Ein neuer kalter Krieg? - Internationale Politik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
System und Gesellschaft Ein neuer kalter Krieg? Wirtschaft, Technologie, Militär, Ideologie: Die Aus- einandersetzung zwischen China und den USA ist ein multidimensionaler Konflikt mit beträchtlichem Eskalationspotenzial. Auch Europa wird nicht darum herumkommen, sich zu positionieren. Von Peter Walkenhorst 8 | IP Special • 3 /2021
Ein neuer kalter Krieg? E s war der frühere australische Pre- Entwicklung einschränken wolle, um ih- mierminister Kevin Rudd, der un- ren (Wieder-)Aufstieg zu einer globalen längst die Auffassung vertrat, der Führungsmacht zu verhindern. China Konflikt zwischen Peking und Washing- sieht sich selbst als eine aufsteigende ton werde in den 2020er Jahren in eine und die USA als eine absteigende Macht. entscheidende Phase eintreten. Es sei un- In offiziellen Dokumenten und Reden füh- vermeidlich, so Rudd, ein ausgewiesener render Kader taucht immer wieder die For- China-Experte, dass die Spannungen zwi- mel auf: „Der Osten steigt auf, der Westen schen den USA und China weiter wachsen steigt ab.“ Staatspräsident Xi Jinping hat und der Wettbewerb sich verschärfen wer- die Losung ausgegeben: „Zeit und Momen- de. Es komme darauf an, eine militärische tum sind auf Chinas Seite.“ Seit Xi 2013 an Eskalation des Konflikts zu vermeiden. die Macht kam, ist Pekings Außenpolitik Ist Kevin Rudds Sorge berechtigt? In der selbstbewusster und aggressiver und sei- Tat besitzt die amerikanisch-chinesische ne Innenpolitik autoritärer geworden. Rivalität das Potenzial, sich zu einem glo- Die Rivalität zwischen den USA und balen Hegemonialkonflikt zu entwickeln. China hat nicht nur macht- und geopo- Viele Beobachter sprechen von einem litische, sondern auch wirtschaftliche, neuen „Systemkonflikt“ oder sogar einem technologische, militärische und ideo- „neuen kalten Krieg“ zwischen Washing- logische Dimensionen. Konflikte um die ton und Peking, der auch andere Länder Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik unter Druck setzt, sich zu positionieren. dominierten die bilateralen Beziehungen unter der Regierung Trump und stehen Strategischer Wettbewerber weiter auf der politischen Agenda. In den In den USA wird der Aufstieg Chinas USA wird intensiv über eine zumindest weithin als Bedrohung für die eigene teilweise Entkopplung der eigenen Wirt- Machtposition im internationalen System schaft von China debattiert. Erste Schritte verstanden. In Schlüsseldokumenten der weisen in diese Richtung: Exportkontrol- US-Regierung und offiziellen Erklärun- len, Investitionsprüfungen und die Schaf- gen gilt China seit 2017 als „strategischer fung resilienter Lieferketten ohne chinesi- Wettbewerber“, als ernste Gefahr für die Si- sche Beteiligung. Peking setzt seinerseits cherheit, den Wohlstand und die Werte der verstärkt auf eine Wirtschaftsstrategie der USA. Zugleich hat sich ein parteiübergrei- „zwei Kreisläufe“, die darauf abzielt, seine fender Konsens herausgebildet, demzufol- Abhängigkeit von ausländischen Märkten ge die über Jahrzehnte verfolgte „Strategie und Technologien zu verringern. des Engagements“ mit China gescheitert Beide Weltmächte konkurrieren zudem ist. Auch Präsident Joe Biden bezeichnete um die technologische Vorherrschaft im China in seiner ersten großen außenpoli- digitalen Zeitalter, die eine zentrale Vor tischen Rede als Amerikas „ernsthaftesten aussetzung für wirtschaftliche Stärke und Dr. Peter Walken- Konkurrenten“ und betonte wenig später, militärische Überlegenheit ist. Noch be- horst ist Senior dass seine Regierung einen „extremen haupten die USA in wichtigen Technolo- Project Manager im Programm Deutsch- Wettbewerb“ mit Peking führen werde. giebereichen ihre Führungsposition. Aber land und Asien bei In China dominiert die Wahrnehmung, Pekings erklärtes Ziel ist es, bei zahlrei- der Bertelsmann dass Amerika die Volksrepublik geopoli- chen Zukunftstechnologien wie Telekom- Stiftung, Gütersloh. Der Beitrag gibt die tisch eindämmen und in ihrer wirtschaft- munikation, Halbleiterfertigung, Künstli- persönliche Meinung lichen, technologischen und militärischen cher Intelligenz und Quantencomputing des Autors wieder. IP Special • 3 /2021 |9
