Blended Learning - Impulse für die Praxis - RWTH Aachen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Blended Learning – Impulse für die Praxis Manuela Pietraß 1 Einleitung „Blended Learning“ – schon wieder ein neues Lernkonzept, das vorhandene als überholt ausruft? Versprach nicht eben noch das e-Learning mit neuen Medien die Revolution des Bildungswesens? Nein, Blended Learning (BL) kommt mäßigend her, denn hier wird eine Verbindung von Altem und Bewährtem mit Neuem angestrebt. BL-Konzepte sind Mischformen verschiedener Lernkonzepte. Insofern drückt sich durch dieses Begriffskompositum eine höhere Flexibilität durch Anpassung an praktische Belange und Voraussetzungen aus, als wenn ein angeblich revolutionäres Lernkonzept – wie das e- Learning – ausgerufen wird. In bewährter didaktischer Manier soll bei den kombinierten Lernarrangements nicht die Methode über den Gegenstand gesetzt werden, wie das leicht passiert, wenn das Neue auch zugleich das Beste zu sein vorgibt. Sondern beim BL sollen die Bestandteile des Lernangebots auf das zu vermittelnde Problem zugeschnitten werden. Seine Effizienz soll „vor allem in der Kombination von Elementen unterschiedlicher methodischer und medialer Aufbereitung zum Tragen“ kommen (Kerres 2002, S. 3). Blended Learning bietet für die außerberufliche Erwachsenenbildung vielversprechende Optionen. Traditionelle Konzepte werden mit e-Learning-Konzepten erweitert, so daß neue Teilnehmergruppen angesprochen werden können. Doch ist zu berücksichtigen, daß das mediengestützte e-Learning eine andere Form des Lehrens und Lernens darstellt, die auch andere Formen der Lern- und Bildungsorganisation erforderlich macht, damit ihr Potenzial ausgeschöpft werden kann (Kerres 2002, S. 2). E-Learning ist insbesondere dann keine Alternative zu personalen Unterrichtsformen, wenn man hohe Abbrecherquoten und niedrige Lernqualität in Kauf nehmen muß. Dies kann am besten dann vermieden werden, wenn e- Learning nicht als neues Wundermittel eingesetzt wird, sondern genau geprüft wird, für welche Bereiche, Angebote und Teilnehmergruppen es Vorteile verspricht. Denn die Einführung elektronischen Lernens ist mit hohen Zeit- und Kostenaufwänden verbunden, die durch Unerfahrenheit und Unsicherheit der Anbieter in diesem Bereich noch erhöht wird. Insbesondere in der Erwachsenenbildung muß man sich mit eher vergleichsweise niedrigeren Budgets und bescheideneren Ressourcen als in der Wirtschaft begnügen. Häufig ist dies an den Universitäten ähnlich, so daß hier gesammelte Erfahrungen für die Erwachsenenbildung hilfreich sein können – ein Anliegen, das der vorliegende Beitrag verfolgt. Im außerberuflichen Bildungssektor liegt das Potenzial von e-Learning in der umfangreichen privaten Mediennutzung Erwachsener verborgen. Mit dem Konsum von Medien, insbesondere Zeitung und Fernsehen, verbringen Erwachsene den größten Teil ihrer Freizeit. Insofern finden mediengestützte Lernangebote ideale Anknüpfungsmöglichkeiten. Einerseits ist durch das Internet ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen möglich, andererseits wird die Nutzung des Internet auch durch elektronische Zeitschriften und andere alltagsrelevante Informationsangebote eher noch wachsen. Durch die Verknüpfung von verschiedenen Medien im Internet ist es auch möglich, Tagesaktualität zu erreichen. So ist E-Learning als eine Chance für die Teilnehmergewinnung und -bindung zu sehen, die in Verknüpfung mit anderen, traditionellen Lernkonzepten eine gute Integrationsfähigkeit in die Erwachsenenbildung verspricht.
