Ein Jahr zwischen Alarmismus und Verleugnung - Die seelische Verfassung in Zeiten der Corona-Pandemie
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Mensch und Gesundheit Ein Jahr zwischen Alarmismus und Verleugnung Die seelische Verfassung in Zeiten der Corona-Pandemie Dr. med. Matthias Bender stoßen typischer- mung und Isolation leben, weil das Leben weise das Pendel im Außen derart heruntergefahren ist. an, das zwischen Kontrolle, Autono- Nähe wird als Gefahr erlebt, mie bzw. Unabhän- Distanz als Schutz gigkeit und Unter- werf ung schwingt. Die übliche Nähe-Distanz-Relativität ist Wir haben, auch durch die Corona-Krise geradezu in einen Foto: © DonkeyWorx – stock.adobe.com gesamtgesell- Schleudergang gestürzt [1], die Men- scha f tlich, unter- schen handeln als sozialbedürf tiges We- schiedliche Weisen sen wider ihrer Natur und ihrer Bedürfnis- des umsichtigen se nach Nähe und Beziehung. Denn Dis- wie auch des irra- tanz- und Abstandhalten sind neuerdings tional-destruktiven Ausdruck von Schutz, Fürsorge und Res- Umganges – of t pekt, wohingegen Nähe mit Gef ahr und auch als Abwehr Bedrohung durch Infektionsgefahr assozi- des Ausgelie f ert- iert ist. Wir blicken auf ein anstrengendes Jahr zu- seins – erlebt und erf reulicherweise sehr Der disruptive Prozess der Pandemie erfor- rück, das uns epochale Herausf orderun- viel gegenseitige Rücksichtnahme, Hilf s- dert rasche Anpassung an die gerade zu gen aufgegeben hat. Ein kleines Virus hat bereitschaf t, Sympathie und Solidarität, orwellsche Verdrehung grundsätzlicher uns global unsere Verletzlichkeit als Teil für die wir dankbar sein dürfen. Kategorien der menschlichen Beziehung der Natur auf gezeigt, was schon eine und Bedürfnisse. Trotz eines enormen Ef- Kränkung für uns Menschen als vermeint- Über- und Unterforderung f ektes von kognitiver Dissonanz werden liche Corona bzw. Krone der Schöpf ung als Auswirkungen diese verordnete soziale Distanz und die ist. Die seuchenpräventiven Maßnahmen der Seuchenprävention soziale Selbstisolation unmittelbar als wie Quarantänephasen oder der wieder- Übereinkunft und Norm der gesellschaftli- holte Lockdown waren für manche in der In der zweiten Welle der Corona-Pande- chen Konvention akzeptiert – allerdings in erzwungenen Entschleunigung erholsam mie und dem lang anhaltendem Lock- der jetzigen zweiten Welle mit der Folge und besinnlich, f ür viele aber belastend down sind viele Menschen, unabhängig von mehr Ungeduld oder Fatalismus ange- und bis in ihre wirtschaftliche Existenz be- davon ob sie von der SARS-CoV-2-Infekti- sichts von Mutationen und dem schlep- drohlich. on betroffen sind oder nicht, gestresst, er- penden Impfbeginn. Die Nähe-Distanz-Re- schöpf t, beschämt, verschiedentlich be- gulation und unsere intrapsychische Set- Zwischen Autonomie rauscht, vielf ach herrscht eine Erschöp- zung determinieren sämtliche Beziehungs- und Unterwerfung f ung der Seele, ein schwermütiges strukturen unseres Lebens und sind zum Schweigen angesichts des Horror vacui, Beispiel in der Psychotherapie und in der Die psychischen Auswirkungen von Ein- die Zeit erstarrt in einer Übermacht an Arzt-Patient-Beziehung wichtiges Funda- samkeit über vermehrte Rückfälle bei Ab- Gegenwart mit dem Blick auf die nächsten ment und