Blended Learning - Impulse für die Praxis - RWTH Aachen

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Blended Learning – Impulse für die Praxis

Manuela Pietraß

1      Einleitung

„Blended Learning“ – schon wieder ein neues Lernkonzept, das vorhandene als überholt
ausruft? Versprach nicht eben noch das e-Learning mit neuen Medien die Revolution des
Bildungswesens? Nein, Blended Learning (BL) kommt mäßigend her, denn hier wird eine
Verbindung von Altem und Bewährtem mit Neuem angestrebt. BL-Konzepte sind
Mischformen verschiedener Lernkonzepte. Insofern drückt sich durch dieses
Begriffskompositum eine höhere Flexibilität durch Anpassung an praktische Belange und
Voraussetzungen aus, als wenn ein angeblich revolutionäres Lernkonzept – wie das e-
Learning – ausgerufen wird. In bewährter didaktischer Manier soll bei den kombinierten
Lernarrangements nicht die Methode über den Gegenstand gesetzt werden, wie das leicht
passiert, wenn das Neue auch zugleich das Beste zu sein vorgibt. Sondern beim BL sollen die
Bestandteile des Lernangebots auf das zu vermittelnde Problem zugeschnitten werden. Seine
Effizienz soll „vor allem in der Kombination von Elementen unterschiedlicher methodischer
und medialer Aufbereitung zum Tragen“ kommen (Kerres 2002, S. 3).
Blended Learning bietet für die außerberufliche Erwachsenenbildung vielversprechende
Optionen. Traditionelle Konzepte werden mit e-Learning-Konzepten erweitert, so daß neue
Teilnehmergruppen angesprochen werden können. Doch ist zu berücksichtigen, daß das
mediengestützte e-Learning eine andere Form des Lehrens und Lernens darstellt, die auch
andere Formen der Lern- und Bildungsorganisation erforderlich macht, damit ihr Potenzial
ausgeschöpft werden kann (Kerres 2002, S. 2). E-Learning ist insbesondere dann keine
Alternative zu personalen Unterrichtsformen, wenn man hohe Abbrecherquoten und niedrige
Lernqualität in Kauf nehmen muß. Dies kann am besten dann vermieden werden, wenn e-
Learning nicht als neues Wundermittel eingesetzt wird, sondern genau geprüft wird, für
welche Bereiche, Angebote und Teilnehmergruppen es Vorteile verspricht. Denn die
Einführung elektronischen Lernens ist mit hohen Zeit- und Kostenaufwänden verbunden, die
durch Unerfahrenheit und Unsicherheit der Anbieter in diesem Bereich noch erhöht wird.
Insbesondere in der Erwachsenenbildung muß man sich mit eher vergleichsweise niedrigeren
Budgets und bescheideneren Ressourcen als in der Wirtschaft begnügen. Häufig ist dies an
den Universitäten ähnlich, so daß hier gesammelte Erfahrungen für die Erwachsenenbildung
hilfreich sein können – ein Anliegen, das der vorliegende Beitrag verfolgt.
Im außerberuflichen Bildungssektor liegt das Potenzial von e-Learning in der umfangreichen
privaten Mediennutzung Erwachsener verborgen. Mit dem Konsum von Medien,
insbesondere Zeitung und Fernsehen, verbringen Erwachsene den größten Teil ihrer Freizeit.
Insofern finden mediengestützte Lernangebote ideale Anknüpfungsmöglichkeiten. Einerseits
ist durch das Internet ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen möglich, andererseits wird die
Nutzung des Internet auch durch elektronische Zeitschriften und andere alltagsrelevante
Informationsangebote eher noch wachsen. Durch die Verknüpfung von verschiedenen Medien
im Internet ist es auch möglich, Tagesaktualität zu erreichen. So ist E-Learning als eine
Chance für die Teilnehmergewinnung und -bindung zu sehen, die in Verknüpfung mit
anderen, traditionellen Lernkonzepten eine gute Integrationsfähigkeit in die
Erwachsenenbildung verspricht.
Im folgenden soll die mediengestützte Didaktik des e-Learning und ihre Vorteile näher
beschrieben werden. Als konkretes Beispiel wird ein e-Learning Projekt näher vorgestellt und
werden Anregungen für die Umsetzung elektronischer Lernangebote gegeben.

