Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
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BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3 // 139 Dresden – London 2012 Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte Jede außergewöhnliche Geschichte beginnt für mehrere Wochen tauschten sie ihren mit Kreativität, Mut und Freiheit. Da braucht Dienst- und Lebensort, um in den anderen es Menschen, die Neuartiges kreieren sowie Bibliotheken mitzuarbeiten, sich fachlich Menschen, die die Chance erkennen, den sowie sprachlich weiterzuentwickeln und Weg frei zu machen und sich beteiligen. Eine erfuhren dabei vielfältige Unterstützung. solche erfreuliche Konstellation führte an In den folgenden persönlichen Beiträgen der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- schildern sie ihre reichhaltigen Erfahrungen, und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) benennen Ergebnisse und neue Perspekti- im letzten Jahr erstmalig zum europäischen ven – der bemerkenswerte deutschsprachige Personalaustausch. Zwei Musikbibliothekare Bericht von Dr. Peter Horton (Großbritan- aus London und Dresden wagten Neuland: nien) wurde behutsam verändert. Vier Wochen in Sachsen: ein Bibliothekaustausch zwischen London und Dresden von PETER HORTON s war im Jahr 1980, glaube ich, dass ich das fragte auch, ob jemand vom RCM ihren Platz in E erste Mal von der Sächsischen Landesbiblio- thek gehört habe. Zu der Zeit hatte ich meine erste Stelle in einer Musikbibliothek (im der SLUB einnehmen möchte. Da ich drei Jahre Deutsch zu lernen versucht hatte, wollte ich die Gelegenheit, Deutschland zu besuchen, nicht ver- King’s College, London), und einer der Dozenten, passen. Also befand ich mich am 14. April 2012 auf Dr. Reinhard Strohm, hatte um viele Mikrofilme dem Flug von London nach Dresden, ein bisschen aus der Sächsischen Landesbibliothek gebeten. besorgt, aber auch aufgeregt. Meine Aufgabe war es, die Filme zu katalogisieren Mein Gastgeber holte mich netterweise vom Flug- und etikettieren. Ich erinnere mich nicht an den hafen ab. Meine erste Ansicht von Dresden war Inhalt dieser Filme, aber ich denke, dass es sich um schön. Als wir die Elbe hinüberfuhren, glänzten die Opern aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Dächer, besonders das von der Frauenkirche, in der handelte. Aber das macht nichts. Wichtiger ist, dass Abendsonne. Ein wunderschöner Anblick! Obwohl ich mich an den Namen der Bibliothek erinnerte, ich dreimal Deutschland besucht hatte, war ich nie- niemals denkend, dass ich sie jemals besuchen mals im Osten gewesen. Infolgedessen wurde ich würde. Jetzt müssen wir bis April 2011 vorwärts durch alles, was ich sah, fasziniert. Unser Reiseziel gehen, als meine Chefin eine E-Mail von Frau Ines war der Stadtteil Striesen, der für die nächsten vier Pampel aus der Sächsischen Landes- und Universi- Wochen mein Zuhause sein würde. tätsbibliothek (SLUB) bekam. Frau Pampel teilte Da ich keine neue Stellung seit 1984 gehabt habe, mit, dass sie einen Austausch mit drei englischen war ich ziemlich nervös in einen anderen Arbeits- Musikbibliotheken machen möchte. Könnte sie platz einzutreten, besonders einen, worin jeder zwei Monate in der Bibliothek des Royal College of Deutsch sprach! Aber sobald ich erst die drei Mit- Music (RCM), wo ich jetzt arbeite, verbringen? Sie glieder des leitenden Personals, die mich begrüβten,
