man vielleicht vermuten würde.                 1999 um den Faktor 5 zu. In der Folge
ner von subalpinen und alpinen Lebens-                         Extrem ist dies beim Birkenzeisig: Die                  fluktuierten die Bestände deutlich, um
räumen war bislang wenig bekannt –                             Art zeigt, regional unterschiedlich aus-                2018 den bisher tiefsten Bestand, d.h.
schon gar nicht über längere Zeitperio-                        geprägt, grosse Schwankungen. Vie-                      nur knapp die Hälfte des Ausgangswer-
den oder über grössere geografische                             le Flächen sind nur ein oder zwei Jahre                 tes, zu erreichen.
Räume. Hier gestattet uns das «Monito-                         lang besiedelt, bleiben dann einige Zeit
ring Häufige Brutvögel» (MHB) faszinie-                         verwaist, um plötzlich erneut kolonisiert               Viele Arten mit ansteigender
rende neue Einblicke. Schon jetzt ist er-                      zu werden. Insbesondere in Graubün-                     Höhenverbreitung
kennbar, dass die Situation auch in den                        den nahm der Birkenzeisig bis ums Jahr                  Ein anderer Trend, der sich auch bei vie-
Schweizer Bergen längst nicht so stabil                        2005 gegenüber dem Ausgangsbestand                      len Arten im Brutvogelatlas 2013–2016

                     Schweiz                         Jura                                                 Schweiz                         Jura
                     Mittelland                      Alpennordflanke                                       Mittelland                      Alpennordflanke
                     westliche Zentralalpen          östliche Zentralalpen                                westliche Zentralalpen          östliche Zentralalpen
                     Alpensüdflanke                                                                        Alpensüdflanke
        250                                                                                  250

        200                                                                                  200

        150                                                                                  150
Index

                                                                                     Index

        100                                                                                  100

         50                                                                                   50

          0                                                                                    0
              1999     2002       2005        2008      2011        2014      2017                 1999     2002        2005       2008          2011    2014     2017

                                                                                                          Schweiz                         Jura
                     Schweiz                         Jura                                                 Mittelland                      Alpennordflanke
                     Alpennordflanke                  westliche Zentralalpen                               westliche Zentralalpen          östliche Zentralalpen
                     Alpensüdflanke                   östliche Zentralalpen                                Alpensüdflanke
        200                                                                                  200
        180                                                                                  180
        160                                                                                  160
        140                                                                                  140
        120                                                                                  120
Index

                                                                                     Index

        100                                                                                  100
        80                                                                                   80
        60                                                                                   60
        40                                                                                   40
        20                                                                                   20
         0                                                                                    0
              1999    2002        2005        2008      2011       2014       2017                 1999    2002         2005       2008      2011        2014     2017

Das MHB vermittelt neue Einsichten in die Bestandsdynamik der Bewohner subalpiner und alpiner Gebiete. So schwanken die Bestände von
Zaunkönig (links) und Wintergoldhähnchen in den östlichen und zentralen Alpen mehr als in den übrigen Landesteilen (oben). Ringdrossel (links)
und Gartengrasmücke können sich in den Zentralalpen besser halten als in den übrigen biografischen Regionen (unten).

  10
BRUTVÖGEL

gezeigt hatte, ist das Ansteigen der                300
Höhenverbreitung etlicher Brutvogel-                             < 1000 m
arten. Bei der Singdrossel ist dies ein             250          1000–1500 m
Prozess, der in Lagen oberhalb von                               > 1500 m
1500 m schon seit 20 Jahren im Gang                 200
ist. Ein Blick in einzelne Quadrate lässt

                                            Index
erahnen, weshalb: Der Waldrand und                  150
üppige Gebüschvegetation rücken
an vielen Stellen vor. Dadurch entste-
                                                    100
hen, etwa am unteren Rand von al-
pin geprägten Probeflächen, da und
                                                     50
dort neue Habitate, die von der Sing-
drossel rasch besiedelt werden. Aller-
dings gibt es auch gegenteilige Situa-                0
                                                          1999          2002             2005          2008       2011   2014       2017
tionen: So blieben die Bestände des
Turmfalken in den hohen Lagen weit-         Das MHB zeigt, dass der Bestandsanstieg bei der Singdrossel insbesondere in den hohen Lagen
gehend konstant. Zwischen 1000 und          ausgeprägt und ein kontinuierlicher Prozess ist.
1800 m gab es langfristig eine leichte
Zunahme. Dramatisch verändert hat
sich die Bestandssituation hingegen in
den MHB-Quadraten mit Schwerpunkt                   500

unter 1000 m: Hier hat sich der Turm-               450          < 1000 m

falkenbestand seit 1999 mehr als ver-                            1000–1800 m
                                                    400
dreifacht. Treiber dieser spektakulären                          > 1800 m
                                                    350
Entwicklung dürften ein hohes Nist-
kastenangebot, ein überdurchschnitt-                300
                                            Index

licher Bruterfolg und ein gutes Nah-                250
rungsangebot nach dem Ausfliegen
                                                    200
sein. Nach der Baisse in den 1980er-
und 1990er-Jahren weist der Turmfalke               150

damit vielerorts wieder Bestände «wie               100
in guten alten Zeiten» auf.                          50

                                                      0
Das MHB als Fieberthermometer                             1999          2002             2005          2008       2011   2014       2017
Mit Atlasprojekten lässt sich nur alle 20
Jahre eine – allerdings räumlich präzise-   Oben konstant, aber unterhalb von 1000 m ein rasanter Bestandsanstieg: Der Turmfalke ist
re – Situationsbeurteilung vornehmen.       nach 2000 landesweit wieder ein verbreiteter und recht häufiger Brutvogel geworden.
Demgegenüber gestatten die aus dem
MHB ablesbaren Trends schon nach
wenigen Jahren, neue Entwicklungen
                                                    140
zu erkennen. Dies war beispielswei-
se der Fall bei Gartengrasmücke und                 120
Grauschnäpper, die – damals ohne Vor-
warnung – seit den frühen 2000er-Jah-               100
ren deutliche Rückgänge erlitten und
seither je rund einen Drittel ihrer Be-             80
                                            Index

stände eingebüsst haben. Dank dem
Frühwarnsystem des MHB können sol-                  60

che Arten zeitiger auf die Rote Liste ge-
                                                    40
setzt und gegebenenfalls rascher Rück-
                                                                 Schweiz                        Jura
gangsursachen erforscht und Förder-
                                                    20           Alpennordflanke                 westliche Zentralalpen
massnahmen ergriffen werden.
                                                                 östliche Zentralalpen          Alpensüdflanke
                                                     0
                                                          1999          2002             2005          2008       2011   2014       2017

                                            Brennpunkt Jura: Der Jura droht Arten wie Ringdrossel, Braunkehlchen und Zitronenzeisig zu
                                            verlieren. Auch beim Baumpieper fällt der Jura mit einem speziell negativen Trend auf.

