Digitalis spezifische Fab Antikörper

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Digitalis‐spezifische Fab‐Antikörper
Stand Februar 2013
G. Egli

Beschreibung:             Polypeptid, MG ca. 50'000 Dalton.
                          Das Antidot entspricht dem durch Behandlung mit Papain abgespaltenen
                          und aufgereinigten antigenbindenden Abschnitt (Fab‐Fragment) der IgG,
                          welcher aus dem Blutserum immunisierter Schafe gewonnen wird.
                          ATC‐Code:      V03AB24

Primäre Wirkungen:        Durch die Bindung des freien Digoxins an Digitalis‐Fab kommt es zur
                          Inaktivierung und Reversion der Toxizität.

Indikationen:             Digitalis‐Fab ist indiziert bei lebensbedrohlichen Vergiftungen mit Digoxin
(als Antidot)             und anderen Digitalispräparaten inkl. pflanzlichen und tierischen
                          Herzglykosiden. Bei pflanzlichen und tierischen Herzglykosiden kann die
                          Bindungsaffinität vermindert sein, sodass grössere Mengen notwendig
                          sind.

Verfügbarkeit:            Regionalzentren (Schweizerische       Antidotliste:   Zusatzsortiment    in
                          Regionalzentren)

Physiologie:
Mechanismus der Toxizität der Digitalispräparate: Die Herzglykoside inhibieren den Na+‐K+‐
Transport, indem sie extrazellulär an die Na+‐K+‐ATPase binden. Die Ionenpumpe unterhält den
natürlichen transmembranösen Gradienten von Na+ und K+. Der Na+‐Gradient dient als
Energiequelle für den Na+‐Ca2+‐Exchanger, welcher während der Repolarisation das Ca2+ aus
der Zelle pumpt. Aufgrund des verminderten Na+‐Gradienten akkumuliert mehr Ca2+ in der
Zelle mit verbesserter Kontraktionskraft (positive Inotropie). Bei toxischen Spiegeln ist durch
das stark erhöhte Ca2+ das Ruhepotential vermindert mit erhöhter Tendenz zu
Rhythmusstörungen (pos. Automatizität).
Neben einer direkten vagalen Stimulation (erhöhte Freisetzung von Acetylcholin) wird das
Reizleitungssystem direkt durch die Herzglykoside supprimiert (negative Chrono‐ und
Dromotropie).
Antidotmonographie: Digitalis‐Antidot                                                       2

Pharmakodynamik:
Mechanismus der antidotalen Wirkung: Nach intravenöser Applikation binden Digitalis‐Fab das
intravaskuläre freie Digoxin. Eine Verbesserung der Klinik erfolgt gewöhnlich innert 30 min.,
der maximale Effekt innert 3‐4h. Im Verlauf kommt es zur Diffusion von Digitalis‐Fab in das
Interstitium, wo ebenfalls die freie Fraktion des Digoxins gebunden wird. Durch die Bindung
der freien Digoxinfraktion entsteht ein Konzentrationsgradient und es kommt zur Diffusion
des intrazellulären und an die Na+‐K+‐ATPase gebundenen Digoxins nach extrazellulär, wo es
fortlaufend durch Digitalis‐Fab neutralisiert werden kann.

Pharmakokinetik:
Pharmakokinetik des Digitalis‐Fab bei Nierengesunden
Verteilungsvolumen (Vd)        0.25 – 0.4 l/kg
Terminale HWZ                  14‐20‐(30) h
Clearance total                0.17‐0.52ml/min/kg
Rebound freies Digoxin         nach 12‐72h
Qo                             ca. 0.33
Pharmakokinetik des Digitalis‐Fab bei Niereninsuffizienz
Verteilungsvolumen (Vd)        unverändert
Terminale HWZ                  bis 10 fach verlängert
Clearance total                je nach Schwere reduziert (siehe unten)
Rebound freies Digoxin         nach 12h‐130h ‐(14 d)
Hämodialyse/‐filtration        kann Digitalis‐Fab nicht eliminieren.
Plasmapherese                  Digitalis‐Fab können entfernt werden, Einsatz kontrovers
Nach Verabreichung von Digitalis‐Fab kommt es innert Minuten zu einem 10‐30 fachem
Anstieg der totalen Digoxinkonzentration (gebunden und frei) im Plasma. Die freie Fraktion
von Digoxin wird aber von 75‐90% auf 0‐5% gesenkt. Die Elimination von Digoxin hängt daher
dann primär von der Kinetik der Digitalis‐Fab ab (siehe oben). Der Rebound des freien Digoxins
wird nicht durch eine Dissoziation vom Digitalis‐Fab verursacht, sondern durch Umverteilung
aus dem Gewebe. Die Ursache der Verzögerung bei Niereninsuffizienz ist nicht ganz klar, hängt
aber wahrscheinlich mit einer verlängerten Distributionszeit von Digitalis‐Fab bei
Niereninsuffizienz zusammen. Die Gesamtclearance von Digoxin kann durch eine
Plasmapherese nicht nennenswert beeinflusst werden, der klinische Nutzen der
Plasmapherese bei Niereninsuffizienz nach Gabe von Digitalis‐Fab wird daher kontrovers
diskutiert.

