Dusan Hirjak, Stefan Fritze, Georg Northoff, Katharina M. Kubera & Robert Christian Wolf - Squarespace
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Die sensomotorische Domäne im Research- Domain-Criteria-System: Fortschritte und Perspektiven Dusan Hirjak, Stefan Fritze, Georg Northoff, Katharina M. Kubera & Robert Christian Wolf Der Nervenarzt ISSN 0028-2804 Nervenarzt DOI 10.1007/s00115-021-01144-7 1 23
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Der Nervenarzt Author's personal copy Leitthema Nervenarzt Dusan Hirjak1 · Stefan Fritze1 · Georg Northoff2 · Katharina M. Kubera3 · https://doi.org/10.1007/s00115-021-01144-7 Robert Christian Wolf3 Angenommen: 30. April 2021 1 Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von 2 Springer Nature 2021 Mind, Brain Imaging and Neuroethics Research Unit, The Royal’s Institute of Mental Health Research, University of Ottawa, Ottawa, Kanada 3 Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Die sensomotorische Domäne im Research-Domain-Criteria- System: Fortschritte und Perspektiven Hintergrund die über Jahrzehnte hinweg tradierte neurologische oder psychiatrische Dia- und untermauerte Überzeugung vor- gnose beschrieb; damit reflektiert dieser In den letzten drei Jahrzehnten ha- herrschte, dass Bewegungsstörungen bei Ansatz ein klares transdiagnostisches ben sich zahlreiche Psychiater*innen psychischen Erkrankungen vorrangig Konzept. Für das heutige Verständnis und Neurowissenschaftler*innen mit als unerwünschte pharmakogene Wir- psychischer Symptomdimensionen mag verschiedenen Aspekten sensori- und kung zu betrachten seien. Angesichts der das zwar selbstverständlich wirken, für psychomotorischen Verhaltens und Er- gut bekannten motorischen Nebenwir- die damalige Zeit war dieser Ansatz aber lebens bei einer Vielzahl psychischer kungen der Antipsychotika der ersten keinesfalls selbstverständlich. Erkrankungen beschäftigt [1–5]. Ob- Generation mag dies vielleicht nicht ver- Erst gegen Ende der 1990er-Jahre wohl diese Initiative heute ein größeres wundern. Zugleich schienen die in der wurden erneut systematische wissen- Verständnis für die domänenbasierte und „präpharmakologischen“ Literatur viel- schaftliche Bestrebungen zur Konzep- sensomotorische Forschung und Klassi- fach beschriebenen, transnosologisch tualisierung sensomotorischer Defizite fikation der psychischen Erkrankungen bedeutsamen sensori- und psychomo- als intrinsische Komponente seelischer fordert, war diese Perspektive auf sen- torischen Phänomene zunehmend in Erkrankungen sichtbar, dabei vorrangig somotorische Dysfunktion zumindest Vergessenheit zu geraten. im Kontext psychotischer Störungen. in der zweiten Hälfte des vergangenen Besonders erwähnenswert ist an die- Neurobiologisch bedeutsam ist die As- Jahrhunderts nicht selbstverständlich. ser Stelle die 1954 veröffentlichte Arbeit soziation dieser Störungen mit einer So wurden in den 1980er-Jahren Au- von Daniel Rogers [7], der unter Be- striatalen Netzwerkdysfunktion (inkl. toren*innen, die hypo- und hyperki- rücksichtigung historischer Pionierar- striatothalamischer Interaktionen) und netische motorische Auffälligkeiten als beiten (z. B. Kahlbaum, Maudsley, Dide, ihrer Auswirkungen auf umschriebene integralen Bestandteil des Krankheits- Farran-Ridge etc.) und einer eigenen Pa- psychopathologische Symptome (bei- prozesses bei psychischen Erkrankungen tient*innenkohorte aus der „präpsycho- spielhaft sei hier die Katatonie erwähnt), postulierten [3, 6], nicht selten margi- pharmakologischen“ Zeit den „Konflikt Kognition und Therapieoutcome [8–10]. nalisiert, da sowohl in der klinischen als der Paradigmen“ abzubilden versuchte. Angesichts der damaligen Befundlage auch der wissenschaftlichen Landschaft Der zentrale „conflict of paradigms“ [7] schienen insbesondere Patient*innen mit reflektiert die auch heute noch vorherr- psychotischen Störungen vulnerabel für schende nosologische Unsicherheit; bei sensomotorische Defizite zu sein [11], Rogers betraf dies die ätiologische Ein- zumeist in Verbindung mit einer fron- ordnung sensomotorischer Symptome toparietal mediierten exekutiven Dys- aus einer psychiatrischen bzw. neuro- funktion [12]. Obwohl sensomotorische logischen Perspektive. Rogers versuch- Defizite sehr häufig bei psychotischen te, diesen Konflikt aufzulösen, indem Störungen vorgefunden werden können er sensomotorische Symptome ohne [13], liegt damit dennoch kein patho- QR-Code scannen & Beitrag online lesen expliziten Bezug auf eine spezifische gnomonisches Merkmal vor. Vielmehr Der Nervenarzt