                                                                                                                                       11
BRUTVÖGEL

Waldarten dominieren, Siedlungsarten gehen zurück

                                                         Buchfink

                                                Mönchsgrasmücke

                                                           Amsel

                                                     Rotkehlchen

                                                     Tannenmeise

                                                     Haussperling

                                                       Kohlmeise

                                                       Zaunkönig

                                                  Hausrotschwanz

                                                      Singdrossel

                                             Sommergoldhähnchen

                                              Wintergoldhähnchen

                                                          Zilpzalp

                                                       Blaumeise

                                                 Heckenbraunelle

                                                       Bergpieper

                                                           Kleiber

                                                     Misteldrossel

                                                      Ringeltaube
                                                                                                                         2013–2016
                                                              Star                                                       1993–1996

                                                                         0         200 000      400 000        600 000       800 000   1 000 000
                                                                                                    Anzahl Brutpaare

Bestände der 20 häufigsten Brutvogelarten in den Perioden 1993–1996 und 2013–2016. Hauptsächlich im Wald vorkommende Arten wie Buchfink,
Mönchsgrasmücke, Amsel, Rotkehlchen und Tannenmeise dominieren die Hitparade und zeigen auch die deutlichsten Bestandszunahmen.

Die für den Brutvogelatlas 2013–2016          Lebensräume geschätzt werden. Inte-                   den vorhandenen Strukturen und Nist-
gesammelten Daten boten eine hervor-          ressanterweise ist in den bearbeiteten                gelegenheiten. Oberhalb von 800 m ist
ragende Grundlage, um die Bestands-           Kilometerquadraten die Dichte an Vo-                  die Revierdichte in beiden Lebensräu-
schätzungen für alle Brutvogelarten           gelrevieren im Siedlungsraum ähnlich                  men geringer, im Wald aber tenden-
zu revidieren. In Kombination mit den         hoch wie im Wald, zumindest unterhalb                 ziell etwas höher als im Siedlungsraum.
Brutbestandsindices können wir so die         von 800 m. Sie beträgt über 500 Revie-                   Viele ursprüngliche Waldarten haben
Bestandsentwicklung einzelner Arten           re pro km², variiert aber stark je nach               den Siedlungsraum für sich entdeckt.
nicht nur relativ, sondern auch in abso-
luten Zahlen verfolgen.
   Am häufigsten sind in der Schweiz                     Türkentaube
jene Arten, die im Wald und auch im
                                                              Girlitz
Siedlungsraum vorkommen. Bei den
                                                           Grünfink
zehn häufigsten Brutvogelarten gibt es
nur deren zwei (Haussperling und Haus-               Grauschnäpper

rotschwanz), für die der Wald nicht der                     Stieglitz
wichtigste Lebensraum darstellt.                      Mehlschwalbe
                                                                        –40 000    –20 000      0         20 000   40 000
Revierdichte im Siedlungsraum
                                                                                  Veränderung des Brutbestands
ähnlich hoch wie im Wald
Basierend auf den Atlaskartierungen               Bestandsveränderung einiger typischer Arten des Siedlungsraums zwischen 1993–1996 und
konnten Dichten für die einzelnen                 2013–2016.

 12
BRUTVÖGEL

Wann sind Sie zum letzten Mal einer solchen Schlammpfütze am         Das Wachstum fordert seinen Tribut: Nicht selten werden für neuen
Wegrand begegnet?                                                    Wohnraum alte Obstbäume und südexponierte Hänge geopfert.

Eine auffällige Zunahme zeigt bei-            2013–2016 die Abnahmen, einzig der             Möglichkeit ersetzt, hingegen fallen
spielsweise die Ringeltaube. In den           Bestand der Türkentaube konnte zu-             samenreiche Brachen und Wegränder,
1990er-Jahren war das Vorkommen die-          legen. Die in absoluten Zahlen deut-           Gebüsche und ungenutzte alte Ge-
ser Art in der Schweiz grösstenteils auf      lichsten Rückgänge zeigen Mehl-                bäude innerhalb des Siedlungsraums
den Wald beschränkt. Inzwischen brü-          schwalbe und Stieglitz mit einem Mi-           der aktuellen Verdichtung und Versie-
tet sie auch im Siedlungsraum sowie in        nus von je rund 40 000 Revieren. Der           gelung zum Opfer. Auch die Ausdeh-
Baumhecken im Offenland. Dennoch ist          Grauschnäpper hat in derselben Zeit            nung des Siedlungsraums geschieht in
ihre Revierdichte im Wald nach wie vor        rund einen Drittel seines Bestands ein-        vielen Fällen auf Kosten der Biodiversi-
mit Abstand am höchsten. Die Amsel            gebüsst. Vor dem Hintergrund einer             tät. Neue Überbauungen werden bei-
hingegen hat zumindest unterhalb von          massiven Zunahme der Siedlungsflä-              spielsweise an (Süd-)Hängen erstellt,
800 m in Siedlungen sogar eine höhe-          che (+23 % von 1985 bis 2009) sind             die wegen ihrer Steilheit von der Land-
re Dichte als im Wald (im Mittel gegen        die Rückgänge der Siedlungsarten               wirtschaft nicht intensiv genutzt wur-
50 Reviere/km²).                              umso bedenklicher. Während sich vie-           den und an denen sich daher wertvol-
                                              le der ursprünglichen Waldarten dank           le Kleinstrukturen entwickeln konnten.
Typische Siedlungsarten mit deut-             alter Bäume im Siedlungsraum wohl
lichen Rückgängen                             fühlen, haben typische Siedlungsarten
Bei den typischen Siedlungsarten hin-         noch weitere Ansprüche an ihren Le-                   Weitere Informationen
gegen zeigt sich ein anderes Bild. Hier       bensraum. Dank städtischer Baumin-                    www.vogelwarte.ch/atlas
überwiegen zwischen 1993–1996 und             ventare werden gefällte Bäume nach

Dank alter Bäume und immer milderem Klima findet die Ringeltaube günstige Bedingungen im Siedlungsraum.

