DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19

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DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
BERICHTE DES NEGZ     NR. 19

DIGITALISIERUNG DER
GESETZGEBUNG ZUR
STEIGERUNG DER
DIGITALEN SOUVERÄNITÄT
DES STAATES

Bernhard Rumpe
Judith Michael
Oliver Kautz
Roland Krebs
Sabine Gandenberger
Janos Standt
Uli Weber
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
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Berlin 2021

2             Berichte des NEGZ
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
INHALT

        Zusammenfassende Empfehlungen                                                         5

1.      Motivation und Ziele der Kurzstudie                                                   6
        1.1     Problemstellung                                                                6
        1.2     Lösungsansatz                                                                  7
        1.3     Aufbau der Kurzstudie                                                          7

2.      Wissenschaftlicher und praktischer Hintergrund                                        8
        2.1      Aktuelle Diskussion in Praxis und Wissenschaft                                8
        2.2      Wichtige IT Begriffe und Prinzipien                                          10
        2.3      DSLs für Gesetze und Verträge                                                 11
        2.4      Ontologien für die Gesetzesdomäne                                            13
        2.5      Erfahrungen aus der Praxis: ELSTER                                           14
        2.6      Juristische Rahmenbedingungen für die Digitalisierung der Gesetzgebung und von
                 Gesetzen                                                                     16
              2.6.1 Digitalisierungsgrad im Steuerrecht                                       16
              2.6.2 Das Gesetzgebungsverfahren                                                17
              2.6.3 Die juristische Gesetzesauslegung als Basis für eine DSL                  21
              2.6.4 Vom Kodex-Gesetz zur DSL und Modellen                                     22
              2.6.5 Verhältnis von juristischen Gesetzestexten zu DSLs bzw. Modellen          23

3.      Ergebnisse: Lösungsansätze für Steuergesetze und
        Diskussion möglicher Varianten                   23
        3.1    Mögliche Lösungsvarianten                                                      24
            3.1.1   Charakteristik von Gesetzestexten                                         24
            3.1.2   Der Zusammenhang zwischen Gesetzestexten und Modellen                     25
            3.1.3   Zeitpunkt der Erstellung der Modelle                                      26
            3.1.4 Prozessschritte und Nutzergruppen                                           26
            3.1.5   Tooling und Interpretation                                                28
        3.2    Eine DSL zur Abbildung von gesetzlichen Steuerberechnungen und Validierung     28
            3.2.1   Felder-Modell                                                             28
            3.2.2 Aufbau der Sprache                                                           31
            3.2.3 Kurzüberblick über vorhandene Operatoren                                    32
            3.2.4 Notwendige Erweiterungen                                                    32
        3.3    Eine DSL zur Modellierung von gesetzlichen Fristen                             33
            3.3.1   Festsetzungsverjährung, Fristen und Termine im Steuerrecht                34
            3.3.2 Datenmodell zur Berechnung von Fristen                                      35
            3.3.3 Interpretation auf Basis logischer Formeln                                  36
            3.3.4 Interpretation auf Basis von Bedingungen, Zuweisungen und Anweisungen       39
            3.3.5 Modellierung von Gesetzestexten zur Beschreibung von Fristen                40
            3.3.6 Codegenerierung aus Gesetzestexten zur Beschreibung von Fristen             45
        3.4    Zusammenspiel von DSLs und unserem Ansatz                                      47

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates              3
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4. Handlungsempfehlungen für die Umsetzung   50

5.   Zusammenfassung und Ausblick            52

     Literatur                               53
     Über die Autorinnen und Autoren         57
     Kommentar                               59
     Impressum                               60

4         Berichte des NEGZ
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
ZUSAMMENFASSENDE
EMPFEHLUNGEN

In dieser Studie wird gezeigt, dass die Darstel-                   vanten Nutzergruppen darauf verständigen,
lung von Gesetzen durch Domänen-spezifische                        welche IT Werkzeuge zu einem Gesetzestext
Sprachen (eng. Domain Specific Languages, DSLs)                    notwendig sind. In einem weiteren Schritt
und die automatisierte Auswertung der mit der                      sind diese Werkzeuge umzusetzen.
DSL formulierten Modelle möglich ist. Eine DSL
ist eine formale Sprache (im Gegensatz zur na-                3. Definition von DSLs und Modellen im Ge-
türlichen Sprache), die für ein bestimmtes Prob-                 setzgebungsprozess, Generierung der natür-
lemfeld, die sogenannte Domäne, entworfen und                    lichsprachlichen Gesetzesfassungen und
entwickelt wird. Wir zeigen die praktische Reali-                Generierung von Werkzeugen aus Model-
sierbarkeit an Beispielen aus dem Steuerrecht,                   len zur Unterstützung der Gesetzesanwen-
die Anwendung ist jedoch auch für Gesetzestex-                   dung (inhaltlich und technisch): Diese
te aus unterschiedlichen Domänen z.B. Soziales,                  Handlungsempfehlung zielt direkt auf die Stei-
Umwelt oder Strafrecht durchführbar. Im Straf-                   gerung der digitalen Souveränität des Staats
recht könnte zur Begründungsunterstützung                        ab, da die Gesetzgebung die Möglichkeit ha-
bspw. eine DSL entwickelt werden, die konkrete                   ben muss, möglichst präzise Gesetze formu-
Ermessensspielräume als Intervalle, gegebenen-                   lieren zu können. Unter bestimmten Voraus-
falls ergänzt um KI-basierte Durchschnittswerte,                 setzungen plädieren die Studienautoren für
bei ähnlichen Fällen berechnet.                                  die Verabschiedung von Modellen im Rahmen
                                                                 von Gesetzgebungsverfahren. Wir empfehlen
Es ist daher an der Zeit konkrete Projekte zu                    konkrete Projekte umzusetzen. Dies kann die
definieren und durchzuführen, in denen prak-                     Arbeit an neuen Gesetzen, weiterführend aber
tisch einsetzbare Werkzeuge entstehen. Kon-                      auch an bestehenden Gesetzen sein.
kret schlagen wir die folgenden Umsetzungs-
schritte vor:                                                 4. Weiterbildung in der Verwaltung, von Ju-
                                                                 risten und politischen Entscheidungsträ-
1. Bildung interdisziplinärer Arbeitsgruppen                     gern, um die Formulierung von Gesetzen in
   zur Entwicklung von DSLs zur Abbildung                        Modellen und deren Verständnis zu ermög-
   von Gesetzestexten (organisatorisch und                       lichen: Die Beschreibung von Gesetzen in
   technisch): Durch die Verwendung von DSLs                     Modellen macht es notwendig auch auf ju-
   wird die Digitalisierung von Gesetzen in vie-                 ristischer und politischer Ebene entspre-
   len Bereichen erst ermöglicht bzw. in ande-                   chende Kompetenzen aufzubauen.
   ren beschleunigt, da sich – soweit möglich
   – eine objektiv richtige Gesetzesanwendung                 5. Anhebung von DSLs auf die Ebene von
   direkt in Software übersetzen lässt. Zur Ent-                 Standards und Normen: DSLs, Modelle und
   wicklung von DSLs für die Formulierung von                    Berechnungsvorschriften werden als Stan-
   unterschiedlichen Gesetzestexten ist das                      dards und Normen definiert, die sowohl in
   Wissen von unterschiedlichen Beteiligten                      der zuständigen Behörde, als auch in der
   notwendig wie z.B. Juristen, Verwaltungsex-                   unternehmensinternen Software direkt zur
   perten, und Informatikern. Diese Zusammen-                    Ausführung kommen können und daher zu
   setzung muss sich für unterschiedliche                        einer wesentlich effizienteren IT und auch
   Domänen (z.B. Steuern, Soziales, Umwelt)                      Zusammenarbeit der IT einzelner Verwaltun-
   unterscheiden, da die jeweilige fachliche Ex-                 gen und Unternehmen beitragen. Sie stellen
   pertise benötigt wird.                                        damit einen essentiellen Teil der Digitalisie-
                                                                 rung dar.
2. Entwicklung der Werkzeuge zur Verarbei-
   tung und Code-Generierung aus Modellen                     Schlagworte: Digitale Souveränität, Gesetz-
   (inhaltlich und technisch): Für den prakti-                gebung, Gesetze, Modelle, Domänenspezifische
   schen Einsatz der DSLs müssen sich die rele-               Sprache

