DIE WAHLGERICHTS-BARKEIT DES VERFAS-SUNGSGERICHTSHOFS - JKU ePUB
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. Eingereicht von Lisa-Marie Langer Angefertigt am Institut für Verwaltungs- recht und Verwaltungslehre Betreuerin a. Univ.-Prof.in Dr.in Gudrun Trauner September 2020 DIE WAHLGERICHTS- BARKEIT DES VERFAS- SUNGSGERICHTSHOFS Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Bad Hall, 12.09.2020
Lisa-Marie Langer INHALT Seite I INHALT ABKÜRZUNGEN .................................................................................................................... III I. Einleitung ....................................................................................................................... 1 II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG .................................................................... 3 A. Wahlen .......................................................................................................................... 3 B. Amts- und Mandatsverlust .......................................................................................... 5 1. Mandatsverlustverfahren ....................................................................................... 5 2. Amtsverlustverfahren .............................................................................................. 7 C. Volksbegehren, Volksabstimmung, Volksbefragung und Europäische Bürgerinitiative .............................................................................................................. 9 D. Wählerevidenz: Aufnahme und Streichung ........................................................... 11 E. Selbständig anfechtbare Entscheidungen ............................................................ 13 III. Der VfGH als Wahlgericht ........................................................................................... 15 A. Art 141 Abs 1 lit a B-VG.............................................................................................. 15 B. Art 141 Abs 1 lit b B-VG.............................................................................................. 17 IV. Die Wahlanfechtung ................................................................................................... 19 A. Anfechtungslegitimation .......................................................................................... 19 1. Wahl zu allgemeinen Vertretungskörpern, Bürgermeisterinnen- und Bürgermeisterdirektwahl....................................................................................... 19 2. Wahl der Mitglieder des Bundesrats ................................................................... 21 3. Wahl der Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten ............................. 21 4. Wahl zum Europäischen Parlament ................................................................... 23 5. Wahl der Landesregierung und der Gemeindevollziehungsorgane ............. 23 B. Anfechtungsfrist ......................................................................................................... 24 1. Allgemeines ........................................................................................................... 24 2. Administrativer Instanzenzug ............................................................................... 26 3. Wahl der Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten ............................. 27 4. Wahl zum Europäischen Parlament ................................................................... 29 C. Anfechtungsverfahren .............................................................................................. 30 1. Antrag ..................................................................................................................... 30 2. Mündliche Verhandlung ...................................................................................... 34 3. Entscheidungsfindung (Erkenntnis bzw Beschluss) ........................................... 35 D. Prüfungsmaßstab ....................................................................................................... 37
Lisa-Marie Langer INHALT Seite II 1. Wahlrechtsgrundsätze .......................................................................................... 38 a) Das allgemeine Wahlrecht ................................................................... 39 b) Das gleiche Wahlrecht .......................................................................... 41 c) Das unmittelbare Wahlrecht................................................................. 41 d) Das persönliche Wahlrecht ................................................................... 42 e) Das geheime Wahlrecht ....................................................................... 42 f) Das freie Wahlrecht................................................................................ 43 g) Die Verhältniswahl .................................................................................. 43 h) Die Briefwahl ........................................................................................... 44 2. Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ................................................................ 48 3. Erheblichkeit („… auf das Wahlergebnis von Einfluss war“) ............................ 50 E. Resultat einer Wahlanfechtung ............................................................................... 53 V. Fazit .............................................................................................................................. 54 LITERATUR ................................................................................................................................. 55 JUDIKATUR ............................................................................................................................... 58
Lisa-Marie Langer ABKÜRZUNGEN Seite III ABKÜRZUNGEN Abs Absatz AK Arbeiterkammer AKWO Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über die Durchführung der Wahl der Vollversamm- lungen der Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiter- kammer-Wahlordnung – AKWO) BGBl II 1998/340 idF 2008/280 Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt BPräsWG Bundespräsidentenwahlgesetz 1971 (BPräsWG) BGBl 1971/57 idF BGBl I 2018/61 B-VG Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1 idF BGBl I 2020/24 BVwG Bundesverwaltungsgericht bzw beziehungsweise DI Diplomingenieurin/Diplomingenieur EBIG Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG) BGBl I 2012/12 idF 2020/22 EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei- heiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) BGBl 1958/210 idF BGBl III 2018/139 Erk Erkenntnis EU Europäische Union EuWO Bundesgesetz über die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Europawahlordnung – EuWO) BGBl 1996/117 idF BGBl I 2018/32 f folgende ff fortfolgende FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs GG Grundgesetz für die Republik Deutschland idF BGBl I S 1546 ggf gegebenenfalls GOG-NR Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975) BGBl 1975/410 idF BGBl I 2020/45 GO-VfGH Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs BGBl 1946/202 idF BGBl II 2020/333 GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union ABl C 2016/202, 389
