Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr - IMPULS Optionen für eine aufkommensneutrale CO2-Bepreisung von ...
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Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Optionen für eine aufkommensneutrale CO2-Beprei- sung von Energieerzeugung und Energieverbrauch. IMPULS
Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr IMPRESSUM IMPULS Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Optionen für eine aufkommensneutrale CO2- Bepreisung von Energieerzeugung und Energie- verbrauch. ERSTELLT VON Agora Energiewende Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-energiewende.de info@agora-energiewende.de AUTOREN Unter diesem QR-Code steht diese Publikation als PDF zum Download Dr. Patrick Graichen zur Verfügung. Thorsten Lenck Satz: Juliane Franz Titel: photocase.de/David-W- Bitte zitieren als: Agora Energiewende (2018): Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr. Optionen für eine aufkommensneutrale CO2-Bepreisung 147/07-I-2018/DE Veröffentlichung: November 2018 www.agora-energiewende.de
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, Energiesteuerreform nötig, die zwangsläufig zu höhe- ren Preisen für Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas füh- „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch ren wird. Die Reform ist jedoch in jedem Modell auf- endlich Taten sehn!“ – so heißt es im Prolog zu kommensneutral, das heißt alle Einnahmen werden Goethes Faust. Dieser Satz passt hervorragend zu der 1:1 an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben. Debatte um das Thema CO2-Bepreisung. In der Fach- welt herrscht nach der über mehrere Jahre inten- Bislang ist eine CO2-orientierte Reform der Abgaben siv geführten Diskussion ein breiter Konsens: Eine und Umlagen auf Energie vor allem an einem geschei- deutlich stärkere CO2-Bepreisung ist dringend nötig tert: der Angst der Politik vor einer (Medien-) Kam- für den Erfolg von Klimaschutz und Energiewende. pagne, die eine solche Reform diffamiert als unsoziale Viele Vorschläge liegen auf dem Tisch, alle Argumente Steuererhöhung. Deswegen gehört ein „Wechsel-Fonds wurden mehrfach ausgetauscht: Die Zeit ist reif für für die private Energiewende“ für besonders Betrof- eine Entscheidung. fene zwingend zu einer solchen Reform. Aber am Schluss braucht jede grundlegende Änderung beste- Die vorliegende Publikation strukturiert die Vor- hender Strukturen vor allem eines: Mut und Überzeu- schläge und kondensiert sie auf kurzfristig umsetz- gungskraft auf Seiten der handelnden Akteure. bare Handlungsoptionen. Die Analyse zeigt, dass kleine Schritte angesichts der hohen Strompreise und Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! der stark schwankenden Ölpreise praktisch kaum eine Ihr Wirkung entfalten. Es ist daher – wie etwa in Frank- Dr. Patrick Graichen reich oder in Schweden – eine mittlere bis größere Direktor Agora Energiewende Ergebnisse auf einen Blick: Eine aufkommensneutrale, CO2-orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie ist seit Jahren überfällig – und kurzfristig möglich. Strom ist in Deutschland sehr teuer, während Kohle, 1 Öl, Gas, Benzin und Diesel relativ günstig sind. Ökonomen erklären seit langem, dass eine stärkere CO2-Bepreisung zwingend notwendig ist für erfolgreichen Klimaschutz. Eine Reform der seit 15 Jahren nicht geänderten Energiesteuern ist dabei das Mittel der Wahl – bei Strom, Wärme und Verkehr. Die Politik hat die Wahl: Zwischen einer kleinen, mittleren und großen Variante – und zwei Optionen zur Rückverteilung der Mittel. Die Spanne liegt zwischen 45 und 125 Euro pro Tonne 2 CO2 – mit einer kontinuierlichen Steigerung auf 86 Euro als Mittelvariante (französisches Modell). Im Gegenzug kann der Strompreis massiv gesenkt werden oder ein Pro-Kopf-Energiewendebonus von 120 bis 200 Euro ausbezahlt werden. Zur Reform gehört ein „Wechsel-Fonds für die private Energiewende“ für besonders vom CO2- Aufschlag Betroffene. Dieser Fonds finanziert besonders Betroffenen den Wechsel hin zu CO2- 3 armen Technologien. Ziel: Im Jahr 2025 sind alle Heizungen mit hohem Ölverbrauch ersetzt durch Sanierung und Heizungsaustausch, alle Viel-Pendler haben ihren Diesel-Pkw gegen ein Elektro-Auto ausgetauscht. Damit werden die CO2-Aufschläge weggespart. Ohne eine CO2-orientierte Energiesteuerreform im Klimaschutzgesetz 2019 sind die Energiewende- und Klimaschutzziele 2030 nicht zu erreichen. Wenn die Politik sich aufgrund des medialen 4 Verhetzungspotenzials nicht an das Thema herantraut, wird die Energiewende scheitern. Denn gegen falsche Preissignale kann man nicht anfördern. 3
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Inhalt Zusammenfassung7 1. Sechs Gründe, warum eine CO2-orientierte Energiepreisreform dringend geboten ist 11 2. Anforderungen an eine CO2-orientierte Abgabenreform – und wie man sie am besten umsetzt 19 3 Handlungsoptionen für eine stärkere und verlässlichere CO2-Bepreisung der Energieerzeugung im EU-Emissionshandel 23 4 Handlungsoptionen für eine CO2-orientierte, aufkommensneutrale Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energieverbrauch 27 5. Auswirkungen einer CO2-orientierten Reform der Abgaben und Umlagen auf Haushalte und Industrie 39 7 Fazit 45 5
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IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Zusammenfassung Aus verschiedensten Gründen ist eine CO2-orien- giewende-Umlage und CO2-Orientierung der Steuer- tierte Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf sätze der bestehenden Energiesteuern), zeigt, dass das Energie zwingend notwendig: Modell der CO2-Orientierung der bestehenden Ener- giesteuern das Instrument der Wahl ist: Es kann mit →→ Deutschland drohen im Zeitraum von 2021 bis hoher Wirkung für den Klimaschutz aufkommens- 2030 Kosten in Höhe von 30 bis 60 Milliar- neutral ausgestaltet werden und verursacht keinerlei den Euro für das Verfehlen der europarechtlichen zusätzliche Bürokratie. Zudem enthält das Energie- Klimaschutzverpflichtungen, wenn nicht schnell steuersystem bereits alle notwendigen Regelungen gegengesteuert wird. zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der energi- →→ Strom sowie strombasierte Kraft- und Heizstoffe eintensiven Industrie. sind essenziell für Klimaschutz im Wärme- und Verkehrssektor – aber mit viel zu hohen Abgaben Für eine stärkere CO2-Bepreisung gibt es dann zwei und Umlagen belastet. mögliche