Im folgenden soll die mediengestützte Didaktik des e-Learning und ihre Vorteile näher beschrieben werden. Als konkretes Beispiel wird ein e-Learning Projekt näher vorgestellt und werden Anregungen für die Umsetzung elektronischer Lernangebote gegeben. 2 Blended Learning – zur Definition von Hybridformen in der Lehre Der Begriff BL beschreibt Mischformen in der Lehre, auch andere Begriffe wie „hybride Lernarrangements“ (Kerres) sind geläufig. Blended Learning ist nicht nur als Kombination von E-Learning mit Präsenzphasen zu verstehen, sondern mit ihm soll realisiert werden „die ideale Mischung aus klassischen und neuen Organisationsformen, Methoden und Medien: Face-to-Face-Arrangements (wie Seminare und Konferenzen) werden mit asynchronen und synchronen Medienarrangements verknüpft; Intra-, Internet, CBT [Computer Baes Training] und WBT [Web Based Training], Audio und Video, Handouts und Bücher haben ihren gleichberechtigten Platz; Selbstlernphasen wechseln mit Situationen, in denen der Lehrende den Ton angibt, und daneben gibt es Trainer-Lerner-, Lerner-Mentor-, Peer-to-Peer oder Team-Lernsituationen; kurz: Alles ist möglich.“ (Reinmann-Rothmeier 2003, S. 28) Als Quintessenz sieht Reinmann-Rothmeier den „bewusst arrangierten Mix aus Medien und Methoden“ beim BL. Allerdings sei es eine Frage der Perspektive, ob BL als eine Sonderform des e-Learning zu verstehen ist oder als eine Kombination von traditionellen Methoden mit den Möglichkeiten des e-Learning. In der betrieblichen Weiterbildung hat sich e-Learning bereits einen festen Platz erobert, so daß hier die Perspektive auf die Integration von Präsenzphasen in die durch die neuen Medien getragenen Lernangebote gerichtet ist. Auf Seiten der Erwachsenenbildung steht demgegenüber das e-Learning im Vordergrund, das sich hier erst einen Platz erobern muß. 3 Grundlagen des Blended Learning 3.1 Der konstruktivistische Lernansatz Mit e-Learning wird Lernen mit dem „Computer“ bezeichnet, handele es sich dabei um spezielle Lernsoftware oder die Nutzung netzbasierter Systeme. Die besonderen Qualitäten der Medien Computer und Internet ermöglichen, neue, von einem konstruktivistischen Ansatz getragene Lernformen zu verwirklichen, woher sie ihre didaktische Bedeutung beziehen. Das klassische, instruktionale Lernkonzept ist z. B. im Frontalunterricht realisiert. Leitend ist die Vorstellung, daß vom Lehrenden zum Lernenden ein Wissensinhalt transferiert wird. Der Lernerfolg läßt sich daran abmessen, wie deckungsgleich die vom Lernenden erworbenen Inhalte mit jenen sind, die der Lehrende an ihn weitergab. Der Lernende wird in einer passiven Rolle verstanden, seine Aufgabe ist die konzentrierte, möglichst umfassende und vollständige Aufnahme des Lernstoffes. Lernziel, -tempo und -zeitpunkt werden vom Lehrenden vorgegeben. Das Problem besteht darin, daß viel Wissen vermittelt werden kann, dieses als Faktenwissen jedoch häufig in den konkreten Problemsituationen vom Lernenden
nicht einsetzbar ist. Es ist als „träges Wissen“ (Heinz Mandl) zwar vorhanden, aber nicht abrufbar. Wie problematisch die Konsequenzen eines einseitig instruktionalen Modells sind, sieht man an der Ausbildung der Ärzte. Medizinstudenten verfügen über einen großen Wissensvorrat, doch haben sie Schwierigkeiten, diesen diagnostisch-analytisch und praktisch- problembezogen im konkreten Fall einzusetzen. Erfolgversprechender als der instruktionale ist der konstruktivistische Lernansatz, bei dem die Aktivitäten und die Aktivierung des Lernenden im Zentrum steht, während Lehre und Instruktion ihre zentrale Bedeutung verlieren. Für das konstruktivistische Lernen ergeben sich folgende fünf Prozessmerkmale (Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001 zit. n. Kopp/Zabel/Mandl 2002, S. 9): • „Lernen