Lisa-Marie Langer ABKÜRZUNGEN Seite IV Hrsg Herausgeberinnen und Herausgeber idF in der Fassung idR in der Regel ieS im engeren Sinn iHv in Höhe von iSd im Sinne des/der iVm in Verbindung mit JBl Juristische Blätter Jud Judikatur LGBl Landesgesetzblatt lit litera (Buchstabe) LVwG Landesverwaltungsgericht Mio Million/en NÖ GRWO Niederösterreichische Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994) LGBl 0350-0 idF 2020/34 NÖ Niederösterreich NRWO Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats- Wahlordnung 1992 – NRWO) BGBl 1992/471 idF BGBl I 2018/32 ÖH Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft Oö GemO Oberösterreichische Gemeindeordnung 1990 (Oö GemO 1990) LGBl 1990/91 idF 2020/68 Oö LTWO Landesgesetz vom 26. Februar 1997 über die Wahl der Mitglieder des Landtages (Oö Landtagswahlordnung) LGBl 1997/48 idF 2017/82 Oö L-VG Oö Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG) LGBl 1991/122 idF 2019/39 Oö Oberösterreichische/r/s ORF Österreichischer Rundfunk ÖVP Österreichische Volkspartei RGBl Reichsgesetzblatt Rsp Rechtsprechung Rz Randziffer SBU Steyregger Bürgerinitiative für Umweltschutz SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs StGB Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB) BGBl 1974/60 idF BGBl I 2019/111
Lisa-Marie Langer ABKÜRZUNGEN Seite V StV Wien Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Staatsver- trag von Wien) BGBl 1955/152 idF BGBl I 2008/2 Unv-Transparenz-G Bundesgesetz über die Transparenz und Unvereinbarkeiten für oberste Organe und sonstige öffentliche Funktionäre (Unver- einbarkeits- und Transparenz-Gesetz (Unv-Transparenz-G) BGBl 1983/330 idF BGBl I 2017/138 VAbstG Volksabstimmungsgesetz 1972 (VAbstG) BGBl 1973/79 idF BGBl I 2018/61 VBefrG Volksbefragungsgesetz 1989 (VBefrG) BGBl 1989/356 idF BGBl I 2018/32 VfGG Verfassungsgerichthofgesetz 1953 (VfGG) BGBl 1953/85 idF BGBl I 2020/24 VfGH Verfassungsgerichtshof vgl vergleiche VoBeG Volksbegehrengesetz 2018 (VoBeG) BGBl I 2016/106 idF 2020/24 VwG Verwaltungsgericht/e VwGG Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) BGBl 1985/10 idF BGBl I 2020/24 VwGH Verwaltungsgerichtshof WaffG Bundesgesetz über die Waffenpolizei (Waffengesetz 1996 – WaffG) BGBl I 1997/12 idF 2018/97 WEviG Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten (Wählerevidenzgesetz 2018 – WEviG) BGBl I 2016/106 idF 2019/27 WKG Bundesgesetz über die Kammern der gewerblichen Wirt- schaft (Wirtschaftskammergesetz 1998 – WKG) BGBl I 1998/103 idF 2020/15 WKWO Wahlordnung der Wirtschaftskammer Wr GWO Gesetz über die Gemeindewahlordnung der Stadt Wien (Wiener Gemeindewahlordnung 1996 – GWO 1996) LGBl 1996/16 idF 2020/39 Z Ziffer ZPO Gesetz vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO) RGBl 1895/113 idF BGBl I 2018/109 ZPzEMRK Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention ZustG Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG) BGBl 1982/200 idF 2020/42
Lisa-Marie Langer I. Einleitung Seite 1 I. Einleitung Wahlen und direktdemokratische Elemente wie Volksabstimmungen sind die effektivsten Möglichkeiten des Volks, seinen Willen auszudrücken. Demgemäß sind die politischen Rechte im Bundesverfassungsgesetz (B-VG)1 grundgelegt. Auch in Art 3 1. Zusatzprotokoll zur EMRK (ZPzEMRK)2 und in Art 8 Staatsvertrag von Wien (StV Wien)3 finden sich derartige Regelungen, die den Staat zur regelmäßigen Abhaltung von Wahlen verpflichten. Es versteht sich von selbst, dass es im Sinne der Demokratie eine Möglichkeit geben muss, solche Verfahren von unabhängiger Stelle prüfen zu lassen. Diese staatliche Verpflichtung geht mit dem entsprechenden Recht der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger einher.4 Die Aufgabe der Überprüfung kommt in Österreich dem Verfassungsgerichtshof zu und ist weitestgehend in Art 141 Abs 1 (B-VG) geregelt. Der Verfassungsgerichtshof überprüft in diesem Sinne ex post – gewissermaßen als Wächter der Demokratie – das Funktionieren der Wahlverfahren. Holzinger5 – einstiger Präsident des Verfassungsgerichtshofs – bezeichnete diese Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs als dessen „vornehmste Pflicht“. Wie groß die Verantwortung des Verfassungsgerichtshofs ist, zeigt sich auch im Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland. Während dort in erster Instanz ein Parlament, nämlich der Bundestag auf Bundesebene (Art 41 Grundgesetz für die Republik Deutschland [GG]6) und die Länder auf Landesebene, für die Wahlprüfung zuständig sind und das deutsche Bundesverfassungsgericht bloß gegen deren Entscheidung angerufen werden kann, entfällt diese parlamentarische Vorprüfung in Österreich. Vielmehr ist der Verfassungsgerichtshof in Österreich diesbezüglich die erste und letzte Instanz.7 Historisch betrachtet war die Wahlprüfung vor Einrichtung des Verfassungsgerichtshofs in Österreich auch dem Parlament zugeordnet. Da es keine diesbezüglichen Rechtsnormen gab, war es dem freien Ermessen des Abge- ordnetenhauses überlassen, über die Gültigkeit der Wahlen zu entscheiden.8 1 Bundesverfassungs-Gesetz (B-VG) BGBl 1920/1 idF BGBl I 2020/24. 2 BGBl 1958/210 idF BGBl III 1998/30. 3 Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Öster- reich BGBl 1955/152 idF BGBl I 2008/2. 4 Vgl Hengstschläger/Leeb, Grundrechte Rz 1/29. 5 ZiB Spezial Historisches Urteil: VfGH erklärt Stichwahl für ungültig (2016), ORF 2, 01.07.2016. 6 Grundgesetz für die Republik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichen bereinigten Fassung, das zuletzt durch Art 1 des Gesetzes vom 15.11.2019 (BGBl I S 1546) geändert worden ist. 7 Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763. 8 Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 9.
