Energiewende unter Strom - Durch Elektrifizierung zur Dekarbonisierung
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DEKARBONISIERUNG – POLITIK Energiewende unter Strom – Durch Elektrifizierung zur Dekarbonisierung Thomas Vahlenkamp, Ingmar Ritzenhofen, Gerke Gersema, Konrad Bauer, Niklas Beckmann und Fabian Stockhausen Neueste Studien zeigen, dass eine sektorübergreifende Elektrifizierung gepaart mit Effizienzsteigerungen die Treibhausgas- emissionen um 95 % senken kann. Der Veränderungsbedarf hierfür ist besonders hoch im Verkehrssektor, aber auch bei Gebäuden und in der Industrie sind Anpassungen erforderlich. Um das Ziel zu erreichen, braucht es mutige Weichenstellungen aus der Politik – mutigere als heute. Denn die aktuellen Ergebnisse aus dem Energiewende-Index Deutschland 2020 zeigen, dass die Zeit drängt. Aus Emissionssicht war 2018 ein gutes Jahr – auf den ersten Blick. Die milden Wintertemperaturen und der Rekordsommer bewirkten, dass 50 Millionen Tonnen (Mt) weniger Treibhausgase ausgestoßen wurden als im Jahr zuvor – vor allem Dank des ge- ringeren Energieverbrauchs. Dennoch bleibt die CO2e-Bilanz insgesamt ernüchternd: Die jüngsten Zahlen aus dem Energiewende- Index zeigen: Deutschland ist mit aktuell 854 Mt CO2e-Ausstoß im Jahr mehr als 100 Mt von seinem 2020er- Ziel entfernt und fast 300 Mt von seinem Ziel für 2030. Deutsch- land bewegt sich damit im europäischen Mittelfeld. Seit den 1990er Jahren konnten die CO2e-Emissionen hierzulande zwar um 25,9 % reduziert werden; Großbritannien kommt im gleichen Zeitraum jedoch auf 36,4 %, Polen allerdings nur auf 15 %. Die in der deutschen Energiewende angestrebten Hauptgrund für den Emissionsrückgang im Stromerzeugungssektor ist die Umstellung auf erneuer- bare Energien Bild: Adobe Stock Fernziele jedoch – Reduktion um 55 % bis 2030 und möglichst vollständig bis 2050 – werden auf diesem Pfad absehbar nicht er- Energiewende-Index en Daten vor. Somit verbleibt der Indikator reicht. Deutschland: die Indika- „Arbeitsplätze in erneuerbaren Energien“ in toren im Überblick der Kategorie „realistisch“. Für „Kosten für Beim Emissionsrückgang der vergangenen Netzeingriffe“ gilt die Zielerreichung weiter- Jahre fällt eines auf: Der Stromsektor konnte Der Energiewende-Index mit seinen 14 In- hin als „unrealistisch“. Der Indikator „Sektor- seinen Kohlendioxidausstoß stärker reduzie- dikatoren hat sich seit der letzten Erhebung kopplung“ bleibt mangels klar formulierter ren als die Sektoren Gebäude/Wärme und im Herbst 2018 nicht verbessert: Weiterhin übergeordneter Ziele bislang ohne quantita- Verkehr. Hauptgrund hierfür ist die Um- sind nur sechs Indikatoren in ihrer Zieler- tive Bewertung. stellung auf erneuerbare Energien bei der reichung als „realistisch“ eingestuft. Die Stromerzeugung. Bietet Elektrifizierung mög- Zahl der Indikatoren mit „unrealistischer“ Veränderung bei Indikatoren mit licherweise die Chance, die CO2e-Reduktion Zielerreichung liegt unverändert bei sieben. „realistischer“ Zielerreichung auch bei Verkehr, Gebäuden und Industrie Allerdings haben sich 11 Indikatoren im voranzutreiben? Eine neue Untersuchung des Detail durchaus verändert– sieben haben ■■ Annäherung der Industriestrompreise in Wirtschaftsverbandes Eurelectric basierend sich verbessert, vier verschlechtert. Für den