Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse

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Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
Dossier

Mehrsprachigkeit
• Sprachentwicklung : Kinder, die mit verschiedenen Sprachen aufwachsen.
• Vom Sprechenlernen
• Kinderarzt Remo Largo: „Hören wir auf mit überstürzten Reformen!”
• Une structure bilingue à Lyon. L’éducation bilingue - un atout pour les enfants ?
• D’une langue à l’autre. L‘éveil précoce aux langues, un atout pour les enfants
• Spracherwerb als Querschnittsaufgabe
n° 3 | 2014
Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
EDITORIAL                                                                       Kanner am Fokus

Chères lectrices et chers lecteurs,

Cette édition du « Kanner am Fokus » est consacrée à un sujet d’actualité
fortement discuté au Luxembourg : le multilinguisme.

Le regard porté vers l’étranger nous paraît particulièrement intéressant,
si l’on est à la recherche de modèle approprié au Luxembourg. D’autres
pays voisins comme la Belgique ou la Suisse sont confrontés eux aussi à
des situations similaires. Leurs expériences à ce sujet peuvent nous être
utiles lors de nos propres réflexions. Dans cette édition, plusieurs articles
abordent la thématique de la promotion linguistique, du bilinguisme ainsi
que du multilinguisme, illustrés par des modèles de bonne pratique auprès
des enfants dans leur quotidien.

Afin de créer des conditions qui permettront une réflexion et une discus-
sion constructive, nous apportons un éclaircissement sur les principaux
termes utilisés dans les phénomènes linguistiques et sociaux.

Cependant, nous remarquons un point commun à tous les modèles de
promotion linguistique : la communication intensive au quotidien offre
des moments privilégiés pour l’apprentissage d’une langue ou même de
plusieurs langues. La curiosité, le plaisir et l’intérêt spontané à la com-
munication doivent être soutenus. Remo Largo résume d’ailleurs bien ce
phénomène : « La langue ne suffit pas à elle seule, il faut des contenus qui
unissent ! » (Interview, p.14)

Par votre expérience sur ce sujet, nous serions heureux d’obtenir des
feed-back ainsi que des suggestions sur le multilinguisme. N’hésitez pas
à nous envoyer un email à l’adresse suivante : kanneramfokus@arcus.lu

Nous vous souhaitons une très bonne lecture ainsi qu’une bonne nouvelle
année !

   Caroline Ruppert     Gérard Albers
 Chargée de Direction		  Directeur
        focus
Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
Kanner am Fokus                                                                     EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,                                         Aktuell					2

mit dieser Ausgabe von „Kanner am Fokus“ wollen wir einen
Beitrag liefern zu einem derzeit sehr aktuellen und viel disku-     Dossier
tierten Thema in Luxemburg: der Mehrsprachigkeit.
                                                                    Sprachentwicklung: Kinder die mit
Dabei ist uns der Blick auf das Ausland wichtig, wenn es darum      verschiedenen Sprachen aufwachsen      5
geht geeignete Modelle für Luxemburg zu suchen. Denn andere
Länder, wie die Schweiz oder Belgien sehen sich mit ähnlichen       Vom Sprechenlernen			12
Situationen konfrontiert. Aus ihren Erfahrungen können wir mit
Sicherheit viel lernen. Mehrere Beiträge beschäftigen sich des-     Interview mit Remo Largo		             14
halb mit „Best Practices“, wie mit Sprachförderung, Bilingualität
und Multilingualität umgegangen wird.                               Une structure bilingue à Lyon		        17

Um die Voraussetzungen für eine konstruktive Diskussion zu          D’une langue à l’autre			              20
schaffen, werden wir in dieser Ausgabe ebenfalls eine Klärung
der wichtigsten Begriffe vornehmen.                                 Spracherwerb als Querschnittsaufgabe   23

Allen erfolgreichen Modellen der Sprachförderung scheint je-        D’Sproochewallis			28
doch etwas gemein zu sein. Sie fokussieren sich auf intensive
Kommunikationssituationen im Alltag, in denen die Neugier und       Lesezeichen				30
die Freude der Kinder am Sprechen lernen und das spontane
Interesse an anderen Sprachen im Mittelpunkt stehen. Auf den        Är Sait					34
Punkt gebracht hat es Remo Largo: „Sprache allein genügt nicht,
es braucht Inhalte die verbinden.“ (Interview S.14)
                                                                    Spilldapp				37
Wir freuen uns auf ihr Feedback, ihre Meinung interes-
siert uns! Schreiben Sie uns auf folgende Emailadresse:
kanneramfokus@arcus.lu                                              Agenda					38

Viel Spaß beim Lesen und ein frohes neues Jahr !                    Impressum				40

  Caroline Ruppert                   Gérard Albers
 Chargée de Direction                 Directeur
      focus

                                                                                                                1
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AKTUELL                                                                           Kanner am Fokus

    Veranstaltungskalender
                               Spielmarkt Sonderthema: Spiel. Satz. Sinn. 19-21 Februar 2015
                               in Remscheid
                              Der Spielmarkt Remscheid 2015 befasst sich mit dem Spiel mit Worten, Sprachspielen,
                              Spielen zur Sprachförderung sowie dem Erzählen von Geschichten. Der Spielmarkt ist
                              bundesweit das größte alljährliche überregionale Fachforum zum spielpädagogischen
                              Erfahrungsaustausch, bei dem rund 60 Institutionen, Gruppen, Initiativen und Fachleu-
                              te ihre Arbeit mit Ausstellungsständen, in kurzen Workshops und mit Fachvorträgen
                              vorstellen. In rund 60 Workshops werden neue Spiele ausprobiert, Diskussionen ge-
                             führt und aktuelle Begebenheiten über spielpädagogische Aktivitäten weitergegeben.
    Auf dem parallel zu den Workshops laufenden Markt wird über neue Materialien und Methoden informiert, es
    gibt Verkaufs- und Ausstellungsstände, Material- und Büchertische, Spielaktionen für Kinder, Jugendliche und
    Erwachsene.
    Weitere Infos: www.spielmarkt.de und www.akademieremscheid.de

                                Didacta: 24-28 Februar 2015 in Hannover

                                Als weltweit größte und Deutschlands wichtigste Bildungsmesse bietet die Didacta
                                den perfekten Überblick über Angebote, Trends und aktuelle Themen in den Berei-
                                chen Kindertagesstätten, Schule/Hochschule, berufliche Bildung/Qualifizierung, Neue
                                Technologien und Ministerien/Institutionen/Organisationen. Ob Lehrer, Erzieher, Aus-
                                bilder, Trainer Hochschulprofessoren oder Entscheidungsträger - Europas wichtigster
                                Bildungsevent ist für jeden ein Muss. Dank der breiten Ausrichtung und thematischen
                                Vielfalt ist die Didacta der Treffpunkt für die verschiedensten Akteure aus dem Bil-
                                dungsbereich. Aktuelle Entwicklungen, Aussichten und Lösungen des Bildungswesens
                               werden in fünf Ausstellungsbereichen präsentiert:
    Kindertagesstätten - Schule/Hochschule - Neue Technologien - Berufliche Bildung/Qualifizierung -
    Ministerien/Institutionen/Organisationen
    Weitere Infos unter : http://www.didacta-hannover.de

    18. Symposion Frühförderung: 26-28 Februar 2015 in Halle (Saale)
    Mit dem Titel „Frühförderung mittendrin – in Familie und Gesellschaft“ wird aufgegriffen, dass die Wirkungsfor-
    schung zur „best practice“ von Frühförderung eindeutig belegt hat, dass deren Effektivität vor allem von der Qua-
    lität und Intensität der Zusammenarbeit mit der Familie abhängt. Vor diesem Hintergrund bedeutet Frühförderung
    immer, die Angebote an der Lebenswelt des Kindes und der Lebenslage der Eltern aus interdisziplinärer Sicht
    auszurichten. „Frühförderung mittendrin“ bedeutet darüber hinaus, die gesellschaftlich veränderten Rahmenbe-
    dingungen im Blick zu haben und die aktuelle Inklusionsdiskussion mit den Ansprüchen der interdisziplinären
    Frühförderung und ihrer speziellen Aufgaben zu thematisieren. Vorträge und Workshops beziehen sich auf fol-
    gende Themen: familiäre Lebenslagen, besondere Entwicklungs- und Förderbereiche der Kinder, das familienori-
    entierte Arbeiten, das inklusive Arbeiten und die Kompetenz der Akteure, die Vernetzung der Beteiligten.
    Weitere Infos : www.fruehfoerderung-viff.de