ist ein aktiver Prozess: Effektives Lernen ist nur über die aktive Beteiligung des Lernenden möglich. Dazu sind Motivation und Interesse notwendige Voraussetzungen. • Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess: Die Auseinandersetzumg mit einem Inhaltsbereich erfordert die Kontrolle des eigenen Lernprozesses durch den Lernenden. • Lernen ist ein konstruktiver Prozess: Wissen kann nur erworben und genutzt werden, wenn es in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen eingebaut und auf der Basis individueller Erfahrungen interpretiert werden kann. • Lernen ist ein situativer Prozess: Wissen weist stets situative und kontextuelle Bezüge auf; der Erwerb von Wissen ist daher immer an einen spezifischen Kontext gebunden. • Lernen ist ein sozialer Prozess: Der Erwerb von Wissen geschieht meist in Interaktion mit anderen. Lernen ist somit als Prozess zu sehen, der in einer bestimmten Lernkultur stattfindet, in der Wissensinhalte, aber auch Werthaltungen und Einstellungen – miteinander ausgehandelt werden.“ (Kopp/Zabel/Mandl 2002, S. 9f.) Die Merkmale eines konstruktivistischen Lernprozesses können durch die neuen Medien (PC und Internet) optimal unterstützt werden. Gegenüber den vorher verfügbaren Medientechnologien sind die neuen Medien durch Hyper- und Multimedialität, Interaktivität und Vernetzung ausgezeichnet: • Hyper- und Multimedialität: Integration verschiedener Informationsangebote und Kombination verschiedener Medien- (Audio, Video, Foto), Sinnes- (visuell, auditiv und zunehmend taktil) und Zeichensysteme (Bild, Schrift, gesprochene Sprache, Musik etc.); • Interaktivität: Möglichkeit der Kommunikation mit dem Medientext durch den Erhalt direkter Rückmeldungen im Text; • Vernetzung: Verbindung verschiedener Informationsangebote (Hypertext und Hypermedia) und Kommunikationsmöglichkeiten durch Chat, Newsgroups, E-Mail etc. Das didaktische Potential der neuen Medien kann gemäß dieser Qualitäten für ein konstruktivistisches Lernen folgendermaßen bestimmt werden: • Hyper- und Multimedialität: Durch die Vernetzung mit anderen Wissenseinheiten und Mediensystemen ist es möglich, bequem zugängliches und informativ dichtes Lernmaterial bereitzustellen. Die Multimedialität ermöglicht die Veranschaulichung des Wissens in verschiedenen Symbolsystemen. Der Aufbau mentaler Modelle wird durch die verschiedene Formen der Wissensaneignung unterstützt.
• Interaktivität: Selbstgesteuertes Lernen unterscheidet sich von dem, durch den Lehrer geleiteten, „fremdgesteuerten“ Lernen durch seine Individualität und Aktivität (Friedrich/Mandl 1997). Die Reflexivität des Lernprozesses kann durch die Interaktivität der Medien unterstützt werden. • Vernetzung: Selbstgesteuertes Lernen wird auch durch die eigene Orts- und Zeitstrukturierung unterstützt. Weiterhin kann durch die Ermöglichung sozialer Kontakte der Austausch mit anderen und damit das Lernen im Team gefördert werden. Auch Multiperspektivität, die träges Wissen vermeiden hilft, wird durch den Austausch über die Lerninhalte unterstützt. Insofern werden die Anforderungen einer konstruktivistischen Didaktik durch die Präsentationsmöglichkeiten der neuen Medien ergänzt. Konstruktivistische Didaktik und neue Medien gehen eine Verbindung ein, deren Vorteil in der Steigerung von Lerneffizienz liegt. 