DIE ZAUBER-FLOTE Oper von Wolfgang Amadeus Mozart - Landestheater ...
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DIE ZAUBERFLÖTE Oper von Wolfgang Amadeus Mozart Text von Emanuel Schikaneder MUSIKALISCHE LEITUNG Basil H. E. Coleman INSZENIERUNG Christina Piegger BÜHNE & KOSTÜME Iris Jedamski CHOREOGRAFIE Sunny Prasch DRAMATURGIE Swantje Schmidt-Bundschuh PREMIEREN LANDSHUT 01.10.2021 PASSAU 25.09.2021 STRAUBING 18.01.2022 Vorstellungsdauer ca. 2 Stunden 45 Minuten Eine Pause nach dem ersten Aufzug
BESETZUNG Sarastro Heeyun Choi Tamino Stefan Sbonnik Sprecher Kyung Chun Kim 1. Priester / 1. Geharnischter Jeffrey Nardone 2. Priester / 2. Geharnischter Miroslav Stričević Die Königin der Nacht Ewelina Osowska / Emily Fultz Pamina Henrike Henoch Erste Dame Kathryn J. Brown Zweite Dame Reinhild Buchmayer Dritte Dame Sabine Noack Papageno Peter Tilch Ein altes Weib, später Papagena Claudia Bauer Monostatos Daniel Preis Ein Diener Monostatos’ Michael Kohlhäufl 3. Priester Lukas Körner / Paul Färber 4. Priester Valentin Brunner / Mark Emil Süß Stimmen der drei Knaben Juliane, Alexandra und Raphael Tilch Amor Sunny Prasch Niederbayerische Philharmonie Hammerflügel Basil H. E. Coleman Spielleitung Margit Gilch Inspizienz Matthias Dressel Regieassistenz Joanne Heller Regiehospitanz Clara Fohlert Technische Leitung Michael Rütz Beleuch- tungsmeister Egidius Nigl Veranstaltungsmeister Alexander Kriegler Leitung Schneiderei Heidi Höller Maske Maria Hirblinger Requisite Regina Stemplinger Kostüme und Bühnenbild Werkstätten des Landestheaters Niederbayern 4
Emanuel Schikaneder (1751-1812) wurde in Straubing geboren und wuchs in Regensburg auf, wo er als Knabe Mitglied der Domspatzen war. Ab 1773 war er Mitglied der Moserschen Schau- spielgesellschaft, einer Wandertruppe. Schikaneder gilt als einer der begabtesten Theatermacher seiner Zeit, der nicht nur als Schauspieler sehr erfolgreich war (u.a. als Hamlet), sondern auch als Librettist zahlreicher Sing- und Schauspiele und als Theaterdirektor, u.a. in Augsburg und Regensburg. 1789 übernahm er in Wien die Leitung über das Freihaustheater auf der Wieden; die Zauberflöte war dort das mit Abstand erfolgreichste Stück unter seiner Intendanz. 1801 übernahm er die Leitung über das neu errichtete Theater an der Wien. Wichtigste Bezugsperson in Schikane- ders Leben war die Schauspielerin Eleonore. Die beiden Theaterleute führten eine turbulente Ehe, in der beide Partner fremdgingen, waren aber in künstlerischen Fragen ein eingespieltes Team. Nach den vom Vater Leopold organisierten Wunderkind-Touren des jungen Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und seiner älteren Schwester Nannerl an die Höfe Europas stand Mozart ab 1772 in Diensten des Fürsterzbischofs Colloredo in Salzburg. 1781 befreite er sich aus diesem ungeliebten Arbeitsverhältnis und verlegte seinen Lebensmittelpunkt nach Wien. 1782 heiratete er gegen den Willen des Vaters Constanze Weber. Im gleichen Jahr kam das Singspiel Die Ent- führung aus dem Serail für das Wiener Nationaltheater heraus. 1784 wandte sich Mozart der Freimaurerei zu und trat der Loge „Zur Wohltätigkeit“ bei. Die Da Ponte-Opern entstanden in den Jahren 1786-1790 (Le nozze di Figaro, Don Giovanni, Così fan tutte). 1780 hatten Mozart und Schikaneder sich in Salzburg kennengelernt und angefreundet. Mozart wohnte damals im Tanzmeisterhaus und Schikander stand gegenüber am Schauspielhaus auf der Bühne. Als sich die beiden ein Jahrzehnt später in Wien wieder begegneten, schmiedeten sie bald Pläne für eine Zusammenarbeit. Mozart begann die Komposition der Zauberflöte vermutlich im Frühjahr 1791 und schob im Sommer noch La clemenza di Tito dazwischen, die anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen in Prag uraufgeführt wurde. Knapp zwei Monate vor seinem Tod kam am 30. September Die Zauberflöte unter der Leitung des Komponisten zur Uraufführung. Die Primadonna des Wiedner Theaters und Mozarts Schwägerin, Josepha Hofer, war die erste Königin der Nacht, Schikaneder selbst spielte den Papageno. Die Autoren bedienten mit ihrer ereignisreichen, lustigen und zugleich erbaulichen Geschichte vor mystisch-phantastischem Hintergrund das Verlangen des Wiener Vorstadtpublikums nach Unterhaltung. 6
INHALT VORGESCHICHTE bekommt ein Glockenspiel. Die Damen erteilen Die Königin der Nacht und der König über das Tamino und Papageno den Auftrag, sich in Sara- Sonnenreich sind die Eltern von Pamina. Aus stros Reich aufzumachen. Drei Knaben würden dem Ast einer tausendjährigen Eiche schnitt ihnen dabei helfen. Prinz und Vogelfänger der König einst eine magische Flöte. Kurz vor machen sich auf den Weg. seinem Tod vermachte er den siebenfachen Sonnenkreis, das Symbol seiner Herrschaft, den Pamina versucht, aus ihrem Gefängnis zu ent- Eingeweihten. Er verfügte außerdem, dass sich kommen, doch Monostatos fängt sie wieder Frau und Tochter der Führung weiser Männer ein. Als er sich über die ohnmächtig gewordene überlassen sollen, was die Königin jedoch Gefangene hermachen will, erschrickt er über strikt ablehnt. Der Anführer der Eingeweihten, das plötzliche Erscheinen des Vogelfängers. So Sarastro, hat daraufhin Pamina in seinen etwas haben beide noch nie gesehen: Papage- Tempel entführt. no und Monostatos sind über das Aussehen des jeweils anderen entsetzt. ERSTER AUFZUG Papageno erzählt Pamina vom Vorhaben des Auf der Flucht vor einer Schlange fällt der Prinz Prinzen Tamino, sie im Auftrag ihrer Mutter zu Tamino in Ohnmacht. Drei Damen, Abgesandte befreien. Er selbst sei betrübt, weil seine Suche der Königin der Nacht, töten die Schlange und nach einem Weib bisher erfolglos geblieben ist. bewundern die Schönheit des Jünglings. Pamina tröstet Papageno. Beide preisen die Als Tamino aus seiner Bewusstlosigkeit er- Liebe als gottgleiches Gefühl. wacht, hält er den Vogelfänger