140 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3 kennengelernt habe, wusste ich, dass ich keinen Wochenende). Das Bußgeld für die verspätete Rück- Grund zur Sorge haben würde. Sie sprachen Eng- gabe ist £1.00 pro Tag. Ein anderer Unterschied lisch viel besser als ich Deutsch sprechen konnte, betrifft die Klassifizierung. In den Bibliotheken, wo und ich war dem Leiter des Musikreferates beson- ich bisher gearbeitet habe, wurden die „Library of ders dankbar, dass er bereit war, mit mir auf englisch Congress-“ und „Dewey Decimal“-Klassifizierungen zu sprechen. Wenn ich erneut nach Dresden fahre, benutzt, das heißt Bücher über Bach, Beethoven, hoffe ich, mit den Kolleginnen und Kollegen auf Binchois, Birtwistle und Byrd befinden sich nah deutsch sprechen zu können! beieinander. In keiner wurden Musikbiographien Obgleich ich früher in einer Universitätsbibliothek durch historische Perioden angeordnet. Aber in der gearbeitet habe, hatte ich fast vergessen, wieviel grö- Regensburger Klassifizierung, die in England unbe- ßer solche Orte als eine Bibliothek in einer ziemlich kannt ist, sind Bücher über Komponisten aus dem kleinen Musikhochschule sind. Ich war auch von der 19. Jahrhundert in einer getrennten Abfolge von Gestaltung des SLUB-Gebäudes, 2002 eröffnet, fas- jenen über Komponisten aus einem anderen Zeital- ziniert: ähnlich einem Eisberg, kann man nur einen ter. Anfangs fand ich das seltsam. Ebenso die Art, kleinen Teil sehen, der größte Teil ist unsichtbar. Im wie die Musikmanuskripte arrangiert werden. Im Zentrum ist der unterirdische Lesesaal, der mit den RCM arrangieren wir solche Materialien einfach in Magazinen verbunden ist. Der Entwurf erinnerte numerischer Reihenfolge den Manuskriptnummern mich an einen auf dem Kopf stehenden Hocker, mit und dann nach ihren Größen. Wir haben zum Bei- einem breiten Bein an jedem Ende. Jedes „Bein“ hat spiel einige Borde, die 20 cm-Manuskripte enthal- etwa sechs Stockwerke, und enthält die Büros des ten, andere für 25 cm-Manuskripte usw. In London Personals, entweder über oder unter der Erde. Aber ist Platz sehr wertvoll! die Letzteren sind nicht düster, denn sie haben brei- Es wurde mir über die Geschichte und die Leitung te Lichtschächte vor den Fenstern. In so einem Büro der Bibliothek berichtet, und ich erinnere mich auch würde ich für die nächsten vier Wochen arbeiten. So an einen interessanten Morgen, als mir über die weit, so gut, dachte ich, aber nachdem mir das Katalogisierung des Buches erzählt wurde. Da ich Gebäude gezeigt worden war, hatte ich noch zwei ein besonderes Interesse an Kirchenmusik habe, Sorgen: könnte ich den Personaleingang wieder fin- freute ich mich, Gesangbücher, sowohl alt als auch den, und wenn ich in den öffentlichen Teil der neu, zu sehen. Ich erfuhr auch etwas, das ich früher Bibliothek ging, könnte ich mich an den Weg nicht gewusst habe, dass Martin Luther in Sachsen zurück erinnern? Glücklicherweise hatte ich keine gewohnt hatte. Ebenso interessierte mich die Arbeit Probleme! des RISM Büros in der SLUB. Ich lernte, wie man Die Kollegen der Musikabteilung hatten ein Pro- Manuskripte katalogisieren muss und begann, eine gramm für meinen Besuch aufgesetzt. Dies gab mir Sammlung der Dresdner Hoftänze aus dem 18. Jahr- die Gelegenheit, die Arbeit vieler Abteilungen zu hundert zu katalogisieren. Sie waren Contredanses sehen, und Vergleiche mit dem RCM zu machen. anglaises benannt, und einige hatten englische Titel, Bestimmte Aspekte der Arbeit waren ähnlich. Der unter ihnen solche putzigen Namen wie Cockney’s Lesesaal für Sondersammlungen war unserem Lese- Frolic und Whipt Cream (Schlagsahne)! (‘Cockney’ saal sehr ähnlich, und der Infopunkt für Musik und ist der Name der Arbeiterklasse in London.) Mehre- Medien war genau so wie unser „Issue desk“. Aber es re Tanzmeister kamen aus Frankreich, und die mei- gab auch Unterschiede. In London gibt es nur sten Tänze haben französische Titel. Nur ein Teil Musikstudenten