therapeutisches Agens, das eine hängigkeitserkrankungen bis zur Zunah- Infektions- und Todeszahlen. Transformation von der Begegnung hinter me an häuslicher Spannung und Gewalt Fast alle Menschen leiden an der Situation den Masken bis in die Online-Angebote der sowie die Verschärf ung prekärer Arbeits- in einer deutlichen Polarisierung der Grup- Videosprechstunde erfordert. und Wohnverhältnisse haben wir vielf ach pen. Entweder sind sie überfordert und bei bei unseren Patienten erlebt – sowie die ihnen hat sich der berufliche Einsatz noch Unterschiedliche Strategien Belastungen durch die Covid-19-Erkran- verschärf t – vielerorts im medizinischen und Erwartungen verunsichern kung selbst. Bereich oder weil sie nebenbei zu Hause Ich sehe auch die daraus resultierende Er- die Kinder beschulen und unterhalten Zudem verunsichern die postmoderne schöpf ung und vielf ach Anspannung in müssen. Oder sie sind in Not geraten we- Perspektivenvielfalt bei der Risikoadjustie- den verschiedenen Beruf sgruppen und gen anstrengender Unterf orderung, weil rung und dem Krisenmanagement, wenn den therapeutischen Teams. Eine solche sie ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nachgehen Wirtschaf t, Wissenschaf t, Politik, Bildung Krise und deren gesellschaf tspolitische können und damit in ökonomische Schwie- unterschiedliche interne Logiken, Erfolgs- und medizinische Bewältigungsstrategien rigkeiten geraten sind bzw. in Vereinsa- bedingungen, Erwartungsstile entwickeln 160 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Mensch und Gesundheit und nicht mit Passung aufeinander bezo- von Keller und Speicher. Das Fehlen an Au- ineinanderspielen – nicht als Abfolge von gen sind – wie der Soziologe Armin Nasse- ßen im Rahmen von Kontaktverboten, zusammenhängenden Tönen, sondern als hi im „Ausnahmezustand als Normalf all“ Quarantänebestimmungen, Isolation, eine Sinnganzheit wahrgenommen. Aktu- ausführt [2]. Funktionale Differenzierung Homeof f ice etc., weniger kulturellen und ell hört sich das für viele wie ein lang ge- lautet der soziologische Fachbegriff dafür. sportlichen Angeboten oder Vergnügun- zogenes, kreischendes Geräusch an. So bieten selbst die sinnvollen Handlungs- gen außer Haus f ührt bei vielen zur Lan- stränge entlang der virologischen und epi- geweile im Lockdown (negativ in Anleh- Ist der Corona-Blues pathogen? demiologischen Erkenntnisse keine gesell- nung an Kierkegaard als eine Macht, „die Erfahrungen aus der versorgungs- schaf tliche Zentralperspektive. In diesen den Menschen vor das Nichts rückt“). psychiatrischen Praxis Zusammenhang passt auch Wittgensteins Einerseits verändert sich die Zeitigung des bekannter Satz, dass die Lösung aller wis- Daseins (Heidegger) in grundlegenden Der plötzliche und wiederholte Shutdown senschaf tlichen Probleme noch kein Le- Dimensionen, denn das gegenwärtige Ha- der Gesellschaft und der Lockdown unse- bensproblem gelöst hat. ben der Zeit als ein biographisch zusam- rer gewohnten Normalität stellen eine menhängendes, gerichtetes Kontinuum „potenziell traumatisierende Ausnahmesi- Die Veränderung des Zeiterlebens von Vergangenheit, Gegenwart und Zu- tuation“ dar – so auch die Einschätzung in der Corona-Pandemie kunf t im Sinne der Ich-Zeit f indet einen des Psychoanalytikers