Richtung EU-Level: Während das Preisniveau auf Analysen von McKinsey legt dies nahe. Indikator „Interkonnektorkapazität“ liegen für Strom auf EU-Ebene fast unverändert Demzufolge kann mit einer Elektrifizierung keine neuen Zahlen vor; er verbleibt deswe- blieb, sanken die Strompreise für Industrie- von 60 % EU-weit eine Dekarbonisierung von gen in der Kategorie „leichter Anpassungs- kunden in Deutschland um weitere 3 %. Mit 95 % erreicht werden. Was aber muss in den bedarf“. jetzt 8,6 ct/kWh liegen sie nur noch 5,1 % Sektoren geschehen, um diese Effekte zu er- über dem europäischen Schnitt und damit zielen, und welche Weichenstellungen wären Für zwei weitere Kennzahlen lagen zum unter dem Startwert im Index von 8,5 %, der hierfür notwendig? Zeitpunkt der Indizierung noch keine neu- die durchschnittliche Abweichung in den 10 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 3
DEKARBONISIERUNG – POLITIK Jahren 2008 bis 2010 abbildete. Eine erneute Verschlechterung droht dem Indikator aller- dings durch weiter steigende Netzentgelte und Börsenstrompreise (Abb. 1). ■■ Erneuter Anstieg der Arbeitsplätze in stromintensiven Industrien: Seit 2016 steigt die Anzahl der Beschäftigten in diesem Sektor stetig. Im zweiten Quartal 2018 lag sie um mehr als 34.000 höher als ein Jahr zuvor. Dadurch verbessert sich der Indi- kator weiter und liegt mit jetzt 135 % klar über seinem Startwert von rund 1,6 Mio. Beschäftigten. ■■ Stromerzeugung aus Erneuerbaren auf Rekordhoch: Vergangenes Jahr ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromer- zeugung nach ersten Schätzungen des Think Tanks Agora Energiewende um weitere zwei Prozentpunkte gestiegen und erreicht mit 38,2 % ein neues Rekordhoch. Damit eilt Abb. 1 Wirtschaftlichkeit, Wertung H1 2018 und H2 2018 Deutschland dem gesetzten Ausbaukorridor weiter voraus (Abb. 2). ■■ Mehr Ausfälle in der Stromversorgung: Der leichte Anstieg der Stromausfälle 2017 einen Wert von 66 % und muss – wie seit Be- Witterung auch die leicht gesunkene Nach- ist vor allem im Niederspannungsnetz aus- ginn der Indexerhebung – als „unrealistisch“ frage aus energieintensiven Industrien. Da- zumachen und hauptsächlich durch Extrem- eingestuft werden. Von einer grundlegenden durch verbessert sich der Indikator sichtlich, wetterereignisse verursacht worden. Ein Trendwende kann keine Rede sein. ist aber weiterhin „unrealistisch“ in seiner Zusammenhang mit dem hohen Anteil der ■■ Deutlich geringerer Primärenergiever- Zielerreichung. Da die Verbesserung auch Erneuerbaren konnte nicht festgestellt wer- brauch: Gegenüber 2017 ist der Primärener- hier größtenteils auf den ungewöhnlich ho- den. Mit zuletzt 15,1 Minuten Stromausfall gieverbrauch nach ersten Schätzungen um hen Temperaturen des Jahres 2018 beruht, nimmt Deutschland im Europavergleich bei 4,8 % gesunken und hat damit wesentlich zur ist der Abwärtstrend voraussichtlich nicht der Versorgungssicherheit nach wie vor verbesserten CO2e-Bilanz des Jahres 2018 nachhaltig und könnte sich in einem kalten einen Spitzenplatz ein (Abb. 3). beigetragen. Ursache ist neben der milden Jahr wieder umkehren. ■■ Gesicherte Reservemarge weiterhin über Plan: Die gesicherte Reservemarge deut- scher Kraftwerke bewegt sich mit 4,7 % weiter auf einem hohen Niveau und ver- zeichnet damit in der Zielerreichung