Author's personal copy Leitthema Identifikation Gefunden durch Datenbanksuche Zusätzlich gefunden in anderen (PubMed; 01-01-2019 –18-02-2021) Quellen (n = 4120) (n = 0) Ausgeschlossen nach Sichtung der Titel, mit Begründung (n = 3925) Verbleiben nach - Diagnose einer neurologischen oder internistischen Erkrankung Entfernen von Duplikaten - tierexperimentelle Studie (n = 4120) Vorauswahl - Fallberichte, EEG- oder MEG-Studie - Übersichtsarbeiten u. klinische Studien Studie mit gesunden Probanden - Studie mit minderjährigen Patienten In Vorauswahl Ausgeschlossen nach Sichtung der aufgenommen (n = 195) Abstracts, mit Begründung (n = 103): - Diagnose einer neurologischen oder internistischen Erkrankung - Studie mit gesunden Probanden - Studie mit minderjährigen Patienten Volltext auf Eignung Eignung - keine Bildgebung beurteilt (n= 92) Volltextartikel ausgeschlossen, mit Begründung (n = 53): - fehlende Diagnose einer psychischen Erkrankung - fehlendes Instrument zur Erfassung der Studien eingeschlossen in Eingeschlossen sensomotorischen Dysfunktion qualitative - kein Bezug zur sensomotorischen Zusammenfassung (n = 39) Domäne Neurologische Soft Katatonie (n=6) und Parkinsonismus (n=4) Motorische Handlungen (n=11), Signs (n=9) Psychomotorik (n=2) und Dyskinesie (n=2) Gewohnheiten (n=4), Handlungsbewusstsein (n=1) Abb. 1 8 PRISMA(Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses)-Flussdiagramm für die systemati- sche Übersichtsarbeit zu Bildgebungsstudien zu sensomotorischer Dysfunktion bei psychischen Erkrankungen. EEG Elektro- enzephalographie, MEG Magnetoenzephalographie werden sensomotorische Defizite auch 4 sensomotorische Entwicklung bei 4 beeinträchtigte Gestik bei psychoti- bei affektiven Störungen und Zwangsstö- Kindern und Jugendlichen [15], schen Störungen [21, 22], rungen oder bei Entwicklungsstörungen 4 sensomotorische Auffälligkeiten 4 Erfassung von Bewegungsauffällig- wie Autismus, Aufmerksamkeitsdefi- (z. B. neurologische „soft signs“ und keiten mit objektiven Instrumenten zit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und subtile Dyskinesien) als Vulnera- [23] und Tourette-Syndrom beschrieben [14]. Der bilitätsmarker bei Personen mit 4 sensomotorische Regionen als po- transnosologische Aspekt sensomotori- Psychoserisikosyndrom [16, 17], tenzielle Ziele für die transkranielle scher Defizite legt dabei eine gemeinsame 4 sensomotorische Auffälligkeiten als Magnetstimulation (TMS; [24]). neuronale Pathophysiologie nahe (eine Prädiktoren des klinischen Verlaufs umfangreiche systematische Übersicht bei Patient*innen mit Erstmanifesta- Die raschen Fortschritte in den sensomo- findet sich z. B. bei [14]). tion einer Psychose [18], torischen Neurowissenschaften [25] und Zu den relevantesten Bereichen der 4 neuronale Korrelate der sensomo- die Ergebnisse des fruchtbaren wissen- aktuellen transdiagnostischen Forschung torischen und psychomotorischen schaftlichen Diskurses in den vergange- zu sensomotorischen Auffälligkeiten bei Dysfunktion bei psychotischen Stö- nen Jahren aufgreifend hat die National- psychischen Erkrankungen gehören: rungen [19, 20], Institute-of-Mental-Health(NIMH)-In- itiative „Research Domain Criteria“ Der Nervenarzt
Author's personal copy Zusammenfassung · Abstract (RDoC) im Januar 2019 eine sechste Nervenarzt https://doi.org/10.1007/s00115-021-01144-7 Domäne eingeführt, die sich den Defizi- © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 ten des sensomotorischen Systems und den behavioralen Auffälligkeiten widmet D. Hirjak · S. Fritze · G. Northoff · K. M. Kubera · R. C. Wolf [26]. Das primäre Ziel der „sensorimotor Die sensomotorische Domäne im Research-Domain-Criteria- domain“ ist eine frühere und präzisere System: Fortschritte und Perspektiven Identifizierung von Störungen des sen- somotorischen Systems in der Psychopa- Zusammenfassung thologie psychischer Erkrankungen. Ein In den vergangenen drei Jahrzehnten ist das seit der Einführung der sensomotorischen Forschungsinteresse an sensomotorischen Domäne abzubilden, wird eine zweijährige weiteres Ziel dieser Änderung ist es, die Auffälligkeiten bei psychischen Erkrankungen (01.01.2019 bis 18.02.2021) systematische klinische Forschung in diesem über meh- stetig gewachsen. Dieser Trend hat zu einer Übersichtsarbeit vorgelegt, in der die jüngsten rere Jahrzehnte hinweg vernachlässigten zunehmenden Anzahl wissenschaftlicher Ergebnisse der Bildgebung auf diesem Gebiet Bereich zu stimulieren und effektivere Initiativen geführt, die nicht nur die hervorgehoben und Herausforderungen für Behandlungsmethoden zu entwickeln. klinische Notwendigkeit der Früherkennung die zukünftige Forschung diskutiert werden. extrapyramidal-motorischer Symptome, Zusammenfassend kann festgehalten Die sensomotorische Domäne besteht tardiver Dyskinesien und Katatonie werden, dass bei psychischen Erkrankungen aus vier Konstrukten („motor action, hervorgehoben, sondern auch zahlreiche die