Volker Beck. In den Bruch in der Erf ahrung des individuell gravierenden Auswirkungen und wirt- Neben der Erstarrung in der totalen Ge- bewegten Entwicklungsgeschehens. schaf tlicher Not sind die Auswirkungen genwart f indet sich bei vielen Menschen der körperlichen oder physischen Distanz eine (in der Depression typischerweise Der Schrecken der Leere im Rahmen der sozialen Distanz mit nega- vorhandene) quälende Dehnung. In der tiven Effekten verbunden und können sich derzeitigen coronischen Situation gestal- Anderseits bleibt ein optimiertes Zeitma- als pathologischer Faktor manif estieren, tet sich plötzlich f ür viele Menschen das nagement geradezu das Gebot der Stunde hin zu mehr Einsamkeit bzw. Einsamkeits- Verhältnis zur Gegenwart, Vergangenheit für jene, die weiterarbeiten, wie im Home- erleben. Das zunehmende Stressniveau und Zukunf t ganz neu, genau wie auch office, bei der Kinderbetreuung und in der kann zu Belastungsreaktionen oder An- das Verhältnis zur Zeitf orm und den Organisation ihrer digitalen Präsenz. Für passungsstörungen f ühren und bei be- Schichten untereinander. Hier passt zu diejenigen ohne Arbeit im Lockdown stimmten gesellschaf tlichen Gruppen in diesem verwirrenden Zeiterleben in den wirkt sich das Übermaß an Zeit wie ein autonomistischer Reaktion auf das Ohn- coronischen Krisentagen auch das Thema Ungeheuer aus; der Schrecken der Leere, machtserleben zu destruktiv-aggressiven des Zauberbergs von Thomas Mann im Sinne des Horror vacui, der ihnen in Entladungen. Im gesellschaf tspolitischen (1924), der die Geschichte von Hans Cas- den Einkauf sstraßen, den Vereinshäusern Feld, aber auch bis hin in die private Grup- torp in den 15er-Jahren des 20. Jahrhun- und ihren eigenen Läden und Kneipen ent- pe hinein gilt es, den Kontrast zwischen derts erzählt, bevor die Welt aus den Fu- gegengähnt. Hinzu kommt der Kontrast Alarmismus und Katastrophisierung einer- gen geriet und danach eine andere war. So der chronobiologischen Zeitrhythmen seits und Verleugnung und Entsolidarisie- wirken Bücher aus vergangenen Jahrhun- und der Digitalisierung, die eben nicht rung andererseits auszuhalten und auszu- derten jetzt zeitgemäßer – wie Camus’ miteinander verwandt und kompatibel gleichen. In unserem versorgungspsychi- „Pest“ oder Márquez’ „Die Liebe in Zeiten sind, sondern weitgehend asynchron lau- atrischen klinischen Alltag sehen wir: der Cholera“ oder „Auf der Suche nach der fen. Dieser Kontrast findet sich auch in der • eine Häuf ung von Rückf ällen bei Ab- verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Unendlichkeit des digitalen und der Win- hängigkeitserkrankungen im Zusam- Vorcoronisch ließen sich lange Monate zigkeit des analogen Raumes wieder. menhang mit dem coronischen Stress, und Tage vorab strukturieren, planen und Warten, dass die Pandemie bald weg- • einen Anstieg der af f ektiven Erkran- mit Zielgerichtetheit angehen im Sinne ei- geimpft wird, sich das normale Leben wie- kungen mit einer Phasenverschiebung nes Timings. Die totale Zukunf tslosigkeit der einstellt oder die Ungewissheit, ob wir der Inanspruchnahme je nach Ausmaß wird durch das Licht am Ende des Tunnels, noch weiter in die schlimmste wirtschaftli- der SARS-CoV-2-Inzidenzzahlen und nämlich den begonnenen Impf