Digital Game-Based Learning im Lateinunterricht? - BieJournals
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1. Jahrgang, Ausgabe 2/2020 Digital Game-Based Learning im Lateinunterricht? Überlegungen zur Konzeption auch Kikenberg (2013) widmet ihre empiri- digitaler Lernspiele mit einem sche Untersuchung analogen Spielformaten, die im Kern Grammatik- und Vokabelabfragen Ausblick auf ein Textadventure für darstellen. Auch wenn nun weitere Jahre ver- den Sprachunterricht gangen und die Spielentwicklung fortgeschrit- ten ist, offenbart erst die fachübergreifende von Jun.-Prof. Dr. Monika Vogel Recherche die vielfältigen Möglichkeiten digi- Bergische Universität Wuppertal / taler Spielumgebungen, die z. T. auf einem ver- Didaktik des Lateinischen gleichbaren Konzept beruhen: Digitale Lern- Kontakt: vogel@uni-wuppertal.de umgebungen mit spielerischen Elementen, wie sie die Plattform Scoyo (www-de.scoyo. Gerade für den als besonders lern- und com) für mehrere Schulfächer bietet, sind für übungsintensiv geltenden Lateinunterricht das Fach Latein (noch) nicht verfügbar. Inte- wünscht man sich Mittel und Wege, das Ler- ressant für Lehrkräfte ist aufgrund ihres Mo- nen motivierender und bestenfalls auch nach- dellcharakters die Lernplattform QuesTanja haltiger zu gestalten. Dies versucht man gern, (http://questanja.org), da sie die Möglichkeit indem man Lerninhalte in eine spielerische zur Einbettung eigener Lehr- und Lernmate- Umgebung einbettet. Oft sind dies Gram- rialien in eine spielerische Struktur gewährt.2 matik- oder Wortschatzübungen, z. T. auch Alle bisher genannten Beispiele lassen sich kulturelle Inhalte, die im Rahmen bekannter dem Begriff Gamification zuordnen, der die Spielformate (z. B. Brett-, Karten- oder Würfel- Nutzung von Spielelementen in spielfremden spiele, Bingo, Quiz) vermittelt werden.1 Auch Kontexten (z. B. Unterricht) bezeichnet.3 Eine wenn die Digitalisierung aktuell im altsprach- solche Gamifizierung von Lerninhalten muss lichen Unterricht ein vielbeachtetes Thema ist, sich dabei nicht auf konkrete Spiele wie die scheint der Bereich der digitalen Lernspiele oben genannten Vokabel- oder Grammatik- dort bislang noch keinen festen Platz zu ha- spiele4 beschränken, sondern kann auch die ben. Im Folgenden sollen daher Perspektiven übergeordnete Struktur betreffen (vgl. die zur Entwicklung digitaler Spieldesigns im Sin- Lernplattformen). Im anglo-amerikanischen ne eines sogenannten Digital Game-Based Le- Raum wurde eine Gamification ganzer Unter- arning aufgezeigt werden. Statt eines fertigen richtssequenzen (ohne digitale Plattform) Produkts stehen dazu nötige Vorüberlegungen auch auf den Lateinunterricht angewandt und im Mittelpunkt, die nach einem Überblick praktisch erprobt.5 über verschiedene Konzepte spielerischen Ler- Egal ob man das Konzept der Gamification nens zunächst auf die didaktische Herausfor- nun analog oder digital umsetzt, charakteris- derung einer geeigneten Synthese von Spielen tisch hierfür bleibt, dass Lerninhalte in eine und Lernen eingehen, um schließlich mögli- unterhaltsame Umgebung transportiert wer- che praktische Umsetzungen für den Latein- den, um das Bearbeiten sonst zu monotoner unterricht zu beleuchten. Aufgaben attraktiver und motivierender zu ge- stalten (vgl. den Begriff Edutainment). Da man 1. Spiel gleich Spiel? – Kon- ein Lernen, das (erst?) mit äußeren Anreizen zepte spielerischen Lernens einer Spielumgebung (wie Belohnung durch Kipf (2001) bietet eine lernpsychologische Punkte, Level, Ranglisten) stattfindet, durch- und fachdidaktische Einordnung von analo- aus kritisch sehen kann, ist im Einzelnen ab- gen Lernspielen der oben genannten Art, und zuwägen, ob und v. a. in welcher genauen Wei- 1 Vgl. z. B. die Sammlungen bei Bartl 2015 und Klausnitzer / Mallon ²2017. 