DIE ZAUBER-FLOTE Oper von Wolfgang Amadeus Mozart - Landestheater ...

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DIE ZAUBER-FLOTE Oper von Wolfgang Amadeus Mozart - Landestheater ...
DIE
ZAUBER-
    . .
  FLOTE
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
DIE ZAUBER-FLOTE Oper von Wolfgang Amadeus Mozart - Landestheater ...
DIE ZAUBERFLÖTE
              Oper von Wolfgang Amadeus Mozart

                Text von Emanuel Schikaneder

                 MUSIKALISCHE LEITUNG
                    Basil H. E. Coleman
                     INSZENIERUNG
                     Christina Piegger
                   BÜHNE & KOSTÜME
                        Iris Jedamski
                     CHOREOGRAFIE
                        Sunny Prasch
                     DRAMATURGIE
                 Swantje Schmidt-Bundschuh

                       PREMIEREN
LANDSHUT 01.10.2021 PASSAU 25.09.2021 STRAUBING 18.01.2022

                       Vorstellungsdauer
                   ca. 2 Stunden 45 Minuten
              Eine Pause nach dem ersten Aufzug
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BESETZUNG

Sarastro                                                          Heeyun Choi
Tamino                                                         Stefan Sbonnik
Sprecher                                                      Kyung Chun Kim
1. Priester / 1. Geharnischter                                Jeffrey Nardone
2. Priester / 2. Geharnischter                              Miroslav Stričević
Die Königin der Nacht                           Ewelina Osowska / Emily Fultz
Pamina                                                         Henrike Henoch
Erste Dame                                                   Kathryn J. Brown
Zweite Dame                                               Reinhild Buchmayer
Dritte Dame                                                     Sabine Noack
Papageno                                                            Peter Tilch
Ein altes Weib, später Papagena                                 Claudia Bauer
Monostatos                                                        Daniel Preis
Ein Diener Monostatos’                                      Michael Kohlhäufl
3. Priester                                         Lukas Körner / Paul Färber
4. Priester                                  Valentin Brunner / Mark Emil Süß
Stimmen der drei Knaben                  Juliane, Alexandra und Raphael Tilch
Amor                                                             Sunny Prasch

                                              Niederbayerische Philharmonie
Hammerflügel                                            Basil H. E. Coleman

Spielleitung Margit Gilch Inspizienz Matthias Dressel Regieassistenz Joanne
Heller Regiehospitanz Clara Fohlert Technische Leitung Michael Rütz Beleuch-
tungsmeister Egidius Nigl Veranstaltungsmeister Alexander Kriegler Leitung
Schneiderei Heidi Höller Maske Maria Hirblinger Requisite Regina Stemplinger
Kostüme und Bühnenbild Werkstätten des Landestheaters Niederbayern

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Emanuel Schikaneder (1751-1812) wurde in Straubing geboren und wuchs in Regensburg auf,
wo er als Knabe Mitglied der Domspatzen war. Ab 1773 war er Mitglied der Moserschen Schau-
spielgesellschaft, einer Wandertruppe. Schikaneder gilt als einer der begabtesten Theatermacher
seiner Zeit, der nicht nur als Schauspieler sehr erfolgreich war (u.a. als Hamlet), sondern auch
als Librettist zahlreicher Sing- und Schauspiele und als Theaterdirektor, u.a. in Augsburg und
Regensburg. 1789 übernahm er in Wien die Leitung über das Freihaustheater auf der Wieden; die
Zauberflöte war dort das mit Abstand erfolgreichste Stück unter seiner Intendanz. 1801 übernahm
er die Leitung über das neu errichtete Theater an der Wien. Wichtigste Bezugsperson in Schikane-
ders Leben war die Schauspielerin Eleonore. Die beiden Theaterleute führten eine turbulente Ehe,
in der beide Partner fremdgingen, waren aber in künstlerischen Fragen ein eingespieltes Team.

Nach den vom Vater Leopold organisierten Wunderkind-Touren des jungen Wolfgang Amadeus
Mozart (1756-1791) und seiner älteren Schwester Nannerl an die Höfe Europas stand Mozart
ab 1772 in Diensten des Fürsterzbischofs Colloredo in Salzburg. 1781 befreite er sich aus diesem
ungeliebten Arbeitsverhältnis und verlegte seinen Lebensmittelpunkt nach Wien. 1782 heiratete
er gegen den Willen des Vaters Constanze Weber. Im gleichen Jahr kam das Singspiel Die Ent-
führung aus dem Serail für das Wiener Nationaltheater heraus. 1784 wandte sich Mozart der
Freimaurerei zu und trat der Loge „Zur Wohltätigkeit“ bei. Die Da Ponte-Opern entstanden in den
Jahren 1786-1790 (Le nozze di Figaro, Don Giovanni, Così fan tutte).

1780 hatten Mozart und Schikaneder sich in Salzburg kennengelernt und angefreundet. Mozart
wohnte damals im Tanzmeisterhaus und Schikander stand gegenüber am Schauspielhaus auf der
Bühne. Als sich die beiden ein Jahrzehnt später in Wien wieder begegneten, schmiedeten sie
bald Pläne für eine Zusammenarbeit. Mozart begann die Komposition der Zauberflöte vermutlich
im Frühjahr 1791 und schob im Sommer noch La clemenza di Tito dazwischen, die anlässlich der
Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen in Prag uraufgeführt wurde. Knapp zwei Monate
vor seinem Tod kam am 30. September Die Zauberflöte unter der Leitung des Komponisten zur
Uraufführung. Die Primadonna des Wiedner Theaters und Mozarts Schwägerin, Josepha Hofer, war
die erste Königin der Nacht, Schikaneder selbst spielte den Papageno. Die Autoren bedienten mit
ihrer ereignisreichen, lustigen und zugleich erbaulichen Geschichte vor mystisch-phantastischem
Hintergrund das Verlangen des Wiener Vorstadtpublikums nach Unterhaltung.