und Musikdozenten, in Dresden der originalen Sammlung ist jetzt in Dresden – eine aber Studenten und Dozenten vieler Fächer. Unsere Serie kleiner Bände mit der Melodien allein, für die Benutzer wollen hauptsächlich Musik spielen, Parti- Benutzung des Tanzmeisters, und ein paar Manu- turen studieren und Musikbücher lesen, während in skriptpartituren. Der Restbestand ist in der Staatsbi- der SLUB ein großer Teil der Ausleihungen aus bliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Mein DVDs und CDs für Freizeitbenutzer besteht. Im anderes Projekt betraf den englisch-deutschen Kom- RCM dürfen die meisten Studenten nur eine CD ponisten und Pianisten Percy Sherwood oder DVD ausleihen, und dann nur zwischen 16 (1866 –1939). Sherwood, der in Dresden geboren und 11 Uhr am nächsten Tag (oder über das wurde und aufgewachsen war, hatte einen engli- Bennett, William Sterndale: Herr Schumann ist ein guter Mann, 1837. – Mus.Schu.20a
141 Palais im Großen Garten, Dresden schen Vater und eine deutsche Mutter. Er studierte suchte, besuchte er einige europäischen Hochschu- in der Hochschule für Musik in der Stadt und spielte len – in Leipzig, Paris und Wien. Im Gegensatz zu später regelmäßig im Salon des Bertrand Roths. Ein der Hochschule in Leipzig hat das RCM zwei Trep- Sammlungsgegenstand im Musikreferat ist ein Band penhäuser, eine (ursprünglich) für Studenten und mit Programmen von Vorträgen, woraus man die eine andere für Studentinnen! Nach einem Skandal Aufführungen von Sherwood und anderen engli- um ein paar Studentinnen und einen Violindozen- schen Musikern ermitteln kann. Sherwoods letzter ten mussten alle Türen auch ein Fenster enthalten! Auftritt war im Oktober 1913 in einem Konzert „In In der knappen Zeit, die mir in Leipzig blieb, konnte memoriam Felix Draeseke“ (seinen Kompositions- ich nur flüchtige Besuche im Mendelssohnhaus und lehrer). Im nächsten Jahr war er in England am Aus- in der Thomaskirche machen. Die Musik von bruch des ersten Weltkriegs, und er kehrte niemals J.S. Bach in einer Probe in der Letzteren zu hören, nach Deutschland zurück. Sein Heim, „Villa Sher- war sehr rührend. wood“, Schweizerstraße 16, wurde im zweiten Welt- Ich habe ein weiteres Interesse an einen früheren krieg zerstört. englischen Komponisten und Pianisten, William Ich könnte über viel Anderes schreiben: die Media- Sterndale Bennett (1816 – 75). Bennett war ein thek oder die Sammlung der Manuskripte von Kom- Freund von Felix Mendelssohn und Robert Schu- ponisten aus der DDR, zum Beispiel. Jedoch muss mann. Zwischen 1836 und 1842 besuchte er Leipzig ich mehr Platz für andere Angelegenheiten lassen! dreimal. Jedes Mal führte er ein Tagebuch, worin er In Dresden konnte ich noch zwei andere Bibliothe- die Leute, die er kennenlernte, die Musik, die er ken besuchen: die Bibliothek der Hochschule für hörte und die Tage, die er mit Schumann ging, Musik Carl Maria von Weber und die Städtische beschrieb! Manchmal mochte er diese gemütlichen Musikbibliotheken Dresden. Ich verbrachte auch Kneipenabende nicht: am 18. November 1836 einen Tag in Leipzig, wo ich die Deutsche National- schrieb er: „I expect Schumann to call for me to go bibliothek und die Bibliothek der Hochschule für directly and attack Bavarian beer. Horrid stuff.“ Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Neben zwei Briefen von Bennett an Schumann besichtigte. Der Kontrast zwischen beiden hätte besitzt die SLUB das Manuskript eines musikali- nicht größer sein können. Das Deutsche Musikar- schen Kanons von Bennett. Der Text lautet: chiv der Ersteren ist in einem neuen, modernen Herrn Schumann ist ein guter Mann Er raucht Gebäude, mit viel Raum, aber in der Letzteren sind Tabak als niemand kann die Bücher, Partituren usw. über ihre eingeschränk- Ein Mann vielleicht von 30 Jahrn mit kurze Nase ten Unterkünften hinausgewachsen. Ungefähr vor und kurzen Haar. acht Jahren habe ich über den englischen Komponi- sten Walter Battison Haynes (1859 –1900) Ich hatte viel Glück während meines Aufenthalts in geforscht. Haynes studierte in Leipzig, und ich hatte Dresden, da das Wetter so wunderbar war. Täglich Kopien seiner Zeugnisse von der Bibliothek bekom- konnte ich durch den Großen Garten, zwischen men. Nun konnte ich die Originale sehen! Das Striesen und der SLUB, zu Fuß gehen, und ich Gebäude der Hochschule interessierte mich auch. werde meine erste Ansicht des Palais, mit der Mor- Als Sir George Grove, der erste Direktor des RCMs, gensonne daran scheinend, nicht vergessen. Später nach Ideen für einen Entwurf eines neuen Gebäudes sah ich das, was die Engländer „rote“ Eichhörnchen
142 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3 Zwei Seiten aus Bennetts Tagebuch – aus der Samm- lung von Barry Sterndale- Bennett nennen. Hier in London sieht man sie niemals. Bergsteiger auf ihrem Gipfel hatte! Wir saßen auf Andere Erinnerungen habe ich an die Altstadt, wo einem leichter aufzusteigenden Gipfel, um unsere ich regelmäßig nach meiner Arbeit spazieren gegan- belegten Brötchen zu essen, und die Aussicht war gen bin. Ich erinnere mich besonders an das Tor des wunderbar. Danach gingen wir langsam herunter Residenzschlosses, die Brühlsche Terrasse, die Hof- und kamen an den Fluss zurück. Hier fühlte man die kirche, die Frauenkirche, die Elbe und die alten volle Hitze der Sonne. Es war ein unvergesslicher Dampfschiffe. Ein anderes Ereignis war eine Auf- Tag gewesen! führung der Oper Salome in der Semperoper. Meine vier Wochen in Deutschland vergingen ziem- Manchmal bin ich ein bisschen weiter in die Neu- lich schnell. Am Ende meines Besuches in Dresden stadt gegangen, aber ich besuchte diesen Stadtteil trafen sich die Bibliothekarinnen und Bibliothekare weniger als die anderen. Ein Wochenende bin ich aus den Dresdner Musiksammlungen, wo wir Biere mit dem Bus nach Pillnitz gefahren, um den Schloss- probierten und dann ein Abendessen hatten. Es park und das Carl-Maria-von-Weber-Museum zu wurde mir gesagt, dass es niemals einen solchen besichtigen. Ich liebe die Musik von Weber sehr, und Anlass gegeben hatte. Es war ein passendes Ende zu das Haus zu besuchen, worin er „Der Freischütz“, einer schönen Zeit! Ich fand die ganze Erfahrung „Euryanthe und Oberon“ komponierte, und dabei des Austausches sehr lohnend, und ich würde es seine Musik zu hören, war ein schönes Erlebnis. Sein jedem unbedingt empfehlen. Man würde ein genau- Tod in London, von seiner Heimat und seiner Fami- so warmes Willkommen im RCM bekommen. lie weit entfernt, scheint mir immer so traurig. Mein anderer unvergesslicher Besuch führte in die Bei der Vorbereitung dieses Artikels haben mir zwei Sächsische Schweiz, über welche ich schon in Eng- Personen geholfen und meine Sprachfehler korri- land gehört hatte. Mit dem Zug fuhren wir nach giert. Ich muss ihnen deshalb danken: meiner Schmilka-Hirschmühle, wo wir mit einer kleinen Deutschlehrerin Frau Lillian Banner und meiner Fähre über die Elbe fuhren und zu Kollegin am RCM Frau Dr. Natasha Loges. PETER Wandern anfingen. Für jemanden Außerdem danke ich herzlich für die Betreuung in HORTON wie ich, der eine solche Landschaft Sachsen: Stefan Domes, Dr. Karl Wilhelm Geck, niemals gesehen hatte, war es Kerstin Hagemeyer, Wolfgang Ritschel, Isabell Tent- erstaunlich. Mir schien, als ob jede ler, Wibke Weigand, Barbara Wiermann sowie Ines Felsensäule einen oder mehrere Pampel mit Familie.
