Reduzieren und Absetzen von Antipsychotika - Kerbe - Forum für soziale Psychiatrie

 
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Reduzieren und Absetzen
von Antipsychotika                                                                                  Von Volkmar Aderhold, Jann
                                                                                                    Schlimme und Stefan Weinmann

Hintergrund

Seit dem Beitrag zu diesem Thema in
der Kerbe 2/2013 hat sich die kritische
Diskussion zur Verschreibung von Neu-
roleptika auch international fortgesetzt.
Bedeutsam war dabei insbesondere eine
gemeinsame Publikation renommierter
internationaler Wissenschaftler (Murray
et al. 2016) Hier kommen die Autoren
zu folgendem Schluss: „Patienten, die
sich von einer akuten Episode einer          Volkmar Aderhold               Jann Schlimme                    Stefan Weinmann
Psychose erholen, werden häufig pro-         Dr. med., Arzt für Psy-        Priv. Doz. Dr. med. Dr.          Facharzt für Psychiatrie
                                                                            phil. M.A., Facharzt für         und Psychotherapie,
phylaktisch Antipsychotika für viele         chiatrie, Psychotherapie
                                                                            Psychiatrie u. Psycho-           Oberarzt, Vivantes Kli-
Jahre verschrieben, besonders wenn sie       und Psychotherapeuti-                                           nikum Am Urban Berlin.
                                                                            therapie, Praxis für Psy-
die Diagnose einer Schizophrenie erhiel-     sche Medizin, Lehrender        chotherapie, Psychiatrie         Lehrauftrag an den
ten. Jedoch gibt es einen Mangel an Be-      für Systemische Therapie       und Psychosebegleitung           Universitären Psychiat-
legen für die Wirksamkeit dieser Praxis,     und Beratung (DGSF)            in Berlin.                       rischen Kliniken Basel.
und es gibt eine wachsende Besorgnis
über die kumulativen Wirkungen dieser
Antipsychotika auf die körperliche Ge-
sundheit und Hirnstruktur. Obwohl eine       Gruppe zwischen diesen beiden Extre-         Rezeptoren (Howes et al 2009). Der            5
Kontroverse über einige Daten bleibt,        men wertvoll ist. Selbstverständlich be-     untere Schwellenwert dient dazu, eine
sollte der weise Psychiater für jeden        zieht sich diese historische Auffassung      mögliche Wirkung wahrscheinlicher zu
individuellen Patienten regelmäßig den       auf Antipsychotika ohne Clozapin und         machen, der obere zur weitgehenden
Nutzen des Fortsetzens prophylaktischer      sollte durch die Empfehlung modifiziert      Vermeidung der folgenden Nebenwir-
Antipsychotika gegenüber dem Risiko          werden, dass schwer Kranken, die nicht       kungen: extrapyramidal-motorische
von Nebenwirkungen und dem Verlust           auf diese Medikamente ansprechen,            Störungen, neurokognitive Einschrän-
von Wirksamkeit durch die Entstehung         ermutigt werden sollten, Clozapin zu         kungen und verminderte Aufmerk-
einer Supersensitivität des Dopamin-         versuchen. Trotzdem ist es unglücklich,      samkeit, Missstimmung, zusätzliche
D2- Rezeptor überprüfen. Psychiater          dass diesem Warnhinweis so wenig Auf-        depressive und negative Symptome,
sollten mit ihren Patienten zusammen-        merksamkeit gegeben wurde.“                  Prolaktinerhöhungen. Dies gilt für ältere
arbeiten, um das Antipsychotikum lang-                                                    und neuere Neuroleptika (de Haan et al
sam auf die niedrigste Dosis zu reduzie-     Auch in den neuen S3 Leitlinien für          2003). Auch die meisten anderen und
ren, die die Rückkehr von anstrengenden      Schizophrenie der Deutschen Gesell-          besonders bedeutsame Nebenwirkungen
Symptomen verhindert. Bis zu 40% der-        schaft für Psychiatrie und Psychothe-        wie Fettstoffwechselstörungen, Über-
jenigen, deren Psychose sich nach einer      rapie, Psychosomatik und Nervenheil-         gewicht (mit erhöhtem Risiko für Herz-
ersten Episode zurückbildet, sollte in der   kunde (DGPPN), die sich gerade im            und Hirngefäßerkrankungen und damit
Lage sein, auf lange Sicht einen guten       abschließenden Konsensusprozesspro-          Frühsterblichkeit) sowie plötzlicher
Verlauf entweder ohne antipsychotische       zess befinden, werden die minimal bzw.       Herztod sind auch dosisabhängig und
Medikamente oder mit einer sehr niedri-      niedrigst effektive Dosierungsstrategie      sind seltener, wenn im Rahmen des
gen Dosis zu erreichen.”                     und begleitete Dosisreduktionen und          therapeutischen Fensters dosiert wird.