3.2 Varianten des e-Learning Gemäß ihren technischen Möglichkeiten können drei Leitfunktionen der neuen Medien für das e-Learning bestimmt werden (Reinmann-Rothmeier 2003, S. 32f.): • Die Verteilung oder Distribution von Information auf elektronischem Wege: Die Funktion der Medien liegt bei dieser Lernform in der Verbreitung und Präsentation von Lerninhalten. • Die Interaktion des Lerntextes mit dem Lernenden: Hier besteht die Funktion des Mediums darin, dem Lernenden ein selbstgesteuertes Lernen ohne direkte Unterstützung eines Lehrenden zu ermöglichen. Durch Interaktivität des Lernangebotes wird die Möglichkeit der Selbstkontrolle des Lernweges erhöht. • Die Kollaboration von Lernendem und Lehrendem sowie von Lernenden untereinander: Das Medium hat hier die Funktion, Lernende an verschiedenen Orten zusammenbringen und den Austausch untereinander zu ermöglichen oder auch den raschen, ziel- und sachgerichteten Austausch über bestimmte Problemstellungen zu beschleunigen (vgl. Reinmann-Rothmeier 2003, S. 33). Allerdings sind Lernumgebungen, die die Prozeßmerkmale konstruktvistischen Lernens umfassend umsetzen, äußerst komplex in der Erstellung und aufgrund ihrer Komplexität auch anstrengend für die Lernenden. Phasen der Instruktion sollten nicht gänzlich ausgeblendet werden, und zwar in Verbindung mit einem entsprechenden Maß der Unterstützung durch den Lehrenden. Hier ermöglicht die Kombination mit anderen Lernkonzepten, wie es beim Blended Learning praktiziert wird, eine optimale Anpassung des Lehrmodells an den zu vermittelnden Gegenstand. Ein weiterer Vorteil ist die Anpassung des Lernkonzepts an die finanziellen Ressourcen, so kann die Kombination mit tutorieller Betreuung in Präsenzphasen den Aufwand bei der Gestaltung virtueller Seminare und Workshops verringern. 3.3 Die Kombination von e-Learning mit Präsenzphasen
Soziale Interaktionen besitzen gegenüber der face-to-face-Interaktion Einschränkungen, die auf Vermittlungsverlusten beruhen. Der Mensch wird nicht in seiner sinnlichen Ganzheit präsent, sondern die Kommunikation wird „entdichtet“: Es fehlen die durch Mimik, Gestik, Habitus geformten Anteile der Identität und Authentizität. Zugleich findet eine Entlastung durch diese Momente statt, denn es kommt nicht bei jeder Interaktion die Person als Ganzheit zum Tragen. Wenn z. B. zwei Lernende sich über ihre Lösungsansätze austauschen wollen, stehen Sachbezug, Argumentationsweise, Kenntnisse gegenüber der ganzheitlichen Präsenz im Vordergrund. Bei der Konzeption von hybriden Lernarrangements sollten die unterschiedlichen Qualitäten der vermittelten und unvermittelten Kommunikation miteinbeziehen. Präsenzphasen für eine reine Informationsvermittlung zu nützen wäre eine „Verschwendung“ des hier gegebenen Potentials direkter Interaktion: Die unmittelbare Begegnung erlaubt es, die anderen Mitglieder einer Lerngruppe kennenzulernen, Sympathien und Antipathien werden zumindest „auf den ersten Eindruck“ hin erlebbar und können in die Formung von Lernkleingruppen miteinbezogen werden. Die unmittelbare Begegnung schafft Verbindlichkeit, auf die man später aufbauen kann, und die in der Anonymität des Netzes schwerer herstellbar ist. Jedoch reicht ein einfaches Zusammenkommen nicht aus, sondern es ist nach Kerres „die Aufgabe der Planung einer Präsenzveranstaltung, die Intensität menschlicher Begegnung erfahrbar zu machen und dazu ist diese anders zu konzipieren als bisher“ (2002, S. 13). Hier einige Ziele, die bei einer Präsenzveranstaltung im Vordergrund stehen sollten: • Orientierung (Überblick geben) • Motivierung (Ziele, Visionen vermitteln) • Kennenlernen (Vorstellungsrunde, „Get together“) • Teambuilding • Einweisung in elementare Werkzeuge • Ablaufplan und eventuelles „Wiedersehen“ ankündigen (vgl. Kerres 2003) Diese Punkte aufzuzählen ist aber nicht bereits so motivierend, daß sie dazu verleiten, an Präsenzveranstaltungen teilzunehmen. Schließlich müssen manche der Teilnehmer nicht unerhebliche Zeit- und Kostenaufwände auf sich nehmen, um einer Präsenzveranstaltung beizuwohnen. Insofern ist die Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist schmackhaft zu machen. So schlägt Kerres vor, Gastredner einzuladen, es wäre auch an ein kleines „Get together“ (evtl. mit Bewirtung) zu denken. 