System und Gesellschaft führend zu werden und durch globale Doch es gibt auch gewichtige Unter- technische Standards eine eigene tech- schiede. Verglichen mit China war die So- nologische Einflusssphäre zu schaffen. wjetunion ein wirtschaftlicher Zwerg. Die Überall da, wo die Entwicklung neuer chinesische Wirtschaft ist weitaus größer, Technologien Grundfragen der politischen technologisch fortschrittlicher und dyna- und gesellschaftlichen Ordnung berührt, mischer als es die sowjetische je war. Chi- etwa bei Informations- und Kommunika- na steht im Zentrum globaler Lieferketten tionstechnologien, verschärft die techno- und ist der wichtigste Handelspartner für logische Rivalität den weltanschaulichen die meisten Staaten der Welt. Seine Wirt- Systemwettbewerb zwischen liberalen schaft ist zudem in einem Maße mit der Demokratien und Chinas digitalem Au- amerikanischen verflochten, wie es mit toritarismus. Diese systemische Rivalität der sowjetischen unvorstellbar gewesen war aus Sicht der chinesischen Führung wäre. Peking ist der größte Gläubiger der schon immer von zentraler Bedeutung, USA. Aus all dem folgt, dass China nicht weil westliche Werte und Vorstellungen aufgrund ökonomischer Schwäche zusam- von Demokratie und Meinungsfreiheit menbrechen wird wie die Sowjetunion. das Machtmonopol der Kommunistischen Ein weiterer wichtiger Unterschied ist Partei infrage stellen. Deshalb versucht Pe- das Fehlen einer politischen und militä- king, international demokratische Normen rischen Blockbildung. China ist eine ein- und Werte zu unterminieren und autoritäre same Weltmacht. Es gibt keine dem War- schauer Pakt vergleichbare Allianz. Die USA dagegen besitzen ein Netzwerk von Technologische Rivalität Verbündeten im indopazifischen Raum. verschärft den Wettbewerb Gemeinsam mit Australien, Japan und In- dien haben sie den sogenannten quadri zwischen Demokratie und lateralen Sicherheitsdialog, kurz Quad, initiiert, in dem die vier Länder sich zu digitalem Autoritarismus Sicherheitsfragen austauschen und ge- meinsame Militärmanöver durchführen. zu fördern, um die Weltordnung nach chi- Er gilt als Versuch, ein Gegengewicht zu nesischen Vorstellungen zu formen. China im Indo-Pazifik zu etablieren. Diese multidimensionale Rivalität Die Rivalität zwischen den USA und zwischen den USA und China hat sich in China ist mithin keine Neuauflage des den vergangenen Jahren verschärft. Ist Kalten Krieges, sondern ein Konflikt es zutreffend, von einem „neuen kalten neuer Art. Eine Politik nach dem Muster Krieg“ zu sprechen? Diese Analogie ist des Kalten Krieges, die primär auf geopo- naheliegend, greift jedoch zu kurz und litische Eindämmung und militärische ist darüber hinaus strategisch und poli- Abschreckung setzte, wäre wenig erfolg- tisch irreführend. Zutreffend ist, dass die versprechend. Stattdessen bedarf es einer chinesisch-amerikanische Rivalität wie differenzierten und flexiblen Strategie, die der Kalte Krieg zwischen den USA und der es erlaubt, gleichzeitig mit China in be- Sowjetunion ein weltweiter, multidimen- stimmten Bereichen zu konkurrieren und sionaler, langfristiger Konflikt zwischen in anderen zu kooperieren. Das gilt nicht zwei Supermächten ist, der in hohem nur für die USA, sondern auch für Euro- Maße ideologisch aufgeladen ist. pa. Denn der chinesisch-amerikanische 10 | IP Special • 3 /2021
Ein neuer kalter Krieg? Bild nur in Printausgabe verfügbar Feind und Helfer: Helme, die in der Lage sind, die Körpertemperatur der Passanten zu messen, dienen einer- seits dem Kampf gegen Corona und andererseits der Vollendung des chinesischen Überwachungsstaats. onflikt stellt die EU vor die Herausforde- K Interessen und Werte im Spannungsfeld rung, sich in oder zu ihm zu positionieren. des amerikanisch-chinesischen Konflikts zu behaupten. Kooperation, Konkurrenz und Konflikt Auch in Europa ist der Blick auf China Europas Verhältnis zu China ist ambiva- in den vergangenen Jahren deutlich kri- lent. Für die EU ist die Volksrepublik gleich- tischer geworden. Pekings Überwachung zeitig „Kooperations- und Verhandlungs- der eigenen Bevölkerung, die Unterdrü- partner“, „wirtschaftlicher Wettbewerber“ ckung der Uiguren, die Niederschlagung und „systemischer Rivale, der alternative der Demokratiebewegung in Hongkong Modelle der Regierungsführung fördert“. sowie seine militärischen Aktionen und So steht es in einem Grundsatzpapier vom territorialen Ambitionen