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INHALT

VORGESCHICHTE                                           bekommt ein Glockenspiel. Die Damen erteilen
Die Königin der Nacht und der König über das            Tamino und Papageno den Auftrag, sich in Sara-
Sonnenreich sind die Eltern von Pamina. Aus             stros Reich aufzumachen. Drei Knaben würden
dem Ast einer tausendjährigen Eiche schnitt             ihnen dabei helfen. Prinz und Vogelfänger
der König einst eine magische Flöte. Kurz vor           machen sich auf den Weg.
seinem Tod vermachte er den siebenfachen
Sonnenkreis, das Symbol seiner Herrschaft, den          Pamina versucht, aus ihrem Gefängnis zu ent-
Eingeweihten. Er verfügte außerdem, dass sich           kommen, doch Monostatos fängt sie wieder
Frau und Tochter der Führung weiser Männer              ein. Als er sich über die ohnmächtig gewordene
überlassen sollen, was die Königin jedoch               Gefangene hermachen will, erschrickt er über
strikt ablehnt. Der Anführer der Eingeweihten,          das plötzliche Erscheinen des Vogelfängers. So
Sarastro, hat daraufhin Pamina in seinen                etwas haben beide noch nie gesehen: Papage-
Tempel entführt.                                        no und Monostatos sind über das Aussehen des
                                                        jeweils anderen entsetzt.
ERSTER AUFZUG                                           Papageno erzählt Pamina vom Vorhaben des
Auf der Flucht vor einer Schlange fällt der Prinz       Prinzen Tamino, sie im Auftrag ihrer Mutter zu
Tamino in Ohnmacht. Drei Damen, Abgesandte              befreien. Er selbst sei betrübt, weil seine Suche
der Königin der Nacht, töten die Schlange und           nach einem Weib bisher erfolglos geblieben ist.
bewundern die Schönheit des Jünglings.                  Pamina tröstet Papageno. Beide preisen die
Als Tamino aus seiner Bewusstlosigkeit er-              Liebe als gottgleiches Gefühl.
wacht, hält er den Vogelfänger Papageno für
seinen Lebensretter. Von diesem erfährt er,             Tamino steht unterdessen vor den Toren zu Sa-
dass er sich im Herrschaftsgebiet der Königin           rastros Reich. Er wird vom Sprecher der Priester
der Nacht befindet. Die drei Damen bestrafen            am Eintreten gehindert. Gleichwohl es ihm nicht
Papageno für seine Hochstapelei mit einem               erlaubt sei, offen zu reden, sät der Sprecher
Schloss vor dem Mund. Tamino händigen sie               Zweifel bei Tamino an der Integrität der Königin.
ein Portrait Paminas aus, durch das im Prinzen          Stimmen aus dem Tempel verraten ihm, dass
die Liebe zu dem Mädchen erwacht. Plötzlich             Pamina noch am Leben ist. Erleichtert stimmt er
erscheint die Königin der Nacht selbst. Sie             ein Spiel auf der Zauberflöte an. Hoffnungsfroh
klagt Tamino ihr Leid: Die Tochter wurde ihr            bemerkt Tamino, dass seinem Flötenspiel Papa-
von einem Bösewicht geraubt, weshalb sie ihn            genos Pfeifenton antwortet.
zum Retter Paminas auserkoren habe. Wenn es             Pamina und Papageno geraten auf der Flucht aus
Tamino gelinge, sie zu befreien, werde Pamina           dem Tempel Monostatos und seinen Sklaven in
seine Frau.                                             die Hände. Doch die Zauberkraft des Glocken-
So schnell wie sie gekommen war, ist die Kö-            spiels setzt die Verfolger außer Gefecht.
nigin wieder verschwunden. Die drei Dramen              Da erscheint Sarastro mit Gefolge. Nun begeg-
überreichen Tamino eine Zauberflöte, Papageno           nen sich auch Pamina und Tamino zum ersten

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Mal. Doch die Freude währt nicht lang: Tamino          zu erpressen. Sarastro tritt dazwischen, ver-
und Papageno werden sogleich abgeführt und             scheucht Monostatos und versichert Pamina,
genötigt, sich einer Reihe von Prüfungen zu            dass nicht Rachsucht, sondern Menschenliebe
stellen.                                               und Vergebung das oberste Gebot in diesen
                                                       heil’gen Hallen sei.
ZWEITER AUFZUG                                         Anschließend führt er Pamina und Tamino zu-
Sarastro und die Priesterschaft tagen im Weis-         sammen, damit sie sich Lebewohl sagen, da die
heitstempel. Sie beschließen, Tamino nach be-          letzte Prüfung Todesgefahr für den Prinzen birgt.
standener Prüfung in ihren Kreis aufzunehmen,
um ihn seiner Bestimmung zuzuführen. Der               Papageno ist von Tamino getrennt worden. Er
Sprecher und die zwei Priester führen Tamino           hat die ersten Prüfungen nicht bestanden und
und Papageno in den Tempel ein. Auch Papa-             wird folglich das himmlische Vergnügen der
geno soll sich den Prüfungen unterziehen. Als          Eingeweihten nie fühlen. Er bekräftigt seinen
er widerwillig reagiert, wird ihm als Belohnung        Wunsch nach einem Glas Wein und einer Ge-
eine zu ihm passende Partnerin in Aussicht ge-         fährtin, was ihm beides erfüllt wird: Das alte
stellt. Abschließend sprechen die Priester eine        Weib entpuppt sich als junges Mädchen mit Na-
generelle Warnung vor „Weibertücken“ aus.              men Papagena! Doch schon wieder funkt ihm
Die erste Aufgabe für die Probanden lautet, sich       der Priester dazwischen und zieht Papagena
in Stillschweigen zu üben. Sogleich erscheinen         weg. Jetzt hat Papageno endgültig genug! In so
die drei Damen und warnen eindringlich vor den         einer falschen Welt will er nicht weiter leben.
Eingeweihten. Papageno plappert unaufhörlich,          Gerade noch rechtzeitig erinnert er sich an das
Tamino bleibt standhaft und verschwiegen.              Glockenspiel und siehe da: Papagena erscheint.
Der Priester erinnert die beiden noch einmal           Nun ist sie ihm ganz gegeben. Eifrig plant das
eindringlich an das absolute Sprechverbot. Ein         Paar Anzahl und Geschlecht seiner Kinder.
altes Weib reicht Papageno ein Glas Wasser             Auch Pamina kann nur mit Mühe davon ab-
und behauptet, seine Geliebte zu sein.                 gehalten werden, sich etwas anzutun. Als sie
Tamino und Papageno erhalten die ihnen beim            wieder Hoffnung schöpft, dass Tamino sie noch
Eintritt abgenommenen Musikinstrumente zu-             liebt, beschließt sie, die Feuer- und Wasserpro-
rück und bekommen ein Festmahl aufgetischt.            be mit ihm gemeinsam anzutreten. Tamino, der
Während Papageno zulangt, spielt Tamino auf            bereits an der Schreckenspforte steht, ist über-
seiner Flöte und lockt damit Pamina an. Sie            glücklich, Pamina zu sehen. Die Geharnischten
ist bestürzt, als Tamino und Papageno ihr mit          lassen beide zur Prüfung zu. Geleitet vom Ton
Schweigen begegnen. Sie vermutet, dass Tami-           der Zauberflöte durchschreiten Tamino und
nos Liebe zu ihr schon wieder erloschen sei.           Pamina Feuer und Wasser. Ein letzter Versuch
Tamino und Papageno folgen einem dreimaligen           der Königin der Nacht, ihren drei Damen und
Signal aus dem Tempel. Monostatos findet               Monostatos, zu intervenieren, scheitert. Die
Pamina und will die Gunst der Stunde nutzen.           Liebe hat gesiegt. Eine neue Zeit bricht an.
Auch er sehnt sich nach Liebe. Doch die Königin
der Nacht kommt ihm dazwischen. Sie fordert
ihre Tochter auf, Sarastro zu töten und den Son-
nenkreis an sich zu nehmen. Monostatos, der
alles belauscht hat, versucht vergeblich Pamina

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DIE ÜBERMENSCHLICHE KRAFT DER LIEBE
                                    Rund um Mozarts Zauberflöte