Anwendung als Antidot:
Indikationen (8)
• alle potentiell Digitalis‐bedingten lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen.
• Kalium Konz. über 5mmol/l bei akuter Überdosierung.
• Chron. Digitalis‐Intoxikation mit Dysrhythmien, signifikanten gastrointestinalen
   Symptomen, akuter Beginn von Bewusstseinsstörungen, Niereninsuffizienz.
• Serum Digoxinkonzentration von ≥ 15ng/ml (19.2nmol/l) zu irgendeiner Zeit, oder ≥
   10ng/ml (12.8nmol/l) 6h nach Ingestion (cave: Spiegel können initial falsch hoch sein wegen
   kleinem Verteilungsvolumen während der Verteilungsphase)
• Ingestion von >10mg beim Erwachsenen, Ingestion von >4mg beim Kind.

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Antidotmonographie: Digitalis‐Antidot                                                         3

Dosierung (siehe auch Anhang):
1 Ampulle (40mg Digitalis‐Fab) bindet 0.5mg Digoxin/Digitoxin.
   a) Bekannte Glykosiddosis:
       Pro mg Digoxin 64mg Fab (Bioverfügbarkeit von Digoxin Tabletten 80%).
       Pro mg Digitoxin 80mg Fab (Bioverfügbarkeit von Digitoxin 100%)
   b) Bekannte Plasmaspiegel:
       Fab [mg/kg] = Digoxin [nmol/l] x 0.31
       Fab [mg/kg] = Digitoxin [nmol/l] x 0.031
   c) Unbekannte Glykosiddosis und unbekannter Plasmaspiegel:
       400‐500mg Fab i.v. über 15‐30 min. Diese Dosis kann je nach Symptomen wiederholt
       werden.
Alternative Dosierungsempfehlungen:
Gemäss Bateman (10) soll initial die Hälfte der berechneten Dosis gegeben werden. Falls innert
1‐2h kein Ansprechen festgestellt wird, sollte die 2. Hälfte gegeben werden. Zum Teil wird
auch empfohlen die 2. Hälfte der Dosis über 12‐24h langsam i.v. zu verabreichen (11). Weitere
Autoren empfehlen die Gabe von 80‐160mg als Bolus, danach 0.5mg/min über weitere 8‐24h
(12,13,14).
Gemäss gewisser Autoren (15,16) ist bei Vorliegen von Risikofaktoren (Alter > 55 Jahre,
Herzkrankheiten, AV‐Block jeden Grades, Hyperkaliämie > 4.5mmol/l, Bradykardie < 60/min)
auch ohne lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen eine frühzeitige prophylaktische Gabe
von Digitalis‐Fab (1/2 Dosis) indiziert, um die Prognose zu verbessern.
Messung Digoxinspiegel
Die üblicherweise verwendete Methode der Messung der Digoxinkonzentration ist nach Gabe
von Digitalis‐Fab nicht mehr verwertbar, da die Gesamtdigoxinkonzentration gemessen wird.
Es muss die freie Fraktion gemessen werden, um das wirksame Digoxin zu erfassen. Je nach
Nachweismethode kann der gemessene freie, aber auch der Gesamtdigoxinspiegel nach
Digitalis‐Fab ungenau sein. Es wird empfohlen, mit dem Labor Rücksprache zu nehmen.
Mögliche Indikationen zur Bestimmung der freien Digoxinkonzentration
• Bestimmung Zeitpunkt Wiederbeginn Therapie (v.a. bei Niereninsuffizienz)
• Erfassung einer vermuteten Rebound‐Toxizität
• Erfassung einer zu tiefen Digitalis‐Fab‐Dosis bei persistierender Symptomatik