2    Blended Learning – zur Definition von Hybridformen in der
Lehre

Der Begriff BL beschreibt Mischformen in der Lehre, auch andere Begriffe wie „hybride
Lernarrangements“ (Kerres) sind geläufig. Blended Learning ist nicht nur als Kombination
von E-Learning mit Präsenzphasen zu verstehen, sondern mit ihm soll realisiert werden

„die ideale Mischung aus klassischen und neuen Organisationsformen, Methoden und
Medien: Face-to-Face-Arrangements (wie Seminare und Konferenzen) werden mit
asynchronen und synchronen Medienarrangements verknüpft; Intra-, Internet, CBT
[Computer Baes Training] und WBT [Web Based Training], Audio und Video, Handouts und
Bücher haben ihren gleichberechtigten Platz; Selbstlernphasen wechseln mit Situationen, in
denen der Lehrende den Ton angibt, und daneben gibt es Trainer-Lerner-, Lerner-Mentor-,
Peer-to-Peer oder Team-Lernsituationen; kurz: Alles ist möglich.“ (Reinmann-Rothmeier
2003, S. 28)

Als Quintessenz sieht Reinmann-Rothmeier den „bewusst arrangierten Mix aus Medien und
Methoden“ beim BL. Allerdings sei es eine Frage der Perspektive, ob BL als eine Sonderform
des e-Learning zu verstehen ist oder als eine Kombination von traditionellen Methoden mit
den Möglichkeiten des e-Learning. In der betrieblichen Weiterbildung hat sich e-Learning
bereits einen festen Platz erobert, so daß hier die Perspektive auf die Integration von
Präsenzphasen in die durch die neuen Medien getragenen Lernangebote gerichtet ist. Auf
Seiten der Erwachsenenbildung steht demgegenüber das e-Learning im Vordergrund, das sich
hier erst einen Platz erobern muß.

3      Grundlagen des Blended Learning
3.1    Der konstruktivistische Lernansatz

Mit e-Learning wird Lernen mit dem „Computer“ bezeichnet, handele es sich dabei um
spezielle Lernsoftware oder die Nutzung netzbasierter Systeme. Die besonderen Qualitäten
der Medien Computer und Internet ermöglichen, neue, von einem konstruktivistischen Ansatz
getragene Lernformen zu verwirklichen, woher sie ihre didaktische Bedeutung beziehen.
Das klassische, instruktionale Lernkonzept ist z. B. im Frontalunterricht realisiert. Leitend ist
die Vorstellung, daß vom Lehrenden zum Lernenden ein Wissensinhalt transferiert wird. Der
Lernerfolg läßt sich daran abmessen, wie deckungsgleich die vom Lernenden erworbenen
Inhalte mit jenen sind, die der Lehrende an ihn weitergab. Der Lernende wird in einer
passiven Rolle verstanden, seine Aufgabe ist die konzentrierte, möglichst umfassende und
vollständige Aufnahme des Lernstoffes. Lernziel, -tempo und -zeitpunkt werden vom
Lehrenden vorgegeben. Das Problem besteht darin, daß viel Wissen vermittelt werden kann,
dieses als Faktenwissen jedoch häufig in den konkreten Problemsituationen vom Lernenden
nicht einsetzbar ist. Es ist als „träges Wissen“ (Heinz Mandl) zwar vorhanden, aber nicht
abrufbar. Wie problematisch die Konsequenzen eines einseitig instruktionalen Modells sind,
sieht man an der Ausbildung der Ärzte. Medizinstudenten verfügen über einen großen
Wissensvorrat, doch haben sie Schwierigkeiten, diesen diagnostisch-analytisch und praktisch-
problembezogen im konkreten Fall einzusetzen.
Erfolgversprechender als der instruktionale ist der konstruktivistische Lernansatz, bei dem die
Aktivitäten und die Aktivierung des Lernenden im Zentrum steht, während Lehre und
Instruktion ihre zentrale Bedeutung verlieren. Für das konstruktivistische Lernen ergeben sich
folgende fünf Prozessmerkmale (Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001 zit. n. Kopp/Zabel/Mandl
2002, S. 9):