Die Zauberflöte ist ein höchst ambivalentes             gehören Christoph Martin Wielands Märchen-
Kunstwerk, das in seiner Perfektion viele Rätsel        sammlung Dschinnistan von 1786-89 (inklusi-
aufgibt. Die Musik dieses Märchens steht oft            ve der Geschichten Lulu oder Die Zauberflöte
quer zum Text, manche Aussagen passen nicht             und Der Stein der Weisen) sowie Jean Terras-
zusammen und nicht wenige Figuren lassen                sons Geschichte des Sethos, eine romanhafte
sich in mehrere Richtungen deuten. Mozart und           Ägypten-Fiktion, deren deutsche Übersetzung
Schikaneder entwarfen die Utopie einer ebenso           um 1779 Matthias Claudius besorgt hatte.
humanen wie verspielten Welt.
                                                        Die zauberhafte Flöte rückt Tamino in die
Das Geschehen in der Zauberflöte trägt sich             Nähe des thrakischen Sängers Orpheus, des-
an einem Tag an verschiedenen Orten zu und              sen Musik gleichfalls die wilden Tiere des
läuft in mehreren miteinander verwobenen                Waldes zähmt und die Götter entzückt. Hier
Strängen ab. In singspielhafter Manier gibt es          wird die einzigartige Macht der Musik be-
Dialoge neben Gesangsnummern in deutscher               schworen. Wenn in der Oper die Zauberflöte
Sprache. Bei der Uraufführung wurde die Zau-            als Instrument zum Einsatz kommt, spielt sie
berflöte als „Große Oper“ angekündigt. Als              in strahlendem C-Dur, so in Taminos Ariette
Vorbild erkennbar ist ebenfalls die damals              „Holde Flöte“ sowie in der Feuer- und Was-
populäre Zauberoper mit ihrem klassischen               serprobe. Ihr starker Zauberton nimmt den
Kampf Gut gegen Böse. Das Neben- und teils              gefährlichen Prüfungen den Schrecken; über-
auch Durcheinander von hehrer Kunst und                 raschend schnell und komplikationslos durch-
populärem Spiel, von Ernst und Klamauk, er-             schreiten die Probanden mit ihrer Hilfe Feuer
hoben Mozart und Schikaneder zum Prinzip                und Wasser. Die fröhliche Flötenmelodie über
ihrer Dramaturgie. Es gelang ihnen mühelos,             dem Marsch wirkt wie ein Schutzschild, der
innerhalb von Sekunden vom heroischen Se-               die Gefahren überdeckt, welche hier nicht de-
ria-Gestus auf einen liedhaften Komödienton             skriptiv von der Musik illustriert werden, wie
umzuschwenken, ohne dass es sich wie ein                es die Romantik vermutlich getan hätte.
Bruch anfühlt. Die schnellen Wechsel der
Schauplätze waren auch der beeindruckenden              Den wohl wichtigsten geistigen Hintergrund des
Bühnenmaschinerie des Wiedner Theaters ge-              Werkes bildet die Symbolik der Freimaurer. Die
schuldet, die das Publikum immer wieder mit             Aufnahmeprozedur mit den zu absolvierenden
technischen Effekten in Staunen versetzte.              Prüfungen hat ihr Vorbild in deren Ritualen, die
                                                        darauf abzielten, den Prüfling in seinem Inners-
Für Handlung und Personal der Zauberflöte               ten zu erschüttern; dazu wird er in Angst und
dienten verschiedene antike und orientalische           Schrecken versetzt, um hinterher Erleichterung
Quellen als Fundgrube, die im Kontext der               und Freude zu empfinden. Diese Riten verstan-
damaligen Zeit auch ein Nährboden für die               den die Freimaurer als eine Fortsetzung der
Gedankenwelt der Aufklärung waren: Dazu                 altägyptischen Priesterwelt, allen voran den

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Mysterien der Isis. Ignaz von Born, Herausgeber          jede für sich eine ungeahnte Zuneigung zu
des Journals für Freimaurer, hatte 1784 zu dem           dem Jüngling. Doch die heroische Fassade
Thema einen Aufsatz mit dem Titel „Über die              bröckelt, aus dem kampfesmutigen Trio wer-
Mysterien der Ägypter“ veröffentlicht. Unter sei-        den drei pubertäre Zicken: „Ich, ich, ich“, ru-
ner Leitung war die Loge „Zur Wahren Eintracht“          fen sie – doch den Wettstreit um seine Gunst
gegründet worden, die sich zu einem Hort der             kriegt der jugendliche Held gar nicht mit, er
Aufklärung entwickelte. Auch Schikaneder und             ist ohnmächtig geworden. Mozarts subtiler
Mozart gehörten bekanntlich verschiedenen Lo-            Humor zeigt sich in vielen solcher musikali-
gen an. Gleichwohl die Blütezeit der Wiener Frei-        schen Details. So bekommt die Ankündigung
maurer bereits vorbei war (ca.1780-85), konnten          „Doch keine geht!“ einen fanfarenartigen
die Autoren darauf vertrauen, dass das Publikum          Duktus, der nicht so recht zum Inhalt passt. Im
mit den Grundzügen des humanistischen Ideals             lieblichen „Du Jüngling, schön und liebevoll“
der Freimaurer und der Allianz aus Mysterium             nehmen die drei Damen zwar wieder Haltung
und Aufklärung vertraut war.                             an, können sich aber hörbar kaum von Tami-
Die Zauberflöte wurde zwei Jahre nach der                nos Schönheit losreißen. Das Grundthema der
Französischen Revolution komponiert, und                 Oper ist somit etabliert: Die universelle Sehn-
auch sie spielt in einer Übergangszeit, in der           sucht nach Liebe, die alle Figuren teilen.
die Eingeweihten das Sagen haben, aber nur               Die drei Damen sorgen für eine Reihe amü-
so lange, bis ein aufgeklärter Herrscher ge-             santer Momente. Auch in den Quintetten mit
funden ist, in dessen Hände sie die Macht                Tamino und Papageno geben sie einerseits
des Sonnenstaates legen können. Die in der               ein paar moralische Merksätze zum Besten,
Zauberflöte immer wieder anklingende Licht-              betreiben mit wechselndem Erfolg Manipula-
Metapher gehörte zum Inventar der aufklä-                tionsversuche, verlieren sich immer wieder in
rerischen Rhetorik, wonach die Vernunft den              privatem Geplapper und fallen sich gegensei-
Geist und die Gesellschaft zu erhellen vermag.           tig ins Wort.
Der Einfluss der Freimaurerei ist ferner in der
allgegenwärtigen trinären Symbolik enthal-               Die Arien ihrer Chefin, der Königin der Nacht,
ten. Die für Gerechtigkeit stehende Dreizahl             sind im Stil der Opera seria gehalten. Deren
ist omnipräsent: Es gibt drei Damen, drei Kna-           Koloraturen, gekrönt vom dreigestrichenen f,
ben, drei Tempel, drei Prüfungsstadien, drei             sind über jeden Zweifel erhaben. Illustriert
Akkorde der Priester und nicht zuletzt sind in           von einem Orchester-Crescendo rauscht die
der Grundtonart der Oper, Es-Dur, drei b vor-            Königin heran. Sie zeigt sich nicht sogleich
gezeichnet (u.a. Ouvertüre, Bildnisarie, „Bei            als gefühlskalte Regentin, sondern als ge-
Männern, welche Liebe fühlen“).                          brochene, leidende Mutter („Zum Leiden bin
                                                         ich auserkoren“). Die Trauertonart g-Moll des
Und Action! Beginnen tut die Oper im                     Larghettos schafft eine Verbindung zur Arie
Nachtreich der Königin. Ein Allegro in c-Moll            ihrer Tochter („Ach, ich fühl’s“), das angstvol-
(„Zu Hilfe“) wirft den Zuschauer mitten hin-             le „Zittern“ spiegeln die Violinen in einer be-
ein ins Geschehen. Der Held wird von einer               benden Bewegung. Viel ist darüber gerätselt
Schlange verfolgt, ihm pocht das Herz. Kurzer-           worden, ob der Schmerz der Königin echt sei
hand erlegen die drei Damen das Ungeheuer                oder ob die Zurschaustellung ihrer Leiden nur
und kosten ihren Triumph aus. Alsbald fasst              dazu diene, Taminos Mitgefühl zu erregen, be-

