Applikation von Aktivkohle bei Vergiftungen - Übersichtsarbeit - Deutsches ...

 
WEITER LESEN
MEDIZIN

Übersichtsarbeit

Applikation von Aktivkohle
bei Vergiftungen
Tobias Zellner, Dagmar Prasa, Elke Färber, Petra Hoffmann-Walbeck,
Dieter Genser, Florian Eyer

                                                                                                           V
                                                                                                                  ergiftungen sind ein häufiges Krankheitsbild mit
Zusammenfassung                                                                                                   unterschiedlichen Ätiologien und Noxen. Laut
                                                                                                                  Statistischem Bundesamt wurden 2016 in
Hintergrund: In Deutschland wurden im Jahr 2016 laut statistischem Bundesamt
                                                                                                           Deutschland 178 425 Vergiftungsfälle im Krankenhaus
178 425 Vergiftungsfälle im Krankenhaus behandelt. Die deutschsprachigen Giftin-
                                                                                                           behandelt (1, 2). Häufig wird ein Giftinformationszen-
formationszentren berieten in diesem Zeitraum 268 787 Vergiftungsfälle, wobei in
                                                                                                           trum (GIZ) zur konsiliarisch-toxikologischen Beratung
4,37 % der Fälle die Gabe von Aktivkohle empfohlen wurde. Bei Vergiftungen spielt
                                                                                                           von medizinischem Fachpersonal (Rettungsdienst, nie-
die Applikation von Aktivkohle als primäre und sekundäre Giftentfernung eine große
                                                                                                           dergelassene Ärzte, Klinikärzte sowie Apotheker), aber
Rolle. Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über die Wirkungsweise, Indikation, Kon-
                                                                                                           auch von Bürgerinnen und Bürgern kontaktiert. Zur pri-
traindikationen, Arten der Applikation und Dosierungen der Aktivkohle.
                                                                                                           mären Giftentfernung einer potenziell schädigenden
Methode: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche in PubMed. Zudem wurde                              Substanz spielt die Indikationsstellung zur Gabe von
die Meinung von Experten der deutschsprachigen Giftinformationszentren in die                              Aktivkohle – auch als medizinische Kohle, Medizinal-
Auswertung der Daten miteinbezogen.                                                                        kohle oder Carbo medicinalis bekannt – eine große
                                                                                                           Rolle.
Ergebnis: Die Indikation für eine Aktivkohlegabe ist eine vorliegende mittelschwere                           Aktivkohle wurde 2013 im US-amerikanischen
bis lebensbedrohliche Vergiftung. Die Applikation sollte frühestmöglich innerhalb ei-                      Raum bei Vergiftungen im Kindesalter in 0,89 % der
ner Stunde, bei Retardpräparaten bis zu 6 Stunden nach Ingestion erfolgen. Zu den
                                                                                                           Vergiftungsfälle appliziert. Insgesamt wurde sie im glei-
wichtigsten Kontraindikationen gehört eine Bewusstseinseintrübung mit Aspirations-
                                                                                                           chen Jahr bei circa 50 000 Patienten aller Altersgruppen
gefahr ohne vorherige Sicherung der Atemwege. Bei einer Vergiftung mit Säuren/
                                                                                                           empfohlen (3, 4). In allen deutschsprachigen GIZ wurde
Laugen, Alkoholen, organischen Lösungsmitteln, anorganischen Salzen oder Metal-
                                                                                                           2016 insgesamt bei 268 787 Vergiftungsfälle aller Al-
len ist Aktivkohle nicht oder unzureichend wirksam. Als Dosierung sollte ein 10- bis
                                                                                                           tersgruppen beraten, dabei wurde in 4,37 % der Fälle
40-facher Überschuss zur Noxe oder 0,5–1 g/kg Körpergewicht bei Kindern oder
                                                                                                           die Gabe von Aktivkohle empfohlen. Aktivkohle wird
50 g bei Erwachsenen gewählt werden. Eine wiederholte Aktivkohlegabe ist bei
                                                                                                           von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Lis-
Noxen mit langer Verweildauer im Magen, Retardpräparaten oder Noxen mit ausge-
                                                                                                           te der unentbehrlichen Arzneimittel geführt (5). Die
prägtem entero-hepatischen und/oder entero-enterischen Kreislauf indiziert. Eine
routinemäßige Kombination mit einem Laxans ist nicht empfohlen.                                            Mitführung im Rettungsdienst wird unter anderem in
                                                                                                           der „Antidota-Empfehlung für eine einheitliche Vorhal-
Schlussfolgerung: Trotz einer hohen Prävalenz von Vergiftungen existiert keine in-                         tung“ des Rettungsdienstausschusses Bayern angeraten
ternational gültige Leitlinie zur Aktivkohlegabe. Die Applikation erfordert eine genaue                    (6). In der „Bremer Liste“ werden bei Vergiftungen für
Nutzen-Risiko-Analyse, dazu sollte ein Giftinformationszentrum kontaktiert werden.                         den Rettungsdienst fünf Substanzen zur Mitführung
                                                                                                           empfohlen, eine davon ist Aktivkohle (7). Aktivkohle
Zitierweise
                                                                                                           kann von Laien ohne Verschreibung in Apotheken er-
Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F:
                                                                                                           worben und unter strenger Indikationsstellung nach
The use of activated charcoal to treat intoxications. Dtsch Arztebl Int 2019; 116:
                                                                                                           Rücksprache mit einem GIZ appliziert werden (8).
311–7. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311
                                                                                                              Eine international gültige Leitlinie zur Aktivkohle-
                                                                                                           gabe bei Vergiftungen existiert nicht. Die umfassends-
                                                                                                           ten Arbeiten sind die Positionspapiere der American
                                                                                                           Academy of Clinical Toxicology (AACT) und der Eu-
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Abteilung für Klinische Toxikologie & Giftnotruf München,
                                                                                                           ropean Association of Poisons Centres and Clinical
Klinikum rechts der Isar, Fakultät für Medizin, Technische Universität München: Dr. med. Tobias Zellner,   Toxicologists (EAPCCT) zum Thema „Single-dose
Prof. Dr. med. Florian Eyer                                                                                activated charcoal“ von 1997 und 2005 (9, 10) und
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,                            „Multi-dose activated charcoal in the treatment of acute
Sachsen-Anhalt und Thüringen, Erfurt: Dr. rer. nat. Dagmar Prasa
                                                                                                           poisoning“ von 1999 (11). Randomisierte kontrollierte
Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und                                 Studien können bei Vergiftungen aus ethischen Beden-
Schleswig-Holstein (GIZ-Nord), Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität Göttingen:
Dr. med. Elke Färber                                                                                       ken kaum durchgeführt werden, daher stammen die Da-
Giftnotruf Berlin, Charité, Universitätsmedizin Berlin: Dr. med. Petra Hoffmann-Walbeck                    ten meist aus In-vitro-Studien, Tierversuchen, Studien
Vergiftungsinformationszentrale Wien, Gesundheit Österreich GmbH:                                          mit freiwilligen Probanden, Fallberichten, klinischen
Dr. med. Dr. rer. nat. Dieter Genser                                                                       Fallserien oder Beobachtungsstudien. Die einzigen