sensomotorische Verarbeitung mit agency and ownership, habit und innate neurobiologische Befunde und klinisch einer Dysfunktion des zerebello-thalamo- motor patterns“), von denen das erste relevante Ergebnisse auf der Grundlage der motorkortikalen Netzwerkes assoziiert ist, Konstrukt fünf weitere Dimensionen Pathologie des sensomotorischen Systems bei die mit (sozial)kognitiven und affektiven Patient*innen mit psychischen Erkrankungen Systemen interagiert. Erste longitudinale umfasst. Detaillierte Definitionen dieser geliefert haben. Diese Entwicklungen und interventionelle Studien verweisen Domänen und Konstrukte sind auf der berücksichtigend hat die National-Institute- zudem auf das translationale Potenzial der RDoC-Seite der NIMH-Website (https:// of-Mental-Health(NIMH)-Initiative „Research sensomotorischen Domäne. www.nimh.nih.gov/research/research- Domain Criteria“ (RDoC) im Januar 2019 funded-by-nimh/rdoc/constructs/rdoc- eine sechste Domäne mit der Bezeichnung Schlüsselwörter „sensorimotorische Domäne“ eingeführt, Psychiatrische Erkrankungen · Sensomo- matrix.shtml) zu finden. die sich mit Defiziten des sensomotorischen torische Dysfunktion · Psychomotorik · Die vorliegende Arbeit widmet sich Systems und damit assoziierten Störungen Magnetresonanztomographie · Neurobildge- der zentralen Frage, ob die im Januar befasst. Um den rasanten Fortschritt alleine bung 2019 eingeführte sensomotorische Do- mäne Eingang in die wissenschaftliche Praxis gefunden hat. Die vorliegende Ar- The sensorimotor domain in the research domain criteria system: beit fasst im Sinne einer systematischen progress and perspectives Literaturübersicht die Ergebnisse rezen- ter Studien und Übersichtsarbeiten zum Abstract Over the past three decades research interest attention to the rapid progress just since the Thema sensomotorische Dysfunktion bei introduction of the sensorimotor domain, in hypokinetic, hyperkinetic, sensorimotor psychischen Störungen zusammen. Im and psychomotor abnormalities in mental a 2-year (1 January 2019–18 February 2021) Rahmen dieser Arbeit werden auch in- disorders has steadily increased. This systematic review is presented highlighting novative Fragestellungen und zukünftige development has led to an increasing recent neuroimaging findings and discussing Forschungsperspektivenvordem Hinter- number of scientific initiatives that have challenges for future research. In summary, not only highlighted the clinical need for aberrant sensorimotor processing in mental grund aktueller Studien präsentiert und disorders is associated with dysfunction of early detection of extrapyramidal motor diskutiert. symptoms, tardive dyskinesia and catatonia the cerebello-thalamo-motor cortex network, but also provided numerous neurobiological which interacts with (social)cognitive Methoden findings and clinically relevant results based and affective systems. Initial longitudinal on the pathology of the sensorimotor and interventional studies highlight the system in patients with mental disorders. translational potential of the sensorimotor Zur Erfassung von Bildgebungsstudien domain. In view of these developments in January wurde eine systematische Literaturre- 2019 the National Institute of Mental cherche in der Datenbank PubMed Health (NIMH) research domain criteria Keywords (01.01.2019 bis 18.02.2021) durchge- (RDoC) initiative introduced a sixth domain Psychiatric illnesses · Sensorimotor dysfunc- führt. Zu den Suchbegriffen gehörten: called the sensorimotor domain to address tion · Psychomotor · Magnetic resonance deficits in the sensorimotor system and imaging · Neuroimaging „psychiatry“, „RDoC“, „MRI“, „magnetic associated behavioral abnormalities. To draw resonance imaging“ und „neuroimag- ing“ in Kombination mit Begriffen zur Beschreibung der sensomotorischen Domäne: „sensorimotor dysfunction“, „sensorimotor domain“, „psychomotor abnormalities“, „psychomotor dysfunc- tion“, „neurological soft signs“, „dyski- Der Nervenarzt
Author's personal copy Leitthema ve Analyse durch zwei Autoren (DH und KMK) eingeschlossen (. Abb. 1; PRISMA-Flussdiagramm). Im Kontext der sensomotorischen Domäne wurden motorische Handlun- gen am häufigsten untersucht (n = 11; [27–37]), gefolgt von neurologischen „soft signs“ (NSS; n = 9; [19, 38–45]), Katatonie (n = 6; [46–52]), Parkinsonis- mus (n = 4; [38, 53–55]), Gewohnheiten (n = 4, [56–59]), Dyskinesie (n = 2; [60, 61]), Psychomotorik (n = 2; [20, 62]), und Handlungsbewusstsein (n = 1, [37]). In einer transdiagnostischen Studie wurde untersucht, ob eine zusätzliche hem- mende repetitive transkranielle Magnet- stimulation (rTMS) des supplementär- motorischen Areals (SMA) psychomo- torische Verlangsamung beeinflussen kann [63]. Nicht zuletzt wurden fünf