   •   „Lernen ist ein aktiver Prozess: Effektives Lernen ist nur über die aktive Beteiligung
       des Lernenden möglich. Dazu sind Motivation und Interesse notwendige
       Voraussetzungen.
   •   Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess: Die Auseinandersetzumg mit einem
       Inhaltsbereich erfordert die Kontrolle des eigenen Lernprozesses durch den
       Lernenden.
   •   Lernen ist ein konstruktiver Prozess: Wissen kann nur erworben und genutzt werden,
       wenn es in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen eingebaut und auf der Basis
       individueller Erfahrungen interpretiert werden kann.
   •   Lernen ist ein situativer Prozess: Wissen weist stets situative und kontextuelle Bezüge
       auf; der Erwerb von Wissen ist daher immer an einen spezifischen Kontext gebunden.
   •   Lernen ist ein sozialer Prozess: Der Erwerb von Wissen geschieht meist in Interaktion
       mit anderen. Lernen ist somit als Prozess zu sehen, der in einer bestimmten Lernkultur
       stattfindet, in der Wissensinhalte, aber auch Werthaltungen und Einstellungen –
       miteinander ausgehandelt werden.“ (Kopp/Zabel/Mandl 2002, S. 9f.)

Die Merkmale eines konstruktivistischen Lernprozesses können durch die neuen Medien (PC
und Internet) optimal unterstützt werden. Gegenüber den vorher verfügbaren
Medientechnologien sind die neuen Medien durch Hyper- und Multimedialität, Interaktivität
und Vernetzung ausgezeichnet:

   •   Hyper- und Multimedialität: Integration verschiedener Informationsangebote und
       Kombination verschiedener Medien- (Audio, Video, Foto), Sinnes- (visuell, auditiv
       und zunehmend taktil) und Zeichensysteme (Bild, Schrift, gesprochene Sprache,
       Musik etc.);
   •   Interaktivität: Möglichkeit der Kommunikation mit dem Medientext durch den Erhalt
       direkter Rückmeldungen im Text;
   •   Vernetzung: Verbindung verschiedener Informationsangebote (Hypertext und
       Hypermedia) und Kommunikationsmöglichkeiten durch Chat, Newsgroups, E-Mail
       etc.

Das didaktische Potential der neuen Medien kann gemäß dieser Qualitäten für ein
konstruktivistisches Lernen folgendermaßen bestimmt werden:

   • Hyper- und Multimedialität:
Durch die Vernetzung mit anderen Wissenseinheiten und Mediensystemen ist es möglich,
bequem zugängliches und informativ dichtes Lernmaterial bereitzustellen. Die
Multimedialität ermöglicht die Veranschaulichung des Wissens in verschiedenen
Symbolsystemen. Der Aufbau mentaler Modelle wird durch die verschiedene Formen der
Wissensaneignung unterstützt.
• Interaktivität:
Selbstgesteuertes Lernen unterscheidet sich von dem, durch den Lehrer geleiteten,
„fremdgesteuerten“ Lernen durch seine Individualität und Aktivität (Friedrich/Mandl 1997).
Die Reflexivität des Lernprozesses kann durch die Interaktivität der Medien unterstützt
werden.
    • Vernetzung:
Selbstgesteuertes Lernen wird auch durch die eigene Orts- und Zeitstrukturierung unterstützt.
Weiterhin kann durch die Ermöglichung sozialer Kontakte der Austausch mit anderen und
damit das Lernen im Team gefördert werden. Auch Multiperspektivität, die träges Wissen
vermeiden hilft, wird durch den Austausch über die Lerninhalte unterstützt.

Insofern werden die Anforderungen einer konstruktivistischen Didaktik durch die
Präsentationsmöglichkeiten der neuen Medien ergänzt. Konstruktivistische Didaktik und neue
Medien gehen eine Verbindung ein, deren Vorteil in der Steigerung von Lerneffizienz liegt.

3.2    Varianten des e-Learning

Gemäß ihren technischen Möglichkeiten können drei Leitfunktionen der neuen Medien für
das e-Learning bestimmt werden (Reinmann-Rothmeier 2003, S. 32f.):

   • Die Verteilung oder Distribution von Information auf elektronischem Wege:
Die Funktion der Medien liegt bei dieser Lernform in der Verbreitung und Präsentation von
Lerninhalten.
   • Die Interaktion des Lerntextes mit dem Lernenden:
Hier besteht die Funktion des Mediums darin, dem Lernenden ein selbstgesteuertes Lernen
ohne direkte Unterstützung eines Lehrenden zu ermöglichen. Durch Interaktivität des
Lernangebotes wird die Möglichkeit der Selbstkontrolle des Lernweges erhöht.
   • Die Kollaboration von Lernendem und Lehrendem sowie von Lernenden
       untereinander:
Das Medium hat hier die Funktion, Lernende an verschiedenen Orten zusammenbringen und
den Austausch untereinander zu ermöglichen oder auch den raschen, ziel- und sachgerichteten
Austausch über bestimmte Problemstellungen zu beschleunigen (vgl. Reinmann-Rothmeier
2003, S. 33).