Lisa-Marie Langer I. Einleitung Seite 2 In der ursprünglichen Fassung des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 fanden sich als Kompetenzen bloß die Wahl- und Abstimmungsgerichtsbarkeit, sowie die Mandatsprüfung normiert. Im Laufe der vergangenen 100 Jahre wurden diese Kompetenzen mehr und mehr ausgebaut und es traten diverse neue Zuständigkeiten der Verfassungsgerichtsbarkeit hinzu.9 So finden sich heute neben der Ursprungsma- terie auch die Kontrolle direktdemokratischer Elemente wie beispielsweise Volksab- stimmungen und -begehren, die Aufnahme und Streichung von Personen aus den Wählerevidenzen der Gemeinden sowie die Anfechtung selbständig vor dem Verfassungsgerichtshof anfechtbarer Bescheide in Art 141 Abs 1 B-VG. Der Vollstän- digkeit halber finden auch diese Kompetenzen, die Art 141 Abs 1 B-VG dem Verfassungsgerichtshof einräumt, am Beginn dieser Arbeit Erwähnung und werden nach den Kriterien Gegenstand, Maßstab und Verfahren kurz abgesteckt. Das Hauptaugenmerk dieser Diplomarbeit liegt jedoch auf der Wahlgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofs im engeren Sinn, also auf der tatsächlichen Anfechtung von Wahlen. Diese Thematik soll in der Folge umfassend beleuchtet werden. So möchte ich zuerst darlegen, was Gegenstand von Wahlanfechtungen sein kann und welche Bedeutung dieser Thematik zukommt. Auch die Anfechtungslegitimation im Falle der einzelnen Anfechtungsmöglichkeiten sowie die dazugehörigen Anfech- tungsfristen sollen genau beleuchtet werden. Schließlich möchte ich das Anfech- tungsverfahren als solches genau darstellen und genau auf die Art und Weise der Antragstellung, auf den Ablauf des Verfahrens ieS und auf die Entscheidungsfindung eingehen. Auch der Prüfungsmaßstab, den der Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer Wahlanfechtung anzulegen hat, soll näher thematisiert werden. Unter diesem Aspekt möchte ich im Übrigen auch auf die Thematik der Briefwahl sowie auf die Wahlrechtsgrundsätze kurz eingehen. Im Zuge dieses Werks soll zum Zwecke der besseren Veranschaulichung nicht nur die Theorie als solche aufgeführt werden. Vielmehr ist es mir ein besonderes Anliegen, diese Theorie anhand zahlreicher Beispiele aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu beleben. 9 Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 3 II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Der Verfassungsgerichtshof ist gemeinsam mit den Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof im B-VG als Rechtsschutzeinrichtung tituliert. Das B-VG regelt die Kompetenzen des VfGH, insbesondere in den Art 137-145, abschließend. Zudem werden einige allgemein gehaltene Bestimmungen bezüglich Organisation des VfGH und Verfahren vor dem VfGH getroffen. Nähere diesbezügliche Regelungen sind einfachgesetzlich im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG)10 und in der Ge- schäftsordnung des VfGH (GO-VfGH)11 zu finden. Art 141 B-VG ist dem VfGH als Wahlgericht gewidmet. Abs 1 der genannten Norm erteilt dem VfGH die Kompetenz, genau bezeichnete Wahlverfahren (lit a und b) und bestimmte direktdemokratische Elemente zu überprüfen (lit h) sowie auch über einen etwaigen Mandats- bzw Amtsverlust ausgewählter Mandats- und Amtsträge- rinnen und -träger (lit c-g) zu entscheiden. Weiters obliegt es gemäß Art 141 B-VG dem VfGH sowohl über die Aufnahme in als auch über die Streichung aus den Wählerevidenzen der Gemeinden (lit i) und auch über die Anfechtung selbständig anfechtbarer Bescheide und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden bzw gegebenenfalls der Verwaltungsgerichte zu entscheiden (lit j). Alle genannten Zuständigkeiten werden im Folgenden näher beleuchtet. In weiterer Folge nennt Art 141 Abs 1 B-VG die Voraussetzungen für eine derartige Anfechtung oder einen derartigen Antrag und steckt zudem den Prüfungsmaßstab des VfGH ab. Weitere diesbezügliche Regelungen finden sich in den §§ 67 ff VfGG. A. Wahlen Die Wahlprüfungskompetenz des VfGH im engeren Sinne erstreckt sich auf verschie- dene Wahlen. Die diesbezüglichen Regelungen sind in den lit a und b des Art 141 Abs 1 B-VG zu finden. Art 141 Abs 1 lit a B-VG legt die Zuständigkeit des VfGH für die Anfechtung von Wahlen zur Bundespräsidenten bzw zum Bundespräsidenten, zu den allgemeinen Vertretungskörpern, zum Europäischen Parlament und zu den satzungs- gebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Interessenver- tretungen, wie beispielsweise Kammern, fest. 10 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) BGBl 1953/85 idF BGBl I 2020/24. 11 Kundmachung des Bundeskanzleramts vom 12.10.1946, betreffend die Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs BGBl 1946/202 idF BGBl II 2020/333.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 4 Darüber hinaus normiert Art 141 Abs 1 lit b B-VG eine Zuständigkeit des VfGH bezüglich der Anfechtung von Wahlen in die Landesregierung und in die Vollzie- hungsorgane einer Gemeinde. Es handelt sich dabei insbesondere um die Bürger- meisterin bzw den Bürgermeister und den Gemeindevorstand (Stadtrat, Stadtsenat). Für den Bereich der Verwaltung, wie beispielsweise bei Personalvertretungswahlen, gilt insbesondere, dass derartige Wahlen – soweit nicht nach Art 141 B-VG überprüf- bar – auf Administrativebene bekämpfbar sein müssen, um so in der Folge den Weg zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu ermöglichen. Eine Norm, die keinen Rechtsschutz im Hinblick auf die Feststellung der Korrektheit des Ablaufes und des Wahlergebnisses bietet, würde gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.12 Nach diesem Prinzip muss unter anderem die tatsächlich erfolgte gesetzmäßige Ausübung des Staatshandelns überprüfbar sein. Eine derartige Kontrolle hat jeden- falls durch unabhängige Kontrolleinrichtungen zu erfolgen (Rechtsschutzstaat).13 Anfechtungsberechtigt ist grundsätzlich14 jene wahlwerbende Partei, die einen entsprechenden Wahlvorschlag eingebracht hat. Zudem können Wahlwerberinnen und Wahlwerber, denen die Wählbarkeit aberkannt wurde, einen Anfechtungsan- trag einbringen. Wahlen in die Landesregierung bzw in den Gemeindevorstand sind von einem Zehntel der Mitglieder des Landtags bzw des Gemeinderats anfechtbar.15 Als Anfechtungsgrund kann grundsätzlich jede behauptete Rechtswidrigkeit des betreffenden vorherigen Wahlverfahrens geltend gemacht werden. Aufzuheben hat der VfGH eine Wahl oder Teile davon nur, wenn diese behauptete Rechtswidrigkeit das Wahlergebnis letztlich auch tatsächlich beeinflusst hat oder dies hätte können.16 So hatte die FPÖ eine Anfechtung der Nationalratswahl Jahres 1995 eingebracht, welcher vom VfGH teilweise stattgegeben wurde, da in den Gemeinden Donnerskirchen im Burgenland und Reutte in Tirol Rechtswidrigkeiten festgestellt werden konnten. So wurden im Zuge des Wahlverfahrens irrtümlich amtliche Stimmzettel eines anderen Regionalwahlkreises verwendet sowie Personen an einem Ort zur Wahl zugelassen, an dem sie nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen waren. Der VfGH war der Auffassung, dass die Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten, weshalb die diesbezüglichen Verfahren aufgehoben und eine Wahlwiederholung in den betroffenen Gemeinden angeordnet wurden. Die übrigen Anträge der FPÖ unter anderem auf Neuverteilung der Mandate und Anordnung von Neuwahlen wurden abgewiesen.17 12 Vgl Hauer, Staats- und Verwaltungshandeln Rz 876. 13 Vgl Leitl-Staudinger, Einführung in das öffentliche Recht Rz 4/4. 14 Vgl unten IV. Kapitel A. 15 Vgl Berka, Verfassungsrecht Rz 1137. 16 Vgl Wieser, Verfassungs- und Verwaltungsrecht 147 f. 17 Vgl Holzinger/Kommenda, Verfassung 380 f; VfGH 28.06.1996, W I-2/1996 (= VfSlg 14.556/1996).