Abb. 2 8 Regionen, die konsistente Assoziationen mit a RDoC(Research-Domain-of-Criteria)-Kon- Übersichtsarbeiten [64–68] zu den ein- strukten, b neurologischen „soft signs“, c Katatonie und d Parkinsonismus bei psychischen Erkran- zelnen sensomotorischen Kategorien kungen zeigen. (Erstellt mit freundl. Genehmigung © BioRender, https://biorender.com, alle Rechte vorbehalten.) BG Basalganglien, Cer Kleinhirn, IPC inferiorer Parietalkortex, MB Hirnstamm/Mittelhirn, identifiziert. M1 primär motorischer Kortex, OFC orbitofrontaler Kortex, PFC präfrontaler Kortex, PRE Precuneus, Thal Thalamus. Diskussion nesia“, „tardive dyskinesia“, „abnormal Die in dieser systematischen Litera- Aus der Studienlage seit der Einführung involuntary movements“, „catatonia“, turübersicht enthaltenen Artikel wurden der sensomotorischen Domäne in die „catatonic symptoms“, „psychomotor auf systematischer Basis ausgewählt. Die RDoC-Matrix im Januar 2019 gehen drei slowing“, „motor action“, „agency“, „ow- identifizierten Artikel wurden anschlie- Hauptbefunde hervor: nership“, „habit“ und „innate motor ßend im Konsens zwischen allen Autoren 4 Die Anzahl der multimodalen bild- patterns“. Die Suche wurde mithilfe der diskutiert. Trotz unserer umfangreichen gebenden Befunde hat in den letzten gängigen Internetsuchmaschinen (z. B. Suche in PubMed und den verwende- zwei Jahren deutlich zugenom- Google Scholar) vervollständigt. ten Suchbegriffen können wir nicht aus- men, was ein weiterhin wachsendes Eingeschlossen wurden Bildgebungs- schließen, dass einige relevante Publika- Interesse an sensomotorischen Neu- studien, die in einem englischsprachi- tionen/Studien übersehen wurden. rowissenschaften bei psychischen gen oder deutschsprachigen Journal mit Erkrankungen reflektiert. Peer-Review publiziert wurden und eine Ergebnisse 4 Die Ergebnisse der multimodalen etablierte klinische Skala oder ein instru- Bildgebung bestätigen die pathophy- mentelles Assessment zur Erfassung sen- Die systematische Literaturrecherche siologische Relevanz des kortiko- somotorischer Dysfunktion angewandt nach den PRISMA(Preferred Reporting zerebello-thalamo-kortikalen Netz- haben. Dabei wurden nur Studien mit Items for Systematic Reviews and Meta- werkes (CCTCC; . Abb. 2). Patient*innen mit einer psychischen Er- Analyses)-Empfehlungen unter den dar- 4 Die Mehrheit der MRT-Studien wur- krankung einbezogen, welche 18 Jahre gestellten Suchbegriffen ausschließlich de an Patient*innen mit Störungen oder älter waren. Ein besonderer Schwer- im Titel und Abstract ergab eine Anzahl aus dem schizophrenen Formenkreis punkt wurde auf multimodale Neuro- von insgesamt 4120 Treffern, welche (SSF) durchgeführt. bildgebung (z. B. neuronale Systeme und die verwendeten Suchkriterien erfüll- Netzwerke) und Studien mit Magnetre- ten. Nach Sichtung der Titel mussten Ein transdiagnostisches sonanztomographie (MRT) gelegt. insgesamt 3925 Arbeiten ausgeschlos- neurobiologisches Modell der Eine zusätzliche Suche erfolgte an- sen werden. 195 Arbeiten wurden in sensomotorischen Dysfunktion? hand der Literaturverzeichnisse gefun- die Vorauswahl genommen. Nach Sich- dener Originalarbeiten. Fallberichte, kli- tung der Abstracts und Ausschluss nicht In den letzten zwei Jahren haben die nische Studien oder Beiträge auf wissen- zur Fragestellung gehörender Arbeiten multimodale Bildgebung und neue Da- schaftlichen Konferenzen wurden in die- konnten insgesamt 92 Arbeiten/Volltexte tenanalysetechniken wesentlich zum ser Übersichtsarbeit nicht berücksichtigt. auf Eignung geprüft werden. Insgesamt FortschrittindersensomotorischenNeu- wurden 39 Arbeiten in die qualitati- rowissenschaft bei psychotischen Störun- Der Nervenarzt
Author's personal copy gen beigetragen. Neben der klassischen nigrostriatales zum Striatum) im Sin- und AVH führen könnte. Darüber hi- voxelbasierten Morphometrie(VBM)- ne einer dopaminergen Überstimulation naus verweist diese Studie erstmals auf Analyse, die sich auf graue und weiße führen können [3, 69]. Eine Veränderung eindeutige Assoziationen zwischen zwei Substanzvolumina konzentriert, haben des dopaminergen Gleichgewichts könn- distinkten Funktionsdomänen, die bei strukturelle MRT-Querschnittsstudien, te für katatone motorische Symptome psychotischen Erkrankungen klinisch die in den letzten zwei Jahren veröffent- verantwortlich sein. Zwei weitere MRT- relevant sind, d. h. Sensomotorik und licht wurden, auch andere fortgeschritte- Querschnittsstudien zu Katatonie haben auditorische Wahrnehmung, damit auch ne Methoden [39, 48] und eine Vielzahl außerdem gezeigt, dass Veränderungen einem der entscheidenden Postulate des komplementärer strukturelle Parame- der weißen Substanz im kortikospina- RDoC-Konzepts gerecht werdend, dass ter [49, 