                                             Absetzversuche aufgenommen und ge-
Am Ende des Artikel wird noch ausge-         nauer ausgeführt. In diesem Text wird        Zur individuellen Dosisfindung sind fol-
führt: „Schließlich lohnt es sich, daran     daher der Schwerpunkt auch auf diese         gende Befunde zu berücksichtigen.
zu erinnern, dass Leff & Wing (1977),        Themen gelegt.                               • Dosierungen unterscheiden sich zwi-
die die erste randomisierte kontrollierte                                                   schen einzelnen Patienten um ein
Studie (RCT) zur Langzeitprophylaxe          Die klinische Bedeutung der minimal            mehrfaches, ohne diese voraussagen
mit Antipsychotika durchgeführt haben,       effektiven Dosis ergibt sich aus einer         zu können. Bei Ersterkrankten ist in
zu dem Schluss gekommen sind, dass           heute für den therpeutischen Effekt            bis zu 50% der Behandelten bereits
Erhaltungstherapie bei Patienten mit ei-     unstrittigen Blockade von Dopamin D2           die minimale Startdosis (Tabelle) aus-
ner guten Prognose und bei den schwer        Rezeptoren des Streifenkerns innerhalb         reichend (Oisthuizen et al 2001).
Kranken wenig Wert zu haben scheint,         eines sogenannten „therapeutischen           • Z war tritt die stärkste Wirkung der
dass sie aber in der unbestimmten            Fensters“ von nur ca. 60-70 % dieser            antipsychotischen Medikation oft
Kerbe 2 | 2018 Them enschwerpunkt

              schon in den ersten Tagen ein (Leucht      Vorgehen, welches stets in Bezug auf das     jedoch erst nach 3 solchen Behand-
              et al 2005). Bei Ersterkrankten werden     klinische Bild und das subjektive Symp-      lungsversuchen gerechtfertig und sollte
              80% der insgesamt erreichbaren Wir-        tomerleben angepasst werden muss:            unbedingt rückgängig gemacht wer-
              kungen jedoch erst nach 4 Wochen           • Beginn der Behandlung mit der nied-       den, wenn sie zu keinem weiteren kli-
              (Emsley et al 2006; Levine et al 2010)       rigst effektiven Dosis (Tabelle), oder     nischem Nutzen geführt hat oder sich
              und bei mehrfach Erkrankten erst             eine etwas höhere Dosis, wenn dies         weitere schädigende Nebenwirkungen
              nach 8 Wochen (Case et al 2011) und          aufgrund von Vorbehandlungen ge-           einstellen.
              noch später erreicht.                        rechtfertigt erscheint (start low).
           •Auch ist bereits bei ca. der Hälfte der    • Abwartendes Verhalten für 2 bis 4 Wo-    Kontrollierte Dosisreduktion
             Ersterkrankten nur eine Teilremission         chen (go slow).
             erreichbar. Bei mehrfach Erkrankten         • Weitere Dosiserhöhung, wenn sich         Eine kontrollierte Dosisreduktion ist im
             liegt diese Rate bei ca. 80%, d.h. nach       keine deutliche Rückbildungstendenz       Verlauf der Rückfallprophylaxe meist
             fast 2 Jahrzehnten Behandlung bleiben         zeigt.                                    aus einem oder mehreren der folgenden
             nach einer Akutbehandlung bei 80%           • Engmaschiges Monitoring von uner-        Gründe sinnvoll.
