THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg

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THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
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                                     MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG   1

SPIELZEIT 2020|21           MÄRZ 2021

     THEATER & DIGITALITÄT
     IMPULSE

     DEBATTE

     EXPERIMENTE

     NEUE FORMEN
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
2      02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                              IMPULSE

IMPULSE

Theater im digitalen Raum
Digitalkuratorin Lea Goebel über das utopische Potenzial neuer Theaterformen

»Homecoming«                                                  Foto Barbara Lenartz »A Room of Our Own«                                                       Foto Swoosh Lieu

I
  m vergangenen November richtete
                              quo noch eine Weile dauern würde, erar-                   und Drang wird mithilfe von eBay-Klein-        Nicht nur diese drei Produktionen zeigen:
  nachtkritik.de gemeinsam mit dem Li-
                              beitete man innovativere, experimentelle-                 anzeigen, Zoom oder WhatsApp in die            Das Digitale ist kein Substitut, perspekti-
  teraturforum im Brecht-Haus und der
                              re Formate. Ob Live-Streams mit Chat-                     Jetztzeit versetzt. Die Zuschauer*innen        visch könnte es zu einer dauerhaften Er-
                              funktion, Abstimmungstools, die einen
Heinrich-Böll-Stiftung die Online-Konfe-                                                tauchen durch Werthers Desktop in seine        gänzung des analogen Spielplans werden.
                              Eingriff in den Handlungsverlauf zulie-
renz »Das Postpandemische Theater«                                                      Welt und die Figurenkonstellationen ein.       Wir stehen erst am Anfang der Erkundung
                              ßen, VR-Brillen, Gaming-Formate oder
aus. Dabei sprach Regisseur Ersan Mond-                                                 »werther.live« gelingt es, die fiktiven Bio-   eines neuen Arbeitsfelds der darstellenden
                              die Zuhilfenahme von interaktiven Apps:
tag über die Abwesenheit des gesell-                                                    grafien dank personalisierter Insta­gram-      Kunst, das sich technisch rasend schnell
                              ein neuer Ehrgeiz war geweckt, der sich
schaftlichen Versammlungsortes Theater:                                                 Accounts auch auf Social Media weiter-         weiterentwickelt und noch viel Potenzial
                                        nicht nur bei den Kulturschaf-                  zuerzählen.                                    für Symbiosen zwischen Augmented Rea-

»Das postpandemische Theater fenden             abzeichnete, sondern
                                        auch vom Publikum und den                       »Eine Frau muss Geld und ein eigenes
                                                                                                                                       lity, Virtual Reality, 360°-Aufnahmen,
                                                                                                                                       Künstlicher Intelligenz, Robotik und Thea-
ist kein Wiederaufbau, es ist ein Kritiker*innen erwartet wurde.                        Zimmer haben, um schreiben zu kön-             ter birgt. Jetzt ist der Zeitpunkt, Erkennt-
                                                                                        nen«, so Virginia Woolf 1929 in ihrem          nisse in die Recherche neuer virtueller
Neubau. Der Sturm der Pandemie                       Wie bildet man dieses Jahr also    Essay. Swoosh Lieu gehen in ihrem Kurz-        Spielwelten einfließen zu lassen. So ent-
hat unsere prächtigen Bauten                         akkurat ab? Der Heidelberger       film »A Room of Our Own – Vor-                 decken wir gemeinsam digitale Verfahren,
                                                     Stückemarkt hat sich durch die     stellung für Browser:in und variab-            die das Potenzial neuer Erzähldramatur-
eingerissen. Das Haus, das Heim                      neue Rubrik »Netzmarkt« für        les Publikum« den Thesen Woolfs aus            gien im virtuellen Raum eröffnen.  LGoe
des Theaters, braucht einen neu-                     einen hybriden Weg entschie-       heutiger Perspektive auf den Grund. Eine
                                                     den. Ich persönlich hoffe, dass    feministische Intervention, gedreht im
en Entwurf. (...) Verputzen wir die                  diesem Vorbild noch andere         Bühnen- als auch Stadtraum, die durch           38. Heidelberger
alten Risse mit bunter Farbe?                        Festivals folgen, gegebenenfalls   den Sound, der extra für Kopfhörer auf-         Stückemarkt
                                                     braucht es darüber hinaus neue     bereitet wurde, besticht.                       30. April bis 9. Mai 2021
Oder bauen wir etwas Neues?«                         Kategorien für Theaterpreise,                                                      Vorverkaufsstart 10. April 2021, 13 Uhr
                                                     die digitale Projekte bedenken,    machina eX arbeiten seit vielen Jahren an
Diese Frage stellten sich in diesem be-    ähnlich dem österreichischen Nest-           der Schnittstelle von Gaming und Thea-
sonderen Theaterjahr 2020|21 auch die      roy-Preis.                                   ter. Mit »Homecoming« haben sie ein
Kulturinstitutionen. Als sie im März und   Für den »Netzmarkt« haben wir uns für drei   interaktives Live-Game für den Messen-
November ihre Türen schlossen, mussten     Produktionen entschieden: »werther.live« ,   ger-Dienst Telegram entwickelt, das sich
sie neue Austragungsorte, ein neues        »A Room of Our Own« und »Homecoming«.        thematisch mit der Pandemie und den
»Heim« für die Projekte suchen. Das fan-                                                physischen und psychischen Folgen der
den sie häufig im digitalen Raum. Der      »werther.live« startete zunächst als         Isolation auseinandersetzt. Das gemein-
erste Lockdown war geprägt von Neugier-    kleines Projekt eines neuformierten Thea-    same Online-Erlebnis in Chat-Gruppen
de, einem Sich-Ausprobieren. Als ab No-    terkollektivs und schaffte es im Februar     erfährt durch ein Päckchen, das die Zu-
vember langsam deutlich wurde, dass        mit einem Bericht sogar in die New York      schauer*innen vorab per Post erhalten,
eine Rückkehr zum altbekannten Status      Times. Goethes Briefroman des Sturm          eine kreative Offline-Erweiterung.
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
IMPULSE                                                                 MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG          3

                                            Liebes Publikum,

                                            Theater geht online. Auch in Heidelberg. Die Corona-Pandemie
                                            zwingt uns geradezu, auf digitale Formen auszuweichen, um we-
                                            nigstens hin und wieder ein Lebenszeichen aus der Theaterstraße
                                            oder dem Zwinger senden zu können. Und siehe da: Es geht. Der
                                            Computer-Bildschirm erweist sich keineswegs als natürlicher Feind
                                            der Theaterkunst. Im Gegenteil, er eröffnet neue Möglichkeiten,
»werther.live«
                                            die wir erst nach und nach ausprobieren und entdecken. Davon
                                            berichtet diese Ausgabe der Theaterzeitung. Sie ist anders als
                                            sonst. Sie ist ein Themenheft: über Theater und Digitalität.