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019                                                                                                          311
MEDIZIN

          KASTEN 1
                                                                   groß angelegten Humanstudien zur Aktivkohlegabe
                                                                   stammen aus Entwicklungsländern, teils mit wider-
          Arzneistoffe/Noxen mit nachgewiesener                    sprüchlichen Resultaten (12–14).
          beziehungsweise fehlender Adsorption an                     In dieser Übersichtsarbeit werden die Wirkungswei-
          Aktivkohle (9–11, 37, 38, e1–e9)                         se, Indikationen und Kontraindikationen, Zeitfenster,
                                                                   Applikationsart und Nebenwirkungen einer Aktivkoh-
          ● Substanzen, die adsorbiert werden                      legabe erörtert.
            –   ACE-Hemmer
            –   Amphetamine                                        Methode
            –   Antidepressiva (außer Lithium)                     In der Datenbank PubMed wurde mit den Suchbegrif-
            –   Antiepileptika                                     fen „activated charcoal + poisoning“ selektiv nach Pu-
            –   Antihistaminika                                    blikationen recherchiert, die bis Oktober 2018 erschie-
            –   Aspirin, Salicylate                                nen waren. Darüber hinaus floss die Meinung von Ex-
            –   Atropin                                            perten der Gesellschaft für Klinische Toxikologie
            –   Barbiturate                                        (GfKT e.V., Fachgesellschaft der deutschsprachigen
            –   Benzodiazepine (Cave: Somnolenz)                   GIZ und Klinischen Toxikologen, www.klinitox.de) in
            –   Betablocker                                        die Auswertung der Daten ein.
            –   Calcium-Kanal-Blocker
            –   Chinin, Chinidin                                   Wirkungsweise
            –   Chloroquin und Primaquin                           Aktivkohle adsorbiert an seiner Oberfläche viele No-
            –   Dapson                                             xen – sowohl Arzneistoffe als auch pflanzliche oder
            –   Digoxin, Digitoxin                                 chemische Noxen – und verhindert deren Resorption
            –   Diuretika (vor allem Furosemid, Torasemid)         aus dem Magen-Darm-Trakt. Außerdem unterbricht sie
            –   nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)              als sekundäre Giftentfernungsmaßnahme einen poten-
            –   Neuroleptika                                       ziellen entero-hepatischen und/oder entero-enterischen
            –   orale Antidiabetika                                Kreislauf (8, 15, 16). Die Bindungskapazität an die No-
                (vor allem Glibenclamid, Glipizid)                 xe hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem von
            –   Opiate, Dextrometorphan (Cave: Somnolenz)            ● der Partikelgröße der Noxe
            –   Paracetamol                                          ● der Löslichkeit der Noxe
            –   Piroxicam                                            ● der Ionisierung der Noxe
            –   Tetrazykline                                         ● dem pH-Wert der Noxe
            –   Theophyllin                                          ● der Füllung des Magens (17–19).
                                                                      Substanzen, die aufgrund ihrer physikalischen Ei-
          ● Pflanzliche Substanzen, die adsorbiert werden          genschaften nicht oder nur unzureichend von Aktiv-
            –   Amatoxin (Knollenblätterpilz)
                                                                   kohle adsorbiert werden, sind in Kasten 1 aufgelistet
                                                                   (4).
            –   Akonitin (Eisenhut)
            –   Colchizin (Herbstzeitlose)
            –   Cucurbitacin (Zucchini, Kürbisgewächse)
                                                                   Indikation
                                                                   Die Applikation von Aktivkohle sollte nur nach oraler
            –   Ergotamin, Mutterkornalkaloide
                                                                   Ingestion von Noxen erfolgen, die ausreichend an Koh-
            –   Ibotensäure, Muskarin (Fliegenpilz, Pantherpilz)
                                                                   le gebunden werden.
            –   Nikotin (Tabak)
                                                                      Vor der Gabe muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung
            –   Rizin (Wunderbaum)
                                                                   erfolgen (Grafik). Diese richtet sich nach der zu erwar-
            –   Strychnin (Brechnuss)
                                                                   tenden Schwere der Vergiftung. Die Schwere einer Ver-
            –   Taxane (Eibe)
                                                                   giftung wird nach dem Poisoning Severity Score (20)
            –   Digitalisglykoside (Fingerhut)
                                                                   abgeschätzt. Dabei werden die Symptome für jedes ver-
                                                                   giftungsrelevante Organsystem sowie den Säure-Ba-
          ● Substanzen, die nicht oder nicht ausreichend           sen-Haushalt nach Schwere bewertet (keine = 0, leich-
            adsorbiert werden                                      te = 1, mittelschwere = 2, schwere = 3, tödliche = 4
            – Alkohole (zum Beispiel Ethanol, Methanol und         Symptome). Das am schwersten betroffene Organsys-
              Glykole [beispielsweise Ethylenglykol])              tem definiert den Schweregrad (0–4). Bei einer leichten
            – anorganische Salze (zum Beispiel Natriumchlorid)     Intoxikation wird Aktivkohle nur im Ausnahmefall
            – Metalle und ihre anorganischen Verbindungen (bei-    gegeben, das heißt, wenn sie sofort verfügbar ist und
              spielsweise Lithium, Eisen oder andere Schwerme-     das Auftreten von unangenehmen Vergiftungssympto-
              talle [zum Beispiel Blei oder Quecksilber])          men verhindert werden kann. Ab einer mittelschweren
            – organische Lösungsmittel (beispielsweise Aceton,     Intoxikation wird die Aktivkohlegabe unter Beachtung
              Dimethylsulfoxid)                                    der Wirksamkeit und Kontraindikationen innerhalb des
            – Säuren und Laugen                                    unten angegebenen Zeitraums zumeist empfohlen. Bei
            – Zyanide                                              einer unbekannten Noxe (zum Beispiel Pflanzen oder
                                                                   Pilze) wird auch dann dazu geraten, Aktivkohle zu ver-