             der Betroffenen noch mittelgradige            wünschten Arzneimittelwirkungen (in
             und stärker ausgeprägte Symptome              der Akutbehandlung insbesondere mo-       Häufige Gründe für eine kontrollierte
             bestehen. Eine weitere Dosiserhöhung          torische Nebenwirkungen) und Dosis-       Dosisreduktion
             ist dann nicht sinnvoll bzw. bei Erfolg-      reduktion beim Auftreten dieser, insbe-   • Finden der individuell minimal ef-
             losigkeit rückgängig zu machen.               sondere motorische Nebenwirkungen.          fektiven Dosis, die durch die Akut-
                                                         • Dosisreduktion falls eine Dosiserhö-       behandlung überschritten wurde und
           Die Tabelle „Empfehlungen zur Minimal-          hung keinen klinischen Mehrwert er-         bei klinischer Stabilität zur Rückfall-
           dosierung“ gibt einen Überblick über die        bracht hat.                                 prophylaxe oft unterhalb des thera-
           möglichen Dosierungen unter verschie-         • In der Rezidivprophylaxe kontrollierte     peutischen Fensters der D2 Blockade
           denen Gesichtspunkten bei Menschen              Dosisreduktion unter Abwägung eines         während der Akutbehandlung liegt.
           mit einer Schizophrenie. Es ist jedoch zu       evtl. erhöhten Rückfallrisikos.             (Ikai et a.l 2012, Mizuno et al. 2012,
           beachten, dass die sinnvollen Dosierun-       • Zeigen sich innerhalb der ersten zwei      Moriguchi et al. 2013).
           gen für jeden Menschen individuell sind,        Wochen keinerlei Symptomverbesse-         • Finden eines möglichst günstigen
           wobei es bisher aus Studien kein klares         rungen, so könnte eine Non-Response         Verhältnisses von Wirkung und do-
           Wissen über die Art und Weise der Suche         auf Neuroleptika vorliegen. Ein Subs-       sisabhängigen Nebenwirkung (uner-
 6         nach der individuell niedrigst effekti-         tanzwechsel ist dann gerechtfertigt und     wünschten Wirkungen).
           ven Dosis gibt. In der klinischen Praxis        sollte Clozapin einschließen.             • Dosisreduktion nach erfolgloser Dosis-
           empfiehlt sich daher ein pragmatisches        • Eine Kombinationsbehandlung ist            erhöhung auf eine vorherige geringere
                                                                                                       Dosis.
Tabelle: Empfehlungen zur Minimaldosierung                                                           • Korrektur und Reduktion bestehender
                                                                                                       Polypharmazie (Suzuki et al. 2003 u.
                                                                                                       2004, Essock 2011, Hori 2013).
Substanz         Niedrigst effektive Dosis    Effektive Dosis nahe dem Ma-         Zieldosis         • Ermöglichen einer aktiven thera-
                         pro Tag                  ximum (95%) pro Tag             DGPPN 2005           peutischen Auseinandersetzung des
                                                                                    pro Tag            Betroffenen (im Rahmen einer Psy-
                  Erst- und mehrfach Be-      Bei den meisten ausreichend.
                         handelte.                                                Nur bei man-         chotherapie) mit der Bedeutung und
                                                                                  chen sinnvoll.       Signalfunktion von kontrollierbaren
                    Startdosis und evtl.
                                                                                                       Positiv-Symptomen und Verringerung
                    schon ausreichend.
                                                                                                       der medikamentös bedingten Erinne-
                                                                                                       rungseinschränkungen.
Amisulprid                100 mg                           200 mg                 400-800 mg         • Bei Patienten über dem 50. Lebens-
                                                                                                       jahr, weil dann die erforderliche D2
Aripiprazol                10 mg                            10 mg                   15-30 mg
                                                                                                       Blockade oft unter 65% sinkt und die
                                                 (»2 mg fast so effektiv«)                             Empfindlichkeit für Nebenwirkungen
Clozapin                 < 150 mg                          400 mg                 200-450 mg           ansteigt (Uchida et al 2014, Graff-
                                                                                                       Guerrero et al 2015).