Allerdings sind Lernumgebungen, die die Prozeßmerkmale konstruktvistischen Lernens
umfassend umsetzen, äußerst komplex in der Erstellung und aufgrund ihrer Komplexität auch
anstrengend für die Lernenden. Phasen der Instruktion sollten nicht gänzlich ausgeblendet
werden, und zwar in Verbindung mit einem entsprechenden Maß der Unterstützung durch den
Lehrenden. Hier ermöglicht die Kombination mit anderen Lernkonzepten, wie es beim
Blended Learning praktiziert wird, eine optimale Anpassung des Lehrmodells an den zu
vermittelnden Gegenstand. Ein weiterer Vorteil ist die Anpassung des Lernkonzepts an die
finanziellen Ressourcen, so kann die Kombination mit tutorieller Betreuung in Präsenzphasen
den Aufwand bei der Gestaltung virtueller Seminare und Workshops verringern.

3.3 Die Kombination von e-Learning mit Präsenzphasen
Soziale Interaktionen besitzen gegenüber der face-to-face-Interaktion Einschränkungen, die
auf Vermittlungsverlusten beruhen. Der Mensch wird nicht in seiner sinnlichen Ganzheit
präsent, sondern die Kommunikation wird „entdichtet“: Es fehlen die durch Mimik, Gestik,
Habitus geformten Anteile der Identität und Authentizität. Zugleich findet eine Entlastung
durch diese Momente statt, denn es kommt nicht bei jeder Interaktion die Person als Ganzheit
zum Tragen. Wenn z. B. zwei Lernende sich über ihre Lösungsansätze austauschen wollen,
stehen Sachbezug, Argumentationsweise, Kenntnisse gegenüber der ganzheitlichen Präsenz
im Vordergrund. Bei der Konzeption von hybriden Lernarrangements sollten die
unterschiedlichen Qualitäten der vermittelten und unvermittelten Kommunikation
miteinbeziehen. Präsenzphasen für eine reine Informationsvermittlung zu nützen wäre eine
„Verschwendung“ des hier gegebenen Potentials direkter Interaktion: Die unmittelbare
Begegnung erlaubt es, die anderen Mitglieder einer Lerngruppe kennenzulernen, Sympathien
und Antipathien werden zumindest „auf den ersten Eindruck“ hin erlebbar und können in die
Formung von Lernkleingruppen miteinbezogen werden. Die unmittelbare Begegnung schafft
Verbindlichkeit, auf die man später aufbauen kann, und die in der Anonymität des Netzes
schwerer herstellbar ist.
Jedoch reicht ein einfaches Zusammenkommen nicht aus, sondern es ist nach Kerres „die
Aufgabe der Planung einer Präsenzveranstaltung, die Intensität menschlicher Begegnung
erfahrbar zu machen und dazu ist diese anders zu konzipieren als bisher“ (2002, S. 13). Hier
einige Ziele, die bei einer Präsenzveranstaltung im Vordergrund stehen sollten:

   •   Orientierung (Überblick geben)
   •   Motivierung (Ziele, Visionen vermitteln)
   •   Kennenlernen (Vorstellungsrunde, „Get together“)
   •   Teambuilding
   •   Einweisung in elementare Werkzeuge
   •   Ablaufplan und eventuelles „Wiedersehen“ ankündigen
       (vgl. Kerres 2003)

Diese Punkte aufzuzählen ist aber nicht bereits so motivierend, daß sie dazu verleiten, an
Präsenzveranstaltungen teilzunehmen. Schließlich müssen manche der Teilnehmer nicht
unerhebliche Zeit- und Kostenaufwände auf sich nehmen, um einer Präsenzveranstaltung
beizuwohnen. Insofern ist die Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist schmackhaft zu
machen. So schlägt Kerres vor, Gastredner einzuladen, es wäre auch an ein kleines „Get
together“ (evtl. mit Bewirtung) zu denken.