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                            5
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1. MOTIVATION UND ZIELE DER
KURZSTUDIE

1.1    Problemstellung                                          birgt das Risiko einer weiteren Abweichung
                                                                bzw. Entfernung von der durch den Gesetzge-
Insbesondere im Bereich des öffentlichen                        ber gewollten Gesetzesregelung (siehe Abb. 1).
Rechts, welches das Verhältnis zwischen Trä-                    Nach Auffassung der Studienautoren ist vor die-
gern der öffentlichen Gewalt (Staat) und einzel-                sem Hintergrund besonderes Augenmerk auf
nen Privatrechtssubjekten (Bürgern) regelt, soll-               die Schaffung von Voraussetzungen für eine
te es höchste Priorität haben, dass Gesetze so                  rechtssichere und praktisch auch durchzufüh-
formuliert, konkretisiert und ausgestaltet wer-                 rende Gesetzesanwendung durch die Exekutive
den, dass diese keinen Raum für fehlerhafte In-                 zu legen.
terpretation und Anwendung durch die Verwal-
tungen oder andere Träger der öffentlichen                      Nach Auffassung der Studienautoren sollte aus
Gewalt geben, indem durch die Formulierung                      den genannten Gründen sichergestellt werden,
von möglichst eindeutigen und klaren Regelun-                   dass insbesondere Politikern und Nicht-Steuer-
gen präzise Gesetze geschaffen werden. Mittel-                  experten, die überwiegend am Gesetzgebungs-
bar könnte somit ebenfalls vermieden werden,                    prozess, nämlich bei Gesetzesinitiativen, der
dass Verwaltungsverlautbarungen wie Erlasse                     Arbeit in Ausschüssen, in verschiedenen Lesun-
oder Richtlinien veröffentlicht werden, die nicht               gen und schließlich bei der Verabschiedung von
im Einklang mit dem Gesetz stehen.1 Soweit                      Gesetzen beteiligt sind und damit die maßgeb-
möglich, soll eine objektiv richtige Gesetzesan-                lichen Entscheidungen über Gesetze treffen, ein
wendung gewährleistet werden.                                   Instrument an die Hand gegeben wird, dass es
                                                                ihnen ermöglicht, die gewollte Gesetzesanwen-
Mit zunehmender Prozess-Automatisierung und                     dung durch die Verwaltung sicherzustellen und
-Digitalisierung, die auch in die Arbeitsbereiche               das Risiko einer fehlerhaften Gesetzesanwen-
der Verwaltungen Einzug erhält, gewinnt dieser                  dung mittels IT zu reduzieren. Unser Ansatz stei-
Aspekt an Brisanz, den die Väter des Grund-                     gert demnach die digitale Souveränität des
gesetzes unmöglich bedacht haben konnten.                       Staates, indem der Wille des Gesetzgebers prä-
Denn mit dem Einsatz von automationsgestütz-                    ziser zum Ausdruck gebracht werden kann.
ten Systemen in der Verwaltung, müssen abge-
leitete Gesetzesanwendungen durch die Ver-                      Ein Abweichen von der intendierten Gesetzes-
waltung und deren Dienstleister programmiert                    anwendung kann gerade durch den Einsatz von
und dazu Gesetzestexte in eindeutiger, maschi-                  automationsgestützten Systemen der Verwal-
nenlesbarer Form ausgedrückt werden, um sie                     tung vermieden werden. Ein solches Instrument
in Software umsetzen zu können. Diese Über-                     könnte dabei oftmals initial durch die fachlichen
setzung von Gesetzestext in Programmcode                        Experten der Verwaltung selbst eingesetzt wer-

                                                                                                                           Abbildung 1:
                                                                                                  Übersetzung in           Abweichungen von
          Regelung des                          Gesetzesinterpretation                                                     der vom Gesetz-
                                                                                                 IT-verständliche
          Gesetzgebers                             der Verwaltung                                                          geber intendierten
                                                                                                     Sprache               Gesetzesanwendung.

1     Ein Auseinanderfallen der Gesetzesinterpretation zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung auf Basis von
      Verwaltungsverlautbarungen ist regelmäßig Gegenstand von Finanzgerichtsentscheidungen.

6                   Berichte des NEGZ
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den, die in der Praxis – beispielsweise im Auftrag            etwaige Etablierung zu leisten – Möglichkeiten
der Bundesregierung – Gesetzesvorlagen erar-                  für die Darstellung von Gesetzen durch struk-
beiten. Ggf. kann so auch der rechtssichere Er-               turierte, Mensch- und Maschinen-verständliche
lass von Verwaltungsanweisungen, die im Ein-                  Sprachen zu analysieren. Es wird also unter-
klang mit dem Willen des Gesetzgebers stehen,                 sucht, ob Gesetze direkt in einer strukturierten
unterstützt werden und womöglich gar eine                     Sprache – die Informatik spricht hier von einer
Reduktion von außergerichtlichen und gericht-                 „domänenspezifischen Sprache“ – so formuliert
lichen Rechtsbehelfsverfahren nach sich ziehen.               werden können, dass sie für Menschen und
                                                              Computer geeignet und verständlich sind. Die
Im direkten Vergleich zum dargelegten Vor-                    Vermeidung eines, aus Sicht der IT, informellen
schlag ist festzustellen, dass der Gesetzgeber                juristischen Textes zu Gunsten einer eindeutigen
bei der Verabschiedung von Gesetzen aktuell                   Regelsprache durch den Gesetzgeber führt
wenig bis gar nicht auf deren konkrete digitale               nach Auffassung der Studienautoren zu Geset-
Umsetzung achtet.2                                            zesklarheit zwischen allen Beteiligten, erhöht
                                                              signifikant die Möglichkeit einer digitalen Um-
Da die Prozess-Automatisierung und Digitalisie-               setzung und erleichtert schließlich auch die
rung gerade in der Finanzverwaltung relativ                   direkte digitale Umsetzung. Perspektivisch
weit vorangeschritten ist (z.B. vollautomatische              könnten derart präzisierte IT-Regeln auch Un-
Verwaltungsakte im Steuerverfahren (Kar et al.                ternehmen insbesondere zur Anwendung und
2019) – vielen Steuerpflichtigen in Deutschland               für die Implementierung von vor- oder nachge-
dürfte das bereits 1996 gestartete Projekt                    lagerten Schnittstellenlösungen zur Verfügung
„Elektronische Steuererklärung (ELSTER)“ für                  gestellt werden und so die gesellschaftliche und
die digitale Abgabe der Steuererklärung be-                   wirtschaftliche Entwicklung der Digitalisierung
kannt sein – eignet sich gerade das Rechts-                   unterstützen. Die Studienautoren sind davon
gebiet des Steuerrechts, um im Rahmen dieser                  überzeugt, dass es langfristig keine Alternative
Studie genauer betrachtet zu werden. Im Fol-                  dazu geben wird, als Gesetze zu digitalisieren
genden wird daher, wo es zweckmäßig er-                       und mittels einer eindeutigen, strukturierten
scheint, auf die Steuergesetzgebung, die Steuer-              Sprache in Form von Modellen zu beschreiben.
gesetze und den Steuerverwaltungsapparat                      Durch die automatische Transformation dieser
Bezug genommen.                                               Modelle in natürlichsprachlichen Gesetzestext
                                                              kann mit diesem Ansatz trotzdem sichergestellt
                                                              werden, dass die Gesetze auch in natürlicher
1.2 Lösungsansatz                                             Sprache vorliegen.