Olanzapin                  5 mg                             16 mg                   5-20 mg
                                                        (auch > 20 mg)                               Mit der Dosisreduktion soll die aktuelle
                                                                                                     individuelle minimale effektive Dosis
Quetiapin                 100 mg                         150-600 mg               400-750 mg         gefunden werden. Die Vorteile für die
                                                (große indiv. Unterschiede)                          Gesundung (Recovery) im Hinblick auf
                                                                                                     die soziale Teilhabe nach Reduktion
Risperidon                  2 mg                            4 mg                  3-6 (-10) mg       der Antipsychotika zeigen sich mögli-
                 (Bei Ersterkrankten kann                                                            cherweise deutlich erst nach mehr als 3
                     1mg sinnvoll ein)                                                               Jahren (Wunderink et a.l 2013). Ange-
                                                                                                     sichts von Reduktions- oder Absetzwün-
                                                                                                     schen kann die begleitete kontrollierte
Ziprasidon                 40 mg                        120 – 160 mg               80-160 mg         Dosisreduktion auch die Adhärenz der
Kerbe 2 | 2018 Themenschwerpunkt

medikamentösen Rezidivprophylaxe           • Abnorme unwillkürliche Bewegung            (Schlimme 2016; Schlimme et al. 2018).
unterstützen, da geringere Dosen besser        des Gesichts, von Lippen, Kiefer,         Eine Vorhersage, ob bzw. bis zu welcher
vertragen werden (3-20 % setzten – je          Zunge, Armen, Handgelenken, Hän-          Dosis eine kontrollierte Dosisreduktion
nach Substanz- in den ersten 12 Mo-            den, Fingern, Beinen, Knien, Ge-          im individuellen Fall erfolgen kann,
naten aufgrund von unerwünschten               lenken, Zehen, Nacken, Schultern,         ist bisher jedoch nicht möglich (Gupta
Wirkungen, 14-48 % aufgrund unzurei-           Hüften. Sie bilden sich z.T. auch nicht   und Cahill 2016; Chouinard et al. 2017).
chender Wirkung ab (Kahn et al. 2008)).        zurück, wenn es sogenannte irreversi-     Jeder Reduktionsprozess ist individuell
                                               ble Spätdyskinesien sind. Sie können      unterschiedlich, hat vielfältige biologi-
Eine Abnahme der Wirksamkeit von               in der Person schwere Unruhe und          sche, psychische und soziale Aspekte.
Antipsychotika bis zur Behandlungsre-          Angst auslösen.
sistenz und sog. ‚Durchbruchpsychosen’     •   Psychotische Symptome als Rebound-       Gute Voraussetzungen für eine Dosisre-
(Samaha et al 2007) im Verlauf, die            psychosen, die jedoch nicht sicher        duktion zur Ermittlung der individuell ef-
langfristig oft kontraproduktive Dosis-        von der ursprünglichen psychotischen      fektiven Dosierung und für Absetzversuche
erhöhungen nach sich ziehen, werden            Störung unterschieden werden kön-         (mod. n. Gupta & Cahill 2016)
heute von den bedeutsamsten Dopamin-           nen. Sie entstehen meist innerhalb        • Entwicklung eigener Lebensziele jen-
Forschern – im Wesentlichen aufgrund           von Tagen bis ungefähr 6 Wochen             seits des Reduktionswunsches von
von Tierstudien – auch als Folge einer         nach der Reduktion und bessern sich         Psychopharmaka.
zusätzlichen durch Neuroleptika indu-          oftmals nach 3 bis 4 Wochen. Es kann      • Gute soziale Unterstützung (Norman
zierten Dopamin-Supersensitivität auf-         aber auch deutlich länger dauern.           et al. 2005).
gefasst (Yin et al 2017, Chouinard et al                                                 • Etablierung begleitender psychosozi-
2008, 2017, Fallon et al 2011). Zusätz-    Zusätzlich liegt bei ca. 15-20% der             aler und/oder psychotherapeutischer
lich können dadurch Reboundpsychosen       Betroffenen mit der Diagnose einer              Behandlungen, da eine Zunahme der
bei Reduktionsversuchen und eine im        Schizophrenie eine ‚Ultra-Resistenz’ auf        Emotionalität und persönlicher Be-
Verlauf erhöhte Stresssensitivität mit     Antipsychotika vor. Diese bezeichnet            dürfnisse sowie die Rückerinnerung
Zunahme psychotischer Symptome             ein sehr schlechtes Ansprechen auch             an belastende, schmerzhafte oder
auftreten. Frühwarnzeichen solcher         auf Clozapin. Die Betroffenen werden            traumatische Erfahrungen (z.B. Bo-
Phänomene sind zuvor aufgetretene Be-      im Zuge des Behandlungsprozesses oft            noldi et al. 2013) durch die Redukti-
wegungsstörungen einschließlich eines      mit zu hohen Dosierungen und Poly-              onsschritte erwartet werden kann.