                                            Virtuelle Formate prägen diese Spielzeit. Deshalb wird es beim
                                            Heidelberger Stückemarkt erstmals ein zusätzliches digitales Pro-
                                            gramm geben, den »Netzmarkt«. Es freut mich, dass wir als Kura-
                                            torin dafür Lea Goebel vom Schauspiel Köln gewinnen konnten,
                                            eine ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet. Sie stellt sich und
                                            ihr Programm im Gespräch mit Brit Bartkowiak vor, der neuen
                                            Oberspielleiterin des Schauspiels (Seite 6).

                                            Lassen Sie sich überraschen von der Unterschiedlichkeit der digi-
                                            talen Formate. Folgen Sie uns ins virtuelle »Neuland«. So heißt
                                            übrigens die Online-Performance des Jungen Theaters zum Mit-
                                            spielen. Eine wirklich neue Erfahrung!

                                            Wir alle freuen uns auf die hoffentlich nicht allzu ferne Zeit, wenn
                                            ganz normale Theatervorstellungen wieder möglich sind: analog,
  IMPRESSUM
                                            live und mit Publikum. Doch ich bin sicher, etwas von den groß-
  Die Theaterzeitung ist eine Sonderver-
  öffentlichung der Rhein-Neckar-Zeitung.
                                            artigen Möglichkeiten der Digitalität wird bleiben.
  Titelfoto: S. Reichardt
  Gestaltung: M. Stufferin
  Foto Editorial: Susanne Reichardt
  Konzept: M. Stufferin                     Ihr
  Gestaltung: RNZ Grafik
  Redaktion: J. Tydecks
  Anzeigen: A. Miltner (verantw.)
  Druck: Heidelberger Mediengestaltung      Holger Schultze
  HVA GmbH
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4       02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                             DEBATTE

 DEBATTE

 Digitales Theater im Diskurs:
 Pro &
 Contra

»Neuland«                                                                                                                                                Foto Susanne Reichardt

     PRO
                     Wann, wenn                                                              CONT
                                                                                                 RA
                                                                                                                Live is live
                     nicht jetzt?                                                                               Digitalität kann den Theater-
                                                                                                                besuch nicht ersetzen
                     Digitalität im Theater ist weit
                     mehr als eine Notlösung in
                                                                                             W
                                                                                                        ie, die singen live?« Nie mehr   mer-Konzert bis zur Opernaufführung
                                                                                                        werde ich die Verblüffung der    kann man nun auf vielen Kanälen, nach-
                     Pandemiezeiten                  »                                                  Siebtklässlerin vergessen, die   und durcheinander alle möglichen Forma-
                                                                                            mit ihren Mitschüler*innen die erste         te beschauen. Sonst vielbeschimpft, ist
                                                                                            Opernaufführung ihres Lebens besuchen        das Zappen auch beim hartgesottensten

B
       eim jüngsten Digital-Gipfel der        gleich in die nächste gedankliche Falle.      sollte. Und ich war mindestens genauso       Klassikfan angekommen. Erst neulich
       Bundesregierung brachte es Angela      Digitale Kunst kann sehr viel mehr sein:      verblüfft. Das Live-Erlebnis Theater und     schilderte mir eine Freundin, einen Hauch
       Merkel durchaus ein bisschen lus-      Interaktiv, partizipativ, kollaborativ. Mit   Konzert ist im Bewusstsein des Zeitalters    Selbstironie inklusive, wie sie zwischen
tig auf den Punkt: Deutschland dürfe          »Neuland« lotet das Junge Theater bei-        von YouTube und Spotify keine Selbstver-     zwei Streamingpremieren hin und her
beim digitalen Wandel nicht »Bummel-          spielhaft dieses Feld aus: Die jungen Zu-     ständlichkeit, lernte ich jetzt durch die    wechselte. Bei der einen interessierte sie
letzter« sein, sagte sie – und erntete uni-   schauer*innen werden zu Akteur*innen,         Schülerinnen und Schüler.                    mehr das Inszenierungskonzept, bei der
sones Nicken von links nach rechts. Auch      die das digitale Geschehen bestimmen.         Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen:    anderen Dirigent X, den sie sehr schätzt
wenn es bei dem politischen Gipfel pri-       Klar ist: Digitaler Wandel im Theater be-     Das hier soll keine Klage vom Untergang      und der ab und zu im Close-up erschien.
mär um Themen wie technische Ge-              deutet keinesfalls eine geringere Wert-       des Abendlandes werden. Schon ewig           Schön, sage ich mir. So kann man auch
schwindigkeit, Bildung und Verwaltung         schätzung des klassisch analogen Thea-        sind digitale Kommunikation und neue         Verluste kompensieren. Nein, verteufeln
ging, darf und muss das Wort »Bummel-         terabends. Er ist vielmehr eine Erweiterung   Medien in meinen Alltag integriert, und      will ich die Möglichkeit des Streamens
letzter« auch die deutsche Kulturland-        des theatralen Kosmos und damit ein Ge-       auch in Inszenierungen beschäftigen wir      nicht. Aber ich, ich hänge am »live« und
schaft aufwecken.                             schenk für künstlerische Fantasie. Und        uns nicht erst seit gestern mit dem Er-      stecke als Theaterarbeitende meine Ener-
Zu lange haben wir Theatermacher*innen        die gilt es dringend auch nach der Pande-     zählmehrwert durch den Einsatz audiovi-      gie eben lieber in die Idee und Verwirkli-
– im festen Glauben an das zutiefst ana-      mie weiterzuentwickeln!                LGr   sueller Medien. Das konventionelle Thea-     chung von Projekten, die unter pandemi-
loge Wesen von Theater – das Potenzial                                                      terhandwerk, nein, es soll eben nicht        schen Bedingungen stattfinden dürfen,
von Digitalität unterschätzt. Oder anders                                                   abgeschafft werden, sondern im Mitein-       aber möglichst nicht so aussehen sollen.
formuliert: Wir sind in die Falle getappt,                                                  ander mit digitalen Techniken und einem      Außerdem: Keine noch so gute Tontechnik
das Digitale und das Analoge gegeneinan-                                                    partizipierenden Publikum neue Präsen-       kann die Kluft zwischen Konserve und
der auszuspielen, statt zu begreifen, dass                                                  tationsformen entwickeln, die sich nicht     real-dabei-sein überbrücken, Gänsehaut-
sich beide Sphären künstlerisch befruch-                                                    oberflächlich im Dekor erschöpfen. So        momente erzeugt nur die unmittelbar er-
ten können. Erst jetzt, pandemieerzwun-                                                     weit, so digital.                            lebte Musik oder Stimme. Das war es am
gen, findet vielerorts eine tiefere Ausein-                                                 Doch dann kam die Pandemie und brach-        Ende dann auch, was den ersten Opern-
andersetzung mit den Möglichkeiten im                                                       te zeitweise den Lockdown mit, der den       besuch der eingangs erwähnten siebenten
digitalen Raum statt. Wer nämlich kultu-                                                    darstellenden Künsten etwas Essentielles     Klasse unvergesslich werden ließ. US
relle Digitalisierung mit bloßen abgefilm-                                                  nimmt: das Publikum. Dafür sprang das
ten Inszenierungen gleichsetzt, tappt                                                       Streaming ein. Vom privaten Wohnzim-
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
DEBATTE                                                                                                                            MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG                 5

