Hermann Bietzker - eine politische Biographie 1896 1968 - Jürgen Bellers Hist. Ranke - Verlag Velbert 2013
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Forschungsstelle: Zurück zu den Akten Prof. Dr. Jürgen Bellers, Universität Siegen. Siegen 2013 Hermann Bietzker - eine politische Biographie 1896 – 1968 Jürgen Bellers Hist. Ranke - Verlag Velbert 2013
Bietzker, eine politische Biographie
Hist. Ranke – Verlag Velbert 2013 Alle Rechte vorbehalten.
Vorbemerkung Unsere heutige Diskussion in Deutschland (nicht in anderen Staaten) über die NPD z.B. oder über die Zeit des Nationalsozialismus ist durch ein fundamentales Unverständnis von politischer Geschichte und von den Personen gekennzeichnet, die Geschichte gestalten, nämlich der Vorstellung, man könne bestimmte Merkmale von geschichtlich handelnden Personen herauspicken (z.B. das sie national dachte) und sie dann von daher mitverantwortlich und sogar haftbar zu machen für das, was andere unter Mißbrauch des nationalen Gedankens getan haben. Aber Verantwortung und Schuld setzt immer eine Ursachebeziehung zwischen Gedanke/Tat und Straftat voraus, die oft gar nicht gegeben ist. Beisiel: Ein guter Bürger und Demokrat meint, dass es wichtig ist, die nationalen Interessen Deutschlands in der EU zu beachten (was ja legitim ist). „Wissenschaftler“ sagen nun: die NPD ist auch national, also ist der gute Bürger latent faschistisch. Die Zeitungsschlagzeile heißt dann: „Die NPD ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, was natürlich falsch ist. Ähnlich ist die Argumentation mancher Historiker: Mitglied der NSDAP, also verantwortlich für den Völkermord an den Juden. Das ist auch falsch. Letztlich ist das eine Revitalisierung der unseligen Kollektivschuldthese. Aber Kollektive können nicht schuld sein, nur einzelne Menschen. Denn man muß schon die gesamte Persönlichkeit in ihrer Zeit und in ihrer Entwicklung betrachten, um zu einem gerechten Bild zu kommen. Das soll hier methodisch und exemplarisch erfolgen, auch, indem man sich Akten insgeamt anschaut, wie sie hier im Anhang erstmalig aus dem Privatarchiv Gathmann veröffentlicht werden. Wir wollen so die Diskussion versachlichen.
DIE BIOGRAPHIE Hermann Bietzker wuchs in einer Zeit um 1900 auf, die allgemein von Nationalismus und Imperialismus geprägt war, in allen europäischen Staaten und auch in der deutschen Sozialdemokratie, die 1914 im Reichstag den Kriegskrediten zur Finanzierung des Krieges zustimmte und insgesamt den Krieg mittrug. Bietzker kämpfte im Krieg und trug dessen nicht erwartete und lange Leiden mit im nationalen Geiste. Was ihn dann aber politisierte und nachvollziehbar radikalisierte, war nicht nur der Verlust des Krieges für Deutschland, sondern vor allem die Zuweisung der Alleinschuld an dessen Ausbruch auf das deutsche Konto durch den Versailler Vertrag, was alle deutschen Parteien der Weimarer Republik und mittlerweile auch wieder die internationale Geschichtswissenschaft ablehnt. Das wurde generell als entehrend empfunden, weil es nicht stimmte und weil die These zur Amputation von Territorien vom Deutschen Reich führte. Anfang der 20er Jahre kämpfte daher Bietzker zusammen mit Freikorps in Schlesien, wo sich Polen deutsche Gebiete aneignen wollten und wo später die im Versailler Vertrag vorgesehenen Volksabstimmungen (über die nationale Zugehörigkeit von Gebieten) durch den Völkerbund nicht korrekt durchgeführt wurden. Dazu kam, dass der Versailler Vertrag nicht genau bestimmte und nicht nach ob gedeckelte Reparationenszahlungen Deutschland auferlegte. Das erregte die deutsche Öffentlichkeit, und auch Bietzker, der daraus die Konsequenz zog, als frühes Mitglied der NSDAP beizutreten – noch vor der französischen Ruhrbesetzung 1923, ohne zu wissen, auf was er sich da einließ. Die anderen Parteien kamen kaum in Frage, die konservativ-nationale DNVP nicht, weil sie evangelisch geprägt war (Bietzker war katholisch); und die anderen nicht, weil sie sich in demütigende Verhandlungen mit den Franzosen einließen („Erfüllungspolitik“), die immer mehr Kriegsreparationen forderten. Rassisch dachte er nicht - allein wegen seines Katholizismus, der ihn stets moralisch bremste, zumal auch angesichts der Tatsache, dass seine Urgroßmutter gebürtige Samoanerin war und er damit nicht „reinrassig“ war. Er dachte national, nicht imperialistisch, aber die Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages sollten behoben werden, wie das auch die britische Regierung Chamberlain der 1930er Jahre sah. Er glaubte als Beamter an Gesetz und Rechtsstaatlichkeit, weshalb er auch in große Distanz zu den Nazis nach der Machtergreifung kommen sollte, als er sich in einem Zeitungsartikel 1934 zur Legalität bekannte - in einer Zeit, als Hitler
SA-Führer Führer willkürlich erschießen ließ und der Nazi-Jurist Nazi Jurist Schmitt schrieb: „Der Führer bestimmt das Recht.“ Als Postbeamter wurde er auch in den Ruhrkonflikt verwickelt, als Franzosen 1923 das Ruhrgebiet besetzten, um sich angeblich nicht gelieferte Reparationen selbst und militärisch zu holen. In diesem Kampf gegen die Besetzung war er als Postmann, der über telephonische Leitungen verfügte, an Sabotageakten beteiligt, eteiligt, und zwar gemäß den Anweisungen der Reichsregierung Cuno. Es war faktisch Krieg. In der Zeit danach wurde er in Arnsberg ansässig, beschäftigt bei der Post, und gründete dort die NSDAP, zusammen mit dem Schlachthofdirektor, die Partei war in Arnsberg eher bürgerlich, und auch legalistisch, denn Hitler war auf diesen Kurs nach seiner Gefängnishaft eingeschwenkt und gab sich weitgehend ein bürgerliches Mäntelchen. geschichteinchronlogie.de
preussen-chronik.de: chronik.de: Hitler und v. Hindenburg 1933 1926 wurde Bietzker nach Berlin versetzt, wo er dann 1933 die „Machtübernahme“ erleben mußte. Das entsetzte ihn, und er hatte den Eindruck, als würde eine korrupte Bande von Klein- Klein und Großkriminellen mit gewaltsamen Maßnahmen den Staat erobern. Zunächst Zunächst glaubte er noch, dass Hitler das nicht wollte oder wußte. Aber spätestens 1934 wußte er, dass dem nicht so war. Seitdem war sein steter Spruch – in der Familie und unter Freunden (mehr war in der Diktatur nicht möglich): „Das wird schlimm enden!“ - eine sehr frühe und dennoch leider richtige Erkenntnis. 1934 wieder in Arnsberg, distanzierte er sich immer mehr von den Nazis, schickte seine Kinder nicht in die HJ, pflegte bewußt einen guten Umgang mit Juden, die Kinder gingen vielmehr offen zu einem jüdischen Lehrer, er warnte die katholische Kirche vor Ort, den Probst, dass die Telephonleitungen abgehört würden; und dass er Briefe nicht öffnete, war ihm selbstverständlich. Die Zeitungsbilder über KZs machten ihn tief traurig, erschütterten ihn. Und den d Gottesdienst besuchte er nun nahezu ostentativ. Das wurde durchaus wahrgenommen und für Beamte nicht ungefährlich, so dass der unter den Nazis notwendig Nachweis der arischen Abstammung wegen der Uromma aus Samoa verzögert wurde. Bietzker wollte in dieser dieser Zeit sogar nach Afrika auswandern. Dass dies ernst gemeint war, zeigt, dass er nach seiner Pensionierung in den 60ern aus Enttäuschung über Deutschland nach Lappland auswanderte. Wegen dieses Verhaltens, was auch breit bestätigt wurde, wurde wurde er 1945 vom britischen Entnazifizierungsauschuß als „nicht belastet“ eingestuft (Gruppe 5),
obwohl er „Alter Kämpfer“ war. Das wußte der britische Besatzungsoffizier, und er hatte genügend politisches Verständnis, Bietzker richtig einzuordnen. Das hatten die chronisch unpolitischen oder rachsüchtigen oder neidischen Kollegen von Bietzker in der Post nicht. Sie zahlten ihm jahrelang nicht das Gehalt aus und degradierten ihn wegen seiner angeblichen Kooperation mit den Nazis, um an seine Postvorsteherstelle zu kommen, obwohl Juden und seine Qualifikationen für Bietzker sprachen. Erst nach langem Hin und Her wurde er wieder eingestellt. Er starb – wie gesagt – 1968 nach einem Exil in Lappland, verkannt und enttäuscht über sein Deutschland, das er liebte, aber das ihn verraten hat.
