Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte

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Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3             // 139

Dresden – London 2012
Personalaustausch als Chance:
Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
Jede außergewöhnliche Geschichte beginnt               für mehrere Wochen tauschten sie ihren
mit Kreativität, Mut und Freiheit. Da braucht          Dienst- und Lebensort, um in den anderen
es Menschen, die Neuartiges kreieren sowie             Bibliotheken mitzuarbeiten, sich fachlich
Menschen, die die Chance erkennen, den                 sowie sprachlich weiterzuentwickeln und
Weg frei zu machen und sich beteiligen. Eine           erfuhren dabei vielfältige Unterstützung.
solche erfreuliche Konstellation führte an             In den folgenden persönlichen Beiträgen
der Sächsischen Landesbibliothek – Staats-             schildern sie ihre reichhaltigen Erfahrungen,
und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)              benennen Ergebnisse und neue Perspekti-
im letzten Jahr erstmalig zum europäischen             ven – der bemerkenswerte deutschsprachige
Personalaustausch. Zwei Musikbibliothekare             Bericht von Dr. Peter Horton (Großbritan-
aus London und Dresden wagten Neuland:                 nien) wurde behutsam verändert.

Vier Wochen in Sachsen:
ein Bibliothekaustausch zwischen London und Dresden
von PETER HORTON

      s war im Jahr 1980, glaube ich, dass ich das     fragte auch, ob jemand vom RCM ihren Platz in