 DEBATTE

                                                                                           Verrückt ins
                                                                                           Netz oder safe
                                                                                           die Bühnen
                                                                                           stürmen?
                                                                                            Zwei gegensätzliche Projekte des
                                                                                            Jungen Theaters in Zeiten von Corona
»Bambi«

Virtual Gaming Reality
                    Drei Fragen an »Bambi«-Regisseur Ekat Cordes
     PRO
                     Für deine Inszenierung des Jugend-      Was kann der digitale Raum, was der analoge nicht kann?        Was glaubst du, wird im Theater in Zukunft mehr Digi-
                     klassikers »Bambi« ziehst du mit        Der digitale Raum schafft jederzeit Zugang. Es macht           tales stattfinden?
     deinem Team ins Digitale – wie kommt es dazu?           mich freier in meiner Option, was ich und wann ich es          Ich finde, es wird zu viel Zeit mit Hoffen und Warten
Eine digitale, interaktive Inszenierung bietet sich bei      sehen will. Allein die Videospieleindustrie zum Beispiel       darauf, dass alles wieder »normal« wird, verbracht. The-
meiner Version von Bambi mehr als an. Sie spielt in einer    bietet so unendlich viele interaktive Möglichkeiten, dass      ater ist doch auch dafür da, auf den Puls der Zeit zu
nicht allzu weit entfernten Zukunft, in der es keine Natur   Theater eine eigene, einzigartige Form im Digitalen ent-       reagieren. Und wenn das gerade heißt, dass niemand ins
mehr gibt. So gibt es nur noch digitale Simulationen, so     wickeln muss. Ich finde es wichtig, dass ich, obwohl ich       Theater gehen kann, dann muss das Theater eben zu
wie Bambi, um Wechselwirkungen zwischen Mensch               alleine vor dem Computer sitze, trotzdem das Gefühl habe,      allen nach Hause kommen.
und Natur zu erfahren und eine vorsichtige Annäherung        Teil eines Publikums zu sein. Theater lebt für mich davon,
zu schaffen.                                                 dass es live, hier und jetzt, vor mir, mit mir und vor allem
                                                                                                                             PREMIERE
                                                             auch mit ganz vielen anderen um mich herum passiert.
                                                                                                                             »Bambi«
                                                                                                                             geplant für September 2021 (digital)

Meerschweinchen, die auf Bühnen starren
                    Drei Fragen an »Schimmerndes Wasser«-Regisseur Andreas Weinmann
  CONT
      RA
                    Wie viele andere Premieren musste        Was kann der analoge Raum, was der digitale nicht              Was glaubst du, wird im Theater in Zukunft mehr Digi-
                    auch »Schimmerndes Wasser« ver-          kann?                                                          tales stattfinden?
              schoben werden, jetzt kommt die Inszenie-      Das kann ich nicht vergleichen, weil es zwei ganz ver-         Für digitale Formate benötigt es Stücke die eigens dafür
rung endlich auf die Bühne. Worauf können wir uns            schiedene Formate sind. Was der digitale Raum nicht            geschrieben werden. Die Kamera muss Teil des Spiels
freuen?                                                      kann, ist allerdings genau das, was ich am meisten ver-        werden. Ich bin davon überzeugt, dass das digitale The-
Eine skurrile, düstere, magische Geschichte, bei der es      misse – die Gerüche, die ungefilterten Stimmen der             ater auch weiterhin und über Corona hinaus einen Platz
einiges zu lachen gibt, die gleichzeitig aber auch be-       Schauspieler*innen, die Dreidimensionalität des Raumes         in der Theaterlandschaft finden wird.
rührend ist und zum Nachdenken anregen soll – darüber,       und das Gemeinschaftsgefühl. In diesen Zeiten müssen                Die Fragen stellte Dramaturgin Mathilde Lehmann.
dass wir nach wie vor in einer Gesellschaft leben, in der    Künstler*innen und die Theater flexibel sein, um über-
der Status-Quo aufrechterhalten wird und wir den Men-        haupt Inszenierungen anbieten zu können. Zusammen
                                                                                                                             PREMIERE
schen, die nicht der Norm entsprechen, mit Vorurteilen       mit einem ganzen Team an Techniker*innen arbeiten wir
begegnen.                                                    daran, die Qualität des Stückes auch als Stream beizu-
                                                                                                                             »Schimmerndes Wasser«
                                                                                                                             geplant für April 2021
                                                             behalten.
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
6       02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                       NETZMARKT

NETZMARKT

Von der Longlist zur Shortlist
Die neue Oberspielleiterin Brit Bartkowiak im Gespräch
mit Netzmarkt-Kuratorin Lea Goebel

