DIE WAHLGERICHTS-BARKEIT DES VERFAS-SUNGSGERICHTSHOFS - JKU ePUB

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                                        Eingereicht von
                                        Lisa-Marie Langer

                                        Angefertigt am
                                        Institut für Verwaltungs-
                                        recht und Verwaltungslehre

                                        Betreuerin
                                        a. Univ.-Prof.in Dr.in
                                        Gudrun Trauner

                                        September 2020

DIE  WAHLGERICHTS-
BARKEIT DES VERFAS-
SUNGSGERICHTSHOFS

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

                                                 JOHANNES KEPLER
                                                 UNIVERSITÄT LINZ
                                                 Altenberger Straße 69
                                                 4040 Linz, Österreich
                                                 jku.at
                                                 DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und
ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht
benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Bad Hall, 12.09.2020
Lisa-Marie Langer                                                INHALT                                                                Seite I

INHALT

ABKÜRZUNGEN .................................................................................................................... III

I.    Einleitung ....................................................................................................................... 1

II.   Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG .................................................................... 3
A.         Wahlen .......................................................................................................................... 3
B.         Amts- und Mandatsverlust .......................................................................................... 5
           1. Mandatsverlustverfahren ....................................................................................... 5
           2. Amtsverlustverfahren .............................................................................................. 7
C.         Volksbegehren, Volksabstimmung, Volksbefragung und Europäische
           Bürgerinitiative .............................................................................................................. 9
D.         Wählerevidenz: Aufnahme und Streichung ........................................................... 11
E.         Selbständig anfechtbare Entscheidungen ............................................................ 13

III. Der VfGH als Wahlgericht ........................................................................................... 15
A.         Art 141 Abs 1 lit a B-VG.............................................................................................. 15
B.         Art 141 Abs 1 lit b B-VG.............................................................................................. 17

IV. Die Wahlanfechtung ................................................................................................... 19
A.         Anfechtungslegitimation .......................................................................................... 19
           1. Wahl zu allgemeinen Vertretungskörpern, Bürgermeisterinnen- und
              Bürgermeisterdirektwahl....................................................................................... 19
           2.   Wahl der Mitglieder des Bundesrats ................................................................... 21
           3.   Wahl der Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten ............................. 21
           4.   Wahl zum Europäischen Parlament ................................................................... 23
           5.   Wahl der Landesregierung und der Gemeindevollziehungsorgane ............. 23
B.         Anfechtungsfrist ......................................................................................................... 24
           1.   Allgemeines ........................................................................................................... 24
           2.   Administrativer Instanzenzug ............................................................................... 26
           3.   Wahl der Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten ............................. 27
           4.   Wahl zum Europäischen Parlament ................................................................... 29
C.         Anfechtungsverfahren .............................................................................................. 30
           1. Antrag ..................................................................................................................... 30
           2. Mündliche Verhandlung ...................................................................................... 34
           3. Entscheidungsfindung (Erkenntnis bzw Beschluss) ........................................... 35
D.         Prüfungsmaßstab ....................................................................................................... 37
Lisa-Marie Langer                                                INHALT                                                               Seite II

           1. Wahlrechtsgrundsätze .......................................................................................... 38
              a)      Das allgemeine Wahlrecht ................................................................... 39
              b)      Das gleiche Wahlrecht .......................................................................... 41
              c)      Das unmittelbare Wahlrecht................................................................. 41
              d)      Das persönliche Wahlrecht ................................................................... 42
              e)      Das geheime Wahlrecht ....................................................................... 42
              f)      Das freie Wahlrecht................................................................................ 43
              g)      Die Verhältniswahl .................................................................................. 43
              h)      Die Briefwahl ........................................................................................... 44
           2. Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ................................................................ 48
           3. Erheblichkeit („… auf das Wahlergebnis von Einfluss war“) ............................ 50
E.         Resultat einer Wahlanfechtung ............................................................................... 53

V. Fazit .............................................................................................................................. 54
LITERATUR ................................................................................................................................. 55
JUDIKATUR ............................................................................................................................... 58
Lisa-Marie Langer                ABKÜRZUNGEN                                  Seite III

ABKÜRZUNGEN
Abs                 Absatz
AK                  Arbeiterkammer
AKWO                Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und
                    Soziales über die Durchführung der Wahl der Vollversamm-
                    lungen der Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiter-
                    kammer-Wahlordnung – AKWO) BGBl II 1998/340 idF 2008/280
Art                 Artikel
BGBl                Bundesgesetzblatt
BPräsWG             Bundespräsidentenwahlgesetz 1971 (BPräsWG) BGBl 1971/57
                    idF BGBl I 2018/61
B-VG                Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1 idF BGBl I 2020/24
BVwG                Bundesverwaltungsgericht
bzw                 beziehungsweise
DI                  Diplomingenieurin/Diplomingenieur
EBIG                Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen
                    Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG)
                    BGBl I 2012/12 idF 2020/22
EGMR                Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK                Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
                    heiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK)
                    BGBl 1958/210 idF BGBl III 2018/139
Erk                 Erkenntnis
EU                  Europäische Union
EuWO                Bundesgesetz über die Wahl der Mitglieder des Europäischen
                    Parlaments (Europawahlordnung – EuWO) BGBl 1996/117 idF
                    BGBl I 2018/32
f                   folgende
ff                  fortfolgende
FPÖ                 Freiheitliche Partei Österreichs
GG                  Grundgesetz für die Republik Deutschland idF BGBl I S 1546
ggf                 gegebenenfalls
GOG-NR              Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung
                    des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975) BGBl
                    1975/410 idF BGBl I 2020/45
GO-VfGH             Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs BGBl 1946/202
                    idF BGBl II 2020/333
GRC                 Charta der Grundrechte der Europäischen Union ABl C
                    2016/202, 389
Lisa-Marie Langer                  ABKÜRZUNGEN                           Seite IV

Hrsg                Herausgeberinnen und Herausgeber
idF                 in der Fassung
idR                 in der Regel
ieS                 im engeren Sinn
iHv                 in Höhe von
iSd                 im Sinne des/der
iVm                 in Verbindung mit
JBl                 Juristische Blätter
Jud                 Judikatur
LGBl                Landesgesetzblatt
lit                 litera (Buchstabe)
LVwG                Landesverwaltungsgericht
Mio                 Million/en
NÖ GRWO             Niederösterreichische Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ
                    GRWO 1994) LGBl 0350-0 idF 2020/34
NÖ                  Niederösterreich
NRWO                Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-
                    Wahlordnung 1992 – NRWO) BGBl 1992/471 idF BGBl I 2018/32
ÖH                  Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft
Oö GemO             Oberösterreichische Gemeindeordnung 1990 (Oö GemO
                    1990) LGBl 1990/91 idF 2020/68
Oö LTWO             Landesgesetz vom 26. Februar 1997 über die Wahl der
                    Mitglieder des Landtages (Oö Landtagswahlordnung) LGBl
                    1997/48 idF 2017/82
Oö L-VG             Oö Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG) LGBl 1991/122 idF
                    2019/39
Oö                  Oberösterreichische/r/s
ORF                 Österreichischer Rundfunk
ÖVP                 Österreichische Volkspartei
RGBl                Reichsgesetzblatt
Rsp                 Rechtsprechung
Rz                  Randziffer
SBU                 Steyregger Bürgerinitiative für Umweltschutz
SPÖ                 Sozialdemokratische Partei Österreichs
StGB                Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher
                    Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB) BGBl
                    1974/60 idF BGBl I 2019/111
Lisa-Marie Langer                ABKÜRZUNGEN                               Seite V