52] untersucht. Viele MRT- len Trakt und des Clusterkoeffizienten die einzelnen Domänen nicht als isolierte Querschnittsstudien haben gezeigt, dass des linken orbitofrontalen Kortex, des Konstrukte betrachtet werden können, NSS mit Veränderungen der grauen primären motorischen Kortex, der SMA sondern auf interagierender funktionel- und weißen Substanz bei Patient*innen und des Putamens zur Katatonie bei ler Ebene. So gelang hier erstmals auf mit SSF in verschiedenen Stadien der SSF Patient*innen (n = 30 und n = 13) multiplen Beschreibungsebenen (beha- Erkrankung assoziiert sind. Die Ergeb- beitragen könnten [51, 52]. Eine andere vioral, psychometrisch, neuronal) der nisse von Kong und Kolleg*innen [41] MRT-Querschnittsstudie konnte diese Nachweis einer engen Interaktion zwi- deuten darauf hin, dass höhere NSS bei Ergebnisse nicht bestätigen [46]. schen sensomotorischen und kognitiven Personen mit Psychoserisikosyndrom Bis 2018 war die Mehrheit der pu- (vorrangig perzeptuellen und sprachbe- (n = 21) mit einem reduzierten Volumen blizierten MRT-Studien unimodal und zogenen) Domänen. Die konsequente der grauen Substanz im superioren und lieferte meist separate Informationen Weiterverfolgung eines domänenbasier- medialen frontalen Kortex, dem prä- über strukturelle Veränderungen oder ten Ansatzes unter Berücksichtigung und postzentralen Kortex, der Insula, neuronale Aktivität, die der sensomoto- weiterer bedeutsamer Dimensionen, dem Nucleus caudatus und dem Klein- rischen Dysfunktion separat zugrunde bspw. der affektiven Domäne, wird, hirn assoziiert waren. Die Arbeitsgruppe liegen. Kürzlich wurden die ersten mul- so unsere Überzeugung, weitere be- um Kong und Kolleg*innen [42] führ- timodalen MRT-Querschnittsstudien zu deutsame Beiträge zur Nosologie und te auch eine globale Netzwerkanalyse NSS und Katatonie veröffentlicht. So neurobiologischen Modellentwicklung durch und konnte zeigen, dass NSS konnten Hirjak und Kolleg*innen [19] psychotischer Erkrankungen fördern, bei Patient*innen mit SSF (n = 101) mit mithilfe multimodaler „Data-fusion“- wie auch die Identifizierung und Va- der Verteilung struktureller Netzwerk- Verfahren, d. h. der simultanen multi- lidierung neuer biologischer Marker Hubs assoziiert waren, die den oberen variaten Verarbeitung struktureller und begünstigen, insbesondere auf dem Ge- medialen frontalen Kortex, den oberen funktioneller bildgebender Daten, die biet der Sensomotorik und den damit und mittleren temporalen Kortex, den über eine deskriptive Gegenüberstel- assoziierten vielfältigen Interaktionen postzentralen Kortex, die Amygdala und lung einzelner Modalitäten hinausgeht, mit Kognition und Affektivität. das Kleinhirn einschlossen. Hinsichtlich supramodal veränderte Muster sowohl der Pathogenese der Katatonie gibt es vorläufige Hinweise darauf, dass kor- der grauen Substanz als auch der in- trinsischen neuralen Aktivität (INA) bei »Auffälligkeiten Sensomotorische bei SSF tikale Merkmale mit unterschiedlichen SSD-Patient*innen mit NSS zeigen. Eine entwicklungsbiologischen Trajektorien rezente MRT-Querschnittsstudie legt au- haben einen gemeinsamen und distinkter genetischer Modulation ßerdem nahe, dass die Entkopplung von Pathomechanismus zur Katatonie bei Patient*innen mit SSF funktioneller Konnektivität zwischen (n = 25) beitragen [49]. Kleinhirn und Großhirnrinde den NSS bei SSF-Patient*innen (Hauptdatensatz: In der Zusammenschau der Befunde »an derAuchEntstehung der Hirnstamm ist katatoner n = 51 und Replikationsdatensatz: n = 34) zugrunde liegen könnte [45]. In einer darf vorläufig festgehalten werden, dass strukturelle und funktionelle Verände- weiteren MRT-Studie konnten Wolf und rungen der Großhirnrinde, subkortika- Symptome beteiligt Kolleg*innen [44] zeigen, dass regio- len Strukturen (Thalamus und Striatum) nale Homogenität (ReHo) des rechten und des Kleinhirns invers mit NSS-Sub- Eine weitere MRT-Studie konnte zei- inferioren Parietallappens sowie NSS- skalen korreliert sind. Darüber hinaus gen, dass auch der Hirnstamm an der Werte in der Lage sind, verbal-akusti- lässt sich auch ein gemeinsamer Pa- Entstehung katatoner Symptome bei Pa- sche Halluzinationen (AVH) bei SSF- thomechanismus der sensomotorischen tient*innen mit SSF (n = 30) beteiligt ist Patient*innen (n = 42) vorherzusagen. Auffälligkeiten bei SSF postulieren [5], [48]. Das ist pathophysiologisch wich- Diese multimodale MRT-Querschnitts- wobei noch nicht abschließend geklärt tig, weil strukturelle Veränderungen im studie lieferte den ersten Hinweis für ist, warum (und welche) Patient*innen Hirnstamm und der Substantia nigra einen gemeinsamen pathophysiologi- NSS, Katatonie oder Parkinsonismus zu abnormer Freisetzung von Dopamin schen Mechanismus, der zu unterschied- entwickeln. in den Basalganglien (über die Fibrae lichen klinischen Phänotypen wie NSS Der Nervenarzt