E     erste Mal von der Sächsischen Landesbiblio-
      thek gehört habe. Zu der Zeit hatte ich
meine erste Stelle in einer Musikbibliothek (im
                                                       der SLUB einnehmen möchte. Da ich drei Jahre
                                                       Deutsch zu lernen versucht hatte, wollte ich die
                                                       Gelegenheit, Deutschland zu besuchen, nicht ver-
King’s College, London), und einer der Dozenten,       passen. Also befand ich mich am 14. April 2012 auf
Dr. Reinhard Strohm, hatte um viele Mikrofilme         dem Flug von London nach Dresden, ein bisschen
aus der Sächsischen Landesbibliothek gebeten.          besorgt, aber auch aufgeregt.
Meine Aufgabe war es, die Filme zu katalogisieren      Mein Gastgeber holte mich netterweise vom Flug-
und etikettieren. Ich erinnere mich nicht an den       hafen ab. Meine erste Ansicht von Dresden war
Inhalt dieser Filme, aber ich denke, dass es sich um   schön. Als wir die Elbe hinüberfuhren, glänzten die
Opern aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts       Dächer, besonders das von der Frauenkirche, in der
handelte. Aber das macht nichts. Wichtiger ist, dass   Abendsonne. Ein wunderschöner Anblick! Obwohl
ich mich an den Namen der Bibliothek erinnerte,        ich dreimal Deutschland besucht hatte, war ich nie-
niemals denkend, dass ich sie jemals besuchen          mals im Osten gewesen. Infolgedessen wurde ich
würde. Jetzt müssen wir bis April 2011 vorwärts        durch alles, was ich sah, fasziniert. Unser Reiseziel
gehen, als meine Chefin eine E-Mail von Frau Ines      war der Stadtteil Striesen, der für die nächsten vier
Pampel aus der Sächsischen Landes- und Universi-       Wochen mein Zuhause sein würde.
tätsbibliothek (SLUB) bekam. Frau Pampel teilte        Da ich keine neue Stellung seit 1984 gehabt habe,
mit, dass sie einen Austausch mit drei englischen      war ich ziemlich nervös in einen anderen Arbeits-
Musikbibliotheken machen möchte. Könnte sie            platz einzutreten, besonders einen, worin jeder
zwei Monate in der Bibliothek des Royal College of     Deutsch sprach! Aber sobald ich erst die drei Mit-
Music (RCM), wo ich jetzt arbeite, verbringen? Sie     glieder des leitenden Personals, die mich begrüβten,
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                              kennengelernt habe, wusste ich, dass ich keinen           Wochenende). Das Bußgeld für die verspätete Rück-
                              Grund zur Sorge haben würde. Sie sprachen Eng-            gabe ist £1.00 pro Tag. Ein anderer Unterschied
                              lisch viel besser als ich Deutsch sprechen konnte,        betrifft die Klassifizierung. In den Bibliotheken, wo
                              und ich war dem Leiter des Musikreferates beson-          ich bisher gearbeitet habe, wurden die „Library of
                              ders dankbar, dass er bereit war, mit mir auf englisch    Congress-“ und „Dewey Decimal“-Klassifizierungen
                              zu sprechen. Wenn ich erneut nach Dresden fahre,          benutzt, das heißt Bücher über Bach, Beethoven,
                              hoffe ich, mit den Kolleginnen und Kollegen auf           Binchois, Birtwistle und Byrd befinden sich nah
                              deutsch sprechen zu können!                               beieinander. In keiner wurden Musikbiographien
                              Obgleich ich früher in einer Universitätsbibliothek       durch historische Perioden angeordnet. Aber in der
                              gearbeitet habe, hatte ich fast vergessen, wieviel grö-   Regensburger Klassifizierung, die in England unbe-
                              ßer solche Orte als eine Bibliothek in einer ziemlich     kannt ist, sind Bücher über Komponisten aus dem
                              kleinen Musikhochschule sind. Ich war auch von der        19. Jahrhundert in einer getrennten Abfolge von
                              Gestaltung des SLUB-Gebäudes, 2002 eröffnet, fas-         jenen über Komponisten aus einem anderen Zeital-
                              ziniert: ähnlich einem Eisberg, kann man nur einen        ter. Anfangs fand ich das seltsam. Ebenso die Art,
                              kleinen Teil sehen, der größte Teil ist unsichtbar. Im    wie die Musikmanuskripte arrangiert werden. Im
                              Zentrum ist der unterirdische Lesesaal, der mit den       RCM arrangieren wir solche Materialien einfach in
                              Magazinen verbunden ist. Der Entwurf erinnerte            numerischer Reihenfolge den Manuskriptnummern
                              mich an einen auf dem Kopf stehenden Hocker, mit          und dann nach ihren Größen. Wir haben zum Bei-
                              einem breiten Bein an jedem Ende. Jedes „Bein“ hat        spiel einige Borde, die 20 cm-Manuskripte enthal-
                              etwa sechs Stockwerke, und enthält die Büros des          ten, andere für 25 cm-Manuskripte usw. In London
                              Personals, entweder über oder unter der Erde. Aber        ist Platz sehr wertvoll!
                              die Letzteren sind nicht düster, denn sie haben brei-     Es wurde mir über die Geschichte und die Leitung
                              te Lichtschächte vor den Fenstern. In so einem Büro       der Bibliothek berichtet, und ich erinnere mich auch
                              würde ich für die nächsten vier Wochen arbeiten. So       an einen interessanten Morgen, als mir über die
                              weit, so gut, dachte ich, aber nachdem mir das            Katalogisierung des Buches erzählt wurde. Da ich
                              Gebäude gezeigt worden war, hatte ich noch zwei           ein besonderes Interesse an Kirchenmusik habe,
                              Sorgen: könnte ich den Personaleingang wieder fin-        freute ich mich, Gesangbücher, sowohl alt als auch
                              den, und wenn ich in den öffentlichen Teil der            neu, zu sehen. Ich erfuhr auch etwas, das ich früher
                              Bibliothek ging, könnte ich mich an den Weg               nicht gewusst habe, dass Martin Luther in Sachsen
                              zurück erinnern? Glücklicherweise hatte ich keine         gewohnt hatte. Ebenso interessierte mich die Arbeit
                              Probleme!                                                 des RISM Büros in der SLUB. Ich lernte, wie man
                              Die Kollegen der Musikabteilung hatten ein Pro-           Manuskripte katalogisieren muss und begann, eine
                              gramm für meinen Besuch aufgesetzt. Dies gab mir          Sammlung der Dresdner Hoftänze aus dem 18. Jahr-
                              die Gelegenheit, die Arbeit vieler Abteilungen zu         hundert zu katalogisieren. Sie waren Contredanses
                              sehen, und Vergleiche mit dem RCM zu machen.              anglaises benannt, und einige hatten englische Titel,
                              Bestimmte Aspekte der Arbeit waren ähnlich. Der           unter ihnen solche putzigen Namen wie Cockney’s
                              Lesesaal für Sondersammlungen war unserem Lese-           Frolic und Whipt Cream (Schlagsahne)! (‘Cockney’
                              saal sehr ähnlich, und der Infopunkt für Musik und        ist der Name der Arbeiterklasse in London.) Mehre-
                              Medien war genau so wie unser „Issue desk“. Aber es       re Tanzmeister kamen aus Frankreich, und die mei-
                              gab auch Unterschiede. In London gibt es nur              sten Tänze haben französische Titel. Nur ein Teil
                              Musikstudenten und Musikdozenten, in Dresden              der originalen Sammlung ist jetzt in Dresden – eine
                              aber Studenten und Dozenten vieler Fächer. Unsere         Serie kleiner Bände mit der Melodien allein, für die
                              Benutzer wollen hauptsächlich Musik spielen, Parti-       Benutzung des Tanzmeisters, und ein paar Manu-
                              turen studieren und Musikbücher lesen, während in         skriptpartituren. Der Restbestand ist in der Staatsbi-
                              der SLUB ein großer Teil der Ausleihungen aus             bliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Mein
                              DVDs und CDs für Freizeitbenutzer besteht. Im             anderes Projekt betraf den englisch-deutschen Kom-
                              RCM dürfen die meisten Studenten nur eine CD              ponisten und Pianisten Percy Sherwood
                              oder DVD ausleihen, und dann nur zwischen 16              (1866 –1939). Sherwood, der in Dresden geboren
                              und 11 Uhr am nächsten Tag (oder über das                 wurde und aufgewachsen war, hatte einen engli-