ungen, che Krise aller Zeiten schlittern, stellt eine Kontaktbeschränkungen, mittlerweile aufgehellt. Dennoch sind Rei- Gratwanderung in dieser zeitlichen Unge- • eine Zunahme von Angststörungen mit sen, Kongresse, Arbeitsplatzsicherheit richtetheit dar. hypochondrischer Akzentuierung, etc. nicht plan- und realisierbar. Stattdes- „Wird auch aus diesem Weltf est des To- • reaktive Psychosen mit Auskristallisati- sen wird die Gegenwart von Corona des, auch aus der schlimmen Feuerbrunst, on des Wahnthemas Covid-19, bestimmt und in eine Breite gezogen, der die rings den regnerischen Abendhimmel • die Verstärkung von Zwangsstörungen gar nichts Flüchtiges oder Zukünf tiges entzündet, einmal die Liebe steigen?“ (manche Zwangskranke mit vorbeste- innewohnt [3]. Manche können die er- (sagt Hans Castorp hoffnungsvoll am En- henden Dekontaminationsritualen füh- zwungene Entschleunigung als Gelegen- de des Zauberbergs). Edmund Husserl be- len sich allerdings auch erleichtert und heit zur Kontemplation, Muße, Innewer- schreibt in der Phänomenologie des inne- endlich verstanden), den, als ästhetische Erf ahrung erleben ren Zeitbewusstseins, wie Vergangenheit, • eine signifikante Häufung von Konflik- oder praktisch nutzen zum Entrümpeln Gegenwart und Zukunft wie eine Melodie ten, Gewalt und Missbrauch in Partner- Hessisches Ärzteblatt 3/2021 | 161
Mensch und Gesundheit schaf ten und Familien durch die auf - • In der Regelversorgung f ehlen Betten sich die Schönheit in Fehlern entdecken. erlegte soziale Distanzierung und Kon- bzw. Plätze wegen Isolierspangen, -sta- Hier werden Keramik- oder Porzellan- taktreduktion in unserer Gesellschaf t tionen und -zimmern, Wegf all von bruchstellen nicht vertuscht, sondern ver- bzw. drängende Enge in Quarantäne Mehrbettzimmern, kleinere Gruppen in goldet und damit in ihrer ganzen Schön- und Homeoffice, den Tageskliniken; das Entlassmanage- heit inszeniert. Dieses wichtige Resilienz- • die Verstärkung der Einsamkeit, Zunah- ment ist erschwert, zum Beispiel bei der prinzip, nämlich das wir an unseren Verlet- me an Isolation und daraus f olgende Verlegung von gerontopsychiatrischen zungen wachsen und sie als wertvolle Le- suizidale Krisen, wobei bislang kein An- Patienten in Heimeinrichtungen. benslinien annehmen können, die uns stieg der Suizidraten festzustellen ist. stark machen, gilt auch f ür die Bewälti- • Bei Paarbeziehungen verbessert bzw. „Wo aber Gefahr ist, wächst gung der Corona-Pandemie. intensiviert sich jedoch je nach Unter- das Rettende auch“ Die Bewältigungsproblematik hat viel mit suchung die Sexualität bei bis zu 50 % Lebens- und Krankengeschichte bzw. Bio- der statistisch begleiteten Paare. So Friedrich Hölderlin, der am 20. März graf ie und Krankheit zu tun. Jede Kran- • Auch beobachten wir eine Zunahme 2020 seinen 250. Geburtstag hatte. Wie kengeschichte und Biografie ist nicht nur von PC- und Mediensucht, Vermei- seine f ielen auch viele andere Geburts- aus ihrer Vorgeschichte heraus zu verste- dungsverhalten und Realitätsverlust tagsf eiern aus – und können nachgeholt hen, im Sinne der Prägung aus der frühen (Berührt zu sein bei Facebook ist ge- werden. Kindheit. Sie konstituiert sich nicht nur nauso wie reich zu sein bei Monopoly). Was hilft? Bewältigung und Prävention. aus