2 Ein ähnliches Konzept liegt der Plattform World of Classcraft (www.classcraft.com/de/) zugrunde. 3 Vgl. z. B. Migutsch 2015, 23-24 und ausführlich Stöcklin 2018 inkl. empirischer Erprobung der Plattform QuesTanja (anders als in anderen Studien, die auf Lernzuwachs und Motivation ausgerichtet sind, wird dabei der unter Einsatz der Plattform entstandene Unterricht fokussiert). 4 Vgl. hierzu Reinhard 2012, 135-138 (dort auch ein paar digitale Übungsformate für englischsprachige Lernende). 5 Vgl. Pike 2015; Evans 2016. Die besonderen Merkmale eines Spiels (z. B. Belohnungs- und Feedback-System) wurden dabei auf die übergeordne- te (nicht-digitale) Unterrichtsstruktur übertragen (bei den Lernprozessen innerhalb dieser Struktur kamen z. T. auch digitale Werkzeuge, darunter auch spielerische Formate wie Quiz, zum Einsatz). Vor dem Hintergrund kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse, die durch die Spielumgebung unterstützt werden (insbes. Trial-and-error-Prinzip, Motivation, Resilienz) lag der Fokus dort v. a. auf motivationalen und behavioralen Effekten. Seite 31
LGNRW se die Gamifizierung unterrichtlich eingesetzt größten Effekt erzielt10). werden soll. Ein weiteres Problem insbesonde- Einen kleinen Schritt in Richtung eines fach- re von gängigen Trainingsspielen ist der feh- didaktischen Spielkonzepts soll der vorliegen- lende Kontextbezug, sowohl in Bezug auf den de Beitrag leisten. Dabei soll der den Serious Lerninhalt (isoliertes Formen- und Vokabel- Games zugrunde liegende Ansatz, der auf- lernen) als auch in Bezug auf die Verbindung grund der Einbindung der Lerninhalte in sinn- von Lerninhalt und Spiel.6 Von einem echten volle Kontexte besonders reizvoll erscheint, spielbasierten Lernen kann hier also nicht ge- weiter vertieft werden. Bereits vorhandene sprochen werden; die Spielelemente bilden le- Erkenntnisse aus überwiegend anderen Diszi- diglich einen unterhaltsamen Rahmen. plinen können dazu dienen, Qualitätskriterien Einen anderen Ansatz verfolgen sogenann- für eine Spielentwicklung abzuleiten und so te Serious Games (im Bildungsbereich auch das Potential digitaler Spiele auch für den La- Educational Games genannt). Bei dieser Kate- teinunterricht nutzbar zu machen. Die beson- gorie ist das Lernen unmittelbar mit der Spiel- dere Herausforderung besteht dabei in einer umgebung verbunden, so dass die Lerninhalte geeigneten Synthese von Spielen und Lernen. scheinbar nebenbei im Spiel selbst verarbeitet werden. Gleichzeitig liegt aber konzeptionell 2. Spielen und Lernen im der Fokus nicht auf der Unterhaltung, sondern unterrichtlichen Kontext auf dem Lernerlebnis, das wiederum in eine Entwicklungspsychologisch betrachtet ist Spielwelt integriert ist. Wesentliches Merkmal der Zusammenhang von Spielen und Lernen von Serious Games ist also ein ausdrücklicher ganz selbstverständlich: In jedem Spiel findet Bildungszweck.7 Der dabei stattfindende Lern- Lernen statt, und so ist Spielen nicht nur für prozess wird im Rahmen