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vor sie ihm ihren Plan unterbreitet. Mit „Denn          doch vom Sprecher zurückgehalten, der ihn auf-
meine Hilfe war zu schwach“ verebbt die                 fordert, sich zunächst der Tugendlehre Sarastros
Stimme der Königin gar, doch nur um sich im             zu unterwerfen. Schienen zuvor die Seiten von
Allegro moderato zu voller Größe aufzubauen.            Gut und Böse klar abgesteckt und die Sympathi-
Die Aufforderung an Tamino, ihre Tochter zu             en entsprechend verteilt, wird der Held Tamino
retten, duldet keinen Widerspruch („Du, du,             an dieser Stelle verunsichert, welcher Version
du, wirst sie zu befreien gehen!“)                      der Geschichte er Glauben schenken soll: Hat
                                                        die Königin gelogen, als sie von Sarastro als ei-
Anders als die Königin, deren Rachsucht und             nem Bösewicht sprach? Oder sagt der Sprecher
Erregung sich später in barockem Furor entla-           die Unwahrheit, wenn er die Königin in einem
den („Der Hölle Rache“), antwortet Sarastro             schlechten Licht erscheinen lässt? In gleichem
in der „Hallenarie“ mit der Botschaft der ge-           Maße wird das Publikum verunsichert, welcher
waltfreien Vergebung in einer arios-kantablen           Seite es den Sieg und welcher den Untergang
Form von berückend edler Einfachheit und                wünschen soll – eine bei einem Märchen an-
Würde. Diese in sich ruhende, staatsmänni-              sonsten einfach zu beantwortende Frage. In
sche Haltung verschafft ihm gewiss ein paar             Taminos Augen vertreten die Königin und ihre
mehr Sympathiepunkte beim Publikum als die              Damen von nun an jedenfalls das Falsche und
Wutrede der Königin. Mozart setzt hier be-              Sarastro verkörpert die Wahrheit.
wusst einen deutlichen Kontrast zu der voran-
gangenen Arie.                                          Wie ist dieser Perspektivwechsel um 180 Grad
Sarastro und seine Priester sind durch getra-           zu verstehen? War jene Kehrtwende eine Inkon-
gene Tempi und gedämpfte Bläser von einer               sequenz oder bewusstes Kalkül der Autoren?
weihevollen Aura umhüllt. Allein die Wirkung            Die These, Mozart und Schikaneder hätten mit
der drei Akkorde ist außerordentlich. Mit               Rücksicht auf ein Konkurrenzwerk mitten in der
ihnen betritt der Zuschauer einen sakralen              Arbeit die Konzeption der Oper vollkommen um-
Raum, in dem feierliche Zusammenkünfte ze-              geworfen, gilt mittlerweile als widerlegt. In dem
lebriert werden.                                        beschriebenen Ritual geht es ja gerade um den
                                                        Prozess einer Verwandlung des Menschen. An
Eine Schlüsselposition kommt Taminos „Bild-             dieser Stelle ist die Oper geradezu erschreckend
nisarie“ zu, denn seine Liebe zu Pamina setzt           modern; sie führt eindrücklich vor Augen, dass
die Handlung erst in Gang. Wir erleben hier             Lagerbildung mit dem dazugehörigen Schwarz-
das Gefühlschaos eines Menschen, der sich               Weiß-Denken in einer komplexen Welt zu kurz
zum ersten Mal in seinem Leben verliebt und             greift. Es fällt ja nicht schwer, sich Sarastro und
versucht, der diffusen Erregung Herr zu wer-            seine Priester als eine Gruppe von Verschwö-
den. Eine tiefgreifende Verwandlung ereignet            rungstheoretikern vorzustellen, die Tamino er-
sich in dieser Arie, die Tamino nachhaltiger            mahnen, den Falschmeldungen der Königin kein
prägen wird, als alle Prüfungen, die da folgen.         Gehör zu schenken. Bevor er in den erlauchten
                                                        Kreis der „Eingeweihten“ aufgenommen wird,
Ein großes Fragezeichen in der Oper war stets           muss er sich erst beweisen und sich die Aufnah-
der „dramaturgische Bruch“ vor dem Finale des           me quasi verdienen – aus psychologischer Sicht
ersten Aufzugs: Tamino will in den Tempel Saras-        ein interessanter Schachzug, um die Bindung an
tros eindringen, um Pamina zu befreien, wird je-        die Gruppe noch zu verstärken.

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Musikalisch gesehen ist diese Stelle nicht zu-           Pamina und Papageno sind Geschwister im
fällig die progressivste in der Zauberflöte, von         Geiste. Eigentlich müsste die Gefährtin an
der im Nachhinein gesagt wurde, dass sie der             Taminos Seite ja folgerichtig „Tamina“ hei-
durchkomponierten romantischen Oper den                  ßen. Die Anfangssilbe ihres Namens rückt die
Weg ebnete. Es handelt sich um einen erreg-              Königstochter jedoch in die Nähe Papagenos.
ten, rezitativischen Dialog, angereichert durch          Sie überschreitet nicht nur die Grenzen ihres
illustrative Kommentare das Orchesters und               Geschlechts, sondern auch die ihres sozialen
liedhafte Einschübe („Der Lieb und Tugend Ei-            Standes. Wenn es um die Kernbotschaft der
gentum“, „Sobald dich führt der Freundschaft             Oper geht, singen Pamina und Papageno die
Hand ins Heiligtum zum ew‘gen Band“). Dass               vielleicht wichtigste Nummer: „Bei Männern,
Tamino an den widersprüchlichen Aussagen zu              welche Liebe fühlen“. Dort heißt es „Mann
verzweifeln droht, zeigt auch die tonartliche Un-        und Weib, und Weib und Mann, reichen an die
entschlossenheit der Szene: Der Held hat den             Gottheit an“. Die Liebe als höchstes Prinzip
harmonischen Boden unter den Füßen verloren.             schlägt hier alle anderen Tugenden und Weis-
                                                         heiten. Sie ist eine im Wortsinn übermensch-
Papageno, ein Verwandter des Hanswurst aus               liche Kraft. Das ist die hoffnungsfrohe, le-
dem Alt-Wiener Volkstheater und Sympathie-               bensbejahende Botschaft dieser zauberhaften
träger des Abends, ist der komische Begleiter            Geschichte, in deren Verlauf zwischenzeitlich
an der Seite des Prinzen. Seine volkstümlichen           so viele Figuren in den Abgrund blicken.
Lieder lassen sich leicht nachsingen. Der Na-
turbursche ist der treuherzige Freund Taminos            Die finale Prüfung in der Zauberflöte besteht in
und sein Reisegefährte ins Reich Sarastros.              der Überwindung der Elemente auf einem Todes-
Gegen seinen Willen soll er sich dort dem                pfad, um schließlich zu den Mysterien der Isis
Einweihungsritual unterziehen. Was auf den               vorzudringen. Mozart beschreibt diesen gefahr-
strebsamen Tamino wie eine glückbringende                vollen Weg in der surreal-gespenstischen Szene
Verheißung wirkt, ruft bei Papageno allerdings           der Geharnischten durch einen oktavgeführten
nichts als Unverständnis hervor. Der Vogelfän-           Choralgesang mit fallender Chromatik und Seuf-
ger weiß, dass die steifen Rituale nicht sei-            zermotivik in c-Moll („Der, welcher wandert
nem Naturell entsprechen. Was hilft die bes-             diese Straße voll Beschwerden“). Der Gang des
te Weisheitslehre, wenn man hungrig ist und              Lebens wird hier als Leidensweg, als Passions-
keine Freundin hat? Mit seiner direkten Art, die         geschichte, dargestellt.
Dinge beim Namen zu nennen, spielt sich Papa-            Die einfache Moral dieser Oper, welche so kom-
geno ins Herz des Publikums. Zwar stammt die             plex und ambivalent ist wie das menschliche
Figur aus der Komödie, doch ist Papageno kein            Dasein, könnte lauten: In jedem Wesen wurzelt
reiner Spaßmacher oder gar eine Lachnummer.              ein tiefes Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zu-
Seine Sehnsucht nach Liebe führt ihn wie Pami-           gehörigkeit; auf seiner Suche nach dem Glück
na sogar an den Rand des Selbstmords. Beide              stellen sich dem Individuum jedoch immer wie-
wollen lieber sterben als in einer falschen und          der Hindernisse in den Weg, die es zu meistern
ungerechten Welt zu leben, beide nehmen ihre             gilt. Die Herausforderung besteht darin, an den
letzte Zuflucht in der Trauertonart g-Moll, beide        Ungerechtigkeiten der Welt nicht zu verzweifeln.
werden im letzten Moment von den drei Kna-               Mit den Zaubermitteln Liebe und Musik lässt
ben gerettet.                                            sich das Leben nämlich doch ganz gut ertragen.