Vorbehaltlich der Durchführungsmöglichkeit,                   Konkret beleuchtet diese Studie existierende
insbesondere der verfassungsrechtlichen Zuläs-                wissenschaftliche Ansätze sowie Lösungen aus
sigkeit, die ggf. erst noch geschaffen werden                 der Praxis, domänenspezifische Sprachen für
müssten, ist der konkrete Vorschlag der Stu-                  die Beschreibung von Gesetzestexten sowie
dienautoren, dass strukturierte, Mensch- und                  welche Werkzeuge, Systeme und auch ggf. or-
Maschinen-verständliche Regelungen, die die                   ganisatorische und strukturelle Anpassungen im
digitale Umsetzung von Gesetzen unmittelbar                   Gesetzgebungsprozess erforderlich sind.
legitimieren und rechtssicher gestalten im Rah-
men von Gesetzgebungsverfahren anstelle von
aus Sicht der IT rein informellen juristischen                1.3 Aufbau der Kurzstudie
Regelungen verabschiedet werden sollen. Ziel
dieser Studie ist es daher – auch um die Voraus-              Die Studie ist wie folgt aufgebaut: Kapitel 2 gibt
setzungen für das vorgeschlagene Instrument                   einen Überblick über bestehende wissenschaft-
auszuloten und Überzeugungsarbeit für dessen                  liche Ansätze sowie Ansätze aus der Praxis,

2   So verfolgt das Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts vom 26.11.2019, BGBl. I 2019, 1794 zwar den
    Gedanken einer automatisierten Veranlagung, was sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung im entsprechenden
    Referentenentwurf entnehmen lässt, ohne jedoch konkret auf die digitale Umsetzung einzugehen.

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                                    7
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
beschreibt die im weiteren verwendete Termino-            wählte Beispiele und deren Realisierung mittels
logie und die wichtigsten Basisprinzipien zum             einer domänenspezifischen Sprache. Kapitel 4
weiteren Verständnis der Studie und diskutiert            beschreibt eine Reihe von Empfehlungen für die
juristische Vorgaben und Herausforderungen.               Umsetzung. Das letzte Kapitel fasst die Studie
Kapitel 3 beschreibt die Lösungsansätze für               zusammen und bietet einen Ausblick auf mög-
Steuergesetze, diskutiert mögliche Varianten              liche nächste Schritte.
und bietet einen genaueren Einblick in ausge-

2. WISSENSCHAFTLICHER UND
PRAKTISCHER HINTERGRUND

2.1 Aktuelle Diskussion in Praxis und                     Vorhergehende NEGZ Kurzstudien, z.B. die Stu-
Wissenschaft                                              die „Vollzugsorientierte Gesetzgebung durch
                                                          eine Vollzugssimulationsmaschine“ (Schuppan
Dieses Kapitel greift bisherige Diskussionen in           et al. 2018) gehen auf die „gute“ Formulierung
der Wissenschaft und Praxis auf, um ggf. An-              von Gesetzen ein, um die Vollzugsfähigkeit zu
knüpfungspunkte für einen weiterführenden                 ermöglichen. Hierbei wird auch diskutiert, dass
Austausch zu schaffen.                                    beispielsweise das Projekt eGesetzgebung3 den
                                                          Vollzug von Gesetzen nicht ausreichend im Blick
Betrachtet man wie Gesetze formuliert sind, so            hat. Die Studie schlägt basierend auf (Off, Kühn,
bestehen hier zunehmend Probleme bezüglich                Schuppan 2016) drei Schritte vor, mit denen
der Digitaltauglichkeit und Automatisierungs-             man vom Gesetz zum Vollzug kommt: Der Ge-
fähigkeit des Vollzugs (siehe auch Gutachten im           setzestext, die Übersetzung in eine Ontologie
Auftrag des Normenkontrollrats (McKinsey &                und die Transformation in Prozesse mit Hilfe von
Company, Inc. 2019)). Hierzu meint bereits                Referenzprozessmodellen, die dann zur Simula-
Parycek, dass ein „Gesetz so formuliert wird, dass        tion des Vollzugs verwendet werden. Dieser An-
der Text auch für eine Maschine lesbar ist“ (KON-         satz macht aber die Annotation von Gesetzes-
SENS magazin, Heft 2, Dez. 2019, Seite 18). Die           texten, also das Hinzufügen von zusätzlichen
Möglichkeiten der Automatisierung wird jedoch             Informationen notwendig, um weiter verarbeit-
bedingt durch (bewusst) fehlende Spezifikatio-            bar zu sein. Dies stellt wiederum einen kritischen
nen eingeschränkt wie z.B. fehlende Orts- oder            Punkt dar, da hierbei Übersetzungsfehler auf-
Zeitangaben oder Formulierungen, die Ermes-               treten können.
sensspielräume ermöglichen (Kar et a. 2019). So
gehen manche Studienautoren davon aus, dass               Bezüglich der Beschlussfassung von Gesetzen
nur eine Teilautomatisierung möglich ist (Kar et          gibt es bereits eine Vielzahl an Anregungen zur
al. 2019, Seite 11). Auch (Barthel 2020) geht da-         Verbesserung aus der Wissenschaft und Ver-
von aus, dass „keine Eins-zu-Eins-Übersetzung             waltung. Hierzu erklärt Parycek „Gesetz und
der analogen in digitale Prozesse möglich“ ist.           Code sollten gemeinsam beschlossen werden,

3   BMI: Projekt eGesetzgebung, URL: https://www.verwaltung-innovativ.de/DE/Gesetzgebung/Projekt_eGesetzgebung/
    projekt_E_gesetzgebung_node.html, abgerufen am: 1.2.2021.

8                Berichte des NEGZ
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
sodass sich die digitale Welt nicht vom Rechts-                der Studienintention zu unterstützen. Vielmehr
staat loslöst.“ (KONSENS Magazin, Heft 2,                      setzt FIM bei der Umsetzung an. Die Wahl
Dez. 2019, Seite 18). Einen Ansatz, wie man die                von JavaScript für die Definition von Regeln
digitale Vollzugstauglichkeit bereits im Gesetz-               erscheint vor dem Hintergrund einer seit über
gebungsprozess berücksichtigen kann wird in                    10 Jahren etablierten DSL im Bereich von
(Kar et al. 2019) beschrieben. Bei diesem Ansatz               ELSTER nicht nachvollziehbar.
setzt man auf Entscheidungsregeln, Begriffs-
definitionen und Datenverknüpfungen für die                    (Ruß, Ismer und Margolf, 2019) gehen auf eine
Überführung rechtlicher Vorschriften in ausführ-               Reihe von praktischen Anwendungen ein, u.a.
baren Software Code. Im Gegensatz dazu setzt                   zur Automatisierung im Verfahrensrecht sowie
unser Ansatz auf domänenspezifische Sprachen                   die Nutzung von Methoden der künstlichen
zur Definition dieser Übersetzung in ausführ-                  Intelligenz im Besteuerungsverfahren. Auch
baren Software Code.                                           wenn die Nutzung von schwacher KI, also der
                                                               Unterstützung von Menschen bei der Problem-
Es gibt aktuell bereits einige Bereiche des                    lösung, grundsätzlich zu begrüßen ist, so bieten
Rechts für die IT-Lösungen bestehen, z.B. den                  diese Technologien substanzielle Herausforde-
Verwaltungsvollzug oder Bereiche des Steuer-                   rungen: Eigenheiten in den Trainingsdaten kön-
gesetzes, oft auch Legal-Tech genannt.                         nen Ergebnisse ungewollt beeinflussen und die
                                                               Erklärbarkeit der Ergebnisse ist nicht immer ge-
Das Föderale Informationsmanagement (FIM)4                     geben. Auch aktuelle Parlamentarische Anfra-
verfolgt gemäß eigenen Aussagen das Ziel,                      gen5 beschäftigen sich mit der Frage nach der
leicht verständliche Bürgerinformationen, ein-                 Maschinenlesbarkeit von Gesetzen. Hierbei wird
heitliche Datenstrukturen für Formulare und                    in der Beantwortung auf automatisierte Metho-
standardisierte Prozessvorgaben für den Ver-                   den zur Textanalyse sowie die Nutzung von
waltungsvollzug bereitzustellen. Die Anwen-                    KI-Methoden eingegangen. Wenngleich solche
dung der FIM-Methodik soll gemäß IT-Planungs-                  Methoden als Unterstützung verwendet werden
rat und FITKO den Prozess von der Rechtsetzung                 können, so stellt die Interpretation von natür-
bis zum Vollzug eines Verwaltungsverfahrens                    lichsprachlichen Texten nach wie vor eine Auf-
vereinfachen. Ziel ist es, den Übersetzungs-                   gabe dar, die nicht ohne händische Nachbes-
und Implementierungsaufwand rechtlicher Vor-                   serungen und Überprüfungen auskommt. Zur
gaben zu senken. Länder und Kommunen sollen                    Verbesserung werden hierfür bspw. Annotatio-
– bezogen auf die redaktionelle und organisato-                nen im Text vorgenommen (Schuppan, Köhl und
rische Umsetzung eines Verwaltungsverfah-                      Off 2019), die jedoch egal ob automatisch, halb-
rens – nicht mehr für sich alleine agieren müs-                automatisch oder manuell vorgenommen, oft
sen. Stattdessen können sie auf Vorarbeiten der                fehlerhaft sind und dadurch die Ergebnisse wie-
nächsthöheren Verwaltungsebene zurückgrei-                     der „verunreinigen“ (Meurers und Müller 2009).
fen. Von den drei FIM Bausteinen Leistungen,
Datenfelder und Prozesse spielen in dem Kon-                   Mit der Digitalisierung von Gesetzen gehen aber
text der Digitalisierung der Gesetzgebung ins-                 auch eine Reihe an Herausforderungen einher:
besondere die Datenfelder und Prozesse eine                    Fehlerhafte Interpretationen, fehlende Kenntnis-
wichtige Rolle. Eine domänenspezifische Spra-                  se oder die Anpassung der IT an laufende Ge-
che ist dabei aber nach dem aktuellen Stand                    setzesänderungen.
durch FIM nicht vorgesehen. Stattdessen ist an-
gedacht Regeln, soweit überhaupt möglich, als                  Die Übersetzung der Gesetzestexte in IT-Sys-
JavaScript Dateien zu erfassen. Damit erfüllt das              teme, die zuvor bereits durch die Verwaltung
Vorgehen von FIM bereits theoretisch nicht den                 interpretiert wurden (siehe Abb. 1), kann leicht
Anspruch, den Gesetzgebungsprozess gemäß                       zu fehlerhaften Umsetzungen in den IT-Syste-