Anhang Nach Wikipedia beurteilt die heutige Forschung das erste NSDAP-Programm wie folgt: Die geschichtswissenschaftliche Forschung weist darauf hin, dass das Programm diverse Parolen ganz unterschiedlicher Herkunft vereinigte, namentlich aus antikapitalistischen, antisemitischen und nationalistischen Quellen sowie mittelständisch orientierte Einzelforderungen. Diese intellektuell schlichten, disparaten Elemente würden durch das Partei-Schlagwort „Nationaler Sozialismus“ nur unzureichend zusammengehalten. In den wirtschaftlichen Forderungen mit seinen Bezügen auf Kriegsgewinnler, Wucherer und Schieber sieht Avraham Barkai Elemente, die für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg typisch seien; auch gebe es verschiedene Konzessionen an den revolutionären Zeitgeist wie die Forderungen nach Verstaatlichung, Gewinnbeteiligungen, Enteignungen von Grund und Boden. Mittelständische Forderungen, wie die zu den Warenhäusern und den öffentlichen Aufträgen hätten der sozialen Herkunft von Parteigründern und -basis entsprochen. Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann streicht heraus, dass die zentrale Forderung „Brechung der Zinsknechtschaft“ auf ein Verbot aller Bankgeschäfte hinauslaufe – eine Maßnahme, die in einem modernen Industriestaat wie Deutschland „schlichtweg unsinnig“ sei. Die erklärte Feindschaft der Partei gegen das Kreditwesen zeige sich nach Ansicht des Historikers Malte Zierenberg auch in der Forderung nach Todesstrafe für Wucherer und Schieber. Dass dies explizit unabhängig von deren „Rasse und Konfession“ gelten solle, zeigt, dass die NSDAP hier nicht nur ihrem Antisemitismus folgte, sondern an ein Stimmungsmuster anknüpfte, das in den Wirren der Nachkriegszeit verbreitet war. Wippermann beurteilt auch die in Punkt 10 geforderte „Pflicht jedes Staatsbürgers […], geistig oder körperlich zu schaffen“ als wenig realitätstauglich, ebenso die Ersetzung des Römischen Rechts durch ein „deutsches Gemeinrecht“: Weder werde gesagt, worin dieses bestehen könne, noch, inwieweit jenes noch Gültigkeit hatte. Ganz klar sei das Programm in seinen antisemitischen und rassistischen Passagen: Punkt 21, der forderte, die „körperliche Ertüchtigung“ mittels staatlicher Gesetzgebung zu heben, meine nicht nur die zwangsweise Förderung des Breitensports, sondern die rassistische Reinigung und Höherzüchtung des deutschen Volkskörpers, die Hitler später in Mein Kampf ausführlicher beschrieb. Die wirtschaftlichen Forderungen des Programms werden von einigen Historikern für „sozialistisch“ gehalten. Laut dem Wirtschafts- und Sozialhistoriker Friedrich-Wilhelm Henning stimmte das Programm in sechs Punkten mit denen marxistischer Parteien überein, während es mit den
Programmen der national ausgerichteten Parteien der Mitte und der Rechten nur die Forderung nach Kolonien gemeinsam habe. Ernst Nolte und Henry A. Turner gehen dagegen davon aus, dass die sozialistischen Forderungen im Programm für Hitler von vornherein „nur demagogischer Natur“ gewesen seien.
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