im Süd- und März 2019. Diese Trias ist eine zutreffende Ostchinesischen Meer und seine „Wolfs- Beschreibung des komplexen Verhältnis- krieger“-Diplomatie haben es viele Sym- ses, das durch Kooperation, Konkurrenz pathien gekostet. Hinzu kommt, dass die und Konflikt gekennzeichnet ist. Sie ist al- chinesische Führung kaum eine Gele- lerdings noch keine konsistente Strategie, genheit auslässt, einen Keil zwischen die aus der sich eine europäische China-Po- Mitglieder der EU zu treiben, um sie zu litik ableiten ließe. Es bleibt unklar, wie schwächen. Daneben besteht jedoch nach die drei Dimensionen zusammenhängen wie vor ein großes Interesse Europas an und wie sie zu gewichten sind. Eine Stra- guten Wirtschaftsbeziehungen zu China tegie für den Umgang mit China ist aber und an einer Zusammenarbeit im Kampf dringend erforderlich, um europäische gegen Covid-19 und den Klimawandel. IP Special • 3 /2021 | 11
System und Gesellschaft Damit steht Europa vor einem Dilemma: Eine Äquidistanz zwischen Zum einen muss es angesichts der chinesi- schen Herausforderung seine wirtschaftli- den Vereinigten Staaten chen und sicherheitspolitischen Interessen behaupten und zugleich die Werte und und China ist für Europa Normen der liberalen Weltordnung und keine realistische Option des Multilateralismus verteidigen, was ohne enge Kooperation mit den USA kaum vorstellbar ist. Gleichzeitig strebt Europa der EU gegenüber Asien könnte hierfür ein vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit sinnvoller Ansatz sein. der Trump-Regierung nach mehr Souve- Wie schwierig ein solcher Balanceakt ränität und strategischer Autonomie. Im in der Praxis ist, zeigt exemplarisch das Hinblick auf den Umgang mit China be- Ende Dezember 2020 zwischen der EU und deutet das, dass die Europäer nicht ohne China vereinbarte Investitionsabkommen. Weiteres bereit sind, sich vorbehaltlos auf Das Comprehensive Agreement on Invest- die Seite der USA zu schlagen. Sie wollen ment (CAI) hat auf beiden Seiten des Atlan- sich der bipolaren Logik entziehen und tiks heftige Kritik hervorgerufen. eine eigenständige Politik verfolgen. Im Kritiker bemängeln unter anderem, Idealfall möchten sie eine normen- und dass eine Reihe von Regelungen zur wertebasierte Kooperation mit den USA Durchsetzung von Umwelt- und Arbeits- verfolgen, um der chinesischen Herausfor- ethikstandards, wie die Absichtserklärung derung entgegenzutreten, gleichzeitig aber Chinas, internationale Konventionen über weiterhin wirtschaftlich von einem stärke- Zwangsarbeit zu ratifizieren, zu unver- ren Engagement mit China profitieren und bindlich formuliert sind. Außerdem wer- mit Peking bei der Bewältigung globaler fen sie der EU und besonders der deutschen Herausforderungen zusammenarbeiten. Ratspräsidentschaft vor, der chinesischen Eine Äquidistanz zwischen den USA Führung einen politischen Erfolg auf dem und China ist für Europa allerdings keine Silbertablett serviert zu haben, weil das realistische Option. Trotz aller Differen- Abkommen noch vor dem Amtsantritt von zen mit den USA bleiben die Fundamente US-Präsident Joe Biden abgeschlossen und der transatlantischen Werte- und Sicher- damit ein Neustart der transatlantischen heitsgemeinschaft bestehen, während der Beziehungen erschwert wurde. Gegensatz zu Chinas autoritärem Regime In der Tat hat das CAI die unterschiedli- fundamental ist. Das haben die jüngsten chen Auffassungen zum Umgang mit Chi- wechselseitigen Sanktionen noch einmal na zwischen den Vereinigten Staaten und unmissverständlich deutlich gemacht. Europa schonungslos offengelegt. Es zeigt, Europa wird mittel- und langfristig dass man in der EU weiterhin glaubt, wirt- nicht neutral bleiben können. Es muss schaftliche und übergeordnete politische vielmehr in Abstimmung mit den USA Interessen strikt voneinander getrennt und anderen gleichgesinnten Partnern vor behandeln zu können. Das aber ist genau allem in Asien eine Balance zwischen Ko- die Annahme, die in den USA nicht mehr operation, Konkurrenz und systemischer akzeptiert wird. Die Diskussion um das Rivalität im Umgang mit China finden CAI verdeutlicht damit auch: Die Suche und die dafür erforderlichen Ressourcen nach einer europäischen China-Politik hat bereitstellen. Die Konnektivitätsstrategie gerade erst begonnen. 12 | IP Special • 3 /2021
Sie können auch lesen