Papageno für seinen Lebensretter. Von diesem erfährt er, Tamino steht unterdessen vor den Toren zu Sa- dass er sich im Herrschaftsgebiet der Königin rastros Reich. Er wird vom Sprecher der Priester der Nacht befindet. Die drei Damen bestrafen am Eintreten gehindert. Gleichwohl es ihm nicht Papageno für seine Hochstapelei mit einem erlaubt sei, offen zu reden, sät der Sprecher Schloss vor dem Mund. Tamino händigen sie Zweifel bei Tamino an der Integrität der Königin. ein Portrait Paminas aus, durch das im Prinzen Stimmen aus dem Tempel verraten ihm, dass die Liebe zu dem Mädchen erwacht. Plötzlich Pamina noch am Leben ist. Erleichtert stimmt er erscheint die Königin der Nacht selbst. Sie ein Spiel auf der Zauberflöte an. Hoffnungsfroh klagt Tamino ihr Leid: Die Tochter wurde ihr bemerkt Tamino, dass seinem Flötenspiel Papa- von einem Bösewicht geraubt, weshalb sie ihn genos Pfeifenton antwortet. zum Retter Paminas auserkoren habe. Wenn es Pamina und Papageno geraten auf der Flucht aus Tamino gelinge, sie zu befreien, werde Pamina dem Tempel Monostatos und seinen Sklaven in seine Frau. die Hände. Doch die Zauberkraft des Glocken- So schnell wie sie gekommen war, ist die Kö- spiels setzt die Verfolger außer Gefecht. nigin wieder verschwunden. Die drei Dramen Da erscheint Sarastro mit Gefolge. Nun begeg- überreichen Tamino eine Zauberflöte, Papageno nen sich auch Pamina und Tamino zum ersten 8
Mal. Doch die Freude währt nicht lang: Tamino zu erpressen. Sarastro tritt dazwischen, ver- und Papageno werden sogleich abgeführt und scheucht Monostatos und versichert Pamina, genötigt, sich einer Reihe von Prüfungen zu dass nicht Rachsucht, sondern Menschenliebe stellen. und Vergebung das oberste Gebot in diesen heil’gen Hallen sei. ZWEITER AUFZUG Anschließend führt er Pamina und Tamino zu- Sarastro und die Priesterschaft tagen im Weis- sammen, damit sie sich Lebewohl sagen, da die heitstempel. Sie beschließen, Tamino nach be- letzte Prüfung Todesgefahr für den Prinzen birgt. standener Prüfung in ihren Kreis aufzunehmen, um ihn seiner Bestimmung zuzuführen. Der Papageno ist von Tamino getrennt worden. Er Sprecher und die zwei Priester führen Tamino hat die ersten Prüfungen nicht bestanden und und Papageno in den Tempel ein. Auch Papa- wird folglich das himmlische Vergnügen der geno soll sich den Prüfungen unterziehen. Als Eingeweihten nie fühlen. Er bekräftigt seinen er widerwillig reagiert, wird ihm als Belohnung Wunsch nach einem Glas Wein und einer Ge- eine zu ihm passende Partnerin in Aussicht ge- fährtin, was ihm beides erfüllt wird: Das alte stellt. Abschließend sprechen die Priester eine Weib entpuppt sich als junges Mädchen mit Na- generelle Warnung vor „Weibertücken“ aus. men Papagena! Doch schon wieder funkt ihm Die erste Aufgabe für die Probanden lautet, sich der Priester dazwischen und zieht Papagena in Stillschweigen zu üben. Sogleich erscheinen weg. Jetzt hat Papageno endgültig genug! In so die drei Damen und warnen eindringlich vor den einer falschen Welt will er nicht weiter leben. Eingeweihten. Papageno plappert unaufhörlich, Gerade noch rechtzeitig erinnert er sich an das Tamino bleibt standhaft und verschwiegen. Glockenspiel und siehe da: Papagena erscheint. Der Priester erinnert die beiden noch einmal Nun ist sie ihm ganz gegeben. Eifrig plant das eindringlich an das absolute Sprechverbot. Ein Paar Anzahl und Geschlecht seiner Kinder. altes Weib reicht Papageno ein Glas Wasser Auch Pamina kann nur mit Mühe davon ab- und behauptet, seine Geliebte zu sein. gehalten werden, sich etwas anzutun. Als sie Tamino und Papageno erhalten die ihnen beim wieder Hoffnung schöpft, dass Tamino sie noch Eintritt abgenommenen Musikinstrumente zu- liebt, beschließt sie, die Feuer- und Wasserpro- rück und bekommen ein Festmahl aufgetischt. be mit ihm gemeinsam anzutreten. Tamino, der Während Papageno zulangt, spielt Tamino auf bereits an der Schreckenspforte steht, ist über- seiner Flöte und lockt damit Pamina an. Sie glücklich, Pamina zu sehen. Die Geharnischten ist bestürzt, als Tamino und Papageno ihr mit lassen beide zur Prüfung zu. Geleitet vom Ton Schweigen begegnen. Sie vermutet, dass Tami- der Zauberflöte durchschreiten Tamino und nos Liebe zu ihr schon wieder erloschen sei. Pamina Feuer und Wasser. Ein letzter Versuch Tamino und Papageno folgen einem dreimaligen der Königin der Nacht, ihren drei Damen und Signal aus dem Tempel. Monostatos findet Monostatos, zu intervenieren, scheitert. Die Pamina und will die Gunst der Stunde nutzen. Liebe hat gesiegt. Eine neue Zeit bricht an. Auch er sehnt sich nach Liebe. Doch die Königin der Nacht kommt ihm dazwischen. Sie fordert ihre Tochter auf, Sarastro zu töten und den Son- nenkreis an sich zu nehmen. Monostatos, der alles belauscht hat, versucht vergeblich Pamina 9
DIE ÜBERMENSCHLICHE KRAFT DER LIEBE Rund um Mozarts Zauberflöte Die Zauberflöte ist ein höchst ambivalentes gehören Christoph Martin Wielands Märchen- Kunstwerk, das in seiner Perfektion viele Rätsel sammlung Dschinnistan von 1786-89 (inklusi- aufgibt. Die Musik dieses Märchens steht oft ve der Geschichten Lulu oder Die Zauberflöte quer zum Text, manche Aussagen passen nicht und Der Stein der Weisen) sowie Jean Terras- zusammen und nicht wenige Figuren lassen sons Geschichte des Sethos, eine romanhafte sich in mehrere Richtungen deuten. Mozart und Ägypten-Fiktion, deren deutsche Übersetzung Schikaneder entwarfen die Utopie einer ebenso um 1779 Matthias Claudius besorgt hatte. humanen wie verspielten Welt. Die zauberhafte Flöte rückt Tamino in die Das Geschehen in der Zauberflöte trägt sich Nähe des thrakischen Sängers Orpheus, des- an einem Tag an verschiedenen Orten zu und sen Musik gleichfalls die wilden Tiere des läuft in mehreren miteinander verwobenen Waldes zähmt und die Götter entzückt. Hier Strängen ab. In singspielhafter Manier gibt