    Deutscher Kita - Kongress: 25. bis 26. März 2015 in Mülheim an der Ruhr
    Der deutsche Kita - Kongress 2015 konzentriert sich auf die Schwerpunkte „Inklusion“ und „Sprachförderung“.
    Dazu und zu 16 weiteren Themen besuchen die Teilnehmer je 2 Workshops ihrer Wahl pro Tag. Ziel des Kongres-
    ses ist der anregende Austausch mit Berufskollegen aus ganz Deutschland.
    www.Kindergartenakademie.de

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Présentation du centre de formation et
de développement focus

Aujourd’hui, nous avons le plaisir de vous présenter notre nouveau cen-
tre de formation et de développement focus de l‘asbl arcus. Nous nous
adressons aux professionnels des services d’éducation et d’accueil, aux
assistants parentaux, aux familles d’accueil, ainsi qu’à tout autre professionnel travaillant dans le secteur social.
Nos activités s’articulent principalement autour de deux axes :

•   la formation continue

•   le développement de la qualité (développement de concepts de prise en charges…)

Dans le cadre de la formation continue, focus propose un large éventail de sujets autour de l’accueil familial ou
institutionnel de l’enfant et de la professionnalisation du travail éducatif et social.

Sur demande, des formations in-house ou sur mesure peuvent être organisées. De même, notre équipe offre des
séances de supervision individuelle et/ou de groupe.

A côté des formations continues, focus propose un service qui s’inscrit dans une démarche de développement
de qualité et qui s’adresse surtout aux communes et aux associations prestataires de services. Il s’agit ici d’un
accompagnement compétent (Fachbegleitung) pour l’élaboration et la mise en place de concepts pédagogiques
spécifiques et individualisés.

N‘hésitez pas à nous contacter pour plus d‘informations au numéro 28 37 46-1!

Fortbildung 2015
Raumkonzepte für eine Maison Relais entwickeln
Christel van Dieken | Dipl. Pädagogin, Fortbildungsreferentin und Organisationsberaterin für Kitas und Grundschu-
len | Institut für Bildungsinnovation, Hamburg

Räume bieten Kindern Möglichkeiten zu handeln, sich zu entwickeln – oder auch nicht. Sie haben wesentlichen
Einfluss darauf, wie Kinder sich in ihnen fühlen und wie sie sich zueinander verhalten. Die Erarbeitung eines
Raumkonzeptes ist deshalb die Grundlage dafür, dass unterschiedliche Entwicklungsbedürfnisse unterschiedlicher
Kinder in Kitaräumen befriedigt werden können. Die Erarbeitung eines Raumkonzeptes erfordert die Umsetzung
des pädagogischen Konzeptes „in Raum“. Welche „Möglichkeitsräume“ wollen Sie Kindern über eine gut durch-
dachte und geplante Raumgestaltung in der Maison Relais bieten? Welchen Bedürfnissen von Kindern wollen Sie
in Ihrer Institution „Raum geben“?
Datum: 23/01/2015
Zeit: 9-12 Uhr, 13-17 Uhr
Ort: Luxemburg

Spielgeräte selber bauen
Bernhard Lusch | Spielpädagoge | Spielmobil Freiburg e.V.

Eine Grundlage spielpädagogischer Arbeit ist ein gut sortierter Fundus an großen Spielen und Spielgeräten. In
diesem Workshop wird den Teilnehmern eine kurze fachliche Einführung in die Holzbearbeitung geboten sowie
gezeigt, wie man Spiele mit Beteiligung der Kinder bauen kann. Alle Teilnehmer können ein Spiel für sich oder
ihre Einrichtung bauen.
Datum: 02/02/2015
Zeit: 9-12 Uhr, 13-17 Uhr
Ort: Luxemburg

                                                                                                                        3
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AKTUELL                                                                              Kanner am Fokus

    Digitale Helden
    Horst Pohlmann | Dipl.-Sozialpädagoge, MA MedienSpielPädagogik | Akademie Remscheid
    Marietheres Waschk | Dipl.-Sozialpädagogin und Spielpädagogin | Akademie Remscheid

    Kinder lieben Helden: Superman ist unendlich stark, Harry Potter kann zaubern und Wickie besticht durch seine
    Klugheit. Helden zeichnen sich durch besondere Talente und Umwelten aus, die Kinder nur in ihrer Fantasie besit-
    zen und erleben. In den klassischen Computerspielen ist der Spielweg der Helden klar vorgegeben, um erfolgreich
    das nächste Level zu erreichen. Welcher Raum bleibt da dem Spieler, sich in seiner Kreativität auszudrücken?
    Datum: 28/01/2015, 29/01/2015
    Zeit: 9-12 Uhr, 13-17 Uhr
    Ort: Luxemburg

    Was braucht Florence? – Was braucht Florian? Psychosexuelle Entwicklung und Genderthemen in der Erziehung
    Renate Semper | Dipl.Psychologin, Systemische Familientherapeutin | Institut für Sexualpädagogik Dortmund (isp)
    Reiner Wanielik | Dipl.Sozialpädagoge, Gruppendynamiker | Institut für Sexualpädagogik Dortmund (isp)

    Vielfach halten sich pädagogische Fachkräfte für nicht ausreichend qualifiziert, um zu beurteilen welche sexuellen
    Äußerungsformen – z.B. Masturbation, Doktorspiele, verbale Provokationenvon Kindern in welchem Alter „nor-
    mal“ sind, was zu unterbinden, was zu fördern ist.
    Auch dann, wenn sie über einen guten Kenntnisstand verfügen wird die fachliche Auseinandersetzung in Teams
    oft überlagert von persönlichen Erfahrungen, Wertvorstellungen und stereotypen Geschlechterbildern.
    Datum: 22/01/2015, 23/01/2015
    Zeit: 9-12 Uhr, 13-17 Uhr
    Ort: Luxemburg

    Liberté motrice et activité spontanée du bébé et du jeune enfant
    Annie Fabien-Temoin | Psychomotricienne | Association Pikler France

    Offrir au bébé, en famille ou en institution, la possibilité d‘exercer librement sa motricité, lui donner l‘espace et
    le temps pour acquérir les étapes successives, à son propre rythme et de sa propre initiative, c’est l’accompagner
    dans le développement de sa personnalité et dans la prise de conscience de lui-même.
    Date: 09/02/2015, 10/02/2015, 02/03/2015, 03/03/2015
    Horaire: 9-12h, 13-17h
    Lieu: Luxembourg

    Les interactions enfant(s) – Parent(s) dépendant(s)
    Grégory Lambrette | Psychologue et psychothérapeute | Quai 57, arcus asbl
    Sandy Stefanini | Éducatrice graduée | Quai 57, arcus asbl

    Honte, mensonge, isolement, violence… Vivre avec un parent addict (alcools, drogues, jeux, etc.) peut être un dra-
    me au quotidien. Tant pour les enfants et/ou les familles que pour les intervenants confrontés à ce type de prob-
    lème. Y-a-t-il moyen que l’enfant s’en sort indemne malgré l’addiction de son ou de ses parents ? Comment aider
    les enfants à mieux appréhender ce qui, pour eux, peut être incompréhensible ? Quel est l’avenir de ces enfants
    précocement confrontés à l’alcool ou toute autre forme d’addiction ? Comment aider ceux qui restent aussi des
    parents avant tout, des parents malgré tout.

