Eine EU CO2-Bepreisung für internationale Importe
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
I Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Eine EU CO2-Bepreisung für internationale Importe Europa- und völkerrechtliche Einordnung eines CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Ad- justment Mechanism CBAM) vor dem Hintergrund der weltweiten Klimaschutzbemühungen # 52 | 23.06.2021 erstellt von Jana Viktoria Nysten LL.M. ISSN 2365-7146
II Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung Zitiervorschlag: Nysten, Eine EU CO2-Bepreisung für internationale Importe, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 52 vom 23.06.2021. Entstanden im Rahmen des Vorhabens: Auswirkungen des EU Green Deal auf das Klimaschutz- und Energierecht in Deutschland Gefördert durch: Stiftung Umweltenergierecht Friedrich-Ebert-Ring 9 97072 Würzburg Vorstand Telefon Thorsten Müller und Fabian Pause, LL.M. Eur. +49 931 794077-0 Stiftungsrat Telefax Prof. Dr. Helmuth Schulze-Fielitz +49 931 7940 77-29 Prof. Dr. Franz Reimer Prof. Dr. Monika Böhm E-Mail nysten@stiftung-umweltenergierecht.de Spendenkonto Sparkasse Mainfranken Würzburg Internet IBAN: DE16 7905 0000 0046 7431 83 www.stiftung-umweltenergierecht.de BIC: BYLADEM1SWU
III Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung _____________________________________________________________ 1 A. Einleitung ___________________________________________________________________ 2 B. Grundidee des Mechanismus und konkrete Ideen zur Ausgestaltung _______ 3 I. Hintergrund und Ziele eines CO2-Grenzausgleichsystems ________________________________ 3 II. Mögliche Ausgestaltungsoptionen eines CO2-Grenzausgleichssystems ________________ 4 C. Rechtliche Einordnung ______________________________________________________ 6 I. EU-Recht ________________________________________________________________________________ 6 1. Kompetenz der EU zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichsystems ______________ 6 a) Mögliche Rechtsgrundlage _________________________________________________________ 6 b) Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ______________________________________________ 8 c) Haushaltsvorschriften bezüglich Verwendung des Aufkommens aus einem CO2- Grenzausgleichssystem _______________________________________________________________ 9 d) Bedeutung des EU-Eigenmittelsystems ____________________________________________ 9 2. Einbettung eines CBAM in das bestehende EU-System des Carbon Leakage- Schutzes _______________________________________________________________________________ 11 a) EU-Emissionshandel und freie Allokation ___________________________________________ 11 b) Warenverkehrsfreiheit und Beihilferecht ___________________________________________ 12 aa) Beihilferecht ___________________________________________________________________ 12 bb)Warenverkehrsrecht ___________________________________________________________ 13 3. Zwischenfazit: Rechtsgrundlage und Kompatibilität nach EU-Recht _______________ 14 II. WTO-Recht ____________________________________________________________________________ 14 1. Folgen einer Unvereinbarkeit mit WTO-Recht ______________________________________ 15 2. Diskriminierungsverbot nach WTO-Recht__________________________________________ 15 3. Meistbegünstigungsgrundsatz und Inländerbehandlung __________________________ 15 4. Grenzausgleichsysteme nach GATT ________________________________________________ 17 5. Rechtfertigungsmöglichkeiten im Fall von Verstößen _____________________________ 18 a) Rechtfertigung nach Umweltschutz _______________________________________________ 18 b) Gleichbehandlung bzw. gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Rahmen eines CBAM _______________________________________________________________________________ 19 6. Zwischenfazit: Kompatibilität mit dem WTO-Recht ________________________________ 21 III. Sonstige Aspekte des internationalen Rechts und der Handelspolitik ________________ 21
IV Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung 1. Pariser Abkommen und Territorialitätsprinzip ______________________________________ 21 2. Handelspolitik über Handelsrecht? – Die Gefahr politischer Vergeltung ___________ 23 3. Zwischenfazit: Aspekte des internationalen Rechts und der Handelspolitik _______ 24 D. Fazit und Ausblick __________________________________________________________ 25
1 Zusammenfassung Im Rahmen ihres für den Juli erwarteten vier von der Europäischen Kommission „Fit for 55“-Pakets wird die Europäische konsultierten Optionen, nämlich eine klas- Kommission u. a. einen Vorschlag für ein sische Grenzausgleichssteuer, eine Einbe- CO 2-Grenzausgleichsystem vorstellen. Vo- ziehung in den Emissionshandel, eine Be- rausgegangen ist dem eine Konsultations- preisung von Importen in Anlehnung an phase, in der die Europäische Kommission den Emissionshandel sowie eine CO 2-orien- vier Optionen zur Diskussion gestellt hatte. tierte Steuer auf Importe und in der EU Mit einem solchen Mechanismus soll für selbst produzierte Waren gleichermaßen. Importe aus dem EU-Ausland eine CO 2–Be- Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich preisung eingeführt werden, wie sie für be- wie folgt zusammenfassen: stimmte Unternehmen innerhalb des Bin- nenmarktes mit dem Emissionshandel schon besteht. Erklärtes Ziel der Maßnahme ist ein Beitrag Kernergebnisse zum globalen Klimaschutz. Im Kern geht es darum, ein sog. Carbon Leakage zu verhin- ▶ Die EU hat die Gesetzgebungskompe- dern, also das Abwandern von Emissionen tenz für ein Grenzausgleichssystem. Sie in Regionen außerhalb der EU, in denen es kann sich auf die Außenhandels- oder keine (vergleichbare) CO 2-Bepreisung gibt. die Umweltkompetenz stützen. Wird Insoweit verfolgt der Grenzausgleich auch eine Ausgestaltung durch eine Einbe- wettbewerbs- und industriepolitische Mo- ziehung in den EU-Emissionshandel tive. Für das Erreichen der EU-Klimaziele oder über eine preisliche Anlehnung bei gleichzeitiger Sicherung des Industrie- gewählt, ist – anders als bei einer standortes wird ein Grenzausgleich als es- Steuer – keine Einstimmigkeit im Ge- sentielles Instrument gesehen, durch das setzgebungsverfahren erforderlich. der europäische Gesetzgeber deutlich ▶ Eine diskriminierungsfreie Ausgestal- macht, dass er bereit ist, seiner bisherigen tung eines Grenzausgleichsystems Politik der CO 2-Bepreisung nach innen nach WTO-Recht ist möglich. Jeden- auch nach außen Biss zu verleihen. falls auf der Rechtfertigungsebene Allerdings ist die Einführung eines solchen kann der Klimaschutz den Vorwurf ei- „Carbon Border Adjustment Mechanism“ ner willkürlichen oder ungerechtfertig- (CBAM) umstritten – und das nicht erst seit- ten Diskriminierung entkräften. dem die Europäische Kommission ihn nach ▶ Die Vereinbarkeit mit WTO-Recht al- der letzten Europawahl in ihrer Kommuni- lein ist noch keine Garantie, dass es kation zum Green Deal als Instrument erst- nicht doch zu handelspolitischen Kon- mals offiziell erwähnte. Als problematisch flikten kommen könnte. Daher emp- wird insbesondere immer wieder das WTO- fiehlt es sich, Ziele und Ausgestaltung Recht – und hier speziell das Verbot von des CBAM vorab auf internationaler diskriminierenden Zöllen und Abgaben an- Ebene transparent zu kommunizieren. geführt. Aber auch die EU-rechtliche Ein- ordnung ist nicht trivial, etwa wenn es um die Frage der richtigen Kompetenzgrund- lage und die entsprechenden Verfahrens- vorschriften geht. In Anbetracht dieser kontroversen Diskus- sion und in Erwartung des konkreten Vor- schlags der Europäischen Kommission be- fasst sich der vorliegende Bericht mit den konkreten rechtlichen Rahmenbedingun- gen für eine solche Maßnahme, wobei un- terschiedliche Gestaltungsoptionen be- rücksichtigt werden. Verglichen werden die