Handlungsfelder: Zum einen die Stromer- →→ Nur Strom ist in den vergangenen zehn Jahren teu- zeugung und damit als CO2-Mindestpreis inner- rer geworden, fossile Energien kosten heute wieder halb des EU-Emissionshandels, zum anderen der so viel wie 2008. Verbrauch von Energie, vor allem im Wärme- und →→ Kein anderes Land in Europa hat solche Unter- Verkehrssektor. Um einen CO2-Mindestpreis im schiede zwischen den Preisen für Strom und fos- EU-Emissionshandel zu etablieren, bedarf es einer silen Energieträgern. Insbesondere Heizöl ist in Deutschland sehr billig. →→ Weil Deutschlands Energiesteuern seit 2003 kon- Eckpunkte eines kurzfristig einführ- stant sind, während Frankreich einen jährlich baren CO2-Mindestpreises für die steigenden CO2-Beitrag beschlossen hat, kommt es Energieerzeugung im ETS jetzt zu Tanktourismus nach Deutschland →→ Effizienter Klimaschutz verlangt einen CO2-Preis. →→ Gemeinsame Initiative von D, F, NL in Richtung Aktuell fehlt dieser bei Verkehr, Wärme und Land- aller Länder in Zentral-Westeuropa und Skan- wirtschaft völlig, im EU-Emissionshandel ist er dinavien für eine „Coalition of the Willing“ instabil. →→ Ziel: Im Jahr 2020 koordinierte Einführung einer Primärenergiesteuer auf zum Zweck der Eine Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Stromerzeu-gung eingesetzte fossile Energie- Energieerzeugung und -verbrauch sollte dabei vier träger (Kohle, Gas und Öl) einfachen Kriterien folgen: →→ Steuersatz beträgt angestrebten CO2-Mindest- preis abzüglich tatsächlichem CO2-Preis im ETS 1. Klimaschutzwirkung →→ Alle Beihilferegelungen für die energiein- 2. Aufkommensneutralität tensive Industrie (insbesondere Strompreis 3. Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie kompensation) gelten analog 4. Bürokratiearmut →→ Einnahmen fließen wie ETS-Versteigerungen in den Energie- und Klimafonds zur Finanzierung Ein Vergleich verschiedener möglicher Instrumente von Klimaschutz-Förderprogrammen zur CO2-Bepreisung (CO2-Steuer, CO2-Abgabe, Ener- 7
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Gruppe von gemeinsam handelnden Ländern, da Eine Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf ein nationaler CO2-Mindestpreis im europäischen den Energieverbrauch würde bedeuten, die vorhan- Stromverbund wenig erfolgversprechend ist. Eine denen Energiesteuern neu auf Basis der CO2-Emis- solche Initiative erfordert einiges an politischer sionen auszurichten. Hierbei ist grundsätzlich eine Koordination, würde aber auf großes Interesse in kleine, eine mittlere und eine große Variante mög- etlichen Nachbarländern wie Frankreich und den lich (siehe Tabelle Z1). In der kleinen Variante würde Niederlande stoßen (siehe Kasten auf Seite 7). der gegenwärtige CO2-Beitrag Frankreichs von etwa Die verschiedenen Varianten einer CO2-orientierten Reform der Steuern auf Energieverbrauch. Tabelle Z1 Kleine Variante Mittlere Variante Große Variante Aufkommen Einmaliger CO2-Aufschlag Französisches Modell: Strom, Benzin, Diesel, E rdgas von 45 €/t CO2 auf Benzin, Anfangs wie kleine Vari- und Heizöl unterliegen Diesel, Heizöl, Erdgas ante, danach weiter jähr- einem Steuersatz entspre- liche Erhöhung des CO2- chend der CO2-Schadenskos- Beitrags um ca. 10 €/t CO2 ten (aktuell 125 €/t CO2). auf 86 €/t im Jahr 2024 Bei Benzin und Diesel Zudem Abschmelzung des kommt ein Beitrag zur Dieselsteuerprivilegs Finanzierung der Verkehrs infrastruktur inklusive Verkehrswende hinzu. Rückerstattungs Senkung der Strompreise Option A: Alle bisherigen Steuern, mechanismus um 4 ct/kWh durch S enkung Senkung der Strompreise Abgaben und Umlagen auf der Stromsteuer auf um anfangs 4 ct/kWh, Energie werden gestrichen europarechtlichen Mindest- später 7 ct/kWh und durch die neue Struktur satz und Steuerzuschuss ersetzt. zum EEG-Konto Option B: Energiewende-Bonus für Strom wird dadurch 7 ct/ alle Bürger/innen (pro Kopf kWh günstiger, wobei Strom- 120 € in 2020 bzw. ca. 200 steuersatz stundenscharf € in 2024) und für alle Fir- entsprechend den CO2-Emis- men (ca. 120 bzw. 200 € pro sionen des jeweiligen Strom- 100.000 € Lohnsumme) mix‘ erhoben wird Klimaschutz- 2,7 Mrd. € im Jahr für steu- 4 Mrd. € in 2020 und 5,9 Mrd. € im Jahr zur Finan- Programmanteil erliche Förderung von 10 Mrd. € in 2024 für Finan- zierung der Wärmewende Gebäudesanierung und zierung Wärme- und Ver- inklusive eines Wechsel- Sofortprogramm Ladeinfra- kehrswende inklusive eines Fonds für die private struktur Wechsel-Fonds für die Energiewende für beson- private Energiewende für ders vom CO2-Aufschlag besonders vom CO2-Auf- Betroffene schlag Betroffene Agora Energiewende 8
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 45 Euro pro Tonne CO2 auch in Deutschland ange- wendet. Die Einnahmen könnten dann verwendet Eckpunkte eines „Wechsel-Fonds für werden, um den Strompreis um vier Cent je Kilo- die private Energiewende“ wattstunde zu senken. Zudem wäre es möglich, mit 2,7 Milliarden Euro eine Anschubfinanzierung für Antragsberechtigt sind alle von einem CO2-Auf- die Wärme- und Verkehrswende zu leisten: die lang schlag besonders Betroffenen, beispielsweise geforderte steuerliche Förderung der Gebäudesanie- Viel-Pendler, Bewohner von Häusern mit schlech- rung sowie den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für ter Dämmung und alten Ölheiz-Kesseln die Elektromobilität. →→ Üppige Wechselprämien für den Wechsel von In der mittleren Variante wird aufbauend auf der CO2-intensiven zu CO2-armen Technologien kleinen Variante dem Beispiel Frankreichs gefolgt, →→ Ziel: Im Jahr 2025 sind alle Heizungen mit wo der CO2-Beitrag jährlich um etwa zehn Euro pro hohem Ölverbrauch ersetzt durch Sanierung Tonne CO2 erhöht und zudem das Dieselsteuerprivileg und Heizungsaustausch, alle Viel-Pendler abgeschmolzen wird. Im Jahr 2024 wird der CO2-Bei- haben ihren Diesel-Pkw durch ein Elektro-Auto trag auf Benzin, Diesel, Benzin und Heizöl dann 86 ersetzt. Euro pro Tonne CO2 betragen. Die so resultierenden →→ Durch den Fonds werden so bei den beson- Einnahmen können entweder über eine Senkung der ders Betroffenen die CO2-Aufschläge wegge- Strompreise um sieben Cent je Kilowattstunde oder spart. über eine Pro-Kopf-Rückverteilung an Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen erfolgen (siehe Kas- ten rechts). Zudem können anfangs vier, später zehn Ergänzt wird die Systematik durch zwei variable Milliarden Euro für die Finanzierung der Wärme- Faktoren: und Verkehrswende