Bennett, William Sterndale:
Herr Schumann ist ein guter Mann,
1837. – Mus.Schu.20a
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                                                                                             Palais im Großen Garten, Dresden

schen Vater und eine deutsche Mutter. Er studierte      suchte, besuchte er einige europäischen Hochschu-
in der Hochschule für Musik in der Stadt und spielte    len – in Leipzig, Paris und Wien. Im Gegensatz zu
später regelmäßig im Salon des Bertrand Roths. Ein      der Hochschule in Leipzig hat das RCM zwei Trep-
Sammlungsgegenstand im Musikreferat ist ein Band        penhäuser, eine (ursprünglich) für Studenten und
mit Programmen von Vorträgen, woraus man die            eine andere für Studentinnen! Nach einem Skandal
Aufführungen von Sherwood und anderen engli-            um ein paar Studentinnen und einen Violindozen-
schen Musikern ermitteln kann. Sherwoods letzter        ten mussten alle Türen auch ein Fenster enthalten!
Auftritt war im Oktober 1913 in einem Konzert „In       In der knappen Zeit, die mir in Leipzig blieb, konnte
memoriam Felix Draeseke“ (seinen Kompositions-          ich nur flüchtige Besuche im Mendelssohnhaus und
lehrer). Im nächsten Jahr war er in England am Aus-     in der Thomaskirche machen. Die Musik von
bruch des ersten Weltkriegs, und er kehrte niemals      J.S. Bach in einer Probe in der Letzteren zu hören,
nach Deutschland zurück. Sein Heim, „Villa Sher-        war sehr rührend.
wood“, Schweizerstraße 16, wurde im zweiten Welt-       Ich habe ein weiteres Interesse an einen früheren
krieg zerstört.                                         englischen Komponisten und Pianisten, William
Ich könnte über viel Anderes schreiben: die Media-      Sterndale Bennett (1816 – 75). Bennett war ein
thek oder die Sammlung der Manuskripte von Kom-         Freund von Felix Mendelssohn und Robert Schu-
ponisten aus der DDR, zum Beispiel. Jedoch muss         mann. Zwischen 1836 und 1842 besuchte er Leipzig
ich mehr Platz für andere Angelegenheiten lassen!       dreimal. Jedes Mal führte er ein Tagebuch, worin er
In Dresden konnte ich noch zwei andere Bibliothe-       die Leute, die er kennenlernte, die Musik, die er
ken besuchen: die Bibliothek der Hochschule für         hörte und die Tage, die er mit Schumann ging,
Musik Carl Maria von Weber und die Städtische           beschrieb! Manchmal mochte er diese gemütlichen
Musikbibliotheken Dresden. Ich verbrachte auch          Kneipenabende nicht: am 18. November 1836
einen Tag in Leipzig, wo ich die Deutsche National-     schrieb er: „I expect Schumann to call for me to go
bibliothek und die Bibliothek der Hochschule für        directly and attack Bavarian beer. Horrid stuff.“
Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy           Neben zwei Briefen von Bennett an Schumann
besichtigte. Der Kontrast zwischen beiden hätte         besitzt die SLUB das Manuskript eines musikali-
nicht größer sein können. Das Deutsche Musikar-         schen Kanons von Bennett. Der Text lautet:
chiv der Ersteren ist in einem neuen, modernen          Herrn Schumann ist ein guter Mann Er raucht
Gebäude, mit viel Raum, aber in der Letzteren sind      Tabak als niemand kann
die Bücher, Partituren usw. über ihre eingeschränk-     Ein Mann vielleicht von 30 Jahrn mit kurze Nase
ten Unterkünften hinausgewachsen. Ungefähr vor          und kurzen Haar.
acht Jahren habe ich über den englischen Komponi-
sten Walter Battison Haynes (1859 –1900)                Ich hatte viel Glück während meines Aufenthalts in
geforscht. Haynes studierte in Leipzig, und ich hatte   Dresden, da das Wetter so wunderbar war. Täglich
Kopien seiner Zeugnisse von der Bibliothek bekom-       konnte ich durch den Großen Garten, zwischen
men. Nun konnte ich die Originale sehen! Das            Striesen und der SLUB, zu Fuß gehen, und ich
Gebäude der Hochschule interessierte mich auch.         werde meine erste Ansicht des Palais, mit der Mor-
Als Sir George Grove, der erste Direktor des RCMs,      gensonne daran scheinend, nicht vergessen. Später
nach Ideen für einen Entwurf eines neuen Gebäudes       sah ich das, was die Engländer „rote“ Eichhörnchen
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          Zwei Seiten aus Bennetts
          Tagebuch – aus der Samm-
          lung von Barry Sterndale-
          Bennett