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 5 B. Amts- und Mandatsverlust 1. Mandatsverlustverfahren Gemäß Art 141 Abs 1 lit c B-VG entscheidet der VfGH auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers (Nationalrat, Bundesrat, Landtag, Gemeinderat) über einen etwaigen Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Dies betrifft auch jene Abgeordne- ten zum Europäischen Parlament, welche im Zuge der Wahlen zum Europäischen Parlament in Österreich gewählt wurden.18 Dem Anfechtungsantrag lag herkömm- lich stets ein dementsprechender Beschluss des Vertretungskörpers zugrunde. Seit der B-VG-Novelle BGBl I 2016/41 ist es verfassungsgesetzlich zulässig, „in der jeweiligen Geschäftsordnung eines allgemeinen Vertretungskörpers die Zuständigkeit des Vorsitzenden des allgemeinen Vertretungskörpers oder bzw. und eines Drittels der Abgeordneten des allgemeinen Vertretungskörpers für die Antragstellung auf Mandatsaberkennung beim Verfassungsgerichtshof vorzusehen.“19 Der Antrag muss begehren, dass der VfGH den Mandatsverlust ausspricht. Im Fall eines dem Anfechtungsantrag zugrundeliegenden Beschlusses, erlischt die Anfech- tungslegitimation des Vertretungskörpers, wenn der Beschluss nachträglich wegfällt.20 Bei der Beschlussfassung selbst sind die jeweiligen Bestimmungen des Vertretungskör- pers strikt einzuhalten, sodass am Ende tatsächlich ein rechtswirksamer Beschluss vorliegt.21 Im Falle des Europäischen Parlaments muss ein derartiger Antrag von mindestens der Hälfte der von der Republik Österreich entsendeten Abgeordneten getragen werden.22 Der Gemeinderat kann gemäß Art 141 Abs 1 lit g B-VG den Mandatsverlust eines Mitglieds des mit der Gemeindevollziehung betrauten Organs hinsichtlich dieser Funktion beantragen. Dies betrifft insbesondere die Mitglieder des Gemeindevor- stands (Stadtrat, Stadtsenat) und die Bürgermeisterinnen bzw Bürgermeister. Art 141 Abs 1 lit g B-VG ist auch die gesetzliche Grundlage für einen Antrag eines satzungs- gebenden Organs einer gesetzlichen beruflichen Interessenvertretung, wie bei- spielsweise einer Kammer auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. 18 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1247. 19 AB 1081 BlgNR 25. GP 4. 20 Vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 71 B-VG I. 21 Vgl Urban § 71 VfGG Rz 40. 22 Vgl Berka, Verfassungsrecht Rz 1142.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 6 In allen Fällen überprüft der VfGH, ob ein Mandatsverlustgrund vorliegt. Diese sind einfachgesetzlich geregelt, unter anderem in der jeweiligen Wahlordnung. Darüber hinaus, kann sich ein Mandatsverlustgrund aus der Landes- oder Bundesverfassung ergeben. Für Gemeindeorgane ist Entsprechendes oft in den Gemeindeorganisati- onsgesetzen, wie etwa in der Oberösterreichischen Gemeindeordnung (Oö GemO 1990)23 bzw in den Stadtstatuten geregelt.24 Auch kann beispielsweise einer bzw einem Abgeordneten zum Nationalrat gemäß § 2 Abs 1 Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG-NR)25 das Mandat entzogen werden, wenn sie oder er die Angelobung nicht (anforderungsgemäß) leistet, den Eintritt in den Nationalrat verzögert oder ihm grundlos fernbleibt und auch nach Aufforderung durch die Nationalratspräsidentin oder durch den Nationalratspräsidenten nicht erscheint, wenn er bzw sie die Wählbarkeit verliert oder auch aus Gründen der §§ 9 und 10 Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz (Unv-Transparenz-G)26. Zu beachten ist jedenfalls, dass Wahlver- fahrensfehler bloß im Zuge der Wahlgerichtsbarkeit ieS bekämpft werden können und nicht Gegenstand eines Mandatsverlustverfahrens sein können.27 Der Natur der Sache entsprechend gibt es keine Anfechtungsfristen. Ein solches Verfahren gegen eine Mandatsträgerin oder einen Mandatsträger ist jederzeit möglich. Erwähnt sei hier noch die Tatsache, dass im Falle eines mit einer durch den VfGH verfügten Wiederholungswahl einhergehenden Mandatsverlusts, dieser gemäß Art 141 Abs 2 B-VG gesondert bundesverfassungsgesetzlich abgesichert ist.28 Im verfassungsgerichtlichen Mandatsverlustverfahren sind gemäß § 71 Abs 3 VfGG die Bestimmungen betreffend Wahlanfechtungen sinngemäß anzuwenden. Im Übrigen ist ein Widerspruch des Mandatsverlustverfahrens zum geltenden demo- kratischen Grundprinzip jedenfalls zu verneinen, da schließlich der VfGH selbst in einem solchen Falle entscheidet.29 Über die Rechtsgültigkeit einer freiwilligen Man- datsniederlegung hat der VfGH nach eigener Jud übrigens nicht zu entscheiden.30 23 Oö Gemeindeordnung 1990 (Oö GemO 1990) LGBl 1990/91 idF 2020/68. 24 Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1184. 25 Bundesgesetz vom 04.07.1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrats (Geschäftsordnungsge- setz 1975 – GOG-NR) BGBl 1975/410 idF BGBl I 2020/45. 26 Bundesgesetz über die Transparenz und Unvereinbarkeiten für oberste Organe und sonstige öffent- liche Funktionäre (Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz – Unv-Transparenz-G) BGBl 1983/330 idF BGBl I 2017/138. 27 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1248. 28 Vgl Strejcek, Wahlgerichtsbarkeit, JBl 2000, 763. 29 Vgl Berka, Verfassungsrecht, JBl 2014, 548. 30 Vgl Urban, § 71 VfGG Rz 13.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 7 Gebrauch machte der VfGH von dieser Kompetenz in der Zweiten Republik erstmals im Jahr 1998, als er dem Abgeordneten zum Nationalrat Peter Rosenstingl sein Mandat entzog. In concreto stützte sich der diesbezügliche Antrag des Nationalrats auf § 2 Abs 1 Z 2 GOG-NR, nachdem der – sich in brasilianischer Auslieferungshaft befindliche – Abgeordnete über einen längeren Zeitraum hinweg nicht an den Sitzungen des Nationalrats teilgenommen hatte. Nach Ansicht des VfGH hatte Peter Rosenstingl nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Auslieferungshaft und seine damit einhergehende Abwesenheit zu verhindern und erkannte ihm aus diesem Grund sein Nationalratsmandat ab.31 2. Amtsverlustverfahren Die Amtsverlustverfahren (Amtsaberkennungsverfahren) nach Art 141 Abs 1 lit d, lit e und lit f B-VG ähneln weitestgehend dem Mandatsverlustverfahren, betreffen jedoch stets die obersten Verwaltungsorgane und die sonstigen obersten Funktionärinnen und Funktionäre auf Bundes- und Landesebene.32 Der Justizausschuss (AB 1081 BlgNR 25. GP 2) führte zur Schaffung der neuen „Amtsaberkennungsverfahren“ durch Einfügung der lit d, lit e und lit f in Art 141 Abs 1 B-VG (B-VG-Novelle BGBl I 2016/41) Folgendes aus: „Die Rechtsfolge des Mandats- bzw. Amtsverlustes bei Wegfall der Wählbarkeit soll auf alle obersten Organe der Vollziehung ausgedehnt werden. Denn während einem Mitglied des Nationalrates bzw. einem österreichischen Mitglied des Europäischen Parlaments, das die Voraussetzung der Wählbarkeit während der Amtsausübung verliert, vom Verfassungsgerichtshof das Mandat aberkannt werden kann (Art. 141 Abs. 1 lit. c B-VG iVm § 41 NRWO bzw. § 29 EUWO), ist ein derartiges Verfahren für den Bundespräsidenten, die Mitglieder der Bundesregierung, die Staatssekretäre und die Mitglieder der Volksanwaltschaft derzeit nicht vorgesehen, obwohl schon jetzt die Wählbarkeit Voraussetzung zur Bestellung dieser Organe ist. (…). In Zukunft sollen daher alle obersten Organe der Vollziehung (Verwaltung) auf Antrag des jeweiligen zu ihrer Kontrolle berufenen Vertretungskörpers (Bundesver- sammlung, Nationalrat) durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ihres Amtes enthoben werden können, wenn sie die Voraussetzung der Wählbarkeit während der Amtsausübung verlieren.