4   siehe https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/foerderales-
    informationsmanagement/foerderales-informationsmanagement-node.html abgerufen am: 1.2.2021.
5   Siehe Frage 16 in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der FDP, BT-Drs. 19/19733, abrufbar unter:
    https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/197/1919733.pdf abgerufen am: 1.2.2021.

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                                    9
DIGITALISIERUNG DER GESETZGEBUNG ZUR STEIGERUNG DER DIGITALEN SOUVERÄNITÄT DES STAATES - BERICHTE DES NEGZ NR. 19
men führen (Ruß, Ismer und Margolf, 2019,          Im Gutachten im Auftrag des Normenkontroll-
S. 413). Auch in (Ruß, Ismer, und Margolf, 2019)   rats (McKinsey & Company, Inc. 2019) werden
werden hierzu einige Meinungen zitiert, die u.a.   darüber hinaus Stärken und Defizite des aktu-
warnen, dass Programmierern nicht die Gestal-      ellen Gesetzgebungsprozesses aufgeführt. Als
tung des Rechts überlassen werden soll, son-       Stärken werden u.a. die umfassende Rechtskon-
dern vorschlagen, das Gesetz besser an die         sistenzprüfung, die Berechnung des Erfüllungs-
technischen Gegebenheiten anzupassen. Das          aufwands von Gesetzesänderungen, der regel-
widerspricht nicht gänzlich anderen Ansätzen       mäßige Austausch mit den Ländern, eine enge
wie z.B. in dem Gutachten des Normenkontroll-      Einbindung von organisierten Interessen, eine
rats, das davon ausgeht, dass Legisten zu Ge-      hohe Sachkompetenz in den Ressorts und ein
setzesarchitekten und Lösungsdesignern aus-        hoher sprachlicher Standard in den Gesetzen
gebildet werden sollten (McKinsey & Company,       erwähnt. Diese Stärken können durch die Nut-
Inc. 2019) was damit eine Weiterentwicklung        zung von Modellen verstärkt werden, wenn
des Berufsbilds Juristin!/!Jurist bedeutet (An-    bspw. Rechtskonsistenzprüfungen auf Modell-
zinger 2020). Zudem werden interdisziplinäre       ebene einfacher durchgeführt werden können.
Teams aus Juristen, Betriebswirten, Informati-     Als Schwächen werden 1) die Beschränkung des
kern zunehmend wichtig (Ruß, Ismer und Mar-        Lösungsraums durch frühe Festlegung auf kon-
golf, 2019).                                       krete Maßnahmen, 2) der wenig systematische
                                                   Vergleich von Lösungsalternativen, 3) eine un-
Ein anderer Aspekt ist die grundsätzliche          zureichende Sicht auf den kommunalen Vollzug,
Digitaltauglichkeit von Gesetzen. Hierfür wer-     4) die lückenhafte Beteiligung der Betroffenen,
den bspw. Digitaltauglichkeitschecks gefordert     5) fehlende systematische Prüfung der Digital-
(McKinsey & Company, Inc. 2019). Durch die         tauglichkeit, 6) die geringe Nutzung von moder-
Definition von Modellen, die dann automatisiert    nen Kollaborationsformen, 7) der einseitige Fokus
in IT-Systeme übertragen werden können, ist        auf den Erfüllungsaufwand, 8) die hohe Anfor-
bereits ein großer Teil der Digitaltauglichkeit    derungsdichte sowie 9) das fehlende umfas-
abgedeckt. Die automatisierte Transformation       sende Ausbildungskonzept für Legisten gese-
in IT-Systeme bedeutet jedoch nicht, dass Pro-     hen. Diese Defizite werden in Abschnitt 3.4 im
zesse gänzlich automatisiert werden müssen.        Hinblick auf unseren Ansatz zusammenfassend
Die IT kann auch weiterhin als Assistenz- bzw.     diskutiert.
Expertensystem zur Unterstützung der Ver-
waltung eingesetzt werden (Ruß, Ismer und
Margolf, 2019).                                    2.2 Wichtige IT Begriffe und Prinzipien

Gesetze, wie z.B. die Abgabenordnung (AO),         Im Folgenden erläutern wir die wichtigsten Be-
müssen auf den gesellschaftlichen Wandel an-       griffe, die für das weitere Verständnis der Studie
gemessen reagieren können (Bundesministeri-        relevant sind. Es gibt eine Reihe von grund-
um der Finanzen (BMF) Monatsbericht Novem-         legenden Ansätzen, um Begrifflichkeiten und
ber 2019) und entwickeln sich auch in Zukunft      deren Beziehungen zu beschreiben und maschi-
laufend weiter (Drüen 2019). Hinzu kommt aber      nell zu verarbeiten (Blumauer und Pellegrini
auch, dass die entsprechenden technischen Ge-      2006).
gebenheiten geschaffen werden müssen, um
diese Änderungen von Gesetzen auch zeitnah         Ansätze wie Glossare, Taxonomien (Sherwin
in der IT umsetzen zu können. Aus Erfahrungen      2009), Thesauri oder Ontologien (Guarino et al.
der mgm technology partners gmbh Koautoren         2009, Gruber 1993, Borst 1997, Smith et al. 2006,
wurde mit der Nutzung von DSLs diese rasche        Blumauer und Pellegrini 2006) sind (a) nicht
Reaktionszeit bereits gezeigt: So war es durch     ausreichend um bspw. komplexere Zusammen-
die Verwendung von Modellierungstechniken          hänge und Abläufe zu beschreiben und (b) er-
z.B. möglich das Formular zur Steuerlichen Ent-    möglichen zwar die Maschinenlesbarkeit, sind
lastung wegen COVID-19 (Steuererleichterun-        jedoch für menschliche Benutzer ungeeignet.
gen aufgrund der Auswirkungen des Corona-          Daher sind für die Beschreibung von Gesetzes-
virus) innerhalb weniger Tage für bestimmte        texten domänenspezifische Sprachen hilfreich,
Bundesländer online zu stellen. Die Handlungs-     die es ermöglichen auch auf diese Aspekte
fähigkeit des Staates in Krisensituationen kann    Rücksicht zu nehmen.
also durch die Nutzung von DSLs gleichfalls ver-
bessert werden.