    Date: 28/03/2015
    Horaire: 9-12h, 13-17h
    Lieu: Esch-sur-Alzette

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Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
Kanner am Fokus                                                                               DOSSIER

Sprachentwicklung
Kinder die mit verschiedenen Sprachen aufwachsen
                                                                                                      Michaela Ulich

Zur Einführung einige Begriffe          wachsen, gibt es grob gesprochen         mit klar aufeinander aufgebauten
                                        zwei Möglichkeiten:                      didaktischen Einheiten.
Muttersprache – Erstsprache - Fa-
miliensprache                           1)     Doppelspracherwerb, bilin-        Sowohl bei der Erstsprache (Mut-
                                               guale Erziehung: Kinder ler-      tersprache) als auch bei der Zweit-
Der Begriff Muttersprache ist zwar             nen beide Sprachen gleich-        sprache spricht man bei Kinder-
sehr geläufig, kann aber verwirrend            zeitig, von Geburt an;            gartenkindern von natürlichem
sein. Was heißt „Muttersprache“ in                                               Spracherwerb. Denn, wenn Maria
binationalen Familien, bei denen die    2)     Zweitsprache bzw. Zweit-          aus Portugal in München in den Kin-
Mutter mit dem Kind Französisch,               sprachenerwerb:         Kinder    dergarten geht, dann lernt sie ihre
der Vater mit ihm Deutsch spricht?             lernen die Sprachen nachei-       Zweitsprache Deutsch vor allem
Klarer und weniger „bewertend“                 nander, die eine Sprache ab       in einer Situation des natürlichen
sind die in mehrsprachigen Umwel-              Geburt, die zweite Sprache        Spracherwerbs und nicht des Spra-
ten gängigen Begriffe Erstsprache              ab dem 3. oder 4. Lebens-         chunterrichts – sie bekommt in der
und Familiensprache.                           jahr, oder auch später.           neuen Sprache eine Fülle von Ein-
                                                                                 drücken. Rundherum hört sie wie
Zweisprachigkeit und Zweitspra-         Natürlicher Spracherwerb - auch in       Kinder und Erwachsene etwas sa-
cherwerb                                der Zweitsprache                         gen, das sie nicht versteht und erst
                                                                                 allmählich kann sie einzelne Laute
Zweisprachigkeit kann vieles hei-       Der natürliche Spracherwerb un-
                                                                                 und Bedeutungen zuordnen und
ßen. Manche verstehen darunter          terscheidet sich vom Fremdspra-
                                                                                 verstehen. Je mehr persönliche Zu-
die perfekte, muttersprachenähn-        chenunterricht.    Im     natürlichen
                                                                                 wendung und sprachliche Anregung
liche Beherrschung zweier Spra-         Spracherwerb wird eine Sprache
                                                                                 Maria bekommt, desto schneller
chen, für andere ist ein Kind bereits   in der alltäglichen Kommunikation
                                                                                 wird sie Deutsch lernen.
zweisprachig, wenn es eine Sprache      gelernt: in der Familie, in der Spiel-
beherrscht und eine zweite Sprache      gruppe oder aber auch in der Schu-       Sprachentwicklung als Teil der Ge-
mehr oder weniger versteht, aber        le im Pausenhof usw. Im gesteuer-        samtentwicklung
nicht spricht. Wir bevorzugen hier      ten Spracherwerb dagegen, z.B. im
die Bezeichnung „zweisprachig auf-      Fremdsprachenunterricht, wird das        Es ist allgemein bekannt, dass die
wachsende Kinder“.                      Lernen formal organisiert, die Spra-     Sprachentwicklung von Kindern mit
                                        che wird als Sprache unterrichtet,       vielen anderen Entwicklungspro-
Denn zunächst geht es um eine Le-
bensform: Viele Migrantenkinder
leben in und mit verschiedenen
Sprachen. So stellt sich die Frage:
Mit welchen Sprachen in der Fa-
milie und Umgebung wächst ein
Kind auf, und wie geht es mit dieser
zwei- oder mehrsprachigen Situati-
on um? Wenn wir dagegen von dem
abstrakten Ideal der Zweisprachig-
keit ausgehen, dann folgt meist die
Frage: „Ist dieses Kind denn wirklich
zweisprachig?“ So fixiert sich der
Blick sogleich auf Sprachbeherr-
schung bzw. Sprachprobleme, und
nicht auf den Prozess der sprach-
lichen Aneignung in der jeweiligen
Umwelt des Kindes.

Wenn    Kinder   zweisprachig    auf-

                                                                                                                        5
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DOSSIER                                                                           Kanner am Fokus

    zessen zusammenhängt. Dies gilt            che? Wie reagiert die Umwelt       Sprachen, wobei sie am Anfang die-
    nicht nur für die Erstsprache, es          auf die Kontaktversuche des        se in der Regel noch nicht nach Per-
    gilt auch für die Zweitsprache. Das        Kindes?                            son trennen.
    heißt:
                                           Von Anfang an mit zwei Sprachen:       Bett, Mama, doll (Englisch: Puppe)
    •   Es müssen bestimmte Entwick-       Wie „getrennt“ sind die zwei Spra-
        lungsvoraussetzungen gegeben       chen bei einem Kind?                   Es ist meistens so, dass ein Gegen-
        sein – im Hören, Sehen, in der                                            stand mit einer bestimmten Sprache
        Feinmotorik (Zunge, Lippen,        Wenn Kinder von Anfang an mit          und noch nicht mit zwei Sprachen
        Mundmuskulatur), in der kog-       zwei Sprachen aufwachsen, durch-       assoziiert wird. So benutzen Kinder
        nitiven und sozial-emotionalen     laufen sie in der Regel verschiedene   mit deutsch-englischen Eltern z.B.
        Entwicklung;                       Phasen im Umgang mit den beiden        für Tür das englische Wort (door),
                                           Sprachen. Es ist wichtig festzuhal-    für Bett das deutsche Wort.
    •   Die Sprachentwicklung ist ab-      ten, dass hier nur Entwicklungsten-
        hängig vom emotionalen und         denzen skizziert werden und nicht      Phase 2:
        geistigen Klima, in dem ein Kind   klar getrennte Phasen.
        lebt. Welche Art von Zuwen-                                               Allmählich werden dann, was den
        dung, Kontaktaufnahme und          Phase 1:                               Wortschatz angeht, die beiden
        Anregungen erfährt ein Kind in                                            Sprachsysteme auseinander gehal-
        der Erst- und in der Zweitspra-    Kinder benutzen Wörter aus beiden      ten, das Kind hat ein Bewusstsein

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Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
Kanner am Fokus                                                                               DOSSIER