es wird die einzigartige Macht der Musik be- Dialoge neben Gesangsnummern in deutscher schworen. Wenn in der Oper die Zauberflöte Sprache. Bei der Uraufführung wurde die Zau- als Instrument zum Einsatz kommt, spielt sie berflöte als „Große Oper“ angekündigt. Als in strahlendem C-Dur, so in Taminos Ariette Vorbild erkennbar ist ebenfalls die damals „Holde Flöte“ sowie in der Feuer- und Was- populäre Zauberoper mit ihrem klassischen serprobe. Ihr starker Zauberton nimmt den Kampf Gut gegen Böse. Das Neben- und teils gefährlichen Prüfungen den Schrecken; über- auch Durcheinander von hehrer Kunst und raschend schnell und komplikationslos durch- populärem Spiel, von Ernst und Klamauk, er- schreiten die Probanden mit ihrer Hilfe Feuer hoben Mozart und Schikaneder zum Prinzip und Wasser. Die fröhliche Flötenmelodie über ihrer Dramaturgie. Es gelang ihnen mühelos, dem Marsch wirkt wie ein Schutzschild, der innerhalb von Sekunden vom heroischen Se- die Gefahren überdeckt, welche hier nicht de- ria-Gestus auf einen liedhaften Komödienton skriptiv von der Musik illustriert werden, wie umzuschwenken, ohne dass es sich wie ein es die Romantik vermutlich getan hätte. Bruch anfühlt. Die schnellen Wechsel der Schauplätze waren auch der beeindruckenden Den wohl wichtigsten geistigen Hintergrund des Bühnenmaschinerie des Wiedner Theaters ge- Werkes bildet die Symbolik der Freimaurer. Die schuldet, die das Publikum immer wieder mit Aufnahmeprozedur mit den zu absolvierenden technischen Effekten in Staunen versetzte. Prüfungen hat ihr Vorbild in deren Ritualen, die darauf abzielten, den Prüfling in seinem Inners- Für Handlung und Personal der Zauberflöte ten zu erschüttern; dazu wird er in Angst und dienten verschiedene antike und orientalische Schrecken versetzt, um hinterher Erleichterung Quellen als Fundgrube, die im Kontext der und Freude zu empfinden. Diese Riten verstan- damaligen Zeit auch ein Nährboden für die den die Freimaurer als eine Fortsetzung der Gedankenwelt der Aufklärung waren: Dazu altägyptischen Priesterwelt, allen voran den 11
Mysterien der Isis. Ignaz von Born, Herausgeber jede für sich eine ungeahnte Zuneigung zu des Journals für Freimaurer, hatte 1784 zu dem dem Jüngling. Doch die heroische Fassade Thema einen Aufsatz mit dem Titel „Über die bröckelt, aus dem kampfesmutigen Trio wer- Mysterien der Ägypter“ veröffentlicht. Unter sei- den drei pubertäre Zicken: „Ich, ich, ich“, ru- ner Leitung war die Loge „Zur Wahren Eintracht“ fen sie – doch den Wettstreit um seine Gunst gegründet worden, die sich zu einem Hort der kriegt der jugendliche Held gar nicht mit, er Aufklärung entwickelte. Auch Schikaneder und ist ohnmächtig geworden. Mozarts subtiler Mozart gehörten bekanntlich verschiedenen Lo- Humor zeigt sich in vielen solcher musikali- gen an. Gleichwohl die Blütezeit der Wiener Frei- schen Details. So bekommt die Ankündigung maurer bereits vorbei war (ca.1780-85), konnten „Doch keine geht!“ einen fanfarenartigen die Autoren darauf vertrauen, dass das Publikum Duktus, der nicht so recht zum Inhalt passt. Im mit den Grundzügen des humanistischen Ideals lieblichen „Du Jüngling, schön und liebevoll“ der Freimaurer und der Allianz aus Mysterium nehmen die drei Damen zwar wieder Haltung und Aufklärung vertraut war. an, können sich aber hörbar kaum von Tami- Die Zauberflöte wurde zwei Jahre nach der nos Schönheit losreißen. Das Grundthema der Französischen Revolution komponiert, und Oper ist somit etabliert: Die universelle Sehn- auch sie spielt in einer Übergangszeit, in der sucht nach Liebe, die alle Figuren teilen. die Eingeweihten das Sagen haben, aber nur Die drei Damen sorgen für eine Reihe amü- so lange, bis ein aufgeklärter Herrscher ge- santer Momente. Auch in den Quintetten mit funden ist, in dessen Hände sie die Macht Tamino und Papageno geben sie einerseits des Sonnenstaates legen können. Die in der ein paar moralische Merksätze zum Besten, Zauberflöte immer wieder anklingende Licht- betreiben mit wechselndem Erfolg Manipula- Metapher gehörte zum Inventar der aufklä- tionsversuche, verlieren sich immer wieder in rerischen Rhetorik, wonach die Vernunft den privatem Geplapper und fallen sich gegensei- Geist und die Gesellschaft zu erhellen vermag. tig ins Wort. Der Einfluss der Freimaurerei ist ferner in der allgegenwärtigen trinären Symbolik enthal- Die Arien ihrer Chefin, der Königin der Nacht, ten. Die für Gerechtigkeit stehende Dreizahl sind im Stil der Opera seria gehalten. Deren ist omnipräsent: Es gibt drei Damen, drei Kna- Koloraturen, gekrönt vom dreigestrichenen f, ben, drei Tempel, drei Prüfungsstadien, drei sind über jeden Zweifel erhaben. Illustriert Akkorde der Priester und nicht zuletzt sind in von einem Orchester-Crescendo rauscht die der Grundtonart der Oper, Es-Dur, drei b vor- Königin heran. Sie zeigt sich nicht sogleich gezeichnet (u.a. Ouvertüre, Bildnisarie, „Bei als gefühlskalte Regentin, sondern als ge- Männern, welche Liebe fühlen“). brochene, leidende Mutter („Zum Leiden bin ich auserkoren“). Die Trauertonart g-Moll des Und Action! Beginnen tut die Oper im Larghettos schafft eine Verbindung zur Arie Nachtreich der Königin. Ein Allegro in c-Moll ihrer Tochter („Ach, ich fühl’s“), das angstvol- („Zu Hilfe“) wirft den Zuschauer mitten hin- le „Zittern“ spiegeln die Violinen in einer be- ein ins Geschehen. Der Held wird von einer benden Bewegung. Viel ist darüber gerätselt Schlange verfolgt, ihm pocht das Herz. Kurzer- worden, ob der Schmerz der Königin echt sei hand erlegen die drei Damen das Ungeheuer oder ob die Zurschaustellung ihrer Leiden nur und kosten ihren Triumph aus. Alsbald fasst dazu diene, Taminos Mitgefühl zu erregen, be- 12