                                                                                                                                    13
BRUTVÖGEL

Unterschiedliche Trends bei Kiesgrubenbewohnern

                                                                                            140                                                    21
                                                                                                       Waadt
                                                                                            120                                                    18
                                                                                                       Wallis
                                                                                                       übrige Schweiz
                                                                                            100                                                    15

                                                                         Anzahl Brutpaare

                                                                                                                                                           Anzahl Kolonien
                                                                                                       Kolonien
                                                                                             80                                                    12

                                                                                             60                                                        9

                                                                                             40                                                        6

                                                                                             20                                                        5

                                                                                              0                                                        0
                                                                                                   1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018

Bestandsentwicklung und Zahl der Kolonien des Bienenfressers in der Waadt, im Wallis sowie in der übrigen Schweiz seit 1991.

Sandige Prallwände wurden durch                 Kolonien, wobei die grössten Bestände                             Jahren, die Zahl der Kolonien ging aber
die Verbauung der Mittellandflüsse in            im Waadtland (grösste Kolonie 2011                                seit 1950 deutlich zurück. Die Ufer-
der Schweiz quasi vollständig zerstört.         26 Paare) und im Wallis (grösste                                  schwalbe ist heute von den Aktivitäten
Trotzdem gibt es für Spezialisten dieser        Kolonie 2017 35 Paare) liegen. Der                                des Menschen abhängig, die Gruben
Bruthabitate in der Schweiz Ausweich-           Bienenfresser gräbt Brutröhren in Kies-                           wurden teils kleiner und die Umtriebs-
möglichkeiten: Kiesgruben dienen als            gruben und in steilen Wiesenborden.                               zeiten schneller. Seit einigen Jahren
Ersatzlebensraum.                               Insgesamt scheint der Bruterfolg                                  werden der Uferschwalbe speziell für
   Der Bienenfresser breitet sich seit          unserer Kolonien gut zu sein. Hitze-                              sie aufgeschichtete Sandhaufen an-
etwa 1984 in Mitteleuropa aus. 1991             sommer wie jener von 2018 kommen                                  geboten und damit erste Erfolge ver-
brütete er erstmals in der Schweiz. Im          den Ansprüchen der Art entgegen.                                  zeichnet. Damit hat man nun alter-
Zentralwallis und im Waadtland (ab                 Von der Uferschwalbe werden die                                native Fördermöglichkeiten und kann
1992 bzw. 1996) bildeten sich darauf-           Brutröhren in den Kiesgruben der                                  – mit Glück – die Art in einer Region
hin kleine Kolonien. Seit 2005 ist der          Kantone Aargau, Bern, Freiburg und                                halten, selbst wenn Kiesgruben ver-
Kanton Genf besiedelt. Nachdem der              Solothurn seit 1994 jährlich gezählt.                             schwunden sind.
Bestand bis 2009 bei 10–30 Paaren               2017 und 2018 wurden 28 bzw. 25
verharrte, stieg er ab 2010 deutlich            Kolonien mit 4221–5734 Röhren er-
an und überschritt 2017 und 2018                fasst, was einem Brutbestand von
mit 121 bzw. 102 Paaren die Schwelle            1731–2351 Paaren entspricht. Der
von 100 Paaren. Aktuell sind es 17–20           Bestand schwankt in den letzten 25

                                                                                            7000                                                   56
                                                                                                                             Aargau
                                                                                                                             Bern
                                                                                            6000                             Freiburg              48
                                                                                                                             Solothurn
                                                                                            5000                             Kolonien              40
                                                                                                                                                           Anzahl Kolonien
                                                                         Anzahl Röhren

                                                                                            4000                                                   32

                                                                                            3000                                                   24

                                                                                            2000                                                   16

                                                                                            1000                                                       8

                                                                                              0                                                        0
                                                                                                   1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018

Bestandsentwicklung und Zahl der Kolonien der Uferschwalbe in den Kantonen Aargau, Bern, Freiburg und Solothurn seit 1994.

 14
BRUTVÖGEL

Überraschungen bei Rohrweihe und Sumpfhühnern

Über 90 % der Feuchtgebiete der
Schweiz wurden seit 1850 zerstört.
Die noch verbleibenden Feuchtbio-
tope beherbergen meist eine hohe
Artenvielfalt und bieten immer wieder
Überraschungen.
    Im 20. Jahrhundert gelangen in
der Schweiz nur 7 Brutnachweise
der Rohrweihe. 1975 brütete sie im
Neeracherried ZH zum bisher letzten
Mal. Am deutschen Ufer des Untersees
nistet die Rohrweihe seit 1980 hin-
gegen ziemlich regelmässig. Erst 2007–
2009 wurden in der Schweiz wieder
Brutversuche festgestellt, wiederum im
Neeracherried. In den letzten Jahren
haben Brutzeitbeobachtungen deut-
lich zugenommen, und die Rohrweihe                    Am Südufer des Neuenburgersees gab es erstmals seit 1971 wieder einen Brutnachweis des
versuchte in mehreren Feuchtgebieten                  Kleinen Sumpfhuhns.
des westlichen Mittellandes zu brüten,
so in der Grande Cariçaie (2015–
2016), am Fräschelsweiher BE (2016),                war hingegen ein herausragendes               Riedwiesen wurden in der Folge
im Meienriedloch BE (2016) und im                   Jahr. In der Grande Cariçaie wurde ab         2 Reviere des Zwergsumpfhuhns,
Wengimoos BE (2017). 2018 gab es                    Ende Mai ein Paar des Kleinen Sumpf-          8 Reviere des Tüpfelsumpfhuhns und
endlich wieder erfolgreiche Bruten,                 huhns und Ende Juli zwei Jungvögel            35 Reviere der Wasserralle (in den
nämlich am Niederriedstausee BE und                 mit Dunenresten beobachtet. Dies ist          letzten 5 Jahren im Schnitt 15 Reviere)
bei Chavornay VD.                                   der erste Brutnachweis in der Schweiz         gefunden! Dies zeigt die grosse Be-
   Seit der Trockenlegung vieler Feucht-            seit 1971 (damals bei Chavornay)!             deutung ausreichend hoher Wasser-
gebiete gibt es in der Schweiz nur                  Im Neeracherried, einem unserer ge-           stände zur Brutzeit in Feuchtgebieten.
wenige Brutnachweise der heimlich                   eignetsten Feuchtgebiete für Rallen,
lebenden Sumpfhühner. Beim Tüpfel-                  wurde 2018 zum ersten Mal seit Jahren
sumpfhuhn zählen wir jährlich etwa                  während der Brutzeit kein Wasser ab-
10–15 Reviere, beim Kleinen Sumpf-                  gelassen, wie das vorher zur Anpassung
                                                                                                     Literaturhinweis
huhn fast jährlich etwa 1–4 Reviere                 an die Niederschläge getan worden
                                                                                                     Müller, C. (2019): Seltene und bemerkens-
und beim Zwergsumpfhuhn nur jedes                   war. Dadurch blieb der Wasserstand               werte Brutvögel 2018 in der Schweiz.
zweite bis dritte Jahr 1–2 Reviere. 2018            hoch, und in den überschwemmten                  Ornithol. Beob. 116: 165–178.