StV Wien            Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines
                    unabhängigen und demokratischen Österreich (Staatsver-
                    trag von Wien) BGBl 1955/152 idF BGBl I 2008/2
Unv-Transparenz-G   Bundesgesetz über die Transparenz und Unvereinbarkeiten für
                    oberste Organe und sonstige öffentliche Funktionäre (Unver-
                    einbarkeits- und Transparenz-Gesetz (Unv-Transparenz-G)
                    BGBl 1983/330 idF BGBl I 2017/138
VAbstG              Volksabstimmungsgesetz 1972 (VAbstG) BGBl 1973/79 idF
                    BGBl I 2018/61
VBefrG              Volksbefragungsgesetz 1989 (VBefrG) BGBl 1989/356 idF BGBl I
                    2018/32
VfGG                Verfassungsgerichthofgesetz 1953 (VfGG) BGBl 1953/85 idF
                    BGBl I 2020/24
VfGH                Verfassungsgerichtshof
vgl                 vergleiche
VoBeG               Volksbegehrengesetz 2018 (VoBeG) BGBl I 2016/106 idF
                    2020/24
VwG                 Verwaltungsgericht/e
VwGG                Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) BGBl 1985/10 idF
                    BGBl I 2020/24
VwGH                Verwaltungsgerichtshof
WaffG               Bundesgesetz über die Waffenpolizei (Waffengesetz 1996 –
                    WaffG) BGBl I 1997/12 idF 2018/97
WEviG               Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der
                    Wahl- und Stimmberechtigten (Wählerevidenzgesetz 2018 –
                    WEviG) BGBl I 2016/106 idF 2019/27
WKG                 Bundesgesetz über die Kammern der gewerblichen Wirt-
                    schaft (Wirtschaftskammergesetz 1998 – WKG) BGBl I 1998/103
                    idF 2020/15
WKWO                Wahlordnung der Wirtschaftskammer
Wr GWO              Gesetz über die Gemeindewahlordnung der Stadt Wien
                    (Wiener Gemeindewahlordnung 1996 – GWO 1996) LGBl
                    1996/16 idF 2020/39
Z                   Ziffer
ZPO                 Gesetz vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren
                    in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung –
                    ZPO) RGBl 1895/113 idF BGBl I 2018/109
ZPzEMRK             Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention
ZustG               Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente
                    (Zustellgesetz – ZustG) BGBl 1982/200 idF 2020/42
Lisa-Marie Langer                                I. Einleitung                                         Seite 1

I.       Einleitung
Wahlen und direktdemokratische Elemente wie Volksabstimmungen sind die
effektivsten Möglichkeiten des Volks, seinen Willen auszudrücken. Demgemäß sind
die politischen Rechte im Bundesverfassungsgesetz (B-VG)1 grundgelegt. Auch in
Art 3 1. Zusatzprotokoll zur EMRK (ZPzEMRK)2 und in Art 8 Staatsvertrag von Wien (StV
Wien)3 finden sich derartige Regelungen, die den Staat zur regelmäßigen Abhaltung
von Wahlen verpflichten. Es versteht sich von selbst, dass es im Sinne der Demokratie
eine Möglichkeit geben muss, solche Verfahren von unabhängiger Stelle prüfen zu
lassen. Diese staatliche Verpflichtung geht mit dem entsprechenden Recht der
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger einher.4 Die Aufgabe der Überprüfung kommt in
Österreich dem Verfassungsgerichtshof zu und ist weitestgehend in Art 141 Abs 1
(B-VG) geregelt. Der Verfassungsgerichtshof überprüft in diesem Sinne ex post –
gewissermaßen als Wächter der Demokratie – das Funktionieren der Wahlverfahren.
Holzinger5 – einstiger Präsident des Verfassungsgerichtshofs – bezeichnete diese
Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs als dessen „vornehmste Pflicht“.

Wie groß die Verantwortung des Verfassungsgerichtshofs ist, zeigt sich auch im
Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland. Während dort in erster Instanz ein
Parlament, nämlich der Bundestag auf Bundesebene (Art 41 Grundgesetz für die
Republik Deutschland [GG]6) und die Länder auf Landesebene, für die Wahlprüfung
zuständig sind und das deutsche Bundesverfassungsgericht bloß gegen deren
Entscheidung angerufen werden kann, entfällt diese parlamentarische Vorprüfung in
Österreich. Vielmehr ist der Verfassungsgerichtshof in Österreich diesbezüglich die
erste und letzte Instanz.7 Historisch betrachtet war die Wahlprüfung vor Einrichtung
des Verfassungsgerichtshofs in Österreich auch dem Parlament zugeordnet. Da es
keine diesbezüglichen Rechtsnormen gab, war es dem freien Ermessen des Abge-
ordnetenhauses überlassen, über die Gültigkeit der Wahlen zu entscheiden.8

1    Bundesverfassungs-Gesetz (B-VG) BGBl 1920/1 idF BGBl I 2020/24.
2    BGBl 1958/210 idF BGBl III 1998/30.
3    Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Öster-
     reich BGBl 1955/152 idF BGBl I 2008/2.
4    Vgl Hengstschläger/Leeb, Grundrechte Rz 1/29.
5    ZiB Spezial Historisches Urteil: VfGH erklärt Stichwahl für ungültig (2016), ORF 2, 01.07.2016.
6    Grundgesetz für die Republik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer
     100-1, veröffentlichen bereinigten Fassung, das zuletzt durch Art 1 des Gesetzes vom 15.11.2019
     (BGBl I S 1546) geändert worden ist.
7    Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763.
8    Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 9.
Lisa-Marie Langer                              I. Einleitung                 Seite 2

In der ursprünglichen Fassung des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 fanden sich
als Kompetenzen bloß die Wahl- und Abstimmungsgerichtsbarkeit, sowie die
Mandatsprüfung normiert. Im Laufe der vergangenen 100 Jahre wurden diese
Kompetenzen mehr und mehr ausgebaut und es traten diverse neue Zuständigkeiten
der Verfassungsgerichtsbarkeit hinzu.9 So finden sich heute neben der Ursprungsma-
terie auch die Kontrolle direktdemokratischer Elemente wie beispielsweise Volksab-
stimmungen und -begehren, die Aufnahme und Streichung von Personen aus den
Wählerevidenzen der Gemeinden sowie die Anfechtung selbständig vor dem
Verfassungsgerichtshof anfechtbarer Bescheide in Art 141 Abs 1 B-VG. Der Vollstän-
digkeit halber finden auch diese Kompetenzen, die Art 141 Abs 1 B-VG dem
Verfassungsgerichtshof einräumt, am Beginn dieser Arbeit Erwähnung und werden
nach den Kriterien Gegenstand, Maßstab und Verfahren kurz abgesteckt.