“ 31 Vgl VfGH 30.09.1998, W II-1/1998 (= VfSlg 15.266/1998). 32 Vgl auch AB 1081 BlgNR 25. GP 3 f: „Diese Bestimmungen bilden den Kern des neuen Amtsverlustver- fahrens gemäß Art. 141 B-VG für die höchsten Organe der Vollziehung. So wie ein Mitglied des Nationalrates oder eines Landtages durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes seines Man- dates für verlustig erklärt werden kann, wenn es während der Legislaturperiode die Wählbarkeit zum Nationalrat bzw. zum Landtag verliert, sollen auch die höchsten Organe der Vollziehung auf Bun- desebene (Bundespräsident, Mitglieder der Bundesregierung und Staatssekretäre), der Präsident des Rechnungshofes, die Mitglieder der Volksanwaltschaft und die Mitglieder der Landesregierungen durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ihres Amtes für verlustig erklärt werden, wenn sie während ihrer Amtsführung auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung die Wählbarkeit verlieren.“
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 8 So kann die Bundesversammlung gemäß Art 141 Abs 1 lit d B-VG den Amtsverlust der Bundespräsidentin bzw des Bundespräsidenten beim VfGH beantragen. Als Bundes- versammlung wird gemäß Art 38 iVm Art 68 Abs 4 B-VG das Zusammentreten von Nationalrat und Bundesrat zur gemeinsamen und öffentlichen Sitzung bezeichnet. Abgesehen von den im Unv-Transparenz-G normierten Unvereinbarkeiten sind für die Bundespräsidentin bzw den Bundespräsidenten keine expliziten Amtsverlustgründe normiert.33 Nach Art 141 Abs 1 lit e B-VG ist es dem Nationalrat möglich, einen Antrag auf Amtsverlust eines Mitglieds der Bundesregierung, einer Staatssekretärin bzw eines Staatssekretärs, der Präsidentin bzw des Präsidenten des Rechnungshofs sowie eines Mitglieds der Volksanwaltschaft zu stellen. Weiters normiert das B-VG parallel dazu für die Landesebene gemäß Art 141 Abs 1 lit f B-VG die Antragsmöglichkeit des Landtags auf Amtsverlust eines Mitglieds der jeweiligen Landesregierung. Auch im Amtsverlustverfahren erkennt der VfGH darüber, ob es einen gesetzlich vorgesehenen Grund für einen Amtsverlust gibt.34 Ein solcher Grund wäre beispiels- weise der Verlust des passiven Wahlrechts (Wählbarkeit) iSd § 41 Abs 1 Nationalrats- Wahlordnung 1992 (NRWO)35 bzw iSv § 27 Abs 2 Oö Landtagswahlordnung36. § 71 Abs 6 VfGG normiert eine Anwendbarkeit der Abs 1-3 des § 71 VfGG, die entsprechende Regelungen für das Mandatsverlustverfahren treffen. Es kann daher festgehalten werden, dass auch im Amtsverlustverfahren die Bestimmungen über Wahlanfechtungen sinngemäß anzuwenden sind. 33 Vgl Urban, § 71 VfGG Rz 63. 34 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1261. 35 Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrats (Nationalrats-Wahlordnung 1992 – NRWO) BGBl 1992/471 idF BGBl I 2018/32.binder 36 Landesgesetz vom 26.02.1997 über die Wahl der Mitglieder des Landtags (Oö Landtagswahlord- nung) LGBl 1997/48 idF 2017/82.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 9 C. Volksbegehren, Volksabstimmung, Volksbefragung und Europäische Bürgerinitiative In der österreichischen parlamentarischen Demokratie, die indirekt ausgestaltet ist, wählt das Staatsvolk Vertreterinnen und Vertreter in ein Parlament, welches die Sachentscheidungen anschließend stellvertretend für das Volk trifft. Das Volk nimmt an diesen Sachentscheidungen nicht mehr direkt teil.37 Die Gesetze werden vielmehr von den Repräsentanten erlassen, welche die Rechtsunterworfenen zuvor gewählt haben.38 Als direktdemokratische Elemente können in Österreich das Volksbegehren gemäß Art 41 Abs 2 B-VG, die Volksabstimmung gemäß Art 43 f B-VG und die Volksbefragung gemäß Art 49b B-VG bezeichnet werden. Zudem ist auf EU-Ebene die Europäische Bürgerinnen- und Bürgerinitiative zu nennen. Das Ergebnis dieser Instrumente kann gemäß Art 141 Abs 1 lit h B-VG (Verwaltungs- gerichtsbarkeits-Novelle 2012 BGBl I 2012/51) vor dem VfGH begründet angefochten werden. Ob auch landesverfassungsrechtlich eingerichtete direktdemokratische Elemente nach Art 141 B-VG anfechtbar sind, war strittig und wurde unter anderem von Ringhofer ohne überzeugende Begründung verneint.39 Nach Auffassung des VfGH sind landes(verfassungs)gesetzlich vorgesehene direktdemokratische Elemen- te, wie in Oberösterreich die Bürgerinnen- und Bürger-Initiative gemäß Art 59 f Oö Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG)40 gemäß Art 141 B-VG anfechtbar, auch wenn dies nicht explizit in Art 141 B-VG verankert ist.41 Die ErläutRV42 zur Verwaltungsge- richtsbarkeits-Novelle 2012 bekräftigten iSd Judikatur des VfGH die Anwendbarkeit von Art 141 Abs 1 lit h B-VG auf direktdemokratische Elemente sowohl aus dem Landesbereich als auch aus dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß Art 117 Abs 8 B-VG.43 37 Vgl B. Binder/Trauner, Öffentliches Recht Rz 155. 38 Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 148. 39 Vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 141 B-VG III. 40 Oö Landes-Verfassungsgesetz (Oö L-VG) LGBl 1991/122 idF 2019/39. 41 Vgl VfGH 16.06.2000, V 103/1999 (= VfSlg 15.816/2000). 42 1618 BlgNR 24. GP 20: „Der Entwurf schlägt daher vor, die bisher in Art. 141 Abs. 3 B-VG enthaltenen Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes betreffend Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen in eine neue lit. e [nun: lit h] zu transferieren (…). Hervorzuheben ist, dass die vorgeschlagene lit. e [nun: lit h] entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe zuletzt VfSlg. 18.220/2007) nicht nur Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragun- gen auf Grund der Bundesverfassung, sondern auch auf Grund der Landesverfassung oder in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde (Art. 117 Abs. 8 B-VG) umfasst.“ 43 Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 2.