vor sie ihm ihren Plan unterbreitet. Mit „Denn doch vom Sprecher zurückgehalten, der ihn auf- meine Hilfe war zu schwach“ verebbt die fordert, sich zunächst der Tugendlehre Sarastros Stimme der Königin gar, doch nur um sich im zu unterwerfen. Schienen zuvor die Seiten von Allegro moderato zu voller Größe aufzubauen. Gut und Böse klar abgesteckt und die Sympathi- Die Aufforderung an Tamino, ihre Tochter zu en entsprechend verteilt, wird der Held Tamino retten, duldet keinen Widerspruch („Du, du, an dieser Stelle verunsichert, welcher Version du, wirst sie zu befreien gehen!“) der Geschichte er Glauben schenken soll: Hat die Königin gelogen, als sie von Sarastro als ei- Anders als die Königin, deren Rachsucht und nem Bösewicht sprach? Oder sagt der Sprecher Erregung sich später in barockem Furor entla- die Unwahrheit, wenn er die Königin in einem den („Der Hölle Rache“), antwortet Sarastro schlechten Licht erscheinen lässt? In gleichem in der „Hallenarie“ mit der Botschaft der ge- Maße wird das Publikum verunsichert, welcher waltfreien Vergebung in einer arios-kantablen Seite es den Sieg und welcher den Untergang Form von berückend edler Einfachheit und wünschen soll – eine bei einem Märchen an- Würde. Diese in sich ruhende, staatsmänni- sonsten einfach zu beantwortende Frage. In sche Haltung verschafft ihm gewiss ein paar Taminos Augen vertreten die Königin und ihre mehr Sympathiepunkte beim Publikum als die Damen von nun an jedenfalls das Falsche und Wutrede der Königin. Mozart setzt hier be- Sarastro verkörpert die Wahrheit. wusst einen deutlichen Kontrast zu der voran- gangenen Arie. Wie ist dieser Perspektivwechsel um 180 Grad Sarastro und seine Priester sind durch getra- zu verstehen? War jene Kehrtwende eine Inkon- gene Tempi und gedämpfte Bläser von einer sequenz oder bewusstes Kalkül der Autoren? weihevollen Aura umhüllt. Allein die Wirkung Die These, Mozart und Schikaneder hätten mit der drei Akkorde ist außerordentlich. Mit Rücksicht auf ein Konkurrenzwerk mitten in der ihnen betritt der Zuschauer einen sakralen Arbeit die Konzeption der Oper vollkommen um- Raum, in dem feierliche Zusammenkünfte ze- geworfen, gilt mittlerweile als widerlegt. In dem lebriert werden. beschriebenen Ritual geht es ja gerade um den Prozess einer Verwandlung des Menschen. An Eine Schlüsselposition kommt Taminos „Bild- dieser Stelle ist die Oper geradezu erschreckend nisarie“ zu, denn seine Liebe zu Pamina setzt modern; sie führt eindrücklich vor Augen, dass die Handlung erst in Gang. Wir erleben hier Lagerbildung mit dem dazugehörigen Schwarz- das Gefühlschaos eines Menschen, der sich Weiß-Denken in einer komplexen Welt zu kurz zum ersten Mal in seinem Leben verliebt und greift. Es fällt ja nicht schwer, sich Sarastro und versucht, der diffusen Erregung Herr zu wer- seine Priester als eine Gruppe von Verschwö- den. Eine tiefgreifende Verwandlung ereignet rungstheoretikern vorzustellen, die Tamino er- sich in dieser Arie, die Tamino nachhaltiger mahnen, den Falschmeldungen der Königin kein prägen wird, als alle Prüfungen, die da folgen. Gehör zu schenken. Bevor er in den erlauchten Kreis der „Eingeweihten“ aufgenommen wird, Ein großes Fragezeichen in der Oper war stets muss er sich erst beweisen und sich die Aufnah- der „dramaturgische Bruch“ vor dem Finale des me quasi verdienen – aus psychologischer Sicht ersten Aufzugs: Tamino will in den Tempel Saras- ein interessanter Schachzug, um die Bindung an tros eindringen, um Pamina zu befreien, wird je- die Gruppe noch zu verstärken. 13
Musikalisch gesehen ist diese Stelle nicht zu- Pamina und Papageno sind Geschwister im fällig die progressivste in der Zauberflöte, von Geiste. Eigentlich müsste die Gefährtin an der im Nachhinein gesagt wurde, dass sie der Taminos Seite ja folgerichtig „Tamina“ hei- durchkomponierten romantischen Oper den ßen. Die Anfangssilbe ihres Namens rückt die Weg ebnete. Es handelt sich um einen erreg- Königstochter jedoch in die Nähe Papagenos. ten, rezitativischen Dialog, angereichert durch Sie überschreitet nicht nur die Grenzen ihres illustrative Kommentare das Orchesters und Geschlechts, sondern auch die ihres sozialen liedhafte Einschübe („Der Lieb und Tugend Ei- Standes. Wenn es um die Kernbotschaft der gentum“, „Sobald dich führt der Freundschaft Oper geht, singen Pamina und Papageno die Hand ins Heiligtum zum ew‘gen Band“). Dass vielleicht wichtigste Nummer: „Bei Männern, Tamino an den widersprüchlichen Aussagen zu welche Liebe fühlen“. Dort heißt es „Mann verzweifeln droht, zeigt auch die tonartliche Un- und Weib, und Weib und Mann, reichen an die entschlossenheit der Szene: Der Held hat den Gottheit an“. Die Liebe als höchstes Prinzip harmonischen Boden unter den Füßen verloren. schlägt hier alle anderen Tugenden und Weis- heiten. Sie ist eine im Wortsinn übermensch- Papageno, ein Verwandter des Hanswurst aus liche Kraft. Das ist die hoffnungsfrohe, le- dem Alt-Wiener Volkstheater und Sympathie- bensbejahende Botschaft dieser zauberhaften träger des Abends, ist der komische Begleiter Geschichte, in deren Verlauf zwischenzeitlich an der Seite des Prinzen. Seine volkstümlichen so viele Figuren in den Abgrund blicken. Lieder lassen sich leicht nachsingen. Der Na- turbursche ist der treuherzige Freund Taminos Die finale Prüfung in der Zauberflöte besteht in und sein Reisegefährte ins Reich Sarastros. der Überwindung der Elemente auf einem Todes- Gegen seinen Willen soll er sich dort dem pfad, um schließlich zu den Mysterien der Isis Einweihungsritual unterziehen. Was auf den vorzudringen. Mozart beschreibt diesen gefahr- strebsamen Tamino wie eine glückbringende vollen Weg in der surreal-gespenstischen Szene Verheißung wirkt, ruft bei Papageno allerdings der Geharnischten durch einen oktavgeführten nichts als Unverständnis hervor. Der Vogelfän- Choralgesang mit fallender Chromatik und Seuf- ger weiß, dass die steifen Rituale nicht sei- zermotivik in c-Moll („Der, welcher wandert nem Naturell entsprechen. Was hilft die bes- diese Straße voll