Das Hauptaugenmerk dieser Diplomarbeit liegt jedoch auf der Wahlgerichtsbarkeit
des Verfassungsgerichtshofs im engeren Sinn, also auf der tatsächlichen Anfechtung
von Wahlen. Diese Thematik soll in der Folge umfassend beleuchtet werden. So
möchte ich zuerst darlegen, was Gegenstand von Wahlanfechtungen sein kann und
welche Bedeutung dieser Thematik zukommt. Auch die Anfechtungslegitimation im
Falle der einzelnen Anfechtungsmöglichkeiten sowie die dazugehörigen Anfech-
tungsfristen sollen genau beleuchtet werden. Schließlich möchte ich das Anfech-
tungsverfahren als solches genau darstellen und genau auf die Art und Weise der
Antragstellung, auf den Ablauf des Verfahrens ieS und auf die Entscheidungsfindung
eingehen. Auch der Prüfungsmaßstab, den der Verfassungsgerichtshof im Rahmen
einer Wahlanfechtung anzulegen hat, soll näher thematisiert werden. Unter diesem
Aspekt möchte ich im Übrigen auch auf die Thematik der Briefwahl sowie auf die
Wahlrechtsgrundsätze kurz eingehen. Im Zuge dieses Werks soll zum Zwecke der
besseren Veranschaulichung nicht nur die Theorie als solche aufgeführt werden.
Vielmehr ist es mir ein besonderes Anliegen, diese Theorie anhand zahlreicher
Beispiele aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu beleben.

9   Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763.
Lisa-Marie Langer      II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG                 Seite 3

II.       Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG
Der Verfassungsgerichtshof ist gemeinsam mit den Verwaltungsgerichten und dem
Verwaltungsgerichtshof im B-VG als Rechtsschutzeinrichtung tituliert. Das B-VG regelt
die Kompetenzen des VfGH, insbesondere in den Art 137-145, abschließend. Zudem
werden einige allgemein gehaltene Bestimmungen bezüglich Organisation des VfGH
und Verfahren vor dem VfGH getroffen. Nähere diesbezügliche Regelungen sind
einfachgesetzlich im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG)10 und in der Ge-
schäftsordnung des VfGH (GO-VfGH)11 zu finden.

Art 141 B-VG ist dem VfGH als Wahlgericht gewidmet. Abs 1 der genannten Norm
erteilt dem VfGH die Kompetenz, genau bezeichnete Wahlverfahren (lit a und b)
und bestimmte direktdemokratische Elemente zu überprüfen (lit h) sowie auch über
einen etwaigen Mandats- bzw Amtsverlust ausgewählter Mandats- und Amtsträge-
rinnen und -träger (lit c-g) zu entscheiden. Weiters obliegt es gemäß Art 141 B-VG
dem VfGH sowohl über die Aufnahme in als auch über die Streichung aus den
Wählerevidenzen der Gemeinden (lit i) und auch über die Anfechtung selbständig
anfechtbarer Bescheide und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden bzw
gegebenenfalls der Verwaltungsgerichte zu entscheiden (lit j). Alle genannten
Zuständigkeiten werden im Folgenden näher beleuchtet.

In weiterer Folge nennt Art 141 Abs 1 B-VG die Voraussetzungen für eine derartige
Anfechtung oder einen derartigen Antrag und steckt zudem den Prüfungsmaßstab
des VfGH ab. Weitere diesbezügliche Regelungen finden sich in den §§ 67 ff VfGG.

A.        Wahlen

Die Wahlprüfungskompetenz des VfGH im engeren Sinne erstreckt sich auf verschie-
dene Wahlen. Die diesbezüglichen Regelungen sind in den lit a und b des Art 141
Abs 1 B-VG zu finden. Art 141 Abs 1 lit a B-VG legt die Zuständigkeit des VfGH für die
Anfechtung von Wahlen zur Bundespräsidenten bzw zum Bundespräsidenten, zu den
allgemeinen Vertretungskörpern, zum Europäischen Parlament und zu den satzungs-
gebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Interessenver-
tretungen, wie beispielsweise Kammern, fest.

10    Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) BGBl 1953/85 idF BGBl I 2020/24.
11    Kundmachung des Bundeskanzleramts vom 12.10.1946, betreffend die Geschäftsordnung des
      Verfassungsgerichtshofs BGBl 1946/202 idF BGBl II 2020/333.
Lisa-Marie Langer       II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG                              Seite 4

Darüber hinaus normiert Art 141 Abs 1 lit b B-VG eine Zuständigkeit des VfGH
bezüglich der Anfechtung von Wahlen in die Landesregierung und in die Vollzie-
hungsorgane einer Gemeinde. Es handelt sich dabei insbesondere um die Bürger-
meisterin bzw den Bürgermeister und den Gemeindevorstand (Stadtrat, Stadtsenat).

Für den Bereich der Verwaltung, wie beispielsweise bei Personalvertretungswahlen,
gilt insbesondere, dass derartige Wahlen – soweit nicht nach Art 141 B-VG überprüf-
bar – auf Administrativebene bekämpfbar sein müssen, um so in der Folge den Weg
zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu ermöglichen. Eine Norm, die keinen
Rechtsschutz im Hinblick auf die Feststellung der Korrektheit des Ablaufes und des
Wahlergebnisses bietet, würde gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.12
Nach diesem Prinzip muss unter anderem die tatsächlich erfolgte gesetzmäßige
Ausübung des Staatshandelns überprüfbar sein. Eine derartige Kontrolle hat jeden-
falls durch unabhängige Kontrolleinrichtungen zu erfolgen (Rechtsschutzstaat).13

Anfechtungsberechtigt ist grundsätzlich14 jene wahlwerbende Partei, die einen
entsprechenden Wahlvorschlag eingebracht hat. Zudem können Wahlwerberinnen
und Wahlwerber, denen die Wählbarkeit aberkannt wurde, einen Anfechtungsan-
trag einbringen. Wahlen in die Landesregierung bzw in den Gemeindevorstand sind
von einem Zehntel der Mitglieder des Landtags bzw des Gemeinderats anfechtbar.15
Als Anfechtungsgrund kann grundsätzlich jede behauptete Rechtswidrigkeit des
betreffenden vorherigen Wahlverfahrens geltend gemacht werden. Aufzuheben hat
der VfGH eine Wahl oder Teile davon nur, wenn diese behauptete Rechtswidrigkeit
das Wahlergebnis letztlich auch tatsächlich beeinflusst hat oder dies hätte können.16

So hatte die FPÖ eine Anfechtung der Nationalratswahl Jahres 1995 eingebracht, welcher vom VfGH
teilweise stattgegeben wurde, da in den Gemeinden Donnerskirchen im Burgenland und Reutte in Tirol
Rechtswidrigkeiten festgestellt werden konnten. So wurden im Zuge des Wahlverfahrens irrtümlich
amtliche Stimmzettel eines anderen Regionalwahlkreises verwendet sowie Personen an einem Ort zur
Wahl zugelassen, an dem sie nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen waren. Der VfGH war der
Auffassung, dass die Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten, weshalb die
diesbezüglichen Verfahren aufgehoben und eine Wahlwiederholung in den betroffenen Gemeinden
angeordnet wurden. Die übrigen Anträge der FPÖ unter anderem auf Neuverteilung der Mandate und
Anordnung von Neuwahlen wurden abgewiesen.17

12   Vgl Hauer, Staats- und Verwaltungshandeln Rz 876.
13   Vgl Leitl-Staudinger, Einführung in das öffentliche Recht Rz 4/4.
14   Vgl unten IV. Kapitel A.
15   Vgl Berka, Verfassungsrecht Rz 1137.
16   Vgl Wieser, Verfassungs- und Verwaltungsrecht 147 f.
17   Vgl Holzinger/Kommenda, Verfassung 380 f; VfGH 28.06.1996, W I-2/1996 (= VfSlg 14.556/1996).
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B.       Amts- und Mandatsverlust