                  30

                  25

                  20
Auftretensindex

                  15

                  10

                   5

                   0
                       1990   1995   2000   2005   2010    2015
Die Brutzeitpräsenz der Rohrweihe vom 31. Mai bis zum 3. August in der Schweiz war in den letzten drei Jahren überdurchschnittlich.

                                                                                                                                          15
BRUTVÖGEL

Brutvögel der Schweiz
Bestandsentwicklung der 174 analysierten Brutvögel¹ der Schweiz im vollständigen Untersuchungszeitraum (normalerweise
1990–2018) und in den letzten zehn Jahren (2009–2018). Ein Trend +++ bedeutet eine Zunahme um mehr als Faktor 5, ein
Trend ++ eine Zunahme zwischen Faktor 2 und 5 und ein Trend + eine Zunahme um weniger als Faktor 2. Das Zeichen •
zeigt, dass keine statistisch signifikante Veränderung festgestellt wurde, was bei effektiv stabilen Populationen oder bei stark
schwankenden Beständen der Fall ist. Ein Trend – beschreibt eine Abnahme um weniger als Faktor 2, ein Trend – – eine Ab-
nahme zwischen Faktor 2 und 5 und ein Trend – – – eine Abnahme um mehr als Faktor 5. Die Bestandsangaben beziehen sich
auf den Zeitraum 2013–2016 und stammen aus dem Schweizer Brutvogelatlas:  = Männchen, BP = Brutpaare.

 Art                       Trend     Trend            Bestand       Art                     Trend     Trend            Bestand
                         1990–2018 2009–2018        2013–2016                             1990–2018 2009–2018        2013–2016

 Wachtel                     •          –            500–2000      Flussseeschwalbe          ++         •             580–760 BP
 Steinhuhn                   ––        ++           2500–4500 BP    Schleiereule               –         +            200–1000 BP
 Rebhuhn                     •         –––               5–10 BP    Sperlingskauz              •         •            800–2000 BP
 Haselhuhn                   •          •           3000–5500 BP    Steinkauz                 ++         +             115–150 BP
 Alpenschneehuhn             –          •        12 000–18 000 BP   Raufusskauz                •         •           1000–3000 BP
 Auerhuhn                    –          +             360–470      Zwergohreule              ++         •               30–40 BP
 Birkhuhn                    •          +        12 000–16 000     Waldohreule³               +         •           2000–3000 BP
 Eiderente                   •          •                 1–5 BP    Waldkauz                   •         •           6000–8000 BP
 Gänsesäger                  ++         +             600–800 BP    Uhu                        •         •             200–230 BP
 Kolbenente                 +++         +             210–300 BP    Wespenbussard              +         •            500–1000 BP
 Tafelente                   •          •                 6–9 BP    Bartgeier                +++        +++               9–15 BP
 Reiherente                  +          •             160–280 BP    Steinadler                 +         •             350–360 BP
 Schnatterente               ++         •                5–10 BP    Sperber                    +         •           3500–6000 BP
 Stockente                   •          •        20 000–30 000 BP   Habicht                    •         +           1300–1700 BP
 Zwergtaucher                –          +            800–1300 BP    Rotmilan                 +++         •           2800–3500 BP
 Haubentaucher               –          •           3500–5000 BP    Schwarzmilan²                        •           2000–3000 BP
 Schwarzhalstaucher          •         +++                3–4 BP    Mäusebussard               +         •        15 000–20 000 BP
 Hohltaube                   +          +           2000–4000 BP    Wiedehopf                  +         •             180–260 BP
 Ringeltaube                 ++         +      130 000–150 000 BP   Bienenfresser            +++         ++              53–72 BP
 Turteltaube                 –          –             150–400 BP    Eisvogel                   +         •             400–500 BP
 Türkentaube                 +          •        15 000–25 000 BP   Wendehals                  •         +           1000–2500 BP
 Ziegenmelker                –          –               40–50 BP    Grauspecht³               ––         ––            300–700 BP
 Alpensegler                 ++         •           1800–2300 BP    Grünspecht                 +         •        10 000–17 000 BP
 Fahlsegler                  ++         •               29–36 BP    Schwarzspecht             ++         +           6000–9000 BP
 Mauersegler²                           •        40 000–60 000 BP   Dreizehenspecht            •         +           1000–2500 BP
 Kuckuck                     •          •        15 000–25 000     Mittelspecht              ++         +           1700–2100 BP
 Wasserralle                 •          +             500–800 BP    Kleinspecht                +         +           1500–3000 BP
 Wachtelkönig                ++         •                15–40     Buntspecht                 +         •        70 000–90 000 BP
 Tüpfelsumpfhuhn             •         ++               10–20 BP    Turmfalke                 ++         +           5000–7500 BP
 Teichhuhn                   +          +           1000–2000 BP    Baumfalke                  +         •            500–1000 BP
 Blässhuhn                   +          •           5000–8000 BP    Wanderfalke               ++         •             260–320 BP
 Weissstorch                 ++        ++             370–460 BP    Pirol                      +         •           3000–4500 BP
 Zwergdommel                 •          •              90–120 BP    Neuntöter                 ––         •        10 000–15 000 BP
 Graureiher                  +          +           1600–1800 BP    Rotkopfwürger             –––        •                    0 BP
 Purpurreiher               +++        +++               6–17 BP    Alpenkrähe                ++         •               70–80 BP
 Kormoran                   +++        +++          1200–2100 BP    Alpendohle²                          •        11 000–21 000 BP
 Flussregenpfeifer           •          •              90–120 BP    Eichelhäher                +         •        60 000–75 000 BP
 Kiebitz                     ––         +             140–180 BP    Elster                    ++         •        35 000–40 000 BP
 Grosser Brachvogel         –––         •                    0 BP   Tannenhäher                •         •        20 000–25 000 BP
 Waldschnepfe                –          •           1000–4000      Dohle                      +         +           1250–1500 BP
 Bekassine                  –––         •                 0–1 BP    Saatkrähe                +++         ++          5800–7300 BP
 Flussuferläufer             •          +               70–90 BP    Kolkrabe                   +         •           2000–3000 BP
 Lachmöwe                    ––         •             560–800 BP    Rabenkrähe                ++         –       80 000–120 000 BP
 Schwarzkopfmöwe             •          •                 0–5 BP    Tannenmeise²                         •      400 000–600 000 BP
 Sturmmöwe                   •          •                 0–3 BP    Haubenmeise                +         •       90 000–110 000 BP
 Mittelmeermöwe             +++         +           1240–1430 BP    Sumpfmeise                 +         –       70 000–100 000 BP