dem Ineinander von Bewusstem und Um die Abwärtsspirale der Erschöpfung in Unbewusstem, sondern ebenso sehr aus Versorgung in den psychiatrischen die erlernte Hilflosigkeit und den Negativi- dem Ineinander von Mitgebrachtem und Kliniken während der Pandemie tätsbias zu vermeiden, gilt es Selbstwirk- Eingebrachtem – also Zuf all, Fügung sei- samkeit und Selbstfürsorge zu stärken. tens der Lebensereignisse, die Öf f nung • Hygiene- und Abstandsregeln manifes- Ich beginne mit einem kleinen Beispiel des Zukunf tsaspektes im Hier und Jetzt. tieren auch im therapeutischen Milieu eigener Handlungsf ähigkeit: dem tägli- Was bedeuten also zwei oder vielleicht die Verdrehung grundsätzlicher Kate- chen Spaziergang. Rausgehen ist das auch drei Corona-Jahre? Am Ende können gorien der menschlichen Beziehung neue Ausgehen. Frische Luft schnappen, sie zusammensurren zu einer Geschichte, und Bedürf nisse (Nähe als Gef ahr, Licht tanken, die Natur beobachten, sich die wir unseren Enkeln erzählen werden. Distanz als Schutz). bewegen, damit etwas in Bewegung Hierbei dürfen wir nicht zynisch werden, • Screening-Untersuchungen, Testun- kommt, ist nicht nur wirksam gegen den denn viele, zu viele, weit über 60.000 gen, Isolierung, Quarantänemaßnah- Winter-Blues, sondern auch ein Ausweg Menschen in Deutschland sind an oder men sichern und verunsichern Patien- aus der coronaverschuldeten Einengung mit dem neuartigen Corona-Virus gestor- ten und Professionelle. und kann etwas angstlösende Weitung ben und werden ihre Bewältigungsge- • Besuchsverbote be- und entlasten bringen gegen die seelische Enge (das schichte nicht mehr ihren Enkeln erzählen Patienten. Wort „Angst“ kommt vom lateinischen können. Hier gehört zur Bewältigung der • Reduzierung notwendiger Angehöri- angustus = eng). Überlebenden eine off ene und auch gen- und Familiengespräche – es ge- Ein wichtiges Element in der Resilienzför- geteilte Trauerarbeit. lingt nur teilweise eine Kompensation derung, also dem Umgang mit Krisen, oh- Um noch einmal auf das Zeiterleben zu- über Telefonie- und Videosprech- ne schweren oder nachhaltigen Schaden rück zu kommen, ist es hilf reich, die stunden. zu nehmen, besteht weniger in der Durch- Futur-II-Perspektive einzunehmen, bei- • Restriktive Belastungserprobung haltetaktik, also krampf haf t auf bessere spielsweise von 2023 aus auf die heutige erschwert den Transf er von stationä- Zeiten zu warten, weil dann eher Erschöp- Situation zu schauen: Es wird gewesen rem Therapieerf olg in den f amiliären fung, Müdigkeit, Zermürbung zunehmen, sein. Diese Perspektiven drehen sich und und sozialen Alltag. sondern in langfristiger Anpassung an die- erleichtern eine Befreiung aus der Gegen- • Expositionstherapien und Übung all- se Situation. Hierzu gehört die Of fenheit wart und eine Distanzierung von der tagspraktischer Fähigkeiten im sozialen zum Perspektivenwechsel mit Chancen, Übermacht der Vergangenheit, die nun in Feld sind beschnitten. eigene neue Wege auszuprobieren – und ihrer Absolutheit, in ihrer of t unheimli- • Dafür steigt oft der solidarische Zusam- das nicht nur im Großen wie z. B. in der chen Festgestelltheit und Endgültigkeit menhalt in der stationären therapeuti- Digitalisierung, die zweifellos einen coro- verflüssigt und manchmal