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3 // 143 All the same in Europe? von INES PAMPEL n der DDR geboren und studiert, erfasste mich I University Library | Pendlebury Library of Music, nach zwei Berufsjahrzehnten in der Musikabtei- Cambridge (UK) lung der Sächsische Landesbibliothek – Staats- Wenige Stunden später landete ich in der Haupt- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und stadt der englischen Grafschaft Cambridgeshire, die Erziehungszeiten für drei Kinder der Wunsch, vor allem berühmt ist für die „University of Cam- europäische Musikbibliotheken detailliert kennen- bridge“ mit den reizvollen Colleges und dem Uni- zulernen und meine englische Sprachkompetenz zu versitätsverlag „Cambridge University Press“. erweitern. Die Direktion der SLUB bewilligte die Während meines zweimonatigen Aufenthalts in unbezahlte Freistellung für ein mehrmonatiges Cambridge arbeitete ich in der „Pendlebury Library Praktikum und die Gehaltsfortzahlung bei einem of Music“, die Fakultätsbibliothek Musik der Uni- Personaltausch. Auf dieser Basis begann ich zu kor- versität mit der „West Road Concert Hall“, und in respondieren und organisieren: Praktikumsstellen, der Musikabteilung der Universitätsbibliothek. Ich Zimmer zur Miete und Finanzierung. Die Idee, erhielt einen Einblick in die Geschäftsgänge beider meinen Arbeitsplatz mit einem englischen Kolle- Musikbibliotheken, in die „Concert Programme gen im Tausch zu besetzen, sollte Wirklichkeit wer- Database“ sowie die Notenkatalogisierung im ameri- den. Einerseits konnte so die Personallücke, die ich kanischen Datenformat MARC 21. Zur regen hinterließ, gefüllt, andererseits die Bibliothek um Öffentlichkeitsarbeit beider Musiksammlungen das Wissen eines internationalen Musikbibliothe- gehören Nutzerschulungen, für neue Bibliotheksan- kars bereichert werden. Mit einem Flugticket, Sti- gestellte „Hinter die Kulissen geschaut“ sowie die pendium, 20 Kilo Gepäck und sechs Adressen für Kommunikation via Internet. Der „MusiCB3 Blog“ ein halbes Arbeitsjahr in England bestieg ich vor ist einer von beachtlichen 23 Blogs, die die Cam- Sonnenaufgang am 2. Januar 2012 in Dresden den bridge University Library auf ihrer Homepage Fernbus in Richtung Flughafen Berlin-Schönefeld. anbietet. Mit einer Fachreferentin der Universitäts- Das Abenteuer begann, das ich sorgfältig vorberei- bibliothek fand ein Informationsgespräch statt zur tet hatte und dessen Ausgang offen war. Praxis der „Card Catalogue Conversion“ in Dres- Cambridge University Library
144 // British Library den, dem 2011 erfolgreich abgeschlossen Noten- don bietet mit elf Lesesälen und Aufenthaltsberei- Konversionsprojekt der SLUB mit einer europä- chen auf neun Fluren 1.200 Besuchern eine hervor- ischen Firma statt. Eine Bibliothekskonferenz, die ragende Studienatmosphäre. Großraumbüros im jährlich für alle Mitarbeitenden der Universitätsbi- ganzen Haus ermöglichen den Sammlungen flexible bliothek, der Fakultätsbibliotheken und mehr als 30 Arbeitsmöglichkeiten. Es faszinierten mich die Collegebibliotheken in Cambridge stattfindet, bot exzellenten Bestandspräsentationen in der Biblio- zum Thema „Blue skies ... thinking and working in thek und im Internet, die aufwendigen Restaurie- the cloud“ spannende Vorträge. Die Besuche der rungen sowie hochkarätigen Neuerwerbungen. Das Bibliotheken des Selwyn College, Christ’s College Intranet „Inside