312                                                                             Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019
MEDIZIN

  GRAFIK

             Besteht eine Indikation zur Aktivkohlegabe?
             − aufgenommene Dosis und Zeit seit Ingestion überprüfen
             − Schwere der zu erwartenden Vergiftung überprüfen
             − überprüfen, ob eine supportive Therapie allein ausreicht
             − Verfügbarkeit einer allein ausreichend wirksamen Antidottherapie überprüfen
             − Kontraindikationen überprüfen

                             Ja                                            Ja
                                                                                                                    Nein

            potenzielle lebensbedrohliche oder                 potenzielle Komplikationen,
           schwere Komplikationen zu erwarten              in der Regel kein schwerer Verlauf

                            Ist Aktivkohle für diese Noxe potenziell wirksam?                      Nein        keine Aktivkohle

                                                                           Ja
                             Ja

                                                         Wird Aktivkohle freiwillig eingenommen?                    Nein

                                                                           Ja
    Aktivkohlegabe
    − bei Aspirationsgefahr: Sicherung der Atemwege
    − auch gegen den Patientenwillen
                                                                  Aktivkohle anbieten

Entscheidungsfindung zur Aktivkohlegabe modifiziert nach Isbister et al. (39)

abreichen, wenn die Möglichkeit einer schweren Ver-                       Einmalgabe – Zeitfenster, Indikation
giftung nicht ausgeschlossen werden kann und gleich-                      und Dosierung
zeitig kein erhöhtes Aspirationsrisiko besteht.                           Damit Aktivkohle zur primären Giftelimination wir-
                                                                          ken kann, muss sie in Kontakt mit der Noxe kommen.
Applikation                                                               Aus diesem Grund muss sie zeitnah appliziert wer-
Aktivkohle gibt es in Form von Kohlekompretten oder                       den. Bei einer Gabe innerhalb der ersten ein bis zwei
Pulver beziehungsweise Granulat. Im klinischen Bereich                    Stunden nach Ingestion ist von einer noch klinisch re-
erscheint die Verwendung von Kohlepulver oder -granu-                     levanten Adsorption auszugehen. In insgesamt 115
lat deutlich sinnvoller, da es in Dosen von 10 g bis 100 g                Studien mit freiwilligen Probanden wurde für 43 Me-
verfügbar ist. Demgegenüber beinhalten Kohlekompret-                      dikamente (unter anderem Paracetamol, Salicylate)
ten jeweils nur 250 mg, sodass für einen ausreichenden                    gezeigt, dass bei einer Aktivkohlegabe innerhalb von
Kohleüberschuss sehr viele Kompretten eingesetzt wer-                     30 Minuten nach Einnahme der untersuchten Sub-
den müssen. Um eine möglichst große Adsorptionsfläche                     stanzen deren Bioverfügbarkeit um durchschnittlich
zu erreichen (die Oberflache moderner Kohle-Granulat-                     69, 1 % gesenkt werden konnte, nach einer Stunde um
präparationen beträgt bis zu 2 500–3 000 qm/g), müssen                    34, 4 % (9, 10).
Kohlekompretten in Wasser suspendiert werden.                                Es gibt Einzelfälle, bei denen auch eine spätere Ak-
   Aktivkohle kann in einer beliebigen Flüssigkeit auf-                   tivkohlegabe sinnvoll sein kann. Hier sind Retardprä-
geschlämmt werden, bevorzugt in stillem Wasser. Bei                       parate oder die Magen-Darm-Motilität hemmende
Kindern sind auch andere Flüssigkeiten denkbar, hier                      Substanzen wie zum Beispiel Opiate, Salicylate oder
bieten sich gesüßter Tee oder Fruchtsaft an, es wurden                    Anticholinergika zu nennen. Auch bei einigen weiteren
aber auch Joghurt oder Milch angewandt (21–24). Au-                       Medikamenten – typischerweise nichtpolare, lipophile
ßerdem ist bei Kindern die Aktivkohlegabe aus einem                       Substanzen mit spätem Plasmamaximum und geringer
undurchsichtigen beziehungsweise umwickelten Gefäß                        endogener Clearance (zum Beispiel Amlodipin) – kann
mit Strohhalm sinnvoll. Prinzipiell ist zu berücksichti-                  eine späte Aktivkohlegabe vorteilhaft sein (19). Vergli-
gen, dass auch die Suspensionsflüssigkeit an die Ober-                    chen mit cholinergen Arzneistoffen konnte allerdings
fläche der Aktivkohle bindet, und damit die freie Bin-                    in einer Metaanalyse von Freiwilligenstudien gegen-
dekapazität reduziert sein kann. Falls ein Patient die                    über anticholinergen Arzneistoffen keine bessere Wir-
Aktivkohle nicht schlucken kann, ist eine Applikation                     kung bei verzögerter Aktivkohlegabe festgestellt wer-
via Magensonde möglich.                                                   den (19).

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019                                                                                   313
MEDIZIN

  TABELLE                                                                               Die Dosierung richtet sich entweder nach der Menge
                                                                                     der eingenommenen Noxe – falls diese bekannt ist –
  Dosierung und Applikation von Aktivkohle                                           oder orientiert sich am Körpergewicht (KG). Bei be-
                            Einmalgabe            repetitive Gabe                    kannter Noxenmenge sollte mindestens ein zehnfacher
                                                                                     Überschluss an Aktivkohle zu der zu bindenden Noxe
      Kinder                0,5–1 g/kg KG,        Initialdosis 0,5–1 g/kg KG,
                            maximal 30–50 g       gefolgt von 0,125–0,25 g/kg KG/h   gegeben werden (29). Nach Jürgens et al. ist ein 40-fa-
                                                  alle 1–4 h über 24 h               cher Überschuss optimal (19). Dies ist nur bei Einnah-
      Erwachsene > 50 kg    50 g                  Initialdosis 50 g, gefolgt von     me von Noxen im Milligramm-Bereich praktikabel, an-
                                                  12,5 g/h alle 1–4 h über 24 h      dernfalls beträgt die Dosis 0,5–1 g/kg KG, maximal
      bekannte Menge        10- bis 40-facher     keine gesonderte Dosisempfehlung
                                                                                     30–50 g. Üblicherweise werden bei Erwachsenen unab-
      der Noxe              Überschuss zur Noxe                                      hängig vom Körpergewicht 50 g Aktivkohle als Ein-
                                                                                     maldosis empfohlen, in Ausnahmesituationen bis 100 g
KG = Körpergewicht                                                                   (Tabelle).