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GLAUBENSSÄTZE ÜBERWINDEN
                             Regisseurin Christina Piegger im Gespräch

In der Zauberflöte begegnet uns eine po-               seinen Gefolgsleuten ganz klar ist, was sie
lare Welt aus Licht und Schatten. Auf der              dürfen und was nicht, gibt es im Reich der Kö-
einen Seite haben wir die Königin der                  nigin keine strenge Ordnung, hier ist alles viel
Nacht, auf der anderen Seite die Pries-                chaotischer und diffuser. Das Gefühl, die Emo-
ter-Fraktion um Sarastro. Wofür stehen                 tion, ist wichtiger als die Vernunft. Die Kom-
diese beiden Welten in Ihrer Interpre-                 munikation ist weniger offen, mehr manipu-
tation? Wie unterscheiden sie sich und                 lativ. Wir verorten diese verschlungene Welt
in welche Bildsprache lassen sie sich                  in einem Wald, einem Dschungel, der etwas
übersetzen?                                            Unheimliches hat. Dickicht und Gestrüpp ma-
Ich sehe Sarastro und die Königin der Nacht in         chen gerade Linien unmöglich, die wuchernde
einem starken Gegensatz, aber es ist kein Gut-         Natur bietet den hier lebenden Kreaturen ge-
Böse-Dualismus. Die beiden bilden die Spit-            nügend Verstecke.
zen ihres Systems, es sind Herrscher, die von          Ich stelle mir vor, dass sich beide Welten seit
ihrem jeweiligen Tun vollkommen überzeugt              Jahrzehnten in einem Konflikt miteinander
sind. An beiden Welten klingt jedoch im Ver-           befinden, aus dem sie nicht mehr herauskom-
lauf des Stückes Kritik an: Zwar werden in Sa-         men. Sie stecken in ihren Sichtweisen fest.
rastros Reich Vernunft und Weisheit ganz groß          Die Situation ist so verfahren, dass es eine
geschrieben, doch funktioniert sein System             neue Generation braucht, die sich gegen die
vor allem über Unterdrückung und Ausschluss            Alteingesessenen und ihre Ideen stemmt, die
von Andersdenkenden. Das System ist einem              die verkrusteten Strukturen aufbricht und beide
strikten Regelwerk und klaren Hierarchien un-          Welten wieder miteinander in Einklang bringt.
terworfen und wird durch Strafandrohung bei
Zuwiderhandlung aufrechterhalten. In dem               Ist Tamino denn geeignet, um diese
Grundsatz der „Verschwiegenheit“ steckt ja             Aufgabe zu erfüllen? Er nimmt ja relativ
auch drin, dass man eben nicht alles ausspre-          fraglos alles hin, was ihm aufgetischt
chen darf, was man denkt. Im Kreis der Ein-            wird. Gegenüber Autoritäten gehorcht
geweihten zählt außerdem „das Weib“ wenig,             er, zuerst der Königin, dann Sarastro. Die
bei der Königin ist es genau umgekehrt, hier           Glaubenssätze der Eingeweihten zieht
gibt es keine Männer.                                  er nicht in Zweifel. Das Schweigegebot
In Sarastros Tempel herrscht eine monumenta-           bedeutet im übertragenen Sinne ja auch,
le Architektur mit großen Säulen, die zum Him-         jemanden mundtot zu machen. Zum kriti-
mel streben; über Treppenelemente lässt sich           schen Denken werden die Anwärter je-
eine Hierarchie unter den Figuren auf der Bühne        denfalls nicht gerade ermuntert. Was soll
herstellen. Goldene Wellblech-Optik führt uns          man von so einem Helden halten? Taugt
eine strahlende und glänzende Welt vor Augen.          so jemand als Vorbild?
Im Unterschied zu Sarastros Welt, wo die               Tamino ist in der glücklichen Lage, dass von
Regeln sehr offen kommuniziert werden und              Beginn an Aufgaben an ihn herangetragen