sogar „suspen- schen Kommunität. nabedingten Schub ähnlich wie die Bio- diert“ wird [4]. • Leiborientierte Therapien (Tanz-, Be- technologie im Rahmen der Impfstoffent- Zum Prozess der Resilienz gehört die wegungs-, Theatertherapie) sind ver- wicklung bekommen hat. Identifizierung ihrer Strategien, also inter- ändert, reduziert, gestrichen; Gruppen- „Selig sind die, die einen Sprung in der personeller-, externer-, intrapersoneller therapien sind zum Teil verkürzt wegen Schüssel haben, denn sie lassen das Licht Ressourcen sowie Bewältigungs- und Co- kleinerer Zeitf enster f ür mehr Klein- durchscheinen“ (Michel Audiard). Wie in ping-Strategien. Zur Resilienzf örderung gruppen, um die Abstandsregeln ein- der traditionellen japanischen Reparatur- gehören die Prävention, die Rehabilitati- halten zu können. methode für Keramik, dem Kintsugi, lässt on, die Bildung, die Psychotherapie. Eine 162 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Foto: © raisondtre – stock.adobe.com seelische Erkrankung durch psychische lauf einzuhalten, wenn nötig mit f es- Belastung lässt sich nicht sicher verhin- tem Tagesplan. dern, ebenso wenig ein Rezidiv einer be- 6. Nehmen Sie Hilf e an: bei Bekannten, stehenden Erkrankung. Freunden, in der Familie, bei Behörden sowie auch therapeutische Hilfe. Nie- 14 salutogenetische Tipps mand ist vor einer Depression oder ei- ner anderen psychischen Erkrankung Die Resilienzförderung ist ein Weg, um die gefeit. Wichtig ist, bei möglichen An- 10. Üben Sie Stressabbau. Aktuell ist ein mentale Gesundheit zu stärken und Krisen zeichen Hilfe zu holen und zu akzep- guter Zeitpunkt Entspannungstechni- besser zu meistern – nicht nur in der Co- tieren und eine Beratungsstelle, eine ken, wie Autogenes Training oder pro- rona-Pandemie. In pragmatischer Ergän- Hotline oder noch besser den Haus- gressive Muskelrelaxation oder auch zung an das vorab Beschriebene noch ei- oder Facharzt auf zusuchen. Eine de- Achtsamkeitsübungen, zu lernen. nige Tipps zur Stärkung der Psyche – ori- pressive Episode ist in der Regel gut Hierzu f inden Sie Anleitungen im In- entiert unter anderem an der Arbeit der behandelbar. ternet oder bei Online-Kursen. Kolleginnen und Kollegen am Leibniz-In- 7. Pflegen Sie Ihre Kontakte. Insbeson- 11. Seien Sie offen zu Ihren Kindern. Gera- stitut für Resilienzforschung oder bei der dere Alleinlebende oder Menschen, de in diesen unsicheren Zeiten benöti- Organisation Mental Health Europe: die f ür Depressionen anf ällig sind, gen Kinder das Gefühl der Geborgen- 1. Akzeptieren Sie, was Sie nicht ändern entwickeln aus dem Alleinsein ein heit und der Sicherheit. Wichtig ist, können. Einsamkeitserleben, das psychisch mit ihnen ganz offen über das Thema 2. Achten Sie auf Inf ormationen aus se- und somatisch sehr belastend und zu sprechen und ihre Fragen zu beant- riöser Quelle (z. B. Bundeszentrale für krankmachend sein kann. Auch wenn worten und ihnen zuzusichern, für sie gesundheitliche Auf klärung, Robert- körperliche Nähe gerade schwer da zu sein. Wichtig ist es auch, Rituale Koch-Institut, Bundesgesundheitsmi- möglich ist, ist soziale Nähe umso beizubehalten. nisterium, WHO). wichtiger in Form von gemeinsamen 12. Mobilisieren Sie Energie bei Dingen, 3. Vermeiden Sie „Inf of lut“ und