 16
BRUTVÖGEL

    Art                           Trend     Trend                  Bestand          Art                      Trend     Trend                   Bestand
                                1990–2018 2009–2018              2013–2016                                 1990–2018 2009–2018               2013–2016

    Mönchsmeise²                                   •          70 000–95 000 BP      Blaukehlchen                ++            •                    5–12 BP
    Blaumeise                        ++            •        200 000–300 000 BP      Nachtigall                  +             •              1700–2200 BP
    Kohlmeise                        +             •        400 000–550 000 BP      Trauerschnäpper²                          •           17 000–22 000 BP
    Heidelerche                      •             •               250–300 BP       Hausrotschwanz              +             •        300 000–400 000 BP
    Feldlerche                        –            •          25 000–30 000 BP      Gartenrotschwanz             •            •           12 000–18 000 BP
    Bartmeise                        +            ++                80–110 BP       Steinrötel                   –            +              2000–3000 BP
    Orpheusspötter                   +             +               300–350 BP       Blaumerle                    •            •                   15–25 BP
    Gelbspötter                      ––            •               100–150 BP       Braunkehlchen               ––            •              7000–9000 BP
    Sumpfrohrsänger                  •             •             3000–6000 BP       Schwarzkehlchen             +             +              1500–2000 BP
    Teichrohrsänger                  •             •            9000–11000 BP       Steinschmätzer              +             •           40 000–60 000 BP
    Drosselrohrsänger                +            ++               270–320 BP       Wintergoldhähnchen          +             •        200 000–400 000 BP
    Rohrschwirl                      +             •               280–310 BP       Sommergoldhähnchen           •           ++        250 000–400 000 BP
    Feldschwirl                      +             •               150–250 BP       Alpenbraunelle               •            •           25 000–40 000 BP
    Mehlschwalbe                      –            •          70 000–90 000 BP      Heckenbraunelle             +             •        200 000–250 000 BP
    Rauchschwalbe                    •             +          70 000–90 000 BP      Haussperling                +             +        450 000–550 000 BP
    Felsenschwalbe                   +             +             7000–9000 BP       Feldsperling                +             •           80 000–95 000 BP
    Uferschwalbe                      –            +             2300–3000 BP       Schneesperling               –            •              6000–9000 BP
    Berglaubsänger                   ++            •          40 000–60 000 BP      Baumpieper                   –            •           50 000–70000 BP
    Waldlaubsänger                   ––            •             5000–7500 BP       Wiesenpieper                ––            •                500–800 BP
    Fitis                            ––            –             4000–5000 BP       Bergpieper                   •            +        150 000–200 000 BP
    Zilpzalp                         +             •        250 000–300 000 BP      Schafstelze                 +             •                300–340 BP
    Schwanzmeise                     +             •          20 000–35 000 BP      Gebirgsstelze                •            •           17 000–20 000 BP
    Mönchsgrasmücke                  +             •        700 000–800 000 BP      Bachstelze                   –            –          90 000–110 000 BP
    Gartengrasmücke                   –            –          35 000–50 000 BP      Buchfink                     +             •        900 000–1 100 000 BP
    Sperbergrasmücke                –––           –––                  0–5 BP       Kernbeisser                  •            •           13 000–17 000 BP
    Klappergrasmücke                 •             •          17 000–23 000 BP      Karmingimpel                 •            •                   50–70 BP
    Dorngrasmücke                    +             •             1800–2500 BP       Gimpel                       –            •           40 000–75 000 BP
    Gartenbaumläufer                 +             •          45 000–55 000 BP      Grünfink                      –            –          90 000–120 000 BP
    Waldbaumläufer                   ++            •         75 000–100 000 BP      Bluthänfling                  •            +           25 000–30 000 BP
    Kleiber                           –            •        110 000–170 000 BP      Birkenzeisig                 •            •           15 000–20 000 BP
    Mauerläufer                       –            •             1000–2500 BP       Fichtenkreuzschnabel        ++            •           25 000–35 000 BP
    Zaunkönig                        +             •        400 000–550 000 BP      Stieglitz                    –            +           50 000–70 000 BP
    Wasseramsel                      +             •             6000–8000 BP       Zitronenzeisig               –            •           10 000–20 000 BP
    Star                             •             +        120 000–140 000 BP      Girlitz                      –            •           35 000–45 000 BP
    Misteldrossel                    +             •        130 000–150 000 BP      Erlenzeisig²                              •           10 000–16 000 BP
    Singdrossel                      +             +        300 000–350 000 BP      Grauammer                    –            •                 80–110 BP
    Amsel                            +             +        500 000–700 000 BP      Zippammer                   +             •            7000–10 000 BP
    Wacholderdrossel                  –            •          40 000–45 000 BP      Ortolan                    –––           –––                    1–5 BP
    Ringdrossel                       –            •          50 000–75 000 BP      Zaunammer                   +             •              1000–1500 BP
    Grauschnäpper                     –            •          35 000–55 000 BP      Goldammer                    •            –           65 000–75 000 BP
    Rotkehlchen                      +             •        450 000–650 000 BP      Rohrammer                    –            •              1700–3000 BP