eines Digital Game- die kindliche Entwicklung von wesentlicher Based Learning, das allgemein den Einsatz von Bedeutung, sondern stellt darüber hinaus digitalen Spielen zu Lernzwecken beschreibt, auch eine wichtige Form lebenslangen Lernens angestoßen.8 Meta-Analysen zeigen insgesamt dar. Das Lernen in einer Spielumgebung lässt überwiegend positive Effekte auf, allerdings sich durch einen Zyklus aus Verhalten, Rück- ist bei der Vielzahl unterschiedlicher Ein- meldung und Bewertung bzw. Motivation be- flussfaktoren auf die Ergebnisse (Spielgenre, schreiben.11 Das Spielen selbst wird dabei zum Spieldesign und einzelne Spielelemente, Fach- Lernprozess: Nach einem Spielzug erhalten die und Einsatzbereich, Methodik usw.) weitere Spieler*innen eine Rückmeldung, die zur Be- Forschung erforderlich, um die genauen Zu- wertung der Situation führt und den nächsten sammenhänge zwischen Spiel und Lern- oder Spielzug motiviert. Zugleich stellt sich immer Motivationseffekten empirisch nachzuweisen.9 wieder ein Belohnungseffekt und damit Moti- Damit geht einher, dass aus allgemeinen Ten- vation ein, wenn die Entscheidung für einen denzen nicht ohne Weiteres auf fachspezifi- bestimmten Spielzug dazu führt, im Spiel vo- sche Einzelaspekte geschlossen werden kann. ranzukommen. Die Möglichkeit, ausprobieren Nicht hinreichend beachtet sind insbesondere zu können und eine unmittelbare Rückmel- Langzeiteffekte sowie die didaktische Einbin- dung vom System zu erhalten, ist ebenfalls dung von Spielen in Unterrichtssettings und ein wichtiger Faktor, der die Spieler*innen die Entwicklung entsprechender Unterrichts- veranlasst, ihr Verhalten zu reflektieren und szenarien (bisherige Erkenntnisse deuten da- eine adäquate Spielstrategie zu finden. Dem- rauf hin, dass gerade die Kombination von entsprechend werden in der Literatur insbe- Spielen mit anderen Unterrichtsmethoden den sondere folgende Punkte als entscheidend für 6 Vgl. Gabriel 2016, 147-148 im Zusammenhang mit modernen Fremdsprachen. 7 Bei Gamification liegt inhaltlich zwar auch ein Fokus auf dem Lerninhalt, was das Spieldesign betrifft, geht es aber in erster Linie um den Unter- haltungseffekt. 8 Genauer zur begrifflichen Einordnung Breuer 2010, 13-22; Hoblitz 2015, 19-28. Abzugrenzen von Serious Games sind (kommerzielle) Com- puterspiele, die ebenfalls im Unterricht eingesetzt werden können und damit Digital Game-Based Learning ermöglichen, aber nicht eigens zu Lernzwecken konzipiert sind (z. B. Rome: Total War mit der Weiterentwicklung Rome: Total Realism, Glory of the Roman Empire, s. u.). 9 Vgl. Wouters u. a. 2013 (der Bereich „Fremdsprachen“ erweist sich dort als anderen Fächern überlegen); Zhonggen 2019; vgl. ferner den Über- blick inkl. Fokussierung von Educational Games im Schulunterricht bei Hoblitz 2015, 28-53. Auch zur Gamification lassen sich positive Effekte verzeichnen, vgl. hierzu Stöcklin 2018, 92-95; Sailer / Homner 2020. Interessanterweise stellen motivationale Effekte, die oft als gegeben an- genommen werden und die Entscheidung für einen Spieleinsatz begründen, empirisch einen weniger stabilen Faktor dar als der Lernzuwachs (vgl. Wouters u. a. 2013, 261, vgl. Sailer / Homner 2020; etwas positiver der Überblick bei Hoblitz 2015, 40-44 im Kontext des Schulunterrichts). 10 Vgl. Wouters u. a. 2013, 260; vgl. Gabriel 2016, 151. 11 Vgl. Kerres / Bormann 2009, 25. Seite 32