10             Berichte des NEGZ
Einige Herausforderungen im Software Engin-                   Die Verarbeitung natürlicher Sprache ist und
eering bestehen auf Grund der konzeptionellen                 bleibt für IT-Systeme eine Herausforderung,
Lücke zwischen der Problemstellung (Problem-                  auch wenn Methoden der Computerlinguistik
domäne) und der softwaretechnischen Lösung                    oder künstlichen Intelligenz verwendet werden.
für dieses Problem (Lösungsdomäne). Die Über-                 So machen z.B. Homonyme und Synonyme
windung dieser Lücke durch handgeschriebe-                    von Begriffen oder Referenzen auf andere Satz-
nen Code erfordert einen immensen Aufwand                     teile die automatisierte, fehlerfreie Verarbeitung
und führt zur sogenannten „zufälligen Komplexi-               schwierig und es bedarf menschlichen Eingriffs,
tät“ (France und Rumpe 2007), d.h. Problemen                  um etwaige letzte Fehler auszugleichen. For-
der Lösungsdomäne, die in der Problemdomä-                    male Sprachen, wie in DSLs definiert, sind für
ne konzeptionell nicht relevant sind. Modell-                 IT-Systeme gut verarbeitbare Sprachen und er-
getriebene Software Entwicklung (Völter et al.                möglichen die Automatisierung. Die juristische
2013b) ist ein Überbegriff für Software-Entwick-              Fachsprache ist durch ihre gute Strukturierung
lungsmethodologien, die Modelle als primäre                   und relativ starke Begriffssicherheit bereits nä-
Entwicklungsartefakte einsetzen. Damit ist es                 her an einer formalen Sprache und eignet sich
möglich die konzeptionelle Lücke und damit die                daher gut für die automatisierte Verarbeitung in
zufällige Komplexität zu verringern. Die Model-               Form einer DSL.
le werden dazu verwendet, um beispielsweise
Code einer Anwendung zu generieren bzw. die-                  Für die maschinelle Verarbeitung von Sprachen
se zu interpretieren und zur Laufzeit eines Sys-              ist die Syntax und die Semantik der Sprache
tems zu verwenden. Die Automatisierung im                     wichtig. Die Syntax einer Sprache (eines Zei-
Rahmen der modellbasierten Softwareentwick-                   chensystems) beschreibt die Regeln, nach denen
lung (MDSE), wie z.B. die Codegenerierung, er-                die Sprachkonstrukte (Zeichen des Zeichensys-
fordert entsprechende Modellierungssprachen,                  tems) gebildet werden. Mittels einer Grammatik
die beschreiben, welche Modelle tatsächlich gül-              definiert man die konkrete Syntax einer Sprache.
tig sind, um deren automatisierte und sinnvolle               Verwendet man eine DSL, so verwendet man
Verarbeitung zu ermöglichen.                                  wohlgeformte Sätze (oder Modelle (Stachowiak
                                                              1973)), denen zudem eine eindeutige Semantik
Eine Domänen-spezifische Sprache oder auch                    zugeordnet werden kann. Diese Funktionen-
Domänen-spezifische Modellierungssprache ge-                  semantik beschäftigt sich mit den Effekten einer
nannt ist eine formale Sprache (im Gegensatz                  Programmausführung (Thiemann 1994).
zur natürlichen Sprache), die für ein bestimmtes
Problemfeld, die sogenannte Domäne, entwor-
fen und entwickelt wird. Sie ist also auf die An-             2.3 DSLs für Gesetze und Verträge
wendungsdomäne zugeschnitten, um Problem-
stellungen einer Domäne kompakt zu lösen                      Die Unified Legal Language (ULL) ist eine Be-
(Völter et al. 2013a). DSLs zeichnen sich durch               schreibungssprache (Lang 2002), mit der juris-
weniger Redundanz, eine bessere Lesbarkeit,                   tische Regelungen modelliert werden können.
der Abstraktion von technischem Code und eine                 Die ULL wurde zur Darstellung von steuerrecht-
leichtere Erlernbarkeit, aufgrund des beschränk-              lichen Regelungen erprobt. Die methodische
ten Umfangs aus. Im Gegensatz dazu spricht die                Anwendung der ULL besteht darin, sie parallel
Informatik von universell einsetzbaren Spra-                  zu natürlichsprachlichen Gesetzestexten einzu-
chen (eng. General Purpose Language, GPL),                    setzen. Zwar ist die Syntax der Gesetzestexte
die für viele Anwendungsgebiete geeignet sind                 nicht gleich zu ihrer syntaktischen Repräsen-
und dadurch meist auch eine hohe Anzahl von                   tation in der ULL, semantisch sollen die ULL Mo-
Konzepten realisieren. Dazu zählen unter ande-                delle jedoch äquivalent zu den entsprechenden
rem die Standards UML6 und SysML7.                            Gesetzestexten sein. Die Abbildung der Geset-

6   Unified Modeling Language, Specification Version 2.5.1, Object Management Group, URL: https://www.omg.org/spec/UML,
    abgerufen am: 17.02.2021.
7   OMG System Modeling Language: Specification Version 1.5, Object Management Group, URL: https://www.omg.org/
    spec/SysML/1.5, abgerufen am 17.2.2021.

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                                    11
zestexte würde dann computergestützte Ana-            nicht modelliert, sondern direkt verarbeitet. In
lysen und Auswertungen erlauben. Die Syntax           Fällen, in denen klassische Parsing-Algorithmen
und Semantik der ULL werden intuitiv beschrie-        keine sinnvollen Ergebnisse erzielen, könnte
ben, ohne die Syntax oder Semantik formal zu          statistisches Parsen eine wichtige Technologie
definieren oder ein Codegenerierungsschema            zum Parsen von komplexen juristischen Texten
bzw. eine Referenzimplementierung eines Inter-        sein.
preters einzuführen. Dies erschwert die Imple-
mentierung von Analysen und Auswertungen.             ROSIE ist eine Programmierumgebung für die
                                                      Entwicklung von Expertensystemen (Sowizral
Ein Ansatz zur Modellierung von Verträgen be-         et. al. 1985). ROSIE ist zwar nicht auf die Rechts-
züglich der Ausstrahlungsrechte von verschie-         domäne spezialisiert, jedoch kann man mit
denen Angebotsformen in der Fernsehdomäne             ROSIE Expertenwissen durch Fakten und Re-
wird in (Drave et al. 2020) vorgestellt. Die          geln darstellen, deren Syntax sehr stark an na-
Modelle bilden korrekte Planungszustände von          türlicher Sprache angelehnt sind. ROSIE kann
Ausstrahlungen ab. Die Planungszustände der           zwar an natürlicher Sprache angelehnte Model-
Ausstrahlungen können bezüglich des Modells           le verarbeiten, jedoch bei weitem nicht beliebige
automatisch auf Korrektheit überprüft werden.         natürlichsprachliche Texte. Weiterhin ist ROSIE
Des Weiteren kann für eine gegebene Ausstrah-         darauf spezialisiert ein auf den Fakten und
lung bezüglich des Modells und des aktuellen          Regeln basierendes Expertensystem bereitzu-
Planungszustands automatisch eine Menge von           stellen und ist somit nicht optimal für alle An-
Verwertungsfenstern berechnet werden, in de-          wendungen geeignet. Simple Beispiele für die
nen die gegebene Ausstrahlung verplant wer-           Anwendung von ROSIE in der Rechtsdomäne
den kann, sodass der entstehende Planungs-            sind in (Lusti 1986) zu finden.
zustand bezüglich des Modells korrekt ist. In
(Drave et al. 2020) werden die Syntax und die         Ein kürzlich verfasster Aufsatz (Kar et al. 2019)
Semantik informell erklärt, indem die Algorith-       zur digitalen Vollzugstauglichkeit von Gesetzen
men für die Korrektheitsprüfung und Verwer-           beschäftigt sich mit Maßnahmen, die zur (Teil-)
tungsfensterberechnung beschrieben werden.            Automatisierung des Gesetzesvollzugs beitra-
                                                      gen. Es wird argumentiert, dass die Digitalisie-
Die Language for Legal Discourse (LLD) ist eine       rung von Verwaltungsprozessen Potentiale für
Wissensrepräsentationssprache, die speziell für       einen effizienteren Vollzug birgt. Um diese zu
juristische Probleme entwickelt wurde (McCarty        gewährleisten, müssten die Möglichkeiten digi-
1989). Das praktische Ziel der Sprache besteht        taler Technologien jedoch schon bei der Ent-
in der Anwendung in Kombination mit einem             wurfsphase von Gesetzen bedacht werden. In
integrierten Analyse- und Planungssystem. Die         (Kar et al. 2019) thematisieren die Autoren, dass
juristische Problemlösung erfolgt durch Adap-         die Maschinenverständlichkeit des Rechts in der
tion der menschlichen, juristischen Heran-            Entwurfsphase von Gesetzen und Verordnun-
gehensweise. Die Sprache kann hauptsächlich           gen beachtet werden sollte. Die vorliegende
dazu genutzt werden, um Fakten aus Regeln zu          Studie argumentiert in die gleiche Richtung und
inferieren. Die Syntax der LLD ist künstlich, nicht   schlägt vor, dies unter anderem mit dem Einsatz
natürlichsprachlich, und orientiert sich damit        von DSLs zu erreichen. Im Gegensatz dazu be-
nicht an der juristischen Domäne. Eine solche         trachtet (Kar et al. 2019) den Fall, dass juristi-
künstliche, domänenfremde Syntax könnte ne-           sche Regeln direkt in einer Programmiersprache
gative Auswirkungen auf die Akzeptanz dieser          abgebildet werden. Sowohl die vorliegende Stu-
Sprache bei Domänenexperten haben.                    die als auch (Kar et al. 2019) argumentieren,
                                                      dass es dafür zwingend notwendig ist, dass ein
McCarty argumentiert, dass Natürlichsprach-           sinnvoller Umgang mit Mehrdeutigkeiten und
lichkeit eines der größten Hindernisse ist, um in     Kontextabhängigkeiten von Rechtsbegriffen ge-
der Kombination von künstlicher Intelligenz und       funden wird. Ansonsten können die Rechts-
der Rechtsdomäne Fortschritte zu erzielen             begriffe nicht als präzise und (teil-)automatisch
(McCarty 2007). McCarty zeigt, dass mithilfe          ausführbare Regeln umgesetzt werden. Es wird
von statistischem Parsern und semantischer            argumentiert, dass der Einsatz von DSLs zur
Interpretation automatisch bestimmte Informa-         Modellierung von Baumdiagrammen und Pro-
tionen aus einer juristischen Argumentation be-       zessen sinnvoll wäre. Entscheidungsregeln, wel-
züglich eines Sachverhalts berechnet werden           che traditionell in linearen Rechtstexten kodiert
können. Die Argumentationen werden somit              sind (Wenn-Dann-Regeln), könnten als Baum-