verwendet werden, inklusive eines „Wechsel-Fonds für die private Energiewende“, 1. Erreichen der Verkehrs- oder der Wärmesektor der den besonders vom CO2-Aufschlag Betroffenen zu ihre jährlichen Klimaschutzziele gemäß EU-Richt- Gute kommt. linie nicht, so wird der Steuersatz in ihrem Sek- tor um zehn Euro pro Tonne CO2 erhöht (Schweizer In der großen Variante wird das komplette bishe- Modell). rige System der Steuern, Abgaben und Umlagen auf 2. Zudem wird der Steuersatz auf Strom zeitvaria- Energie abgeschafft und ersetzt durch ein neues kla- bel ausgestaltet, das heißt stündlich am jeweiligen res System. Dieses basiert ausschließlich auf zwei CO2-Gehalt des Strommix‘ berechnet. Dies erhöht Grundsätzen: Jeder Sektor finanziert seine Infra- den Anreiz zu mehr Flexibilität im Stromverbrauch, strukturkosten selbst, und darauf aufbauend erfolgt gerade bei den neuen Stromverbrauchern aus dem eine einheitliche CO2-orientierte Besteuerung für alle Wärme- und Verkehrssektor. Energieverbräuche - Strom, Diesel, Benzin, Erdgas und Heizöl – entsprechend den aktuellen CO2-Scha- Im Ergebnis kommt die große Variante zu ähnlichen denskosten von 125 Euro pro Tonne. Hinzu kommt bei Preisen wie die mittlere Variante im Jahr 2024 (Strom Diesel und Benzin ein Infrastrukturbeitrag in Höhe wird sieben Cent pro Kilowattstunde billiger), aller- von 42 Cent pro Liter, da Strom und Gas ihre Infra- dings aufgrund einer klaren Systematik, die sich auch struktur über die Netzentgelte und die Konzessions- fortentwickeln lässt. Auch in dieser Variante sind abgabe finanzieren. knapp sechs Milliarden Euro für die Finanzierung der Wärmewende vorgesehen, inklusive eines „Wechsel- Fonds für die private Energiewende“ für besonders 9
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr vom CO2-Aufschlag Betroffene. Die Verkehrswende wird über den Infrastrukturbeitrag auf Diesel und Benzin finanziert. Die verschiedenen Reformvarianten hätten unter- schiedliche Auswirkungen auf die Preise von Die- sel, Benzin, Heizöl und Erdgas. In der kleinen Vari- ante wären die Aufschläge bei Benzin und Erdgas mit etwa 10 bis 12 Cent pro Liter im Rahmen der täglichen Schwankungen des Preises an den Tankstellen, auch bei Gas und Heizöl würden nur bereits in der Vergan- genheit bekannte Preisniveaus erreicht. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die kleine Variante große Lenkungseffekte in Richtung mehr Klimaschutz aus- lösen würde. Bei der mittleren und großen Variante ist hingegen durchaus eine Klimaschutzwirkung zu erwarten, da die Preise für Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas im Laufe der Zeit um etwa ein Drittel gegen- über dem heutigen Niveau ansteigen würden. Daher ist elementarer Bestandteil der mittleren und der gro- ßen Variante die Einrichtung des „Wechsel-Fonds für die private Energiewende“, der allen vom CO2-Beitrag besonders Betroffenen bis 2025 einen Wechsel auf CO2-arme Technologien ermöglicht. Insgesamt ist so zu erwarten, dass von der mittleren und der großen Variante erhebliche Klimaschutzef- fekte ausgehen, nicht zuletzt durch die zielgerichtete Verwendung der Fördermittel für die Wärme- und Verkehrswende. Alle durch die CO2-Bepreisung ein- genommenen Mittel würden so über verschiedene Wege 1:1 an Bürgerinnen und Bürger sowie Unter- nehmen zurückfließen. Letztlich wird eine solche Reform von Seiten der Politik viel Erklärungsaufwand verlangen, um den Bürgerinnen und Bürgern den Zweck der Reform und ihre Rückverteilungsmechanismen zu erklären. Die in Umfragen immer wieder geäußerte große Zustim- mung zur Energiewende lässt jedoch auf eine große Bereitschaft in der Bevölkerung schließen, nach Jah- ren ohne nennenswerte Klimaschutzerfolge auch deutliche neue Klimaschutzmaßnahmen wie eine stärkere CO2-Bepreisung zu akzeptieren. 10
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 1. Sechs Gründe, warum eine CO2-orientierte Energiepreisreform dringend geboten ist 1.1 Deutschland drohen im Zeitraum Deutschland eine Minderung von 38 Prozent unter von 2021 bis 2030 Kosten in Höhe das Niveau von 2005 erbringen muss, zeichnet sich von 30 bis 60 Milliarden Euro für aktuell eine erhebliche Zielverfehlung ab. Bei einer optimistischen Wirkungsprognose der bisherigen das Verfehlen der europarechtlichen Klimaschutzmaßnahmen (angenommene Minderung: Klimaschutzverpflichtungen 1 Prozent pro Jahr) verfehlt Deutschland sein für die Deutschland ist aktuell weit davon entfernt, seine Jahre 2021 bis 2030 rechtlich verbindliches Klima- europarechtlich verbindlichen Klimaschutzver- schutzziel gemäß der EU Climate Action Regulation pflichtungen für die nicht vom Emissionshandel um 616 Millionen Tonnen CO2. erfassten Sektoren – vornehmlich Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft – einzuhalten (vgl. Abbildung 1): Die absehbaren Zielverfehlungen führen zu einem Im Jahr 2017 lagen die Emissionen nur drei Prozent ernsten Risiko für den Bundeshaushalt. Denn falls ein unter dem Niveau von 2005, nachdem sie in den Vor- EU-Mitgliedsstaat sein nationales Ziel nicht erreicht, jahren deutlich gestiegen waren. Heute steht daher muss dieser bei anderen EU-Mitgliedstaaten über- bereits fest, dass Deutschland seine europarechtliche schüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte kaufen, um Klimaschutzverpflichtung für den Zeitraum von 2013 seine Unterdeckung auszugleichen. Diese Emissions- bis 2020 (Minderung der Treibhausgasemissionen rechte dürften angesichts der vergleichsweise hohen um 14 Prozent im Vergleich zu 2005) verfehlen wird. CO2-Vermeidungskosten in den Bereichen Gebäude Auch für den Zeitraum von 2021 bis 2030, für den und Verkehr zwischen 50 bis 100 Euro pro Tonne CO2 Deutschland hat europarechtlich verbindliche Ziele für die Effort-Sharing-Sektoren – und wird sie ohne zusätzliche Maßnahmen drastisch verfehlen. Abbildung 1 600 Trend 2005–2017: Durchschnittliche Minderung 1 Mio. t pro Jahr 500 Optimistischer Trend: -1 % p.a.* 12 23 34 45 [Mio. t CO2-Äqu.] 56 400 67 78 Soll 20 89 101 21–203 112 0: Mind erung 300 >15 Mio . t pro Ja hr 478 466 475 460 460 465 454 449 446 444 443 437 437 200 436 420 405 389 374 358 343 327 100 312 296 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 1. Phase Effort-Sharing 2. Phase Effort-Sharing Historische Emissionen Budget nach EU-Climate Action Regulation** Defizit Darstellung von Agora Energiewende basierend auf BMU (2018) 11