2 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung A. Einleitung Im Dezember 2019 veröffentlichte die Euro- Die Möglichkeit einer CO 2-Bepreisung von päische Kommission (EU-Kommission) ihre Importen wird also allseits und seit mehre- Mitteilung zum „europäischen Green Deal“ ren Jahren kontrovers diskutiert: Kann die für die Europäische Union (EU) 1. Darin EU – und wenn ja wie – einen solchen wurde als eine der möglichen Maßnahmen CBAM einführen, um CO 2-intensive Pro- zur Erreichung der Energie- und Klima- dukte aus dem EU-Ausland einer CO 2-Be- schutzziele der EU ein „CO 2-Grenzaus- preisung auszusetzen? Und, angenommen gleichssystem“ (auf Englisch: Carbon Bor- ein CBAM ist europarechtlich möglich, ist der Adjustment Mechanism, kurz und im dann ein solcher „Ausgleich“ des vermeint- Folgenden auch: CBAM) als Mechanismus lichen Vorteils von bislang nicht mit einem zur Bepreisung des CO 2-Fußabdrucks von CO 2-Preis belegten Importen gegenüber aus dem Ausland in die EU importierten EU-Produkten, die in der EU einer solchen Produkten erwähnt und im Arbeitspro- Bepreisung unterliegen, im internationalen gramm der EU-Kommission für das zweite Wettbewerb zulässig? 8 Quartal 2021 in Aussicht gestellt 2. Dies ist auch die zentrale Frage des vorlie- Inzwischen hat die EU-Kommission auch genden Berichts. Dabei wird zunächst der ein sogenanntes Inception Impact Assess- Hintergrund und die Ziele eines CBAM er- ment 3 erstellt und eine Konsultation durch- läutert sowie die Ausgestaltungsoptionen geführt, deren Ergebnisse nunmehr ausge- nach den Vorstellungen der EU-Kommis- wertet vorliegen 4. Auch das Europäische sion skizziert (unter B.). Dann wird unter- Parlament (EU-Parlament) hat sich in eige- sucht welche möglichen Rechtsgrundlagen ner Initiative zu der Möglichkeit eines sol- die EU für die Einführung eines CBAM nut- chen CBAM Gedanken gemacht, wobei der zen könnte, auch vor dem Hintergrund des Fokus des Berichts, der primär im Umwelt- EU-Eigenmittelsystems, und welche weite- ausschuss erarbeitet wurde 5, auf der Kom- ren primär- und sekundärrechtlichen Rege- patibilität eines solchen Mechanismus mit lungen ggf. bei der Ausgestaltung beachtet dem Welthandelsrecht (WTO-Recht) liegt. werden müssen (unter C. I.). Im Anschluss Diese Frage Dabei hatte der Umweltaus- wird der WTO-rechtliche Rahmen betrach- schuss des EU-Parlaments schon 2016 eine tet und die Konsequenzen für einen mögli- Initiative gestartet, die für eine ähnliche chen EU CBAM aufgezeigt (unter C. II.), ge- Maßnahme (Ausweitung des EU-Emissions- folgt von weiteren völkerrechtlichen sowie handels) warb 6. Jüngst äußerte sich der (handels-)politischen Aspekten (unter Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirt- C. III.). Es wird mit einem Fazit zur Rechts- schaftsministeriums diesbezüglich kritisch konformität und politischer Machbarkeit und schlug vor, dass man (stattdessen) bes- geschlossen (unter D). ser eine Art internationalen „Klimaclub“ gründen solle, im Rahmen dessen interna- tionale Lösungen zur CO 2-Bepreisung ge- troffen werden könnten 7. 1 6 EU-Kommission, Mitteilung, Der europäische Grüne EU-Parlament, ENVI Ausschuss, Entwurf Bericht Deal, COM/2019/640 final v. 11.12.2019. Compromise Amendments 1-17, 2015/0148(COD), v. 2 EU-Kommission, Arbeitsprogramm für 2021, 14.12.2016. 7 COM(2020) 690 final, v. 19.10.2020. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministe- 3 EU-Kommission, Inception Impact Assessment. Ref. rium für Wirtschaft und Energie), Ein CO2-Grenzaus- Ares(2020)1350037 v. 04.03.2020. gleich als Baustein eines Klimaclubs, v. 22.02.2021. 8 4 EU-Kommission, Summary Report Public consulta- Teils werden auch Varianten diskutiert, bei denen (Ex- tion on the Carbon Border Adjustment Mechanism port-)Subventionen genutzt werden, um vermeintliche (CBAM), Ref. Ares(2021)70541 v. 05.01.2021. wettbewerbliche Nachteile auf dem Weltmarkt auszu- 5 räumen. Dies wird von der EU-Kommission jedoch der- EU-Parlament, A WTO-compatible EU carbon border zeit nicht erwogen und hier dann auch nicht diskutiert. adjustment mechanism, P9_TA-PROV(2021)0071, v. Vgl. dazu: Fahl et. al., Kurzdossier Wettbewerbsfähig- 10.03.2021. keit und Carbon Leakage, entstanden im Rahmen des ARIAD-NE Projekts (im Erscheinen).
3 B. Grundidee des Mechanismus und konkrete Ideen zur Ausgestaltung I. Hintergrund und Ziele eines CO2- Erzeugnisse verteuern, dazu führen kön- nen, dass Unternehmen – anstatt ihre Pro- Grenzausgleichsystems zesse anzupassen und/oder den Preis für die Emissionen zu entrichten – ins (EU- Innerhalb der EU bestehen verschiedene )Ausland abwandern, wo keine solchen Be- Mechanismen zur „Bepreisung“ von CO 2. So preisungsinstrumente bestehen. Diese Ab- wird über das EU-Emissionshandelssystem wanderung hat zum einen signifikante (EU-Emissionshandel) von Unternehmen wirtschaftliche Nachteile für die betroffe- verlangt, für jede Tonne CO 2, die sie emit- nen (EU-)Länder 15. Zum anderen wird damit tieren, Zertifikate zu kaufen und damit ei- keine Treibhausgasminderung erreicht, nen bestimmten Preis für die Emissionen sondern lediglich eine geographische Ver- zu entrichten 9. Darüber hinaus 10 besteht schiebung der Emissionen. Dem Klima auch für die nicht vom EU-EHS umfassten wäre insoweit nicht geholfen 16. Sektoren mit der Lastenteilungsverord- nung 11 ein EU-rechtlicher Rahmen, inner- halb dessen die EU-Mitgliedstaaten Rege- lungen zu treffen haben, die eine CO 2-arme Der Begriff des Carbon Leakage auf ei- Produktion anreizen sollen, etwa indem nen Blick CO 2-intensive Prozesse durch unterschiedli- che Mechanismen „verteuert“ werden 12. Umweltaspekt: Emissionen verschieben sich („leaken“) – von Ländern mit CO 2-Be- Dabei ist das Problem des sogenannten preisung zu Ländern ohne/mit geringerer „Carbon Leakage“ bekannt 13, auch wenn der CO2-Bepreisung = Keine Minderung/ggf. Begriff in unterschiedlichen Zusammen- sogar Erhöhung der globalen CO 2-Emissi- hängen und mit unterschiedlicher Schwer- onen. punktsetzung verwendet wird (vgl. Darstel- lung sogleich 14). Wettbewerbsaspekt: Industrie wandert ab („leak“) – in Länder mit (aufgrund Im Wesentlichen geht es darum, dass Maß- nicht vorhandener/geringerer CO 2- nahmen, die die Produktion CO 2-intensiver 9 Allgemein zum Emissionshandel (EHS) etwa: Nysten, zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Über- Zur Zulässigkeit der Ausweitung des EU-Emissionshan- einkommen von Paris sowie zur Änderung der Verord- dels nach Art. 24 EHS-RL auf die Bereiche Verkehr und nung (EU) Nr. 525/2013; ABl. L 156, S. 26-42 v. 19.6.2018. Wärme in Deutschland, Würzburger Berichte zum 12 Vgl. etwa das deutsche Brennstoffemissionshandels- Umweltenergierecht Nr. 43 vom 12.07.2019, S. 3. gesetz. Dazu umfassend etwa: Kahl/Simmel, Europa- 10 Auch im Rahmen der Energiebesteuerung sollen im und verfassungsrechtliche Spielräume einer CO2-Be- Grundsatz CO2-Emissionen eingepreist und entspre- preisung in Deutschland, Würzburger Studien zum chend CO2-intensive Produkte teurer und damit unat- Umweltenergierecht Nr. 6, Oktober 2017. traktiver gemacht werden. Allerdings stockt zumindest 13 Umfassend: German Council of Economic Experts, auf EU-Ebene die Reform der EU-Energiesteuerrichtli- Carbon Adjustment Mechanisms: Empirics, Design and nie und die entsprechende Einpreisung von CO2 schon Caveats, Working Paper 11/2020, S. 15 ff. Auch: Wissen- seit Jahren. Die EU-Kommission hat für Juni 2021 auch schaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirt- hier – ggf. im Zusammenhang mit dem EHS – eine Re- schaft und Energie (BMWi), Ein CO2-Grenzausgleich als form angekündigt. Vgl. dazu: EU-Kommission, Incep- Baustein eines Klimaclubs, v. 22.02.2021, S. 7 f. tion Impact Assessment Energy Taxation, Ref. Ares 14 (2020)1350088 v. 04.03.2020. Vgl. umfassend: Fahl et al., Kurzdossier Wettbewerbs- 11 fähigkeit und Carbon Leakage, entstanden im Rahmen In der Lastenteilungsverordnung werden den Mit- des ARIADNE Projekts (im Erscheinen). gliedstaaten Ziele zur Treibhausgasminderung außer- 15 halb des EHS vorgegeben, wobei die konkrete Umset- Vgl. dazu: EU-Kommission Inception Impact Assess- zung einen Ermessensspielraum erlaubt. Vgl. Verord- ment, S. 1. 16 nung (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und Vgl. dazu auch: Berrisch, Klimaschutz als Stresstest des Europäischen Rates vom 30. Mai 2018 zur Festle- für die WTO, EuZW 202, S. 249. Umfassend etwa auch: gung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Redu- Bueb et al, Border Adjustment Mechanisms, in: Arent, zierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 The Political Economy of Clean Energy Transitions, Ox- bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen ford University Press, 2017, S. 63.