BB: Liebe Lea, der »Netzmarkt« als digi-
tale Sparte des Heidelberger Stücke-
markts findet dieses Jahr zum ersten Mal
statt und du bist Kuratorin. Wie bist du
bei der Auswahl vorgegangen?
LG: Ich habe digitale Formate, die zwi-
schen März 2020 und Januar 2021 ent-
standen sind, in die Auswahl einbezogen.
Ich habe geschaut, wo die Unterschiede
zwischen den beiden Lockdown-Phasen
liegen und ob es Weiterentwicklungen
gibt. Am Anfang tastete man sich so ganz
langsam ran. Die innovativeren Formate
gibt es etwa seit Ende November 2020.
Man merkt, dass die Theater den Ehrgeiz
entwickelt haben, zu experimentieren.
Aber auch von Seiten der Rezipierenden
kamen neue Anforderungen. Sowohl von
Zuschauer*innen als auch von Kritiker*in-
nen wurde der Wunsch nach Innovation          Lea Goebel                                           Foto privat   Brit Bartkowiak                       Foto Susanne Reichardt
größer. Demgegenüber zeigten sich viele
Theater in Deutschland sehr offen.            Außerdem sollte eine Variation unter-         Durchaus gab es Formate, die kontrovers     Raum zum Scheitern gab, der im analogen
Schließlich erstellte ich aus allen gesich-   schiedlicher Formate, wie Games, Live­        waren und bei denen es gegensätzliche       Theater manchmal fehlt. Man startete kol-
teten Produktionen eine Auswahl derer,        streams, Webserien, Theaterfilme etc.         Meinungen gab. Aber die Top Drei, die wir   lektiv bei null und niemand wurde verris-
die in dieser Zeit herausragend waren. Auf    abgebildet werden.                            jetzt haben, wurde dann am Ende relativ     sen, wenn etwas nicht funktionierte. Lang-
dieser Longlist standen nun noch elf Pro-                                                   einstimmig so gewählt.                      sam ist diese Phase vorbei und jetzt
duktionen.                                    BB: Also hattest du die Longlist fertig.                                                  interessiert mich darüber hinaus, wie wir
                                              Wie ging es dann weiter?                      BB: Ich persönlich spüre nach all den       einen Mehrwert im Digitalen produzieren
BB: Würdest du sagen, es sind vor allem       LG: Ich habe meine Auswahl dem Stücke-        Monaten ohne analoges Theater eine ge-      können, sodass das analoge Theater, so-
die großen Theater, die über größere fi-      markt-Auswahlteam inklusive Aufzeich-         wisse Ermüdung dem digitalen Theater        bald es wieder stattfinden kann, nicht
nanzielle Mittel verfügen, die im digitalen   nungen zur Verfügung gestellt, teilweise      gegenüber. Was würdest du mir raten?        mehr das einzige Programm auf dem
Bereich hervorstechen? Wie sieht es an        wurde auch live gesichtet. Anschließend       Was fasziniert dich so daran?               Spielplan bleibt. Digitales Theater birgt
den kleineren Stadttheatern, den Lan-         haben wir innerhalb des Auswahlteams dis-     LG (lacht): Bleib dran! Ich glaube an das   die Chance einer größeren Teilhabe, wenn
desbühnen, etc. aus?                          kutiert. Ich fand es sehr spannend, wie die   Potenzial digitaler Formate. Im März 2020   es niedrigschwellig gemacht ist, nicht nur
LG: Ich denke, es gibt in beiden Berei-       Auswahl wahrgenommen wurde. In zwei           hatte ich einfach eine wahnsinnige Sehn-    für junge, auch für alte Menschen. Auch
chen Positiv- und Negativbeispiele. Na-       Sitzungen haben wir unsere gemeinsamen        sucht nach Theater und Lust, Menschen       die Möglichkeit der direkten Interaktion,
türlich ist die Qualität im digitalen Be-     Top Drei gewählt. Es war ein sehr schöner     dabei zuzusehen, wie sie Dinge auspro-      sei es durch Livechats, Abstimmungstools
reich zu einem großen Teil von der            Prozess, den wir da durchlaufen haben.        bierten. Ich mochte es, dass es einen       usw. ist eine spannende Entwicklung.
technischen Ausstattung abhängig. Ich
verstehe den Vorwurf, die großen Häuser
könnten die Livestreams mit fünf Kame-
ras produzieren, während kleine Häuser          »Netzmarkt«-Longlist
technisch wie personell dazu gar nicht in
der Lage seien und daher »nur« eine Web-        Dekalog (Christopher Rüping), Schauspielhaus Zürich
serie auf YouTube herausbringen könnten.        Homecoming (machina eX), HAU Hebbel am Ufer/FFT Düsseldorf/Hellerau Dresden
Aber es gibt ebenso Beispiele kleinerer         werther.live (punktlive)
Häuser, die sich hervortun. Ich finde,
                                                Der Zauberberg (Sebastian Hartmann), Deutsches Theater Berlin
man sollte diese Arbeit ebenso honorie-
ren. Bei meiner Auswahl für die Longlist        From Horror till Oberhausen (Gruppe FUX), Theater Oberhausen
habe ich darauf geachtet, dass sowohl           Woyzeck Interrupted (Amir Reza Koohestani), Deutsches Theater Berlin
kleine als auch große wie ebenfalls freie       Map to Utopia (Eine Koproduktion von fringe ensemble, Bonn und Platform Tiyatro, Istanbul), Theater im Ballsaal
Theater und Kollektive vertreten sind. Ei-      Eternal Peace (Alexander Eisenach), Schauspiel Frankfurt
nige dieser freien Kollektive beschäftigen
sich schon seit Jahren mit Digitalität, ha-
                                                Customerzombification (BORGTHEATER – cyborg performing theater), Theater Vorpommern
ben daher schon ein gewisses Knowhow            A Room of Our Own (Swoosh Lieu), Künstlerhaus Mousonturm
und geben den Theatern Orientierung.            14 Vorhänge (André Bücker), Staatstheater Augsburg
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
EXPERIMENTE                                                                                                                    MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG                 7

EXPERIMENTE

Neuland
under
construction                                                                               »Neuland«                                                  Foto Susanne Reichardt

»Könnt ihr bitte mal in die Kamera schauen anstatt auf die Kacheln? Hallo? Hört ihr mich?«
                                                                                (aus dem Stück »Neuland. Under Construction«)