von zwei Sprachen, trennt sie nach      ein wichtiges Vorbild: Erwachsene,      men der Sprachmischung zu unter-
Personen, und schließlich fragt es      die sich bemühen, je nach Situation     scheiden:
sogar manchmal seine deutsche           in einer Sprache zu bleiben, auch
Mutter „wie sagt der Papa?“ – was       wenn sie zweisprachig sind. Aller-      Interferenz
soviel bedeutet wie „was heißt das      dings sollte das Prinzip „eine Spra-
auf Englisch?“                          che = eine Person“ nicht absolut        Von Interferenz spricht man, wenn
                                        rigide angewandt werden. Bei älte-      Strukturmerkmale der einen Spra-
Diese „Trennung“ der beiden Spra-       ren Kindern beobachtet man häufig       che – hier der Erstsprache – auf die
chen betrifft zunächst mehr den         Unbehagen, wenn die Mutter konse-       Zweitsprache übertragen werden
Wortschatz, noch nicht die Gram-        quent mit ihrem Kind Portugiesisch      und es daher z.B. zu Fehlern im
matik, den Satzbau.                     spricht, auch wenn deutsche Freun-      Satzbau der Zweitsprache kommt.
                                        de anwesend sind. Das ist „unhöf-       Es handelt sich also um eine „unfrei-
Phase 3:                                lich“, und für Kinder eine künstliche   willige“ und nicht bewusste Sprach-
                                        Abgrenzung.                             mischung. Früher erklärte man fast
In der letzten Phase lernen Kinder                                              alle Fehler in der Zweitsprache mit
auch die verschiedenen Regeln für       Damit sind wir bei einem wichtigen      dem Phänomen der Interferenz und
den Satzbau in der jeweiligen Spra-     und kontroversen Thema: „Sprach-        argumentierte dann, dass Kinder
che (Stellung der Worte im Satz,        wechsel“ bzw. “Sprachmischung“.         ja offensichtlich überfordert seien,
Verbformen usw.).                                                               denn sie würden die beiden Spra-
                                        Sprachmischung bzw. Sprachwech-         chen vermischen und deshalb die
Wenn Erwachsene die Sprachen ge-        sel – in vielen Situationen ganz na-    Zweitsprache nicht richtig lernen
trennt halten: Eine Orientierungs-      türlich                                 können. Heute weiß man, dass In-
hilfe, kein absolutes Prinzip                                                   terferenzerscheinungen eher beim
                                        Ein Kind bleibt nicht bei einer         Fremdsprachenunterricht vorkom-
Allgemein nimmt man an, dass Kin-       Sprache, springt dauernd zwischen       men, beim natürlichen Zweitspra-
der die beiden Sprachen am bes-         Portugiesisch und Deutsch hin und       chenerwerb, um den es uns hier
ten und schnellsten trennen, wenn       her, oder es macht Fehler im deut-      geht, sind sie eher selten. Man er-
sie für das Kind nach Situation und     schen Satzbau, weil es anscheinend      klärt heute Fehler im Satzbau an-
Person getrennt sind. Das heißt zum     Formen des Portugiesischen ins          ders: Sie sind typisch für ein ganz
Beispiel bei einem deutsch-portu-       Deutsch überträgt. Für viele Päd-       normales und geregeltes Zwischen-
giesischen Ehepaar, das sich ent-       agogen sind das Beispiele für die       stadium beim Lernen einer Zweit-
schließt, das Kind zweisprachig zu      „Probleme“ von zweisprachig auf-        sprache.
erziehen, sollte zuhause die Mutter     wachsenden Kindern: Sie können,
mit dem Kind relativ konsequent         so die Annahme, die beiden Spra-        Sprachmischung – code-Wechsel
Portugiesisch, der Vater Deutsch        chen nicht auseinander halten.
sprechen. Diese Annahme beruht                                                  Sprachmischung bedeutet, dass
allerdings auf Einzelfallstudien, um-   Zunächst gilt es, verschiedene For-     Kinder bei einer Äußerung zwei
fassendere empirische Studien dazu
sind uns nicht bekannt. Folgende
Beobachtungen vor allem bei jün-
geren Kindern sprechen aber dafür,
dass es für Kinder zunächst tat-
sächlich angenehmer ist, wenn sie
eine Person mit einer Sprache iden-
tifizieren können: so sind manche
Kinder ganz ungehalten, wenn ihre
portugiesische Mutter plötzlich mit
ihnen Deutsch spricht. Möglicher-
weise ist das Kind gerade in einer
Phase der Orientierung und bemüht
sich um eine Trennung der beiden
Sprachsysteme, und beharrt des-
halb auf eine strikte Trennung nach
Person.

Grundsätzlich ist dies für Kinder

                                                                                                                        7
Mehrsprachigkeit Dossier - Enfance Jeunesse
DOSSIER                                                                              Kanner am Fokus

    verschiedene Sprachen benutzen.          zusammen sind, ist Sprachmischung       nicht, wie das Wort in der anderen
    Sie sprechen gerade Deutsch und          etwas ganz Normales. Wichtig ist,       Sprache heißt. Sprachwechsel kann
    mitten im Satz taucht ein türkisches     ob ein Kind die beiden Sprachen         viele Gründe haben und Sprach-
    Wort auf, oder ganze Satzteile sind      trennen kann (Trennungsfähigkeit)       mischung ist nicht grundsätzlich
    dann auf Türkisch. Man spricht in        und nicht, ob es dies in jeder Situa-   eine Gefahr für die Sprachentwick-
    diesem Zusammenhang auch von             tion auch tut.                          lung, sie ist in bestimmten Situati-
    code-Wechsel, insbesondere, wenn                                                 onen ganz natürlich – in anderen
    der Sprecher für längere Einhei-         Zusammenfassend:                        nicht.
    ten von einer Sprache zur anderen
    wechselt – wobei diese beiden Be-        Kinder     können    normalerweise      Wann wechselt ein Kind von ei-
    griffe nicht trennscharf sind.           “ihre” beiden Sprachen sehr wohl        ner Sprache in die andere, warum
                                             unterscheiden, und benutzen den-        “mischt” z.B. Mario aus Portugal
    Sprachwechsel je nach Ansprech-          noch in bestimmten Situationen          Deutsch und Portugiesich?
    partner und Situation                    ganz selbstverständlich beide Spra-
                                             chen, das macht die Kommunika-          Aus ganz verschiedenen Gründen:
    Die meisten Kinder im Kindergar-         tion “reichhaltiger” und flexibler
    tenalter wissen, dass sie sich in ver-   für sie. Dabei wird oft sehr kreativ    •   Ein Wort ist im Deutschen gera-
    schiedenen sprachlichen Systemen         mit Sprache umgegangen. Sprach-             de nicht präsent;
    bewegen. Sie können also prinzipell      mischung und Sprachwechsel gehö-
    und z. T. intuitiv ihre beiden Spra-     ren zur ganz normalen Sprachpraxis      •   ein deutsches Wort ist für ihn
    chen auseinanderhalten und rich-         in mehrsprachigen Kindergruppen –           unbekannt oder schwierig aus-
    ten sich in ihrer Sprachwahl nach        dasselbe gilt für Erwachsene.               zusprechen;
    dem jeweiligen Gegenüber. Mit ei-
                                             Dies widerspricht der Perspektive       •   der entsprechende portugiesi-
    ner deutschen Erzieherin wird ein
                                             von vielen Erzieher/innen und Leh-          sche Ausdruck “passt” gerade
    deutsch-portugiesisches Kind in der
                                             rer/innen, die Sprachwechsel oft nur        besser; er möchte etwas ganz
    Regel Deutsch sprechen. Wenn sie
                                             auf “Ausdrucksnot” zurückführen             besonders betonen;
    aber mit zwei- und mehrsprachi-
    gen Freunden oder Erwachsenen            und glauben, das Kind weiß gerade

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Kanner am Fokus                                                                               DOSSIER