                       nennen. Hier in London sieht man sie niemals.            Bergsteiger auf ihrem Gipfel hatte! Wir saßen auf
                       Andere Erinnerungen habe ich an die Altstadt, wo         einem leichter aufzusteigenden Gipfel, um unsere
                       ich regelmäßig nach meiner Arbeit spazieren gegan-       belegten Brötchen zu essen, und die Aussicht war
                       gen bin. Ich erinnere mich besonders an das Tor des      wunderbar. Danach gingen wir langsam herunter
                       Residenzschlosses, die Brühlsche Terrasse, die Hof-      und kamen an den Fluss zurück. Hier fühlte man die
                       kirche, die Frauenkirche, die Elbe und die alten         volle Hitze der Sonne. Es war ein unvergesslicher
                       Dampfschiffe. Ein anderes Ereignis war eine Auf-         Tag gewesen!
                       führung der Oper Salome in der Semperoper.               Meine vier Wochen in Deutschland vergingen ziem-
                       Manchmal bin ich ein bisschen weiter in die Neu-         lich schnell. Am Ende meines Besuches in Dresden
                       stadt gegangen, aber ich besuchte diesen Stadtteil       trafen sich die Bibliothekarinnen und Bibliothekare
                       weniger als die anderen. Ein Wochenende bin ich          aus den Dresdner Musiksammlungen, wo wir Biere
                       mit dem Bus nach Pillnitz gefahren, um den Schloss-      probierten und dann ein Abendessen hatten. Es
                       park und das Carl-Maria-von-Weber-Museum zu              wurde mir gesagt, dass es niemals einen solchen
                       besichtigen. Ich liebe die Musik von Weber sehr, und     Anlass gegeben hatte. Es war ein passendes Ende zu
                       das Haus zu besuchen, worin er „Der Freischütz“,         einer schönen Zeit! Ich fand die ganze Erfahrung
                       „Euryanthe und Oberon“ komponierte, und dabei            des Austausches sehr lohnend, und ich würde es
                       seine Musik zu hören, war ein schönes Erlebnis. Sein     jedem unbedingt empfehlen. Man würde ein genau-
                       Tod in London, von seiner Heimat und seiner Fami-        so warmes Willkommen im RCM bekommen.
                       lie weit entfernt, scheint mir immer so traurig.
                       Mein anderer unvergesslicher Besuch führte in die        Bei der Vorbereitung dieses Artikels haben mir zwei
                       Sächsische Schweiz, über welche ich schon in Eng-        Personen geholfen und meine Sprachfehler korri-
                       land gehört hatte. Mit dem Zug fuhren wir nach           giert. Ich muss ihnen deshalb danken: meiner
                       Schmilka-Hirschmühle, wo wir mit einer kleinen           Deutschlehrerin Frau Lillian Banner und meiner
                                         Fähre über die Elbe fuhren und zu      Kollegin am RCM Frau Dr. Natasha Loges.
              PETER                      Wandern anfingen. Für jemanden         Außerdem danke ich herzlich für die Betreuung in
             HORTON                      wie ich, der eine solche Landschaft    Sachsen: Stefan Domes, Dr. Karl Wilhelm Geck,
                                         niemals gesehen hatte, war es          Kerstin Hagemeyer, Wolfgang Ritschel, Isabell Tent-
                                         erstaunlich. Mir schien, als ob jede   ler, Wibke Weigand, Barbara Wiermann sowie Ines
                                         Felsensäule einen oder mehrere         Pampel mit Familie.
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All the same in Europe?