4 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung Bepreisung) günstigerer Produktionskos- gewährleisten 18. Der Vorschlag für einen ten = (finanzielle) Konsequenzen für Wirt- CBAM ist entsprechend auch als Beitrag zu schaft in Ländern mit CO 2-Bepreisung. diesen Bemühungen zu verstehen: Damit könnte ein Instrument geschaffen werden, Direktes Carbon Leakage = unmittelbar dass es erlaubt, die Kosten der CO 2-Emissio- durch Bepreisung (betroffene Produkte) nen doch noch – zumindest für Produkte • Operational Leakage = Industrien die innerhalb der EU gehandelt und ver- verlagern (kurzfristig) die CO 2 in- braucht werden sollen – zu internalisieren tensiven Produktionen an bereits und entsprechend Unternehmen weltweit bestehenden Standorten im Aus- zu veranlassen, ihre Produktion CO 2-ärmer land zu gestalten 19. • Investment Leakage = Unterneh- men erweitern (längerfristig) Pro- duktionskapazitäten für CO 2 inten- II. Mögliche Ausgestaltungsoptionen sive Produkte im Ausland eines CO2-Grenzausgleichssystems20 Indirektes Carbon Leakage = Preiserhö- hung für CO 2-intensive Produkte führt zu Im Rahmen der im Juli 2020 gestarteten Kon- Rückgang der Nachfrage innerhalb des sultation zum CBAM stellte die EU-Kommis- regulierten Bereichs und damit zu Rück- sion vier unterschiedliche Ausgestaltungsmo- gang des Weltmarktpreises, was jene delle für einen solchen Mechanismus zur Dis- Produkte außerhalb des regulierten Be- kussion21: reichs günstig und attraktiver macht. Grünes Carbon Leakage = Abwanderung ▶ Als Option 1 wurde eine Steuer auf Im- der Industrie zu Standorten mit besseren porte genannt, die an der EU-Außen- Bedingungen zur Förderung/Ausbau von grenze auf eine Auswahl von Produkten Erneuerbaren Energien/Wasserstoff erhoben werden sollte, deren Produktion in Sektoren fällt, die einem hohen Carbon Leakage-Risiko ausgesetzt sind, etwa in Gestalt einer Grenzsteuer oder einer Art Zwar gibt es in der internationalen Staaten- Importzoll auf CO 2-intensive Produkte. gemeinschaft Bemühungen um eine welt- ▶ Option 2 wäre eine Ausweitung des EU- weite Emissionsminderung 17. Allerdings ist Emissionshandel auf Importe, wobei man man in der Praxis weit davon entfernt, dass ausländische Erzeuger oder Importeure in allen Ländern entsprechende Maßnah- verpflichten würde, Emissionszertifikate men bestehen, die ein Carbon Leakage ver- für die im Rahmen der Erzeugung der meiden können bzw. eine Internalisierung entsprechenden Produkte entstandenen der mit den negativen Folgen von Treib- Treibhausgasemissionen zu erwerben. hausgasemissionen verbundenen Kosten 17 Vgl. Pariser Übereinkommen v. 12.12.2015, Dec. 1/CP.21, werden also nicht separat betrachtet. Auch hier wäre Annex, UN Doc. FCCC/CP/2015/10/Add.1. Nach den eine EU- aber insbesondere auch WTO-rechtliche jüngsten Berichten der Vereinten Nationen sind die Kompatibilität zu gewährleisten, was im Falle des globalen Emissionen allerdings noch nicht auf Ihrem Klimaclubs nicht zuletzt aufgrund des Erfordernisses Höhepunkt und würde eine 25% Reduktion der Treib- des Art. 24 GATT, nach dem „Außenstehende“ durch ei- hausgasemissionen gerade ausreichen um unter der nen solchen Club nicht benachteiligt werden dürfen, 2°C Grenze zu bleiben. Allerdings scheinen die derzeiti- zu prüfen wäre. gen Anstrengungen eher auf einen Anstieg von 3°C – 21 Ein Grenzausgleichsmechanismus, der nur Exporte weit gefehlt von den eigentlichen Zielen – hinauszulau- aus der EU zum Gegenstand hätte – etwa indem EU- fen. Vgl. United Nations, Environment Programme, Produkte für den internationalen Wettbewerb in ir- Emissions Gap Report 2019, (UNEP 2019), S. 3-10. gendeiner Weise bezuschusst würden, ist dahingegen 18 So auch: Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesmi- IV.6. nicht Gegenstand der vorliegenden Betrachtung, nisterium für Wirtschaft und Energie, Ein CO2-Grenz- selbst wenn auch ein solches System in der Literatur ausgleich als Baustein eines Klimaclubs, v. 22.02.2021, S. teils diskutiert wurde. Hier bestehen nicht nur große 5. rechtliche Bedenken, sondern die Wirksamkeit eines 19 Vgl. EU-Kommission, Inception Impact Assessment. solchen Mechanismus, zumindest was den Klima- Ref. Ares(2020)1350037 v.vom 04.03.2020., S. 1. schutz betrifft, ist sehr fraglich. Dazu umfassend: Evans 20 et al. Border Carbon Adjustments and Industrial Com- Vorliegende Ausarbeitung fokussiert sich auf die von petitiveness in a European Green Deal, CWPE 2036, der EU-Kommission angedachten Ausgestaltungsopti- 2020. onen. Andere Möglichkeiten, wie etwa der „Klimaclub“
5 ▶ Bei Option 3 würde ein spezieller Pool Emissionshandel im Rahmen des „Fit for mit gesonderten Emissionszertifikaten 55“-Pakets 26 – vorgesehen. Eine Prüfung außerhalb des EU-Emissionshandel kre- kann daher noch nicht im Detail erfolgen. iert, deren Preis jedoch den des EU-Sys- Da aber die wesentlichen Grundzüge be- tems reflektieren sollte, aus dem Import- kannt sind (ggf. für unterschiedliche Optio- eure Zertifikate erwerben müssten. nen), können auch die wesentlichen rechtli- chen Gesichtspunkte entsprechend be- ▶ Option 4 würde schließlich in einer gene- leuchtet werden. rellen „Carbon Tax“ (d. h. Kohlenstoff- Steuer) bestehen, etwa als Verbrauchs- oder Mehrwertsteuer, die auf der Ver- braucherebene auf alle Produkte erho- ben würde, d. h. sowohl auf Produkte aus dem EU-Ausland als auch aus dem In- land. Im Rahmen der Konsultation wurde mehr- heitlich die erste Option als erfolgsverspre- chend bewertet, wobei alle vier Optionen als zielführend eingeschätzt wurden22. Im EU- Parlament wurde hingegen Option 3 in Form eines „fiktiven“ EU-Emissionshandel für Im- porte favorisiert23. Die EU-Kommission hatte in ihrem Inception Impact Assessment bereits angekündigt, alle Optionen auf ihre rechtliche und technische Machbarkeit hin untersuchen zu wollen, und zwar hinsichtlich sowohl des EU- als auch des WTO-Rechts24. Dies sollte u. a. auch eine Un- tersuchung und ggf. Abstimmung mit den schon bestehenden Instrumenten innerhalb der EU beinhalten, insbesondere auch der Re- geln bezüglich des CO2-Gehalts und der ent- sprechenden Preise, die sich aus dem EU- Emissionshandel ergeben. Auch sollte die mögliche sektorale Reichweite eines CBAM noch weiter untersucht werden25. Aus juristischer Sicht sind vor allem die ers- ten beiden Aspekte (d. h. EU- und WTO- Recht) relevant und sollen entsprechend im weiteren Verlauf diskutiert werden. Zwar liegen bis dato noch keine konkreten Vorschläge der EU-Kommission für einen CBAM vor. Diese sind erst für Juli 2021 – dann im Zusammenhang mit den Vorschlä- gen für die Reform des EU- 22 24 EU-Kommission, Summary Report Public consulta- EU-Kommission, Inception Impact Assessment. Ref. tion on the Carbon Border Adjustment Mechanism Ares(2020)1350037 v. 04.03.2020. S. 2. (CBAM), Ref. Ares(2021)70541 v. 05.01.2021. 25 EU-Kommission, Inception Impact Assessment. Ref. 23 EU Parlament, A WTO-compatible EU carbon border Ares(2020)1350037 v. 04.03.2020. S. 2. adjustment mechanism, P9_TA-PROV(2021)0071, v. 26 Vgl. Pause et al., Updates zum Green Deal 10.03.2021. Das Parlament hatte in seinem ursprüngli- sowie delegierte Rechtsakte der EU-Kommission am chen Entwurf Bericht von 2016 bereits auf die Einfüh- Beispiel der EU-Klimataxonomie, Vortrag Green Deal rung eines CBAM durch eine Ausweitung des EHS auf Erklärt v. 28.05.2021. Importe aus dem EU-Ausland plädiert.