1. Jahrgang, Ausgabe 2/2020 ein positives Spiel- und Lernerlebnis genannt:12 Spiel voranzukommen, ohne dass sich eine solche Aufgabe im Spielkontext als sinnvoll er- • Selbstwirksamkeit (mit dem Gefühl der weist. Hier ist sicherzustellen, dass es den Spie- intrinsischen Belohnung / Erfolgserleb- ler*innen wichtig genug ist, die Lernaufgabe nisse); zu lösen und ggf. weitere zur Lösung nötige • Interaktion und Feedback (Aktion und Aktionen durchzuführen.15 Diese und weitere Reaktion zwischen Spieler*innen und Forschungsergebnisse sprechen dafür, nicht Spielsystem); sämtliche Lerninhalte in das Spiel zu integrie- • Identifikation mit den eigenen Avataren; ren sowie andere Unterrichtsformen vor, wäh- • Herausforderung und Passung (mittel- rend und nach dem Spiel zu nutzen – auch, schwerer Schwierigkeitsgrad und Auf- damit der gewünschte Transfer vom Spiel in gaben mit steigender Schwierigkeit im die Realität stattfinden kann.16 Ein Vorzug der Spiel). Spielumgebung ist, dass sie einen (angst- und sanktionsfreien) „Raum für die Erprobung Dies kann nur dann optimal gelingen, wenn des eigenen Könnens und die Erfahrung des Spielen und Lernen nicht getrennt voneinan- Scheiterns“ schafft.17 der ablaufen, d. h. implizites Lernen ermög- licht wird, das tatsächlich innerhalb der Spiel- 3. Immersive Lern- und umgebung stattfindet, anstelle von explizitem Lernen, das den Spielfluss unterbrechen und Spielumgebungen für den La- stören würde (didaktisch-immersives Spiel- teinunterricht design).13 Das Ziel und zugleich Desiderat eines im- Tatsächlich leidet die Qualität mancher Spie- mersiven Spieldesigns, das neben dem Spieler- le gerade darunter, dass das Lernen nicht zum lebnis auch die Verarbeitung von Lerninhalten Spielerlebnis gehört, sondern eine deutliche ermöglicht, hat bereits Reinhard (2012) für Trennung von Spiel- und Lernwelt vermittelt den Lateinunterricht formuliert; dazu gehört wird. Welche Auswirkung dies auf das Ver- auch der Gebrauch der lateinischen Sprache, halten der Spieler*innen hat, wurde anhand der sich unmittelbar und sinnvoll aus dem des Physik-Lernspiels Physikus empirisch un- Spielkontext ergibt.18 Kommerziellen Com- tersucht.14 In dieses Spiel sind physikalische puterspielen mit antikem Kontext, für die es Lernaufgaben eingebettet, die inhaltlich eng auch Modifikationen in lateinischer Sprache an die Spielhandlung angebunden sind. Hier- gibt (Rome: Total War bzw. Rome: Total Rea- bei wird neben der eigentlichen Spielhandlung lism, Glory of the Roman Empire), liegt kein ein Wissensteil zur Verfügung gestellt, der auf Lateinlernende ausgerichtetes didaktisches erarbeitet werden soll, um im Spiel weiter- Konzept zugrunde, das ein systematisches und zukommen. Diese explizite Trennung hatte kontrolliertes Sprachenlernen ermöglicht.19 aber zur Folge, dass die Studierenden, die an Eine didaktische Intention verfolgt dagegen der besagten Studie teilnahmen, die Wissens- das VRoma-Projekt (www.vroma.org). Diese elemente nur oberflächlich erfassten, nämlich Plattform bietet eine immersive Lernumge- nur soweit es nötig war, um erneut in das Spiel bung in der Art eines Rollenspiels zur Erkun- eintauchen zu können. Eine tiefere Ausein- dung des antiken Rom.20 Neben dieser lang- andersetzung mit den Wissensinhalten fand fristig angelegten Lernumgebung, die kein nicht statt. Eher störend für den Spielfluss sind Spiel im engeren Sinne darstellt,21 bietet die auch von der Spielhandlung unabhängige Auf- Plattform Materialien für Lehrer*innen, da- gaben (z. B. die Identifikation grammatischer runter auch zwei Spiele für den Unterrichts- Formen oder Wortarten), die dazu dienen, im einsatz (Role-Playing Game, Discover Rome). Wenngleich bei der Projektentwicklung auch 12 Vgl. Kerres / Bormann 2009, 26-27; Breuer 2010, 9-11. 