•   er ist aufgeregt oder berührt;      fördern, z.B. mit einem Handpup-         Sätzen zu sprechen.
                                        penspiel. Beispiel:
•   er will sich von deutschen Kin-                                              Der Anfang: Eine bestimmte Art von
    dern oder Erwachsenen ab-           Man nimmt zwei verschiedene              Sätzen taucht immer wieder auf
    grenzen;                            Handpuppen (z.B. die eine rot, die
                                        andere grün) ; die eine Puppe kann       Für den Anfang wählen viele Kinder
•   er möchte seine Zugehörigkeit       nur deutsch, die andere nur türkisch.    einen bestimmten, relativ einfa-
    markieren in einer deutsch-por-     Immer wenn die jeweilige Sprache         chen Satzbautyp aus und benutzen
    tugiesischen Kindergruppe.          auftaucht, kommt die betreffende         diesen dann bei jeder passenden
                                        Puppe in Aktion. Zunächst kann die       (und unpassenden) Gelegenheit.
Pädagogisch sinnvolle Regeln zum        Erzieherin die beiden Puppen neh-        Am häufigsten tauchen Sätze auf
Thema “Sprachmischung”                  men und immer, wenn das Kind z.B         wie: „die rot“, „die kaputt“, „das für
                                        gerade Deutsch spricht, dann ist die     dich“, „das besser“; einige Kinder
Auch wenn Sprachmischung in be-                                                  schnappen sehr bald feststehende
                                        „deutsche“ Puppe in Aktion, und
stimmten Situationen durchaus                                                    Redewendungen auf, wie „schau
                                        wenn es dann ins Türkische wech-
natürlich ist, sollten Kinder immer                                              mal“, und setzen diese häufig ein.
                                        selt, kommt die „türkische“ Puppe
wieder ihre “Trennungsfähigkeit”                                                 Erst allmählich produzieren Kinder
                                        zum Zug. Danach kann das Kind die
und die Fähigkeit, in einer Sprache                                              dann verschiedene und komplizier-
                                        beiden Puppen nehmen und selbst
zu bleiben, üben.                                                                te Satzkonstruktionen.
                                        damit den Wechsel „spielen“.
Was heißt das pädagogisch? Ver-                                                  Satzbau, Grammatik
                                        Dabei muss man beobachten, ob
sucht man zweisprachigen oder
                                        bei diesem Kind eine Trennungsfä-
mehrsprachigen Kindern, wenn sie                                                 Schrittweise entwickelt sich eine
                                        higkeit da ist bzw. ob diese sich all-
unter sich sind, die Sprachmischung                                              „deutsche“ Satzstruktur- für eine
                                        mählich entwickelt. Falls dies nicht
zu verbieten, so ist das für die Kin-                                            gezielte Beobachtung der „Gramma-
                                        der Fall ist, sollte eine fachkundige
der ganz unnatürlich. Sinnvoller ist                                             tik“-Entwicklung. Zunächst reihen
                                        Beratung in Betracht gezogen wer-
es, für bestimmte Gelegenheiten –                                                Kinder Wörter aneinander, dann
                                        den.
z.B. Stuhlkreis oder Bilderbuchbe-                                               lernen sie z.B. allmählich, wo im
trachtung – hin und wieder “Sprach-     Wie lernen Kinder eine Zweitspra-        Deutschen das Verb im Satz steht.
regeln” einzuführen, das heißt, z.B.    che? Einige „Zwischenstufen“ und         Auch die Verneinung durchläuft
fest abgegrenzte Zeiten, wo nur         Strategien                               oft verschiedene Stufen. So setzen
eine Sprache “gilt”.                                                             manche Kinder das Wort „nein“ ein,
                                        Kinder nutzen ihr Vorwissen              auch wenn es nicht passt - es ist ein
Wenn Kinder die Sprachen gar nicht                                               einfaches, eindeutiges und gleich-
auseinanderhalten                       Beim Lernen einer Zweitsprache           zeitig flexibel einsetzbares Wort,
                                        verläuft vieles ganz ähnlich wie         das noch keine schwierigen Kons-
Es ist wichtig zu beobachten, wann      beim Lernen der Erstsprache. Den-        truktionen erfordert. Oft taucht es
und wie Kinder die Sprachen mi-         noch gibt es viele Unterschiede,         am Anfang des Satzes auf („nein ka-
schen. Richten sich Kinder – wie        denn das Kind fängt nicht noch von       putt“), und wird dann variiert “Pe-
im vorhergehenden Abschnitt be-         vorne an, es durchläuft nicht alle       ter nein spielen“). Später wird auch
schrieben – in ihrer Sprachwahl         Stadien noch einmal; es benutzt          „nicht“ benutzt – erst allmählich in
weitgehend nach ihrem Gegenüber,        vielmehr sein Vorwissen und seine        der korrekten Satzstellung. All dies
dann ist das durchaus entwick-          Vorerfahrungen, um sich in der neu-      ist nicht beliebig, das Kind bildet
lungsangemessen. Wenn sie aber          en Sprache zu orientieren und um         sich Regeln zu diesem Wort und
mehrere Monate lang wahllos und         kommunizieren zu können. Dies ist        anderen Satzteilen (z.B. Verb und
dauernd mischen, egal mit wem sie       im Kindergartenalter kein bewuss-        Verneinung), erst allmählich kann
sprechen (auch mit der deutsch-         tes, sondern eher ein intuitives Wis-    es sich die verschiedenen Regeln
sprachigen Erzieherin), dann muss       sen. Dazu gehört z.B. das Wissen,        aneignen und der korrekten Form
die Erzieherin genauer hinschauen.      dass Sprache in Sätzen organisiert       nähern.
Möglicherweise haben diese Kin-         ist, dass sprachliche Mitteilungen
der noch kein Bewusstsein für ihre      nicht einfach durch wahlloses Anei-      Das Prinzip der Vereinfachung – das
beiden Sprachen und entsprechend        nanderreihen von Wörtern gebildet        macht den Einstieg leichter
keine “Trennungsfähigkeit”.             werden, sondern nach bestimmten
                                        formalen Ordnungsprinzipien und          Anders als beim Sprachunterricht
Ein erster Schritt ist der Versuch,                                              ist für Kinder, die neu in den Kin-
                                        Regeln ausgerichtet sein müssen.
spielerisch dieses Bewusstsein zu                                                dergarten kommen, das Deutsch-
                                        So versuchen Kinder relativ bald in

                                                                                                                          9
DOSSIER                                                                             Kanner am Fokus

     lernen eine Frage des Überlebens        (Präposition), der (Artikel), möchte   Phasen, sie machen nicht einfach
     in der Gruppe; sie müssen eine          (Hilfsverb bzw. Modelverb).            individuelle „Fehler“. So gesehen ist
     Sprache lernen, um „dazuzugehö-                                                es nicht besonders sinnvoll, diese
     ren“. Sie sind konfrontiert mit einer   Viele „Anfänger“ benutzen nach         „sog. Fehler“ von Kindern zu korri-
     unendlichen Fülle von Reizen und        einer Weile für alle Worte ein und     gieren, sie sind teilweise „vorpro-
     Informationen, die sie nicht ver-       denselben Artikel (der Puppe, der      grammiert“, sie erleichtern Kindern
     stehen, und sie können sich nicht       Wagen, der Brot) und bevorzugen        den Einstieg und sie werden all-
     mitteilen. Gleichzeitig möchten sie     beim Verb eine Form („gehen“ oder      mählich abgebaut.
     gerne bald „mitmischen“. In dieser      „gehe“).
     Situation entwickeln Kinder (und                                               Wie Kinder sich sprachlich „durch-
     Erwachsene) Strategien, die ihnen       Das Kind reduziert auf diese Weise     lavieren“, damit sie bald „dazuge-
     die Orientierung und den Einstieg in    die Vielfalt der Formen und erleich-   hören“
     diese neue Welt erleichtern. Zu die-    tert sich den Einstieg in die neue
     sen Strategien gehört vor allem das     Sprache – mit Hilfe dieser Strate-     Vor allem kontaktfreudige Kinder,
     Prinzip der Vereinfachung und Aus-      gien. Erst allmählich nähert es sich   die neu in die Gruppe kommen,
     lassung. Es werden insbesondere         der „korrekten“ Form.                  wollen bald dazugehören und „mit-
     Wörter ausgelassen, die keine we-                                              mischen“ – auch wenn sie nur sehr
                                             Auch „Fehler“ ergeben einen Sinn       wenig Deutsch können. So entwi-
     sentlichen Informationen enthalten.
                                                                                    ckeln viele Kinder beim Zweitspra-
                                              Man spricht im Zusammenhang mit       chenerwerb eine Art „soziales“ und
     Ein Beispiel: Marie sagt zu Melanie:
                                             den eben beschriebenen „Fehlern“       strategisches Sprachverhalten, mit
     „Bauecke spielen“ (gemeint ist: ich
                                             von einer „Lernsprache“. Das heißt     dem sie ihre Lücken geschickt ka-
     möchte jetzt in der Bauecke spie-
                                             die meisten „Zweitsprach-Lerner“       schieren und ihr Können maximal
     len).
                                             egal welche Familiensprache sie ha-    ausnützen. Dies betrifft vor allem
     Ausgelassen werden hier – und           ben, durchlaufen beim Lernen der       ältere Kinder. Der Sprachforscher
     das ist typisch: Ich (Pronomen), in     Zweitsprache bestimmte geregelte       François Grosjean hat die Perspek-