Author's personal copy Leitthema Darüber hinaus stehen die identifi- se Ergebnisse deuten darauf hin, dass 4 dopamin- und Substantia-nigra- zierten Studien auch im Einklang mit Zwanghaftigkeit mit einer veränderten basierten subkortikal-kortikalen einer kürzlich veröffentlichten Studie, Konnektivität zwischen dem sensomoto- motorischen Netzwerken durch die welche die koordinaten- und voxel- rischen und dem sog. „default-mode net- primär nichtmotorischen subkortika- basierte „Activation-likelihood-estima- work“ (DMN) während innerer Anspan- len Raphekerne und Serotonin über tion“(ALE)-Metaanalyse mit einer meta- nung assoziiert ist [59]. Wegen seiner Basalganglien und Thalamus (sowie analytischen Modellierung der funktio- Verbindung zum Belohnungssystem und durch Glutamat und GABA), nellen Konnektivität kombinierte [70]. dem DMN bei psychischen Erkrankun- 4 kortikalen motorischen Systemen zu Diese Arbeit zeigte neben einer abnor- gen besitzt das sensomotorische Netz- anderen Netzwerken wie dem sog. men Aktivierung des ventralen Striatums werk eine hohe wissenschaftliche und kli- „Default-mode“- und sensorischen bei Schizophrenie eine Dyskonnektivi- nische Relevanz. Die aktuelle Befundlage Netzwerken und tät zwischen ventralem Striatum und legt damit eine transdiagnostische Rele- 4 globaler kortikaler Aktivität zum sensomotorischen Regionen, insbeson- vanz belohnungsassoziierter und senso- primär-motorischen Kortex [66, 72]. dere dem präsupplementären Areal, dem motorischer Systeme nahe. Mittelhirn und dem Kleinhirn [70]. Die metaanalytische Evidenz in Verbindung mit den o. a. Ergebnissen legt nahe, dass Konzeptuelle Weiterentwicklung »Dysfunktion Psychomotorische kann durch der sensomotorischen Domäne belohnungsverarbeitende und sensomo- spezifische Symptommuster torische Systeme in der Pathophysiologie Neben dem Konzept der (reinen) senso- charakterisiert werden psychotischer Störungen enger mitein- motorischen Dysfunktion hat in den letz- ander verbunden sind als ursprünglich ten zwei Jahren (ursprünglich beginnend vermutet. in den frühen 1800er-Jahren, bspw. bei Aus klinischer Sicht kann eine psycho- K. Kahlbaum) auch das Konzept der psy- motorische Dysfunktion durch spezi- »iertemZwischen belohnungsassozi- und sensomotorischem chomotorischen Dysfunktion bei psychi- schen Störungen eine weitere Ausdiffe- fische Symptommuster charakterisiert werden, d. h. durch bestimmte Kon- renzierung erfahren, hier sind insbeson- stellationen motorischer, affektiver und System besteht eine transdia- dere die Arbeiten von Georg Northoff kognitiver Symptome [4]. So tritt z. B. gnostische Relevanz und Kolleg*innen zu nennen [66, 72]. psychomotorische Unruhe gemeinsam Dieses Konzept betrachtet sensomotori- mit positiven Emotionen (Grandiosität) sche Phänomene nicht isoliert, sondern und kognitiv-attentionalen Defiziten Zusammenhänge zwischen einer Dys- geht wesentlich von einer direkten Inter- auf [73], während psychomotorische funktion des sensomotorischen Systems aktion zwischen psychischer und moto- Verlangsamung bei Depression von ne- und einer gestörten Belohnungsverarbei- rischer Funktion aus (so bspw. für die gativen Emotionen (Traurigkeit) und er- tung werden in den letzten Jahren auch Katatonie postuliert [65]), unter sorgfäl- höhter selbstbezogener Aufmerksamkeit bei Suchterkrankungen oder Zwangsstö- tiger Berücksichtigung der zugrunde lie- begleitet wird [74–76]. Solche Symp- rungen diskutiert. Eine rezente Studie genden neuronalen Mechanismen. Auf tommuster legen spezifische neuronale von Ersche und Kolleg*innen [58] identi- neuronaler Ebene beschreibt ein psycho- Interaktionen des subkortikal-kortikalen fizierte mithilfe 7-T-MRT und Magnet- motorischer Mechanismus, wie die pri- motorischen Systems mit dem nicht- resonanzspektroskopie (MRS) eine sig- märe motorische Funktion (d. h. dopami- motorischen kortikalen affektiven und nifikante Reduktion der Glutamatkon- nerge und subkortikal-kortikale motori- kognitiven Netzwerken nahe [77, 78]. zentration und des Glutamatumsatzes im sche Netzwerke) durch nichtmotorische Putamen bei Patient*innen mit Kokain- Funktionen, d. h. Kognition und Emoti- Fallstricke und Empfehlungen abhängigkeit, die signifikant mit dem Ni- on und ihre typischen Netzwerke, mo- für weitere wissenschaftliche veau des selbstberichteten täglichen Ko- duliert wird. Ein ähnliches Bild haben Untersuchungen kainkonsums (gemessen mit Obsessive- wir in unserer narrativen Übersichtsar- Compulsive Drug Use Scale [71]) korre- beit über psychomotorische Mechanis- Ungeachtet des rasanten Fortschritts lierte. Andere MRT-Querschnittsstudi- men und ihre biochemische Modulation auf