4. E-Learning am Beispiel einer „virtuellen Vorlesung“

Die mangelnde umfassende Verankerung von medienpädagogischen Inhalten in der
Lehrerbildung und die zugleich erkannte Notwendigkeit einer medienpädagogischen
Qualifikation für Lehrer waren Anlaß für die Konzeption des „Erweiterungsstudiums
Medienpädagogik“. Auf Initiative von Prof. Dr. Dieter Spanhel der Universität Erlangen-
Nürnberg entstand unter Kooperation diverser bayerischer Universitäten ein Studienplan, der
mediendidaktische, -erzieherische und informatische Studienangebote enthält. Jene
Universitäten, die an der Konzeption des Studiengangs partizipieren wollten, stellten
entsprechende Förderanträge an die Virtuelle Hochschule Bayern. Das vorliegende
Studienangebot sollte eine „virtuelle Vorlesung“ ohne tutorielle Betreuung sein, die
Grundkenntnisse über die Themenbereiche Medienrezeption und Mediensozialisation
vermittelt. Unter Mitarbeit von Aiga von Hippel, mit technischer Unterstützung von Florian
Mangold sowie studentischen Mitarbeitern entwickelten wir eine Selbstlernumgebung mit
insgesamt 15 Lerneinheiten, die sich zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags in der Abschluß-
und Evaluationsphase befand. Die 15 Lerneinheiten bestehen aus 13 Vorlesungseinheiten und
zwei Präsenzeinheiten. Die erste Präsenzeinheit dient den oben genannten Punkten der
Einweisung und des gegenseitigen Kennenlernens, die letzte Lerneinheit ist ebenfalls eine
Präsenzeinheit, in der Fragen und Problemstellungen in Zusammenhang mit der
Fallbearbeitung gelöst werden können. Die Lernumgebung ist so konzipiert, daß sie auch als
reine Selbstlernunmgebung ohne Präsenzphasen angeboten und erarbeitet werden kann.
Unsere Herausforderung war es, mit einem kleinen Team und vergleichsweise geringen
Mitteln sowie ohne jede Vorerfahrung ein e-Learning-Angebot zu realisieren. Die
Universitäten befanden sich zu dieser Zeit noch in einer Pionierphase. Es war schwer, auf
Personen mit bereits größerer Erfahrung zu treffen, von denen man sich guten Rat hätte
einholen können. Es war ja nicht nur didaktisches, sondern auch technisches Neuland zu
betreten.
Dies betraf als ersten Schritt die Wahl einer geeigneten Lernplattform. Wir schlossen uns
schließlich der indirekt durch die vhb vorgegebenen Wahl an, die mit der Unterstützung der
Entwicklung der Lernplattform „Everlearn“ bei gleichzeitiger Kürzung der beantragten
Projektmittel diese Lernplattform sozusagen umsonst zur Verfügung stellte. Der große Vorteil
war die enge Kooperation mit dem Team von Everlearn, das auf Anregungen und Wünsche
mit im Rahmen seiner Möglichkeiten liegender Realisierung dieser Wünsche reagierte. Ein
Nachteil war für uns, daß EverLearn vor allem die Belange von virtuellen Seminaren erfüllt,
also jene Lehrangebote, die mit tutorieller Betreuung stattfinden und mit virtuellen
Lerngruppen arbeiten. Unsere Belange lagen eher im Bereich der visuellen Gestaltung und der
Navigation, da unser Ziel die Vermittlung von Inhalten mit selbstgesteuerter Aneignung durch
die Studierenden war.
Aus zwei Gründen hat dieses Projekt einen exemplarischen Veranschaulichungswert für die
Erwachsenenbildung: die von uns bewältigten Anforderungen sind beispielhaft auch für
andere, die dieses didaktische Neuland betreten wollen; außerdem ist eine Vorlesung ein
vergleichsweise kostengünstiges Angebot, das sich als Ergänzung zu Präsenzphasen gut
eignet. Im folgenden will ich unter Rekurs auf unsere Erfahrungen und unsere Lernumgebung
einige konkrete Hinweise geben, wie die e-learning-Phase eines Blended-Learning-Konzeptes
gestaltet werden kann. Systematisch wird nach den oben genannten Varianten des e-Learning
vorgegangen.