4. E-Learning am Beispiel einer „virtuellen Vorlesung“ Die mangelnde umfassende Verankerung von medienpädagogischen Inhalten in der Lehrerbildung und die zugleich erkannte Notwendigkeit einer medienpädagogischen Qualifikation für Lehrer waren Anlaß für die Konzeption des „Erweiterungsstudiums Medienpädagogik“. Auf Initiative von Prof. Dr. Dieter Spanhel der Universität Erlangen- Nürnberg entstand unter Kooperation diverser bayerischer Universitäten ein Studienplan, der mediendidaktische, -erzieherische und informatische Studienangebote enthält. Jene Universitäten, die an der Konzeption des Studiengangs partizipieren wollten, stellten entsprechende Förderanträge an die Virtuelle Hochschule Bayern. Das vorliegende Studienangebot sollte eine „virtuelle Vorlesung“ ohne tutorielle Betreuung sein, die Grundkenntnisse über die Themenbereiche Medienrezeption und Mediensozialisation vermittelt. Unter Mitarbeit von Aiga von Hippel, mit technischer Unterstützung von Florian
Mangold sowie studentischen Mitarbeitern entwickelten wir eine Selbstlernumgebung mit insgesamt 15 Lerneinheiten, die sich zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags in der Abschluß- und Evaluationsphase befand. Die 15 Lerneinheiten bestehen aus 13 Vorlesungseinheiten und zwei Präsenzeinheiten. Die erste Präsenzeinheit dient den oben genannten Punkten der Einweisung und des gegenseitigen Kennenlernens, die letzte Lerneinheit ist ebenfalls eine Präsenzeinheit, in der Fragen und Problemstellungen in Zusammenhang mit der Fallbearbeitung gelöst werden können. Die Lernumgebung ist so konzipiert, daß sie auch als reine Selbstlernunmgebung ohne Präsenzphasen angeboten und erarbeitet werden kann. Unsere Herausforderung war es, mit einem kleinen Team und vergleichsweise geringen Mitteln sowie ohne jede Vorerfahrung ein e-Learning-Angebot zu realisieren. Die Universitäten befanden sich zu dieser Zeit noch in einer Pionierphase. Es war schwer, auf Personen mit bereits größerer Erfahrung zu treffen, von denen man sich guten Rat hätte einholen können. Es war ja nicht nur didaktisches, sondern auch technisches Neuland zu betreten. Dies betraf als ersten Schritt die Wahl einer geeigneten Lernplattform. Wir schlossen uns schließlich der indirekt durch die vhb vorgegebenen Wahl an, die mit der Unterstützung der Entwicklung der Lernplattform „Everlearn“ bei gleichzeitiger Kürzung der beantragten Projektmittel diese Lernplattform sozusagen umsonst zur Verfügung stellte. Der große Vorteil war die enge Kooperation mit dem Team von Everlearn, das auf Anregungen und Wünsche mit im Rahmen seiner Möglichkeiten liegender Realisierung dieser Wünsche reagierte. Ein Nachteil war für uns, daß EverLearn vor allem die Belange von virtuellen Seminaren erfüllt, also jene Lehrangebote, die mit tutorieller Betreuung stattfinden und mit virtuellen Lerngruppen arbeiten. Unsere Belange lagen eher im Bereich der visuellen Gestaltung und der Navigation, da unser Ziel die Vermittlung von Inhalten mit selbstgesteuerter Aneignung durch die Studierenden war. Aus zwei Gründen hat dieses Projekt einen exemplarischen Veranschaulichungswert für die Erwachsenenbildung: die von uns bewältigten Anforderungen sind beispielhaft auch für andere, die dieses didaktische Neuland betreten wollen; außerdem ist eine Vorlesung ein vergleichsweise kostengünstiges Angebot, das sich als Ergänzung zu Präsenzphasen gut eignet. Im folgenden will ich unter Rekurs auf unsere Erfahrungen und unsere Lernumgebung einige konkrete Hinweise geben, wie die e-learning-Phase eines Blended-Learning-Konzeptes gestaltet werden kann. Systematisch wird nach den oben genannten Varianten des e-Learning vorgegangen. 