Beschwerden“). Der Gang des te Weisheitslehre, wenn man hungrig ist und Lebens wird hier als Leidensweg, als Passions- keine Freundin hat? Mit seiner direkten Art, die geschichte, dargestellt. Dinge beim Namen zu nennen, spielt sich Papa- Die einfache Moral dieser Oper, welche so kom- geno ins Herz des Publikums. Zwar stammt die plex und ambivalent ist wie das menschliche Figur aus der Komödie, doch ist Papageno kein Dasein, könnte lauten: In jedem Wesen wurzelt reiner Spaßmacher oder gar eine Lachnummer. ein tiefes Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zu- Seine Sehnsucht nach Liebe führt ihn wie Pami- gehörigkeit; auf seiner Suche nach dem Glück na sogar an den Rand des Selbstmords. Beide stellen sich dem Individuum jedoch immer wie- wollen lieber sterben als in einer falschen und der Hindernisse in den Weg, die es zu meistern ungerechten Welt zu leben, beide nehmen ihre gilt. Die Herausforderung besteht darin, an den letzte Zuflucht in der Trauertonart g-Moll, beide Ungerechtigkeiten der Welt nicht zu verzweifeln. werden im letzten Moment von den drei Kna- Mit den Zaubermitteln Liebe und Musik lässt ben gerettet. sich das Leben nämlich doch ganz gut ertragen. 14
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GLAUBENSSÄTZE ÜBERWINDEN Regisseurin Christina Piegger im Gespräch In der Zauberflöte begegnet uns eine po- seinen Gefolgsleuten ganz klar ist, was sie lare Welt aus Licht und Schatten. Auf der dürfen und was nicht, gibt es im Reich der Kö- einen Seite haben wir die Königin der nigin keine strenge Ordnung, hier ist alles viel Nacht, auf der anderen Seite die Pries- chaotischer und diffuser. Das Gefühl, die Emo- ter-Fraktion um Sarastro. Wofür stehen tion, ist wichtiger als die Vernunft. Die Kom- diese beiden Welten in Ihrer Interpre- munikation ist weniger offen, mehr manipu- tation? Wie unterscheiden sie sich und lativ. Wir verorten diese verschlungene Welt in welche Bildsprache lassen sie sich in einem Wald, einem Dschungel, der etwas übersetzen? Unheimliches hat. Dickicht und Gestrüpp ma- Ich sehe Sarastro und die Königin der Nacht in chen gerade Linien unmöglich, die wuchernde einem starken Gegensatz, aber es ist kein Gut- Natur bietet den hier lebenden Kreaturen ge- Böse-Dualismus. Die beiden bilden die Spit- nügend Verstecke. zen ihres Systems, es sind Herrscher, die von Ich stelle mir vor, dass sich beide Welten seit ihrem jeweiligen Tun vollkommen überzeugt Jahrzehnten in einem Konflikt miteinander sind. An beiden Welten klingt jedoch im Ver- befinden, aus dem sie nicht mehr herauskom- lauf des Stückes Kritik an: Zwar werden in Sa- men. Sie stecken in ihren Sichtweisen fest. rastros Reich Vernunft und Weisheit ganz groß Die Situation ist so verfahren, dass es eine geschrieben, doch funktioniert sein System neue Generation braucht, die sich gegen die vor allem über Unterdrückung und Ausschluss Alteingesessenen und ihre Ideen stemmt, die von Andersdenkenden. Das System ist einem die verkrusteten Strukturen aufbricht und beide strikten Regelwerk und klaren Hierarchien un- Welten wieder miteinander in Einklang bringt. terworfen und wird durch Strafandrohung bei Zuwiderhandlung aufrechterhalten. In dem Ist Tamino denn geeignet, um diese Grundsatz der „Verschwiegenheit“ steckt ja Aufgabe zu erfüllen? Er nimmt ja relativ auch drin, dass man eben nicht alles ausspre- fraglos alles hin, was ihm aufgetischt chen darf, was man denkt. Im Kreis der Ein- wird. Gegenüber Autoritäten gehorcht geweihten zählt außerdem „das Weib“ wenig, er, zuerst der Königin, dann Sarastro. Die bei der Königin ist es genau umgekehrt, hier Glaubenssätze der Eingeweihten zieht gibt es keine Männer. er nicht in Zweifel. Das Schweigegebot In Sarastros Tempel herrscht eine monumenta- bedeutet im übertragenen Sinne ja auch, le Architektur mit großen Säulen, die zum Him- jemanden mundtot zu machen. Zum kriti- mel streben; über Treppenelemente lässt sich schen Denken werden die Anwärter je- eine Hierarchie unter den Figuren auf der Bühne denfalls nicht gerade ermuntert. Was soll herstellen. Goldene Wellblech-Optik führt uns man von so einem Helden halten? Taugt eine strahlende und glänzende Welt vor Augen. so jemand als Vorbild? Im Unterschied zu Sarastros Welt, wo die Tamino ist in der glücklichen Lage, dass von Regeln sehr offen kommuniziert werden und Beginn an Aufgaben an ihn herangetragen 16
werden: Die Königin hat ihn als Retter ihrer mit der passiven Rolle, die ihr von allen Sei- Tochter auserkoren und Sarastro will ihn so- ten zugedacht wird, nicht ab, sondern sie setzt fort seinen Weisheitslehren unterziehen. In sich zur Wehr – gegen Monostatos, gegen die seinem jugendlichen Aufbruchsgeist zieht der frauenfeindlichen Lehren Sarastros, aber auch junge Held aus, um diese Aufträge anzuneh- gegen ihre eigene Mutter. men und sich allen Prüfungen zu stellen. Pamina wird klar, dass es nicht um eine Ent- Mit großem Elan verfolgt er den Plan, die Prin- scheidung für die eine Ideologie oder gegen zessin zu befreien. Als er an der Tempelpforte eine andere geht. Ihre eigene Agenda steht zu Sarastros Reich angelangt ist, bringt ihn außerhalb beider Ideologien. Ihr geht es – der Sprecher dazu, an den Worten der Königin anders als ihrer Mutter und Sarastro – nicht zu zweifeln, indem er quasi sagt: „Es kann ja um Machtstreben, sondern sie hat ein offenes sein, dass du bestimmte Dinge für wahr hältst, und vereinendes Ziel vor Augen. Sie möchte aber ist das, was du denkst, auch erwiesen?