4.1 Distribution von Information und Lernen durch Information

Bei einer Vorlesung steht die Vermittlung von Wissen über einen umfassenden
Gegenstandsbereich im Vordergrund, dessen Zusammenhänge, Problemstellungen und die
über ihn vorhandenen Erkenntnisse. Sie wendet sich an Personen, die über diesen
Gegenstandsbereich noch wenig wissen und besitzt dadurch vor allem instruktionale
didaktische Elemente. Dennoch wollten wir nicht, wie dies so häufig in diesem Bereich üblich
ist, lediglich linear konzipierte Texte als pdf-Dateien anbieten, sondern unser Ziel war es, die
vernetzte Struktur der neuen Medien bei der Präsentation so weit als möglich zu nutzen. Dies
stellte eine gewisse Herausforderung bei der Konzeption des Angebotes dar, denn wir lernen
seit der Schule die lineare Darstellungsweise, nicht aber die vernetzte. Die lineare
Tetgestaltung wird auch von einer vernetzten nicht abgelöst werden, ein Argumentationsgang
läßt sich immer nur schrittweise und damit linear entfalten. Und dies zeigt sich auch am
Aufbau unserer Lernumgebung: Sie besteht auf der untersten Ebene aus Texten, die als linear
aufgebautes pdf-Dokument darstellbar sind. Die Präsentation des Textes selbst aber passt sich
an die Darstellungsmöglichkeiten im Netz an, d. h. die Textabschnitte sind möglichst nicht
länger als eine Bildschirmseite. Jede dieser Seiten wird mit einer Überschrift versehen. Diese
unterste Darstellungsebene wird den Studierenden nicht nur im Rahmen der Lernplattform,
sondern auch als einzelne pdf-Dateien zur Verfügung gestellt. Die Lerneinheiten sollen dann
von den Studierenden in offline- und online-Phasen kombiniert bearbeitet werden. Zusätzliche
Informationen werden durch Hovers vermittelt, sofern es sich um kurze Erklärungen handelt,
längere Hinweise – sozusagen Fußnoten – führen mit Links auf eigene Seiten.
Damit wird die Hypertextstruktur genützt, wer diese Informationen nicht will, kann sie
bequem übergehen, indem er sie nicht anklickt. Im Lauf der Erstellung der Lerneinheiten wird
die Hypertextstruktur immer dichter, da auf bereits Abgehandeltes verwiesen werden kann.
Die in einem Buch didaktisch beinah notwendige Redundanz läßt sich damit bei einer
vernetzten Darstellung reduzieren, Zusammenhänge können so deutlicher sichtbar gemacht
werden, als wenn man auf eine nicht näher definierte Angabe „wie oben bereits
ausgeführt/erwähnt...“ verweist! Zu jeder Lerneinheit werden weiterführende
Literaturhinweise gegeben, möglichst solche, die wiederum im Internet abgerufen werden
können. Ein Problem ist jedoch die Schnellebigkeit des Netzes. Links sollten eher auf
Homepages verweisen als auf untergeordnete Seiten. Dann ist auch nach einem gewissen
Zeitablauf die Chance größer, wenigstens auf eine dem Link entsprechende
Informationsquelle zu stoßen.
Die Hypertextstruktur wird visuell durch Navigationshilfen veranschaulicht. Diese Hilfen
ermöglichen einerseits das (der Vernetzung folgende) „Surfen“ im Netz. Der Lernende sollte
immer wissen, wo er sich befindet, dies erzielt man durch entsprechende graphische Mittel.
Die beschriebenen Navigationshilfen stellen die zweite Präsentationsebene in unserer
Lernumgebung dar, die dritte besteht in Überblicksgraphiken, mit denen jede einzelne
Lerneinheit beginnt. Diese „Landkarten“ sind ebenfalls verlinkt und zeigen auf einen Blick,
was in der folgenden Lerneinheit vermittelt wird. Darüberhinaus helfen farbliche
Vereinheitlichungen, vertikale und horizontale Menüleisten) bei der Orientierung. Die von
EverLearn bereitgehaltenen Navigationsmöglichkeiten waren leider eher gering. Durch die
Mitarbeit eines Informatikers in unserem Team konnte die Navigation mit den beschriebenen
Mitteln verbessert werden, wenngleich die Erweiterungsmöglichkeiten unsere Belange nur
teilweise befriedigen konnten.