                                                                                     Repetitive Gabe – Zeitfenster, Indikation,
                                                                                     Dosierung und Applikation
  KASTEN 2                                                                           Eine repetitive Aktivkohlegabe hat zwei Effekte: Ers-
                                                                                     tens werden Noxen primär auch in distalen Abschnitten
  Noxen mit Indikation zur repetitiven Aktivkohlegabe                                des Gastrointestinaltrakts entfernt. Die wiederholte Ga-
  ● Noxen mit eindeutiger Indikation zur repetitiven Aktivkohlegabe                  be ist zudem bei Noxen wirksam, die länger im Magen
       – Carbamazepin, Chinin, Dapson, Phenobarbital, Theophyllin                    verbleiben. Daher kann eine repetitive Aktivkohlegabe
       – Digoxin/Digitoxin (ausgeprägter entero-hepatischer Kreislauf, wenn kein     noch später als eine Stunde nach Ingestion begonnen
         Antidot verfügbar)                                                          werden. Genaue Empfehlungen zur protrahierten repe-
       – retardiertes Quetiapin (Bezoar-bildendes Präparat)                          titiven Aktivkohlegabe existieren nicht, bei Dapson
       – Amatoxin, Colchizin (ausgeprägter entero-hepatischer Kreislauf)             beispielsweise wurde sogar nach einer erst am fünften
                                                                                     Tag begonnenen repetitiven Aktivkohlegabe eine be-
  ● Noxen, bei denen eine Eleminationsbeschleunigung durch repetitive                schleunigte Elimination beobachtet (11). Länger im
      Aktivkohlegabe beschrieben ist                                                 Magen verweilende Noxen sind zum Beispiel bezoar-
      – Acetylsalicylsäure                                                           bildende Medikamente wie Quetiapin in Retardformu-
      – Amitriptylin, Phenytoin, Piroxicam, Sotalol, Salicylate, Oxcarbazepin,       lierung oder Carbamazepin. Bei diesen Substanzen bil-
        Lamotrigin                                                                   det sich eine dicht gepackte Masse aus unvollständig
      – Citalopram, Venlafaxin                                                       verdautem oder unverdautem Material (Bezoar). Auch
                                                                                     Acetylsalicylsäure hat durch eine Ausfällung im sauren
                                                                                     Mageninhalt unter Klumpenbildung und möglichem
                                                                                     Pylorospasmus eine verlängerte Verweildauer. Im Ein-
                                                                                     zelfall trifft das auch auf große Mengen anderer Retard-
                                                                                     präparate zu.
                          Bei folgenden Arzneistoffen wurde die klinische                Der zweite Effekt ist eine sekundäre Giftentfernung
                       Wirksamkeit einer späteren Aktivkohlegabe (deutlich           bei Wirkstoffen, die einen entero-hepatischen und/oder
                       nach einer Stunde) festgestellt:                              entero-enterischen Kreislauf durchlaufen, welche beide
                         ● Quetiapin in schnellfreisetzender Formulierung:           von Aktivkohle unterbrochen werden. Der Effekt im
                            Resorptionsverminderung um 35 % bei Aktiv-               entero-enterischen Kreislauf wird „gastrointestinale
                            kohlegabe 0,5–6 h (Median 3 h) nach Ingestion            Dialyse“ genannt. Hierbei fungiert die Darmwand als
                            (25)                                                     semipermeable Membran: Noxen können aus dem Blut
                         ● Citalopram: selteneres Auftreten von QTc-Verlän-          von serosal nach mukosal an die Kohle im Darmlumen
                            gerungen (4,2 % versus 11,2 %, relatives Risiko:         diffundieren. Diese Wirkstoffe haben in der Regel lan-
                            0,28) bei Aktivkohlegabe 0,5–6,25 h (Median              ge Halbwertszeiten, ein geringes Verteilungsvolumen
                            2 h) nach Ingestion (26)                                 und eine geringe Plasmaproteinbindung (11, 15, 16).
                         ● Paracetamol: signifikant geringere Leberschädi-               Die Effektivität der repetitiven Aktivkohlegabe ist
                            gung bei Aktivkohlegabe 4–16 h nach Ingestion            bei schweren Vergiftungen mit Carbamazepin, Chinin,
                            bei gleichzeitiger Therapie mit Acetylcystein (27)       Dapson, Phenobarbital und Theophyllin zum Teil kli-
                         ● Promethazin: Senkung der Wahrscheinlichkeit ei-           nisch und/oder tierexperimentell nachgewiesen (11).
                            nes Delirs um 20 % (absolute Risikoreduktion)            Eine Besonderheit bei Theophyllin ist, dass Aktivkohle
                            bei Aktivkohlegabe innerhalb von 2 h und um              auch nach einer intravenösen Intoxikation mit Theo-
                            9 % bei Gabe innerhalb von 4 h nach Ingestion            phyllin wirksam ist (11). Ebenso besteht eine Wirkung
                            (28)                                                     bei Digitoxin und Digoxin, allerdings ist bei schweren
                          Bei Pilzen und schwer verdaulichen Pflanzenteilen          Vergiftungen das Digitalis-Antitoxin die Therapie der
                       mit verlängerter Magen-Darm-Passage wie zum Bei-              ersten Wahl. Einen effektiven entero-hepatischen
                       spiel Eibennadeln erscheint eine protrahierte Aktiv-          Kreislauf durchlaufen zum Beispiel Amatoxin und Col-
                       kohlegabe ebenfalls sinnvoll zu sein (Kasten 1).              chicin. Bei Freiwilligenstudien wurde bei Amitriptylin,

314                                                                                               Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019
MEDIZIN