Parkinsonoids. Für diese Phänomene         pharmazie behandelt, die später jedoch        • Gute Vorbereitung vor dem Redukti-
wird heute vor allem eine Behandlung       nicht rückgängig gemacht werden. Da-            onsprozess und den einzelnen Reduk-        7
mit einer niedrigst möglichen Dosis        durch entstehen erhebliche somatische           tionsschritten.
empfohlen (Chouinard et al 2017), und      Nebenwirkungen und insbesondere auch          • Netzwerkgespräche mit möglichst
damit auch eine Dosisreduktion nach        kognitive Einschränkungen, die den ak-          allen wichtigen professionellen und
Dosiserhöhungen ohne anhaltende            tiven Umgang mit Positiv-Symptomen,             privaten Bezugspersonen.
Symptomverbesserungen. Insbesondere        vor allem den Stimmenphänomenen               • Individueller Krisenplan mit diesem
in diesen Fällen ist mit Entzugsphäno-     erschweren. Leitkriterium für die dann          Netzwerk zum Umgang mit auftre-
menen zu rechnen, die ein langsames        individuell angemessene Dosis, die auch         tenden psychotischen Symptomen.
Vorgehen bei der Reduktion erforderlich    bei Null liegen könnte, ist die größt-          Aus dieser Perspektive geht es dem-
machen.                                    mögliche praktische und soziale Kompe-          nach nicht um die Vermeidung von
                                           tenz im Alltag.                                 Rückfällen per se, sondern um ihre
Reduktions- bzw. Entzugsphänomene                                                          möglichst gute Begleitung, um eine zu
(mod. n. Tranter und Healy 1998,           Zum Vorgehen kontrollierter Dosisre-            lange Dauer des Rückfalls zu vermei-
Chouinard et al. 2017):                    duktionen existieren bisher keine ran-          den. So können gut begleitete Rück-
• Entzugssymptome treten in der Regel     domisierten Studien mit unterschiedli-          fälle in Kauf genommen werden.
  innerhalb von Tagen bis Wochen auf.      chen Formen der Reduktion und zusätz-         • Recoveryplan
• Kognitive Störungen: Verschlechte-      lichen Formen psychotherapeutischer           • Unterstützung durch Erfahrungsex-
  rung von Konzentration, Aufmerk-         und psychosozialer Behandlung. Daher            perten
  samkeit und Gedächtnis.                  kann keine evidenzbasierte Darstellung        • M
                                                                                             ehr Kontakte aufbauen und Selbst-
• Vegetative Störungen: Magen-Darm-       erfolgen.                                        hilfegruppe
  Störungen, Übelkeit, Erbrechen und                                                     • Möglichst ein ambulantes multipro-
  Durchfall, Schwitzen, Schwindel,         Das aktuelle Wissen kommt aus weni-             fessionelles Team
  Tachykardie, Hochdruck, Zittern,         gen Kohortenstudien (Wunderink et al.         • Behandlungsvereinbarung mit der zu-
  Kollaps, grippeähnliche Symptome,        2007 und 2013, Alvarez-Jiminez et al            ständigen Klinik
  übermäßige Schmerzempfindlichkeit,       2012, Heggdal et al 2016), Übersichtsar-      • Vorausverfügung
  Kopfschmerz.                             beiten (Gupta et al 2016, Breggin 2013,
• Emotionale Instabilität, Angst, Un-     Tranter und Healy 1998) von Betroffe-         In allen Studien zum begleiteten Re-
  ruhe, Depression, Reizbarkeit, Aggres-   nengruppen (Hall 2012, Lehmann et al.         duzieren (und Absetzen) wurde berich-
  sivität und maniforme Symptome.          2013, Stimmenhörerbewegung) Inter-            tet, dass die entstandenden Rückfälle
  Auch sie entstehen meist innerhalb       netplattformen (www.beyondmeds.com,           beherrschbar waren, meist von kurzer
  von Tagen oder Wochen nach dem           www.madinamerica.com), Internetbefra-         Dauer waren und selten länger als vier
  Reduzieren oder Absetzen des Medi-       gungen (Read et al. 2005, Ostrow et al.       Wochen andauerten, dass Hospitalisie-
  kaments.                                 2017) und Erfahrungen von Praktikern          rungen die Ausnahme waren und keine
Kerbe 2 | 2018 Them enschwerpunkt

    messbaren negativen Veränderungen der        Empfehlungen zur Dosisreduktion             sisreduktion vergleichbar. (Siehe Tab 3
    Symptomatik oder der sozialen Funkti-                                                    u. 4)
    onsfähigkeiten danach entstanden (Kane       Eine kontrollierte Dosisreduktion der       Folgende spezifische Ergänzungen sind
    et al. 1986, Glovinsky 1992, Gilbert         Antipsychotika sollte in minimalen          zu empfehlen:
    1995, Wunderink et al. 2007, Stant et al.    Dosisschritten in 2-3 monatigen Zeit-       • Vorab sollte ein Netzwerkgespräch mit
    2007). Der Hintergrund dafür dürfte sich     abständen entsprechend der Präferenz          möglichst allen wichtigen professio-
    vor allem darin finden, dass kontrollierte   des Patienten unter Einbezug von Ver-         nellen und privaten Bezugspersonen.