“ einen Partner, neben dem sie gleichberechtigt Im Prinzip ist das die Frage nach „fake news“. ein glückliches Leben führen kann. Ich glaube, Tamino ist plötzlich unsicher, ob der von ihm in der Verbindung als Paar sind Pamina und verfolgte Auftrag überhaupt rechtmäßig ist. Tamino bestens geeignet, die alten Systeme Doch auch als er beschließt, sich den Prü- aufzubrechen. Tamino allein würde das sicher fungen der Eingeweihten zu stellen, ist sein nicht tun. ursprüngliches Ziel ja immer noch dasselbe, nämlich Pamina zu befreien. Nur der Weg da- Bedeutet das, dass Pamina und Tamino hin ist jetzt ein anderer. Erst deutlich später, am Ende nicht dem bestehenden System wenn es zum ersten Mal zu einem richtigen einverleibt werden, sondern dass beide Gespräch zwischen den Liebenden kommt, Systeme untergehen und auf den Trüm- und Tamino merkt, dass Pamina für diese Ver- mern etwas Neues entsteht? bindung und das Glück zu zweit brennt, und Dass das System der Königin vernichtet wird, die ganze Sache direkter angehen würde, weil daran lassen Text und Musik keinen Zweifel. sie nicht einsieht, dass man dafür einen Um- In meiner Auslegung ist es so, dass Sarastro, weg über Prüfungen gehen muss, da wird ihm nachdem Tamino und Pamina die Prüfungen bewusst, dass es nicht schadet, wenn man bestanden haben, den Sonnenkreis und damit bestimmte Glaubenssätze und Vorstellungen seine Macht freiwillig abgibt. Er öffnet sein kritisch hinterfragt. Reich einer neuen Generation. Ich stelle mir vor, dass es in dieser Welt seit sehr langer Zeit Also ist in dieser frauenfeindlichen Welt überhaupt keine Vertreter des weiblichen Ge- am Ende ausgerechnet Pamina die Hel- schlechts und eines weiblichen Denkens mehr din? Dabei wird sie ja lange Zeit von al- gegeben hat. Pamina aber hat bewiesen, dass len Seiten herumgeschubst ... auch Frauen selbstbestimmt und vernünftig Absolut! Pamina ist die Person, die in der Lage denken und handeln und über all die Tugenden ist, beide Welten zu vereinen. Sie ist die Prin- verfügen, die Sarastro predigt. Pamina stellt zessin, die von Sarastro entführt wird, um sie sich aus freien Stücken der Feuer- und Was- als Druckmittel gegen die Mutter zu gebrau- serprüfung – niemand hat es von ihr verlangt. chen. Dann will ihre Mutter sie zur Rache an Anhand dieses positiven Beispiels können die Sarastro anstiften. Pamina findet sich jedoch starren Glaubenssätze überwunden werden 17
und es lässt hoffen, dass es künftig in eine und Tamino ihn anherrscht „Sei ein Mann!“, andere Richtung weitergeht. antwortet er: „Ich wollt, ich wär ein Mädchen.“ Ihm sind die typisch männlichen Tugenden, die Welchen Reim kann man sich auf die gepredigt werden, völlig egal. Wenn Papageno drei Prüfungen machen, die da heißen sich fürchten will, dann tut er das eben und Schweigen, nochmal Schweigen und spricht seine Angst ganz offen aus, ohne sich durch Feuer und Wasser gehen? dafür zu schämen. Das erste Mal Schweigen ist ein Test, ob Ta- mino und Papageno die erstbeste Gelegenheit Pamina und Papageno machen eine ähnli- nutzen werden, um sich davonzumachen. Bei che Reise durch und scheinen sich auf An- uns verkleidet sich einer der Priester als drei- hieb gut zu verstehen. Was verbindet sie? köpfige Dame und prüft die Loyalität der bei- Zwischen den beiden entwickelt sich eine den. Somit ist diese erste Schweigeprüfung wunderbare Freundschaft. Sie sind sich in- eine Probe der Vernunft im Sinne Sarastros. sofern ähnlich, als sie beide komplett unpo- Die Prüflinge müssen abwägen, ob sie sich litisch sind. Pamina ist noch dabei, für sich bewusst den auferlegten Aufgaben stellen, herauszufinden, dass sie keine der beiden oder ob sie die Flucht ergreifen. Das zweite Ideologien vertreten kann. Papageno sind Mal müssen sie gegenüber den Geliebten Ideologien grundsätzlich egal. Beide beurtei- schweigen. Es ist eine Gehorsamkeitsprü- len Menschen nicht aufgrund von Vorurteilen fung. Unterwerfen sie sich den nicht logisch und Kategorisierungen. Zwar stellt sich Pami- begründbaren Regeln oder verstoßen sie da- na bei ihrer ersten Begegnung die Frage, ob gegen? Tamino besteht die Prüfung, weil er Papageno von ihrer Mutter oder von Sarastro hofft, auf diese Weise mit Pamina belohnt zu geschickt wurde, aber schließlich bewertet werden. Die dritte Prüfung ist eine Mutprobe. sie ihn unabhängig davon, ob er irgendwo da- Um die Feuer- und Wasserprobe zu bestehen, zugehört oder in eine vorgefertigte Schublade muss man Todesangst überwinden. passt. Für sie ist entscheidend, was sie selbst über ihn denkt und nicht, was andere über Wie passt Papageno in diese Welt, dieser ihn denken. Nachdem sie ihn angeschaut und Vogelmensch, der aus dem Rahmen fällt? mit ihm gesprochen hat, kommt sie zu dem Papageno ist ein herrlich bodenständiger und Schluss, dass Papageno ein guter Mensch ist, zutiefst unpolitischer Mensch, der Schwierig- der ihr Gutes will. keiten gerne aus dem Weg geht, und der ganz genau weiß, was ihn glücklich macht: Ein gu- Die drei Damen und drei Knaben sind auf tes Essen, ein Glas Wein und im Idealfall eine der Bühne zu jeweils einer Person ge- Partnerin, die zu ihm passt. Mehr braucht er schrumpft. Ist das Corona geschuldet oder nicht zum Glücklichsein. Durch seine Direktheit steckt noch eine andere Idee dahinter? entsteht viel Komik. Und es ist ein schöner Ge- Die drei Damen treten im Stück ja immer ge- genpol zu den beiden etablierten Systemen, die meinsam auf, und selbst wenn sie sich mal aus der Perspektive Papagenos reichlich künst- streiten, haben sie doch immer ein gemein- lich und überzogen wirken. Interessant ist auch, sames Ziel. Aus den drei Damen wird daher dass es Papageno total egal ist, ob er ein Mann bei uns eine dreiköpfige Dame, welche die ist. Als er sich vor den Donnerschlägen fürchtet unheimliche magische Welt der Königin unter- 18