Unerwünschte Wirkungen:
• Allergische Reaktionen: bis jetzt wurden nur Hautreaktionen mit Gesichtsschwellung
  beobachtet (8). Serumkrankheit und Anaphylaxie sind theoretisch möglich.
• Lokal: Phlebitis
• Hypokaliämie (Rückdiffusion von ausgetretenem Kalium in die Zelle)
• Verschlimmerung einer Herzinsuffizienz (Effekt von Digoxin entfällt)
• Rasche ventrikuläre Antwort bei VHF mit Wegfall des Digoxin‐Effektes
• Einmalig bei einem Neugeborenen kam es zu einer Apnoe (9).

Interaktionen:
In einem Fall (8) kam es nach Gabe von Digitalis‐Fab bei gleichzeitiger Therapie mit Warfarin zu
einem Anstieg der Prothrombinzeit (Quickabfall). Als Ursache wurde eine Verminderung der
Albuminbindung postuliert. Andere Interaktionen sind bisher nicht bekannt.

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Produkte in der Schweiz:
DigiFab  (Protherics Medicines Development Limited, vertrieben durch ProReo Pharma).
Ampullen zu 40 mg (Trockensubstanz). Packung mit 12 Ampullen. Preis CHF 9480.00 (Stand
2012, Fabrikabgabepreis).

Referenzen:
1.    Chillet P et al. Digoxin poisoning and anuric acute renal failure: efficiency of the treatment associating digoxin‐
      specific antibodies (Fab) and plasma exchanges. Intern J Art Organs 2002; 25: 538‐41.
2.    Zdunek M et al. Plasma exchange for the removal of digoxin‐specific antibody fragments in renal failure:
      Timing is important for maximizing clearance. Am J Kidney Dis 2000; 36: 177‐83.
3.    Ujhelyi RM, Rober S. Pharmacokinetic aspects of digoxin‐specific Fab therapy in the management of digitalis
      toxicity. Clin Pharmacokinet 1995; 28: 483‐93.
4.    Renard C et al. Pharmacokinetics of digoxin‐specific Fab: Effects of decreased renal function and age. Br J Clin
      Pharmacol 1997; 44: 135‐8.
5.    Caspi O et al. Digoxin intoxication in a patient with end‐stage renal disease: Efficacy of digoxin‐specific Fab
      antibody fragments and peritoneal dialysis. Ther Drug Monitor 1997; 19: 510‐5.
6.    Woolf A. Digitalis intoxication. Therapy with digoxin‐specific antibody fragments. Clin Immunother 1995; 4:
      312‐30.
7.    Hermes AE et al. Digoxin Immune FAB. In: Hutchinson TA, Shahan DR, Anderson ML (eds.): Drugdex® System.
      Micromedex Inc., Englewood CO, 2003.
8.    Hack BJ et al. Cardiac Glycosides / Howland MA. Digoxin‐specific antibody fragments. In: Goldfrank LR et al.
      (eds.): Goldfrank's Toxicologic Emergencies. 7th Ed. McGraw‐Hill, New York 2002. p. 724 ‐ 40.
9.    Antman EM et al. Treatment of 150 cases of life‐threatening digitalis intoxication with digoxin specific Fab
      antibody fagments: Final report of multicenter study. Circulation 1990; 81: 1744‐52.
10.   Bateman DN. Digoxin‐specific antibody fragments. Toxicol Rev 2004;23(3):135‐43.
11.   Furger P. TURBO‐Notfallmedizin. Editions D&F GmbH, Schweiz, 2012.
12.   Zilker T. Klinische Toxikologie für die Notfall‐ und Intensivmedizin. UNI‐Med Verlag AG, D‐Bremen 2008.
13.   Eyer F et al. Free and total digoxin in serum during treatmetn of acute digoxin poisoning with Fab fragments:
      case study. Am J Crit Care 2010;19(4):387‐91.
14.   Schaumann W et al. Kinetics of the Fab fragments of digoxin antibodies and of bound digoxin in patinets with
      severe digoxin intoxication. Eur J Clin Pharmacol 1986;30(5):527‐33.
15.   Baud FJ et al. Acute digitalis poisoning: Prognosis and management. [abstract] J Toxicol Clin Toxicol 2000; 38:
      168‐9.
16.   Lapostolle F et al. Digoxin‐specific Fab fragments as single first‐linetherapy in digitalis poisoning. Crit Care Med
      2008;36(11):3014‐8.