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr kosten. Bei einer Zielverfehlung von 616 Millionen Holzpellets und Biogas den größten Teil der Erneuer- Tonnen resultieren daraus derzeit Risiken für den baren Energien bei Wärme und Verkehr stellt. Dem- Bundeshaushalt in Höhe von 30 bis 60 Milliarden gegenüber sind Windkraft (Onshore und Offshore) Euro. Diese Risiken treten nur dann nicht ein, wenn sowie Photovoltaik heute kostengünstige Technolo- zeitnah erhebliche zusätzliche Klimaschutzmaßnah- gien, die zudem großes Potenzial besitzen. Sie haben men in den Sektoren Verkehr, Gebäuden und Land- den enormen Ausbau der Erneuerbaren Energien wirtschaft umgesetzt werden. im Stromsektor der vergangenen Jahre getragen und werden auch für die Zukunft die zentralen Energie- träger der Energiewende sein. 1.2 Strom sowie strombasierte Kraft- und Heizstoffe sind essenziell Die Zukunft des Klimaschutzes bei Wärme und Ver- für Klimaschutz in Wärme und kehr liegt daher – auf Basiseiner zwingend notwen- digen deutlichen Steigerung der Energieeffizienz – Verkehr – aber mit viel zu hohen in der Sektorkopplung: Erneuerbar erzeugter Strom Abgaben und Umlagen belastet wird entweder über Elektro-Autos, strombetriebene Während im Stromsektor der Anteil Erneuerbarer Wärmepumpen oder Power-to-Heat-Kesseln direkt Energien seit dem Jahr 2000 kontinuierlich steigt, eingesetzt oder indirekt über die Erzeugung von stagniert die Entwicklung im Verkehrssektor seit strombasierten synthetischen Kraft- und Heizstof- 2005 und im Wärmemarkt seit 2010. Ursache hierfür fen (Wasserstoff, Methan, Power-to-Liquids). Blickt ist, dass die energetische Nutzung von Biomasse auf- man auf das Jahr 2030, so können Gebäude- und Ver- grund von Flächennutzungskonkurrenz und Nach- kehrssektor ihre Klimaschutz- und Erneuerbaren- haltigkeitsdefiziten an ihre Grenzen stößt – gleich- Energien-Ziele nur dann erfüllen, wenn sie – direkt zeitig die Biomasse aber in Form von Biokraftstoffen, oder indirekt – einen hohen Anteil von erneuerbar Die 2. Phase der Energiewende bedeutet, den Anteil der Erneuerbaren Energien im Stromsektor auf 65 % zu steigern - und erneuerbaren Strom bzw. PtX in Wärme und Verkehr zu bringen. Abbildung 2 70 65 60 50 EE-Anteil [%] 40 36,2 30 30 20 12,9 15 10 5,2 0 1990 1995 2000 2005 2010 2017 2030 Strom Wärme Verkehr Hinweis: EE-Anteile 2030 bei Wärme und Verkehr sind zu ~ 50 % durch EE-Strom abgedeckt BMWi, Agora Energiewende 12
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr erzeugtem Strom einsetzen (vgl. Abbildung). Das ist das Ungleichgewicht dazu, dass für das Laden eines das übereinstimmende Ergebnis aller Szenarien. Elektroautos in etwa gleich viel gezahlt werden muss wie für das Tanken eines Diesel- oder Benzin-Pkws – Das Problem: Der Staat belastet Strom, Kraft- und obwohl Elektromotoren viel effizienter als Verbren- Heizstoffe bisher sehr unterschiedlich mit Steuern, nungsmotoren sind. Abgaben, Umlagen und Entgelten. Entgelte, Abgaben, Umlagen und Steuern auf Strom sind je Energieein- Das gleiche Problem tritt bei synthetischen Kraft- und heit zweieinhalbmal höher als auf Benzin und Diesel, Heizstoffen auf. Power-to-Liquid (PtL) und Power-to- achteinhalbmal höher als auf Erdgas und sogar über Gas (PtG) sind angesichts der Grenzen eines stärkeren 30-mal höher als auf Heizöl. So entfallen auf den Einsatzes von Biokraftstoffen und Biogas die einzigen Stromverbrauch mit 18,7 Cent je Kilowattstunde (ct/ technischen Optionen für eine künftige Nutzung von kWh) mit Abstand die höchsten Steuern, Abgaben, Brennstoffen – im Verkehr, in Gebäuden oder in der Entgelte und Umlagen. Darauf folgen die Kraftstoffe: Industrie. Für die Herstellung von PtG und PtL werden Benzin wird mit 7,3 ct/kWh besteuert, Diesel mit 4,7 jeweils große Mengen an Strom benötigt. Sie sind des- ct/kWh. Am Schluss folgt die Besteuerung der Heize- halb so lange nicht wettbewerbsfähig, wie Strom mit nergie mit 2,2 ct/kWh bei Erdgas und 0,6 ct/kWh bei hohen Abgaben belegt ist. Heizöl. Eine Ursache für das Ungleichgewicht ist die Steuer- Die niedrigen Abgaben auf Heizöl und Erdgas füh- systematik: Bisher wurde die Höhe der Energiesteu- ren dazu, dass sich die energetische Gebäudesanie- ern separat für Strom, Wärme und Verkehr festge- rung in vielen Fällen kaum rechnet. Zudem haben legt. Die Energiewende- und Klimaziele erfordern Wärmepumpen einen schweren Stand im Vergleich nunmehr jedoch eine sinnvolle Ausgestaltung der zu Öl- und Gasheizungen. Im Verkehrssektor führt Energiesteuern über die Sektorgrenzen hinweg. Die Steuern, Abgaben und Umlagen auf Strom und Stromanwendungen betragen ein Vielfaches von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas. Abbildung 3 25 23,0 Mehrwertsteuer 20 17,0 17,0 EEG-Umlage 15 [ct/kWh] Sonstige Umlagen 10 8,7 5,6 CO2-Zertifikate 5 ^ 20 €/EUA) (= 2,7 0,7 0 Konzessionsabgabe Wärmepumpe, PtX Verbrauch E-Pkw, PtX Benzin Diesel Erdgas Leichtes Heizöl Netzentgelte Energiesteuer Strom Verkehr Wärme Stromsteuer Agora Energiewende (2018) 13
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 1.3 Nur Strom ist in den letzten ein leichtes Minus von rund 10 Prozent. Berücksich- 10 Jahren teurer geworden; fossile tigt man, dass in diesen zehn Jahren die Inflationsrate Energien kosten heute wieder so im Mittel 1,2 Prozent pro Jahr betrug, so sind die fos- silen Energieträger real sogar deutlich billiger gewor- viel wie 2008 den – nämlich um 11 Prozent. Dies zeigt sich auch in Bis vor einigen Jahren gingen viele Szenarien davon der Einkommensstatistik: Während Verbraucher im aus, dass fossile Energien aufgrund knapper werden- Jahr 2008 3,2 Prozent ihres Haushaltseinkommens der Ressourcen stetig teurer werden würden. Dies hat für Kraftstoffe ausgaben, waren es im Jahr 2016 nur sich jedoch nicht bewahrheitet – im Gegenteil: Die noch 2,4 Prozent. Kosten für die Erschließung und Förderung von Erdöl und Erdgas aus nicht-konventionellen Quellen sind Anders beim Strom: Dessen Preis hat sich für Haus- durch technische Entwicklungen gesunken. Bei Erdöl haltskunden seit 2008 um etwa 50 Prozent erhöht. hat dies dazu geführt, dass seit den Spitzenwerten Ursache hierfür sind die Anschubkosten der Energie im Jahr 2012 die Preise für Heizöl, Diesel und Ben- wende – so wurden etwa die Kosten für den Ausbau zin wieder gesunken sind. Auch die Preise für Erdgas der Erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme- sind in den vergangenen Jahren gesunken. Kopplung ausschließlich auf den Strompreis umge- wälzt. Auch die künftigen