D
       ie Zeiten, in denen wir leben, haben   Morgen für Morgen stehen Performer*in-                                                  Welche Art von Erbauer*in des Neulandes
       auch das Junge Theater Heidelberg      nen, Mitglieder des Ensembles und
                                                                                           »Alle zur selben Zeit am                   wirst du sein? Schriftsteller*in? Regis-
       auf die Probe gestellt: Wie Kinder     Teams des Jungen Theaters in weißen          selben digitalen Ort.«                     seur*in? Musiker*in? Oder Bühnenbild-
und Jugendliche erreichen, wenn im Rah-       Räumen, losgelöst von ihrer Gemein-          (Katharina Rückl, Neuländerin)             ner*in? Im Neuland hat Corona kurz Pau-
men des Homeschoolings die Pla-               schaft, auf den Bildschirmen vereint. Mit                                               se. Das Digitale ist nicht Not und Mittel,
nungs-Skills der Kinder, der Jugendli-        von der Partie sind die Klassen, die nicht   Im Zeitraum von etwa 100 Minuten wer-      sondern der Weg, um dieses Kunstwerk
chen, der Eltern, der Lehrer*innen mehr       einfach Zeug*innen des Geschehens            den sie zusammengebracht, arbeiten ge-     digital zu erzeugen und maximal zugäng-
denn je gefordert werden? Wie dieses          sind, nein: Ohne die Schüler*innen findet    meinsam an den Ausdrucksmitteln unse-      lich zu machen. Nicht umsonst ist das
unmögliche Theater möglich und erreich-       nichts statt. Hier werden gemeinsam in       rer innersten Sehnsüchte, um eine Welt     eine Kernfrage der Theater heutzutage:
bar machen? Die Produktion »Neuland«          sogenannten »Break-Out-Sessions« As-         gemeinsam zu erschaffen, in der sie ger-   Wie zu den Menschen, wenn die Men-
ist im Jungen Theater Neuland im wahrs-       pekte einer Inszenierung erarbeitet, eine    ne sein wollen.                            schen nicht zu uns können?
ten Sinne des Wortes. Ein neuer Raum,         digitale Bühne gestaltet, Kostüme aus-                                                  Worauf können wir uns also freuen? ML
ein neuer Versuch.                            gewählt, Texte geschrieben, Musik kre-
                                                            »Dass wir alleine in unseren
                                              iert. Alles kommt im Versuchsraum »Neu-
                                                            Zimmern nicht stark sind,
                                              land. Under Construction« zusammen.
                                                                                         »Irgendwas zwischen fröhli-
»Ein kollektives Live-Erlebnis.                                                          chem Scheitern und hoch-
Mit Partizipation. Endlich mal »Ein Gedankenexperiment: das sollten wir spätestens seit jauchzender Euphorie, aber
wieder Aktion und Reaktion« Die eigenen Wünsche, Gefüh- Corona verstanden haben.«        allem voran: Teil eines ge-
                                                            (Simon Labhart, Neuländer)
(Leon Wieferich, Neuländer)
                                le und Bedürfnisse in einem                              meinsamen, einzigartigen
                                Kunstwerk.«                                              Neulands zu sein.«
                                              (Markus Strobl, Neuländer)                                                              (Nadja Rui, Neuländerin)

                                                                                                                                       »Neuland«
                                                                                                                                       Aktuelle Termine unter
                                                                                                                                       www.theaterheidelberg.de

Fragen ans Probenpublikum
                    Wenn’s ins Digitale geht: Wie gefällt dir das?                                            Wenn’s nicht analog geht: Was fehlt dir?
                                                                                             CONT
     PRO            Helena (16): Ich fand’s toll, wie ausführlich die technischen Mög-           RA           Anisa (19): Was mir fehlt ist ganz klar das »klassische« Theater-
                    lichkeiten genutzt und wie stark wir als Publikum in diesem Fall                          erlebnis mit Einlass, Mitfiebern und das direkte Wahrnehmen an-
                    einbezogen wurden. Das hat Kreativität geweckt.                                           derer Reaktionen.

Daria (17): Voll gut auch für Leute, die vielleicht sonst nie ins Theater gehen.           Lene (17): Man ist irgendwie trotzdem so weit voneinander weg. Ich finde, diese Ver-
                                                                                           bundenheit und Direktheit, die man sonst im Theater hat, fehlt.
Manuel (19): Ich fand’s super schön, dabei zu sein! Was mich mega berührt hat (ja
tatsächlich berührt) waren die letzten 5 Minuten! Da hab ich erst so richtig realisiert,   Daria (17): Mir fehlt es sehr, dass man nicht mehr ins Theater gehen kann. Dort gibt
was da in den letzten 90 Minuten entstanden ist und wie die Kreativität durch so           es eine gewisse Atmosphäre und man hat eine gewisse Nähe zu den Schauspielern
viele Menschen zusammenkommt!                                                              und zum Geschehen.
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
8       02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                  EXPERIMENTE

EXPERIMENTE

Mut zu neuen Formaten
In »Freiraum Film« choreografieren
die Tänzer*innen des DTH
diesmal direkt für die Kamera

N
       ach einem Jahr voller Mitschnitte     gefähr acht Minuten auf der Leinwand
       und Aufzeichnungen von Bühnen-        ganz unterschiedliche Geschichten erzäh-
       stücken ist durchaus klar gewor-      len. Dabei können wir uns auf eine Vielfalt
den, dass der eigene Blick der Zuschau-      von künstlerischen Ausdruckssprachen
enden durch die Kameraführung nicht          freuen. Mal im vertrauten Umfeld des
nachgeahmt werden kann. Das Erlebnis,        eigenen Zuhauses, mal in der Idylle der
selbst im Raum präsent zu sein, kann         Natur – immer wieder finden sich span-
niemals wirklich ersetzt werden. Gerade      nende Orte, die wir ohne den Blick der
im Tanz, wo die präsente Körperlichkeit      Kamera so nicht hätten erkunden kön-
und die Nuancen der Bewegungen sowie         nen. Die Tanzfilme sind auch das Ergeb-
die Beziehungen zwischen den Körpern         nis der engen Zusammenarbeit zwischen
und zum Raum das grundlegende Aus-           den Tänzer*innen und jeweils einem*r
drucksmittel sind.                           Filmemacher*in und bieten somit die
Doch mit der Kamera den Blick lenken zu      Chance, weitere externe Künstler*innen
können, kann auch Chancen bieten. Denn       einzubeziehen. Im Rahmen der Tanzbien-
wenn der Tanz direkt für die Kamera und      nale werden die Kurzfilme im Gloria Kino
deren detaillierten Blick geschaffen wur-    auf der großen Leinwand Anfang Juni
de, kann eine neue Nähe entstehen. Auf       Premiere feiern. Wir dürfen gespannt
genau diese Entdeckungsreise begeben         bleiben, wie die tänzerische Ausdrucks-
sich die Tänzer*innen des DTH, die für       kraft uns auf mutige und neue Weise von
»Freiraum Film« selbst zu Choreograf*in-     aktuellen Lebensthemen sowie Sehn-
nen und diesmal sogar Regisseur*innen        süchten erzählen wird.                JM
werden. Zeit und Raum für persönliche
Ausdrucksformen sowie eigene künstleri-
                                              PREMIERE
sche Ideen zu schaffen – das ist die Idee
von Freiraum mit der Iván Pérez als künst-
                                              »Freiraum Film«
                                              geplant im Rahmen der
lerischer Leiter der Tanzsparte seine Tän-
                                              Tanzbiennale Heidelberg
zer*innen immer wieder eigenen Arbeiten
                                              4.– 6. Juni 2021
kreieren lässt. Dieses Jahr werden es
Tanzfilme, die mit einer Länge von un-
                                                                                           Kuan-Ying Su probierte in einem Fotoshooting mit dem ehemaligen Tänzer Leon
                                                                                           Poulton bereits Bewegungen für die Kamera an spannenden Ort der Stadt aus.