12             Berichte des NEGZ
diagramm dargestellt werden, um die Nachvoll-                 setze undenkbar wäre, bei denen der Richter
ziehbarkeit zu erhöhen. Dies würde Software-                  nach Ermessen eine Entscheidung fällen kann.
entwicklern helfen, da sie klare und präzise                  Die Validität dieser Folgerung ist fragwürdig,
Vorgaben bräuchten. Diese Baumdiagramme                       denn auch ein Automatismus, der berechnet,
würden auch als visuelle Verständigungshilfe                  dass ein Ermessen des Richters notwendig ist,
zwischen unterschiedlichen Expertengruppen                    wäre sicherlich in vielen Fällen hilfreich. Ein
dienen können (z.B. Juristen und Softwareent-                 Algorithmus muss nicht immer eine exakte
wicklern). Rechtliche Vorschriften könnten ex-                Rechtsfolge bestimmen, sondern könnte auch
plizit durch Prozessabläufe während des Ent-                  die Unterspezifikation wie sie im Gesetzestext
wurfs modelliert werden. Dadurch ließen sich                  beschrieben ist, umsetzen, um die Menge aller
die Praxistauglichkeit und Aufwände für Anwen-                möglichen Entscheidungen zu berechnen, die
dungsfälle besser abschätzen. Diese Studie                    im Ermessensspielraum liegen können.
argumentiert für den Einsatz mehrerer speziel-
ler DSLs für verschiedene spezielle Anwen-                    Bench-Capon und Prakken listen einige Heraus-
dungsfälle.                                                   forderungen und offene Forschungsrichtungen
                                                              im Kontext der Benutzung von Logik in der
Die LegalLanguage (Soares et. al. 2020) ist eine              Rechtsdomäne auf (Bench-Capon et. al. 2007).
künstliche Sprache mit deren Benutzung die                    Die Autoren argumentieren, dass sich klassische
Struktur von Gesetzestexten per Konstruktion                  Logik nur begrenzt auf die Rechtsdomäne an-
systematisch aufgebaut wird. Durch das Benut-                 wenden lässt und schlagen die Untersuchung
zen einer eingeschränkten, künstlichen Sprache                der Anwendungsfelder von Beschreibungslogi-
würden verschiedene Arten von Beziehungen                     ken in der Rechtsdomäne für zukünftige Arbei-
zwischen Gesetzestextausschnitten besser ver-                 ten vor.
waltet werden können. Die Sprache, wie in
(Soares et. al. 2020) vorgestellt, zielt nicht auf            Eine Übersicht über verschiedene Ontologien
die Analyse der Semantik von Gesetzestexten,                  und mögliche Anwendungen in der Rechtsdo-
sondern ausschließlich auf die syntaktische                   mäne wird in (Mommers 2010) präsentiert. Der
Struktur von Gesetzestexten ab. Das Hinzufü-                  Autor stellt heraus, dass die Rechtsdomäne auf
gen entsprechender Beschreibungen der Se-                     natürlicher Sprache basiert. Obwohl die verwen-
mantiken würde in zukünftigen Arbeiten be-                    dete Sprache in der Rechtsdomäne von forma-
trachtet werden (Soares et. al. 2020). Obwohl                 ler Natur sei, würde sie dennoch nicht so formal
eine strukturierte und wohldefinierte Beschrei-               wie beispielsweise eine Programmiersprache
bung von Gesetzestexten sinnvoll ist, damit sie               oder eine Logiksprache sein. Daher gäbe es we-
auf sinnvoller Weise maschinenverarbeitbar sind,              der eine formale Syntax noch eine formale Se-
genügt die Vorgabe einer syntaktischen Struk-                 mantik für die verwendete Sprache. Jeder An-
tur ohne eine Beschreibung des Verhaltens al-                 satz, um diese Sprache zu repräsentieren würde
leine nicht, um eine sinnvolle (Teil-)Automatisie-            an diese Herausforderung stoßen, da für eine
rung der Gesetzesanwendung zu unterstützen.                   Sprache zur Repräsentation mindestens eine
                                                              formale Syntax gegeben sein müsste, um auto-
                                                              matische Analysen zu ermöglichen, und eine
2.4 Ontologien für die Gesetzesdomäne                         formale Semantik gegeben sein müsste, damit
                                                              die Bedeutungen der Modelle der Sprache ein-
Es gibt einige Ansätze zur Konzeptualisierung                 deutig definiert sind. Die Anwendungsfelder, die
der Gesetzesdomäne. Die Ansätze versuchen                     der Autor nennt, sind unter anderem (1) Infor-
insbesondere die Beziehungen zwischen den                     mationsbeschaffung, um Relationen zwischen
Konzepten (eines Teils) der Rechtsdomäne dar-                 Objekten zu identifizieren, (2) Rechtsdokumen-
zustellen, um automatische Berechnungen zur                   te übersetzen, um Rechtsdokumente von einer
Unterstützung von Rechtsprozessen zu ermög-                   Sprache in eine andere zu übersetzen, (3) auto-
lichen.                                                       matische Klassifizierung und Zusammenfas-
                                                              sung, um Informationen aus Dokumenten zu
Auf einige regelbasierte Expertensysteme für                  beschaffen, und (4) Entscheidungshilfen für re-
die Gesetzesdomäne wird in (McCarty 1990)                     gulierte Rechtsprozesse.
verwiesen. Eine anschauliche Einführung zu Ex-
pertensystemen in der Rechtsdomäne wird in                    Das Legal Knowledge Interchange Format ist
(Lusti 1986) gegeben. Der Autor folgert, dass                 eine Kern-Ontologie, die zum Austausch von
eine Automatisierung der Rechtsfindung für Ge-                Wissen zwischen existierenden wissensbasier-