Kosten für die Ladein- Vergleicht man das Niveau im Jahr 2018 mit dem frastruktur der Elektromobilität werden nach von vor zehn Jahren, so stellt man fest: Die Preise für derzeitigem Rechtsrahmen ausschließlich über den Heizöl, Diesel und Benzin liegen fast exakt auf dem Strompreis bezahlt. Das Ergebnis: Strom wird immer gleichen Niveau wie 2008, bei Erdgas gibt es sogar teurer, fossile Energien bleiben relativ günstig. Die Preise von Benzin, Diesel, Erdgas und Heizöl liegen 2018 auf demselben Niveau wie 2008. Nur der Strompreis ist um 50 Prozent gestiegen. Abbildung 4 Energiepreise von Strom und Erdgas Energiepreise der Mineralöle (inkl. Umsatzsteuer) Preisver- (inkl. Umsatzsteuer) Preisver- änderung* änderung**** 35 2 seit 2008 seit 2008 1,8 30 Strom** Benzin +8,8 ct/kWh 1,6 +0,04 €/Liter 25 1,4 Diesel -0,07 €/Liter 1,2 [€/Liter] 20 [ct/kWh] 1 15 Leichtes Heizöl 0,8 -0,10 €/Liter 10 0,6 Erdgas*** 0,4 5 -0,6 ct/kWh 0,2 0 0 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2008 2010 2012 2014 2016 2018 ct/kWh Strom Erdgas ct/l Benzin Diesel Heizöl Ø 2008 21,4 7,1 Ø 2008 1,39 1,33 0,82 Ø 2018 30,2 6,5 Ø 2018 1,43 1,26 0,72 * Daten bis 07/2018; ** 3.900 kWh/a; *** 19.200 kWh/a; **** Daten bis 05.11.2018 Links: BMWi Energiedaten; Agora Enwergiewende; Aug. 2018; Rechts: BMWi, Europäische Kommission, Agora Energiewende, Nov. 2018 14
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Im europäischen Vergleich hat Deutschland den teuersten Strom, liegt bei Gas im Mittelfeld, und bei Heizöl an fünftletzter Stelle. Abbildung 5 Haushaltsstrompreis 2018 30 (2.500 bis 25 5.000 kWh/a) 20 [ct/kWh] 15 10 5 0 DE DK BE IE PT ES IT EU SE AT CY GB GR LI FR NO LU SI FI LV NL IS TZ PL SK MT EE RO HR HU LT BG 28 Gaspreis Heizölpreis SE DK DK IT NL HU IT SE PT PT ES NL AT GR MT FR FI IE RO DE BG EU 28 SI GR FR TZ EU 28 SI CY BE EE GB PL SK AT PL ES ES TZ HR LU LV LT 2017 IE 2018 LI DE HR (5.555 bis (vorläufig) BE HU 55.555 kWh/a) GB BG LI RO LU 0 2 4 6 8 10 12 0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 [ct/kWh] [€/Liter] BMWi (2018) 1.4 Kein anderes Land in Europa hat Anders sieht die Situation bei den Preisen für Erdgas, solche Preisunterschiede zwischen Heizöl, Benzin und Diesel aus: Hier liegt Deutschland Strom und fossilen Energieträgern im europäischen Vergleich eher im Mittelfeld oder sogar unter dem Durchschnitt. Beim Heizöl liegen Die skizzierte Entwicklung bei den Stromkosten seit die Preise in Deutschland im EU-Vergleich sogar im 2008 hat dazu geführt, dass Haushalte und Gewerbe unteren Drittel. Diese Unterschiede sind im Wesent- in Deutschland die höchsten Strompreise im europäi- lichen auf unterschiedliche Steuern, Abgaben und schen Vergleich bezahlen. Im EU-Durchschnitt liegen Umlagen zurückzuführen. die Strompreise fast 10 ct/kWh unter den Preisen in Deutschland. Im Vergleich zu einzelnen europäischen In der Gesamtbetrachtung gibt es in Europa kein Staaten liegen die Strompreise für Stromverbraucher anderes Land, das ein so ungünstiges Verhältnis von in Deutschland, die nicht unter Ausnahmeregelungen Strompreisen zu den Preisen der fossilen Energie bei Abgaben, Umlagen und Entgelten fallen, zum Teil träger Diesel, Benzin, Erdgas und Heizöl aufweist. auf dem doppelten Niveau. 15
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Im europäischen Vergleich hat Deutschland den teuersten Strom und liegt bei Benzin und Diesel im Mittelfeld. Abbildung 6 Haushaltsstrompreis 2018 30 (2.500 bis 25 5.000 kWh/a) 20 [ct/kWh] 15 10 5 0 DE DK BE IE PT ES IT EU SE AT CY GB GR LI FR NO LU SI FI LV NL IS TZ PL SK MT EE RO HR HU LT BG 28 Benzinpreis Dieselpreis IT SE GR IT DK GB PT FR SE FI FR BE FI GR IE DK BE PT GB NL DE IE SK ES EU 28 HR HR CY ES EU 28 MT SI SK SI DE ES HU CY TZ LT RO AT MT TZ ES LU AT HU 2018 LV 2018 LI (vorläufig) PL (vorläufig) RO LT PL BG BG LU 0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 [€/Liter] [€/Liter] BMWi (2018) 1.5 Weil Deutschlands Energiesteuern Lohnnebenkosten verwendet. Ziel der Reform war es, seit 2003 konstant sind, während Energie zu belasten und Arbeitskosten zu entlasten. Frankreich einen jährlich steigen- Im Jahr 2003 ist diese Politik in Deutschland den CO2-Beitrag beschlossen hat, zum Stillstand gekommen. Seitdem haben andere gibt es jetzt Tanktourismus nach EU-Mitgliedstaaten CO2-Steuern eingeführt. Allen Deutschland voran hat Schweden für fossile Energien, die außer- Die letzten Energiesteuererhöhungen in Deutschland halb des Emissionshandels eingesetzt werden, einen sind 15 Jahre her. Während der rot-grünen Bundes- CO2-Aufschlag beschlossen, der seit 1991 kontinuier- regierung wurden von 1999 bis 2003 die Steuern auf lich gestiegen ist und heute 1.150 Schwedische Kro- Strom, Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas im Rah- nen (etwa 110 Euro) pro Tonne CO2 beträgt. men der so genannten Ökosteuerreform kontinuier- lich erhöht. Die Einnahmen wurden zur Senkung der Frankreich hat 2013 eine ähnliche Politik wie Schweden beschlossen. So werden seit 2014 die Steu- 16
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr ern auf fossile Energieträger jährlich in einem Maße liert: CO2 als Schadstoff sollte einen Preis bekommen, erhöht, das etwa 10 Euro pro Tonne CO2 (€/t CO2) damit es einen Anreiz gibt, den Schadstoffausstoß entspricht. Gleichzeitig wird das Dieselsteuerprivi- zu vermeiden. Dabei gibt es zwei unterschiedli- leg abgeschmolzen. Bis 2022 wird der Aufschlag auf che Wege: Entweder man führt einen Emissions 86 €/t CO2 anwachsen. Im Ergebnis werden Benzin, handel ein, innerhalb dessen sich durch die Ver- Diesel, Erdgas und Heizöl in Frankreich deutlich teu- knappung der ausgegebenen Menge von Zertifikaten rer sein als in Deutschland. ein CO2-Marktpreis ergibt – oder man führt eine CO2-Abgabe beziehungsweise CO2-Steuer ein, die Die Folge: Aus den französischen Regionen Elsass den Ausstoß von CO2 unmittelbar verteuert. und Lothringen, in denen etwa drei Millionen Men- schen leben, wird es zu erheblichem Tanktourismus In Deutschland ist im Jahr 2005 mit der Einfüh- ins Niedrigsteuerland Deutschland kommen. Bei Die- rung des Europäischen Emissionshandelssystems sel ist dies schon heute der Fall. (Emissions Trading System, ETS) zum ersten Mal der Ausstoß von CO2 bepreist worden. Das ETS umfasst den Stromsektor, weite Teile der energieintensiven 1.6 Effizienter Klimaschutz verlangt ei- Industrie sowie den innereuropäischen Flugverkehr. nen CO2-Preis. Aktuell fehlt