einen erneuten Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 331 % auf 362 %. Veränderung bei Indikatoren mit „unrealistischer“ Zielerreichung ■■ CO2e-Emissionen vorübergehend gesun- ken: Der lange Sommer 2018 und die mil- de Wintersaison haben sich positiv auf die Emissionsbilanz ausgewirkt. Durch den wit- terungsbedingt deutlich geringeren Primär- energieverbrauch ist der CO2e-Ausstoß um 5,6 % gesunken. Das entspricht einer Ein- sparung von ca. 50 Mt CO2e gegenüber 2017. Mit aktuell geschätzten 854 Mt CO2e pro Jahr ist man jedoch noch weit von der Zielmarke Abb. 2 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H1 2018 und H2 2018 von 750 Mt CO2e für 2020 und 563 Mt CO2e für 2030 entfernt. Der Indikator erreicht ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 3 11
DEKARBONISIERUNG – POLITIK ■■ Stromverbrauch unverändert: Der Brut- abzuwarten, ob sich das Bautempo nach den Dieser Trend wird sich aus zwei Gründen tostromverbrauch liegt gegenüber dem Ankündigungen von Bundeswirtschafts- fortsetzen. Zum einen wegen der weiter Vorjahr nahezu unverändert bei rund 600 minister Peter Altmaier erhöhen wird. Alt- fallenden Kosten der Erneuerbaren: Ein- TWh. Der Indikator steht bei 31 % Zielerrei- maier hatte im August 2018 einen „Aktions- schlägige Institutionen wie Bloomberg chung und verbleibt damit bis auf Weiteres plan Stromnetz“ vorgelegt, der vorsieht, den New Energy Finance und auch die für in der Kategorie „unrealistisch“. Netzausbau durch besseres Monitoring, eher konservative Abschätzungen bekann- ■■ Haushaltsstrompreise europaweit gestie- beschleunigte Planungsverfahren sowie die te International Energy Agency rechnen gen: Sowohl in Europa als auch in Deutsch- Schaffung ökonomischer Anreize für die bis 2040 mit etwa 2 bis 4 % pro Jahr. Zum land sind die Haushaltsstrompreise angezo- Netzbetreiber zu beschleunigen. anderen aufgrund ambitionierter Ziele für gen. Da jedoch das EU-Preisniveau stärker den weiteren Ausbau der Erneuerbaren: Bis gestiegen ist als in Deutschland, verbessert Stromsektor als Motor 2050 sollen sie 80 % der deutschen Strom- sich der Indikator leicht, verbleibt aber der Dekarbonisierung versorgung decken – im Gegenzug zum trotzdem mit einer Differenz von 38,3 % in Ausstieg aus der Kohleverstromung. Eine der Kategorie „unrealistisch“. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien vergleichbare Perspektive auf die künfti- ■■ EEG-Umlage leicht rückläufig: Steigen- und die Abschaltung älterer konventio- ge Emissionsfreiheit von Öl und Gas, den de Börsenstrompreise und erhöhter Wett- neller Kraftwerke hat der deutsche Strom- zentralen Energieträgern im Verkehrs- und bewerb bei EEG-geförderten Neuanlagen sektor seine CO2e-Emissionen seit 1990 Gebäudesektor, gibt es derzeit nicht. haben zu einer leichten Absenkung der überproportional zu anderen Sektoren sen- EEG-Umlage für 2019 geführt. Insgesamt ken können, nämlich um 29,2 %. Über alle Elektrifizierung weiterer verharrt die Umlage seit 2014 auf einem Sektoren hinweg reduzierten sich die Treib- Sektoren als Chance Niveau von knapp unter 7 ct/kWh , während hausgasemissionen lediglich um 25,9 %. die geförderte Strommenge im gleichen Hauptursächlich für die gute Emissions- Aufgrund seiner besseren Emissionsbilanz Zeitraum um 50 % gestiegen ist. Alles in