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                           13
ten Systemen in der Gesetzesdomäne konzi-             über 10 Jahren fachliche Modelle der steuer-
piert wurde (Hoekstra et. al. 2007). Die Haupt-       lichen Formulare erfasst, die sowohl als Doku-
nutzen der Ontologie bestünden darin, (1) Daten       mentation für die verschiedenen Software-
zwischen existierenden Wissensbasen konver-           Hersteller als auch zur Generierung des Prüf- und
tieren zu können und (2) die Ontologie als einen      Berechnungscodes verwendet werden. Die ver-
Wissensrepräsentationsformalismus zu benut-           wendete domänenspezifische Sprache ist zu-
zen, der als Teil größerer Architekturen zum Ent-     geschnitten auf die Plausibilisierung und Be-
wickeln von wissensbasierten Systemen in der          rechnung der Steuerdaten und ist sowohl
Gesetzesdomäne verwendet werden könnte.               menschenlesbar als auch maschinell verarbeit-
                                                      bar. Die Sprache wird seit über 10 Jahren in
Ein Vergleich von vier Ontologien für den Ent-        ELSTER produktiv eingesetzt und kontinuierlich
wurf von wissensbasierten Systemen in der Ge-         erweitert (siehe Abbildung 2).
setzesdomäne wird in (Visser und Bench-Capon
1998) präsentiert. Die Autoren stellen unter an-      Durch die Verwendung von Fachmodellen, die
derem heraus, dass es keine klare Übereinkunft        von der Finanzverwaltung direkt erfasst werden,
darüber gibt, was die elementaren Konzepte in         wird eine digitale Souveränität im Bereich von
der Gesetzesdomäne sind. Dies könnte daran            ELSTER bereits sehr weitgehend unterstützt.
liegen, dass verschiedene Arbeiten unterschied-       Wie bereits zuvor erwähnt, konnte z.B. das
liche Zwecke innerhalb der Gesetzesdomäne             Formular zur Steuerlichen Entlastung wegen
verfolgen. Eine weitere Übersicht von Ontolo-         COVID-19 (Steuererleichterungen aufgrund der
gien in der Gesetzesdomäne ist in (Soares et. al.     Auswirkungen des Coronavirus) innerhalb we-
2020) zu finden.                                      niger Tage im MeinElster Portal für bestimmte
                                                      Bundesländer produktiv geschaltet werden. Die
                                                      Erfassung des fachlichen Modells zur Steuerent-
2.5 Erfahrungen aus der Praxis: ELSTER                lastung wegen COVID-19 umfasste 86 Felder
                                                      und 55 fachliche Regeln.
Dieser Abschnitt schildert Erfahrungen der mgm
technology partners gmbh Koautoren dieser             Auch die Plausibilisierung und Berechnung um-
Studie mit der Nutzung von DSLs in der Praxis.        fangreicher Steuern, wie z.B. für die Körper-
                                                      schaftsteuer (über 2.500 Felder und über 2.800
Im Rahmen von ELSTER (elektronische Steuer-           Regeln), werden von den Steuer-Fachreferaten
erklärung) werden bereits heute von der deut-         mit Hilfe der domänenspezifischen Sprache
schen Finanzverwaltung detaillierte Fach-             spezifiziert. Aufgrund von regelmäßigen Geset-
modelle des deutschen Steuerrechts erstellt, mit      zesänderungen, wird für die Körperschaftsteuer
denen die Plausibilisierung der Daten einer           für jedes Veranlagungsjahr ein eigenes Fach-      Hohes
Steuererklärung und die Berechnung der Steuer         Modell spezifiziert.                           Mengengerüst
modellbasiert erfolgt. ELSTER hat dazu seit

                                                                                                          Abbildung 2:
                                                                                                          Überblick über
                                                                                                          die Entwicklung
           157.062                           298.458                                 590                  von ELSTER
                                                                                                          im Mai 2020.
               Regeln                            Felder                    Datenarten (Jahresversionen)

         4.633.286                         8.320.550                               8.644
      Regelversionen insgesamt           Feldversionen insgesamt            Versionsstände insgesamt

             7.971                            29.827                             485.166
        VaSt Zuordnungs-Info                  Abbildungen                          Druck-Info

            63.011                           104.600                          12.786.336
      Zuord–Versionen insgesamt           Abbildungsversionen             Druck-Infoversionen insgesamt

14              Berichte des NEGZ
Abbildung 3:
                                                                                                                  Abhängigkeiten
                                                                                                                  zwischen Feldern der
                                                                                                                  Körperschaftsteuer
                                                                                                                  2018; Punkte bezeich-
                                                                                                                  nen Felder, Linien
                                                                                                                  beschreiben fachliche
                                                                                                                  Zusammenhänge wie
                                                                                                                  beispielsweise Aus-
                                                                                                                  schlusskriterien,
                                                                                                                  Berechnungen oder
                                                                                                                  Wertvergleiche.

Abbildung 3 zeigt die Abhängigkeiten für die                  tronischen Formularen in ELSTER umgesetzt
Plausibilitätsprüfungen und Berechnungen zwi-                 werden. Um diesen Arbeitsschritt in den digita-
schen den verschiedenen Feldern einer Körper-                 len Prozess eingliedern zu können und auch um
schaftsteuererklärung. Jeder Punkt entspricht                 Interpretationsfehler zu reduzieren, sollten die
einem Feld in der Steuererklärung, die Linien                 von der Verwaltung umzusetzenden Regelun-
zwischen den Punkten beschreiben Abhängig-                    gen bereits in mensch- und maschinenverständ-
keiten.                                                       licher Sprache durch das Gesetzgebungsverfah-
                                                              ren ausgeliefert werden. Durch diese Form der
Aus den erfassten Fachmodellen wird direkt der                Präzisierung können Abweichungen von der
Prüf- und Berechnungscode generiert. Im Rah-                  vom Gesetzgeber intendierten Gesetzesanwen-
men von ELSTER wird somit der Weg einer mo-                   dung vermieden werden.
dellbasierten automatisiert erstellten Digitali-
sierungs-Software bereits von der deutschen                   Der Umfang der erfassten Modelle und deren
Steuerverwaltung begangen. Ungeachtet des-                    Auswirkungen im produktiven Code im Mein-
sen hat gegenwärtig dennoch zwingend eine                     ElsterPortal lässt sich quantifizieren, indem die
vorgelagerte, analoge Interpretation der gesetz-              Summe der manuell programmierten Zeilen in
lichen Regelungen zu erfolgen, die in den elek-               Bezug zu den aus den Fachmodellen generier-

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                                            15
die Werkzeuge/Editoren.

                     Mein ELSTER                                                            ElsterRules-Generate (268)                                                          Abbildung 4:
                                                                                                                                                                                ELSTER Code
                      521.621                                                                       18.104.205                                                                  Umfang (Lines of
                                                                                                                                                                                Code) im Mai 2020.
                                                                                                               ESt 2019       KSt 2019      COVID
                                                                                                                244.709        206.922      5.630

                      Portal
                     366.521                                                                                       restl. ERU-Generate
            (davon Formular-Engine
                  ca. 50.000 )                                                                                           17.646.944