dem Gebiet der sensomotorischen en, bspw. die Arbeiten von van Straten skizziert [66]. Anstatt spezifische und ex- Neurowissenschaften ist ihr Potenzial und Kolleg*innen [59], zeigten bei Pa- klusive Regionen oder Bahnen zu rekru- für den klinischen Alltag bei weitem tient*innen mit einer Zwangsstörung ei- tieren, können diese psychomotorischen noch nicht ausgeschöpft. Dies ist zum ne Reduktion der funktionellen Konnek- Mechanismen als Störungen der funktio- Teil durch die vorwiegende Verwendung tivität zwischen dem Nucleus caudatus nellen Konnektivität zwischen verschie- univariater und nicht primär datenin- und dem Präkuneus während derinneren denen Netzwerken oder der neurochemi- tegrativer Analysetechniken begründet Anspannung, die positiv mit der Zwang- schen Balance in verschiedenen Neuro- sowie auch durch begrenzte Stichpro- haftigkeit, aber nicht mit dem Schwere- transmittersystemen charakterisiert wer- bengrößen und fehlende externe Vali- grad der Obsession korreliert war. Die- den, wie z. B. das Gleichgewicht von dierung potenzieller sensomotorischer Der Nervenarzt
Author's personal copy Abb. 3 9 Die sensomotori- sche Domäne im Research- Domain-Criteria(RDoC)- System: Perspektiven für zukünftige Forschung und Klinik. (Teile der Abbildung [Icons] wurden erstellt mit freundl. Genehmi- gung © BioRender, https:// biorender.com, alle Rechte vorbehalten) Biomarker und aktuell noch allenfalls im Diagnostic and Statistical Manual skalen bewertet. Die Komplexität der beginnender Integration nichtbildgeben- of Mental Disorders 5 (DSM-5) un- sensomotorischen Auffälligkeiten erfor- der Marker (z. B. genetische, klinische, ter A-Kriterien der SSF enthalten sind. dert für ihre Beurteilung eine Kombinati- instrumentelle, digitale und kognitive Ein wesentlicher Fortschritt im DSM-5 on aus Selbstberichten, psychopathologi- Parameter). Erschwerend kommt hinzu, ist jedoch die Aufnahme eines Kata- scher und neurologischer Untersuchung. dass bislang keine longitudinalen bild- tonie-„Specifiers“, basierend auf den Seit wenigen Jahren ist es auch möglich, gebenden Arbeiten zur therapeutischen Ergebnissen empirischer Studien [79]. sensomotorische Auffälligkeiten mithilfe Outcomeprädiktion durchgeführt wur- Weder NSS noch extrapyramidalmoto- präziser instrumenteller Messungen zu den. Die systematische Recherche konnte rische Störungen werden derzeit in den quantifizieren, bspw. durch hochsensible auch keine dezidierten Arbeiten zu den diagnostischen Kriterien für SSF berück- Bewegungssensoren. Die Quantifizie- vier Konstrukten der sensomotorischen sichtigt; lediglich ein Verweis auf NSS ist rung sensomotorischer Symptome ist Domäne gemäß RDoC identifizieren. bei neuronalen Entwicklungsstörungen dadurch objektiver, genauer und sensiti- Auch wurde bisher kein diagnostischer (z. B. ADHS) erkennbar. Die RDoC-Ma- ver geworden [23]. Nicht zuletzt können oder prognostischer sensomotorischer trix und die sensomotorische Domäne dadurch Probleme wie die Interraterva- Biomarker identifiziert, was aber ange- könnten in der Zukunft größere Revisio- riabilität und unzureichende Abbildung sichts des vergleichsweise noch jungen nen der psychischen Krankheitsentitäten subtiler sensomotorischer Auffälligkei- Forschungsfelds nur wenig verwundert. und deren Kriterien stimulieren. ten in den gängigen klinischen und Die derzeitige Befundlage lässt einen Sensomotorische Auffälligkeitenwur- psychometrischen Ratingskalen über- vielfältigen Optimierungsbedarf für die den in den bisherigen MRT-Studien in wunden werden [80]. Deshalb sollten kli- Zukunft erkennen (. Abb. 3): Form subjektiver Beschwerden und klini- nische Ratingskalen in Kombination mit Sensomotorische Auffälligkeiten sind scher Phänomene (beobachtbar, körper- standardisierten instrumentellen Ver- in den aktuellen Diagnosesystemen nicht lich untersucht oder durch Bewegungen fahren [23], einschließlich Ecological- enthalten, mit Ausnahme psychomoto- hervorgerufen) sowie Verhaltensweisen momentary-assessment(EMA)-Ansät- rischer Verhaltensstörungen, welche definiert und mithilfe klinischer Rating- ze, zur Messung der sensomotorischen Der Nervenarzt