Dextropropoxyphen, Disopyramid, Nadolol, Phenylbu-            KASTEN 3
tazon, Phenytoin, Piroxicam, Sotalol und Salicylaten
eine Eliminationsbeschleunigung gezeigt. Dies galt            Kontraindikationen für eine Aktivkohlegabe
auch für Oxcarbazepin und Lamotrigin (11, 30). Bei ei-
nigen Wirkstoffen könnte die Clearance der Noxe mit           ● bewusstseinsgetrübter Patient ohne ausreichende Schluckreflexe ohne
nachfolgender Ausscheidung über den Darm beschleu-              Sicherung der Atemwege
nigt werden. Dies wurde in Studien für Citalopram (31)        ● Magen-Darm-Verätzung, -Blutung, gestörte Magen-Darm-Passage oder
und Venlafaxin (32) beobachtet (Kasten 2).                      Verdacht auf Perforation
   Bei repetitiver Aktivkohlegabe entspricht die Initial-
dosis der Menge der Einmaldosis. Dieser folgt eine            ● Ingestion von Benzin/Öl oder nichtadsorbierbaren Substanzen
wiederholte Gabe im Intervall von 1 – 2 – 4 Stunden in        ● rezidivierendes Erbrechen
einer Dosis von 12,5 g/h bei Erwachsenen und 0,125 –          ● Aktivkohlegabe gegen den ausdrücklichen Patienten- oder Kinderwillen
0,25 g/kg KG/h bei Kindern (11) (Tabelle). Auf eine
Regurgitation ist zu achten; gegebenenfalls muss die
Dosis reduziert oder das Dosisintervall verlängert wer-
den. Eine Kombination mit Prokinetika, zum Beispiel
Metoclopramid intravenös, ist unter Beachtung der
Kontraindikationen möglich, ebenso ist das Legen ei-        ne medikamentöse Intervention sistierendem Erbre-
ner Magensonde zu erwägen.                                  chen kann Aktivkohle in der Regel appliziert werden
   Die Dauer der Aktivkohlegabe richtet sich nach dem       (Kasten 3).
Plasmaspiegel der Noxe und/oder der klinischen Besse-          Bei einer geplanten Magenspiegelung, beispielswei-
rung. Bei einer Orientierung am Plasmaspiegel sollte        se zur Bergung von Noxen, sollte Aktivkohle erst nach
dieser vor Beenden der Aktivkohlegabe nahe dem the-         der Spiegelung über den Arbeitskanal des Gastroskops
rapeutischen Bereich liegen. Üblicherweise ist eine Ga-     oder via Magensonde appliziert werden.
be nicht länger als 24 h, in Ausnahmefällen bis zu 48 h        Aktivkohle kann von medizinischen Laien nach
notwendig.                                                  Rücksprache mit einem GIZ gegeben werden. Dadurch
   Bei der repetitiven Aktivkohlegabe muss auf die          dürfen sich allerdings ein notwendiger Transport ins
Darmmotilität geachtet werden. Ebenfalls muss der           Krankenhaus oder andere Elementarmaßnahmen zur
Elektrolyt- und Wasserhaushalt kontrolliert werden. Ei-     Stabilisierung der Vitalfunktionen nicht verzögern (8).
ne wiederholte Messung des Plasmaspiegels der Noxe          Eine Aktivkohlegabe gegen den ausdrücklichen Patien-
ist – falls möglich – sinnvoll. Vor der nächsten Aktiv-     ten- oder Kinderwillen ist nicht gerechtfertigt, außer es
kohlegabe muss die Magenentleerung kontrolliert wer-        handelt sich um eine lebensbedrohliche Vergiftung. Im
den: Falls eine Magensonde gelegt wurde, wird der           Falle eines lebensbedrohlichen Suizidversuchs wäre ei-
Rücklauf in einen geschlossenen Beutel überprüft oder       ne forcierte Aktivkohlegabe via Magensonde auch ge-
die Sonde mit einer Spritze abgesaugt. Bei einer großen     gen den Willen des Patienten denkbar.
Restkohlemenge oder einem Reflux > 80–100 mL wird
die Restkohle entfernt, eine weitere Aktivkohlegabe         Kombination mit einem Laxans
sollte vorsichtig oder später durchgeführt werden.          Die routinemäßige und simultane Verabreichung eines
                                                            Laxans (zum Beispiel Glaubersalz) war lange Zeit üb-
Kontraindikationen                                          lich, wird aber inzwischen nicht mehr empfohlen (33).
Voraussetzungen für die Gabe von Aktivkohle ist ein         Im Einzelfall kann nach Ingestion einer die Magen-
kooperativer Patient. Kontraindiziert ist die Gabe bei      Darm-Motorik verlangsamenden Substanz ein Laxans
bewusstseinsgetrübten Patienten ohne ausreichende           gegeben werden. Bei Obstipation ist dies ebenfalls
Schluckreflexe und hoher Aspirationsgefahr. Dies gilt       möglich, eventuell nach vorheriger medikamentöser
auch bei einer drohenden schweren Intoxikation, bei         Darmstimulation. Eine Polyethylenglykol-Elektrolytlö-
der eine rasche Bewusstseinseintrübung zu erwarten ist      sung sollte nicht simultan, sondern zeitversetzt (übli-
und bei Noxen mit hohem Aspirationsrisiko wie zum           cherweise mit 2 h Abstand) zur Aktivkohle verabreicht
Beispiel Benzin oder Lampenöl. Jeweils müssen zuerst        werden, da diese sonst an die Aktivkohle bindet und de-
die Atemwege via Intubation gesichert werden, danach        ren Adsorptionsfähigkeit herabsetzt.
kann Aktivkohle über eine Magensonde appliziert wer-           Bei wiederholter Aktivkohlegabe besteht ebenfalls
den. Weitere Kontraindikationen sind                        keine routinemäßige Empfehlung zur Verabreichung
   ● unmittelbar drohende zerebrale Krampfanfälle           von Laxantien (33). Bei Retard-Präparaten oder redu-
   ● Schluckstörungen                                       zierter Magen-Darm-Motilität kann eine Laxans-Gabe
   ● eine (auch anamnestisch) bekannte gestörte Ma-         erwogen werden. Dies sollte aber nach Rücksprache
     gen-Darm-Passage                                       mit einem GIZ erfolgen.
   ● Verletzungen, Blutungen, Verätzungen und/oder
     eine (auch vermutete) Perforation im Gastrointes-      Nebenwirkungen und Komplikationen
     tinaltrakt (9).                                        Nebenwirkungen der Aktivkohlegabe bei Vergiftung
   Bei rezidivierendem Erbrechen wird von einer Ak-         sind wegen der höher als üblichen Dosierung kaum zu
tivkohlegabe abgeraten. Nach nur einmaligem und oh-         ermitteln. Bei regulärer Anwendung sind häufige Ne-

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019                                                                                 315
MEDIZIN