1.       Mandatsverlustverfahren

Gemäß Art 141 Abs 1 lit c B-VG entscheidet der VfGH auf Antrag eines allgemeinen
Vertretungskörpers (Nationalrat, Bundesrat, Landtag, Gemeinderat) über einen
etwaigen Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Dies betrifft auch jene Abgeordne-
ten zum Europäischen Parlament, welche im Zuge der Wahlen zum Europäischen
Parlament in Österreich gewählt wurden.18 Dem Anfechtungsantrag lag herkömm-
lich stets ein dementsprechender Beschluss des Vertretungskörpers zugrunde. Seit der
B-VG-Novelle BGBl I 2016/41 ist es verfassungsgesetzlich zulässig, „in der jeweiligen
Geschäftsordnung eines allgemeinen Vertretungskörpers die Zuständigkeit des
Vorsitzenden des allgemeinen Vertretungskörpers oder bzw. und eines Drittels der
Abgeordneten des allgemeinen Vertretungskörpers für die Antragstellung auf
Mandatsaberkennung beim Verfassungsgerichtshof vorzusehen.“19

Der Antrag muss begehren, dass der VfGH den Mandatsverlust ausspricht. Im Fall
eines dem Anfechtungsantrag zugrundeliegenden Beschlusses, erlischt die Anfech-
tungslegitimation des Vertretungskörpers, wenn der Beschluss nachträglich wegfällt.20
Bei der Beschlussfassung selbst sind die jeweiligen Bestimmungen des Vertretungskör-
pers strikt einzuhalten, sodass am Ende tatsächlich ein rechtswirksamer Beschluss
vorliegt.21 Im Falle des Europäischen Parlaments muss ein derartiger Antrag von
mindestens der Hälfte der von der Republik Österreich entsendeten Abgeordneten
getragen werden.22

Der Gemeinderat kann gemäß Art 141 Abs 1 lit g B-VG den Mandatsverlust eines
Mitglieds des mit der Gemeindevollziehung betrauten Organs hinsichtlich dieser
Funktion beantragen. Dies betrifft insbesondere die Mitglieder des Gemeindevor-
stands (Stadtrat, Stadtsenat) und die Bürgermeisterinnen bzw Bürgermeister. Art 141
Abs 1 lit g B-VG ist auch die gesetzliche Grundlage für einen Antrag eines satzungs-
gebenden Organs einer gesetzlichen beruflichen Interessenvertretung, wie bei-
spielsweise einer Kammer auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder.

18   Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1247.
19   AB 1081 BlgNR 25. GP 4.
20   Vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 71 B-VG I.
21   Vgl Urban § 71 VfGG Rz 40.
22   Vgl Berka, Verfassungsrecht Rz 1142.
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In allen Fällen überprüft der VfGH, ob ein Mandatsverlustgrund vorliegt. Diese sind
einfachgesetzlich geregelt, unter anderem in der jeweiligen Wahlordnung. Darüber
hinaus, kann sich ein Mandatsverlustgrund aus der Landes- oder Bundesverfassung
ergeben. Für Gemeindeorgane ist Entsprechendes oft in den Gemeindeorganisati-
onsgesetzen, wie etwa in der Oberösterreichischen Gemeindeordnung (Oö GemO
1990)23 bzw in den Stadtstatuten geregelt.24 Auch kann beispielsweise einer bzw
einem Abgeordneten zum Nationalrat gemäß § 2 Abs 1 Geschäftsordnungsgesetz
1975 (GOG-NR)25 das Mandat entzogen werden, wenn sie oder er die Angelobung
nicht (anforderungsgemäß) leistet, den Eintritt in den Nationalrat verzögert oder ihm
grundlos fernbleibt und auch nach Aufforderung durch die Nationalratspräsidentin
oder durch den Nationalratspräsidenten nicht erscheint, wenn er bzw sie die
Wählbarkeit verliert oder auch aus Gründen der §§ 9 und 10 Unvereinbarkeits- und
Transparenz-Gesetz (Unv-Transparenz-G)26. Zu beachten ist jedenfalls, dass Wahlver-
fahrensfehler bloß im Zuge der Wahlgerichtsbarkeit ieS bekämpft werden können
und nicht Gegenstand eines Mandatsverlustverfahrens sein können.27

Der Natur der Sache entsprechend gibt es keine Anfechtungsfristen. Ein solches
Verfahren gegen eine Mandatsträgerin oder einen Mandatsträger ist jederzeit
möglich. Erwähnt sei hier noch die Tatsache, dass im Falle eines mit einer durch den
VfGH verfügten Wiederholungswahl einhergehenden Mandatsverlusts, dieser gemäß
Art 141 Abs 2 B-VG gesondert bundesverfassungsgesetzlich abgesichert ist.28

Im verfassungsgerichtlichen Mandatsverlustverfahren sind gemäß § 71 Abs 3 VfGG
die Bestimmungen betreffend Wahlanfechtungen sinngemäß anzuwenden.

Im Übrigen ist ein Widerspruch des Mandatsverlustverfahrens zum geltenden demo-
kratischen Grundprinzip jedenfalls zu verneinen, da schließlich der VfGH selbst in
einem solchen Falle entscheidet.29 Über die Rechtsgültigkeit einer freiwilligen Man-
datsniederlegung hat der VfGH nach eigener Jud übrigens nicht zu entscheiden.30

23   Oö Gemeindeordnung 1990 (Oö GemO 1990) LGBl 1990/91 idF 2020/68.
24   Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1184.
25   Bundesgesetz vom 04.07.1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrats (Geschäftsordnungsge-
     setz 1975 – GOG-NR) BGBl 1975/410 idF BGBl I 2020/45.
26   Bundesgesetz über die Transparenz und Unvereinbarkeiten für oberste Organe und sonstige öffent-
     liche Funktionäre (Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz – Unv-Transparenz-G) BGBl 1983/330 idF
     BGBl I 2017/138.
27   Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1248.
28   Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763.
29   Vgl Berka, Verfassungsrecht, JBl 2014, 548.
30   Vgl Urban, § 71 VfGG Rz 13.
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Gebrauch machte der VfGH von dieser Kompetenz in der Zweiten Republik erstmals im Jahr 1998, als er
dem Abgeordneten zum Nationalrat Peter Rosenstingl sein Mandat entzog. In concreto stützte sich der
diesbezügliche Antrag des Nationalrats auf § 2 Abs 1 Z 2 GOG-NR, nachdem der – sich in brasilianischer
Auslieferungshaft befindliche – Abgeordnete über einen längeren Zeitraum hinweg nicht an den
Sitzungen des Nationalrats teilgenommen hatte. Nach Ansicht des VfGH hatte Peter Rosenstingl nicht
alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Auslieferungshaft und seine damit einhergehende
Abwesenheit zu verhindern und erkannte ihm aus diesem Grund sein Nationalratsmandat ab.31