6 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung C. Rechtliche Einordnung I. EU-Recht steuerlicher Art“ sind, nach Art. 192 Abs. 2 Buchst. a) AEUV das besondere Gesetzge- bungsverfahren, in dem der Rat nach Anhö- rung des EU-Parlaments einstimmig ent- 1. Kompetenz der EU zur Einführung scheiden muss. eines CO2-Grenzausgleichsystems Nach dem Prinzip der begrenzten Einzeler- Die gemeinsame Handelspolitik, die von der mächtigung aus Artikel 5 des Vertrags über EU nach Art. 207 AEUV durch Verordnungen die Europäische Union (EUV) kann die EU nach dem ordentlichen Gesetzgebungsver- nur dann handeln, wenn sie Kraft der Ver- fahren geregelt wird, beinhaltet u. a. die Än- träge durch die Mitgliedstaaten dazu er- derung von Zollsätzen28. Allerdings haben mächtigt worden ist. Entsprechend bedarf Maßnahmen der gemeinsamen Handelspoli- es auch für die Einführung eines „EU tik nach Art. 207 Abs. 6 AEUV keine Auswir- CBAM“ einer Rechtsgrundlage. Ferner gel- kungen auf die Abgrenzung der Zuständig- ten die Prinzipien der Subsidiarität und keiten zwischen der Union und den Mitglied- Verhältnismäßigkeit, nach denen die EU – staaten und führen auch nicht zu einer Har- selbst wenn eine Rechtsgrundlage besteht monisierung von Rechtsvorschriften in den – ihr Tätigwerden rechtfertigen muss. Mitgliedstaaten, sofern eine solche Harmoni- sierung in den Verträgen ausgeschlossen ist. Damit soll vermieden werden, dass die EU a) Mögliche Rechtsgrundlage über außenpolitisches Handeln – und damit über eine der ausschließlichen Kompetenzen Als Rechtsgrundlage kommen insbesondere der EU29 - ihre Kompetenz in Bereichen über- zwei Bestimmungen in Frage: Die Umwelt- schreitet, die im Rahmen der EU-internen Be- kompetenz nach Artikel 192 des Vertrags über fugnisse mit den Mitgliedstaaten geteilt wer- die Arbeitsweise der Union (AEUV) und die den und in denen die EU entsprechend nicht Außenhandelskompetenz nach Artikel 207 ohne Weiteres über eine Harmonisierungs- AEUV. kompetenz verfügt30, wie beispielsweise im Umweltschutz. Für die Einführung eines Nach Art. 192 AEUV kann die EU im Rahmen CBAM bedeutet dies praktisch, dass entspre- des ordentlichen Gesetzgebungsverfahren chende Rechtsgrundlagen für Regelungen umweltpolitische Maßnahmen beschließen, innerhalb der EU bestehen müssen, auf Basis d.h. allgemein Maßnahmen zur „Erhaltung derer eine Harmonisierung mitgliedstaatli- und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung cher Regelungen möglich bzw. zumindest ihrer Qualität“, aber insbesondere auch die nicht ausgeschlossen ist31. „Förderung von Maßnahmen auf internatio- naler Ebene zur Bewältigung regionaler oder Aus der vorangegangenen Skizzierung der globaler Umweltprobleme und insbesondere beiden Bestimmungen wird deutlich, dass zur Bekämpfung des Klimawandels“27. Aller- die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage stark dings gilt für Maßnahmen, die „überwiegend von der Ausgestaltung des CBAM abhängt32. 27 Art. 191 Abs. 1 AEUV. nicht ausgeübt hat. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre 28 Art. 207 Abs. 2 AEUV. Zuständigkeit erneut wahr, sofern und soweit die 29 Union entschieden hat, ihre Zuständigkeit nicht mehr Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. e) EUV. auszuüben.“ Entsprechend ist – sofern eine Harmoni- 30 Zwar ist in der Literatur umstritten, was genau die sierung nicht explizit ausgeschlossen ist – eine solche Beschränkung des Art. 207 Abs. 6 AEUV in der Praxis durch die EU möglich; erfolgt diese nicht, so verbleibt bedeutet. Dazu ausführlich: Weiß, in: Grabitz/Hilfs/Net- legislativer Umsetzungsspielraum für die Mitgliedstaa- tesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werk- ten. Dazu umfassend: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Net- stand: 71. EL August 2020, Art. 207 AEUV, Rn. 76-85. tesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werk- 31 Bei geteilter Regelungskompetenz kann die EU nach stand: 71. EL August 2020, Art. 2 AEUV, Rn. 22-31. den Grundsätzen des Art. 2 Abs. 2 AEUV „gesetzgebe- 32 Nach der Rechtsprechung des EuGHs ist eine dop- risch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlas- pelte Rechtsgrundlage nur in Ausnahmefällen zulässig, sen. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wenn diese tatsächlich beide Ziele gleichwertig verfol- wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit gen, und nur insofern die Rechte des EU-Parlaments
7 Zwar ist generell das Ziel der Maßnahme für will – im Zweifelsfall wäre ggf. jedoch auch die Wahl der Rechtsgrundlage entscheidend. eine doppelte Rechtsgrundlage denkbar34. Allerdings ergibt sich aus dem Anwendungs- bereich der Optionen bereits, dass für Op- Die Kompetenzschranke des Art. 207 Abs. 6 tion 4 (allgemeine CO2-Steuer) die Außenhan- AEUV ist für die Einführung eines CBAM nach delskompetenz nach Art. 207 AEUV nicht diesen Optionen wenig problematisch: Zwar greifen kann; hier handelt es sich nicht pri- sind inländische Produkte bei allen drei Opti- mär um eine außenhandelspolitische Maß- onen nicht betroffen, jedoch hätte die EU in nahme, die zunächst nur Importe betrifft, den Bereichen Energie/Umwelt/Steuern ent- sondern prinzipiell um eine neue Regelung sprechende Kompetenzen, um eine solche bzw. Besteuerung, die auch für auch EU-Pro- einzuführen (Option 1), bzw. wurde der EU- dukte gelten würde. Emissionshandel bereits auf Basis entspre- chender Kompetenzen geschaffen (Optionen Was die Optionen 1 (Importsteuer), 2 (Auswei- 2-3). Ausgeschlossen ist damit eine Harmoni- tung des EU-Emissionshandel auf Importe) sierung in diesem Bereich nicht35, selbst und Option 3 (eigener Emissionshandel für wenn im Bereich der Steuern ggf. besondere Importe) betrifft, scheint Art. 207 AEUV hinge- Mehrheitsvoraussetzungen gelten. Somit soll- gen als Rechtsgrundlage möglich. Zwar ist ten diese Optionen, vorausgesetzt sie werden eine Materie betroffen (der Klimaschutz), die dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßig- auch innerhalb der Union geregelt ist (u. a. keitsgrundsatz gerecht, prinzipiell und auch durch das EU-Emissionshandel), allerdings über das ordentliche Gesetzgebungsverfah- würden die drei Optionen alle „an der Grenze“ ren mit Mehrheitsentscheidungen auf Basis ansetzen und damit primär auf die gemein- dieser Rechtsgrundlage umgesetzt werden same Handelspolitik der Union