                                                                                      Metallen nicht zu. Üblicherweise liegt die Dosis beim
Kernaussagen                                                                          Erwachsenen bei 50 g, bei Kindern wird sie an das Kör-
                                                                                      pergewicht angepasst (0,5–1 g/kg KG). Bei einigen No-
● Aktivkohle sollte so schnell wie möglich gegeben werden, möglichst innerhalb der    xen ist eine wiederholte Aktivkohlegabe sinnvoll. In
  ersten Stunde, bei Retardpräparaten bis zu sechs Stunden nach Ingestion der Noxe.   der Regel sollte kein zusätzliches Laxans verabreicht
● Kontraindikationen zur Gabe von Aktivkohle sind neben Bewusstseinseintrübung        werden.
  mit Aspirationsgefahr (ohne vorherige Sicherung der Atemwege) eine vorliegende         Durch die breite Anwendung und dem potenziell
  oder vermutete Magen-Darm-Blutung, -Verätzung oder -Perforation                     schmalen Zeitfenster der wirksamen Applikation soll-
                                                                                      ten sich Ärztinnen und Ärzte mit den Grundprinzipien
● Eine forcierte Aktivkohlegabe gegen den Willen des Patienten über eine Magenson-
                                                                                      der Aktivkohlegabe auseinandersetzen und diese, falls
  de ist nur bei lebensbedrohlicher Vergiftung (beispielsweise im Rahmen eines Sui-
                                                                                      sinnvoll, bevorraten. Dies gilt insbesondere für Haus-
  zidversuches) denkbar
                                                                                      ärztinnen und -ärzte, Kinderärztinnen und -ärzte sowie
● Übersichtsarbeiten zu Studien mit freiwilligen Probanden zeigen, dass die Biover-   das Personal von Rettungs- beziehungsweise Notarzt-
  fügbarkeit der eingenommenen Medikamente (insgesamt 43 verschiedene Präpara-        wagen. Eine Empfehlung zur Bevorratung für Haushal-
  te) durch Aktivkohlegabe innerhalb von 30 Minuten um durchschnittlich 69,1 % ge-    te mit Kindern, Einrichtungen mit Kinderbetreuung
  senkt wurde, bei Aktivkohlegabe innerhalb einer Stunde um 34,4 %.                   (zum Beispiel Kindertagesstätte, Hort, Schule) und Be-
● Aktivkohle kann von medizinischen Laien nach Rücksprache mit einem Giftinforma-     hinderten- und Seniorenheime sollte diskutiert werden
  tionszentrum verabreicht werden. Dadurch dürfen sich allerdings andere Maßnah-      und wird von den Autoren dieser Übersichtsarbeit und
  men (beispielsweise Transport ins Krankenhaus, Stabilisierung der Vitalfunktion)    den Experten der GIZ als sinnvoll erachtet (8).
  nicht verzögern.                                                                       Vor einer Aktivkohlegabe durch medizinische Laien
                                                                                      sollte immer eine Ärztin/ein Arzt vor Ort oder ein GIZ
                                                                                      kontaktiert werden, um die Indikation und genaue Vor-
                                                                                      gehensweise zu klären.

                      benwirkungen Erbrechen, Obstipation, Diarrhö, Übel-             Danksagung
                                                                                      Wir bedanken uns bei der Arbeitsgruppe I der Gesellschaft für Klinische
                      keit, Stuhldrang und Analreizung. Es gibt einzelne Be-          Toxikologie für die Erarbeitung des Konsensuspapiers „Gabe von Aktiv-
                      richte – alle in Verbindung mit der repetitiven Gabe ho-        kohle bei Vergiftungen – Konsensuspapier der deutschsprachigen Giftin-
                                                                                      formationszentren“, welches die Grundlage für diese Arbeit ist.
                      her Aktivkohle-Dosen – über Dünndarm-(Pseudo)-Ver-
                      schlüsse, die eine chirurgische Intervention erforderten,       Interessenkonflikt
                      und Kohle-Sterkolithen mit Perforation einer Sig-               Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
                      maschlinge (34).                                                Manuskriptdaten
                         Eine seltene, aber schwere Komplikation ist die              eingereicht: 18. 12. 2018, revidierte Fassung angenommen: 26. 03. 2019
                      Kohleaspiration mit einem folgenden Lungenversagen,
                                                                                      Literatur
                      das tödlich enden kann. Allerdings existieren hierzu nur
                                                                                       1. Müller D, Desel H: Common causes of poisoning—etiology, diagnosis
                      vereinzelte Fallberichte (9, 35, 36).                               and treatment. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 690–700.
                                                                                       2. Statistisches Bundesamt: Gesundheitsberichterstattung des Bundes.
                      Weiteres Procedere                                                  www.destatis.de/ 2018 (last accessed on 18 December 2018).
                      Nach Applikation von Aktivkohle sollte der Patient je            3. Mowry JB, Spyker DA, Cantilena LR Jr., McMillan N, Ford M: 2013
                                                                                          Annual report of the American Association of Poison Control Centers‘
                      nach Schweregrad der Vergiftung zu Hause oder in der                National Poison Data System (NPDS): 31st annual report. Clin Toxicol
                      Klinik weiter beobachtet werden. Nach dem ersten Ab-                (Phila) 2014; 52: 1032–283.
                      führen von Kohle kann man in der Regel damit rech-               4. Juurlink DN: Activated charcoal for acute overdose: a reappraisal. Br J
                                                                                          Clin Pharmacol 2016; 81: 482–7.
                      nen, dass keine neuen Symptome auftreten werden –
                                                                                       5. World Health Organization: WHO model list of essential medicines,
                      außer bei Bezoar-bildenden Wirkstoffen; hier ist eine               18th list. www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en/.
                      längere Überwachungszeit notwendig. Nach Abklingen                  2013 (last accessed on 18 December 2018).
                      aller zu diesem Zeitpunkt noch existierenden Sympto-             6. Rettungsdienstausschuss Bayern, Bayerisches Staatsministerium des
                                                                                          Innern, für Bau und Verkehr: Empfehlung 2/03–2018 vom 13.03.2018
                      me kann von einer erfolgreichen Behandlung der Ver-                 des Rettungsdienstausschuss Bayern; Antidota – Empfehlung für eine
                      giftung ausgegangen werden. In jedem Fall müssen Pa-                einheitliche Vorhaltung. www.aelrd-bayern.de/images/stories/pdf/rda/
                      tienten nach suizidal-intendierter Giftaufnahme psychi-             Empfehlung_Antidota.pdf. 2018 (last accessed on 18 December
                                                                                          2018).
                      atrisch evaluiert werden.                                        7. Schaper A, Bandemer G, Callies A, et al.: Vorhaltung von Antidota im
                                                                                          Notarztdienst [Die Bremer Antidota-Liste als Diskussionsgrundlage für
                      Resümee                                                             eine minimale Vorhaltung von Antidota]. Notarzt 2012; 28: 114–8.
                      Aktivkohle ist bei mittelschweren bis schweren Vergif-           8. Pfab R, Schmoll S, Dostal G, Stenzel J, Hapfelmeier A, Eyer F: Single
                                                                                          dose activated charcoal for gut decontamination: application by medi-
                      tungen zur primären Giftentfernung indiziert. Die Gabe              cal non-professionals—a prospective study on availability and practi-
                      sollte möglichst schnell (in der Regel innerhalb der ers-           cability. Toxicol Rep 2016; 4: 49–54.
                      ten 30–60 min) erfolgen, der Patient muss hierzu wach            9. Chyka PA, Seger D, American Academy of Clinical Toxicology,
                                                                                          European Association of Poisons Centres and Clinical Toxicologists:
                      und kooperativ sein. Die wichtigste Kontraindikation                Position statement: single-dose activated charcoal. J Toxicol Clin
                      ist ein bewusstseinsgetrübter Patient mit fehlendem                 Toxicol 1997; 35: 721–41.
                      Schluckreflex. Zudem muss die Noxe ausreichend an               10. Chyka PA, Seger D, Krenzelok EP, Vale JA, American Academy of
                                                                                          Clinical Toxicology, European Association of Poisons Centres and
                      Aktivkohle binden. Dies trifft bei Säuren/Laugen, Al-               Clinical Toxicologists: Position paper: single-dose activated charcoal.
                      koholen, Glykolen, organischen Lösungsmitteln oder                  Clin Toxicol (Phila) 2005; 43: 61–87.