    Dosisreduktionen generell langsam voll-      trauenspersonen, einem Gesamtbehand-          Darin Erörterung der Vorerfahrungen
    zogen werden als wenn Patienten alleine      lungsplan, dem bisherigen Behandlungs-        mit Absetzversuchen und Entwick-
    reduzieren, bzw. abrupt vollständig ab-      verlauf und der Verträglichkeit der be-       lung eines veränderten Vorgehens.
    setzen und auf Frühsymptome oft ange-        stehenden antipsychotischen Medikation        Die individuellen Ängste, Gefahren
    messener reagiert werden kann.               angeboten werden.                             und Möglichkeiten sollten mit diesen
                                                                                               Bezugspersonen möglichst offen aus-
    Grundideen der Reduktionsschritte ei-        Unkontrollierte Absetzversuche                getauscht werden
    ner kontrollierten Dosisreduktion (mod.                                                  • Die Dosen der Reduktionsschritte
    n. Schlimme, Scholz & Seroka 2018)           Die Non-Adhärenzrate bezüglich Anti-          sollten entsprechend klein gewählt
    • Der Reduktions-/Absetzversuch sollte      psychotika ist mit 50 % -75 % Abbrü-          werden. Oftmals erfordert dies die
       möglichst in einem stabilen sozialen      chen über 18 Monate anhaltend hoch.           Verordnung individuell anzufertigen-
       Umfeld erfolgen.                          Sie liegt für Ersterkrankte bei 30 %-         der Rezepturen.
    • Bei jedem Reduktionsschritt sollten       40 % in den ersten 9 Monaten (Miller et     • Die Vorteile für ein soziales Recovery
       Entzugserscheinungen in den ersten        al. 2008, 2011) und bei 70 % bzw.             auch nach dem Absetzen der Antipsy-
       2-4 Wochen erwartet werden.               40 % unter neueren Antipsychotika über        chotika zeigen sich möglicherweise
    • Reduktionsschritte sollten zwischen       1 Jahr (McEvoy et al 2007 bzw. Kahn et        deutlich erst nach mehr als 3 Jahren
       5-10% der aktuellen Dosis betragen,       al 2008). Gründe waren unzureichende          (Wunderink et al. 2013, Alvarez et al.
       wobei eine Anpassung der absoluten        Wirkung in 35-70 % und Nebenwirkun-           2012, Harrow et al. 2012). Mehrfache
       Menge an Milligramm nach einigen          gen in 4-35 % der Fälle je nach Subs-         Absetzversuche sind dabei sinnvoll
       Schritten erfolgen sollte.                tanz (Kahn et al 2008).                       (Nishikawa et al. 2007)
    • Reduktionsabstände sollten zwischen       Unbegleitete Absetzversuche haben ein       • Der Gewinn eines kontrollierten Ab-
       6-12 Wochen betragen, wobei für die       deutlich höheres Risiko als begleitete        setzversuchs könnte entweder ein
8      Auswahl des nächsten Reduktions-          Absetzversuche. Die dann entstehen-           erfolgreiches Absetzen oder der per-
       zeitpunkts die Erfahrungen des letzten    den Psychosen dauern häufig deutlich          sönliche empirische Beweis für die
       Reduktionsschritts und die Gesamtbe-      länger. Unbegleitetes Absetzen erfolgt        Nützlichkeit einer gewissen Dosis von
       handlungsdauer mit Antipsychotika         häufig abrupt, der Prozess ist selten         Medikamenten sein (Wunderink et al.
       einbezogen werden sollte                  professionell und sozial eingebettet. Die     2007).