    ElsterTransfer   Druck    ElsterCrossMailer   Funktionstext   Simulation   Portal     Rest   Est (inkl. VaSt) 2019   Kst (inkl. Mapper) 2019    Steuererleichterung COVID

ten Codezeilen gesetzt wird: Abbildung 4 zeigt                                          (Tipke 1976). Betrachtet man vor diesem Hinter-
schematisch, dass im Mai 2020 etwas über eine                                           grund die aktuellen Entwicklungen auf OECD-
halbe Millionen Zeilen manuell programmierter                                           und EU-Ebene im steuerlichen Bereich, gewinnt
Code 18 Millionen Zeilen generiertem Code ge-                                           man den Eindruck, dass die Komplexität der
genüberstehen.                                                                          Steuergesetze bis heute noch weiter zugenom-
                                                                                        men hat, denn insbesondere mit Fortschreiten
                                                                                        der Globalisierung, steigt gleichermaßen der
2.6 Juristische Rahmenbedingungen für                                                   Regelungsbedarf im Bereich des (internationa-
die Digitalisierung der Gesetzgebung und                                                len) Steuerrechts. Die bereits sehr weit fortge-
von Gesetzen                                                                            schrittene Digitalisierung der Steuer ist sicher-
                                                                                        lich auch auf das Verwaltungsabkommen
2.6.1 Digitalisierungsgrad im Steuerrecht                                               KONSENS aus dem Jahr 2007 zurückzuführen,
                                                                                        das wichtige organisatorische Rahmenbedin-
Wie in Abschnitt 1.1 bereits angesprochen,                                              gungen festgelegt hat. Die Verabschiedung des
könnte eine Erklärung für den bereits heute fort-                                       Gesetzes über die Koordinierung der Entwick-
geschrittenen Automatisierungs- und Digitali-                                           lung und des Einsatzes neuer Software der
sierungsgrad in den Prozessen der Finanzver-                                            Steuerverwaltung (KONSENS-G) im Jahr 2017
waltung sicherlich der Umstand sein, dass                                               und das Gesetz zur Verbesserung des Online-
Steuern grundsätzlich von einer Vielzahl von                                            zugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG), kom-
Steuerpflichtigen im Rahmen von sog. Massen-                                            biniert mit grundsätzlichen Überlegungen der
verfahren erhoben werden und insbesondere                                               Effizienz, wird den Automatisierungs- und Digi-
die schiere Masse an papierbasierten Erklärun-                                          talisierungsgrad in der Finanzverwaltung sicher-
gen, die regelmäßig in den Finanzämtern ein-                                            lich weiter erhöhen.
gehen würde, nicht „händisch“ zu stemmen
wäre. Zum anderen könnte aber gerade auch die                                           Die Anpassung und Einführung von bestimmten
Komplexität des Steuerrechts eine zwingende                                             Regelungen in der AO, die der Verwaltung und
Automatisierung und Digitalisierung von Pro-                                            den Steuerpflichtigen neue digitale und auto-
zessen erfordern. So hat bereits der Steuer-                                            matisierte Möglichkeiten eröffnen, scheint damit
rechtswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Tipke in                                          ein richtiger Schritt. So kann insbesondere unter
den 1970er Jahren die These aufgestellt, dass                                           gewissen Voraussetzungen die Prüfung von
kein Steuerberater und kein Steuerbeamter im                                            Steuererklärungen8 sowie die Steuerfestset-
Finanzamt auch nur annähernd in der Lage sei,                                           zung9 durch die Finanzverwaltung (ausschließ-
die ganze Stoffmasse der Steuergesetze zu                                               lich oder teilweise) automationsgestützt erfol-
überblicken geschweige denn zu beherrschen                                              gen. Der Steuerpflichtige hat hingegen die

8      Vgl. § 88 Abs. 5 AO.
9      Vgl. § 155 Abs. 4 AO.

16                           Berichte des NEGZ
Möglichkeit seine Buchführung und erforderli-                      strengungen anstellen würden, abweichende
che Aufzeichnungen auf Datenträgern vorzu-                         Regelungen zum Bundesmodell auf Grundlage
nehmen10 oder kann bestimmte Unterlagen aus-                       von Art. 72 Abs. 3 Nr. 7 GG zu treffen. Eine Aus-
schließlich auf Datenträgern aufbewahren11.                        arbeitung eines präzisen Modells unter Einsatz
                                                                   einer präzise definierten DSL im Rahmen des
Allerdings genügt es aus Sicht der Studienau-                      Gesetzgebungsverfahrens, wie dies in Abschnitt
toren nicht, wie bereits in Abschnitt 1.1 und 1.2                  2.6.2.6 dargestellt ist, hätte ggf. ebenfalls Ein-
angesprochen, dass das Gesetz lediglich die                        fluss auf das Ergebnis der Reform der Grund-
Möglichkeit des Einsatzes von digitalen Prozes-                    steuer gehabt.
sen erlaubt. Vielmehr sollte ein weiterer Schritt
gegangen werden, mit dem sich die Ausgestal-                       Es ist allerdings anzumerken, dass insbesondere
tungen von Gesetzen konkret an digitalen Mög-                      beim Bewertungsgesetz, welches durch das
lichkeiten ausrichten und entsprechende Rege-                      GrStRefG angepasst worden ist, ein solches
lungen zur digitalen Ausgestaltung enthalten                       Modell (auch nachträglich) einfach einzuführen
sollten. Als ein aktuelles Beispiel kann die                       wäre, da das Gesetz zumindest für die Bewer-
Gesetzesbegründung des Referentenentwurfs                          tung von Grundstücken bereits heute schon ge-
zum Grundsteuer-Reformgesetz (GrStRefG)12,                         naue Anweisungen für die Berechnung der
welches als Reaktion des Gesetzgebers auf die                      Grundsteuerwerte gibt. Vor Erstellung des Mo-
BVerfG-Entscheidung13 über die teilweise Ver-                      dells sollte allerdings Einigung über eine zuge-
fassungswidrigkeit der grundsteuerlichen Be-                       hörige, präzise definierte, allgemein akzeptierte
wertung in seiner aktuellen Fassung zu sehen                       Modellierungssprache erfolgen.
ist, herangezogen werden. In der Gesetzesbe-
gründung wird insbesondere als Ziel des Ge-                        2.6.2 Das Gesetzgebungsverfahren
setzes genannt, eine weitgehend einheitliche
automationsgestützte Erhebung und eine ver-                        2.6.2.1. Ausarbeitung von Modellen im
einfachte und ebenfalls automatisierte Bewer-                      Gesetzgebungsverfahren
tung einzuführen sowie elektronisch vorhan-
dene Daten des Immobilienmarkts und der                            Neben der Untersuchung nach konkreten tech-
Geodateninfrastruktur zu nutzen.14 Trotz der ge-                   nischen Anforderungen an Modelle ist die Er-
nannten Zielsetzung fehlt es im Gesetz selbst                      läuterung der Möglichkeiten der (initialen) Aus-
– soweit ersichtlich – an konkreten Regelungen                     arbeitung von Modellen im Rahmen des
zur digitalen Umsetzung. So merkt der bekann-                      Gesetzgebungsverfahrens nicht minder wichtig.
te Verfassungs- und Steuerrechtler Gregor                          Schließlich ist – zumindest für einen gewissen
Kirchhof dazu an, dass ungeachtet einer digita-                    Übergangszeitraum – davon auszugehen, dass
len Umsetzbarkeit des grundsteuerlichen Be-                        als Vorarbeit für Modelle weiterhin ein aus Sicht
wertungsverfahrens, Fragen zur Digitalisierung                     der IT informeller juristischer Gesetzestext als
nach den beizubringenden Daten nicht beant-                        Vorlage ausgearbeitet werden wird. Je früher im
wortet seien.15 Eine Konkretisierung der digita-                   Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die je-
len Umsetzung des Bundesmodells hätte ggf.                         weiligen Modelle erarbeitet werden, desto we-
dazu geführt, dass ein einfacheres Bewertungs-                     niger Übereinstimmungsprobleme sollten zwi-
verfahren im Bundesmodell etabliert worden                         schen dem informell juristischen Text und den
wäre und möglicherweise weniger Länder An-                         Modellen zu erwarten sein. Auch wenn eine

10 Vgl. § 146 Abs. 5 AO.
11   Vgl. § 147 Abs. 2 AO.
12   Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts vom 26.11.2019, BGBl. I 2019, 1794.
13   BVerfG vom 10.4.2018, 1 BvL 11/14, 1 BvR 889/12, 1 BvR 639/11, 1 BvL 1/15, 1 BvL 12/14, BverfGE 148, 147.
14   Vgl. Referentenentwurf des Gesetzes zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts, S. 86, 89, 90, 91, 92.
15   Vgl. Kirchhof, Die Reform der Grundsteuer und das Maß des Grundgesetzes, Vorläufige Ergebnisse eines Gutachtens
     im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses e. V., III. Das „wertabhängige Mietmodell“ verletzt das Grundgesetz,
     7. Verfassungsverstoß im Vollzug, Verwaltungslasten, Digitalisierung, URL: https://zia-deutschland.de/wp-content/
     uploads/2021/05/G._Kirchhof__Gutachten_ZIA__10.1.20191.pdf, abgerufen am: 1.2.2021.

Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates                                      17
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