dieser Es deckt so etwa die Hälfte der deutschen CO2-Emis- bei Verkehr, Wärme und Land- sionen ab. Der CO2-Preis im Emissionshandel war jahrelang sehr niedrig, weil das System von einem wirtschaft völlig, im EU-Emission- sehr hohen Zertifikate-Überschuss geprägt war. shandel ist er instabil. Durch die letzte Reform des ETS im April 2018 ist ein Die Wirtschaftswissenschaft hat auf die Frage Löschungsmechanismus für einen Teil der Über- nach der kosteneffizienten Lösung des Klimapro- schuss-Zertifikate etabliert worden, der eine Steige- blems schon vor Jahrzehnten die Antwort formu- rung des Preises auf etwa 20 €/t CO2 zur Folge hatte. Während in Deutschland die Energiesteuern seit 2003 nicht mehr erhöht wurden, steigen sie in Frankreich jährlich mit einem CO2-Preisaufschlag. Abbildung 7 Benzin Diesel Heizöl Erdgas 90 2,5 80 75,8 78,2 71,1 70,1 1,6 70 65,5 66,3 1,5 60,7 59,4 60 1,2 [ct/kWh] 50 47,0 1,0 42,8 [ct/l] 40 0,8 30 26,7 0,5 0,6 21,1 20 15,6 10 6,1 5,7 0,1 0 0 seit 2003 2014 2018 2020 2022 seit 2003 2014 2018 2020 2022 seit 2003 2014 2018 2020 seit 2003 2022 2014 2018 2020 2022 Energiesteuer in Deutschland Energiesteuer in Frankreich Beitrag für Klima- und Energie als Teil der Energiesteuer in Frankreich Agora Energiewende auf Basis DFBEW (2018) 17
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Da aber nach wie vor hohe Zertifikatsüberschüsse das System prägen, ist dieser Preis sehr volatil. Die Bereiche, die nicht vom Emissionshandel erfasst werden (vor allem Verkehr, Gebäude und Landwirt- schaft), unterliegen in Deutschland bis heute keinerlei CO2-Bepreisung. Zwar wurde unter der rot-grünen Bundesregierung in den Jahren 1999 bis 2003 die Öko-Steuer eingeführt. Deren Berechnungsgrundlage enthielt jedoch keinen CO2-Bezug, das Vorhaben ist 2003 bei relativ niedrigen Steuersätzen abrupt been- det worden und das Ökosteueraufkommen wird für die Senkung der Lohnnebenkosten statt für Umwelt- und Energiefragen verwendet. Im Zusammenspiel mit den seit 2012 wieder sinken- den Weltmarktpreisen für Kohle, Öl und Gas feh- len derzeit die Preissignale für mehr Klimaschutz. Die Folge: die Kosten des Schadstoffs CO2 werden bei Investitionsentscheidungen derzeit nicht berück- sichtigt, effizienter Klimaschutz findet nicht statt. Deutschland hat aktuell einen niedrigen CO2-Emissionshandels-Preis für Energie und Industrie und keinen CO2-Preis für Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Abbildung 8 Europäischer Emissionshandel (ETS) EU „Effort Sharing“-Regulierung → Energiewirtschaft → Verkehr (außer EU-Luftverkehr) CO2-Sektoren → Energieintensive Industrie → Gebäude Erfasste (u. a. Eisen-, Stahl-, Aluminium-, Zement-, → Übrige Industrie und Gewerbe Kalk-, Papier und Chemie-Industrie) → Landwirtschaft → EU-Luftverkehr ca. 50 % ca. 50 % 30 ~20 €/t CO2-Preis [ct/l] X CO2-Preis 20 10 (bisher keine direkte 0 CO2-Bepreisung in Deutschland) 2008 2010 2012 2014 2016 2018 EEX, DEHSt Agora Energiewende 18
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 2. Anforderungen an eine CO2-orientierte Abgab- enreform – und wie man sie am besten umsetzt 2.1 Grundlegende Kriterien: Die Instrumentenoptionen und ihre verschiedenen Klimaschutzwirkung, Aufkommen- Varianten sollen daher im Folgenden an diesen Krite- sneutralität, Wahrung der Wett- rien gemessen werden. bewerbsfähigkeit der Industrie, Bürokratiearmut 2.2 Grundlegende Instrumenten Eine CO2-orientierte Reform der Steuern, Abgaben optionen: Eine Einordnung und Umlagen auf Energie sollte mindestens die fol- genden vier Kriterien erfüllen, damit sie in Politik Grundsätzlich existieren verschiedene Möglichkei- und Gesellschaft auf Akzeptanz stößt: ten, eine stärkere CO2-Bepreisung unter Wahrung der →→ Klimaschutzwirkung: Die Hauptbegründung für oben aufgeführten Kriterien einzuführen. Die vier die CO2-orientierte Reform der Energiebesteue- meist genannten seien hier kurz abgewogen: rung ist der Klimaschutz. Daher sollte die Reform auch so ausgestaltet sein, dass sie effektiven →→ CO2-Steuer: Eine reine CO2-Steuer ist in Klimaschutz befördert. Deutschland derzeit ohne Verfassungsände- →→ Aufkommensneutralität: Eine stärkere CO2- rung nicht möglich.1 So postuliert das Urteil des Bepreisung darf nicht dazu führen, dass dem Staat Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 2017 anschließend insgesamt mehr Mittel zur Verfü- zur Kernbrennstoffsteuer, dass der Staat kein gung stehen. Vielmehr ist es aus Akzeptanzgrün- „Steuererfindungsrecht“ habe und keine neuen den zwingend erforderlich, dass die bei einer CO2- Steuerarten jenseits der im Grundgesetz festge- Bepreisung entstehenden Einnahmen rückverteilt haltenen Steuern einführen dürfe. Zugleich hat das werden – entweder auf direktem oder auf indirek- Urteil den Begriff der Verbrauchssteuer sehr eng tem Weg. definiert – demnach können nur Güter des ständi- →→ Wettbewerbsfähigkeit der Industrie: Eine stärkere gen privaten Bedarfs besteuert werden. Dies trifft CO2-Bepreisung in Deutschland darf nicht dazu auf CO2 nicht zu. Da eine Verfassungsänderung führen, dass dies zu gravierenden Wettbewerbs- einen sehr hohen politischen Aufwand erfordert, nachteilen der deutschen Industrie im internatio- scheidet diese Option zumindest vorerst aus. nalen Wettbewerb führt. Dies würde nicht zu einer →→ CO2-Abgabe: Alternativ könnte eine Sonderabgabe Senkung der Emissionen, sondern im Zweifel zum auf CO2 eingeführt werden. Auch wenn grundsätz- Carbon Leakage führen. Falls nötig, sind daher ent- lich hohe rechtliche Anforderungen für die Ein- sprechende Ausnahmeregelungen nötig. →→ Bürokratiearmut: Eine CO2-Orientierung der Steu- 1 Für die folgenden Ausführungen vgl. insbesondere Kahl/Simmel (2017): ern, Abgaben und Umlagen sollte mit möglichst Europa- und verfassungsrechtliche Spielräume einer CO2-Bepreisung in Deutschland, Würzburger Studien zum Umweltener-gierecht wenig zusätzlichem Verwaltungsaufwand verbun- Nr. 6; Weyer (2018): Rechtliche Bewertung einer CO2-orientierten den sein, damit Bürgerinnen, Bürger und Unter- Energie- und Strombesteuerung sowie einer Ausweitung der EEG- Umlage auf Verbraucher im Wärme- und Verkehrssektor, Anhänge nehmen für mehr Klimaschutz nicht mit zusätz- 6.3 und 6.4 in E-Bridge/ZEW/TU Clausthal, Neue Preismodelle für die lichen Bürokratieaufwendungen konfrontiert Energiewirtschaft, Gutachten im Auftrag von Agora Energiewende; sowie FÖS (2014): Umsetzung eines CO2-Mindestpreises in Deutschland. werden. Internationale Vorbilder und Möglichkeiten für die Ergänzung des Emissionshandels. 19