13 Hierzu genauer Kerres / Bormann 2009. 14 Bormann u. a. 2008, vgl. Kerres / Bormann 2009, 29-30. 15 Kerres / Bormann 2009, 28-29. 16 Vgl. hierzu Migutsch 2015, 21 und Gabriel 2016, 151-153 im Kontext moderner Fremdsprachen. 17 Migutsch 2015, 24. 18 Reinhard 2012, 146-147 („an immersive game that is both fun to play and also teaches and reinforces Latin at same time”). 19 Vgl. Reinhard 2012, 147-148; vgl. auch oben Anm. 8. 20 Genauer hierzu McManus / Jung 2012. Die Funktionalität der Plattform ist mittlerweile nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet. 21 McManus / Jung 2012, 174: „not in itself a ‘game’”. Seite 33
LGNRW die lateinische Sprache mit eingearbeitet wur- ren einen Prototypen mit dem Titel Adventu- de, steht bei diesen Angeboten die Vermittlung rium25 entwickelt. Dieses Spiel befindet sich kultureller Inhalte im Vordergrund. nun in Kooperation mit der Verfasserin dieses Einen deutlichen Schritt weiter geht Opera- Beitrags in der Weiterentwicklung. Dabei zeigt tion LAPIS (https://practomime.com/lapis/ sich immer wieder die Wichtigkeit eines so- lapis.php), ein zweijähriger (amerikanischer) liden didaktischen Konzepts, damit das Spiel Lateinkurs, der vollständig in einer Spielumge- einerseits seinen Lernzweck erfüllt, anderer- bung verläuft. Das Spieldesign vereint Eigen- seits aber auch als Spiel reizvoll bleibt. Auf schaften eines Rollenspiels und textbasierten eine detaillierte Präsentation des Spiels muss Adventure-Spiels; die Lerner*innen arbeiten an dieser Stelle verzichtet werden, daher mö- dabei in Teams.22 Dadurch, dass hier Digital gen als erste Anregung ein paar grundsätzliche Game-Based Learning ein ganzes Curricu- konzeptionelle Überlegungen genügen: lum durchzieht und dementsprechend neben Ein Textadventure besteht zunächst einmal kulturellen Inhalten auch die nötigen sprach- aus einer virtuellen Umgebung, die aus ver- lichen Kompetenzen vermittelt werden, befin- schiedenen „Räumen“ oder „Orten“ zusam- det man sich, was die Gesamtstruktur betrifft, mengesetzt ist. Im Lateinunterricht eignen zwar immer im Spiel, muss aber zwangsläufig sich hierzu hervorragend reale (oder mytholo- immer wieder auch in einen Lernmodus über- gische) antike Umgebungen, wie z. B. das Fo- gehen, wenn in separaten Umgebungen z. B. rum Romanum, die Thermen, die Unterwelt Grammatik und Wortschatz vermittelt wer- u. v. m. Durch eine solche Umgebung lenkt den. der Spieler eine virtuelle Person, den Avatar, indem er ihm Anweisungen gibt, welche die Geschichte voranbringen. Diese Geschichte 4. Ausblick: ein Textadven- besteht meist in dem Auftrag, eine bestimmte ture für den Sprachunterricht Aufgabe zu lösen, und wird dann im eigent- Die vorangehenden Überlegungen führen lichen Spielverlauf zu Ende geführt. Durch abschließend zu einem Konzept für ein mög- die Anweisungen, die der Spieler dem Avatar liches Spieldesign, und zwar zunächst für den in Form von Texteingaben geben muss (z. B.: lateinischen Sprachunterricht. Zweckmäßig i ad montem), findet eine