Mit dem Computer tanzen
                                                                                           D
                                                                                                  ie beliebten DTH-Workshops sind       grund des englischsprachigen Angebots
                                                                                                  letztes Jahr zunächst zum Podcast     mit den Künstler*innen des Dance Thea-
                                                                                                  geworden, doch nun geben es auch      tre Heidelberg.
                                                                                           die technischen Möglichkeiten auf den
                                                                                           Probebühnen her, dass die Tänzer*innen        DTH-Workshop
                                                                                           des DTH Sie direkt über einen Livestream      Voraussichtlich wieder
                                                                                           mit Bild und Ton zuhause anleiten. Je         im April und Mai 2021.
                                                                                           nach eigenem Niveau und natürlich auch        Aktuelle Termine und Tickets
                                                                                           Platz bringen die 60-minütigen Work-          auf www.theaterheidelberg.de
                                                                                           shops Sie in Bewegung. In kleinen Grup-
                                                                                           pen geben die online stattfindenden Kur-
Auch das tägliche Training der Tänzer*innen fand in den vergangenen Monaten teils          se Einblicke in die ganz unterschiedlichen
digital angeleitet statt. Arno Brys, Andrea Muelas Blanco und Yi-Wei Lo trainieren mit     Interessen und Stile der Ensemblemit-
entsprechenden Abständen auf der Bühne des Alten Saals.                                    glieder. Wie immer steht vor allem eine
Iván Pérez leitet von zu Hause eine kleine Gruppe im Alten Saal und Zwinger 1 gleich-      positive Körpererfahrung und auch der
zeitig an.                                                 Fotos Susanne Reichardt        Spaß an den Bewegungen im Vorder-
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EXPERIMENTE                                                                                                  MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG                9

EXPERIMENTE

»Du bist noch auf mute«
Spielclubs in der Pandemie
Spielclub-Proben für eine Stückentwicklung im Februar 2021                             Fotos Jeremy Heiß

                                                              Markus (Spielleiter)                              »Theaterlabor. Test: Zukunft«
     Philine (16)                                             »Digital ersetzt nicht analog – das ist klar.     6.–9. April 2021:
     »Auch online sind die Proben einfach eine                Deshalb nutze ich diese Zeit zum einen für
                                                                                                                Anmeldefrist verlängert bis 28. März 2021!
     tolle Abwechslung zum Alltag und eine                    Materialsammlung, für den Austausch und
                                                                                                                Alle Informationen unter
     Möglichkeit, um mit anderen Menschen zu                  Kontakt zwischen den Spieler*innen und
                                                                                                                www.theaterheidelberg.de/produktion/
     kommunizieren, zu diskutieren und kreativ                versuche, lustvoll mit den digitalen Mög-
                                                                                                                theaterlabor-testzukunft/
     zu werden.«                                              lichkeiten umzugehen. Der Spaß bleibt so
                                                              trotzdem!«

                                                                                                                Amelie (22)
                                                                                                                »Es bringt mir regelmäßig kreativen Input
                                                                                                                in meinen Alltag und regt mich dadurch
                                                                                                                immer wieder zum Denken an und schenkt
                                                                                                                mir Abwechslung zu meiner Arbeit. In
                                                                                                                Zoom vermisse ich aber vor allem die
                                                                                                                Gruppendynamik auf der Probebühne.«

                                                                                                                Smilla (10)
                                                                                                                »Ich finde es halt blöd, dass man kein
                                                                                                                Theaterstück erfinden kann. Aber sonst
                                                              Simon (33)                                        finde ich es toll. Auch die Spiele machen
                                                              »Beim Theaterspielen ist es wie beim Le-          Spaß, am meisten mag ich »Werwolf«.
                                                              sen – es muss knistern. Für Stückentwick-         Und ich finde es toll, dass du [Spielleite-
                                                              lung mit kreativem Schreiben bieten sich          rin] so viel mit uns machst, das muss man
                                                              aber die Textverarbeitungsmöglichkeiten           ja nicht, aber du machst es – das finde ich
                                                              am Rechner sehr an. Ein Theaterstück be-          sehr toll.«
                                                              ginnt manchmal eben doch am Küchen-
                                                              tisch oder Schreibtisch ...«

  Jeremy (Spielleiter)
  »Für mich als Spielleiter war die Umstel-
  lung auf Zoom-Proben eine große Heraus-
  forderung, da viele der theaterpädagogi-
  schen Methoden mit der Dynamik einer
  gesamten Gruppe arbeiten. Eine solche
  Dynamik lässt sich nicht herstellen, wenn
  man nur über kleine bewegte Bildchen
  miteinander im Kontakt ist. Ich versuche
  die Gegebenheiten einer Zoom-Probe nicht
  als Hindernis für kreative Theaterarbeit zu
  sehen, sondern nutze die Tools von Zoom
  wie Breakout-Sessions, Chatfunktion und
  Bildschirmteilen, um abwechslungsreiche
  Proben zu gestalten. Es ist spannend, auf
  diese Weise neue Wege zu finden, wie man
  auch über Zoom Texte, Haltungen und Kör-
  perlichkeiten entwickeln und reaktives
  Spiel ermöglichen kann.«
THEATER & DIGITALITÄT - IMPULSE - Theater und Orchester Heidelberg
10      02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                  NEUE FORMEN

NEUE FORMEN

Die Energie im Raum
Karola Obermüller, Komponistin und Preisträgerin des Heidelberger Künstlerinnenpreises 2021
im Gespräch mit Anna Weberbauer und Leon Gruidl (FSJ Kultur am Theater und Orcherster Heidelberg).
Das 5. Philharmonische Konzert sowie die Verleihung des Heidelberger Künstlerinnenpreises wurden 2021 live
aus dem Marguerre-Saal gestreamt und werden am 2. Mai 2021 um 21.05 Uhr im Deutschlandfunk gesendet.