1
  Eingeschlossen sind jene Arten, welche seit 1990 mindestens einmal zu den regelmässigen Brutvögeln
gezählt haben (d.h. sie haben in 9 von 10 aufeinanderfolgenden Jahren gebrütet). Ohne eingeführte Ar-          Weitere Informationen
ten (z.B. Höckerschwan, Rostgans, Jagdfasan) sind dies 177 Arten. Für Weissrückenspecht, Halsband-             www.vogelwarte.ch/zustand/brut
schnäpper und Italiensperling kann wegen fehlender Daten keine Einschätzung vorgenommen werden.
2
  Untersuchungszeitraum 1999–2018
3
  Untersuchungszeitraum 1996–2018

                                                                                                           Literaturhinweis
                                                                                                           Knaus, P., S. Antoniazza, S. Wechsler, J. Gué-
                                                                                                           lat, M. Kéry, N. Strebel & T. Sattler (2018):
Unregelmässig und ausnahmsweise brütende Arten                                                             Schweizer Brutvogelatlas 2013–2016. Ver-
                                                                                                           breitung und Bestandsentwicklung der Vö-
Seit 2000 haben weitere 28 Arten unregelmässig oder nur ausnahmsweise in
                                                                                                           gel in der Schweiz und im Fürstentum Liech-
der Schweiz gebrütet. Deren Brutvorkommen werden möglichst lückenlos do-                                   tenstein. Schweizerische Vogelwarte,
kumentiert (Tabelle im Internet unter «Weiterführende Analysen» verfügbar).                                Sempach.

                                                                                                                                                      17
DURCHZÜGLER

Eine Jahrhundertinvasion
West- und Mitteleuropa haben im
Frühling 2018 einen spektakulären Ein-
                                                       Land              Anzahl Individuen                 Land               Anzahl Individuen
flug von Rosenstaren erlebt. Diese ge-                  Ungarn                         10 000               Norwegen                          19
sellige und unstete Art stammt aus den                 Italien                          2500               Niederlande                       15
Steppen und Halbwüsten Zentralasiens                   Frankreich                     > 2000               Irland                           >10
                                                       Schweiz                         > 155               Polen                              9
und überwintert in Indien, ist aber für                Grossbritannien                   150               Finnland                           8
gelegentliche Invasionen ausserhalb                    Österreich                        135               Belgien                            5
ihres normalen Areals bekannt. Die                     Spanien                             79              Estland                            3
Schweiz wird dabei allerdings kaum je                  Slowakei                            65              Island                             1
                                                       Schweden                          > 20              Kapverden                          1
erreicht. Die 48 bis 2017 registrierten                Dänemark                            20              Litauen                            1
Nachweise betrafen meist Einzeltiere                   Deutschland                         20
und nur selten 2–3 Vögel zusammen.
                                                       Die Invasion des Rosenstars fand vor allem im südlichen Westeuropa statt, wie die geschätzten
Einzig bei der Invasion von 1875 gab                   Gesamtzahlen pro Land zwischen Mitte Mai und Ende Juni 2018 zeigen.
es am 5. Juni in Luzern einmal einen
Schwarm von 15–20 Rosenstaren.

Der Vorstoss Richtung Westen
Die Invasion 2018 fand zwischen Mitte
Mai und Ende Juni statt. Rund 10 000
Vögel wurden dabei in Ungarn und
mehrere Tausend Brutpaare in Bulgarien,
Rumänien und auf der Krim registriert.
Der Hauptvorstoss nach Westen erfolgte
vom 23. Mai bis zum 7. Juni südlich der
Alpen über Mittel- und Norditalien sowie
Südfrankreich. Auf der Weiterreise
nach Westen erreichten die Vögel ins-
besondere Spanien und Grossbritannien.

Kurzer, starker Zug durch die
Schweiz
In der Schweiz wurde der Vorstoss
zwischen dem 21. Mai und dem 7. Juni

                                                     Der Einflug des Rosenstars 2018 war in der südlichen Hälfte der Schweiz besonders stark.
                                                     Die Punkte geben die Höchstzahl der Vögel pro Ort an: weiss = 1–2 Ind., gelb = 3–9 Ind.,
 Schweizerische Avifaunistische                      orange = 10–14 Ind., rot = 15–20 Ind.
 Kommission
 Die Schweizerische Avifaunistische Kom-
 mission (SAK) ist eine unabhängige Experten-      festgestellt. Nach zwei Einzelvögeln              am 1. Juni und im Mittelland am 7. Juni.
 gruppe. Ihre Hauptaufgabe ist es zu prüfen,       in Graubünden trat am 25. Mai ein                 Einen Nachzügler gab es im Engadin am
 ob die Meldungen ungewöhnlicher Vogel-
                                                   erster Trupp von 6 Tieren im Tessin auf.          14. Juli. Die von der Schweizerischen
 beobachtungen aus der Schweiz ausreichend
 dokumentiert sind, um in die wissenschaft-        Am selben Tag erschienen die ersten               Avifaunistischen Kommission an-
 liche Literatur aufgenommen zu werden. Dies       Rosenstare auf der Alpennordseite im              erkannten 155 Individuen sind als
 gilt für Nachweise von generell selten in der     östlichen Mittelland, tags darauf im              Minimum anzusehen, denn es ist un-
 Schweiz auftretenden Arten wie dem Rosen-
                                                   Wallis und im Genferseegebiet. Am                 möglich zu entscheiden, ob es sich
 star oder dem Zwergsumpfhuhn. Es betrifft
 aber auch Nachweise von häufigeren Arten,          26. Mai erreichten die Truppgrössen               bei mehrere Tage an einem Ort an-
 die räumlich oder zeitlich aus dem Rahmen         mit 20 im Wallis und 13 im Tessin                 wesenden Vögeln immer um dieselben
 fallen, oder von Arten, die erstmals in der       bereits den Höchststand. Der Durch-               Individuen handelte.
 Schweiz brüten.
    Die SAK publiziert jedes Jahr einen deutsch-
                                                   zug gipfelte am 27. Mai mit Nach-
 sprachigen Bericht in «Der Ornithologische        weisen von mindestens 17 Orten, vor
 Beobachter» und einen französischen Bericht       allem in der Südhälfte des Landes. Die                 Weitere Informationen
 in «Nos Oiseaux».                                 Zahl der Vögel nahm danach ab; der                     www.vogelwarte.ch/sak
                                                   letzte Nachweis gelang in den Alpen