4.1 Distribution von Information und Lernen durch Information Bei einer Vorlesung steht die Vermittlung von Wissen über einen umfassenden Gegenstandsbereich im Vordergrund, dessen Zusammenhänge, Problemstellungen und die über ihn vorhandenen Erkenntnisse. Sie wendet sich an Personen, die über diesen Gegenstandsbereich noch wenig wissen und besitzt dadurch vor allem instruktionale didaktische Elemente. Dennoch wollten wir nicht, wie dies so häufig in diesem Bereich üblich ist, lediglich linear konzipierte Texte als pdf-Dateien anbieten, sondern unser Ziel war es, die vernetzte Struktur der neuen Medien bei der Präsentation so weit als möglich zu nutzen. Dies stellte eine gewisse Herausforderung bei der Konzeption des Angebotes dar, denn wir lernen seit der Schule die lineare Darstellungsweise, nicht aber die vernetzte. Die lineare Tetgestaltung wird auch von einer vernetzten nicht abgelöst werden, ein Argumentationsgang läßt sich immer nur schrittweise und damit linear entfalten. Und dies zeigt sich auch am Aufbau unserer Lernumgebung: Sie besteht auf der untersten Ebene aus Texten, die als linear aufgebautes pdf-Dokument darstellbar sind. Die Präsentation des Textes selbst aber passt sich
an die Darstellungsmöglichkeiten im Netz an, d. h. die Textabschnitte sind möglichst nicht länger als eine Bildschirmseite. Jede dieser Seiten wird mit einer Überschrift versehen. Diese unterste Darstellungsebene wird den Studierenden nicht nur im Rahmen der Lernplattform, sondern auch als einzelne pdf-Dateien zur Verfügung gestellt. Die Lerneinheiten sollen dann von den Studierenden in offline- und online-Phasen kombiniert bearbeitet werden. Zusätzliche Informationen werden durch Hovers vermittelt, sofern es sich um kurze Erklärungen handelt, längere Hinweise – sozusagen Fußnoten – führen mit Links auf eigene Seiten. Damit wird die Hypertextstruktur genützt, wer diese Informationen nicht will, kann sie bequem übergehen, indem er sie nicht anklickt. Im Lauf der Erstellung der Lerneinheiten wird die Hypertextstruktur immer dichter, da auf bereits Abgehandeltes verwiesen werden kann. Die in einem Buch didaktisch beinah notwendige Redundanz läßt sich damit bei einer vernetzten Darstellung reduzieren, Zusammenhänge können so deutlicher sichtbar gemacht werden, als wenn man auf eine nicht näher definierte Angabe „wie oben bereits ausgeführt/erwähnt...“ verweist! Zu jeder Lerneinheit werden weiterführende Literaturhinweise gegeben, möglichst solche, die wiederum im Internet abgerufen werden können. Ein Problem ist jedoch die Schnellebigkeit des Netzes. Links sollten eher auf Homepages verweisen als auf untergeordnete Seiten. Dann ist auch nach einem gewissen Zeitablauf die Chance größer, wenigstens auf eine dem Link entsprechende Informationsquelle zu stoßen. Die Hypertextstruktur wird visuell durch Navigationshilfen veranschaulicht. Diese Hilfen ermöglichen einerseits das (der Vernetzung folgende) „Surfen“ im Netz. Der Lernende sollte immer wissen, wo er sich befindet, dies erzielt man durch entsprechende graphische Mittel. Die beschriebenen Navigationshilfen stellen die zweite Präsentationsebene in unserer Lernumgebung dar, die dritte besteht in Überblicksgraphiken, mit denen jede einzelne Lerneinheit beginnt. Diese „Landkarten“ sind ebenfalls verlinkt und zeigen auf einen Blick, was in der folgenden Lerneinheit vermittelt wird. Darüberhinaus helfen farbliche Vereinheitlichungen, vertikale und horizontale Menüleisten) bei der Orientierung. Die von EverLearn bereitgehaltenen Navigationsmöglichkeiten waren leider eher gering. Durch die Mitarbeit eines Informatikers in unserem Team konnte die Navigation mit den beschriebenen Mitteln verbessert werden, wenngleich die Erweiterungsmöglichkeiten unsere Belange nur teilweise befriedigen konnten. 