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr führung von Sonderabgaben gelten (unter anderem Energie eine stärkere CO2-Bepreisung umzuset- Verfolgung eines Sachzwecks, Gruppenhomoge- zen, ist eine CO2-orienterte Festlegung der Steu- nität, Finanzierungsverantwortung der betrof- ersätze der bereits existierenden Energiesteuern. fenen Gruppe, gruppennützige Verwendung der Hiergegen existieren keinerlei europarechtli- Einnahmen), so dürften diese im Falle einer CO2- che oder verfassungsrechtliche Hindernisse, eine Abgabe als erfüllt gelten. Nichtsdestotrotz ist die auf Umweltschutz basierende Begründung für Einführung einer neuen Abgabe nicht trivial und die Festsetzung der Steuern ist sogar nach der mit erheblichem Aufwand verbunden. Zudem ist EU-Energiesteuerrichtlinie explizit vorgesehen. es einer Sonderabgabe wesensfremd, aus Grün- Auch die Höhe der Stromsteuer kann auf Basis des den des internationalen Wettbewerbs Ausnahmen CO2-Intensitität der Stromerzeugung festgelegt für bestimmte Betriebe vorzusehen, wie sie derzeit werden, wobei eine parallele Erhebung zur Primä- etwa die strom- und energieintensive Industrie, renergiesteuer zulässig ist. die im internationalen Wettbewerb steht, erhalten. Auch wenn sich auch für dieses Problem sicherlich eine Lösung finden ließe (etwa durch ein steuerfi- 2.3 Eine CO2-orientierte Reform der nanziertes Rückerstattungsmodell), so stellt doch Energiesteuern ist das Mittel der die Einführung einer neuen Abgabe einen erhebli- Wahl chen bürokratischen Aufwand dar. →→ Energiewende-Umlage: Es wäre denkbar und Schon aus dem kurzen Vergleich im obigen Abschnitt wurde teilweise gefordert, eine einheitlich wird deutlich, dass eine CO2-orientierte Reform der Energiewendeumlage auf alle Energieträger (Strom, Energiesteuern das Mittel der Wahl ist. Mit Blick auf Heizöl, Erdgas, Benzin, Diesel) zu erheben und die unter 2.1 formulierten Kriterien bedeutet das im so die sektorübergreifende Energiewende auch Einzelnen: bei der Erhebung der für sie notwendigen Kos- ten umzusetzen. Da eine schlichte Ausweitung der 1. Klimaschutzwirkung: Um innerhalb des Emissi- EEG-Umlage auf die anderen Sektoren auf verfas- onshandels den CO2-Preis zu stützen, kann zusätz- sungsrechtlichen Bedenken stößt (die Gruppen- lich zum ETS-Preis eine Primärenergiesteuer auf nützigkeit ist nicht direkt gegeben), müsste diese für die Stromerzeugung verbrauchte fossile Ener- Option komplett neu und größer gedacht werden. gieträger erhoben werden, wobei der Steuersatz So müssten alle für die Energiewende relevanten entsprechend der CO2-Intensität des jeweiligen Ausgaben, sowohl im Strom- als auch im Wärme- Energieträgers bemessen wird. Dieses Modell hat und Verkehrssektor dann über einen gemeinsamen Großbritannien für seinen Carbon Price Support Finanzierungsmechanismus abgewickelt wer- gewählt. Um darüber hinaus eine stärkere CO2- den – und für die Refinanzierung dieser Aufgabe Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Gebäude würde dann eine Energiewendeumlage erhoben, einzuführen, können die aktuellen Steuersätze auf die verfassungsrechtlich sicherlich als Energie- Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas auf Basis ihrer wende-Sonderabgabe zu betrachten wäre. Letzt- spezifischen CO2-Emissionen neu festgelegt wer- lich entstünde auch in diesem Fall ein erhebli- den. Die Klimaschutzwirkung in beiden Fällen cher bürokratischer Aufwand, verbunden mit den hängt dann von den gewählten Steuersätzen ab. rechtlichen Risiken bei der Einführung einer ext- 2. Aufkommensneutralität: Die Einnahmen, die rem breit definierten Sonderabgabe. sich aus einer solchen CO2-orientierten Besteu- →→ CO2-orientierte Ausgestaltung der Energie erung erzielen lassen, können auf unterschied- steuern: Der einfachste Weg, im Rahmen einer liche Weisen an die Bürger zurückfließen. Auch Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf wenn für Steuern grundsätzlich keine Zweckbin- 20
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr dungen existieren, so lassen sich doch gleichzei- Reform des Energiesteuergesetzes kann zudem tig mit der Erhebung der CO2-orientierten Steuer schnell eingeführt werden – wie das Beispiel der Entlastungsprogramme im Umfang der erwar- Ökosteuerreform zeigt, die zum 1. April 1999, keine teten Einnahmen beschließen – so, wie 1999 bei sechs Monate nach der Bundestagswahl 1998, in der Einführung der Ökosteuerreform gleichzei- Kraft trat. tig auch der Steuerzuschuss zur Rentenversiche- rung in entsprechender Höhe beschlossen wurde. Will man die bestehenden Steuern, Abgaben und Eine einfache Möglichkeit ist dabei die Senkung Umlagen auf Energie in Richtung einer stärkeren des Strompreises, da alle Bürger gleichzeitig auch CO2-Bepreisung reformieren, ist der Weg über eine Stromverbraucher sind. Möglichkeiten sind hier Reform der bestehenden Energiesteuern daher der zum Beispiel die Reduktion der Stromsteuer auf Weg, mit dem alle eingangs genannten Prinzipien am das europäische Mindestniveau, ein Steuerzu- besten erfüllt werden. schuss zum EEG-Konto oder eine Steuerfinanzie- rung des KWK-Umlage-Mechanismus. Alterna- tiv sind direkte Rückverteilungen wie etwa in der Schweiz mit einem CO2-Bonus denkbar. Die Finan- zierung von Heizungsaustausch-Programmen sowie den Ersatz von Autos mit Verbrennungsmo- tor durch E-Pkw sind ebenfalls Möglichkeiten, die Einnahmen den Betroffenen direkt wieder zugute- kommen zu lassen. 3. Wettbewerbsfähigkeit der Industrie: Einschlägige Ausnahmeregelungen für energieintensive Indus- trien, die im internationalen Wettbewerb stehen, existieren bereits im Energie- und Stromsteuer- recht: So gelten für das produzierende Gewerbe reduzierte Steuersätze, zudem gibt es die Spitzen- ausgleichsregelung sowohl im Bereich der Energie- als auch der Stromsteuer. Sie schützt bereits heute besonders betroffene Betriebe sehr wirksam vor zu hohen Belastungen im internationalen Wettbewerb und würde auch bei höheren Steuersätzen komplett greifen. Zudem hat Großbritannien für seinen Car- bon-Price-Support-Mechanismus bereits mit der EU-Kommission eine Beihilferegelung im Sinne der CO2-Strompreiskompensation vereinbart, die bei einer CO2-orientierten Primärenergiesteuer in der Stromerzeugung ebenfalls zur Anwendung kommen könnte. 4. Bürokratiearmut: Alle im Bereich der Strom- und Energiesteuer notwendigen Verwaltungsverfahren sind eingeübte Praxis – sowohl bei den betroffe- nen Unternehmen als auch für die Finanzverwal- tung. Zusätzlicher Aufwand entsteht nicht. Eine 21