knowlegde“ publiziert transparent und King’s College, des Fitzwilliam Museums sowie News und Events, Informationen zur Organisations- zahlreicher Evensongs und Lunchtime-Concerts struktur, zu Strategien und Personal und bietet erlebte ich als grandiose Bereicherung. Foren zur Diskussion von Technologien und Ser- vice. Die BL bietet 17 Blogs und meistert die interne British Library London, und öffentliche Kommunikation beispielhaft. Department Sound – Vision – Music Auf der Basis von „Vision 2020“ und „Strategie Als in den Parks die Krokusse zu blühen begannen, 2011 – 2015“ vollzieht die BL mutige Umstruktu- wechselte ich für weitere zwei Monate in eine der rierungen für eine fach- statt medienbezogene größten kulturellen Einrichtungen Großbritanniens, Arbeit. So erlebte ich den ersten Wochen den die British Library (BL). Als Nationale Schatzkam- Umzug des Musikteams auf die gegenüberliegende mer beherbergt sie 150 Millionen Medien an drei Gebäudeseite. Während ich mit zupackte, begann Standorten: in Colindale, Boston Spa und London ich sukzessive zu verstehen: Die traditionelle Musik- St Pancras (mit King’s Library Tower und Centre for abteilung, wie sie bis 2011 existierte, gibt es nicht Royal College of Music Conservation). Der 1998 eröffnete Neubau in Lon- mehr. Das neue Department „Sound and Vision – Music“ vereint sechs Curatoren für gedruckte Noten, Musikhandschriften sowie audiovisuelle Materialien und kooperiert eng mit dem Digital Research & Curator Team. Als die Direktorin der British Library, Dame Lynne Brindley, das Musikteam besuchte, sprach ich mit ihr über meine Vision: Musikbibliothekare arbeiten zusammen in Europa und lernen voneinander. Anregende Führungen durch die Bibliothek des Tri- nity Laban Conservatoire of Music and Dance Greenwich sowie die einzigartige „Gerald Coke Handel Collection“ im Foundling Museum London rundeten den Aufenthalt ab. Royal College of Music London Die Bibliothek des Royal College of Music (RCM) in London-Kensington bildete den krönenden Abschluss meines Berufspraktikums. Das RCM ist die zweitälteste von vier Musikhochschulen Lon- dons. Gründungsdirektor des College’ war George
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3 // 145 Grove (1820 – 1900), der Urheber des weltbekann- LINKS ten Musiklexikons. Heute empfangen hier 750 Stu- denten aus 64 Nationen eine exzellente musikalische Cambridge University Library: www.lib.cam.ac.uk/ Ausbildung, die oftmals der Beginn von internatio- British Library London: www.bl.uk nalen Karrieren ist. Die Bibliothek ist mit 400.000 Medien – darunter 10.000 Handschriften und Royal College of Music London: www.rcm.ac.uk 20.000 Alte Drucke – hinsichtlich Größe und Bedeutsamkeit vergleichbar mit dem Bestand der Concert Programme Database: www.concertprogrammes.org.uk 1816 begründeten Musiksammlung der SLUB Dres- Job Swapping: www.aibm.info/ausbildung/jobswapping/ den. Nach einer Einführung in die Aufgaben und den Medienworkflow der Bibliothek arbeitete ich einige Stunden pro Woche an der Ausleihtheke und transliterierte autographe deutschsprachige Korre- spondenz aus dem Nachlass des Dirigenten August Manns (1825 – 1907). Zum College gehören ein Museum mit Gemälden und alten Musikinstrumenten sowie das „Centre for Performance History“, das neben weiteren Instru- menten ebenso Skulpturen, Ölgemälde, Zeichnun- gen, Aquarelle, Fotos, Konzert-, Opern- und Ballett- programme