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werden: Die Königin hat ihn als Retter ihrer            mit der passiven Rolle, die ihr von allen Sei-
Tochter auserkoren und Sarastro will ihn so-            ten zugedacht wird, nicht ab, sondern sie setzt
fort seinen Weisheitslehren unterziehen. In             sich zur Wehr – gegen Monostatos, gegen die
seinem jugendlichen Aufbruchsgeist zieht der            frauenfeindlichen Lehren Sarastros, aber auch
junge Held aus, um diese Aufträge anzuneh-              gegen ihre eigene Mutter.
men und sich allen Prüfungen zu stellen.                Pamina wird klar, dass es nicht um eine Ent-
Mit großem Elan verfolgt er den Plan, die Prin-         scheidung für die eine Ideologie oder gegen
zessin zu befreien. Als er an der Tempelpforte          eine andere geht. Ihre eigene Agenda steht
zu Sarastros Reich angelangt ist, bringt ihn            außerhalb beider Ideologien. Ihr geht es –
der Sprecher dazu, an den Worten der Königin            anders als ihrer Mutter und Sarastro – nicht
zu zweifeln, indem er quasi sagt: „Es kann ja           um Machtstreben, sondern sie hat ein offenes
sein, dass du bestimmte Dinge für wahr hältst,          und vereinendes Ziel vor Augen. Sie möchte
aber ist das, was du denkst, auch erwiesen?“            einen Partner, neben dem sie gleichberechtigt
Im Prinzip ist das die Frage nach „fake news“.          ein glückliches Leben führen kann. Ich glaube,
Tamino ist plötzlich unsicher, ob der von ihm           in der Verbindung als Paar sind Pamina und
verfolgte Auftrag überhaupt rechtmäßig ist.             Tamino bestens geeignet, die alten Systeme
Doch auch als er beschließt, sich den Prü-              aufzubrechen. Tamino allein würde das sicher
fungen der Eingeweihten zu stellen, ist sein            nicht tun.
ursprüngliches Ziel ja immer noch dasselbe,
nämlich Pamina zu befreien. Nur der Weg da-             Bedeutet das, dass Pamina und Tamino
hin ist jetzt ein anderer. Erst deutlich später,        am Ende nicht dem bestehenden System
wenn es zum ersten Mal zu einem richtigen               einverleibt werden, sondern dass beide
Gespräch zwischen den Liebenden kommt,                  Systeme untergehen und auf den Trüm-
und Tamino merkt, dass Pamina für diese Ver-            mern etwas Neues entsteht?
bindung und das Glück zu zweit brennt, und              Dass das System der Königin vernichtet wird,
die ganze Sache direkter angehen würde, weil            daran lassen Text und Musik keinen Zweifel.
sie nicht einsieht, dass man dafür einen Um-            In meiner Auslegung ist es so, dass Sarastro,
weg über Prüfungen gehen muss, da wird ihm              nachdem Tamino und Pamina die Prüfungen
bewusst, dass es nicht schadet, wenn man                bestanden haben, den Sonnenkreis und damit
bestimmte Glaubenssätze und Vorstellungen               seine Macht freiwillig abgibt. Er öffnet sein
kritisch hinterfragt.                                   Reich einer neuen Generation. Ich stelle mir
                                                        vor, dass es in dieser Welt seit sehr langer Zeit
Also ist in dieser frauenfeindlichen Welt               überhaupt keine Vertreter des weiblichen Ge-
am Ende ausgerechnet Pamina die Hel-                    schlechts und eines weiblichen Denkens mehr
din? Dabei wird sie ja lange Zeit von al-               gegeben hat. Pamina aber hat bewiesen, dass
len Seiten herumgeschubst ...                           auch Frauen selbstbestimmt und vernünftig
Absolut! Pamina ist die Person, die in der Lage         denken und handeln und über all die Tugenden
ist, beide Welten zu vereinen. Sie ist die Prin-        verfügen, die Sarastro predigt. Pamina stellt
zessin, die von Sarastro entführt wird, um sie          sich aus freien Stücken der Feuer- und Was-
als Druckmittel gegen die Mutter zu gebrau-             serprüfung – niemand hat es von ihr verlangt.
chen. Dann will ihre Mutter sie zur Rache an            Anhand dieses positiven Beispiels können die
Sarastro anstiften. Pamina findet sich jedoch           starren Glaubenssätze überwunden werden

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und es lässt hoffen, dass es künftig in eine            und Tamino ihn anherrscht „Sei ein Mann!“,
andere Richtung weitergeht.                             antwortet er: „Ich wollt, ich wär ein Mädchen.“
                                                        Ihm sind die typisch männlichen Tugenden, die
Welchen Reim kann man sich auf die                      gepredigt werden, völlig egal. Wenn Papageno
drei Prüfungen machen, die da heißen                    sich fürchten will, dann tut er das eben und
Schweigen, nochmal Schweigen und                        spricht seine Angst ganz offen aus, ohne sich
durch Feuer und Wasser gehen?                           dafür zu schämen.
Das erste Mal Schweigen ist ein Test, ob Ta-
mino und Papageno die erstbeste Gelegenheit             Pamina und Papageno machen eine ähnli-
nutzen werden, um sich davonzumachen. Bei               che Reise durch und scheinen sich auf An-
uns verkleidet sich einer der Priester als drei-        hieb gut zu verstehen. Was verbindet sie?
köpfige Dame und prüft die Loyalität der bei-           Zwischen den beiden entwickelt sich eine
den. Somit ist diese erste Schweigeprüfung              wunderbare Freundschaft. Sie sind sich in-
eine Probe der Vernunft im Sinne Sarastros.             sofern ähnlich, als sie beide komplett unpo-
Die Prüflinge müssen abwägen, ob sie sich               litisch sind. Pamina ist noch dabei, für sich
bewusst den auferlegten Aufgaben stellen,               herauszufinden, dass sie keine der beiden
oder ob sie die Flucht ergreifen. Das zweite            Ideologien vertreten kann. Papageno sind
Mal müssen sie gegenüber den Geliebten                  Ideologien grundsätzlich egal. Beide beurtei-
schweigen. Es ist eine Gehorsamkeitsprü-                len Menschen nicht aufgrund von Vorurteilen
fung. Unterwerfen sie sich den nicht logisch            und Kategorisierungen. Zwar stellt sich Pami-
begründbaren Regeln oder verstoßen sie da-              na bei ihrer ersten Begegnung die Frage, ob
gegen? Tamino besteht die Prüfung, weil er              Papageno von ihrer Mutter oder von Sarastro
hofft, auf diese Weise mit Pamina belohnt zu            geschickt wurde, aber schließlich bewertet
werden. Die dritte Prüfung ist eine Mutprobe.           sie ihn unabhängig davon, ob er irgendwo da-
Um die Feuer- und Wasserprobe zu bestehen,              zugehört oder in eine vorgefertigte Schublade
muss man Todesangst überwinden.                         passt. Für sie ist entscheidend, was sie selbst
                                                        über ihn denkt und nicht, was andere über
Wie passt Papageno in diese Welt, dieser                ihn denken. Nachdem sie ihn angeschaut und
Vogelmensch, der aus dem Rahmen fällt?                  mit ihm gesprochen hat, kommt sie zu dem
Papageno ist ein herrlich bodenständiger und            Schluss, dass Papageno ein guter Mensch ist,
zutiefst unpolitischer Mensch, der Schwierig-           der ihr Gutes will.
keiten gerne aus dem Weg geht, und der ganz
genau weiß, was ihn glücklich macht: Ein gu-            Die drei Damen und drei Knaben sind auf
tes Essen, ein Glas Wein und im Idealfall eine          der Bühne zu jeweils einer Person ge-
Partnerin, die zu ihm passt. Mehr braucht er            schrumpft. Ist das Corona geschuldet oder
nicht zum Glücklichsein. Durch seine Direktheit         steckt noch eine andere Idee dahinter?
entsteht viel Komik. Und es ist ein schöner Ge-         Die drei Damen treten im Stück ja immer ge-
genpol zu den beiden etablierten Systemen, die          meinsam auf, und selbst wenn sie sich mal
aus der Perspektive Papagenos reichlich künst-          streiten, haben sie doch immer ein gemein-
lich und überzogen wirken. Interessant ist auch,        sames Ziel. Aus den drei Damen wird daher
dass es Papageno total egal ist, ob er ein Mann         bei uns eine dreiköpfige Dame, welche die
ist. Als er sich vor den Donnerschlägen fürchtet        unheimliche magische Welt der Königin unter-