sowohl rezeptive scheint dabei ein Spiel, das den Lateinlehrgang als auch (auf einfachem Niveau) produktive unterstützt und in konventionelle Unterrichts- Auseinandersetzung mit Sprache statt: Man settings eingebunden werden kann, also nicht muss die Texte, die das Spiel vorgibt, verstehen wie Operation LAPIS das Lehrbuch ersetzt, (dabei können lateinische Textbausteine mit sondern ergänzt. Als Ergänzung zu anderen deutschen Texten kombiniert werden), um an- Unterrichtsformen kann das Spiel auf diese schließend die richtige sprachliche Anweisung Weise etwa zur Vertiefung zuvor gelernter In- eingeben zu können (ggf. z. B. unter Hinzu- halte eingesetzt werden. Grundidee ist dabei fügung eines Adjektivattributs: i ad montem die Auseinandersetzung mit Sprache als Mittel Capitolinum). Gerade für den Schulunterricht der Kommunikation innerhalb einer Spielwelt, bietet sich eine Hybridvariante an, die auch die einen den Lerninhalten entsprechenden graphische Elemente (z. B. zur Visualisierung Kontext darstellt und damit neben sprachli- der antiken Umgebung) enthält. chen auch kulturelle Inhalte vermittelt.23 Zum Verhältnis von Spielen und Lernen stellt Da im Lateinunterricht die Auseinanderset- sich die grundsätzliche Frage, ob Wissensbe- zung mit Sprache und insbesondere mit Tex- stände (auch) innerhalb des Spiels erlernt wer- ten im Mittelpunkt steht, bietet sich das Genre den sollen oder vorab erarbeitet und im Spiel des Textadventures an.24 Tobias Schliebitz, vertieft werden. Da die Einbettung neu zu er- Gymnasiallehrer, hat bereits vor einigen Jah- lernender Wissensbestände die Gefahr birgt, 22 Vgl. Sapsford / Travis / Ballestrini 2013; Slota / Ballestrini 2019, 84-88. 23 Für „Deutsch als Fremdsprache“ hat das Goethe-Institut diese Idee bereits in recht anspruchsvoll gestalteten Adventure-Spielen umgesetzt („Lern- abenteuer Deutsch – Das Geheimnis der Himmelsscheibe“ und „Lernabenteuer Deutsch – ein rätselhafter Auftrag“). Hier wird eine immersive Lernumgebung geschaffen, in der im Rahmen einer Kriminalgeschichte verschiedene Kommunikationssituationen zu meistern sind. Gleichzeitig werden kulturelle Inhalte verarbeitet. 24 Ein Beispiel aus den modernen Fremdsprachen ist das Textadventure „Ausflug am Wochenende nach München“ (2007) für DaF-Lernende. Genauer zu textbasierten Adventure-Spielen beim Fremdsprachenlernen Peterson 2013, 23-25; 65-68; 89-91 (mit empirischen Befunden). 25 Vgl. Schliebitz 2017. Seite 34
1. Jahrgang, Ausgabe 2/2020 den Spielfluss zu stören und ggf. nicht ausrei- • Synergieeffekte mit dem Medium „Lehr- chend durchdrungen zu werden (s. o.), scheint buch“. es sinnvoll, das Spiel zunächst als Mittel der Um dieses Potential ausschöpfen zu können, Vertiefung und Wiederholung zu konzipieren. ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Zudem Dabei kann man mit Rücksicht auf die oben lässt sich das Spieldesign je nach Lerninhalten benannte Problematik auch darüber nachden- durch zahlreiche Elemente erweitern; auch ken, inwieweit sich Übungsformate, wie sie verschiedene Varianten eines Spiels oder un- das Lehrbuch bietet, sinnvoll in das Spiel inte- terschiedliche Spielverläufe sind denkbar. Bei grieren oder Bilder einbinden lassen, an denen fortgeschrittenem Spracherwerb lassen sich z. B. Wortschatz- oder Kulturwissen ange- zunehmend Elemente der Texterschließung wandt werden kann. Damit all dies zielgerich- oder