von INES PAMPEL

    n der DDR geboren und studiert, erfasste mich

I
                                                       University Library | Pendlebury Library of Music,
    nach zwei Berufsjahrzehnten in der Musikabtei-     Cambridge (UK)
    lung der Sächsische Landesbibliothek – Staats-     Wenige Stunden später landete ich in der Haupt-
und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und          stadt der englischen Grafschaft Cambridgeshire, die
Erziehungszeiten für drei Kinder der Wunsch,           vor allem berühmt ist für die „University of Cam-
europäische Musikbibliotheken detailliert kennen-      bridge“ mit den reizvollen Colleges und dem Uni-
zulernen und meine englische Sprachkompetenz zu        versitätsverlag „Cambridge University Press“.
erweitern. Die Direktion der SLUB bewilligte die       Während meines zweimonatigen Aufenthalts in
unbezahlte Freistellung für ein mehrmonatiges          Cambridge arbeitete ich in der „Pendlebury Library
Praktikum und die Gehaltsfortzahlung bei einem         of Music“, die Fakultätsbibliothek Musik der Uni-
Personaltausch. Auf dieser Basis begann ich zu kor-    versität mit der „West Road Concert Hall“, und in
respondieren und organisieren: Praktikumsstellen,      der Musikabteilung der Universitätsbibliothek. Ich
Zimmer zur Miete und Finanzierung. Die Idee,           erhielt einen Einblick in die Geschäftsgänge beider
meinen Arbeitsplatz mit einem englischen Kolle-        Musikbibliotheken, in die „Concert Programme
gen im Tausch zu besetzen, sollte Wirklichkeit wer-    Database“ sowie die Notenkatalogisierung im ameri-
den. Einerseits konnte so die Personallücke, die ich   kanischen Datenformat MARC 21. Zur regen
hinterließ, gefüllt, andererseits die Bibliothek um    Öffentlichkeitsarbeit beider Musiksammlungen
das Wissen eines internationalen Musikbibliothe-       gehören Nutzerschulungen, für neue Bibliotheksan-
kars bereichert werden. Mit einem Flugticket, Sti-     gestellte „Hinter die Kulissen geschaut“ sowie die
pendium, 20 Kilo Gepäck und sechs Adressen für         Kommunikation via Internet. Der „MusiCB3 Blog“
ein halbes Arbeitsjahr in England bestieg ich vor      ist einer von beachtlichen 23 Blogs, die die Cam-
Sonnenaufgang am 2. Januar 2012 in Dresden den         bridge University Library auf ihrer Homepage
Fernbus in Richtung Flughafen Berlin-Schönefeld.       anbietet. Mit einer Fachreferentin der Universitäts-
Das Abenteuer begann, das ich sorgfältig vorberei-     bibliothek fand ein Informationsgespräch statt zur
tet hatte und dessen Ausgang offen war.                Praxis der „Card Catalogue Conversion“ in Dres-

                                                                                              Cambridge University Library
Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
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                         British Library