2.       Amtsverlustverfahren

Die Amtsverlustverfahren (Amtsaberkennungsverfahren) nach Art 141 Abs 1 lit d, lit e
und lit f B-VG ähneln weitestgehend dem Mandatsverlustverfahren, betreffen jedoch
stets die obersten Verwaltungsorgane und die sonstigen obersten Funktionärinnen
und Funktionäre auf Bundes- und Landesebene.32 Der Justizausschuss (AB 1081 BlgNR
25. GP 2) führte zur Schaffung der neuen „Amtsaberkennungsverfahren“ durch
Einfügung der lit d, lit e und lit f in Art 141 Abs 1 B-VG (B-VG-Novelle BGBl I 2016/41)
Folgendes aus: „Die Rechtsfolge des Mandats- bzw. Amtsverlustes bei Wegfall der
Wählbarkeit soll auf alle obersten Organe der Vollziehung ausgedehnt werden. Denn
während einem Mitglied des Nationalrates bzw. einem österreichischen Mitglied des
Europäischen Parlaments, das die Voraussetzung der Wählbarkeit während der
Amtsausübung verliert, vom Verfassungsgerichtshof das Mandat aberkannt werden
kann (Art. 141 Abs. 1 lit. c B-VG iVm § 41 NRWO bzw. § 29 EUWO), ist ein derartiges
Verfahren für den Bundespräsidenten, die Mitglieder der Bundesregierung, die
Staatssekretäre und die Mitglieder der Volksanwaltschaft derzeit nicht vorgesehen,
obwohl schon jetzt die Wählbarkeit Voraussetzung zur Bestellung dieser Organe ist.
(…). In Zukunft sollen daher alle obersten Organe der Vollziehung (Verwaltung) auf
Antrag des jeweiligen zu ihrer Kontrolle berufenen Vertretungskörpers (Bundesver-
sammlung, Nationalrat) durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ihres Amtes
enthoben werden können, wenn sie die Voraussetzung der Wählbarkeit während der
Amtsausübung verlieren.“

31   Vgl VfGH 30.09.1998, W II-1/1998 (= VfSlg 15.266/1998).
32   Vgl auch AB 1081 BlgNR 25. GP 3 f: „Diese Bestimmungen bilden den Kern des neuen Amtsverlustver-
     fahrens gemäß Art. 141 B-VG für die höchsten Organe der Vollziehung. So wie ein Mitglied des
     Nationalrates oder eines Landtages durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes seines Man-
     dates für verlustig erklärt werden kann, wenn es während der Legislaturperiode die Wählbarkeit zum
     Nationalrat bzw. zum Landtag verliert, sollen auch die höchsten Organe der Vollziehung auf Bun-
     desebene (Bundespräsident, Mitglieder der Bundesregierung und Staatssekretäre), der Präsident des
     Rechnungshofes, die Mitglieder der Volksanwaltschaft und die Mitglieder der Landesregierungen
     durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ihres Amtes für verlustig erklärt werden, wenn sie
     während ihrer Amtsführung auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung die Wählbarkeit verlieren.“
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So kann die Bundesversammlung gemäß Art 141 Abs 1 lit d B-VG den Amtsverlust der
Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten beim VfGH beantragen. Als Bundes-
versammlung wird gemäß Art 38 iVm Art 68 Abs 4 B-VG das Zusammentreten von
Nationalrat und Bundesrat zur gemeinsamen und öffentlichen Sitzung bezeichnet.
Abgesehen von den im Unv-Transparenz-G normierten Unvereinbarkeiten sind für die
Bundespräsidentin bzw den Bundespräsidenten keine expliziten Amtsverlustgründe
normiert.33

Nach Art 141 Abs 1 lit e B-VG ist es dem Nationalrat möglich, einen Antrag auf
Amtsverlust eines Mitglieds der Bundesregierung, einer Staatssekretärin bzw eines
Staatssekretärs, der Präsidentin bzw des Präsidenten des Rechnungshofs sowie eines
Mitglieds der Volksanwaltschaft zu stellen. Weiters normiert das B-VG parallel dazu für
die Landesebene gemäß Art 141 Abs 1 lit f B-VG die Antragsmöglichkeit des
Landtags auf Amtsverlust eines Mitglieds der jeweiligen Landesregierung.

Auch im Amtsverlustverfahren erkennt der VfGH darüber, ob es einen gesetzlich
vorgesehenen Grund für einen Amtsverlust gibt.34 Ein solcher Grund wäre beispiels-
weise der Verlust des passiven Wahlrechts (Wählbarkeit) iSd § 41 Abs 1 Nationalrats-
Wahlordnung 1992 (NRWO)35 bzw iSv § 27 Abs 2 Oö Landtagswahlordnung36.

§ 71 Abs 6 VfGG normiert eine Anwendbarkeit der Abs 1-3 des § 71 VfGG, die
entsprechende Regelungen für das Mandatsverlustverfahren treffen. Es kann daher
festgehalten werden, dass auch im Amtsverlustverfahren die Bestimmungen über
Wahlanfechtungen sinngemäß anzuwenden sind.

33   Vgl Urban, § 71 VfGG Rz 63.
34   Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1261.
35   Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrats (Nationalrats-Wahlordnung 1992 – NRWO) BGBl
     1992/471 idF BGBl I 2018/32.binder
36   Landesgesetz vom 26.02.1997 über die Wahl der Mitglieder des Landtags (Oö Landtagswahlord-
     nung) LGBl 1997/48 idF 2017/82.
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C.       Volksbegehren, Volksabstimmung, Volksbefragung
         und Europäische Bürgerinitiative

In der österreichischen parlamentarischen Demokratie, die indirekt ausgestaltet ist,
wählt das Staatsvolk Vertreterinnen und Vertreter in ein Parlament, welches die
Sachentscheidungen anschließend stellvertretend für das Volk trifft. Das Volk nimmt
an diesen Sachentscheidungen nicht mehr direkt teil.37 Die Gesetze werden vielmehr
von den Repräsentanten erlassen, welche die Rechtsunterworfenen zuvor gewählt
haben.38 Als direktdemokratische Elemente können in Österreich das Volksbegehren
gemäß Art 41 Abs 2 B-VG, die Volksabstimmung gemäß Art 43 f B-VG und die
Volksbefragung gemäß Art 49b B-VG bezeichnet werden. Zudem ist auf EU-Ebene
die Europäische Bürgerinnen- und Bürgerinitiative zu nennen.

Das Ergebnis dieser Instrumente kann gemäß Art 141 Abs 1 lit h B-VG (Verwaltungs-
gerichtsbarkeits-Novelle 2012 BGBl I 2012/51) vor dem VfGH begründet angefochten
werden. Ob auch landesverfassungsrechtlich eingerichtete direktdemokratische
Elemente nach Art 141 B-VG anfechtbar sind, war strittig und wurde unter anderem
von Ringhofer ohne überzeugende Begründung verneint.39 Nach Auffassung des
VfGH sind landes(verfassungs)gesetzlich vorgesehene direktdemokratische Elemen-
te, wie in Oberösterreich die Bürgerinnen- und Bürger-Initiative gemäß Art 59 f Oö
Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG)40 gemäß Art 141 B-VG anfechtbar, auch wenn
dies nicht explizit in Art 141 B-VG verankert ist.41 Die ErläutRV42 zur Verwaltungsge-
richtsbarkeits-Novelle 2012 bekräftigten iSd Judikatur des VfGH die Anwendbarkeit
von Art 141 Abs 1 lit h B-VG auf direktdemokratische Elemente sowohl aus dem
Landesbereich als auch aus dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß
Art 117 Abs 8 B-VG.43

37   Vgl B. Binder/Trauner, Öffentliches Recht Rz 155.
38   Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 148.
39   Vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 141 B-VG III.
40   Oö Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG) LGBl 1991/122 idF 2019/39.
41   Vgl VfGH 16.06.2000, V 103/1999 (= VfSlg 15.816/2000).
42   1618 BlgNR 24. GP 20: „Der Entwurf schlägt daher vor, die bisher in Art. 141 Abs. 3 B-VG enthaltenen
     Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes betreffend Volksbegehren, Volksabstimmungen und
     Volksbefragungen in eine neue lit. e [nun: lit h] zu transferieren (…). Hervorzuheben ist, dass die
     vorgeschlagene lit. e [nun: lit h] entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes
     (siehe zuletzt VfSlg. 18.220/2007) nicht nur Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragun-
     gen auf Grund der Bundesverfassung, sondern auch auf Grund der Landesverfassung oder in den
     Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde (Art. 117 Abs. 8 B-VG) umfasst.“
43   Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 2.
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Anfechtungsgrund kann gemäß § 67 Abs 1 VfGG jede behauptete Rechtswidrigkeit
des vorausgegangenen Verfahrens sein.44