auch Interpretation einbinden, so dass tet und kompetenzorientiert erfolgt, sollte sich auch der Einsatz im Literaturunterricht, d. h. der Inhalt des Spiels eng an die Lehrbucharbeit in der Lektürephase, möglich wird.26 Der Kre- anlehnen; so können die Inhalte, die innerhalb ativität sind also kaum Grenzen gesetzt. einer Lektion erarbeitet wurden, im Spiel noch einmal verarbeitet werden (etwa in Anknüp- Literatur fung an die Geschichte des Lektionstextes und Bartl, F.: 66 + XV Spielideen Latein. Mit den jeweiligen kulturellen Kontext). Auf diese Spielen aus dem Alten Rom, aufbereitet für Weise entstehen viele einzelne Textadventu- den modernen Lateinunterricht. Augsburg: res mit jeweils eigenem Spiel- und Lerninhalt. Auer 2015. In dieser Lehrbuchabhängigkeit besteht eine Bormann, M. / Heyligers, K. / Kerres, M. grundsätzliche Herausforderung des Spielde- / Niesenhaus, J.: Spielend Lernen! Spie- signs: Eine passgenaue Abstimmung mit den lend Lernen? Eine empirische Annäherung jeweiligen Lerninhalten ist praktisch nur in an die Möglichkeiten einer Synthese von Anlehnung an ein bestimmtes Lehrbuch mög- Spielen und Lernen. In: Lucke, U. / Kinds- lich, weil sich die Lehrbücher insbesondere in müller, M. C. / Fischer, S. / Herczeg, M. Grammatikprogression und Wortschatz un- / Seehusen, S. (Hrsg.): Workshop Procee- terscheiden. Will man darüber hinaus breitere, dings der Tagungen Mensch & Computer lehrbuchunabhängige Einsatzmöglichkeiten 2008, DeLFI 2008 und Cognitive Design schaffen, so wären Spielkonzeptionen denkbar, 2008. Berlin: Logos 2008, 339-343. die statt spezieller Lektionsinhalte allgemein übliche Themenbereiche der Lehrbuchphase Breuer, J.: Spielend lernen? Eine Bestands- fokussieren; solche Spielvarianten sollten dann aufnahme zum (Digital) Game-Based Le- aber so mit geeigneten Hilfsfunktionen (z. B. arning. LfM-Dokumentation, Bd. 41, 2010. durch Hyperlinks) ausgestattet sein, dass ein Verfügbar unter: https://www.medienans- reibungsloses Spielerlebnis unter gleichzeitiger talt-nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Publikatio- Verarbeitung der Lerninhalte möglich wird. nen-Download/Doku41-Spielend-Lernen. Zusammengefasst eröffnet ein derartiges pdf (Zugriff am 10.08.2020). Textadventure vielfältiges Potential: Evans, E.: Gamification in a Year 10 Latin • Vertiefung neuen Sprachmaterials Classroom: Ineffective ‘Edutainment’ or a (Sprachkompetenz); Valid Pedagogical Tool? In: The Journal of • Auseinandersetzung mit lateinischen Classics Teaching 34 (2016), 1-13. Texten / Textverständnis (Textkompe- Gabriel, S.: Spielend Fremdsprachen lernen tenz); – Wie können digitale Spiele den Fremd- • Auseinandersetzung mit kulturellen In- sprachenerwerb unterstützen? Eine kurze halten in „realer“ Spielumgebung (Kul- Übersicht über den derzeitigen Stand der turkompetenz); Forschung. In: Medienimpulse 54/3 (2016), • Auseinandersetzung mit Sprache und 143-156. Kultur vollständig in der Spielumge- Hoblitz, A.: Spielend Lernen im Flow. Die bung; motivationale Wirkung von Serious Games 26 Vgl. Hoffmann 2017, 42-44 zu einem im Rahmen der Ovid-Lektüre von Schüler*innen konzipierten Textadventure: Dort handelt es sich um eine andere Variante eines Textadventures, in dem eine Geschichte erzählt wird, die je nach Entscheidung des Lesers einen jeweils anderen Verlauf nimmt. Seite 35
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