überwiegend mit Bezug zu Großbritan- nien beherbergt. Die Bibliothek der ältesten Musikhochschule Lon- dons, der 1822 gegründeten Royal Academy of Music (RAM) besitzt 200.000 Medien inklusive Nachlässe beispielsweise des Dirigenten und Kom- Klavierausgaben, oft mit sehr schön illustrierten ponisten Otto Klemperer (1885 – 1973), einem Titelblättern, mitzuwirken. Cousin des Romanisten Viktor Klemperer. Zur Academy gehören ein separates Museum mit impo- Fazit santen Präsentationen von Streich- und Tastenin- In den sechs Monaten erhielt ich einen hervorragen- strumenten sowie zwei Werkstätten zur Instrumen- den Einblick in die Arbeiten und Bestände einiger tenrestaurierung. Eine Führung durch die beein- englischer Musikbibliotheken. Die Erschließung druckende Musiksammlung des BBC vermittelte historischer Konzertprogramme, Pressemeldungen einen Überblick zu Noten und Autographe von und -kritiken der Dresdner Musikszene erfolgt ab Aufführungen der BBC Singers und fünf BBC sofort in der „Concert Programme Database“ (UK, Orchester mit wertvollen Unikaten, wie die Origi- Irland). Zwei Vorträge im letzten Jahr auf der nalpartitur der ersten Sendung der in England sehr IAML-Tagung in Montreal und der AIBM-Tagung populären „The Morecambe & Wise Show“ in Frankfurt/Main (International Association of (1968 – 1977). Music Libraries, Archives and Documentation Cen- Einen Höhepunkt bildete der Tagesausflug nach tres) führten zur neuen Kontaktstelle und Webseite Oxford. Oxford Universität ist eine unabhängige, „Job Swapping“. Bei der Bürgerkonferenz „Ich will selbstverwaltete Institution bestehend aus der zen- Europa – mitgestalten“ am 20. April 2013 im tralen Universität sowie 38 Colleges. Die Music Schloss Bellevue Berlin, zu der der Bundespräsident Faculty Library befindet sich im Zentrum Oxford’s Joachim Gauck und die Stiftung Mercator, die neben der „Bate Collection“ – einem Museum mit Robert Bosch Stiftung und die Schwarzkopf Stif- historischen Musikinstrumenten. tung Junges Europa eingeladen hatten, durfte ich Die Bodleian Library, 1602 gegründet, ist die zen- meine Ideen bei der Themenrunde zu „Leben und trale Forschungsbibliothek der Universität Oxford. Arbeiten in Europa“ einbringen. Am Ende formu- Der Begründer, Sir Thomas Bodley (1545 – 1613), lierten wir das „Grundrecht auf geförderten Aus- erlangte 1610 die Übereinkunft mit Buchhändlern, tausch für alle“ als eine Vision für ein zukünftiges nach der bis heute die Bodleian Library ein Freiex- starkes Europa. emplar jedes in England veröffentlichten Druckes Heute kann ich sagen, dass das Praktikum zur schön- erhält. Heute besteht die Bodleian aus drei Gebäu- sten Zeit meines Lebens zählt, wegen der faszinie- den mit sieben Lesesälen: The Old Bodleian Libra- renden Sammlungen, den wunderbaren Menschen ry, The Radcliffe Camera and The New Bodleian und der großartigen Chance, Arbeiten und Lernen Library. zu verbinden. Ich bin dankbar für „What’s the Score at the Bodleian?“ ist ein durch die exzellente Betreuung vor Ort, INES Google Focused Research Award gesponsertes Digi- das erfolgreiche Zustandekommen PAMPEL talisierungsprojekt für Musikalien aus dem Victoria- eines Personalaustausches und nischen Zeitalter. Seit Mai 2012 ist die Öffentlich- „Europa“, das dieser beruflichen keit eingeladen, an der Erfassung der über 4.300 Fortbildung ein Fundament gibt.
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