Die Antragsberechtigung ergibt sich aus den einfachgesetzlichen Bestimmungen
(§ 16 Abs 1 Volksbegehrengesetz 2018 [VoBeG]45, § 14 Abs 2 Volksabstimmungsge-
setz 1972 [VAbstG]46, § 16 Abs 1 Volksbefragungsgesetz 1989 [VBefrG]47). Zur Anfech-
tung des Ergebnisses eines Volksbegehrens sind die oder der Bevollmächtigte des
Einleitungsantrags oder vier Mitglieder des Nationalrats oder eines Landtags
berechtigt. Für die Anfechtung des Ergebnisses einer Volksabstimmung oder
Volksbefragung bedarf es hingegen einer gewissen Anzahl an Unterstützungserklä-
rungen durch Personen, die in der Stimmliste einer Gemeinde eines bestimmten
Landeswahlkreises zu finden sind, wobei es reicht, dass die erforderlichen Unterstüt-
zungserklärungen eines Landeswahlkreises gegeben sind.48

Betreffend die Anfechtungslegitimation eines direktdemokratischen Elements auf
Landes- und Gemeindeebene hat der Bundesgesetzgeber keine Regelungen
getroffen. In diesem Fall leitet der VfGH die Voraussetzungen für eine Anfechtungsle-
gitimation unmittelbar aus Art 141 Abs 1 lit h B-VG ab. Nach Ansicht des VfGH sind
die Voraussetzungen für eine entsprechende Anfechtungslegitimation so auszuge-
stalten, dass eine Ausübung des Anfechtungsrechts auch tatsächlich möglich ist.49

Die Anfechtungsfrist beträgt vier Wochen ab dem Tag der Verlautbarung des
Ergebnisses. Ursprünglich betrug sie gemäß § 18 Abs 1 Volksbegehrengesetz 197350
eine Woche. Im Jahr 1982 wurde sie mit dem BGBl 1982/233 auf vier Wochen erhöht,
da der VfGH die Wortfolge „innerhalb einer Woche“ für verfassungswidrig befand.
Als Grund gab der VfGH hier einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot an,
welcher aus dem Umstand resultiert, dass die Ausübung des Anfechtungsrechts
aufgrund einer derart kurzen Frist regelmäßig praktisch unmöglich gemacht wird.51

44   Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1189.
45   Volksbegehrengesetz 2018 (VoBeG) BGBl I 2016/106 idF 2020/24.
46   Volksabstimmungsgesetz 1972 (VAbstG) BGBl 1973/79 idF BGBl I 2018/61.
47   Volksbefragungsgesetz 1989 (VBefrG) BGBl 1989/356 idF BGBl I 2018/32.
48   Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1237.
49   Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 6.
50   Volksbegehrengesetz 1973 BGBl 1973/344 idF 2016/120.
51   Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 14.
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Gemäß § 4 Abs 1 Europäisches-Bürgerinitiative-Gesetz (EBIG)52 steht das Anfech-
tungsrecht des Ergebnisses einer Europäischen Bürgerinnen- und Bürgerinitiative der
Organisatorinnen- und Organisatorengruppe der Bürgerinnen- und Bürgerinitiative
binnen einer einzuhaltenden Frist von vier Wochen ab dem Tag der Verlautbarung
zu. Anfechtungsgrund ist die Rechtswidrigkeit des vorangegangenen Verfahrens.

Beispielhaft für die Überprüfung einer Volksbefragung war die Anfechtung des Ergebnisses der
Volksbefragung vom 20.01.2013. Befragungsthema waren die Einführung eines Berufsheers und eines
freiwilligen sozialen Jahrs oder die Beibehaltung von Grundwehr- und Zivildienst. Die Anfechtungswerber
waren der Ansicht, dass der Volksbefragung ein Verstoß gegen Art 49b B-VG innewohnte, da sie ein
Thema zum Inhalt hatte, das kompetenzrechtlich dem Bundesverfassungsgesetzgeber zukommt und
daher nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein konnte. Zudem befanden sie die Fragestellung für
manipulativ, sodass das Ergebnis nicht den wahren Willen der Befragten widerspiegeln würde. Ein
weiterer Mangel lag laut den Anfechtungswerbern darin, dass sich die Befragung, welche dem Inhalt
nach Wehrpflichtige betraf, sich an die falsche Gruppe an Abstimmenden richtete. Schließlich
behaupteten die Anfechtungswerber eine Verletzung des Neutralitätsgebots durch mündliche
Empfehlungen und „Weisungen“, die in Tirol zur Abstimmung erteilt wurden. Der VfGH bejahte die
Zulässigkeit der Abhaltung einer Volksbefragung in einer Angelegenheit, die dem Bundesverfassungsge-
setzgeber zukommt. Auch die vom Anfechtungswerber kritisierte Fragestellung erachtete der VfGH als
zulässig. Einen Einfluss der behaupteten Verfälschung des Befragungsergebnisses bzw eine Verletzung
des Neutralitätsgebots auf das Ergebnis der Volksbefragung konnte der VfGH nicht feststellen. 53

D.       Wählerevidenz: Aufnahme und Streichung

Die Wählerevidenzen der Wahlberechtigten für Wahlen, sowie der Stimmberechtig-
ten im Falle direktdemokratischer Elemente bilden die Grundlage für die Wählerver-
zeichnisse.54 Letztere ist im Grunde eine Kopie der Wählerevidenz zu einem
bestimmten Stichtag.55 Die Erstellung der Wählerevidenzen obliegt gemäß § 1 Abs 2
Wählerevidenzgesetz 2018 (WEviG)56 der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbe-
reich bzw den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die dazu teils auf die Bundes-
wählerevidenz bzw im Falle der Länder Niederösterreich, Burgenland und Vorarlberg
auf entsprechende Landeswählerevidenzen zurückgreifen.57

Ein Grund für eine Streichung aus einer Wählerevidenz kann beispielsweise sein, dass
die betreffende Person ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in jener Gemeinde hat,
welche die jeweilige Wählerevidenz führt.

52   Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürger-
     initiative-Gesetz – EBIG) BGBl I 2012/12 idF 2020/22.
53   Vgl VfGH 28.06.2013, W III-2/2013 (= VfSlg 19.772/2013).
54   Vgl Wieser, Verfassungs- und Verwaltungsrecht 77.
55   Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 3.
56   Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten (Wähler-
     evidenzgesetz 2018 – WEviG) BGBl I 2016/106 idF 2019/27.
57   Vgl Mayrhofer, Landtagswahlen 154 ff.
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Gemäß § 6 ff WEviG kann jede österreichische Staatsbürgerin und jeder österreichi-
sche Staatsbürger in Form eines begründeten Berichtigungsantrags die Aufnahme
oder Streichung einer Person in bzw aus derselben begehren. Der Antrag ist an jene
Gemeinde zu richten, die für die Führung der betreffenden Wählerevidenz zuständig
ist. Die Entscheidung darüber obliegt gemäß § 9 Abs 1 WEviG der Gemeindewahl-
behörde bzw in Wien der Bezirkswahlbehörde. Gegen die Entscheidung der
Gemeinde- bzw der Bezirkswahlbehörde ist eine Beschwerdemöglichkeit vorgese-
hen, über die das BVwG zu entscheiden hat (§ 10 Abs 2 WEviG). Für den Nationalrat
finden sich entsprechende Regelungen in § 28 NRWO. Gegen die Entscheidung des
BVwG kann der VfGH angerufen werden, der gemäß Art 141 Abs 1 lit i B-VG über die
Aufnahme und Streichung von Personen in und aus den Wählerevidenzen und -
verzeichnissen entscheidet.58 § 67 Abs 4 VfGG normiert die sinngemäße Anwendbar-
keit der VfGG-Bestimmungen zu den Wahlanfechtungen, die auf die Rechtswidrig-
keit eines Bescheides oder Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder auf die
Rechtswidrigkeit eines Erkenntnisses bzw Beschlusses eines VwG gegründet werden.