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Kanner am Fokus                                                                                DOSSIER

tive und das Verhalten solcher Kin-         lungsverzögerung,    die  sich       zweisprachig aufwachsen lassen.
der folgendermaßen beschrieben:             nicht auf die Zweitsprache be-       Andererseits, sobald es um konk-
                                            schränkt.                            rete Fragen der Sprachentwicklung
•   ich gehe davon aus, dass das,                                                und Sprachförderung von Kindern
    was geredet wird, sich unmit-       Was nun tatsächlich eine Rolle           in Tageseinrichtungen geht, dann
    telbar auf die jeweilige Situati-   spielt, ist oft schwierig zu sagen. In   tauchen ganz andere Bilder auf:
    on oder Handlung bezieht und        jedem Fall ist es wichtig, zu beob-      Der Blick richtet sich vor allem auf
    ich rate dann einfach, was es       achten, ob das Kind den Kontakt mit      “Sprachprobleme” in einer Sprache
    sein könnte                         deutschsprachigen Kinder meidet          – nämlich Deutsch.
                                        und nur selten in deutscher Sprache
•   ich tu in der Gruppe so, als wür-   Kontakt aufnimmt; ob es vor allem        1+1=2: So funktioniert           Zwei-
    de ich verstehen, was gespro-       mit jüngeren Kindern spielt und          sprachigkeit nicht
    chen wird, auch wenn ich es         spricht; ob es generell schüchtern
    nicht verstehe                      und gehemmt wirkt und den Kon-           Häufig gehen wir bewusst oder
                                        takt mit Kindern meidet. Weitere         unbewusst davon aus, dass ein
•   ich lerne ein paar Ausdrücke        Fragen sind: wie ist das sprachliche     zweisprachiges    Kind     eigentlich
    und Sätze, und setze die oft ein,   Kontaktverhalten in der Bring- und       zwei einsprachige Kinder in sich
    und so glauben andere, dass ich     Abholsituation? Was sagen die El-        vereint bzw. vereinen sollte. De-
    schon fast fließend sprechen        tern über die Sprachkompetenz des        mentsprechend haben wir dann
    kann                                Kindes in der Familiensprache?           auch dieselben Maßstäbe und Er-
                                                                                 wartungen wie bei einsprachigen
•   ich nütze das, was ich schon        Was haben wir für ein Bild von           Kindern. In der Fachliteratur spricht
    kann, maximal aus                   zweisprachigen Kindern ?                 man in diesem Zusammenhang vom
                                                                                 “monolingualen und monokulturel-
•   ich konzentriere mich erst auf      Immer noch ist Zweisprachigkeit          len” Blick, der die Besonderheiten
    die größeren Einheiten: Einzel-     und Mehrsprachigkeit hierzulande         von zweisprachigen Lebensformen
    heiten kommen später.               etwas besonderes und wir verges-         nicht wahrnimmt.
                                        sen, dass mindestens die Hälfte der
Wenn die Sprache sich nicht mehr
                                        Weltbevölkerung zwei- oder mehr-         Kinder, die in verschiedenen Kul-
entwickelt
                                        sprachig aufwächst und dass es           turen und Sprachen leben, entwick-
Einige der Lerner bleiben allerdings    z.B. in Europa kaum einsprachige         eln ein eigenes sprachliches und
bei bestimmten Grammatikfehlern         Gesellschaften gibt. Auch his-           kulturelles Profil, etwas Neues ent-
(und bei einem sehr begrenzten          torisch gesehen ist das Ideal der        steht und nicht nur die Summe von
Wortschatz) stehen, es kommt zu         perfekten Beherrschung einer “Na-        zwei Teilen: Sprache 1 + Sprache 2.
einer sog. Einfrierung bzw „Fossi-      tionalsprache” gar nicht so selbst-      Das heißt: Kinder, die sich ganz in
lierung“. Das heißt aber nicht, dass    verständlich: Die Idee einer “ein-       verschiedenen Systemen orientie-
die Fehler des betreffenden Kindes      heitsstiftenden”   Nationalsprache       ren müssen, entwickeln in der Re-
von Erwachsenen nicht oft genug         gibt es im europäischen Raum erst        gel andere Anpassungs- und Orien-
verbessert wurden. Die Gründe für       seit der Gründung des bürgerlichen       tierungsstrategien als einsprachig
einen solchen Stillstand sind meist     Nationalstaats in Deutschland Ende       aufwachsende Kinder.
komplexer:                              18./Anfang 19. Jahrhundert. Früher
                                        war Mehrsprachigkeit von Individu-       aus: Michaela Ulich, Pamela Oberhuemer,
•   Es fehlt dem betreffenden Kind      en und Gesellschaften ganz selbst-       Monika Soltendieck: Die Welt trifft sich
    an Motivation, die Sprache          verständlich.                            im Kindergarten. Interkulturelle Arbeit
    weiter zu lernen (z.B. weil es                                               und Sprachförderung in Kindertagesein-
    annimmt, dass es Deutschland        Unser sprachliches Selbstverständ-       richtungen. Berlin 2007, 4. Auflage
    bald wieder verlassen wird;         nis ist heute etwas schillernd. Einer-
    oder: es findet keine deutschen     seits ist die Beherrschung mehrerer
    Freunde);                           Sprachen ein Ideal und ein Bildungs-
                                                                                 Mit der freundlichen Genehmigung des
                                        gut. Bei unserer Befragung von päd-
                                                                                 Cornelson Verlages.
•   das Kind bekommt insgesamt          agogischen Fachkräften im Raum
    zu wenig sprachliche Anregung;      München wurde diese Tendenz ganz
                                        deutlich: 95% der befragten Fach-
•   es handelt sich um eine allge-      kräfte würden ihre eigenen Kind-
    meine sprachliche Entwick-          er gerne, wenn es möglich wäre,

                                                                                                                            11
DOSSIER                                                                            Kanner am Fokus

     Vom Sprechenlernen
                                                                                                          Emmi Pikler*

     Die Sprachentwicklung verläuft nicht parallel zur geistigen Entwicklung des Kindes. Es gibt Kinder, die früh, schon
     im Alter von ein- bis anderthalb Jahren, anfangen zu sprechen, andere beginnen erst im Alter von zweieinhalb
     bis drei Jahren. Dies ist nahezu unabhängig davon, wie sie sich auf anderen Gebieten entwickeln. Die Fähigkeit
     zu sprechen wird individuell erworben und steht nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Fähigkeit des Kindes
     zu verstehen.

     Verhältnismäßig früh, im Alter von     Nachahmung gelingt ihm manchmal         Wieder ein wenig später probiert
     sechs bis acht Wochen, beginnt der     erstaunlich – fast irreführend – gut.   es, sinnbezogene Worte zu formen,
     Säugling zu lallen. Meistens beginnt   Lauschen wir diesen »Monologen«         und versucht, die ihm bekannten
     er mit »hö-hö«. Er probiert das        aus der Entfernung, so haben wir        Personen, Gegenstände oder Hand-
     tagelang. Später, so als würde er      oft den Eindruck, als würde das         lungen mit Worten zu bezeichnen.
     systematisch Phonetik üben, pro-       Kind vernünftig und fließend spre-
     biert er, an verschiedenen Stellen     chen, in einem plaudernden oder         Anfangs fällt ihm das noch schwer,
     im Mundraum Laute zu bilden. Er        erklärenden Tonfall, wie es ihn bei     und das gemeinte Wort besteht
     versucht Kehl-, Zungen- und Lip-       den Erwachsenen gehört hat.**           eventuell nur aus einem Laut oder
     penlaute, wiederholt sie und bildet                                            einer Silbe: Mit »ma« oder »pa« be-
     fortwährend neue Laute. Tag für Tag    Das Kind versteht jedoch schon viel     zeichnet es Mama oder Papa, mit
     und über Stunden kann er sich da-      von dem, was die Erwachsenen sa-        »e« sein Essen, oder es wiederholt
     mit unterhalten. Die Laute, die ihm    gen – selbst während der Phase, in      »nö, nö, nö« und dreht seinen Kopf
     schon bekannt sind, ordnet er ein-     der es zunächst nur den Klang der       weg für »nein«, wenn es etwas
     ander zu wie kostbare Perlen.          Sprache nachahmt. Es schaut auf         nicht mag. Seine Brabbelsprache
                                            den Tisch, wenn Erwachsene davon        wird durch Worte, die es schon aus-
     Später »plaudert« er fast ständig,     reden. Es sucht sein Essen, wenn sie    sprechen kann, bereichert. Es spielt
     manchmal leise, manchmal lauter.       es erwähnen, und es versteht Ver-       auch mit ihnen, wiederholt sie und
     Auch sein Spielen begleitet er mit     bote. Allerdings kommt es auch vor,     freut sich, wenn es ihm gelingt, sie
     »Selbstgesprächen«, mit Lallen und     wenn es zu etwas keine Lust hat,        auszusprechen.
     Brabbeln. Bald wiederholt er nicht     dass es sich so verhält, als würde
     nur einzelne Laute, sondern sagt       es nicht verstehen, was wir zu ihm      Natürlich erlernt nicht jedes Kind
     ganze Silben wie »da-da«, »ba-ga«,     sagen.                                  das Sprechen mit gleicher Leich-
     »gö-ga-la«. Er spricht zu seiner                                               tigkeit. Manche Kleinkinder formen
     Hand und zu allem, was ihn umgibt
     ... dazwischen jauchzt er laut oder
     lacht.