achten Spaziergängen, Videoanrufen, Gebe- die Sie verändern können. Sie auf dosierte Fakten. Legen Sie be- ten, Telef onaten, Chats, E-Mails, 13. Trotz aller berechtigten Verunsiche- wusst Inf ormationspausen ein, das Briefen etc. rungen und Zukunftssorgen bezüglich heißt geben Sie dem Thema Corona- 8. Achten Sie auf Selbstfürsorge. Behan- der eigenen Gesundheit oder der be- Virus nicht zu viel Raum. Am besten, deln Sie sich, wie Sie einen guten ruf lichen und f amiliären Sicherheit: wenn Sie es sich beruf lich erlauben Freund behandeln würden, und sor- Vermeiden Sie negative Gedankenspi- können, nehmen Sie sich nur ein bis gen Sie für die Erfüllung der Grundbe- ralen. zwei feste Zeiten am Tag für die Infor- dürf nisse: ausreichend Schlaf , ausge- 14. Bleiben Sie SARS-CoV-2-negativ mationen. wogene Ernährung. Bleiben Sie in Be- und denken positiv! 4. Def inieren Sie Auszeiten und f inden wegung, etwa durch tägliche Spazier- Distanz. Mir hat es im vergangenen gänge oder sportliche Aktivitäten, Dr. med. Matthias Bender Jahr oft gut getan, nicht nur nach Co- auch in den eigenen vier Wänden. Ver- Klinikdirektor Vitos Klinik für Psychiatrie rona in den PCR-Befunden zu suchen, meiden Sie unbedingt einen erhöhten und Psychotherapie (KPP) Kassel, sondern die Corona borealis – die Alkoholkonsum. Bad Emstal, Hofgeismar und Melsungen, nördliche Krone – am Sternenhimmel. 9. Bieten Sie anderen Hilfe an, vor allem Ärztlicher Direktor 5. Sorgen Sie f ür Routine. Gerade in ei- älteren Menschen oder Personen, die Vitos Klinikum Kurhessen, Kassel; ner Zeit, in der so viel ungewiss ist, ist psychisch labil sind: Sie brauchen jetzt Kontakt via E-Mail: es besonders wichtig, eine Struktur in Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr oder matthias.bender@vitos-kurhessen.de Tag und Woche zu haben. Vor allem praktische Unterstützung im Alltag. für Menschen, die an Depressionen er- Seien Sie altruistisch und spüren den Die Literaturhinweise f inden Sie auf krankt sind oder die dazu neigen, ist Zusammenhalt einer solidarischen unserer Website www.laekh.de unter es wichtig, einen geregelten Tagesab- und hilfsbereiten Gemeinschaft. der Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“.
Mensch und Gesundheit Literatur zum Artikel: Ein Jahr zwischen Alarmismus und Verleugnung Die seelische Verfassung in Zeiten der Corona-Pandemie von Dr. med. Matthias Bender [1] Volker Beck: Die ungewollte soziale [3] Gerrit Bartels: Corona und die totale Weitere Literatur Distanz in Zeiten der Corona-Pande- Gegenwart. mie. In: Bering; Eichenberg: Die Psy- Tagesspiegel 29.03.2020. Christian Scharfetter: Allgemeine Psycho- che in Zeiten der Corona-Krise. Klett- pathologie. Thieme Verlag Stuttgart, Kotta, Stuttgart 2020. [4] Wolfgang Blankenburg: Zeitigung des 8. unveränderte Auflage 2020. Daseins in psychiatrischer Sicht. 1992. [2] Armin Nassehi: Der Ausnahmef all als In: Psychopathologie des Unscheinba- Christian Kupke: Der Begrif f Zeit in der Normalf all. Modernität als Krise. In: ren, Hrsg. M. Heinze 2007. Psychopathologie. Parodos Berlin, 2009. Kursbuch 170. Krisen lieben. Mur- mann, Hamburg 2012 Boris Wandruszka: Die Rolle der Zukunf t für die menschliche Exsistenz. Alber, Freiburg 2014.
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