4.2 E-Learning durch Interaktion Interaktion beim Lernen wird durch Feedbacks gewährleistet, die der Lehrende dem Lernenden zukommen läßt. Im face-to-face Unterricht ist das Feedback unmittelbar und persönlich, während eine Lernumgebung keine an das Individuum gerichteten Rückmeldungen geben kann. Häufig wird durch eine ungenaue Formulierung suggeriert, daß der Lernende „mit dem Medium“ interagiere (z. B. Reinmann-Rothmeier 2003), so als bestünde ein direkter Austausch. Tatsächlich interagiert der Lernende mit dem Lerntext, in den der Autor allgemeine Rückmeldungen eingebaut hat. Er leistet sein Feedback, indem er die Stellen, wo der Lernerfolg gemessen werden soll, antizipiert. Die Rückmeldungen sind damit allgemein und eingeschränkt in ihrer Offenheit bezüglich des individuellen Lernpozeßverlaufs. Dennoch kann man von einer pädagogisch gesteuerten Interaktion sprechen, weil der Lehrende indirekt durch den Lerntext und die dort gegebenen Rückmeldungsmöglichkeiten vertreten ist. In unserer Lernumgebung realisierten wir die Interaktivität durch eine problembezogene, konstruktivistische Didaktik. Wie bereits erwähnt, basiert das konstruktivistische Lernmodell
auf den Eigenaktivitäten des Lernenden. Die Aufgabe der Didaktik ist es, die Aktivitäten des Lernenden anzuregen, was durch Problem- und Fallorientierung realisiert werden kann. Durch die Vorgabe möglichst authentischer Probleme und Fälle soll das angebotene Wissen durch den Lernenden auf konkrete Problemstellungen angewendet werden. Das erworbene Wissen wird durch die Problemstellungen kontextualisiert und die Fallbearbeitung aktiviert den Lernenden, das angebotene Wissen anzuwenden. In unserer Vorlesung realisierten wir die Problemorientierung durch drei verschiedene Anwendungsformen: 1. Jede Lerneinheit beginnt mit einer Problemstellung, die auf Alltagswissen bezogen ist und die die folgenden Inhalte in der Problemstellung verankern soll. 2. Innerhalb der Lerneinheiten werden kleine Denkaufgaben gestellt, die den Lernenden direkt ansprechen und involvieren. Außerdem endet jede Lerneinheit mit Arbeitsaufgaben. 3. Für alle Aufgaben werden Musterlösungen erstellt. Ein Hinweis am Rande, weil hier immer wieder didaktische Fehler gemacht werden: Die Arbeitsaufgabe sollte genau so gestellt sein, daß sie mit dem aus den vorangehenden Lerneinheiten angeeigneten Wissen lösbar ist, keine neuen Problemstellungen aufbringen! 4. Die gesamte Vorlesung wird mit einem konkreten Problem eingeleitet, zu dem verschiedenste Materialien bereitgestellt werden, um für seinen phänomenalen Zusammenhang zu sensibilisieren. Die letzte Lerneinheit enthält einen komplexen Fall, dessen Lösung den Einbezug möglichst aller vorangehenden Lerneinheiten erfordert. Ein Fall ist ein Beispiel für konkrete Problemstellungen aus der Praxis. Seine Bearbeitung und Lösung verlangt jenes Wissen, das sich der Lernende durch das Lernangebot aneignet. In unserer Lernumgebung wird die Problemstellung durch das neue TV-Genre „Casting-Shows vorgegeben, der konkrete Fall beschreibt eine 16-jährige Schülerin, die die Schule vernachlässigt, um ein Star zu werden. 4.3 E-Learning durch Kooperation Die einzelnen Lerneinheiten sollten günstigstenfalls individuell erarbeitet werden. Entstehende Unklarheiten, aber auch die Lösung der Arbeitsaufgaben kann den Wunsch aufkommen lassen, sich mit anderen auszutauschen. Hier bietet sich E-Mail und Chat an. Die Fallbearbeitung sollte möglichst in Kooperation mit anderen Lernenden vorgenommen werden. Der Austausch mit anderen ermöglicht den Einbezug verschiedener Perspektiven, was den Lernerfolg durch die Erzeugung verschiedener mentaler Modelle für dasselbe Problem erhöht. Jeder Lernende muß sich mit der Problemsicht seines Lernpartners auseinandersetzen und diese aneignen. Um zu einem