bilanz des Stromsektors war der Ausbau ist der Stromsektor nicht nur zum Fokusthe- allem bleibt der Indikator in seiner Zieler- der Erneuerbaren, unterstützt durch den ma der Energiewende geworden – er könnte reichung „unrealistisch“. EU-Emissionshandel. Hinzu kommt, dass auch zur treibenden Kraft für eine stärkere ■■ Stark verzögerter Ausbau der Transport- die Kosten für die Erzeugung aus Erneu- CO2e-Reduktion in anderen Sektoren werden. netze: Mit nur 49 km Neutrassen in sechs erbaren seit 2010 massiv gefallen sind Die Analysen, die McKinsey im Rahmen Monaten vollzieht sich der Netzausbau (Onshore Wind: -58 %, Offshore Wind: der Eurelectric-Studie „Decarbonisation path- weiterhin schleppend. Von den in den Aus- -38 %, Solar PV: -83 %). Damit ist der tech- ways“ durchgeführt hat, zeigen, wie hoch bauplänen von EnLAG und BBPIG vorgese- nologische und ökonomische Weg für eine das Dekarbonisierungspotenzial durch Elek- henen 3.582 km bis 2020 sind insgesamt emissionsarme Erzeugung des Energie- trifizierung ist. Ausgangsfrage der Unter- erst 961 km fertiggestellt. Das entspricht trägers Strom geebnet. suchung war, wie der Stromsektor die Dekar- 35 % des aktuellen Zielwerts. Es bleibt bonisierung in Europa unterstützen kann. In drei Elektrifizierungsszenarien, die für das Jahr 2050 im EU-Raum entworfen wurden, geht die Studie in den wichtigsten energiever- brauchenden Sektoren Transport/Verkehr, Gebäude/Wärme und Industrie von einer Dekarbonisierung von 80, 90 und 95 % aus. Dies setzt allerdings eine drastisch höhere Elektrifizierungsrate des Energieverbrauchs in allen Sektoren voraus. Diese beträgt der- zeit (Stand 2017) gerade einmal 22 % – 2 % im Verkehrssektor, 33 % im Gebäudesektor und 34 % im Industriesektor – hier schlum- mert noch erhebliches Potenzial. Um die CO2e-Emissionen bis 2050 um 95 % zu sen- ken, müsste sich die Elektrifizierung auf 60 % erhöhen, gepaart mit einer weiteren Steigerung der Energieeffizienz und indi- rekten Effekten aus der Elektrifizierung. Eine Reduzierung des CO2e-Ausstoßes um 80 % erfordert immer noch eine Steigerung Abb. 3 Versorgungssicherheit, Wertung H1 2018 und H2 2018 der Elektrifizierungsrate auf 38 %. Getrieben würde die Entwicklung der Analyse zufolge 12 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 3
DEKARBONISIERUNG – POLITIK in erster Linie vom Verkehrssektor, der im Was jetzt geschehen anderen Ländern wie etwa Polen wieder- Zuge wachsender E-Mobilität den größten muss um erscheint bereits die Zielsetzung wenig Beitrag liefern würde (Abb. 4). ambitioniert, wenn weiterhin Vorschläge Die in den Szenarien formulierten Ziele sind diskutiert werden, bei denen die Stromer- Eine stärkere Elektrifizierung der einzelnen nur erreichbar, wenn geeignete Rahmenbe- zeugung aus Kohle auch in 2030 noch mehr Wirtschaftszweige verbessert nicht nur die dingungen diese Entwicklung unterstützen. als 60 % der Gesamterzeugung ausmachen Emissionsbilanzen in den Sektoren selbst; Erforderlich ist zunächst eine Fortsetzung soll. Um jedoch stärkere Investitionen in sie senkt auch den CO2e-Ausstoß insgesamt. des Ausbaus der erneuerbaren Energien in die Emissionssenkung anzuregen, ist die Daher liegt den von Eurelectric entworfe- mindestens der gleichen Geschwindigkeit gemeinschaftliche Formulierung eben- nen Szenarien eine