4.2 E-Learning durch Interaktion

Interaktion beim Lernen wird durch Feedbacks gewährleistet, die der Lehrende dem
Lernenden zukommen läßt. Im face-to-face Unterricht ist das Feedback unmittelbar und
persönlich, während eine Lernumgebung keine an das Individuum gerichteten
Rückmeldungen geben kann. Häufig wird durch eine ungenaue Formulierung suggeriert, daß
der Lernende „mit dem Medium“ interagiere (z. B. Reinmann-Rothmeier 2003), so als
bestünde ein direkter Austausch. Tatsächlich interagiert der Lernende mit dem Lerntext, in
den der Autor allgemeine Rückmeldungen eingebaut hat. Er leistet sein Feedback, indem er
die Stellen, wo der Lernerfolg gemessen werden soll, antizipiert. Die Rückmeldungen sind
damit allgemein und eingeschränkt in ihrer Offenheit bezüglich des individuellen
Lernpozeßverlaufs. Dennoch kann man von einer pädagogisch gesteuerten Interaktion
sprechen, weil der Lehrende indirekt durch den Lerntext und die dort gegebenen
Rückmeldungsmöglichkeiten vertreten ist.
In unserer Lernumgebung realisierten wir die Interaktivität durch eine problembezogene,
konstruktivistische Didaktik. Wie bereits erwähnt, basiert das konstruktivistische Lernmodell
auf den Eigenaktivitäten des Lernenden. Die Aufgabe der Didaktik ist es, die Aktivitäten des
Lernenden anzuregen, was durch Problem- und Fallorientierung realisiert werden kann. Durch
die Vorgabe möglichst authentischer Probleme und Fälle soll das angebotene Wissen durch
den Lernenden auf konkrete Problemstellungen angewendet werden. Das erworbene Wissen
wird durch die Problemstellungen kontextualisiert und die Fallbearbeitung aktiviert den
Lernenden, das angebotene Wissen anzuwenden.
In unserer Vorlesung realisierten wir die Problemorientierung durch drei verschiedene
Anwendungsformen:

1. Jede Lerneinheit beginnt mit einer Problemstellung, die auf Alltagswissen bezogen ist und
die die folgenden Inhalte in der Problemstellung verankern soll.
2. Innerhalb der Lerneinheiten werden kleine Denkaufgaben gestellt, die den Lernenden direkt
ansprechen und involvieren. Außerdem endet jede Lerneinheit mit Arbeitsaufgaben.
3. Für alle Aufgaben werden Musterlösungen erstellt. Ein Hinweis am Rande, weil hier immer
wieder didaktische Fehler gemacht werden: Die Arbeitsaufgabe sollte genau so gestellt sein,
daß sie mit dem aus den vorangehenden Lerneinheiten angeeigneten Wissen lösbar ist, keine
neuen Problemstellungen aufbringen!
4. Die gesamte Vorlesung wird mit einem konkreten Problem eingeleitet, zu dem
verschiedenste Materialien bereitgestellt werden, um für seinen phänomenalen
Zusammenhang zu sensibilisieren. Die letzte Lerneinheit enthält einen komplexen Fall,
dessen Lösung den Einbezug möglichst aller vorangehenden Lerneinheiten erfordert. Ein Fall
ist ein Beispiel für konkrete Problemstellungen aus der Praxis. Seine Bearbeitung und Lösung
verlangt jenes Wissen, das sich der Lernende durch das Lernangebot aneignet. In unserer
Lernumgebung wird die Problemstellung durch das neue TV-Genre „Casting-Shows
vorgegeben, der konkrete Fall beschreibt eine 16-jährige Schülerin, die die Schule
vernachlässigt, um ein Star zu werden.

4.3    E-Learning durch Kooperation

Die einzelnen Lerneinheiten sollten günstigstenfalls individuell erarbeitet werden.
Entstehende Unklarheiten, aber auch die Lösung der Arbeitsaufgaben kann den Wunsch
aufkommen lassen, sich mit anderen auszutauschen. Hier bietet sich E-Mail und Chat an. Die
Fallbearbeitung sollte möglichst in Kooperation mit anderen Lernenden vorgenommen
werden. Der Austausch mit anderen ermöglicht den Einbezug verschiedener Perspektiven,
was den Lernerfolg durch die Erzeugung verschiedener mentaler Modelle für dasselbe
Problem erhöht. Jeder Lernende muß sich mit der Problemsicht seines Lernpartners
auseinandersetzen und diese aneignen. Um zu einem sachgerechten Urteil zu gelangen, ist die
Argumentation auf Basis von Fachwissen Voraussetzung, was zunächst die Aneignung dieses
Wissens erfordert und dann seine Artikulation in der Gruppe. Dadurch wird das Wissen
versprachlicht und in Diskursform gebracht, der zu einem fachlich gehobenen Diskurs wird,
sofern die Gruppe auf Basis von Fachwissen argumentiert. Die Erstellung von Gruppenregeln
ist hilfreich, wozu in der Präsenzphase entsprechende Anregungen gegeben werden sollten.