sachgerechten Urteil zu gelangen, ist die Argumentation auf Basis von Fachwissen Voraussetzung, was zunächst die Aneignung dieses Wissens erfordert und dann seine Artikulation in der Gruppe. Dadurch wird das Wissen versprachlicht und in Diskursform gebracht, der zu einem fachlich gehobenen Diskurs wird, sofern die Gruppe auf Basis von Fachwissen argumentiert. Die Erstellung von Gruppenregeln ist hilfreich, wozu in der Präsenzphase entsprechende Anregungen gegeben werden sollten. So banal es klingen mag, eine Selbstlernumgebung muß alle für ihre Erarbeitung notwendigen Informationen mit sich führen. Damit stellt sie hohe Anforderungen bei der Konzeption, weil man sich in die Sicht des Lerners versetzen muß, der sich das Wissen Schritt für Schritt erarbeitet. Die Komplexität sollte nicht zu hoch angesetzt werden, sondern die Präsentation vereinfacht, um den Lernenden nicht zu überanstrengen. Ermüdung tritt online und auch durch die Interaktivität schneller ein als beim Lesen eines Buches. Komplexität wird
verringert, wenn immer wieder dieselben Begriffe verwendet werden. Auch bei Beispielen bietet es sich an, nicht jedes Mal ein neues zu konstruieren, sondern auf bereits gegebene Fälle zurückzugreifen. Entsprechendes gilt übrigens auch für Bilder, eine Wiederholung von Motiven ist manchmal hilfreicher, weil so ein Problem von verschiedenen Seiten veranschaulicht wird. Auf der visuellen Oberfläche sollte eine Reduktion der Informationsfülle angezielt werden, was auch für die Länge der Texte gilt. 5 Zusammenfassung Für die Erwachsenenbildung stellen Blended Learning Konzepte eine interessante Alternative zum Präsenzlernen einerseits, und zu den teuren, aber wenig teilnehmerorientierten e- Learning-Angeboten andererseits dar. Bei der Kombination von Methoden und Medien sollte der zu vermittelnde Gegenstand im Vordergrund stehen, Blended Learning stellt hier durch seine Anregung zur kreativen Anpassung der Angebote auch eine hinsichtlich der Kosten anpassungsfähige Vorgehensweise dar. Bei den Präsenzphasen sollte die unmittelbare Begegnung bei der direkten Kommunikation ausgenutzt werden. So kann eine höhere Teilnehmer- und Gruppenbindung gegenüber reinem E-Learning erreicht werden. Der Vorteil der e-Learning-Phasen liegt in der günstigen Ergänzung von konstruktivistischer Didaktik einerseits und den Qualitäten der neuen Medien (Hyper- und Multimedialität, Interaktivität, Vernetzung) andererseits. So ist es möglich, mit Hilfe der Medien ein problembezogenes, anwendungsorientiertes Wissen aufzubauen, dessen Praxistransfer für die Teilnehmer bereits beim Lernen als motivierend erfahren wird. Literatur Friedrich, H. F./Mandl, H. (1997). Analyse und Förderung selbstgesteuerten Lernens. In F. E. Weinert/H. Mandl (Hrsg.). Psychologie der Erwachsenenbildung. Göttingen, Hogrefe, S. 237- 293. Kerres, Michael (2002). Online und Präsenzelemente in hybriden Lernarrangements kombinieren. In A. Hohenstein/K. Wilbers (Hrsg.). Handbuch E-Learning. Köln: Fachverlag Deutscher Wirtschaftsdienst. Mandl, Heinz Kopp Birgitta/Zabel, Mirjam/Mandl, Heinz (2002). Dozentenleitfaden für die mediendidaktische Gestaltung virtueller Lernumgebungen an Hochschulen. Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, Universität München. Reinmann-Rothmeier, Gabi (2003). Praktische Innovation durch Blended Learning. München: Huber. Mandl, H./Reinmann-Rothmeier, G. (1998). Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Lehrens und Lernens. In Dörr, G./Jüngst, K. L. (Hrsg.): Lernen mit Medien. Ergebnisse und Perspektiven zu medial vermittelten Lehr- und Lernprozessen. Weinheim: Juventa, S. 193- 206. Sauter, Annette M./Sauter, Werner (2003). Blended Learning. Effiziente Integration von E- Learning und Präsentraining.
Sie können auch lesen