2017 wies der VfGH die Anfechtung eines Erk des BVwG ab, in dem dieses die Aufnahme eines vor dem
Inkrafttreten des Wahlrechtsänderungsgesetzes 201159 strafrechtlich Verurteilten in die Wählerevidenz
verweigerte. 60 Der Anfechtungswerber wurde 2007 wegen schweren Raubes nach den §§ 142 und 143
Strafgesetzbuch (StGB)61 und wegen versuchten Mordes gemäß §§ 15, 75 StGB, sowie wegen fahr-
lässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 und 4 StGB und wegen Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1
Waffengesetz 1996 (WaffG)62 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine
Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. 2014 begehrte er die erneute Aufnahme in die
Wählerevidenz. Den Antrag begründete er damit, dass das Gericht bei seiner Verurteilung 2007 keine
Einschränkung der Bürgerrechte verfügte. Die Wiener Bezirkswahlbehörde wies den Antrag mit Beschluss
ab. Das BVwG wies die wiederum darüber erfolgte Beschwerde ab, was der VfGH bestätigte und
begründend ausführte, dass ein weiterer Ausschluss vom Wahlrecht wegen bestehender Wahlausschlie-
ßungsgründe auf Grund der Art und Schwere der begangenen Straftat im rechtspolitischen Gestal-
tungsspielraum des Gesetzgebers liege.63

58   Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1232.
59   Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das
     Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Wählerevidenzgesetz 1973, das
     Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989,
     das Volksbegehrengesetz 1973 und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden (Wahlrechtsän-
     derungsgesetz 2011) BGBl I 2011/43.
60   VfGH 02.03.2017, W IV-4/2016 (= VfSlg 20.135/2017).
61   Bundesgesetz vom 23.01.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetz-
     buch – StGB) BGBl 1974/60 idF BGBl I 2019/111.
62   Bundesgesetz über die Waffenpolizei (Waffengesetz 1996 – WaffG) BGBl I 1997/12 idF 2018/97.
63   VfGH 02.03.2017, W IV-4/2016 (= VfSlg 20.135/2017).
Lisa-Marie Langer       II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG                                    Seite 13

E.       Selbständig anfechtbare Entscheidungen

Selbständig anfechtbare Bescheide und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden
und gegebenenfalls der Verwaltungsgerichte in den Angelegenheiten gemäß
Art 141 Abs 1 lit a-c und g-i können gemäß Art 141 Abs 1 lit j B-VG beim VfGH
angefochten werden. Dabei ist jede von der Anfechtungswerberin bzw vom
Anfechtungswerber behauptete Rechtswidrigkeit eines vorangegangenen Verfah-
rens belangreich.

Diese Regelung geht auf die mit 01.01.2014 in Kraft getretene Verwaltungsgerichts-
barkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) zurück, ein Rechtszug an die Verwaltungsge-
richte wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 2013/115 ermöglicht. Hintergrund der
Schaffung der neuen Kompetenz des VfGH durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-
Novelle 2012 war die Rsp des VfGH, wonach Bescheide, welche als Teilakte eines
Wahlverfahrens zu werten sind, aufgrund des abweichenden Prüfungsmaßstabs nicht
gemäß Art 144 B-VG angefochten werden können. Vielmehr kann eine derartige
Anfechtung nach Ansicht des VfGH nur mit einer Anfechtung gemäß Art 141 Abs 1
B-VG einhergehen. Seit der B-VG-Novelle BGBl I 2013/11564 sind gemäß Art 130 Abs 5
B-VG nun auch die Verwaltungsgerichte zur Überprüfung befugt, sofern der Landes-
oder der Bundesgesetzgeber dies anordnet.65 Bloße Teilakte eines Wahlverfahrens,
die keine selbständig anfechtbaren Bescheide darstellen, sind nach der Rsp des
VfGH gerade nicht selbständig anfechtbar und können daher weiterhin nur im Zuge
eines Wahlprüfungsverfahrens gemäß Art 141 Abs 1 lit a und b unmittelbar angefoch-
ten werden.66

64   Vgl AB 2381 BlgNR 24. GP 2: „Die Verfassungsrechtslage mit 1. Jänner 2014 (Verwaltungsgerichtsbar-
     keits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012) sähe vor, dass für alle wahlrechtlichen Angelegenheiten (…)
     ausschließlich gemäß Art. 141 Abs. 1 (…) B-VG der Verfassungsgerichtshof zuständig wäre. Da
     aufgrund der durch das Session-System des Verfassungsgerichtshofes bedingten Verfahrensdauer
     nicht sichergestellt wäre, dass rechtzeitig vor einer Wahl eine rechtskräftige Entscheidung darüber,
     ob eine bestimmte Person wahlberechtigt ist oder nicht, vorliegen würde, wird vorgeschlagen, in
     diesen Angelegenheiten einen Rechtszug zu den Verwaltungsgerichten zu ermöglichen. Aus diesem
     Grund wird in Art. 130 Abs. 5 B-VG, der Angelegenheiten, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit und
     dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten sind, von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte
     ausnimmt, die Möglichkeit der Normierung einer bundesverfassungsgesetzlichen Ausnahmerege-
     lung geschaffen. In Art. 141 Abs. 1 lit. g [nun: lit j] B-VG wird von dieser Möglichkeit Gebrauch ge-
     macht, indem vorgesehen wird, dass der Verfassungsgerichtshof in den Angelegenheiten des
     Art. 141 Abs. 1 lit. a bis f [nun: lit a bis c und lit g bis i] B-VG erst nach einem Erkenntnis eines Verwal-
     tungsgerichtes zuständig ist, sofern eine solche Zuständigkeit bundes- oder landesgesetzlich vorge-
     sehen ist.“
65   Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1189b.
66   Vgl auch Trauner, Direktwahl Rz 121; und dies, Gemeinderat Rz 332.
Lisa-Marie Langer     II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG                               Seite 14

Jüngst hob der VfGH – gestützt auf Art 141 Abs 1 lit i iVm lit j B-VG – mehrere Beschlüsse des niederöster-
reichischen LVwG auf, die die Zurückweisung von Beschwerden gegen Streichungen aus dem
Wählerverzeichnis der Gemeinderatswahl 2020 in der Stadtgemeinde Litschau beinhalteten. Ausgangs-
punkt des Falles waren mehrere Berichtigungsanträge gemäß § 23 NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994
(NÖ GRWO 1994)67, die auf Streichung der genannten Personen aus dem Wählerverzeichnis der
Stadtgemeinde Litschau für die dort am 26.01.2020 stattfindende Gemeinderatswahl lauteten. Die
Gemeindewahlbehörde gab dem nicht statt und nahm keine entsprechende Streichung der Personen
aus dem Wählerverzeichnis vor. Dagegen erhob der Anfechtungswerber wiederum Beschwerden beim
LVwG NÖ. Dieses wies die Beschwerden jedoch gemäß § 26 Abs 1 iVm § 71 NÖ GRWO 1994 mit der
Begründung zurück, dass diese einen Tag zu spät eingebracht wurden. Der VfGH teilte die Bedenken
des LVwG NÖ bezüglich der verspäteten Einbringung hingegen nicht und hob daher in der Folge die
entsprechenden Beschlüsse wieder auf.68