ambitionierte Annahme wie bisher, flankiert von weiter sinkenden so ehrgeiziger wie belastbarer CO2e-Ziele zur Steigerung der Energieeffizienz von Kosten für die Erneuerbaren und einer Be- unumgänglich, verbunden mit klaren po- 2,0 % bis 2,8 % pro Jahr zugrunde. Ein grenzung der Gesamtsystemkosten für ihre litischen und regulatorischen Vorgaben. Drittel davon ist getrieben von der höheren Aufnahme in die Stromversorgung (z.B. bei Darüber hinaus brauchen alle Länder einen Effizienz der elektrischen Anlagen. Zum Netzeingriffen). Analog dazu muss auch der marktbasierten Rahmen, der es ermöglicht, Beispiel benötigen elektrische Antriebe von (in Teilen bereits geplante und begonnene) dass sich die günstigsten Lösungen zur E-Autos im Vergleich zu konventionellen Ausbau der Transportnetze vorangetrieben Emissionssenkung im Wettbewerb durch- lediglich ein Drittel bis ein Viertel der werden, um einen Ausgleich zwischen Nach- setzen. Denkbare Maßnahmen hierzu Energie. Zusätzlich profitieren alle von den frage- und Erzeugungszentren zu schaffen. wären technologieneutrale Auktionen für weiter sinkenden Emissionen der Stromer- Darüber hinaus braucht es einige grund- Erneuerbare oder – noch effizienter – eine zeugung. legende Weichenstellungen in der Energie- umfassend angelegte, angemessene CO2e- politik, die sowohl auf europäischer als auch Bepreisung. Beide Effekte können auf die Dauer zu auf nationaler Ebene vorzunehmen sind: deutlichen CO2e-Einsparungen führen. So Flexible Erzeugung und verursacht ein E-Auto, das mit dem durch- Verständigung über CO2e-Ziele Nachfragemanagement schnittlichen europäischen Strommix 2018 geladen wird, ca. 50 g CO2e-Emissionen pro Vor dem Hintergrund der immer schwerer Um den Ausbau der erneuerbaren Energien gefahrenem Kilometer (km). Der durch- zu erreichenden Klimaschutzziele und des und die weitere Elektrifizierung voranzu- schnittliche CO2e -Ausstoß von EU-Neu- Verlustes der deutschen Vorreiterstellung treiben, ist es erforderlich, dass ausreichend wagen hingegen betrug 2017 noch 118,5 g beim Klimaschutz ist es jetzt dringend ge- flexible Erzeugung vorgehalten wird. Länder pro km. Jeder elektrisch angetriebene Neu- boten, das Emissionsproblem europaweit wie Schweden oder Norwegen können dabei wagen hat nach dieser Rechnung bereits koordiniert anzugehen. Gefordert ist eine traditionell auf die flexible und CO2e-arme heute ca. 60 % weniger Emissionen als ein länderübergreifende Verständigung über Erzeugung aus Pumpspeicherkraftwerken neuer Verbrenner – und seine Emissions- die CO2e-Ziele und deren Umsetzung. Davon zurückgreifen. Regionen mit eingeschränk- bilanz verbessert sich im Laufe der Fahr- sind die EU-Mitglieder bislang weit entfernt. tem Zugang zur Wasserkraft hingegen – wie zeugnutzung durch die fortschreitende In Deutschland sind die Emissionsziele ver- Deutschland oder das Vereinigte König- Dekarbonisierung der Stromerzeugung gleichsweise klar formuliert, doch mangelt reich – müssen ihre Energieerzeugung über kontinuierlich weiter. es an ihrer konsequenten Verfolgung. In flexible konventionelle Kraftwerke, Speicher- lösungen oder eine Flexibilisierung der Nachfrage sicherstellen. Die Bereitstellung von Flexibilität auf der Erzeugungs- wie auf der Verbrauchsseite steht somit besonders im Fokus. Auch diese Aufgabe wird mit