316                                                                                                     Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019
MEDIZIN

11. American Academy of Clinical Toxicology, European Association of Poisons Centres           30. Keranen T, Sorri A, Moilanen E, Ylitalo P: Effects of charcoal on the absorption and
    and Clinical Toxicologists: Position statement and practice guidelines on the use              elimination of the antiepileptic drugs lamotrigine and oxcarbazepine. Arzneimittelfor-
    of multi-dose activated charcoal in the treatment of acute poisoning. J Toxicol Clin           schung 2010; 60: 421–6.
    Toxicol 1999; 37: 731–51.                                                                  31. Friberg LE, Isbister GK, Hackett LP, Duffull SB: The population pharmacokinetics
12. de Silva HA, Fonseka MM, Pathmeswaran A, et al.: Multiple-dose activated charcoal              of citalopram after deliberate self-poisoning: a Bayesian approach. J Pharmacokinet
    for treatment of yellow oleander poisoning: a single-blind, randomised, placebo-               Pharmacodyn 2005; 32: 571–605.
    controlled trial. Lancet 2003; 361: 1935–8.                                                32. Kumar VV, Oscarsson S, Friberg LE, Isbister GK, Hackett LP, Duffull SB: The effect of
13. Eyer P, Eyer F: Is this the epitaph for multiple-dose activated charcoal? Lancet 2008;         decontamination procedures on the pharmacokinetics of venlafaxine in overdose. Clin
    371: 538–9.                                                                                    Pharmacol Ther 2009; 86: 403–10.
14. Eddleston M, Juszczak E, Buckley NA, et al.: Multiple-dose activated charcoal in acute     33. Barceloux D, McGuigan M, Hartigan-Go K: Position statement: cathartics. American
    self-poisoning: a randomised controlled trial. Lancet 2008; 371: 579–87.                       Academy of Clinical Toxicology, European Association of Poisons Centres and Clinical
15. Eyer F, Jung N, Neuberger H, et al.: Seromucosal transport of intravenously                    Toxicologists. J Toxicol Clin Toxicol 1997; 35: 743–52.
    administered carbamazepine is not enhanced by oral doses of activated charcoal in          34. Merck: Fachinformation Ultracarbon. https://s3.eu-central-1.amazonaws.
    rats. Basic Clin Pharmacol Toxicol 2008; 102: 337–46.                                          com/prod-cerebro-ifap/media_all/70679.pdf. Mai 2014 (last accessed on 26 March
16. Eyer F, Jung N, Neuberger H, et al.: Enteral exsorption of acetaminophen after intra-          2018).
    venous injection in rats: influence of activated charcoal on this clearance path. Basic    35. Menzies DG, Busuttil A, Prescott LF: Fatal pulmonary aspiration of oral activated char-
    Clin Pharmacol Toxicol 2007; 101: 163–71.                                                      coal. BMJ 1988; 297: 459–60.
17. Watson WA: Factors influencing the clinical efficacy of activated charcoal. Drug Intell    36. Pollack MM, Dunbar BS, Holbrook PR, Fields AI: Aspiration of activated charcoal and
    Clin Pharm 1987; 21: 160–6.                                                                    gastric contents. Ann Emerg Med 1981; 10: 528–9.
18. Andersen AH: Experimental studies on the pharmacology of activated charcoal;               37. Eckert K, Eyer P, Zilker T: [Activated charcoal—first aid treatment in oral poisoning].
    the effect of pH on the adsorption by charcoal from aqueous solutions. Acta Pharma-            Dtsch Arztebl 1999; 96: A-2826–30.
    col Toxicol (Copenh) 1947; 3: 119–218.                                                     38. Neuvonen PJ, Olkkola KT: Oral activated charcoal in the treatment of
19. Jürgens G, Hoegberg LC, Graudal NA: The effect of activated charcoal on drug expo-             intoxications. Role of single and repeated doses. Med Toxicol Adverse Drug Exp 1988;
    sure in healthy volunteers: a meta-analysis. Clin Pharmacol Ther 2009; 85: 501–5.              3: 33–58.
20. Persson HE, Sjöberg GK, Haines JA, Pronczuk de Garbino J: Poisoning severity               39. Isbister GK, Kumar VV: Indications for single-dose activated charcoal administration in
    score: grading of acute poisoning. J Toxicol Clin Toxicol 1998; 36: 205–13.                    acute overdose. Curr Opin Crit Care 2011; 17: 351–7.
21. Hoegberg LC, Angelo HR, Christophersen AB, Christensen HR: The effect of food
    and ice cream on the adsorption capacity of paracetamol to high surface activated          Anschrift für die Verfasser
    charcoal: in vitro studies. Pharmacol Toxicol 2003; 93: 233–7.                             Dr. med. Tobias Zellner
22. Hoegberg LC, Christophersen AB, Christensen HR, Angelo HR: Comparison of                   Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
    the adsorption capacities of an activated-charcoal—yogurt mixture versus activated-        Abteilung für Klinische Toxikologie & Giftnotruf München
    charcoal—water slurry in vivo and in vitro. Clin Toxicol (Phila) 2005; 43: 269–75.         Klinikum rechts der Isar
23. Rangan C, Nordt SP, Hamilton R, Ingels M, Clark RF: Treatment of acetaminophen             Fakultät für Medizin
    ingestion with a superactivated charcoal-cola mixture. Ann Emerg Med 2001; 37: 55–8.       Technische Universität München
                                                                                               Ismaningerstraße 22
24. Bonner AB: Does the addition of chocolate milk reduce the absorption capacity
                                                                                               81675 München
    of orally administered activated charcoal for GI decontamination of acetaminophen
                                                                                               tobias.zellner@tum.de
    ingestion? Clin Toxicol 2005; 43: 67 (Abstract).
25. Isbister GK, Friberg LE, Hackett LP, Duffull SB: Pharmacokinetics of quetiapine in         Zitierweise
    overdose and the effect of activated charcoal. Clin Pharmacol Ther 2007; 81: 821–7.        Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F:
26. Isbister GK, Friberg LE, Stokes B, et al.: Activated charcoal decreases the risk of QT     The use of activated charcoal to treat intoxications. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 311–7.
    prolongation after citalopram overdose. Ann Emerg Med 2007; 50: 593–600, e1–46.            DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311
27. Spiller HA, Winter ML, Klein-Schwartz W, Bangh SA: Efficacy of activated charcoal admin-
    istered more than four hours after acetaminophen overdose. J Emerg Med 2006; 30: 1–5.      ►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
28. Page CB, Duffull SB, Whyte IM, Isbister GK: Promethazine overdose: clinical effects,        www.aerzteblatt-international.de
    predicting delirium and the effect of charcoal. QJM 2009; 102: 123–31.                       Zusatzmaterial
29. Olson KR: Activated charcoal for acute poisoning: one toxicologist‘s journey. J Med          Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
    Toxicol 2010; 6: 190–8.                                                                      www.aerzteblatt.de/lit1819 oder über QR-Code