67   Verfassungsgesetz – NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994) LBGl 0350-0 idF 2020/34.
68   Vgl VfGH 24.02.2020, W IV-1/2020.
Lisa-Marie Langer                   III. Der VfGH als Wahlgericht                                 Seite 15

III. Der VfGH als Wahlgericht
Die Aufzählung des Art 141 Abs 1 lit a und b B-VG über die Kompetenzen des VfGH
im Rahmen der Wahlgerichtsbarkeit ieS ist taxativ. Wahlen, die von den genannten
Bestimmungen nicht gedeckt sind, müssen nach der Jud des VfGH administrativ
überprüfbar sein, um in der Folge gemäß Art 144 B-VG den Weg zum VfGH zu
eröffnen. Davon konkret betroffen sind unter anderem Wahlen zu den Gemeinde-
ratsausschüssen oder auch zur ÖH. Derartige Wahlen müssen auf Administrativebene
anfechtbar sein, wodurch sich in der Folge der Rechtszug an die Gerichtshöfe des
öffentlichen Rechts eröffnet.

A.       Art 141 Abs 1 lit a B-VG

Die Wahlgerichtsbarkeit ieS umfasst gemäß Art 141 Abs 1 lit a B-VG zunächst die
Anfechtung und Überprüfung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern.
Allgemeine Vertretungskörper in diesem Sinne sind durch Gesetz eingerichtet und
haben die Aufgabe, die Interessen aller Personen zu vertreten, die innerhalb eines
bestimmten Gebiets leben.69 Erfasst sind also jedenfalls die Wahlen zum Nationalrat,
zum Bundesrat, zu den Landtagen und auch zu den Gemeinderäten (vgl Art 117
Abs 1 lit a B-VG). Darüber hinaus ist der Wortlaut des Art 141 Abs 1 lit a B-VG jedoch
auch offen für weitere „allgemeine Vertretungskörper“, abseits der „klassischen
Kandidaten“. Zu den allgemeinen Vertretungskörpern zählen nach der Rsp des VfGH
„– für den Bereich des Art 141 B-VG – auch die in der Gemeinde Wien landesgesetz-
lich eingerichteten Bezirksvertretungen.“70

Ebenfalls nach Art 141 Abs 1 lit a B-VG anfechtbar sind die Wahlen zum Europäischen
Parlament iSd Art 23a Abs 1 B-VG, soweit die Anfechtung das in Österreich abgehal-
tene Wahlverfahren zum Gegenstand hat.

Ein Beispiel für die Anfechtung einer Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper gab es unter
anderem im Jahr 2010 in Form einer von der ÖVP eingebrachten Anfechtung einer oberösterreichi-
schen Gemeinderatswahl. Im Zuge des Verfahrens wurde festgestellt, dass in der Gemeinde Oftering im
Bezirk Linz-Land drei Stimmzettel in rechtswidriger Weise für ungültig erklärt worden waren. Der VfGH kam
im verfassungsgerichtlichen Verfahren zum Ergebnis, dass ein möglicher Einfluss dieser Rechtswidrigkeit
auf das Wahlergebnis tatsächlich gegeben war und hob das Wahlverfahren insoweit auf, als es der
Stimmenabgabe in der jeweiligen Sprengelwahlbehörde (Sprengelwahlbehörde 2) nachfolgte.71

69   VfSlg 1956/Anh 3; vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 141 B-VG I.2.
70   VfGH 16.06.1988, W I-11/1987 (= VfSlg 11.738/1988); vgl auch VfSlg 888/1927, 6087/1969, 16.478/2002.
71   Vgl VfGH 24.02.2010, W I-7/2009 (= VfSlg 19.004/2010).
Lisa-Marie Langer                   III. Der VfGH als Wahlgericht                            Seite 16

Gemäß Art 141 Abs 1 lit a B-VG angefochten werden können außerdem die Wahlen
zu den satzungsgebenden Organen der gesetzlichen beruflichen Interessenvertre-
tungen. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um durch Gesetz eingerichtete
körperschaftlich organisierte Berufskammern mit eigener Rechtspersönlichkeit, denen
unter staatlicher Aufsicht ein weisungsfreier eigener Wirkungsbereich sowie ein
übertragener Wirkungsbereich im Rahmen der staatlichen Verwaltung unter Bindung
an übergeordnete Staatsorgane zukommt.72 Die entsprechenden satzungsgeben-
den Gremien werden stets von den Angehörigen der jeweiligen Kammer gewählt
und erlassen grundlegende Normen in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. Jedenfalls
keine satzungsgebenden Organe sind unter anderem die Personalvertretungen.73

Dahingegen sind die ÖH-Wahlen nach der Rsp des VfGH nicht nach Art 141 B-VG
anfechtbar, da der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH)
nach Ansicht des VfGH die Stellung einer beruflichen Vertretung fehlt. Eine solche ist
eine Vertretung von selbständig oder unselbständig erwerbstätigen Personen.
Mangels Erwerbstätigkeit der Studierenden, kann die ÖH als deren Vertretung kein
berufliches Vertretungsorgan darstellen. Freilich gibt es dennoch die Möglichkeit eine
derartige Wahl überprüfen zu lassen. So findet sich im Hochschülerinnen- und
Hochschülerschaftsgesetz 201474 bzw in der Hochschülerinnen- und Hochschüler-
schaftswahlordnung 201475 eine bescheidmäßige Überprüfung von ÖH-Wahlen
grundgelegt. Der Bescheid ist dann beim zuständigen Verwaltungsgericht bekämpf-
bar, womit sich über Art 144 B-VG wiederum der Weg zum VfGH eröffnet.76

Mit dem 13.03.2013 hob der VfGH eine Reihe von Urwahlen in verschiedene Fachgruppenausschüsse
der Wiener Wirtschaftskammer auf. Grund für diese Aufhebung war die rechtswidrige Streichung von
Wahlwerbern aus dem Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin wegen einer Doppelkandidatur ohne
vorherige Durchführung des entsprechenden Verfahrens, das im Falle einer Mehrfachkandidatur explizit
vorgesehen war.77

Art 141 Abs 1 lit a B-VG normiert schließlich eine Anfechtungsmöglichkeit betreffend
die Wahl zur Bundespräsidentin bzw zum Bundespräsidenten.

72   Vgl Jabornegg/Resch, Arbeitsrecht Rz 720.
73   Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 6 f.
74   Bundesgesetz über die Vertretung der Studierenden (Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsge-
     setz 2014 – HSG 2014) BGBl I 2014/45 idF 2018/31.
75   Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft über die Durchführung
     der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlen (Hochschülerinnen- und Hochschülerschafts-
     wahlordnung 2014 – HSWO 2014) BGBl II 2014/376 idF 2019/79.
76   Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 8.
77   Vgl VfGH 01.03.2013, W I-5/2012 (= VfSlg 19.734/2013).
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