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 10 Anfechtungsgrund kann gemäß § 67 Abs 1 VfGG jede behauptete Rechtswidrigkeit des vorausgegangenen Verfahrens sein.44 Die Antragsberechtigung ergibt sich aus den einfachgesetzlichen Bestimmungen (§ 16 Abs 1 Volksbegehrengesetz 2018 [VoBeG]45, § 14 Abs 2 Volksabstimmungsge- setz 1972 [VAbstG]46, § 16 Abs 1 Volksbefragungsgesetz 1989 [VBefrG]47). Zur Anfech- tung des Ergebnisses eines Volksbegehrens sind die oder der Bevollmächtigte des Einleitungsantrags oder vier Mitglieder des Nationalrats oder eines Landtags berechtigt. Für die Anfechtung des Ergebnisses einer Volksabstimmung oder Volksbefragung bedarf es hingegen einer gewissen Anzahl an Unterstützungserklä- rungen durch Personen, die in der Stimmliste einer Gemeinde eines bestimmten Landeswahlkreises zu finden sind, wobei es reicht, dass die erforderlichen Unterstüt- zungserklärungen eines Landeswahlkreises gegeben sind.48 Betreffend die Anfechtungslegitimation eines direktdemokratischen Elements auf Landes- und Gemeindeebene hat der Bundesgesetzgeber keine Regelungen getroffen. In diesem Fall leitet der VfGH die Voraussetzungen für eine Anfechtungsle- gitimation unmittelbar aus Art 141 Abs 1 lit h B-VG ab. Nach Ansicht des VfGH sind die Voraussetzungen für eine entsprechende Anfechtungslegitimation so auszuge- stalten, dass eine Ausübung des Anfechtungsrechts auch tatsächlich möglich ist.49 Die Anfechtungsfrist beträgt vier Wochen ab dem Tag der Verlautbarung des Ergebnisses. Ursprünglich betrug sie gemäß § 18 Abs 1 Volksbegehrengesetz 197350 eine Woche. Im Jahr 1982 wurde sie mit dem BGBl 1982/233 auf vier Wochen erhöht, da der VfGH die Wortfolge „innerhalb einer Woche“ für verfassungswidrig befand. Als Grund gab der VfGH hier einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot an, welcher aus dem Umstand resultiert, dass die Ausübung des Anfechtungsrechts aufgrund einer derart kurzen Frist regelmäßig praktisch unmöglich gemacht wird.51 44 Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1189. 45 Volksbegehrengesetz 2018 (VoBeG) BGBl I 2016/106 idF 2020/24. 46 Volksabstimmungsgesetz 1972 (VAbstG) BGBl 1973/79 idF BGBl I 2018/61. 47 Volksbefragungsgesetz 1989 (VBefrG) BGBl 1989/356 idF BGBl I 2018/32. 48 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1237. 49 Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 6. 50 Volksbegehrengesetz 1973 BGBl 1973/344 idF 2016/120. 51 Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 14.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 11 Gemäß § 4 Abs 1 Europäisches-Bürgerinitiative-Gesetz (EBIG)52 steht das Anfech- tungsrecht des Ergebnisses einer Europäischen Bürgerinnen- und Bürgerinitiative der Organisatorinnen- und Organisatorengruppe der Bürgerinnen- und Bürgerinitiative binnen einer einzuhaltenden Frist von vier Wochen ab dem Tag der Verlautbarung zu. Anfechtungsgrund ist die Rechtswidrigkeit des vorangegangenen Verfahrens. Beispielhaft für die Überprüfung einer Volksbefragung war die Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung vom 20.01.2013. Befragungsthema waren die Einführung eines Berufsheers und eines freiwilligen sozialen Jahrs oder die Beibehaltung von Grundwehr- und Zivildienst. Die Anfechtungswerber waren der Ansicht, dass der Volksbefragung ein Verstoß gegen Art 49b B-VG innewohnte, da sie ein Thema zum Inhalt hatte, das kompetenzrechtlich dem Bundesverfassungsgesetzgeber zukommt und daher nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein konnte. Zudem befanden sie die Fragestellung für manipulativ, sodass das Ergebnis nicht den wahren Willen der Befragten widerspiegeln würde. Ein weiterer Mangel lag laut den Anfechtungswerbern darin, dass sich die Befragung, welche dem Inhalt nach Wehrpflichtige betraf, sich an die falsche Gruppe an Abstimmenden richtete. Schließlich behaupteten die Anfechtungswerber eine Verletzung des Neutralitätsgebots durch mündliche Empfehlungen und „Weisungen“, die in Tirol zur Abstimmung erteilt wurden. Der VfGH bejahte die Zulässigkeit der Abhaltung einer Volksbefragung in einer Angelegenheit, die dem Bundesverfassungsge- setzgeber zukommt. Auch die vom Anfechtungswerber kritisierte Fragestellung erachtete der VfGH als zulässig. Einen Einfluss der behaupteten Verfälschung des Befragungsergebnisses bzw eine Verletzung des Neutralitätsgebots auf das Ergebnis der Volksbefragung konnte der VfGH nicht feststellen. 53 D. Wählerevidenz: Aufnahme und Streichung Die Wählerevidenzen der Wahlberechtigten für Wahlen, sowie der Stimmberechtig- ten im Falle direktdemokratischer Elemente bilden die Grundlage für die Wählerver- zeichnisse.54 Letztere ist im Grunde eine Kopie der Wählerevidenz zu einem bestimmten Stichtag.55 Die Erstellung der Wählerevidenzen obliegt gemäß § 1 Abs 2 Wählerevidenzgesetz 2018 (WEviG)56 der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbe- reich bzw den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die dazu teils auf die Bundes- wählerevidenz bzw im Falle der Länder Niederösterreich, Burgenland und Vorarlberg auf entsprechende Landeswählerevidenzen zurückgreifen.57 Ein Grund für eine Streichung aus einer Wählerevidenz kann beispielsweise sein, dass die betreffende Person ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in jener Gemeinde hat, welche die jeweilige Wählerevidenz führt. 52 Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürger- initiative-Gesetz – EBIG) BGBl I 2012/12 idF 2020/22. 53 Vgl VfGH 28.06.2013, W III-2/2013 (= VfSlg 19.772/2013). 54 Vgl Wieser, Verfassungs- und Verwaltungsrecht 77. 55 Vgl Hörtenhuber/Metzler, Anfechtung, JRP 23/2015, 3. 56 Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten (Wähler- evidenzgesetz 2018 – WEviG) BGBl I 2016/106 idF 2019/27. 57 Vgl Mayrhofer, Landtagswahlen 154 ff.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 12 Gemäß § 6 ff WEviG kann jede österreichische Staatsbürgerin und jeder österreichi- sche Staatsbürger in Form eines begründeten Berichtigungsantrags die Aufnahme oder Streichung einer Person in bzw aus derselben begehren. Der Antrag ist an jene Gemeinde zu richten, die für die Führung der betreffenden Wählerevidenz zuständig ist. Die Entscheidung darüber obliegt gemäß § 9 Abs 1 WEviG der Gemeindewahl- behörde bzw in Wien der Bezirkswahlbehörde. Gegen die Entscheidung der Gemeinde- bzw der Bezirkswahlbehörde ist eine Beschwerdemöglichkeit vorgese- hen, über die das BVwG zu entscheiden hat (§ 10 Abs 2 WEviG). Für den Nationalrat finden sich entsprechende Regelungen in § 28 NRWO. Gegen die Entscheidung des BVwG kann der VfGH angerufen werden, der gemäß Art 141 Abs 1 lit i B-VG über die Aufnahme und Streichung von Personen in und aus den Wählerevidenzen und - verzeichnissen entscheidet.58 § 67 Abs 4 VfGG normiert die sinngemäße Anwendbar- keit der VfGG-Bestimmungen zu den Wahlanfechtungen, die auf die Rechtswidrig- keit eines Bescheides oder Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder auf die Rechtswidrigkeit eines Erkenntnisses bzw Beschlusses eines VwG gegründet werden. 