Karola Obermüller                   Fotos Susanne Reichardt     Livestream aus dem Marguerre-Saal: Auf der Bühne das Philharmonische Orchester Heidelberg

Hören Sie Ihre Musik in Ihrer Freizeit?       liche zeitgenössische klassische Musik      Was sind die Vorteile digitaler Konzerte?   Hat es ihre Komposition beeinflusst, dass
Nein. »Freizeit« ist sowieso ein schwieri-    höre ich regelmäßig zum einen durchs        Man kann sehr flexibel dabei sein – auch    »Phosphor« digital uraufgeführt wurde?
ger Begriff, Arbeit und Freizeit sind in      Unterrichten, wenn ich Studierenden Re-     an Tagen, an denen ein Echtzeit-Kon-        Nein, dafür hätte ich das schon am An-
meinem Leben nicht so getrennt. Eigent-       pertoire näherbringe, zum anderen wenn      zert-Besuch nicht möglich gewesen wäre.     fang des Kompositionsprozesses wissen
lich arbeite ich (zumindest im Kopf) stän-    Kolleg*innen und befreundete Musi-          Man kann weltweit dabei sein. Die Kinder    müssen. Dann wäre dieses Wissen viel-
dig, außer wenn ich mit Familie oder          ker*innen neue CDs veröffentlichen oder     können auch zuhören und zuschauen,          leicht eingeflossen in die Musik und/oder
Freund*innen in die Natur gehe, wir zu-       mir Aufnahmen schicken. Da die Stille für   ohne andere zu stören. Man kann mit-        den Kompositionsprozess.
sammen essen, wenn ich mit meinen             mein Komponieren sehr wichtig ist, reicht   singen oder -tönen!
Kindern übe und musiziere, oder wenn          das alles meistens dicke, und ich freue
ich lese. Meine Musik zu hören, zum Bei-      mich, wenn es nachts im Haus ruhig wird.
spiel wenn ich einen Schnitt im Zuge der
Vorbereitungen für eine CD-Veröffentli-       Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten
chung anhöre, bedeutet immer volle Kon-       – in welche Zeit würden Sie reisen und
zentration. Also jedenfalls kommt dabei       warum?
kein »Freizeitgefühl« auf.                    Am liebsten in viele verschiedene …
                                              wenn ich unbedingt wählen müsste, viel-
                                                                                            »Die Zertrennlichen«          von Fabrice Melquiot /10+
Welche Songs/Stücke stehen auf Ihrer          leicht zu Sappho, ca. 600 v. Chr., ich
Playlist?                                     wüsste zu gerne, wie sie ihre Lyrik ge-       Das Junge Theater freut sich, nun auch
Erstaunlicherweise habe ich immer noch        sungen und begleitet hat.                     »Die Zertrennlichen« in den digitalen
keine Playlist! Es wird im Haus aber dank                                                   Spielplan zu holen. Es geht um Sabah
meiner Kinder ständig Musik gemacht           In die Zukunft, um zu schauen, ob die         und Romain, zwei neunjährige Kinder,
oder gehört. Oft natürlich das, was sie       Menschheit die Klimakrise hat meistern        beste Freunde. Sabah hat algerische
gerade üben, aber auch vieles andere –        können?                                       Wurzeln, Romains Eltern sind Einheimi-
unser 13-Jähriger ist ein Opernfan, und       Lieber nicht, ich will meine Hoffnung         sche. Die Freundschaft wird durch ei-
gerade schauen wir auf seinen Wunsch          nicht aufgeben.                               nen Streit der Väter auf die Probe ge-
hin jeden Abend ein wenig »Tosca«, nach-                                                    stellt. Auf der On-Demand-Plattform
dem er viele der Mozartopern bereits ge-      Was vermissen Sie bei Online-Veranstal-       theater-stream.de präsentieren drei-
sehen hat. Unsere 11-Jährige spielt Cello     tungen am meisten?                            zehn baden-württembergische Theater
und ist, seitdem sie letztes Jahr Solocello   Die Nähe zu den Menschen, die Musik           Live-Streams und Theaterfilme, die
in Corellis Weihnachtskonzert spielen         machen, und die Nähe zu den Menschen,         exklusiv für Schulklassen für diese
durfte, im Barockfieber. Da die Schule        die zuhören. Damit verbunden, die Ener-       Plattform produziert werden. Gefördert
zur Zeit zuhause am Computer stattfin-        gie im Raum. Das gemeinsame Erlebnis.         wird die Plattform durch das Ministe-
det, läuft meistens irgendeine CD, die        Die Atmosphäre, diese Verzauberung            rium für Wissenschaft, Forschung und      Nadja Rui in »Die Zertrennlichen«
eins der Kinder ausgesucht hat. Alle mög-     während eines gemeinsamen Rituals.            Kunst Baden-Württemberg.                               Foto Susanne Reichardt
NEUE FORMEN                                                                                                                      MÄRZ 2021 02 THEATERZEITUNG   11

NEUE FORMEN

Tanzgala im Juni
als hybrides Format geplant
W
         ährend der Tanzbiennale Heidel-
         berg ist die Gala der Ba-
                                               chester Heidelberg Anfang Juni also man-
                                               che Gruppen live auf der Bühne stehen
                                                                                            präsentieren im filmischen Format Aus-
                                                                                            schnitte etablierter Companys aus Ba-
                                                                                                                                        every             4.– 6.6.
                                                                                                                                                          2021

                                                                                                                                            body
         den-Württembergischen Tanz-           und andere mittels der großflächigen Vi-     den-Württemberg.                  JM

                                                                                                                                        can
akteur*innen immer ein wichtiges               deoprojektion im Marguerre-Saal zu se-
Highlight und zeigt die Vielfalt des Tanzes    hen sein. Dass sich solche hybriden For-      Tanzbiennale Heidelberg
in der Region. Auch bei der diesjährigen       men zum Ausprobieren im Theaterraum           Geplant für den 4.–6. Juni 2021
Ausgabe der kleineren und zweigeteilten
Tanzbiennale darf die Gala nicht fehlen.
Da einerseits jedoch die zuverlässige Pla-
nung für viele Ensembles sehr schwierig
                                               anbieten, zeigt sich zurzeit immer wieder
                                               und hat auch organisatorische Vorteile.
                                               Denn um eine für alle Beteiligen sichere
                                               Gala auf die Beine zu stellen, ist nebst
                                                                                             am Theater und Orchester Heidelberg
                                                                                             Informationen zum ersten Teil des
                                                                                             Festivalprogramms vom 8.– 18. April 2021
                                                                                             am UnterwegsTheater finden Sie online.
                                                                                                                                          dance
geworden ist und andererseits auch posi-       Abstand die gründliche Reinigung wichti-
tive Seiten für die Umwelt deutlich wer-       ger Teil des Hygienekonzepts. Nachdem
den, wenn Menschen weniger Reisen, hat         also ein Beitrag von den anwesenden Tän-
die Leitung der Tanzbiennale beschlos-         zer*innen auf der Bühne gezeigt wurde,
sen, die Gala als gemischtes Format zu         muss der Boden immer wieder neu ge-          Ein Projekt der Tanzallianz – Kooperation
präsentieren. Es werden zum Auftakt des        wischt werden ­­– da kommen die Videobei-    von Theater und Orchester Heidelberg
dreitägigen Festivals am Theater und Or-       träge auf der Leinwand wie gerufen und       und UnterwegsTheater Heidelberg