     So wie er die Laute zu »Wor-
     ten« zusammensetzt, verbindet
     er später diese »Worte« zu »Sät-
     zen« – manchmal sagt er ganze
     »Monologe« vor sich hin in sei-
     nem unverständlichen Gebrabbel.
     Interessanterweise enthält diese
     »Brabbelsprache« schon viele Ei-
     gentümlichkeiten der in der Um-
     gebung des Kindes gesprochenen
     Sprache. Es ist aber in Wirklichkeit
     noch keine Sprache und auch kein
     Ausdruck von Gedanken. Das Kind
     bemüht sich nur, den Klang, die Be-
     tonung und die Melodie der Sprache
     der Erwachsenen nachzuahmen. Die

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Kanner am Fokus                                                                                 DOSSIER

mühelos Worte, sie fangen leicht       Doch damit das Kleinkind beginnt,       wir sagen, oder vielleicht gar nichts
und früh an zu sprechen. Doch es       Worte selbst zu formen, ist noch        davon versteht, verhalten wir uns
gibt Kinder, die dazu weniger ver-     etwas anderes notwendig: Sein           nicht so, als wären wir stumm. Ver-
anlagt sind und damit später begin-    Mitteilungswunsch muss dazukom-         trauen wir darauf, dass der Säug-
nen, obwohl sie nicht weniger klug     men. Je besser die Beziehung des        ling uns verstehen wird, wenn wir
sind. Bei ihnen dauert die Periode     Säuglings zu seiner Umgebung ist,       natürlich und einfach mit ihm spre-
der Brabbelsprache eben länger, sie    je früher seine Mutter oder sein Va-    chen. (...)
machen sich über längere Zeit mit      ter auf seine Laute reagieren und       Wir ahmen die Sprechfehler des
Zeigen und Gesten verständlich.        später seine einfachen Worte ver-       kleinen Kindes weder nach noch
                                       stehen, je öfter das Kind erfährt,      verbessern wir sie. Wir machen
Es hängt jedoch nicht nur von der      dass man seinen – wenn auch nur         es auch nicht mit fortwährendem
Reife des Kindes ab, wann es zu        mit Anfangssilben geäußerten –          Wiederholen darauf aufmerksam,
sprechen beginnt. Das Kind lernt       Wünschen Beachtung schenkt (zum         was und wie es etwas gesagt hat.
das Sprechen von uns. Um die Spra-     Beispiel erhält es die Liesel-Puppe,    Das ist völlig überflüssig. Versu-
che zu verstehen und um mit dem        die es mit der Silbe »Li« bezeichnet;   chen wir nicht, das Sprechenlernen
Sprechen zu beginnen, muss es die      oder man unterlässt eine Handlung,      zu beschleunigen. Mit ständigem
Erwachsenen sprechen hören. Da-        wenn es mit der Silbe »ne« – nein –     Drängen, Verbessern und Wieder-
ran fehlt es im Allgemeinen nicht.     protestiert, natürlich nur innerhalb    holenlassen sowie mit Belehrungen
Aber es genügt nicht, dass das Kind    der Grenzen gegebener Ordnung           belästigen wir das Kind nur und er-
das Sprechen bloß hört, also bloß      und Möglichkeiten), umso vergnüg-       reichen dasselbe wie mit jeder Art
vor ihm gesprochen wird. Wir müs-      licher, interessanter und voller Ent-   von Drängen und Ungeduld: Anstatt
sen auch mit ihm sprechen, damit       deckungen wird das Sprechen für         dass das Kleinkind langsam, schritt-
es auf den Sinn der Sprache auf-       das Kind sein und umso mehr Lust        weise, geduldig und mit Genuss
merksam wird.                          wird es dazu haben.                     sprechen lernt, stellen wir es vor
                                                                               eine ermüdende, schwierige Aufga-
Sprechen wir mit dem Kind von          Das kleine Kind lernt von uns das       be. Achten wir stattdessen immer
Geburt an, erzählen wir ihm et-        Sprechen. Daher ist es wesentlich,      darauf, das Kind möglichst gut zu
was, anstatt nur zu babbeln oder       darauf zu achten, auf welche Art        verstehen und dass wir selbst ruhig,
verniedlichende Äußerungen von         und Weise wir mit ihm sprechen,         verständlich, richtig und fließend
uns zu geben! Von Anfang an sa-        welche Worte wir wählen und wie         sprechen. Dem widerspricht na-
gen wir dem Säugling, was wir mit      wir sie betonen. Von Anfang an          türlich nicht, freundlich und unge-
ihm tun, was wir von ihm möchten,      benutzen wir im Umgang mit dem          zwungen zu sein. Früher oder spä-
was als Nächstes folgen wird, so       Säugling keine sinnlosen Worte und      ter übernimmt und lernt das Kind
als würden wir laut denken. Immer      sprechen nicht betont langsam oder      mit Sicherheit unsere Art zu spre-
wenn wir mit ihm zusammen sind,        übertrieben deutlich mit ihm, denn      chen.
ihn aufnehmen, baden, zum Stillen      damit erschweren wir ihm nur das
vorbereiten, ins Freie bringen oder    Sprechenlernen. Wir sprechen mit        * aus: Friedliche Babys – zufriedene Müt-
etwas anderes mit ihm tun, sagen       dem Säugling – auch schon mit dem       ter, 2001, S. 82–86, leicht gekürzt und
wir ihm, was wir mit ihm vorhaben.     Neugeborenen – so verständlich,         sprachlich   überarbeitet   von   Ute   Strub
Zwar wird er es zunächst noch nicht    und das heißt immer auch gram-          ** Die Nachahmung ist manchmal so echt, dass
wörtlich verstehen, doch wird er       matikalisch richtig, wie mit jedem      Erwachsene tatsächlich getäuscht werden. Ein
von Anfang an mit Freude auf uns       Erwachsenen: einfach, fließend,         Besucher fragt zum Beispiel das anderthalb
achten, wenn wir auf diese Weise       ruhig und freundlich. Also nicht:       bis zweijährige Kind ein wenig von oben her-
zu ihm sprechen. Er wird unsere        »Paulchen geht panschi-panschi«,        ab: »Wie geht es dir?«, »Wie heißt du?« oder
Mundbewegungen beobachten und          sondern: »Komm Paulchen, jetzt          so ähnlich. Das Kind antwortet mit verständi-
die Art, wie wir die Laute bilden.     wirst du baden!« Nicht: »Das Baby       ger, erklä- render Betonung, die es eventuell
Später, wenn der Säugling immer        bekommt Milchi«, sondern: »Ja,          mit dazu passenden Handbewegungen beglei-
wieder dieselben Laute, dasselbe       Julchen, gleich bekommst du deine       tet. Der Besu-cher, etwas verwirrt, versteht
Wort im Zusammenhang mit dem-          Milch.« Reden wir nicht kindisch mit    kein Wort von alledem, kann natürlich auch
selben Gegenstand, derselben Be-       dem Säugling, denn nicht wir lernen     nichts verstehen, weil das Ganze nicht den
wegung oder demselben Geschehen        vom Kind sprechen, sondern das          erwarteten Sinn ergibt. Wie gesagt, das Kind
hört, verbindet er das, was er sieht   Kind lernt es von uns. Auch wenn        ahmt nur den Klang, die Musik der Sprache
und erlebt, mit dem, was er dabei      wir die Empfindung haben sollten,       nach.
hört. Er beginnt wirklich zu verste-   dass das Kind noch nicht alles, was     Mit der freundlichen Genehemigung der Pik-
hen, was wir sagen.                                                            ler-Gesellschaft Berlin.

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DOSSIER                                                                            Kanner am Fokus

     Interview mit Remo Largo
     «Hören wir auf mit überstürzten Reformen!»
     Fast alle Eltern haben seine Bücher gelesen. Jetzt schaltet sich der Kinderarzt Remo Largo («Babyjahre»,
     «Kinderjahre») in die Bildungspolitik ein. Er sagt, warum der Fremdsprachenunterricht an der Primarschule ein
     «Irrweg» ist – und wo Kinder und Jugendliche den Erwachsenen überlegen sind.