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ANHANG: Dosis‐Berechnung
Prinzip: Ausgehend von der Tatsache, dass 80 mg Fab‐Fragmente 1 mg Digoxin oder Digitoxin
binden, wird das Digitalis Antidot grundsätzlich nach der vom Körper aufgenommenen
Glykosidmenge aequimolar dosiert. Dabei ist entweder die Dosis direkt bekannt (Gleichung 1),
oder sie muss aus der Plasmakonzentration und dem Verteilungsvolumen berechnet werden
(Gleichung 2)

Gleichung 1:               Glykosidmenge = Einnahmemenge x Bioverfügbarkeit
                           Fab‐Fragmente = Einnahmemenge x Bioverfügbarkeit x 80

Gleichung 2a:              Glykosidmenge/kg = Plasmakonz. x Vd
                           Fab‐Fragmente/kg = Plasmakonz. x Vd x 80

Vd = Verteilungsvolumen in l/kg KG; KG = Körpergewicht in kg
Da die Glykosidmenge in mg gebraucht wird, die Plasmakonzentration aber meistens in nmol/L
angegeben wird, ist ein Umrechnungsfaktor einzubeziehen, der die Molekulargewichte von
Digoxin bzw. Digitoxin berücksichtigt:

Gleichung 2b:
Glykosidmenge [mg/kg] = Plasmakonz. [nmol/l] x Vd [l/kg] x w
Fab‐Fragmente [mg/kg] = Plasmakonz. [nmol/l] x Vd [l/kg] x w x 80

Der Umrechnungsfaktor w beträgt 0.781 10‐3 mg/nmol (Digoxin) bzw. 0.765 10‐3 mg/nmol
(Digitoxin).
(1 µg/nmol = 1 mg/µmol = 1 g/mmol = 1 kg/mol = 10‐3 mg/nmol)
Zur Vereinfachung kann nun zur Berechnung der Fab‐Fragmentmenge Vd x w x 80 zu einem
neuen Umrechnungsfaktor y zusammengefasst werden, was zur Schlussgleichung 2c führt:
für Digoxin: y [(mg x l)/(nmol x kg)]           = 5 x 0.781 10‐3 x 80 = 0.31
für Digitoxin: y [(mg x l)/(nmol x kg)]         = 0.5 x 0.765 10‐3 x 80 = 0.031

Gleichung 2c:
Fab‐Fragmente [mg/kg] = Plasmakonz. [nmol/l] x y
Digoxin: Fab‐Fragmente [mg/kg] = Plasmakonz. [nmol/l] x 0.31
Digitoxin: Fab‐Fragmente [mg/kg] = Plasmakonz. [nmol/l] x 0.031

Glykosid                                                   Digoxin                 Digitoxin
Bioverfügbarkeit                                             0.8                      1.0
Molekulargewicht                   (g/mol)                 780.95                   764.95
Verteilungsvolumen                 (L/kg)                     5                       0.5

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Antidotmonographie: Digitalis‐Antidot                                                 6

Beispiele:

orale Einnahmemenge bekannt (Gleichung 1):
Digoxin:        eingenommen 10 mg         Menge Antidot = 10 mg x 0.8 x 80 = 640mg
                                          (das sind 16 Ampullen).
Digitoxin:      eingenommen 10 mg         Menge Antidot = 10 mg x 1.0 x 80 = 800mg
                                          (das sind 20 Ampullen).

Plasmakonzentration bekannt (Gleichung 2c):
Digoxin:        Plasmakonz. 20 nmol/L     Menge Antidot/kg = 20 x 0.31 = 6.2mg/kg
Digitoxin:      Plasmakonz. 20 nmol/L     Menge Antidot/kg = 20 x 0.031 = 0.62mg/kg

Achtung: Sind weder Einnahmemenge noch Plasmakonzentration bekannt, wird empfohlen,
400‐500mg (10‐12 Amp.) Digitalis Fab zu geben. Diese Dosis kann je nach Symptomen
wiederholt werden.

Beilage: Meldeformular für Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Antidoten

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