So banal es klingen mag, eine Selbstlernumgebung muß alle für ihre Erarbeitung notwendigen
Informationen mit sich führen. Damit stellt sie hohe Anforderungen bei der Konzeption, weil
man sich in die Sicht des Lerners versetzen muß, der sich das Wissen Schritt für Schritt
erarbeitet. Die Komplexität sollte nicht zu hoch angesetzt werden, sondern die Präsentation
vereinfacht, um den Lernenden nicht zu überanstrengen. Ermüdung tritt online und auch
durch die Interaktivität schneller ein als beim Lesen eines Buches. Komplexität wird
verringert, wenn immer wieder dieselben Begriffe verwendet werden. Auch bei Beispielen
bietet es sich an, nicht jedes Mal ein neues zu konstruieren, sondern auf bereits gegebene
Fälle zurückzugreifen. Entsprechendes gilt übrigens auch für Bilder, eine Wiederholung von
Motiven ist manchmal hilfreicher, weil so ein Problem von verschiedenen Seiten
veranschaulicht wird. Auf der visuellen Oberfläche sollte eine Reduktion der
Informationsfülle angezielt werden, was auch für die Länge der Texte gilt.

5      Zusammenfassung

Für die Erwachsenenbildung stellen Blended Learning Konzepte eine interessante Alternative
zum Präsenzlernen einerseits, und zu den teuren, aber wenig teilnehmerorientierten e-
Learning-Angeboten andererseits dar. Bei der Kombination von Methoden und Medien sollte
der zu vermittelnde Gegenstand im Vordergrund stehen, Blended Learning stellt hier durch
seine Anregung zur kreativen Anpassung der Angebote auch eine hinsichtlich der Kosten
anpassungsfähige Vorgehensweise dar. Bei den Präsenzphasen sollte die unmittelbare
Begegnung bei der direkten Kommunikation ausgenutzt werden. So kann eine höhere
Teilnehmer- und Gruppenbindung gegenüber reinem E-Learning erreicht werden. Der Vorteil
der e-Learning-Phasen liegt in der günstigen Ergänzung von konstruktivistischer Didaktik
einerseits und den Qualitäten der neuen Medien (Hyper- und Multimedialität, Interaktivität,
Vernetzung) andererseits. So ist es möglich, mit Hilfe der Medien ein problembezogenes,
anwendungsorientiertes Wissen aufzubauen, dessen Praxistransfer für die Teilnehmer bereits
beim Lernen als motivierend erfahren wird.

Literatur

Friedrich, H. F./Mandl, H. (1997). Analyse und Förderung selbstgesteuerten Lernens. In F. E.
Weinert/H. Mandl (Hrsg.). Psychologie der Erwachsenenbildung. Göttingen, Hogrefe, S. 237-
293.
Kerres, Michael (2002). Online und Präsenzelemente in hybriden Lernarrangements
kombinieren. In A. Hohenstein/K. Wilbers (Hrsg.). Handbuch E-Learning. Köln: Fachverlag
Deutscher Wirtschaftsdienst.
Mandl, Heinz
Kopp Birgitta/Zabel, Mirjam/Mandl, Heinz (2002). Dozentenleitfaden für die
mediendidaktische Gestaltung virtueller Lernumgebungen an Hochschulen. Lehrstuhl für
Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, Universität München.
Reinmann-Rothmeier, Gabi (2003). Praktische Innovation durch Blended Learning. München:
Huber.
Mandl, H./Reinmann-Rothmeier, G. (1998). Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Lehrens
und Lernens. In Dörr, G./Jüngst, K. L. (Hrsg.): Lernen mit Medien. Ergebnisse und
Perspektiven zu medial vermittelten Lehr- und Lernprozessen. Weinheim: Juventa, S. 193-
206.
Sauter, Annette M./Sauter, Werner (2003). Blended Learning. Effiziente Integration von E-
Learning und Präsentraining.
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