abzielen. Dies können. schließt im Übrigen nicht den Klimaschutz- charakter der Maßnahme aus: Immerhin ist Allerdings plant die Kommission wohl, den die gemeinsame Handelspolitik nach den CBAM auf Art. 192 AEUV und damit auf die Zielen der Union – wozu ausdrücklich der Umweltkompetenz zu stützen und somit den Umweltschutz zählt – auszurichten. Aller- internationalen Klimaschutz als Hauptziel zu dings ist nach der Rechtsprechung des Euro- wählen36, was in der internationalen politi- päischen Gerichtshofs (EuGH) stets zu prüfen, schen Kommunikation einen Vorteil bieten welcher Aspekt der Maßnahme überwiegt könnte37. Damit würde sich je nach Ausge- (Schwerpunkttheorie33), d. h. ob es sich primär staltung jedoch die Frage stellen, ob es sich um eine Außenhandelsmaßnahme handelt, nach Art. 192 Abs. 2 Buchst. a) AEUV um eine etwa mit dem Hauptziel, die EU-Industrie im Vorschrift „überwiegend steuerliche[r] Art“ internationalen Wettbewerb nicht zu be- handelt. In diesem Falle wäre Einstimmigkeit nachteiligen, oder ob die EU damit einen Bei- im Rat erforderlich38. Andernfalls kann im trag zum internationalen Klimaschutz leisten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geschützt scheint – nach dem Vorbild des EHS – eine Maßnahme bleiben Vgl. EuGH, Rs. C-281/01, Energy-Star-Abkom- zur CO2 Bepreisung wohl eher unter „Umweltschutz“ men, Wahl der Rechtsgrundlage, Urt. v. 12.12.2002, als in den Energiebereich fallen, womit Art. 194 AEUV Rn. 33-35 mit Nennung weiterer Rechtsprechung. für die vorliegende Betrachtung außen vorgelassen 33 Vgl. Kahl, Alte und neue Kompetenzprobleme im EG- wird. 36 Umweltrecht – Die geplante Richtlinie zur Förderung In den vergangenen Wochen hatte die EU-Kommis- Erneuerbarer Energien, NVwZ 2009, 266. sion immer wieder betont, dass der CBAM keine han- 34 Vgl. Pauwelyn/Kleimann, Trade Related Aspects of a delspolitische, sondern eine Umweltschutzmaßnahme Carbon Border Adjustment Mechanism: Legal Asssess- sein wird. 37 ment, Studie für das EU-Parlament, INTA Ausschuss, Immerhin wird auch jenseits von WTO-rechtlichen 2020, S. 16 f. Bedenken das politische Signal einer CBAM-Maß- 35 Zumindest im Umweltbereich ist das Caveat, dass nahme, welches als Protektionismus aufgefasst wer- Maßnahmen die die Souveränität der Mitgliedstaaten den könnte, als problematisch für die internationalen im Energiebereich nicht einschränken dürfen nach Art. Handelsbeziehungen der EU eingeschätzt. Vgl. Etwa 192 Abs. 2 Buchst. c AEUV kein absolutes, sondern Zachmann/McWilliiams, A European carbon border durch Einstimmigkeit zu lösen. Zur – möglichen – Be- tax: much pain, little gain, Bruegel, Policy Contribution deutung des Art. 194 Abs. 2 S. 2 AEUV vgl. Johnson/van v. 05.03.2020, S. 10 f. 38 der Marel, Ad Lucem? Interpreting the New EU Energy Vgl. Carbon Pulse Mitteilung, Brussels leaning to- Provision, and in particular the Meaning of Article wards ‘notional’ ETS for carbon border measure, says 194(2) TFEU, European Energy and Environmental Law EU trade Chief, carbon-pulse.com/121863. Dort ist von Review, Volume 22, Issue 5 (2013) pp. 181-199. Allerdings Einstimmigkeit die Rede, was aber nach hiesiger
8 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit einer reinen außenhandelsbasierten Be- Mehrheit entschieden werden39. Für Option 1 gründung – aber vermutlich abzuschwä- als Importsteuer scheint der Tatbestand der chen 44. Steuer klar und somit das besondere Gesetz- gebungsverfahren mit Einstimmigkeit festzu- b) Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit stehen. Auch Option 4 ist als (Verbrauchs- Nach Art. 5 Abs. 3 EUV ist unter dem Prinzip )Steuer deklariert und die entsprechende Ein- der Subsidiarität zu verstehen, dass die ordnung unproblematisch, was ebenso zu ei- Union in allen Bereichen, in denen sie sich nem Einstimmigkeitserfordernis führen mit den Mitgliedstaaten Gesetzgebungs- würde40. Allerdings scheint die EU-Kommis- kompetenzen teilt, nur tätig werden darf, sion zu erwägen, die sog. Passerelle-Klausel „sofern und soweit die Ziele der in Betracht heranzuziehen. Danach entscheidet der Rat gezogenen Maßnahmen von den Mitglied- einmalig einstimmig darüber, dass auch ein staaten weder auf zentraler noch auf regi- Mehrheitsentscheid im Gesetzgebungsver- onaler oder lokaler Ebene ausreichend ver- fahren ausreichend ist41. wirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkun- Was die Einordnung der beiden „Emissions- gen auf Unionsebene besser zu verwirkli- handels-Optionen“ 2 und 3 betrifft, vertritt der chen sind“. Während es sich bei der ge- EuGH bislang die Auffassung, dass es sich meinsamen Handelspolitik nach Art. 207 beim EU-Emissionshandel nicht um eine AEUV um eine ausschließliche Kompetenz Steuer handelt42, so dass das ordentliche Ge- (vgl. Art. 3 AEUV) handelt, und dieses Prin- setzgebungsverfahren nach Art. 192 Abs. 1 zip somit nicht zur Anwendung kommt, ist AEUV einschlägig wäre43 – wie im Übrigen es für Handlungen auf Basis des Art. 192 auch für die anstehenden Reformen des EU- AEUV relevant. Emissionshandel. Will die EU also einen CBAM auf Basis die- Somit sind alle Ausgestaltungsmöglichkei- ser Rechtsgrundlage erlassen, so muss ten (auch) über die Umweltschutzkompe- nachvollziehbar sein, dass Maßnahmen der tenz nach Art. 192 AEUV möglich. Zwar ist Mitgliedstaaten nicht ausreichend wären. zu bezweifeln, dass allein der Umstand, Die EU-Kommission schreibt dazu in ihrem dass die EU sich bei der Ausgestaltung des Inception Impact Assessment noch nichts CBAM (ungeachtet des konkreten Designs) Konkretes 45. Betrachtet man allerdings die auf den Umweltschutz stützt, die WTO- Ausgestaltungsoptionen bzw. das Instru- rechtlichen Bedenken komplett ausräu- ment des CBAM als solches, wird bereits men. Eine Kommunikation, die gezielt auf deutlich, dass eine solche Maßnahme die Umsetzung des Pariser Klimaschutzab- durch die Mitgliedstaaten wohl – wenn kommen und den Beitrag der EU zur Be- überhaupt – nur schwerlich möglich wäre. grenzung der Erderwärmung abstellt, ver- Diese Annahme wird auch durch die Aus- mag die Opposition internationaler Han- führungen der EU-Kommission zur EU- delspartner zumindest – im Vergleich zu Emissionshandel Reform unterstützt: Hier 41 Ansicht zumindest für Option 3, d. h. den fiktiven EHS, Art. 192 Abs. 2 S. 2 AEUV. Dazu: Pauwelyn/Kleimann, nicht notwendig wäre. Die Möglichkeit anerkennend Trade Related Aspects of a Carbon Border Adjustment auch das EU-Parlament, vgl. EU-Parlament, A WTO- Mechanism: Legal Asssessment, Studie für das EU-Parla- compatible EU carbon border adjustment mechanism, ment, INTA Ausschuss, 2020, S. 13. P9_TA-PROV(2021)0071, v. 10.03.2021, welches allerdings 42 Vgl. Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott, einen national EHS nach Option 3 – nicht zuletzt aus wie auch im Endeffekt das Urteil des EuGHs in der Rs. diesen Gründen – gegenüber einer Steuer bevorzugt. C-366/10, IATA, Urt. v. 21.12.2011. 39 So auch: DIW, Border Carbon Adjustments and Alter- 43 Vgl. EU-Kommisssion, Inception Impact Assessment, native Measures for the EU ETS, Disussion Paper 1855, Amendment of the EU Emission Trading System, Ref. 2020, S. 6. Offenbar annehmend, dass das EHS zwar Ares(2020)6081850 - 29/10/2020. Auch: Pauwelyn/Klei- eine „überwiegend steuerliche Maßnahme“ darstellt, mann, Trade Related Aspects of a Carbon Border Ad- aber vom EuGH keine Beanstandung erwartend, sollte justment Mechanism: Legal Asssessment, Studie für man im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorge- das EU-Parlament, INTA Ausschuss, 2020, S. 11. hen: Merkle, Rechtliche Fragen einer Carbon Border 44 Tax, ZUR 12/2020, 658, S. 663. Vgl. im Folgenden ausführlicher IV. 4. bzw. IV. 7. 45 40 Auch: Pauwelyn/Kleimann, Trade Related Aspects of EU-Kommission, Inception Impact Assessment, a Carbon Border Adjustment Mechanism: Legal Assses- Amendment of the EU Emission Trading System, Ref. sment, Studie für das EU-Parlament, INTA Ausschuss, Ares(2020)6081850 v. 29.10.2020, S. 1. 2020, S. 13.
9 wird explizit auf den grenzüberschreiten- Pandemie entstehen, sowie generell Maß- den Charakter des Problems „Klimaschutz“ nahmen zu finanzieren, die den Zielen der abgestellt und darauf verwiesen, dass An- Union dienen. Die Schätzungen bezüglich strengungen auf allen Ebenen notwendig der möglichen Einnahmen sind dabei vor- sind, wobei insbesondere durch die EU auf sichtig gewählt und man geht davon aus, internationaler und EU-Ebene entspre- dass der EU-Haushalt mit Schwankungen chende Anstrengungen und Maßnahmen bei den Einnahmen aus dieser neuen notwendig seien 46. Quelle auch umgehen könnte. Eine Abhän- gigkeit von diesen neuen Mitteln soll also Vielmehr stellt sich bei der Einführung ei- vermieden werden 49. Zwar zählt zu den Zie- nes CBAM die Frage der Verhältnismäßig- len der Union, deren Erreichen aus dem keit, nämlich ob das Handeln der EU hier Haushalt finanziert werden soll, auch der nicht über das hinaus geht, was zur Errei- Klimaschutz. Eine besondere Mittelbindung chung ihrer im Vertrag niedergelegten ist jedoch derzeit nicht vorgesehen, was zu- Ziele notwendig ist. Hier geht es also um mindest teils kritisiert wird 50. Angesichts die Wirkweise und Zweckmäßigkeit des des noch unsicheren Aufkommens aus CBAM als solchen. Dies wird in der Literatur dem CBAM scheint es jedoch derzeit zu vielfältig diskutiert 47 – und auch die EU- früh, über eine mögliche Mittelbindung Kommission stellt eigene Untersuchungen nachzudenken. dazu an. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine juristische Fragestellung, so Ohne eine solche spezielle Mittelbindung, dass die definitive Antwort darauf dem Be- die zunächst über den Mehrjährigen Fi- trachtungsrahmen des vorliegenden Be- nanzrahmen und dann den Haushalt zu er- richts entzogen ist. Vielmehr wird für die folgen hätte, unterstehen die Einnahmen folgenden Ausführungen angenommen, aus dem CBAM den allgemeinen Regeln für dass ein CBAM zur Erreichung der Ziele der die Mittelverwendung der EU. Hier ist ins- EU – als Maßnahme zur Minderung des Car- besondere auf die Haushaltsdisziplin hinzu- bon Leakage Problems sowohl in klima- weisen 51, nach der die EU ihre Ausnahmen schutz- als auch industriepolitischer Hin- umsichtig prüfen und rechtfertigen muss, sicht – beitragen und somit dem Verhält- um eine effiziente Nutzung der Gelder zu nismäßigkeitsprinzip entsprechen kann. gewährleisten 52. c) Haushaltsvorschriften bezüglich Ver- d) Bedeutung des EU-Eigenmittelsystems wendung des Aufkommens aus einem Ungeachtet der Wahl der Rechtsgrundlage CO2-Grenzausgleichssystem stellt sich auch die Frage, ob die EU sich Die Einnahmen aus einem CBAM sollen als durch einen CBAM neue Finanzmittel be- neue Eigenmittel in den EU-Haushalt flie- schaffen darf. Auch wenn dies nicht das pri- ßen 48. Geplant ist, damit unter anderem die märe Ziel der Maßnahme zu sein scheint, Kosten zu decken, die der Union durch die gehen sowohl die EU-Kommission als auch zwischenzeitliche Aufnahme neuer Gelder im Zusammenhang mit der COVID-19- 46 Vgl. EU-Kommission, Inception Impact Assessment, management, as well as on new own resources, includ- Amendment of the EU Emission Trading System, Ref. ing a roadmap towards the introduction of new own Ares(2020)6081850 v 29.10.2020, S. 3. resources, ABl. L 433 I v. 22.12.2020. 47 49 Kritisch bspw. Wissenschaftlicher Beirat beim Bun- Vgl. dazu : EU-Parlament, A WTO-compatible EU car- desministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Ein bon border adjustment mechanism, P9_TA- CO2-Grenzausgleich als Baustein eines Klimaclubs, PROV(2021)0071 vom 10.03.2021, Rn. 35. 22.02.2021, S. 12 ff. 50 So wird insbesondere von der Industrie vertreten, 48 Vgl. Interinstitutional Agreement between the Euro- dass Gelder aus dem CBAM dazu genutzt werden soll- pean Parliament, the Council of the European Union ten, die Dekarbonisierung der (Schwer-)Industrie voran and the European Commission on budgetary disci- zu treiben. Vgl. dazu etwa: O-Donaghue, Comments to pline, on cooperation in budgetary matters and on the EU Parlament’s Own initiative report on a CBAM, sound financial management, as well as on new own 11.03.2021, abrufbar unter: https://ercst.org/event/bor- resources, including a roadmap towards the introduc- der-carbon-adjustment-in-the-eu-european-parlia- tion of new own resources Interinstitutional Agree- ment-own-initiative/ (zuletzt besucht: 12.03.2021). ment of 16 December 2020 between the European Par- 51 Vgl. Art. 310 AEUV. liament, the Council of the European Union and the 52 European Commission on budgetary discipline, on co- Dazu auch: Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, operation in budgetary matters and on sound financial 5. Auflage 2016, Art. 310 AEUV.