               KLINISCHER SCHNAPPSCHUSS
                                                        „Zerebraler Herzinfarkt“
                                                        In unserer Notaufnahme wurde eine 64-jährige Patientin, mit einer seit zwei Tagen bestehenden Bein-
                                                        parese rechts (3/5) und psychomotorischer Verlangsamung vorgestellt. Die initiale Bildgebung mithilfe
                                                        der cranialen Computertomografie (CCT) zeigte einen herzförmigen Infarkt links frontal (Abbildung). Obwohl
                                                        die Beinparese gut rückläufig war, entwickelte sie in den folgenden Tagen eine ausgeprägte depressive
                                                        Symptomatik mit Antriebsminderung und Appetitlosigkeit. In den folgenden fünf Monaten nahm sie 13 kg
                                                        (20 % ihres Körpergewichts) ab, und es bestanden trotz Psychotherapie und einer Behandlung mit Citalo-
                                                        pram 20 mg/d weiterhin vermehrte Antriebsminderung, Tagesmüdigkeit und Konzentrationsschwierigkei-
                                                        ten. Die „Post-Stroke Depression“ (PSD) hat eine Inzidenz von bis 31 %, insbesondere nach links anterio-
                                                        ren Infarkten, wie auch dieser Fall eines „gebrochenen Herzens“ nach dem Schlaganfall zeigt.
                                                        Dr. Olympia Kremmyda, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Michael Strupp, FRCP, FANA, FEAN, Neurologische Klinik,
                                                        Ludwig Maximilians Universität München, Olympia.kremmyda@med.uni-muenchen.de
  Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
  Zitierweise: Kremmyda O, Strupp M: “Cerebral heartbreak”. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 317. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0317
  ►Vergrößerte Abbildung und englische Übersetzung unter: www.aerzteblatt.de

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019                                                                                                                                 317
MEDIZIN

Zusatzmaterial zu:

Applikation von Aktivkohle bei Vergiftungen
Tobias Zellner, Dagmar Prasa, Elke Färber, Petra Hoffmann-Walbeck, Dieter Genser, Florian Eyer
Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 311–7. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311

    eLiteratur
    e1. Hojer J, Troutman WG, Hoppu K, et al.: Position paper update:
         ipecac syrup for gastrointestinal decontamination. Clin Toxicol (Phila)
         2013; 51: 134–9.
    e2. Benson BE, Hoppu K, Troutman WG, et al.: Position paper update:
         gastric lavage for gastrointestinal decontamination. Clin Toxicol (Phila)
         2013; 51: 140–6.
    e3. Merigian KS, Woodard M, Hedges JR, Roberts JR, Stuebing R,
         Rashkin MC: Prospective evaluation of gastric emptying in the self-
         poisoned patient. Am J Emerg Med 1990; 8: 479–83.
    e4. Buckley NA, Whyte IM, O‘Connell DL, Dawson AH: Activated char-
         coal reduces the need for N-acetylcysteine treatment after acetami-
         nophen (paracetamol) overdose. J Toxicol Clin Toxicol 1999; 37:
         753–7.
    e5. Hillman RJ, Prescott LF: Treatment of salicylate poisoning with re-
         peated oral charcoal. Br Med J (Clin Res Ed) 1985; 291: 1472.
    e6. Chyka PA, Holley JE, Mandrell TD, Sugathan P: Correlation of drug
         pharmacokinetics and effectiveness of multiple-dose activated char-
         coal therapy. Ann Emerg Med 1995; 25: 356–62.
    e7. Arimori K, Nakano M: Accelerated clearance of intravenously
         administered theophylline and phenobarbital by oral doses
         of activated charcoal in rats. A possibility of the intestinal dialysis.
         J Pharmacobiodyn 1986; 9: 437–41.
    e8. Neuvonen PJ, Elonen E: Effect of activated charcoal on absorption
         and elimination of phenobarbitone, carbamazepine and phenyl-
         butazone in man. Eur J Clin Pharmacol 1980; 17: 51–7.
    e9. Wason S, Baker RC, Carolan P, Seigel R, Druckenbrod RW: Carba-
         mazepine overdose—the effects of multiple dose activated charcoal.
         J Toxicol Clin Toxicol 1992; 30: 39–48.

I                                                                                    Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 18 | 3. Mai 2019 | Zusatzmaterial
Sie können auch lesen