    • Es sollte ein Zeitraum von vier „sta-     Begleitung von Absetzversuchen sollte       • Nach Absetzen von Antipsychotika
       bilen“ Wochen vor dem nächsten Re-        deshalb auch im Sinne einer ‚harm-            sollte eine psychosoziale Begleitung
       duktionsschritt bestehen.                 reduction’ angeboten werden, wobei            und psychotherapeutische Behandlung
    • Schlaf ab 23.00 Uhr. Kurzfristige Me-     eine Aufklärung über die Risiken eines        fortgesetzt werden.
       dikation mit Benzodiazepinen kann v.      zu raschen Reduzierens und Absetzens        • Nach dem Absetzen besteht das Risiko
       a. bei reduktionsbedingten Schlafstö-     erfolgen sollte.                              für psychotische Krisen.
       rungen hilfreich sein.                                                                • Das soziale Netzwerk für Krisen sollte
    • Evtl. bessere Bewältigungsstrategien      Kontrollierte Absetzversuche                  daher aufrecht erhalten werden.
       bei anhaltenden Stimmenphänomenen                                                     • Ging einem Rückfall eine längere Zeit
       entwickeln                                Kontrollierte Absetzversuche stehen           psychischer Stabilität voraus, können
    •Bei einem aufkommenden Rezidiv           am Ende eines kontrollierten Dosis-           Antipsychotika möglicherweise relativ
       sollte auf die zuvor genutzte Dosis       reduktionsprozesses. Die Studienlage          früh, in kleiner Dosierung und nur für
       zurückgekehrt werden, ggf. auch 10%       zum Vorgehen ist der Studienlage zur          kürzere Zeit eingesetzt werden.
       über der vorigen Dosis, sowie weitere     Dosisreduktion vergleichbar. Spezifische
       Maßnahmen zur Krisenbewältigung           Kohortenstudien sind verfügbar (Falloon     Eine Vorhersage, ob ein kontrollierter
       genutzt werden.                           et al 1985, Harrow et al 2012).) sowie      Absetzversuch im individuellen Fall
    • Bei den letzten Schritten sehr kleine     eine RCT-Studie zu kognitiver Thera-        gelingt, ist bisher jedoch nicht möglich
       Reduktionsschritte wählen (s. Ab-         pie bei Symptomatik ohne Medikation         (Gupta & Cahill 2016; Chouinard et
       schnitt Absetzen v. Psychopharmaka).      (Morrison et al 2014). Insofern kann        al. 2017). Günstige Prädiktoren für ein
                                                 zwar keine evidenzbasierte Darstellung      vollständiges Absetzen sind vor allem:
    Aus dieser Perspektive geht es demnach       eines bestmöglichen Vorgehens auf der       • Gute soziale Unterstützung (Norman
    nicht um die Vermeidung von Rückfällen       Basis randomisierter Studien erfolgen.        et al 2005)
    um jeden Preis, sondern um ihre mög-         Auf der Basis der bereits im Abschnitt      • gutes psychosoziales Funktionsniveau
    lichst gute Begleitung, um eine zu lange     zur kontrollierten Dosisreduktion ange-       vor dem Beginn der Erkrankung (di-
    Dauer einer zu hoch dosierten Redzidiv-      führten Punkte sind aber die folgenden        verse Studien)
    prophylaxe mit Antipsychotika zu ver-        Aussagen möglich.                           • plötzlicher akuter Beginn der Psy-
    meiden. So kann das Risiko gut begleite-     Das Vorgehen beim Absetzen ist dabei          chose (diverse Studien)
    ter Rückfälle eingegangen werden.            im Prinzip dem Vorgehen bei der Do-
Kerbe 2 | 2018 Themenschwerpunkt

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