10 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung der Europäische Rat 53 und das EU-Parla- Beitrag der Mitgliedstaaten sowie seit 2020 ment 54 davon aus, dass das Aufkommen neu einem Beitrag der Mitgliedstaaten, der aus einem CBAM als sogenannte „neue Ei- sich aus den nicht recycelten Verpackungs- genmittel“ gelten und damit der Union zur abfällen für Kunststoff ergibt, zusam- Verfügung stehen könnten. men 60. Die Haushaltsregeln der Union sehen aller- Für einen möglichen CBAM bedeutet dies, dings ein geschlossenes System der finan- dass, sofern dieser Mechanismus genutzt ziellen Eigenmittel vor, d. h. es können werden soll, um neue Eigenmittel für die nicht jederzeit beliebig – etwa durch Steu- Union zu generieren, dass durch den Rat ern und Abgaben – neue Einnahmen gene- erst ein entsprechender Eigenmittelbe- riert werden 55. Vielmehr müssen über einen schluss nötig ist. Diesbezüglich schreibt Eigenmittelbeschluss die Einnahmequellen Art. 311 Abs. 3 S. 1 AEUV vor, dass der Be- definiert werden, um die jeweils für den schluss im besonderen Gesetzgebungsver- Haushalt erforderlichen Mittel aufzubrin- fahren nach Anhörung des EU-Parlaments gen, wobei der Haushalt der Union generell einstimmig gefasst werden muss. Damit einer Haushaltsdisziplin untersteht 56. Dem- kommt zu den oben diskutierten Voraus- nach müssen bei der Aufstellung des Haus- setzungen bezüglich der Rechtsgrundlage haltsplans der mehrjährige Finanzrahmen noch eine weitere Verfahrenskomponente sowie der jeweilige Beschluss über das Ei- hinzu: Nicht nur für den CBAM müssen ent- genmittelsystem der EU eingehalten wer- sprechende Mehrheiten bzw. Einstimmig- den 57. Des Weiteren werden "Rechtsakte keit im Rat herrschen, sondern auch für der Union, deren Umsetzung zu einer Über- dessen Funktion zur Eigenmittelbeschaf- schreitung der im Haushaltsplan verfügba- fung. Diese Anforderung ist dann auch un- ren Mittel führt (...) finanziell nicht ausge- abhängig von der Ausgestaltungsoption, führt, bis der Haushaltsplan entsprechend sondern entsteht generell soweit die Ein- geändert worden ist" 58. Damit ist die Ver- nahmen aus dem CBAM in den EU-Haus- wendung von Haushaltsmitteln streng re- halt fließen sollen. guliert und Ausgaben müssen im Voraus Der Europäische Rat hat in seinen Schluss- geplant bzw. durch den Rat und das EU- folgerungen aus dem Juli 2020 dann auch Parlament abgesegnet werden. bereits ausdrücklich erklärt, dass man auf Derzeit setzen sich die Eigenmittel der einen solchen Beschluss hinarbeiten wolle Union aus den sog. „traditionellen Eigen- – und Einnahmen aus dem CBAM ab 2023 mitteln“ 59, einem Anteil der Mehrwertsteu- als neue Eigenmittel genutzt werden kön- ereinnahmen der Mitgliedstaaten, einem nen sollten 61. Die EU-Kommission scheint über das Haushaltsverfahren festgelegten 53 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen vom Siehe Milicevic, Kurzdarstellungen des Europäischen 21.07.2020 EUCO 10/20, Rn. A29, Rn. 147. Parlaments, Die Ausgaben der Europäischen Union 54 Vgl. EU-Parlament, A WTO-compatible EU carbon (2020), S. 2. 59 border adjustment mechanism, P9_TA- Darunter werden Mittel „in Form von Abschöpfun- PROV(2021)0071, v. 10.03.2021, Rn. 32 ff. gen, Prämien, Zusatz- oder Ausgleichsbeträgen, zu- 55 Vgl. dazu umfassend: Magiera, in: Grabitz/Hilfs/Net- sätzlichen Teilbeträgen und anderen Abgaben, Zöllen tesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werk- des Gemeinsamen Zolltarifs und anderen Zöllen auf stand: 71. EL August 2020, Art. 311 AEUV, Rn. 9ff. den Warenverkehr mit Drittländern, die von den Orga- 56 nen der Union eingeführt worden sind oder noch ein- Vgl. dazu: Schoo, in. Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, geführt werden, Zöllen auf die unter den ausgelaufe- EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 301 AEUV, Rn. nen Vertrag über die Gründung der Europäischen Ge- 24/25. meinschaft für Kohle und Stahl fallenden Erzeugnisse 57 Vgl. EU-Kommission, Haushaltsordnung für den Ge- sowie Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen samthaushaltsplan der Union (2019), Art. 54. Marktorganisation für Zucker vorgesehen sind“, ver- 58 Ebd. Art. 55. Des Weiteren muss die Kommission laut standen, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) Beschluss (EU, Euratom) der Institutionellen Vereinbarung vom 2. Dezember 2020/2053 des Rates über das Eigenmittelsystem der 2013 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlus- und der Kommission über die Haushaltsdisziplin, die ses 2014/335/ EU, Euratom, ABl. L424/1 vom 15.12.2020. Zusammenarbeit im Haushaltsbereich und die wirt- 60 Art. 2 Abs. 1 Beschluss (EU, Euratom) 2020/2053 des schaftliche Haushaltsführung 2013/C373/01 einen Jah- Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen resbericht mit einer Übersicht über die finanziellen und Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/ haushaltstechnischen Folgen verschiedener Tätigkei- EU, Euratom, ABl. L424/1 vom 15.12.2020. ten der EU erstellen, ungeachtet dessen, ob diese aus 61 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen v. dem EU Haushalt oder anderweitig finanziert werden. 21.07.2020 EUCO 10/20, Rn. A29, Rn. 147.
11 dies ebenso einzuplanen 62, u. a. um die a) EU-Emissionshandel und freie Allokation durch die COVID19-Pandemie benötigten Im Rahmen des EU-Emissionshandel be- Mehrausgaben abzudecken 63. Mit der Inter- steht bereits ein Instrument, mit dem die institutionellen Vereinbarung vom 16. De- Gefahr eines vermeintliches Carbon zember 2020 ist dies dann auch geschehen: Leakage gemindert werden soll. Die soge- Darin haben sich die Organe geeinigt, den nannte „freie Allokation“ bezeichnet den Weg für neue Eigenmittel für den EU-Haus- auch für die kommende Handelsperiode halt unter anderem über ein CO₂ Grenzaus- fortbestehenden Mechanismus des EU- gleichssystemmöglich zu machen. Die EU- Emissionshandel, nach dem die Mitglied- Kommission soll demnach bis Juni 2021 staaten für bestimmte Unternehmen und Vorschläge vorlegen, mit dem Ziel, ab 2023 nach von der EU vorgebebenen und (ab- auf die neuen Eigenmittel zugreifen zu schließend) harmonisierten Regeln 65 kos- können. Das Aufkommen soll dabei u.a. ge- tenlose Emissionsberechtigungen ausge- nutzt werden, um die durch die COVID-19- ben werden. Umstritten ist, ob diese freie Pandemie benötigten Mehrausgaben abzu- Allokation, die im Wesentlichen Carbon decken 64. Leakage gefährdeten energieintensiven In- dustrien zu Gute kommen soll, noch not- wendig ist, wenn die EU einen CBAM ein- 2. Einbettung eines CBAM in das führt und damit einen CO 2-Preis für alle an- bestehende EU-System des Carbon deren Produkte aus dem internationalen Leakage-Schutzes Wettbewerb. Immerhin könnte man argu- mentieren, dass damit ein „Level Playing Sind die Rechtsgrundlagen geklärt, ein ent- Field“ entsteht und die freie Allokation bzw. sprechender Eigenmittelbeschluss gefasst auch andere Maßnahmen zur Vermeidung und die Grundsätze der Subsidiarität und wettbewerblicher Nachteile der betroffe- der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt, nen Industrien, nicht mehr notwendig stellen sich für die Ausgestaltung des sind 66. Allerdings besteht dieses Level CBAM allerdings noch weitere primär- und Playing Field wohl nur innerhalb der EU sekundärrechtliche Fragen. Diese betreffen und gilt nicht für Exporte aus der EU ins die Auswirkungen eines solchen Mechanis- EU-Ausland, weswegen andere