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streicht. Das dreiköpfige Fabelwesen dient als                           wesen gestaltet haben, die nicht der Norm
eine Betonung all dessen, was sich außerhalb                             entsprechen. Von daher ist es nur konsequent,
der Norm bewegt, allem Unerwarteten. Das                                 wenn sich Monostatos am Ende der Königin an-
bringt mich zurück zur Ausgangsfrage nach der                            schließt. Unser Vorbild waren hier die Orks aus
Verschiedenartigkeit der Systeme: Das Reich                              dem Herrn der Ringe. Es handelt sich um eine
der Königin ist nach meiner Lesart nicht mili-                           andere Art Lebewesen, menschenähnlich zwar,
tärisch strukturiert. Hier gelangt man nicht über                        aber körperlich und in ihren Bewegungen von
Drill und Gehorsam zu einer von außen aufge-                             Menschen zu unterscheiden.
zwungenen Konformität, wie das bei Sarastro                              Die drei Knaben habe ich zu einem Amor zu-
der Fall ist, sondern die Einheit der drei Damen                         sammengezogen, der weder zur einen noch
liegt darin begründet, dass sie stark miteinan-                          zur anderen Seite gehört. Die drei Knaben sind
der verbunden sind. Diese Verbundenheit woll-                            zu jung für eine Einteilung, es ist noch unent-
te ich zeigen, indem ich sie einen Körper teilen                         schieden, ob sie zu der Frauen- oder der Män-
lasse. Wir haben also drei denkende Köpfe, die                           nerwelt gehören. Sie sind geschlechtsneutral
in engem Kontakt stehen.                                                 und dürfen sich frei zwischen den Welten
Die Priester dagegen tun und denken alle das                             bewegen. Unser Liebesengel ist ein kleiner
Gleiche, weil sie einem Regelwerk gehorchen,                             Kobold, ein Puck, der sich überall einmischt.
weil ihr System auf Erziehung und Strafe grün-                           Er sorgt dafür, dass sich die Menschen auf den
det. Als Untergebene in dieser Welt begegnen                             ersten Blick ineinander verlieben, er führt aber
uns Monostatos und die Sklaven, die wir gleich                           auch das Publikum durch die Geschichte, in
der dreiköpfigen Dame ebenfalls als Fabel-                               der es fortwährend um die Liebe geht.

                                                         IMPRESSUM

Bildnachweise Titelbild & Probenfotos Peter Litvai

Bildlegende        S 3: Ewelina Osowska (Königin der Nacht), Stefan Sbonnik (Tamino), Peter Tilch (Papageno); S 5: Henrike Henoch
                   (Pamina); S 7 oben: Heeyun Choi (Sarastro), Kyung Chun Kim (Sprecher), Jeffrey Nardone (1. Priester); S.7 unten: Reinhild
                   Buchmayer (2. Dame); S 10: Stefan Sbonnik (Tamino), Peter Tilch (Papageno); S. 15 oben: Henrike Henoch (Pamina), Daniel
                   Preis (Monostatos); S.15 unten: Sunny Prasch (Amor), Claudia Bauer (Papagena), Peter Tilch (Papageno); S. 20: Philipp Mehr
                   (2. Geharnischter), Jeffrey Nardone (1. Geharnischter); S 24: Ewelina Osowska (Königin der Nacht)

                   Alle Texte sind Originalbeiträge von Swantje Schmidt-Bundschuh.

Textnachweise 2021/2022
              Landestheater Niederbayern Landshut Passau Straubing
Spielzeit     Niedermayerstr. 101, 84036 Landshut, Telefon: 0871 / 922 08 0
Herausgeber   Stefan Tilch
              Swantje Schmidt-Bundschuh
Intendant     Swantje Schmidt-Bundschuh
Redaktion     Peter Litvai
Gestaltung
Layout        Das Landestheater Niederbayern wird durch den Freistaat Bayern gefördert.

                                                                    19
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VON SCHWARZEN VÖGELN UND WEIBERTÜCKEN
                    Ist die Zauberflöte ein rassistisches und frauenfeindliches Werk?

„Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn                  Zauberflöte? Hier sprechen die Indizien dafür,
ohne ihn pflegt jedes Weib aus seinem Wir-               dass Mozart mit seiner Musik tiefer blickt, als
kungskreis zu schreiten.“ (Sarastro)                     es der bloße Wortlaut des Männerbundes ver-
                                                         muten lässt. Am auffälligsten ist hierbei das
„... weil ein Schwarzer hässlich ist.“                   „Bewahret euch vor Weibertücken“-Duett,
(Monostatos)                                             dessen Aussage durch eine hopsende, buffo-
                                                         neske Musik karikiert wird. „Tod und Verzweif-
Es gibt in der Zauberflöte nicht wenige Text-            lung war sein Lohn“ – so ganz ernst scheint es
stellen, über die ein heutiger Hörer stolpert.           den Priestern damit selbst nicht zu sein.
Da sind die Priester mit einer derart frauen-            Und auch die Introduktion der Zauberflöte
verachtenden Attitüde, dass man bei jedem                gibt einen Hinweis, wer in dieser Oper die
zweiten Satz zusammenzuckt. Die nicht müde               Hosen anhat. Sie eröffnet mit der geballten
werden zu betonen, dass das weibliche Ge-                Frauenpower der drei Damen. Der Auftritt des
schlecht sich dem männlichen unterzuordnen               Prinzen Tamino dagegen fällt kläglich aus: Er
habe.                                                    läuft davon, ruft laut um Hilfe und fällt in Ohn-
Und da ist die Figur des „Mohren“ Monos-                 macht. Heldentum sieht anders aus.
tatos, der als potenzieller Triebtäter gezeigt           Auf der Herrscherebene zeigt sich ein ähnli-
wird. Der Pamina bedrängt, obgleich er Scham             ches Bild: Sarastro mag formal die fortschritt-
über sein eigenes Verhalten empfindet, weil er           licheren Arien singen, die sternflammende
selbst bereits den Grundsatz verinnerlicht hat,          Königin hat die eindrucksvolleren. Während er
dass ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe kei-             zwei Strophenlieder singt, brennt sie ein Kolo-
ne weiße Frau lieben dürfe. Der als Strafe vom           raturenfeuerwerk ab.
Sklavenhalter Sarastro Peitschenhiebe zur
moralischen Züchtigung verordnet bekommt.                Schaut man sich die Frau mit dem am schärfs-
                                                         ten gezeichneten Profil an, so handelt es sich
Kann man Die Zauberflöte in Zeiten #metoo                bei Pamina um eine selbstbewusste Frau,
und #blacklivesmatter überhaupt noch auf-                die nicht auf den Mund gefallen ist. Sie wird
führen oder handelt es sich um eine misogyne             entführt, eingesperrt, belästigt, bedroht, von
und rassistische Oper?                                   der Mutter verstoßen – und doch lässt sie
                                                         sich nicht unterkriegen. Als ihr Fluchtversuch
So ambivalent wie das ganze Stück ist auch               scheitert, tritt sie Sarastro mutig entgegen,
die Haltung der Autoren in diesen beiden Fra-            um ihm „die Wahrheit“ zu sagen, wie sie ge-
gen: Sie präsentieren uns ganz offen die dis-            genüber dem ängstlichen Papageno betont.
kriminierenden und frauenfeindlichen Stereo-             Man beachte auch den paritätischen Wechsel
typen ihrer Zeit, entlarven sie aber gleichzeitig        in der Wortstellung am Ende des Pamina-Pa-
auf subtile Weise als engstirnig und gestrig.            pagena-Duetts: „Mann und Weib, und Weib
Was für ein Frauenbild vermittelt uns die                und Mann, reichen an die Gottheit an“.