streicht. Das dreiköpfige Fabelwesen dient als wesen gestaltet haben, die nicht der Norm eine Betonung all dessen, was sich außerhalb entsprechen. Von daher ist es nur konsequent, der Norm bewegt, allem Unerwarteten. Das wenn sich Monostatos am Ende der Königin an- bringt mich zurück zur Ausgangsfrage nach der schließt. Unser Vorbild waren hier die Orks aus Verschiedenartigkeit der Systeme: Das Reich dem Herrn der Ringe. Es handelt sich um eine der Königin ist nach meiner Lesart nicht mili- andere Art Lebewesen, menschenähnlich zwar, tärisch strukturiert. Hier gelangt man nicht über aber körperlich und in ihren Bewegungen von Drill und Gehorsam zu einer von außen aufge- Menschen zu unterscheiden. zwungenen Konformität, wie das bei Sarastro Die drei Knaben habe ich zu einem Amor zu- der Fall ist, sondern die Einheit der drei Damen sammengezogen, der weder zur einen noch liegt darin begründet, dass sie stark miteinan- zur anderen Seite gehört. Die drei Knaben sind der verbunden sind. Diese Verbundenheit woll- zu jung für eine Einteilung, es ist noch unent- te ich zeigen, indem ich sie einen Körper teilen schieden, ob sie zu der Frauen- oder der Män- lasse. Wir haben also drei denkende Köpfe, die nerwelt gehören. Sie sind geschlechtsneutral in engem Kontakt stehen. und dürfen sich frei zwischen den Welten Die Priester dagegen tun und denken alle das bewegen. Unser Liebesengel ist ein kleiner Gleiche, weil sie einem Regelwerk gehorchen, Kobold, ein Puck, der sich überall einmischt. weil ihr System auf Erziehung und Strafe grün- Er sorgt dafür, dass sich die Menschen auf den det. Als Untergebene in dieser Welt begegnen ersten Blick ineinander verlieben, er führt aber uns Monostatos und die Sklaven, die wir gleich auch das Publikum durch die Geschichte, in der dreiköpfigen Dame ebenfalls als Fabel- der es fortwährend um die Liebe geht. IMPRESSUM Bildnachweise Titelbild & Probenfotos Peter Litvai Bildlegende S 3: Ewelina Osowska (Königin der Nacht), Stefan Sbonnik (Tamino), Peter Tilch (Papageno); S 5: Henrike Henoch (Pamina); S 7 oben: Heeyun Choi (Sarastro), Kyung Chun Kim (Sprecher), Jeffrey Nardone (1. Priester); S.7 unten: Reinhild Buchmayer (2. Dame); S 10: Stefan Sbonnik (Tamino), Peter Tilch (Papageno); S. 15 oben: Henrike Henoch (Pamina), Daniel Preis (Monostatos); S.15 unten: Sunny Prasch (Amor), Claudia Bauer (Papagena), Peter Tilch (Papageno); S. 20: Philipp Mehr (2. Geharnischter), Jeffrey Nardone (1. Geharnischter); S 24: Ewelina Osowska (Königin der Nacht) Alle Texte sind Originalbeiträge von Swantje Schmidt-Bundschuh. Textnachweise 2021/2022 Landestheater Niederbayern Landshut Passau Straubing Spielzeit Niedermayerstr. 101, 84036 Landshut, Telefon: 0871 / 922 08 0 Herausgeber Stefan Tilch Swantje Schmidt-Bundschuh Intendant Swantje Schmidt-Bundschuh Redaktion Peter Litvai Gestaltung Layout Das Landestheater Niederbayern wird durch den Freistaat Bayern gefördert. 19
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VON SCHWARZEN VÖGELN UND WEIBERTÜCKEN Ist die Zauberflöte ein rassistisches und frauenfeindliches Werk? „Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn Zauberflöte? Hier sprechen die Indizien dafür, ohne ihn pflegt jedes Weib aus seinem Wir- dass Mozart mit seiner Musik tiefer blickt, als kungskreis zu schreiten.“ (Sarastro) es der bloße Wortlaut des Männerbundes ver- muten lässt. Am auffälligsten ist hierbei das „... weil ein Schwarzer hässlich ist.“ „Bewahret euch vor Weibertücken“-Duett, (Monostatos) dessen Aussage durch eine hopsende, buffo- neske Musik karikiert wird. „Tod und Verzweif- Es gibt in der Zauberflöte nicht wenige Text- lung war sein Lohn“ – so ganz ernst scheint es stellen, über die ein heutiger Hörer stolpert. den Priestern damit selbst nicht zu sein. Da sind die Priester mit einer derart frauen- Und auch die Introduktion der Zauberflöte verachtenden Attitüde, dass man bei jedem gibt einen Hinweis, wer in dieser Oper die zweiten Satz zusammenzuckt. Die nicht müde Hosen anhat. Sie eröffnet mit der geballten werden zu betonen, dass das weibliche Ge- Frauenpower der drei Damen. Der Auftritt des schlecht sich dem männlichen unterzuordnen Prinzen Tamino dagegen fällt kläglich aus: Er habe. läuft davon, ruft laut um Hilfe und fällt in Ohn- Und da ist die Figur des „Mohren“ Monos- macht. Heldentum sieht anders aus. tatos, der als potenzieller Triebtäter gezeigt Auf der Herrscherebene zeigt sich ein ähnli- wird. Der Pamina bedrängt, obgleich er Scham ches Bild: Sarastro mag formal die fortschritt- über sein eigenes Verhalten empfindet, weil er licheren Arien singen, die sternflammende selbst bereits den Grundsatz verinnerlicht hat, Königin hat die eindrucksvolleren. Während er dass ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe kei- zwei Strophenlieder singt, brennt sie ein Kolo- ne weiße Frau lieben dürfe. Der als Strafe vom raturenfeuerwerk ab. Sklavenhalter Sarastro Peitschenhiebe zur moralischen Züchtigung verordnet bekommt. Schaut man sich die Frau mit dem am schärfs- ten gezeichneten Profil an, so handelt es sich Kann man Die Zauberflöte in Zeiten #metoo bei Pamina um eine selbstbewusste Frau, und #blacklivesmatter überhaupt noch auf- die nicht auf den Mund gefallen ist. Sie wird führen oder handelt es sich um eine misogyne entführt, eingesperrt, belästigt, bedroht, von und rassistische Oper? der Mutter verstoßen – und doch lässt sie sich nicht unterkriegen. Als ihr Fluchtversuch So ambivalent wie das ganze Stück ist auch scheitert, tritt sie Sarastro mutig entgegen, die Haltung der Autoren in diesen beiden Fra- um ihm „die Wahrheit“ zu sagen, wie sie ge- gen: Sie präsentieren uns ganz offen die dis- genüber dem ängstlichen Papageno betont. kriminierenden und frauenfeindlichen Stereo- Man beachte auch den paritätischen Wechsel typen ihrer Zeit, entlarven sie aber gleichzeitig in der Wortstellung am Ende des Pamina-Pa- auf subtile Weise als engstirnig und gestrig. pagena-Duetts: „Mann und Weib, und Weib Was für ein Frauenbild vermittelt uns die und Mann, reichen an die Gottheit an“. 21