 18
60

                    50
Anzahl Individuen

                    40

                    30

                    20

                    10

                     0
                         21.5. 23.5. 25.5. 27.5. 29.5. 31.5.   2.6.   4.6.   6.6.

 Der Durchzug des Rosenstars 2018 war auf den Südteil der
 Schweiz konzentriert, wie die Tagestotale der vom 21. Mai bis zum
 7. Juni in den Kantonen Wallis, Tessin und Graubünden (rot) sowie
 in der übrigen Schweiz (blau) nachgewiesenen Vögel zeigen.
Die Beutelmeise ist ein spärlicher Durchzügler und brütet nur selten bei uns. Auffällig sind ihre feinen, durchdringenden, leicht
melancholischen Rufe.

Zum Zuggeschehen
Im Winter 2017/18 gab es im Ge-                  Alpenraum auch Alpenbraunellen                                 Schweiz wieder einmal so weit. Unter
birge grosse Schneemengen, die den               und Schneesperlinge im Talgrund an-                            den dabei beobachteten Vögeln be-
Zugang zur Nahrung für alpine Arten              treffen. Schneesperlinge erreichten                            fanden sich mehrere mit Merkmalen
so stark einschränkten, dass diese von           dabei sogar die tiefstgelegenen                                des nordischen «Taigabirkenzeisigs»
den Berggipfeln in tiefere Lagen aus-            Gegenden der Schweiz in der                                    (Unterart Acanthis f. flammea).
weichen mussten. Steinhühner er-                 Magadinoebene TI. Das war in den 30
schienen dadurch am Fuss der Walliser            Jahren zuvor nur zweimal geschehen,                            Zugstau und frühe Rückkehrer
Südhänge auf nur 540 m und an ge-                nämlich 1992 und 2009. Birken-                                 Nach einem eher kühlen März ging
wissen Orten auch im Tessin und in               zeisige unternehmen in gewissen                                der Frühling 2018 sehr mild weiter.
Graubünden auf 650 m. Ab Mitte                   Jahren invasionsartige Wanderungen.                            Die Apriltemperaturen übertrafen
Dezember konnte man im ganzen                    Im Winter 2017/18 war es in der                                den langjährigen Mittelwert um fast

                                                                                                       März          April         Mai        Juni        Juli
                                                                                            80

                                                                                            70
                                                                                                                                                 2018
                                                                                            60                                                   ø 2008–2017
                                                                          Auftretensindex

                                                                                            50

                                                                                            40

                                                                                            30

                                                                                            20

                                                                                            10

                                                                                             0
                                                                                                 11   14   17   20      23    26    29   32     35   38     41   44
                                                                                                                             Pentaden
Der Drosselrohrsänger brütet in grossen Schilfbeständen der Tieflagen. Auf dem Zug kann man ihn aber in der ganzen Schweiz antreffen. Seine
Rückkehr gipfelt im Mai. 2018 erschienen die ersten Drosselrohrsänger eher früher als normal.

 20
DURCHZÜGLER

4 °C. Schneefälle bis in tiefe Lagen                                            März          April          Mai         Juni        Juli
hinderten um den 18. März viele                                      90

Zugvögel am Weiterflug. So mussten                                    80
                                                                                                                            2018
Goldregenpfeifer in ungewöhnlicher                                   70
                                                                                                                            ø 2008–2017
Zahl Zwangspausen einlegen, was

                                                 Auftretensindex
                                                                     60
in der Nordschweiz zur Entdeckung
                                                                     50
einiger Trupps mit über 50 Vögeln
                                                                     40
führte. Die grösste Ansammlung
umfasste 319 Vögel am 19. März                                       30

bei Möhlin AG, eine neue Rekord-                                     20
zahl für die Schweiz. Auch Herings-                                  10
möwen wurden in aussergewöhn-                                         0
licher Zahl aufgehalten. Maximal                                          11   14   17   20      23     26     29   32     35   38     41   44
rasteten 218 Vögel am 17. März                                                                        Pentaden
bei Yverdon VD, was ebenfalls einen                                Der Frühlingszug der Beutelmeise erreicht den Höhepunkt normaler-
neuen Höchstwert darstellt. Andere                                 weise zwischen Ende März und Mitte April. 2018 gab es aber kaum
Märzrückkehrer wie die Mönchsgras-                                 Märzbeobachtungen.
mücke oder die Beutelmeise gerieten
zeitlich in Rückstand. Demgegen-
über profitierten einzelne später ein-           in Frankreich erscheinen beide Arten                                 Ufer- und Pfuhlschnepfe sowie Grün-
treffende Langstreckenzieher vom                immer regelmässiger in der Schweiz.                                  und Rotschenkel. Darüber hinaus gab
guten Frühlingswetter und kehrten                   Die endlose Hitzewelle sorgte                                    es 2018 eine sehr reichliche Samen-
früher als normal zurück. Das gilt etwa         auch für einen sehr niedrigen                                        mast bei verschiedenen Baumarten,
für die Nachtigall, den Drosselrohr-            Wasserstand der Seen, wodurch vor                                    und auch diverse Sträucher zeigten
sänger oder die Klappergrasmücke.               allem am Bodensee grosse und für                                     enormen Beerenbehang. Davon
                                                Limikolen attraktive Schlickflächen                                   profitierten Fichtenkreuzschnabel
Andauernde Hitze und                            freigelegt wurden. Den bis spät in                                   und Erlenzeisig, aber auch Rot- und
Trockenheit                                     den Herbst hinein üppig gedeckten                                    Wacholderdrossel. Im Winter be-
Der Herbst 2018 war der drittwärmste            Tisch schätzten speziell die Alpen-                                  standen knapp ausserhalb der Schweiz
der Schweiz. Das führte dazu, dass              strandläufer, die sich am Bodensee                                   bei Vendlincourt JU und unweit von
sich der traditionelle Sommerauf-               längere Zeit in Trupps mit bis zu 300                                Schaffhausen zwei grosse Bergfinken-
enthalt der Gänsegeier in den west-             Vögeln aufhielten. Vermutlich eben-                                  schlafplätze mit je mehreren Millionen
lichen Voralpen und Alpen erstmals              falls wegen der tiefen Wasserstände                                  Vögeln.
bis Mitte Oktober verlängerte. Nach-            harrten einige Arten an diversen
weise von Mönchsgeiern waren viel               Orten länger aus als gewöhnlich, etwa
zahlreicher als in den Vorjahren und            Kiebitz- und Sandregenpfeifer. Andere
betrafen bis zu drei Vögel gleich-              versuchten, teils sogar erfolgreich, in                                     Weitere Informationen
zeitig. Aufgrund der erfolgreichen              diesen Gebieten zu überwintern. Dazu                                        www.vogelwarte.ch/zustand/zug
Wiedereinbürgerungsmassnahmen                   gehören Austernfischer, Kampfläufer,