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Damit sind wir bei der revolutionärsten aller          der abendländischen Kulturgeschichte. Das
Ideen – nämlich, dass mit Pamina erstmals              gleiche Bild liefert der berühmte Mohr des
in der Geschichte von Sarastros Sonnenstaat            Schokoladenfabrikanten Sarotti, benannt nach
eine Frau zur Feuer- und Wasserprobe zuge-             ebenjener Berliner Straße, in der einst der
lassen wird, und zwar nicht nur als treue Be-          Firmensitz lag. Mittlerweile wurde aus dem
gleiterin des Mannes, sondern als diejenige,           schwarzen Mohren allerdings ein goldener
die die Führung übernimmt. Gemeinsam wer-              „Magier der Sinne“.
den Mann und Frau „eingeweiht“, gemeinsam
werden sie künftig regieren. Tamino war ohne           Einer von Mozarts Logenbrüdern war Angelo
Pamina noch nicht vollständig – und nicht              Soliman, der es als „hochfürstlicher Mohr“
etwa umgekehrt.                                        zu einiger Bekanntheit brachte. Als Kind von
                                                       Sklavenhändlern von Afrika nach Europa ver-
Wie sieht es nun mit dem Rassismus in Bezug            schleppt, war er zunächst in verschiedenen
auf den „Mohren“ Monostatos (griech. „der              Adelshäusern als Lakai tätig, bevor er in die
allein Stehende“) aus? Immer wieder wird sei-          Dienste des Fürsten Liechtenstein trat. Soli-
ne schwarze Hautfarbe betont.                          man sprach mehrere Sprachen, war ein ausge-
Die Bezeichnung „Mohr“ stammt vom lateini-             zeichneter Schachspieler und als intellektuel-
schen „maurus“, den Bewohnern Mauretani-               ler Kopf ein geschätzter Gesprächspartner der
ens in Nordafrika. Den Begriff gab es bereits          Wiener Gesellschaft, der u.a. engen Kontakt
vor der Kolonialzeit. Als „Mohren“ bezeichne-          mit Kaiser Joseph II. hatte.
te Figuren gehörten Ende des 18. Jahrhunderts
zur Theaterkultur dazu, insofern bedienten             In Monostatos nun begegnet uns ein aus der
Mozart und Schikaneder das Klischee eines              Gesellschaft allezeit ausgestoßener und von
Schwarzen als einer exotischen Zutat.                  Sarastros Demütigungen wiederholt herabge-
An dem Begriff „Mohr“ entzünden sich immer             würdigter „Mohr“, was offenbar nicht ohne
wieder heftige Diskussionen. Erst im August            Spuren an ihm vorübergegangen ist. Missgüns-
2020 wurde beschlossen, die „Mohrenstraße“             tig und boshaft ist er geworden. Trotz seiner
in Berlin Mitte umzubenennen. Sie liegt dort,          Drohgebärden stellt sich aber schnell das Ge-
wo damals wie heute Berlins Machtzentrum               fühl ein, dass Monostatos keiner Fliege was
liegt, in einer Ecke, in der viele Straßen nach        zuleide tun kann. Denn seine Musik hat so gar
bedeutenden Persönlichkeiten Preußens be-              nichts Bedrohliches. Dass tief in seinem Innern
nannt sind: Friedrichstraße, Wilhelmstraße,            ein liebendes, verletztes Herz schlägt, zeigt sei-
Charlottenstraße und mittendrin eben die               ne Arie, die ausgerechnet in hellem C-Dur steht
Mohrenstraße. Historisch betrachtet war dies           („Alles fühlt der Liebe Freuden“), jener Tonart,
nicht als Schmähung, sondern als Ehrung ge-            die Mozart in dieser Oper immer dann einsetzt,
dacht – für jene Afrikaner, die aus Sicht der          wenn die magische Flöte zum Einsatz kommt.
Aristokratie als exotisches Dekor feudaler             Und tatsächlich: In einem Stück, wo beide Hel-
Haushalte auch zum Hof gehörten. Doch na-              den mit Flöten ausgestattet sind (Tamino mit
türlich waren jene nicht freiwillig gekommen,          der Zauberflöte, Papageno mit einem Faunflöt-
sondern in Ketten. Das Bild des kleinen, Scho-         chen), bekommt Monostatos als Begleitinstru-
kolade servierenden Mohren (u.a. auch im               ment seiner Arie die Piccoloflöte zugeordnet.
Rosenkavalier zu finden) gehörte zum Fundus            Kann das Zufall sein?

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Die Arie jagt in einem Tempo und einer Laut-               minierung vorbeugen? Muss sich Kunst dem
stärke vorüber; manch einer mag in dem has-                Zeitgeist unterwerfen?
tigen Ritt eine gewisse Lüsternheit erkennen.
Die Piccoloflöte rückt die Melodie außerdem                Sicherlich sollte man Kunstwerke wie die Zau-
in die Nähe der Janitscharenmusik, bedient                 berflöte historisch und nicht moralisch bewer-
also wiederum ein Klischee.                                ten. Doch Sprache und Kultur verändern sich
Doch Monostatos vergeht sich hier nicht etwa               permanent und deshalb ist es folgerichtig,
an der wehrlos Schlafenden, das Orchster spielt            wenn rassistische Begriffe, von denen sich
leise, sempre pianissimo, fast so, als hätte Mo-           Menschen diskriminiert fühlen, aus dem all-
nostatos Angst, Paminas andächtige Ruhe zu                 gemeinen Sprachgebrauch verschwinden. Mit
stören. Traurig fragt er: „Ist mir denn kein Herz          dem penetranten Gebrauch von Genderstern-
gegeben, bin ich nicht von Fleisch und Blut?“              chen mussten sich Mozart und Schikaneder
Ist es nicht verständlich, dass Monostatos sich            zum Glück noch nicht auseinandersetzen, sie
wie alle anderen in dieser Oper nach einer Ge-             waren auch in dieser Hinsicht ihrer Zeit vor-
fährtin sehnt? Und warum sollte er als einziger            aus: Wie uns das „Pa-pa“-Duett lehrt, muss
von Paminas Liebreiz unbeeindruckt bleiben?                selbstverständlich auf jeden Papagen-o eine
                                                           Papagen-a folgen. So geht Gleichberechti-
Die simpelste Erkenntnis, die allem Rassismus              gung am Ausgang des 18. Jahrhunderts.
den Wind aus den Segeln nimmt, liefert indes
Papageno in der trockenen Bemerkung: „Es gibt
ja schwarze Vögel auf der Welt, warum denn
nicht auch schwarze Menschen?“ Dem voran
geht ein kleines Duett zwischen Monostatos
und Papageno, in dem beide über die andersar-
tige Erscheinung des jeweils anderen erschre-
cken („Das ist der Teufel sicherlich!“) Diese
spiegelbildliche Situation führt uns raffiniert vor
Augen, dass Monostatos selbst nicht frei von
Vorurteilen ist: Sieht jemand anders aus als die
Menschen, die er kennt, sind sie des Teufels.
Monostatos ist gewiss kein Heiliger, doch ist
er so ambivalent gestaltet wie alle übrigen
Figuren. Die Menschenliebe der Zauberflöte
umfasst alle fühlenden Wesen – unabhängig
von Aussehen (Papageno, Papagena), Hautfar-
be (Monostatos) oder Geschlecht (Pamina). In-
dem sie Minderheiten Gehör schenkt, könnte
diese Oper moderner nicht sein.

In der Zauberflöten-Fassung am LTN ist das
Wort „Mohr“getilgt worden. Die Frage dabei
ist: Muss Sprache jedem Gefühl von Diskri-

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