Damit sind wir bei der revolutionärsten aller der abendländischen Kulturgeschichte. Das Ideen – nämlich, dass mit Pamina erstmals gleiche Bild liefert der berühmte Mohr des in der Geschichte von Sarastros Sonnenstaat Schokoladenfabrikanten Sarotti, benannt nach eine Frau zur Feuer- und Wasserprobe zuge- ebenjener Berliner Straße, in der einst der lassen wird, und zwar nicht nur als treue Be- Firmensitz lag. Mittlerweile wurde aus dem gleiterin des Mannes, sondern als diejenige, schwarzen Mohren allerdings ein goldener die die Führung übernimmt. Gemeinsam wer- „Magier der Sinne“. den Mann und Frau „eingeweiht“, gemeinsam werden sie künftig regieren. Tamino war ohne Einer von Mozarts Logenbrüdern war Angelo Pamina noch nicht vollständig – und nicht Soliman, der es als „hochfürstlicher Mohr“ etwa umgekehrt. zu einiger Bekanntheit brachte. Als Kind von Sklavenhändlern von Afrika nach Europa ver- Wie sieht es nun mit dem Rassismus in Bezug schleppt, war er zunächst in verschiedenen auf den „Mohren“ Monostatos (griech. „der Adelshäusern als Lakai tätig, bevor er in die allein Stehende“) aus? Immer wieder wird sei- Dienste des Fürsten Liechtenstein trat. Soli- ne schwarze Hautfarbe betont. man sprach mehrere Sprachen, war ein ausge- Die Bezeichnung „Mohr“ stammt vom lateini- zeichneter Schachspieler und als intellektuel- schen „maurus“, den Bewohnern Mauretani- ler Kopf ein geschätzter Gesprächspartner der ens in Nordafrika. Den Begriff gab es bereits Wiener Gesellschaft, der u.a. engen Kontakt vor der Kolonialzeit. Als „Mohren“ bezeichne- mit Kaiser Joseph II. hatte. te Figuren gehörten Ende des 18. Jahrhunderts zur Theaterkultur dazu, insofern bedienten In Monostatos nun begegnet uns ein aus der Mozart und Schikaneder das Klischee eines Gesellschaft allezeit ausgestoßener und von Schwarzen als einer exotischen Zutat. Sarastros Demütigungen wiederholt herabge- An dem Begriff „Mohr“ entzünden sich immer würdigter „Mohr“, was offenbar nicht ohne wieder heftige Diskussionen. Erst im August Spuren an ihm vorübergegangen ist. Missgüns- 2020 wurde beschlossen, die „Mohrenstraße“ tig und boshaft ist er geworden. Trotz seiner in Berlin Mitte umzubenennen. Sie liegt dort, Drohgebärden stellt sich aber schnell das Ge- wo damals wie heute Berlins Machtzentrum fühl ein, dass Monostatos keiner Fliege was liegt, in einer Ecke, in der viele Straßen nach zuleide tun kann. Denn seine Musik hat so gar bedeutenden Persönlichkeiten Preußens be- nichts Bedrohliches. Dass tief in seinem Innern nannt sind: Friedrichstraße, Wilhelmstraße, ein liebendes, verletztes Herz schlägt, zeigt sei- Charlottenstraße und mittendrin eben die ne Arie, die ausgerechnet in hellem C-Dur steht Mohrenstraße. Historisch betrachtet war dies („Alles fühlt der Liebe Freuden“), jener Tonart, nicht als Schmähung, sondern als Ehrung ge- die Mozart in dieser Oper immer dann einsetzt, dacht – für jene Afrikaner, die aus Sicht der wenn die magische Flöte zum Einsatz kommt. Aristokratie als exotisches Dekor feudaler Und tatsächlich: In einem Stück, wo beide Hel- Haushalte auch zum Hof gehörten. Doch na- den mit Flöten ausgestattet sind (Tamino mit türlich waren jene nicht freiwillig gekommen, der Zauberflöte, Papageno mit einem Faunflöt- sondern in Ketten. Das Bild des kleinen, Scho- chen), bekommt Monostatos als Begleitinstru- kolade servierenden Mohren (u.a. auch im ment seiner Arie die Piccoloflöte zugeordnet. Rosenkavalier zu finden) gehörte zum Fundus Kann das Zufall sein? 22
Die Arie jagt in einem Tempo und einer Laut- minierung vorbeugen? Muss sich Kunst dem stärke vorüber; manch einer mag in dem has- Zeitgeist unterwerfen? tigen Ritt eine gewisse Lüsternheit erkennen. Die Piccoloflöte rückt die Melodie außerdem Sicherlich sollte man Kunstwerke wie die Zau- in die Nähe der Janitscharenmusik, bedient berflöte historisch und nicht moralisch bewer- also wiederum ein Klischee. ten. Doch Sprache und Kultur verändern sich Doch Monostatos vergeht sich hier nicht etwa permanent und deshalb ist es folgerichtig, an der wehrlos Schlafenden, das Orchster spielt wenn rassistische Begriffe, von denen sich leise, sempre pianissimo, fast so, als hätte Mo- Menschen diskriminiert fühlen, aus dem all- nostatos Angst, Paminas andächtige Ruhe zu gemeinen Sprachgebrauch verschwinden. Mit stören. Traurig fragt er: „Ist mir denn kein Herz dem penetranten Gebrauch von Genderstern- gegeben, bin ich nicht von Fleisch und Blut?“ chen mussten sich Mozart und Schikaneder Ist es nicht verständlich, dass Monostatos sich zum Glück noch nicht auseinandersetzen, sie wie alle anderen in dieser Oper nach einer Ge- waren auch in dieser Hinsicht ihrer Zeit vor- fährtin sehnt? Und warum sollte er als einziger aus: Wie uns das „Pa-pa“-Duett lehrt, muss von Paminas Liebreiz unbeeindruckt bleiben? selbstverständlich auf jeden Papagen-o eine Papagen-a folgen. So geht Gleichberechti- Die simpelste Erkenntnis, die allem Rassismus gung am Ausgang des 18. Jahrhunderts. den Wind aus den Segeln nimmt, liefert indes Papageno in der trockenen Bemerkung: „Es gibt ja schwarze Vögel auf der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen?“ Dem voran geht ein kleines Duett zwischen Monostatos und Papageno, in dem beide über die andersar- tige Erscheinung des jeweils anderen erschre- cken („Das ist der Teufel sicherlich!“) Diese spiegelbildliche Situation führt uns raffiniert vor Augen, dass Monostatos selbst nicht frei von Vorurteilen ist: Sieht jemand anders aus als die Menschen, die er kennt, sind sie des Teufels. Monostatos ist gewiss kein Heiliger, doch ist er so ambivalent gestaltet wie alle übrigen Figuren. Die Menschenliebe der Zauberflöte umfasst alle fühlenden Wesen – unabhängig von Aussehen (Papageno, Papagena), Hautfar- be (Monostatos) oder Geschlecht (Pamina). In- dem sie Minderheiten Gehör schenkt, könnte diese Oper moderner nicht sein. In der Zauberflöten-Fassung am LTN ist das Wort „Mohr“getilgt worden. Die Frage dabei ist: Muss Sprache jedem Gefühl von Diskri- 23
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