Die Häufigkeit des Birkenzeisigs kann sich von Winter zu Winter stark unterscheiden, wie die Beobachtungsorte in den Wintern 2016/17 (links)
und 2017/18 (rechts) zeigen. Die Punkte geben die Höchstzahl der Vögel pro km² zwischen dem 1. Dezember und dem 15. Februar an:
weiss = 1–2 Ind., gelb = 3–10 Ind., orange = 11–20 Ind., rot = 21–70 Ind.

                                                                                                                                                            21
DURCHZÜGLER

EuroBirdPortal (EBP) – nun nahezu in Echtzeit

Das EuroBirdPortal (EBP) geht auf                European Bird Census Council (EBCC)
eine Idee zurück, die 2012 in der                und mit britischen (BTO), belgischen                Das EuroBirdPortal in Zahlen
internationalen Steuerungsgruppe                 (NATAGORA) und niederländischen                     Partnerorganisationen                81
der ornitho-Familie aufkam. Sie be-              Partnern (SOVON) liess sich in den                  Angeschlossene Länder                29
                                                                                                     Beteiligte Online-Portale            19
absichtigte die Daten, die in den zahl-          letzten drei Jahren ein EU-LIFE-Projekt
                                                                                                     Aktive Melderinnen und Melder   120 000
reichen nationalen und regionalen                umsetzen. Dieses wurde Ende 2018                    Meldungen pro Jahr              45 Mio.
Meldeportalen quer durch Europa                  erfolgreich abgeschlossen. Es be-                   Nachweise insgesamt            320 Mio.
erfasst werden, in einer neu aufzu-              zweckte u.a. die Einführung eines ein-              Zurzeit im Viewer enthaltene
                                                                                                       Vogelarten                        105
bauenden europäischen Datenbank                  heitlichen Austauschformats, die Auto-
                                                                                                     Kosten des LIFE-Projekts      580 000 Fr.
zusammenzuziehen. Erstes Ziel dabei              matisierung des Datentransfers, den
war, den Ornithologinnen und Natur-              Aufbau einer zentralen Datenbank und
freunden eine Übersicht zu bieten,               den Wissenstransfer zu Portalen, die
um das räumliche und zeitliche Auf-              noch wenig etabliert waren.                        Zukunft unklar, aber viel Potenzial
treten der Vögel in Europa zeitnah                                                                  Wünschbar wären eine Ausweitung auf
mitzuverfolgen. Zweites Ziel war, mit            April 2019 – EBP wird «live»                       alle Vogelarten, eine Verdichtung des
der Datenbank die Voraussetzung für              Im April 2019 konnte die Live-Version              Beobachtungsnetzes in östlichen und
kontinentweite Analysen zu schaffen.             des neuen Viewers der Öffentlichkeit               südlichen Ländern, die vollständige
Und drittens wurde angestrebt, die               vorgestellt werden. Aktuell fliessen                Automatisierung des Datentransfers
Wertschätzung gegenüber den Daten-               99,2 % der über die Online-Portale                 und der Aufbau eines Redaktionsteams.
banken und deren grosser Arbeit zu               gesammelten Nachweise von 105                      Auch gibt es viele praktische An-
erhöhen.                                         Vogelarten – im Schnitt 120 000 pro                wendungen, so etwa eine Kombination
   Die Vogelwarte unterstützte den               Tag – jede Nacht automatisch in die                mit Wetterradar für Vorhersagen. Noch
Aufbau des EBP von Beginn weg                    EBP-Datenbank ein. Dabei handelt                   sind indes Fortbestand und Weiter-
finanziell und mit ihrem Know-how.                es sich um Daten, die für Zellen von               entwicklung des EBP nicht gesichert,
Der Anfang war schwierig, denn jede              30 × 30 km Grösse zusammengefasst                  weil die nötigen Finanzen dazu fehlen.
der Datenbanken hatte ihre eigene                sind. Die einzelnen Melder müssen also
Struktur – nix von europäischer Ein-             nicht fürchten, dass ihre Nachweise als
heit! Unter der Federführung des                 hochpräzise Rohdaten verbreitet und                    Weitere Informationen
Katalanischen Institut für Ornitho-              deren Weiterverwendung völlig un-                      www.eurobirdportal.org/swi
logie (ICO), der Schirmherrschaft des            kontrolliert erfolgen würde.

Im EuroBirdPortal lässt sich die Ankunft der Zugvögel in Europa mitverfolgen. Die Phänologie zweier Arten oder das Eintreffen derselben Art in
zwei verschiedenen Jahren kann nebeneinander verglichen werden. So ist die Rauchschwalbe (links) in der letzten Märzwoche in Süd- und
Mitteleuropa schon weit verbreitet, der Mauersegler (rechts) hingegen trifft erst gerade in den südlichsten Gebieten und in Westfrankreich ein.

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Sie können auch lesen