argumen- mus auf die bereits bestehenden Maßnah- tieren, dass die freie Allokation für die Auf- men zur Vermeidung von Carbon Leakage rechterhaltung von EU-Produkten auf dem und hier insbesondere den EU-Emissions- internationalen Markt weiterhin notwendig handel als Hauptinstrument zur CO 2-Be- sein wird 67. preisung und die darin vorgesehene soge- nannte „freie Allokation“. Darüber hinaus Eine Antwort auf diese Frage kann im Rah- sind auch das Beihilferecht – als Möglich- men der vorliegenden juristischen Bewer- keit für die Mitgliedstaaten Wettbewerbsfä- tung nicht gegeben werden. Vielmehr wird higkeit zu adressieren- sowie ggf. die Wa- es der EU-Kommission obliegen, im Rah- renverkehrsfreiheit zu betrachten. men der Rechtfertigung der 62 Vgl. u. a.u. a. EU-Kommission, Die Stunde Europas – 433 I, v. 22.12.2020, Anhang II, Auch: EU-Parlament, A Schäden beheben und Perspektiven für die nächste WTO-compatible EU carbon border adjustment me- Generation eröffnen, COM (2020) 546 final, v. 27.05.2021. chanism, P9_TA-PROV(2021)0071, v. 10.03.2021, Rn. 34 f.; 63 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen v. EU-Kommission, Die Stunde Europas – Schäden behe- 21.07.2020 EUCO 10/20, Rn. A29, Rn. 147. ben und Perspektiven für die nächste Generation eröff- 64 nen, COM(2020) 546 final v. 27.05.2020. Interinstitutional Agreement between the European 65 Parliament, the Council of the European Union and the Umfassend zu der Frage, welche Maßnahmen durch European Commission on budgetary discipline, on co- die Mitgliedstaaten im Bereich des Emissionshandels operation in budgetary matters and on sound financial noch getroffen werden können, etwa: Rodi/Stäsche et management, as well as on new own resources, includ- al., Rechtlich-institutionelle Verankerung der Klima- ing a roadmap towards the introduction of new own schutzziele der Bundesregierung, Juni 2015, S. 243 ff. 66 resources Interinstitutional Agreement of 16 December Die EU-Kommission hatte dies im Rahmen des 2020 between the European Parliament, the Council of Inception Impact Assessment zum CBAM aber auch the European Union and the European Commission on generell im Rahmen der Reform des EU EHS zumin- budgetary discipline, on cooperation in budgetary dest anklingen lassen. matters and on sound financial management, as well 67 Vgl. etwa: Evans et al. Border Carbon Adjustments as on new own resources, including a roadmap to- and Industrial Competitiveness in a European Green wards the introduction of new own resources, ABl. L Deal, CWPE 2036, 2020.
12 Ein EU CBAM – Rechtliche Einschätzung Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen (so- aa) Beihilferecht wohl des CBAM als auch der freien Alloka- Während die EU auch die Grundfreiheiten tion) zu untersuchen, ob und inwieweit bei- zu beachten hat, sind die beihilferechtli- des notwendig ist, um die internationale chen Vorgaben per definitionem nur an- Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhal- wendbar auf Vorteile, die „staatlich oder ten 68. aus staatlichen Quellen“, d. h. durch die Mitgliedstaaten gewährt werden 70. b) Warenverkehrsfreiheit und Beihilferecht Was den CBAM betrifft, ist dann auch weni- Zwar betreffen die Bestimmungen des ger dessen Design auf EU-Ebene relevant. AEUV etwa zur Warenverkehrsfreiheit und Vielmehr stellt sich – nicht zuletzt ob der dem Beihilferecht im Wesentlichen Maß- Parallele zum Emissionshandel, in dem nahmen der Mitgliedstaaten, die drohen, ebenso ein Preis für CO 2-Emissionen gene- den Wettbewerb zu verfälschen und den riert wird – die Frage, ob Maßnahmen, mit Handel innerhalb der EU zu behindern. Al- denen die Mitgliedstaaten Unternehmen lerdings haben auch die EU-Institutionen von etwaigen Auswirkungen des CBAM bei ihren Handlungen diese Vorgaben zu entlasten wollen, beihilferechtlich zulässig berücksichtigen; auch ist für (sekundäre) sein könnten 71. EU-Gesetzgebung eine Kompatibilität mit dem Recht der Verträge erforderlich 69. Bei den Ausgestaltungsoptionen 1 bis 3 ist diese Problematik allerdings nur bedingt Was die Einführung eines CBAM betrifft, relevant; immerhin sollen hier Produkte aus sollte also insbesondere geprüft werden, dem EU-Ausland (auf die ein oder andere ▶ wie sich ein solcher Mechanismus zu den Weise) einer zusätzlichen CO 2-Bepreisung Vorgaben des Beihilferechts verhält; und ausgesetzt werden 72. Bei Option 4 aller- dings würden auch Produkte aus den EU- ▶ ob die Ausgestaltungsoptionen keine (de Mitgliedstaaten einer neuen CO 2-Steuer un- facto) mengenmäßigen Beschränkungen terworfen, die sie ggf. (sofern der Wirt- zwischen den Mitgliedstaaten kreieren schaftszweig dem EU-Emissionshandel un- oder zumindest erleichtern. tersteht) zusätzlich zu den Kosten für den Dabei wird es weniger um den Außenhan- Erwerb von entsprechenden Emissionszer- delsaspekt – also die Bepreisung von im- tifikaten zu entrichten hätten. portierten Produkten – gehen, sondern Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits eher darum, wie speziell bei Ausgestal- im bestehenden EU-Emissionshandel für tungsoption 4 (allgemeine CO 2-Steuer) mit bestimmte Unternehmen Begünstigungs- EU-Produkten verfahren wird. bestände bestehen, die es den Mitglied- staaten ermöglichen, über staatliche Beihil- fen die Kostenlast zu mindern Die EU-Kom- mission hat diesbezüglich Leitlinien 68 Die EU-Kommission hat dazu eigene Studien ange- Die Grundfreiheiten müssen „Freiheiten” bleiben! – kündigt und jüngst verlautbaren lassen, dass sie davon Nochmals zu Tabakwerbeverbot und Gemeinschafts- ausgeht, die Freie Allokation zumindest langfristig kompetenzen, EuZW 2000, 337. nicht fortführen zu wollen. Gleichzeitig hat die EU- 70 Vgl. von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettes- Kommission mit der neuen Verordnung 2021/447/EU heim, Das Recht der Europäischen Union, 72. EL Feb- vom 15.03.2021 bereits jetzt – d. h. ohne einen CBAM - ruar 2021, AEUV Art. 107 Rn. 128 die Benchmarks für die Freie Allokation angeschärft. 71 Im Bericht des EU-Parlaments wird die EU-Kommis- In diesem Zusammenhang ist auch die ausstehende sion zur Untersuchung der Notwendigkeit des Fortbe- Reform der EU-Energiesteuerrichtlinie relevant: Sollte stehens der Freien Allokation (sei es in Form von Ex- hier eine zusätzliche CO2-Bepreisungskomponente port Rabattes) aufgerufen; allerdings wird eine solche eingeführt werden und durch die Mitgliedstaaten um- zumindest nicht (mehr) ausgeschlossen, auch wenn zusetzen sein, stellt sich verstärkt die Frage nach mög- ein solches Phase-Out ursprünglich vom Umweltaus- lichen Befreiungen/Entlastungen, die (voraussichtlich) schuss vorgeschlagen worden war. EU-Parlament, A im beihilferechtlichen Rahmen zu klären sein wird. 72 WTO-compatible EU Carbon border adjustment me- Allerdings ist anzunehmen, dass das System der chanism, P9_TA-PROV(2021)0071, v. 10.03.2021, Rn. 28 f. freien Allokation bzw. generell das bestehende Beihil- 69 Zur Bindung des EU-Gesetzgebers an die Grundfrei- feregime für Carbon Leakage gefährdete Unterneh- heiten, vgl. EuGH verb. Rs. 80 u. 81/77 – Ramel – Rn. 927 men im Rahmen des EHS weiter beibehalten würde. ff.; in der Literatur etwa: Tietje, in: Grabitz/Hilfs/Nettes- So zumindest: Evans et al., Border Carbon Adjustments heim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: and Industrial Competitiveness in a European Green 71. EL August 2020, Art. 114 AEUV, Rn. 48-53; auch: Stein, Deal, CWPE 2036, 2020.
Sie können auch lesen