     Arzt, Autor und Vater - Remo Lar-       Sie haben den Fremdsprachenun-         In einer Privatschule wurde eine
     go (70) ist emeritierter Professor      terricht im «Tages-Anzeiger» als       Engländerin als Kindergärtnerin
     für Kinderheilkunde und Entwick-        «pädagogischen Irrweg» bezeich-        eingestellt, die der deutschen Spra-
     lungsspezialist. Er leitete von 1975    net. Was läuft falsch?                 che nicht mächtig war. Nach einem
     bis 2005 die Abteilung «Wachstum                                               Jahr konnten sich die Kinder auf
     und Entwicklung» an der Univer-         Je früher die Kinder eine Spra-        Englisch recht gut verständigen.
     sitäts-Kinderklinik Zürich. Er er-      che lernen, desto besser, heisst       Kindern muss Sprache nicht «beige-
     forschte im Rahmen der Zürcher          es. Stimmt. Aber nur, wenn sie die     bracht» werden. Sie bringen das Ge-
     Longitudinalstudien die Entwick-        Sprache auf ihre Weise lernen dür-     hörte mit Personen und Gegenstän-
     lung von mehr als 800 Kindern von       fen. Dann sind kleine Kinder eigent-   den, Handlungen und Situationen
     der Geburt bis ins Erwachsenenal-       liche Lerngenies. Sie erbringen in     in Verbindung und lernen so, eine
     ter. Largo publizierte mehrere Best-    den ersten Lebensjahren eine Leis-     Sprache zu verstehen und schließ-
     seller, darunter «Babyjahre» (1993),    tung, zu der kein Erwachsener fähig    lich auch zu sprechen. Anders als
     «Kinderjahre» (1999), «Schülerjah-      wäre. Sie können sich jede Sprache,    Erwachsene müssen sie keine Voka-
     re» (2009), «Lernen geht anders»        die auf der Welt gesprochen wird,      beln büffeln und Grammatikregeln
     (2010) und «Jugendjahre» (2011).        aneignen. Im Alter von 5 Jahren        auswendig lernen.
     Remo Largo ist Vater von drei Töch-     können sich die meisten Kinder in
     tern und Grossvater von vier Enkel-     vollständigen Sätzen ausdrücken.       Kennen Sie Länder, in denen die
     kindern                                 Ihr Wortschatz umfasst etwa 4000       Schulen genau dies tun?
                                             Wörter. Sie lernen jeden Tag bis zu
     Herr Largo, seit Wochen streiten        6 neue Wörter – ohne dass wir es       Das sogenannte Immersionsler-
     Politiker darüber, welche Fremd-        bemerken würden. Dazu verinner-        nen wird in Australien, Kanada und
     sprache Primarschüler zuerst ler-       lichen sie die Regeln des Satzbaus     Finnland angewandt. Es ist dem na-
     nen sollen. Sind Sie für Französisch    und der Grammatik.                     türlichen Spracherwerb nachemp-
     oder für Englisch?                                                             funden. Die Fremdsprache kommt
                                             Wie schaffen das die Kinder?           im Alltag konsequent zum Einsatz.
     Remo Largo: Ich kann Ihnen kei-                                                Die Kinder machen also vielfältige
     ne vernünftige Antwort geben. Ein       Die Kinder verfügen wohl über eine     sprachliche Erfahrungen in allen
     etwas schräger, aber dennoch pas-       angeborene Begabung zum Spra-          Lebensbereichen. Die Immersion
     sender Vergleich: Es ist etwa so, wie   cherwerb. Sie müssen aber ausge-       beginnt spätestens mit 3 Jahren, ist
     wenn Sie mich fragen würden, ob         dehnte Erfahrungen in einem stän-      von hoher Intensität und wird bis
     wir Doppeldecker oder Segelflug-        digen sprachlichen Austausch mit       in die Oberstufe weitergeführt. Im
     zeuge oder beides für unsere Flug-      Eltern, anderen Bezugspersonen         Südtirol werden die Kinder eben-
     waffe anschaffen sollen.                und vor allem mit Kindern machen.      falls nach diesen Grundsätzen vom
                                             Dabei genügt es nicht, Sprache nur     Kindergarten bis in die Oberstufe
     Weder das eine noch das andere er-      zu hören. Die Kinder müssen Spra-      unterrichtet. Die Kinder wachsen
     gibt Sinn?                              che konkret erleben. Das heisst,       perfekt zweisprachig auf. Neben
                                             Sprache muss mit ganzheitlichen        Deutsch und Italienisch sprechen
     Der Fremdsprachenunterricht, wie        Erfahrungen verknüpft sein. Die        viele Kinder auch noch Ladinisch.
     wir ihn in der Schweiz kennen, ist      Sprache muss in den Alltag der Kin-
     im Ansatz falsch. Die Bildungspo-       der eingebettet sein und ständig in    Bei uns werden Sprachen analy-
     litiker tun so, als ob sie über die     einem direkten Bezug zu ihren Er-      tisch erworben: Man büffelt Voka-
     Kinder frei verfügen könnten und        fahrungen stehen.                      beln und lernt, wie Sätze aufgebaut
     vor allem, als ob die Kinder beliebig                                          sind. Kann nicht auch diese Metho-
     lern- und anpassungsfähig wären.        Das geht problemlos in der Familie,    de funktionieren?
     Sie sind es nicht.                      aber in der Schule?
                                                                                    Es ist ein pädagogischer Sünden-

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Kanner am Fokus                                                                              DOSSIER

fall, wenn man den Kindern auf          zu negativen Lernerfahrungen. Eine      ich – wurden durch den Franzö-
der Primarstufe die Fremdsprache        kürzlich durchgeführte Studie des       sisch-Unterricht traumatisiert, was
analytisch beibringen will. Das ist     Wissenschaftlichen Kompetenzzen-        leider oftmals die Lust, in die Ro-
genauso erfolglos wie Unterricht in     trums für Mehrsprachigkeit an der       mandie zu fahren, geschmälert hat.
Algebra. Die Regeln der Grammatik       Universität Freiburg ergab, dass ein    Vor allem aber fehlen gesellschaft-
und Syntax – auch in der deutschen      analytischer orientierter Sprachun-     liche und kulturelle Inhalte, die ver-
Sprache – sind für die Kinder vor       terricht im frühen Schulalter kaum      mittelt werden und die man teilen
dem 10. Lebensjahr ein Buch mit         Erfolg bringt. An der Universität Zü-   könnte. Eine Sprache muss gelebt
sieben Siegeln. Erst mit dem Auftre-    rich kam eine Studie über das Frü-      werden.
ten des abstrakten Denkens nimmt        henglisch zum gleichen Ergebnis.
das bewusste Verständnis für die        Simone Pfenninger, die Studienlei-      Das klingt gut, aber wie soll an der
Gesetzmäßigkeiten der Sprache zu        terin, sagte in der «NZZ am Sonn-       Schule eine Sprache konkret gelebt
und setzt damit die Fähigkeit zum       tag»: Englisch kann man auf die         werden?
analytischen Spracherwerb ein.          Oberstufe verschieben.
Selbst für Jugendliche kann diese                                               Das Wallis hat es vorgemacht: Schü-
Form des Spracherwerbs eine Über-       Das beurteilen die meisten Politi-      ler der Oberstufe wurden für ein
forderung darstellen.                   ker anders, sie sehen gar den Zu-       Jahr zwischen dem Ober- und Un-
                                        sammenhalt der Schweiz gefähr-          terwallis ausgetauscht. Diese sehr
Also besser kein Fremdsprachen-         det, wenn an der Primarschule kein      sinnvolle Förderung der Zweispra-
unterricht an der Primarschule,         Französisch mehr gelehrt wird.          chigkeit wurde von den Schulbe-
solange er auf diese Weise funkti-                                              hörden im letzten Jahr leider ein-
oniert?                                 Es könnte auch das Gegenteil zu-        gestellt. Ein solcher Austausch sollte
                                        treffen. Französisch ist schwierig      auf der Ebene der Familien, Schu-
Dieser Unterricht führt letztlich nur   zu lernen. Viele Erwachsene – auch      len und auch der Medien vermehrt

                                                                                                                         15
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