Author's personal copy Leitthema Dysfunktion bei psychischen Erkran- noch deutlich unterschätzt wurden. In Neurowissenschaften, die absehbar kungen verwendet werden. Wenn mög- einer rezenten „Umbrella-Übersicht“ weitere grundlagenwissenschaftlich lich, sollten möglichst viele verschiedene von van der Burg et al. [83] wurden wichtige Ergebnisse erzielen und Konstrukte (NSS, Dyskinesie, Parkinso- genetische Faktoren im Zusammenhang bedeutsame Einsichten fördern wird, nismus, Katatonie, Akathisie etc.) unter mit medikamentenassoziierten Bewe- die schließlich auch zu entscheiden- Verwendung verschiedener Analyse- gungsstörungen wie Spätdyskinesien, den Verbesserungen in der klinischen einheiten innerhalb transdiagnostischer Parkinsonismus, Akathisie und Dysto- Versorgung führen können. Studienstichproben untersucht werden. nie untersucht. Die Autoren identifi- 4 Diese Entwicklung wird durch eine Nicht zuletzt sollten auch die aktuellen zierten 15 Metaanalysen und konnte Vielzahl neuerer wissenschaftlicher Kriterien/Definitionen der jeweiligen zeigen, dass Patient*innen mit diesen und klinischer Initiativen reflektiert, sensomotorischen/psychomotorischen Syndromen überlappende Genpolymor- bspw. durch die neu gegründete „Eu- Kategorie spezifiziert werden. phismen (z. B. DRD2, DRD3, COMT ropean collaboration on movement und CYP2D6) aufweisen [83]. Die be- and sensorimotor/psychomotor func- »Bewegungssensoren Mit hochsensiblen lassen sich obachteten niedrigen Odds Ratios (OR) sind konsistent mit mehreren geneti- tioning in schizophrenia and other psychoses“ (ECSP). schen Varianten, die komplexe Phäno- 4 Über RDoC hinaus lassen sich da- sensomotorische Auffälligkeiten typen beeinflussen. Bislang sind nur sehr her auch auf europäischer Ebene besser quantifizieren wenige Arbeiten zur Pharmakogenetik eindeutige Bestrebungen zur Har- medikamentenassoziierter sensomotori- monisierung klinischer und wissen- scher Symptome verfügbar, die Evidenz schaftlicher Protokolle und zur engen Eine weitere Differenzierung sensomo- hierzu keinesfalls belastbar. Angesichts interdisziplinären Kooperation auf torischer Domänen bei psychischen der klinischen Relevanz medikamen- dem Gebiet der „sensomotorischen Erkrankungen ist notwendig, um die tenassoziierter Bewegungsstörungen, klinischen Neurowissenschaften“ komplexe Interaktion zwischen der sen- u. a. auch lebensbedrohlicher sensomo- identifizieren, die neben grundlegen- somotorischen Domäne und anderen torischer Syndrome wie die maligne den transdiagnostischen Fragestel- nichtmotorischen Domänen des RDoC- Katatonie oder das maligne neurolep- lungen stets auch die Optimierung Konzeptes (z. B. Kognition und Emoti- tische Syndrom [84], sind Studien mit der klinischen Versorgung im Blick on) besser zu verstehen. Weitere For- einer ausreichenden Anzahl tief phäno- haben. schungsbemühungen sollten sich auch typisierter Patient*innen essenziell. auf die Beziehung zwischen genuinen Schließlich sollte das Feld mit der Korrespondenzadresse und antipsychotikaassoziierten senso- Durchführung von Interventionsstudi- motorischen/psychomotorischen Auf- en beginnen, um die sensomotorischen apl. Prof. Dr. Dusan Hirjak fälligkeiten konzentrieren [81]. Groß Auffälligkeiten bei Patient*innen mit Zentralinstitut für angelegte und transnosologische Studi- psychischen Erkrankungen zu verbes- Seelische Gesundheit, Klinik für Psychiatrie und en werden den prädiktiven Wert der sern, wobei medikamentöse Therapien, Psychotherapie, Medizinische sensomotorischen/psychomotorischen körperliche Bewegung und Hirnstimula- Fakultät Mannheim, Funktionen bei der Verlaufsbeurteilung tion getestet werden sollten. Nach einer © ZI Mannheim/ Universität Heidelberg einer psychischen Erkrankung hervor- Reihe von Pilot- und Proof-of-principle- Daniel Lukac J5, 68159 Mannheim, heben [82] und gleichzeitig dazu bei- Studien sollten randomisierte kontrol- Deutschland dusan.hirjak@ tragen, die modulierenden Effekte der lierte Studien durchgeführt werden, zi-mannheim.de Behandlung auf genuine sensomotori- welche das Potenzial haben, Eingang in sche/psychomotorische Auffälligkeiten störungsspezifischen Behandlungsleitli- Danksagung. Die Abbildungen 2 und 3 wurden mit besser zu verstehen. nien zu finden. Die Fokussierung auf die BioRender (https://biorender.com) erstellt. klinischen Auswirkungen sensomotori- »werden Genetische Faktoren bei sensomotorischen schen Verhaltens ist zentral und wird für klinisch Tätige auch weiterhin von Einhaltung ethischer Richtlinien Interesse sein [24]. Auffälligkeiten noch deutlich Interessenkonflikt. D. Hirjak, S. Fritze, G. Northoff, unterschätzt Fazit für die Praxis K.M. Kubera und R.C. Wolf geben an, dass kein Interes- senkonflikt besteht. 4 Die Einführung der sensorimotori- Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Eine weitere Schlussfolgerung, die aus schen Domäne in die RDoC(Research- Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. der o. g. Literaturrecherche gezogen Domain-Criteria)-Matrix markiert ei- Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. werden kann, ist, dass sensomotorische ne neue, innovative und dynamische Auffälligkeiten bei psychischen Erkran- Entwicklung in der Psychiatrie, der kungen von der genetischen Forschung Psychotherapie und den klinischen Der Nervenarzt
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