2017 wies der VfGH die Anfechtung eines Erk des BVwG ab, in dem dieses die Aufnahme eines vor dem Inkrafttreten des Wahlrechtsänderungsgesetzes 201159 strafrechtlich Verurteilten in die Wählerevidenz verweigerte. 60 Der Anfechtungswerber wurde 2007 wegen schweren Raubes nach den §§ 142 und 143 Strafgesetzbuch (StGB)61 und wegen versuchten Mordes gemäß §§ 15, 75 StGB, sowie wegen fahr- lässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 und 4 StGB und wegen Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1 Waffengesetz 1996 (WaffG)62 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. 2014 begehrte er die erneute Aufnahme in die Wählerevidenz. Den Antrag begründete er damit, dass das Gericht bei seiner Verurteilung 2007 keine Einschränkung der Bürgerrechte verfügte. Die Wiener Bezirkswahlbehörde wies den Antrag mit Beschluss ab. Das BVwG wies die wiederum darüber erfolgte Beschwerde ab, was der VfGH bestätigte und begründend ausführte, dass ein weiterer Ausschluss vom Wahlrecht wegen bestehender Wahlausschlie- ßungsgründe auf Grund der Art und Schwere der begangenen Straftat im rechtspolitischen Gestal- tungsspielraum des Gesetzgebers liege.63 58 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 1232. 59 Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Wählerevidenzgesetz 1973, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989, das Volksbegehrengesetz 1973 und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden (Wahlrechtsän- derungsgesetz 2011) BGBl I 2011/43. 60 VfGH 02.03.2017, W IV-4/2016 (= VfSlg 20.135/2017). 61 Bundesgesetz vom 23.01.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetz- buch – StGB) BGBl 1974/60 idF BGBl I 2019/111. 62 Bundesgesetz über die Waffenpolizei (Waffengesetz 1996 – WaffG) BGBl I 1997/12 idF 2018/97. 63 VfGH 02.03.2017, W IV-4/2016 (= VfSlg 20.135/2017).
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 13 E. Selbständig anfechtbare Entscheidungen Selbständig anfechtbare Bescheide und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und gegebenenfalls der Verwaltungsgerichte in den Angelegenheiten gemäß Art 141 Abs 1 lit a-c und g-i können gemäß Art 141 Abs 1 lit j B-VG beim VfGH angefochten werden. Dabei ist jede von der Anfechtungswerberin bzw vom Anfechtungswerber behauptete Rechtswidrigkeit eines vorangegangenen Verfah- rens belangreich. Diese Regelung geht auf die mit 01.01.2014 in Kraft getretene Verwaltungsgerichts- barkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) zurück, ein Rechtszug an die Verwaltungsge- richte wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 2013/115 ermöglicht. Hintergrund der Schaffung der neuen Kompetenz des VfGH durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits- Novelle 2012 war die Rsp des VfGH, wonach Bescheide, welche als Teilakte eines Wahlverfahrens zu werten sind, aufgrund des abweichenden Prüfungsmaßstabs nicht gemäß Art 144 B-VG angefochten werden können. Vielmehr kann eine derartige Anfechtung nach Ansicht des VfGH nur mit einer Anfechtung gemäß Art 141 Abs 1 B-VG einhergehen. Seit der B-VG-Novelle BGBl I 2013/11564 sind gemäß Art 130 Abs 5 B-VG nun auch die Verwaltungsgerichte zur Überprüfung befugt, sofern der Landes- oder der Bundesgesetzgeber dies anordnet.65 Bloße Teilakte eines Wahlverfahrens, die keine selbständig anfechtbaren Bescheide darstellen, sind nach der Rsp des VfGH gerade nicht selbständig anfechtbar und können daher weiterhin nur im Zuge eines Wahlprüfungsverfahrens gemäß Art 141 Abs 1 lit a und b unmittelbar angefoch- ten werden.66 64 Vgl AB 2381 BlgNR 24. GP 2: „Die Verfassungsrechtslage mit 1. Jänner 2014 (Verwaltungsgerichtsbar- keits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012) sähe vor, dass für alle wahlrechtlichen Angelegenheiten (…) ausschließlich gemäß Art. 141 Abs. 1 (…) B-VG der Verfassungsgerichtshof zuständig wäre. Da aufgrund der durch das Session-System des Verfassungsgerichtshofes bedingten Verfahrensdauer nicht sichergestellt wäre, dass rechtzeitig vor einer Wahl eine rechtskräftige Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Person wahlberechtigt ist oder nicht, vorliegen würde, wird vorgeschlagen, in diesen Angelegenheiten einen Rechtszug zu den Verwaltungsgerichten zu ermöglichen. Aus diesem Grund wird in Art. 130 Abs. 5 B-VG, der Angelegenheiten, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit und dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten sind, von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausnimmt, die Möglichkeit der Normierung einer bundesverfassungsgesetzlichen Ausnahmerege- lung geschaffen. In Art. 141 Abs. 1 lit. g [nun: lit j] B-VG wird von dieser Möglichkeit Gebrauch ge- macht, indem vorgesehen wird, dass der Verfassungsgerichtshof in den Angelegenheiten des Art. 141 Abs. 1 lit. a bis f [nun: lit a bis c und lit g bis i] B-VG erst nach einem Erkenntnis eines Verwal- tungsgerichtes zuständig ist, sofern eine solche Zuständigkeit bundes- oder landesgesetzlich vorge- sehen ist.“ 65 Vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 1189b. 66 Vgl auch Trauner, Direktwahl Rz 121; und dies, Gemeinderat Rz 332.
Lisa-Marie Langer II. Die Kompetenzen des VfGH nach Art 141 B-VG Seite 14 Jüngst hob der VfGH – gestützt auf Art 141 Abs 1 lit i iVm lit j B-VG – mehrere Beschlüsse des niederöster- reichischen LVwG auf, die die Zurückweisung von Beschwerden gegen Streichungen aus dem Wählerverzeichnis der Gemeinderatswahl 2020 in der Stadtgemeinde Litschau beinhalteten. Ausgangs- punkt des Falles waren mehrere Berichtigungsanträge gemäß § 23 NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994)67, die auf Streichung der genannten Personen aus dem Wählerverzeichnis der Stadtgemeinde Litschau für die dort am 26.01.2020 stattfindende Gemeinderatswahl lauteten. Die Gemeindewahlbehörde gab dem nicht statt und nahm keine entsprechende Streichung der Personen aus dem Wählerverzeichnis vor. Dagegen erhob der Anfechtungswerber wiederum Beschwerden beim LVwG NÖ. Dieses wies die Beschwerden jedoch gemäß § 26 Abs 1 iVm § 71 NÖ GRWO 1994 mit der Begründung zurück, dass diese einen Tag zu spät eingebracht wurden. Der VfGH teilte die Bedenken des LVwG NÖ bezüglich der verspäteten Einbringung hingegen nicht und hob daher in der Folge die entsprechenden Beschlüsse wieder auf.68 67 Verfassungsgesetz – NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994) LBGl 0350-0 idF 2020/34. 68 Vgl VfGH 24.02.2020, W IV-1/2020.