                                den, dem 2011 erfolgreich abgeschlossen Noten-         don bietet mit elf Lesesälen und Aufenthaltsberei-
                                Konversionsprojekt der SLUB mit einer europä-          chen auf neun Fluren 1.200 Besuchern eine hervor-
                                ischen Firma statt. Eine Bibliothekskonferenz, die     ragende Studienatmosphäre. Großraumbüros im
                                jährlich für alle Mitarbeitenden der Universitätsbi-   ganzen Haus ermöglichen den Sammlungen flexible
                                bliothek, der Fakultätsbibliotheken und mehr als 30    Arbeitsmöglichkeiten. Es faszinierten mich die
                                Collegebibliotheken in Cambridge stattfindet, bot      exzellenten Bestandspräsentationen in der Biblio-
                                zum Thema „Blue skies ... thinking and working in      thek und im Internet, die aufwendigen Restaurie-
                                the cloud“ spannende Vorträge. Die Besuche der         rungen sowie hochkarätigen Neuerwerbungen. Das
                                Bibliotheken des Selwyn College, Christ’s College      Intranet „Inside knowlegde“ publiziert transparent
                                und King’s College, des Fitzwilliam Museums sowie      News und Events, Informationen zur Organisations-
                                zahlreicher Evensongs und Lunchtime-Concerts           struktur, zu Strategien und Personal und bietet
                                erlebte ich als grandiose Bereicherung.                Foren zur Diskussion von Technologien und Ser-
                                                                                       vice. Die BL bietet 17 Blogs und meistert die interne
                                British Library London,                                und öffentliche Kommunikation beispielhaft.
                                Department Sound – Vision – Music                      Auf der Basis von „Vision 2020“ und „Strategie
                                Als in den Parks die Krokusse zu blühen begannen,      2011 – 2015“ vollzieht die BL mutige Umstruktu-
                                wechselte ich für weitere zwei Monate in eine der      rierungen für eine fach- statt medienbezogene
                                größten kulturellen Einrichtungen Großbritanniens,     Arbeit. So erlebte ich den ersten Wochen den
                                die British Library (BL). Als Nationale Schatzkam-     Umzug des Musikteams auf die gegenüberliegende
                                mer beherbergt sie 150 Millionen Medien an drei        Gebäudeseite. Während ich mit zupackte, begann
                                Standorten: in Colindale, Boston Spa und London        ich sukzessive zu verstehen: Die traditionelle Musik-
                                St Pancras (mit King’s Library Tower und Centre for    abteilung, wie sie bis 2011 existierte, gibt es nicht
Royal College of Music          Conservation). Der 1998 eröffnete Neubau in Lon-       mehr. Das neue Department „Sound and Vision –
                                                                                       Music“ vereint sechs Curatoren für gedruckte
                                                                                       Noten, Musikhandschriften sowie audiovisuelle
                                                                                       Materialien und kooperiert eng mit dem Digital
                                                                                       Research & Curator Team.
                                                                                       Als die Direktorin der British Library, Dame Lynne
                                                                                       Brindley, das Musikteam besuchte, sprach ich mit
                                                                                       ihr über meine Vision: Musikbibliothekare arbeiten
                                                                                       zusammen in Europa und lernen voneinander.
                                                                                       Anregende Führungen durch die Bibliothek des Tri-
                                                                                       nity Laban Conservatoire of Music and Dance
                                                                                       Greenwich sowie die einzigartige „Gerald Coke
                                                                                       Handel Collection“ im Foundling Museum London
                                                                                       rundeten den Aufenthalt ab.

                                                                                       Royal College of Music London
                                                                                       Die Bibliothek des Royal College of Music (RCM)
                                                                                       in London-Kensington bildete den krönenden
                                                                                       Abschluss meines Berufspraktikums. Das RCM ist
                                                                                       die zweitälteste von vier Musikhochschulen Lon-
                                                                                       dons. Gründungsdirektor des College’ war George
Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O13] Nr. 3                     // 145