  Online-Premiere genau ein Jahr später
  »Momentum« hieß der dreiteilige Abend        im Rahmen der Internationalen Wochen
  für den mit Astrid Boons auch erstmals       gegen Rassismus darüber hinaus ein
  eine internationale Gastchoreografin mit     künstlerisches Zeichen setzten.
  dem Ensemble des Dance Theatre Hei-          Das digitale Künstler*innengespräch vor
  delberg arbeitete. Leider konnten die Stü-   der zweiten Online Vorstellung bot darü-
  cke aufgrund des ersten Lockdowns im         ber hinaus die Möglichkeit, mit der in den
  März 2020 nicht im Zwinger 1 Premiere        Niederlanden ansässigen Künstlerin Ast-
  feiern. Fertig geprobt und vom Filmema-      rid Boons sowie Yi-Wei Lo und Iván Pérez
  cher Michael Maurissens aufgezeichnet,       unmittelbar in den Austausch zu kom-
  konnte der Abend nun aber zumindest          men. So wurden geografische Grenzen
  online noch verspätet Premiere feiern und    digital überwunden.

   Eine Szene aus Astrid Boons Stück »Crash«, welches sich mit den Auswirkungen
   der Reizüberflutung auf den menschlichen Körper beschäftigt.
                                                         Foto Susanne Reichardt
12      02 THEATERZEITUNG MÄRZ 2021                                                                                                                    NEUE FORMEN

NEUE FORMEN

Was sind wir bereit,
aus Liebe zu tun?
»Die Beleidigten. Belarus(sland)« als Online-Lesung

D
       er belarussische Autor Andrej Ku-
       rejtschik, geboren 1980 in Minsk,
       hat über die aktuellen Ereignisse in
Weißrussland ein Theaterstück geschrie-
ben, welches das Ensemble des Theaters
Heidelberg als deutschsprachige Erstauf-
führung in einer Online-Lesung präsentiert.
Das Stück besteht aus sieben ineinander
verzahnten Monologen. Diese Technik eig-
net sich gut für ein digitales Format unter
Corona-Bedingungen. Jedes Ensemblemit-
glied wurde unabhängig von den anderen
und in einem anderen Setting aufgenom-
men. Für Probe und Aufnahme war jeweils
ein Tag veranschlagt. Die entstandenen
Videos konnten so ineinander geschnitten
werden, wie es die Textfassung vorsah. Da-
durch gelang eine lebendigere Präsentati-
onform als eine lediglich abgefilmte Le-
sung. Durch die Abstraktion der Monologe
(ohne Nennung der realen Namen) ergibt
sich das vielstimmige Bild einer Revolution,
das über den konkreten Anlass in Belarus
hinausweist, geleitet von Swetlana Ticha-
nowskajas Frage »Was sind wir bereit, aus      Es lesen: Daniel Friedl, Christina Rubruck, Benedict Fellmer (links, von oben nach unten), Lisa Förster (Mitte), Katharina Quast,
Liebe zu tun?«                                 Esra Schreier, Steffen Gangloff (rechts, von oben nach unten), Texteinrichtung: Jürgen Popig, Video: Hanna Green
Im Rahmen der Internationalen Wochen
gegen Rassismus ist die Online-Lesung bis
8. April 2021 kostenlos unter www.theater-
heidelberg.de verfügbar.                 JP

   Lesezeit digital                                                                           Freundeskreisbackstage – der Talk
  Am 25. März 2021 feiert die beliebte Ver-    die Leiterin des Veranstaltungsprogramms       Der bekannte Freundeskreis-Talk weicht    halten. Nachdem der erste Talk der Rei-
  anstaltungsreihe ihr 13-jähriges Jubiläum    der Stadtbücherei, und Jürgen Popig, lei-      in diesem Frühjahr vom Alten Saal               he Freundeskreisbackstage er-
  mit der 125. Folge: Schauspielerin Esra
  Schreier liest »Schischyphusch« von
                                               tender Dramaturg des Schauspiels, äu-
                                               ßern sich zur – in Zeiten des Lockdowns
                                                                                              ins »Netz« aus, um auf diesem
                                                                                              Weg in direkten Kontakt und
                                                                                                                                  Jetzt           folgreich stattgefunden hat,
                                                                                                                                                   werden weitere Talks folgen.
                                                                                                                                Mitgli
                                                                                                                                werde ed
  Wolfgang Borchert. Beate Frauenschuh,        – digitalen Version der »Lesezeit«.           Austausch untereinander und                           Die Termine werden den

                                      Jürgen Popig:
                                                                                              mit den Theaterschaffenden zu
                                                                                              bleiben. Zu Gast werden Mit-
                                                                                                                                      n!            Mitgliedern des Freundes-
                                                                                                                                                   kreises rechtzeitig mitgeteilt.
               Die Lesung wird nicht durch                  Die Lesung wird nicht durch       glieder aus dem Ensemble sein,                     Alle Informationen zum Freun-
               den Bibliotheksbetrieb dar-     CONT         den Bibliotheksbetrieb dar-       aber auch Mitarbeitende, die hinter           deskreis auf
     PRO                                           RA
               um herum beeinflusst.                        um herum beeinflusst.             den Kulissen die »Fäden« in den Händen    www.freundeskreis-heidelberg.de

                                  Beate Frauenschuh:

              Mit den gestreamten »Le-                        Es bleibt zu befürchten,
                                                                                              Tickets
              sezeiten« erreichen wir ins-     CONT           dass viele ältere Zuhörer aus
     PRO                                           RA
              gesamt mehr Zuhörer*in-                         dem Umfeld des Freundes-
                                                                                              Der Vorverkauf für den Heidelberger Stückemarkt startet
              nen als mit den Live-                           kreises, die zum Stamm-
                                                                                              am 10. April 2021 um 13 Uhr.
  Lesungen und können neue Zielgruppen         publikum gehörten, den Schritt in die
  erreichen. Die Klickzahlen gehen in die      Digitalität nicht mitgehen. Ich hoffe sehr,    Kontakt und Öffnungszeiten der Theaterkasse, aktuelle Termine und Informationen,
  Höhe.                                        dass sie wiederkommen.                         auch zu weiteren buchbaren Veranstaltungen, auf www.theaterheidelberg.de
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