Lisa-Marie Langer III. Der VfGH als Wahlgericht Seite 15 III. Der VfGH als Wahlgericht Die Aufzählung des Art 141 Abs 1 lit a und b B-VG über die Kompetenzen des VfGH im Rahmen der Wahlgerichtsbarkeit ieS ist taxativ. Wahlen, die von den genannten Bestimmungen nicht gedeckt sind, müssen nach der Jud des VfGH administrativ überprüfbar sein, um in der Folge gemäß Art 144 B-VG den Weg zum VfGH zu eröffnen. Davon konkret betroffen sind unter anderem Wahlen zu den Gemeinde- ratsausschüssen oder auch zur ÖH. Derartige Wahlen müssen auf Administrativebene anfechtbar sein, wodurch sich in der Folge der Rechtszug an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eröffnet. A. Art 141 Abs 1 lit a B-VG Die Wahlgerichtsbarkeit ieS umfasst gemäß Art 141 Abs 1 lit a B-VG zunächst die Anfechtung und Überprüfung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern. Allgemeine Vertretungskörper in diesem Sinne sind durch Gesetz eingerichtet und haben die Aufgabe, die Interessen aller Personen zu vertreten, die innerhalb eines bestimmten Gebiets leben.69 Erfasst sind also jedenfalls die Wahlen zum Nationalrat, zum Bundesrat, zu den Landtagen und auch zu den Gemeinderäten (vgl Art 117 Abs 1 lit a B-VG). Darüber hinaus ist der Wortlaut des Art 141 Abs 1 lit a B-VG jedoch auch offen für weitere „allgemeine Vertretungskörper“, abseits der „klassischen Kandidaten“. Zu den allgemeinen Vertretungskörpern zählen nach der Rsp des VfGH „– für den Bereich des Art 141 B-VG – auch die in der Gemeinde Wien landesgesetz- lich eingerichteten Bezirksvertretungen.“70 Ebenfalls nach Art 141 Abs 1 lit a B-VG anfechtbar sind die Wahlen zum Europäischen Parlament iSd Art 23a Abs 1 B-VG, soweit die Anfechtung das in Österreich abgehal- tene Wahlverfahren zum Gegenstand hat. Ein Beispiel für die Anfechtung einer Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper gab es unter anderem im Jahr 2010 in Form einer von der ÖVP eingebrachten Anfechtung einer oberösterreichi- schen Gemeinderatswahl. Im Zuge des Verfahrens wurde festgestellt, dass in der Gemeinde Oftering im Bezirk Linz-Land drei Stimmzettel in rechtswidriger Weise für ungültig erklärt worden waren. Der VfGH kam im verfassungsgerichtlichen Verfahren zum Ergebnis, dass ein möglicher Einfluss dieser Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis tatsächlich gegeben war und hob das Wahlverfahren insoweit auf, als es der Stimmenabgabe in der jeweiligen Sprengelwahlbehörde (Sprengelwahlbehörde 2) nachfolgte.71 69 VfSlg 1956/Anh 3; vgl Mayer/Muzak, B-VG Art 141 B-VG I.2. 70 VfGH 16.06.1988, W I-11/1987 (= VfSlg 11.738/1988); vgl auch VfSlg 888/1927, 6087/1969, 16.478/2002. 71 Vgl VfGH 24.02.2010, W I-7/2009 (= VfSlg 19.004/2010).
Lisa-Marie Langer III. Der VfGH als Wahlgericht Seite 16 Gemäß Art 141 Abs 1 lit a B-VG angefochten werden können außerdem die Wahlen zu den satzungsgebenden Organen der gesetzlichen beruflichen Interessenvertre- tungen. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um durch Gesetz eingerichtete körperschaftlich organisierte Berufskammern mit eigener Rechtspersönlichkeit, denen unter staatlicher Aufsicht ein weisungsfreier eigener Wirkungsbereich sowie ein übertragener Wirkungsbereich im Rahmen der staatlichen Verwaltung unter Bindung an übergeordnete Staatsorgane zukommt.72 Die entsprechenden satzungsgeben- den Gremien werden stets von den Angehörigen der jeweiligen Kammer gewählt und erlassen grundlegende Normen in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. Jedenfalls keine satzungsgebenden Organe sind unter anderem die Personalvertretungen.73 Dahingegen sind die ÖH-Wahlen nach der Rsp des VfGH nicht nach Art 141 B-VG anfechtbar, da der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH) nach Ansicht des VfGH die Stellung einer beruflichen Vertretung fehlt. Eine solche ist eine Vertretung von selbständig oder unselbständig erwerbstätigen Personen. Mangels Erwerbstätigkeit der Studierenden, kann die ÖH als deren Vertretung kein berufliches Vertretungsorgan darstellen. Freilich gibt es dennoch die Möglichkeit eine derartige Wahl überprüfen zu lassen. So findet sich im Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 201474 bzw in der Hochschülerinnen- und Hochschüler- schaftswahlordnung 201475 eine bescheidmäßige Überprüfung von ÖH-Wahlen grundgelegt. Der Bescheid ist dann beim zuständigen Verwaltungsgericht bekämpf- bar, womit sich über Art 144 B-VG wiederum der Weg zum VfGH eröffnet.76 Mit dem 13.03.2013 hob der VfGH eine Reihe von Urwahlen in verschiedene Fachgruppenausschüsse der Wiener Wirtschaftskammer auf. Grund für diese Aufhebung war die rechtswidrige Streichung von Wahlwerbern aus dem Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin wegen einer Doppelkandidatur ohne vorherige Durchführung des entsprechenden Verfahrens, das im Falle einer Mehrfachkandidatur explizit vorgesehen war.77 Art 141 Abs 1 lit a B-VG normiert schließlich eine Anfechtungsmöglichkeit betreffend die Wahl zur Bundespräsidentin bzw zum Bundespräsidenten. 72 Vgl Jabornegg/Resch, Arbeitsrecht Rz 720. 73 Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 6 f. 74 Bundesgesetz über die Vertretung der Studierenden (Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsge- setz 2014 – HSG 2014) BGBl I 2014/45 idF 2018/31. 75 Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft über die Durchführung der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlen (Hochschülerinnen- und Hochschülerschafts- wahlordnung 2014 – HSWO 2014) BGBl II 2014/376 idF 2019/79. 76 Vgl Urban, § 67 VfGG Rz 8. 77 Vgl VfGH 01.03.2013, W I-5/2012 (= VfSlg 19.734/2013).
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