Grove (1820 – 1900), der Urheber des weltbekann-       LINKS
ten Musiklexikons. Heute empfangen hier 750 Stu-
denten aus 64 Nationen eine exzellente musikalische    Cambridge University Library: www.lib.cam.ac.uk/
Ausbildung, die oftmals der Beginn von internatio-
                                                       British Library London: www.bl.uk
nalen Karrieren ist. Die Bibliothek ist mit 400.000
Medien – darunter 10.000 Handschriften und             Royal College of Music London: www.rcm.ac.uk
20.000 Alte Drucke – hinsichtlich Größe und
Bedeutsamkeit vergleichbar mit dem Bestand der         Concert Programme Database: www.concertprogrammes.org.uk
1816 begründeten Musiksammlung der SLUB Dres-
                                                       Job Swapping: www.aibm.info/ausbildung/jobswapping/
den. Nach einer Einführung in die Aufgaben und
den Medienworkflow der Bibliothek arbeitete ich
einige Stunden pro Woche an der Ausleihtheke und
transliterierte autographe deutschsprachige Korre-
spondenz aus dem Nachlass des Dirigenten August
Manns (1825 – 1907).
Zum College gehören ein Museum mit Gemälden
und alten Musikinstrumenten sowie das „Centre for
Performance History“, das neben weiteren Instru-
menten ebenso Skulpturen, Ölgemälde, Zeichnun-
gen, Aquarelle, Fotos, Konzert-, Opern- und Ballett-
programme überwiegend mit Bezug zu Großbritan-
nien beherbergt.
Die Bibliothek der ältesten Musikhochschule Lon-
dons, der 1822 gegründeten Royal Academy of
Music (RAM) besitzt 200.000 Medien inklusive
Nachlässe beispielsweise des Dirigenten und Kom-       Klavierausgaben, oft mit sehr schön illustrierten
ponisten Otto Klemperer (1885 – 1973), einem           Titelblättern, mitzuwirken.
Cousin des Romanisten Viktor Klemperer. Zur
Academy gehören ein separates Museum mit impo-         Fazit
santen Präsentationen von Streich- und Tastenin-       In den sechs Monaten erhielt ich einen hervorragen-
strumenten sowie zwei Werkstätten zur Instrumen-       den Einblick in die Arbeiten und Bestände einiger
tenrestaurierung. Eine Führung durch die beein-        englischer Musikbibliotheken. Die Erschließung
druckende Musiksammlung des BBC vermittelte            historischer Konzertprogramme, Pressemeldungen
einen Überblick zu Noten und Autographe von            und -kritiken der Dresdner Musikszene erfolgt ab
Aufführungen der BBC Singers und fünf BBC              sofort in der „Concert Programme Database“ (UK,
Orchester mit wertvollen Unikaten, wie die Origi-      Irland). Zwei Vorträge im letzten Jahr auf der
nalpartitur der ersten Sendung der in England sehr     IAML-Tagung in Montreal und der AIBM-Tagung
populären „The Morecambe & Wise Show“                  in Frankfurt/Main (International Association of
(1968 – 1977).                                         Music Libraries, Archives and Documentation Cen-
Einen Höhepunkt bildete der Tagesausflug nach          tres) führten zur neuen Kontaktstelle und Webseite
Oxford. Oxford Universität ist eine unabhängige,       „Job Swapping“. Bei der Bürgerkonferenz „Ich will
selbstverwaltete Institution bestehend aus der zen-    Europa – mitgestalten“ am 20. April 2013 im
tralen Universität sowie 38 Colleges. Die Music        Schloss Bellevue Berlin, zu der der Bundespräsident
Faculty Library befindet sich im Zentrum Oxford’s      Joachim Gauck und die Stiftung Mercator, die
neben der „Bate Collection“ – einem Museum mit         Robert Bosch Stiftung und die Schwarzkopf Stif-
historischen Musikinstrumenten.                        tung Junges Europa eingeladen hatten, durfte ich
Die Bodleian Library, 1602 gegründet, ist die zen-     meine Ideen bei der Themenrunde zu „Leben und
trale Forschungsbibliothek der Universität Oxford.     Arbeiten in Europa“ einbringen. Am Ende formu-
Der Begründer, Sir Thomas Bodley (1545 – 1613),        lierten wir das „Grundrecht auf geförderten Aus-
erlangte 1610 die Übereinkunft mit Buchhändlern,       tausch für alle“ als eine Vision für ein zukünftiges
nach der bis heute die Bodleian Library ein Freiex-    starkes Europa.
emplar jedes in England veröffentlichten Druckes       Heute kann ich sagen, dass das Praktikum zur schön-
erhält. Heute besteht die Bodleian aus drei Gebäu-     sten Zeit meines Lebens zählt, wegen der faszinie-
den mit sieben Lesesälen: The Old Bodleian Libra-      renden Sammlungen, den wunderbaren Menschen
ry, The Radcliffe Camera and The New Bodleian          und der großartigen Chance, Arbeiten und Lernen
Library.                                               zu verbinden. Ich bin dankbar für
„What’s the Score at the Bodleian?“ ist ein durch      die exzellente Betreuung vor Ort,                      INES

Google Focused Research Award gesponsertes Digi-       das erfolgreiche Zustandekommen                        PAMPEL

talisierungsprojekt für Musikalien aus dem Victoria-   eines Personalaustausches und
nischen Zeitalter. Seit Mai 2012 ist die Öffentlich-   „Europa“, das dieser beruflichen
keit eingeladen, an der Erfassung der über 4.300       Fortbildung ein Fundament gibt.
Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte Dresden - London 2012 - Personalaustausch als Chance: Eine Idee wird Erfolgsgeschichte
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