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 22
IMPULS | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr 3 Handlungsoptionen für eine stärkere und verlässlichere CO2-Bepreisung der Energie erzeugung im EU-Emissionshandel 3.1 Warum ein CO2-Mindestpreis trotz lender realer CO2-Knappheiten vor allem Zukunfts- der aktuellen ETS-Preise sinnvoll ist Politik-Erwartungen.4 Daher kann der CO2-Preis genauso schnell, wie er in den vergangenen Monaten Im April 2018 ist die jüngste Reform des EU-Emissi- gestiegen ist, im Falle zukünftiger wirtschaftlicher onshandels in Kraft getreten. Sie verknappt von 2021 oder politischer Schocks auch wieder fallen.5 an die Menge der ausgegebenen Zertifikate und hat einen Löschungsmechanismus innerhalb der Markts- Diese Unsicherheit führt dazu, dass der EU-Emis- tabilitätsreserve eingeführt, der einen Teil des Zertifi- sionshandel derzeit kein verlässliches Investitions- kate-Überschusses im EU-Emissionshandel (Emis- signal für CO2-arme oder CO2-freie Technologien sions Trading System, ETS) dauerhaft löschen wird.2 aussendet und somit eine seiner zentralen Aufgaben In der Folge ist der CO2-Preis, der in den vergangenen nicht erfüllt. Als Lösung bietet sich ein CO2-Mindest Jahren lange bei Preisen um 5 Euro pro Tonne CO2 ver- preis im EU-Emissionshandel an, wie er von der harrte, im Laufe des Jahres 2018 deutlich gestiegen, modernen umweltökonomischen Theorie propagiert und erreichte Preise von 25 Euro Anfang September wird. Denn ein ETS mit CO2-Mindestpreis verbindet 2018. Seither sank der Preis bis Anfang November auf die Vorteile beider möglichen CO2-Bepreisungssys- rund 15 Euro und stieg bis Mitte November 2018 wie- teme – CO2-Steuer und Emissionshandel – zu einem der auf etwa 20 Euro pro Tonne an. Hybridsystem, das einerseits das Preisniveau gegen Schocks absichert, andererseits das Umweltziel durch Dieses schnelle Auf und Ab beim CO2-Preis zeigt: Der das Cap vorgibt. In verschiedenen ETS-Systemen CO2-Preis wird derzeit nicht von Fundamentalda- (unter anderem Kalifornien, Quebec, US-Ostküsten- ten und einer daraus resultierenden Knappheit auf Staaten (RGGI)) existiert ein solcher CO2-Mindest- dem Emissionshandelsmarkt getrieben. Denn nach preis bereits.6 Innerhalb des EU-ETS wurde er von wie vor gibt es im ETS einen hohen Überschuss an Großbritannien im Jahr 2012 eingeführt und war der Zertifikaten – sowohl innerhalb als auch außerhalb entscheidende Faktor für die erhebliche Reduktion des Marktes. Aktuell beträgt der Marktüberschuss der britischen CO2-Emissionen in den vergangenen rund 1,5 Milliarden Zertifikate – und je nach Szena- Jahren. rio dauert es bis zum Jahr 2024 oder 2030, bis dieser Überschuss vollkommen abgebaut ist.3 Es ist daher plausibel, dass die aktuellen Preisentwicklungen spe- kulationsgetrieben und nicht zwangsläufig von Dauer 4 Vgl. Koch et al (2016): Politics matters: Regulatory events as catalysts sind. Treiber der Spekulation sind angesichts feh- for price formation under cap-and-trade, Journal of Environmental Economics and Management 8: 121–39. 5 Für eine gute Zusammenfassung dieser Argumentation vgl. Flachs-land 2 Für eine Zusammenfassung der ETS-Reform und ihrer Effekte vgl. Agora et al. (2018): Five myths about an EU ETS carbon price floor, MCC Policy Energiewende/Öko-Institut (2018): Vom Wasserbett zur Ba-dewanne. Brief. Die Auswirkungen der EU-Emissionshandelsreform 2018 auf CO₂-Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren. 6 Vgl. Edenhofer et al. (2017): Decarbonization and EU ETS Reform: Introducing a price floor to drive low-carbon investments, MCC Policy 3 Vgl. Agora Energiewende/Öko-Institut (2018), S. 19ff. Paper. 23
Agora Energiewende | Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr Der CO2-Mindestpreis (carbon floor price) gibt wirtschaftliche Planbarkeit und reduziert Risiken für Investitionen in Klimaschutztechnologien Abbildung 9 70 60 CO2-Preis [€/t] 50 40 40 Vorgeschlagener CO2-Mindestpreis (carbon price floor) 30 Ø 2008: Ø 2018: 22,3 €/t 15,0 €/t Falls CO2-Preis im ETS 20 unter CO2-Mindestpreis fällt: 20 carbon price support 10 0 2008 2010 2015 2018 2020 2025 2030 Agora Energiewende auf Basis EEX, DEHSt 3.2 Voraussetzung für einen europa- ser Klimaschutzabkommen über eine Verschärfung weiten CO2-Mindestpreis im EU-ETS des europäischen 2030-Klimaziels verhandelt werden wäre eine Richtlinienänderung wird. Setzt man für ein europäisches Gesetzgebungs- verfahren zwei Jahre Dauer an und berücksichtigt man Ein CO2-Mindestpreis im EU-ETS hätte den größten zudem, dass im Anschluss an das Inkrafttreten einer Effekt, würde er europaweit eingeführt. Die sinn- EU-Richtlinienänderung die Mitgliedstaaten eine vollste Variante der Einführung eines CO2-Mindest- Umsetzungsfrist von in der Regel 18 bis 24 Monaten preises ist dabei ein Auction Reserve Price, wie er im erhalten, so ist mit einem europaweiten CO2-Mindest- kalifornischen Emissionshandelssystem existiert. preis frühestens ab 2024/2025 zu rechnen. Dabei werden die CO2-Zertifikate nicht unter einem bestimmten Preis (beispielsweise 20 Euro pro Tonne CO2) versteigert. Ist bei einer Auktion die Nachfrage 3.3 Ein CO2-Mindestpreis für die Energie zu diesem Preis geringer als die ursprünglich vorge- erzeugung in Zentral-West-Europa sehene Auktionsmenge, so werden die nicht verstei- ist kurzfristig möglich gerten Zertifikate gelöscht. Dadurch wird sicher- gestellt, dass Zertifikate-Überschüsse nicht in die Will man nicht auf eine europaweite Lösung war- Zukunft transferiert werden. ten, kann Deutschland eigenständig einen CO2-Min- destpreis einführen. Großbritannien ist hierfür Für die Einführung eines solchen Auction Reserve das Vorbild, als es 2013 einen Carbon Price Support Price müsste die EU-Emissionshandelsrichtlinie Mechanism einführte: eine am CO2-Gehalt orien- im Rahmen eines europäischen Gesetzgebungsver- tierte Primärenergiesteuer für die Stromerzeugung, fahrens geändert werden. Eine erneuter Vorstoß für die zusätzlich zum ETS-Preis erhoben wird. Die Höhe eine Änderung der EU-Emissionshandelsrichtlinie dieser Steuer beträgt derzeit 18 Britische Pfund (etwa ist jedoch frühestens nach 2020 realistisch, wenn im 20 Euro je Tonne CO2). Rahmen der internationalen Verhandlungen zum Pari- 24
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