Technologieoffenheit am effizientesten zu lösen sein. Stärkung der Verteilnetze Wie in früheren Veröffentlichungen bereits dargelegt, werden sich einige zentrale Pro- bleme auf Verteilnetzebene ergeben. Bereits ein E-Fahrzeuganteil von 25 % kann zu einem Anstieg der Spitzenlast in Verteilnetzen von 30 % führen, wenn der Ausbau der Infra- struktur und die Taktung der Ladevorgänge Abb.4 Direkte Elektrifizierungsraten nach Szenarien nicht koordiniert werden. Fortgeschrittene Regionen und Städte mit hoher E-Mobilitäts- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 3 13
DEKARBONISIERUNG – POLITIK quote wie z.B. Oslo stehen bereits heute vor dies entspricht 0,65 % des europäischen BIP. Energiewende“ gestaltet sich aufgrund zahl- dieser besonderen Herausforderung. Zum Vergleich: Aktuell werden pro Jahr rund reicher Abhängigkeiten komplex, sollte aber 55 Mrd. € in Erneuerbare und mehr als 30 wegen der langen Investitionszyklen bereits „Elektrifizierte Energiewende“ Mrd. € in Stromnetze investiert. Umgerechnet heute eingeleitet werden. schon heute einleiten könnte somit die in den Szenarien angepeilte CO2e-Reduktion zu Kosten von 18 bis 65 €/t Dr. T. Vahlenkamp, Senior Partner, McKinsey Damit die Elektrifizierung im beschriebenen realisiert werden. Dies entspricht, wenn man & Company, Düsseldorf; Dr. I. Ritzenhofen, Umfang gelingt, ist enge Zusammenarbeit einmal von teuren Technologien wie CCS Associate Partner, McKinsey & Company, gefragt – nicht nur im Bereich Verkehr. Im (Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung) Köln; Dr. G. Gersema, Engagement Mana- Gebäudesektor zum Beispiel könnten inte- absieht, zumindest am unteren Ende der Kos- ger, McKinsey & Company, Berlin; K. Bauer, grierte Lösungen aus Solaranlagen zur Strom- tenspanne in etwa dem aktuellen CO2-Preis. Senior Expert, McKinsey & Company, erzeugung, kombiniert mit Wärmepumpen Stuttgart; N. Beckmann, Junior Research im Heizbereich, einen substanziellen Beitrag Die geforderten Investitionen stellen für die Analyst, McKinsey & Company, Düsseldorf; zur CO2e-Reduktion leisten. Und auch in der europäische Wirtschaft zweifellos einen Kraft- F. Stockhausen, Research Analyst, McKinsey Industrie lassen sich Emissionen spürbar sen- akt dar. Es scheint allerdings, dass die sektor- & Company, Düsseldorf ken, etwa im Zement- und Ethylen-Sektor. übergreifende Elektrifizierung zur Zeit der thomas_vahlenkamp@mckinsey.com einzige technologisch und ökonomisch gang- Die Umsetzung der oben erläuterten Szenarien bare Weg ist, um unsere Treibhausgasemis- Die Studie „Decarbonisation pathways“ erfordert der Analyse zufolge europaweit jähr- sionen in ausreichendem Maße zu senken. finden Sie zum Download unter https:// lich etwa 90 bis 110 Mrd. € Investitionen – Die Umsetzung einer solchen „elektrifizierten mck.de/trvcx Feedback erwünscht Der Energiewende-Index bietet alle sechs Monate einen Überblick über den Status der Energiewende in Deutschland. Reaktionen und Rückmeldungen seitens der Leser sind ausdrücklich erwünscht und werden bei der Aktualisierung des Index berücksichtigt, sofern es sich um öffentlich zugängliche Daten und Fakten handelt. Auf der Website von McKinsey besteht die Möglichkeit, den Autoren Feedback zum Thema Energiewende zu geben: www.mckinsey.de/energiewendeindex EPCON – Was die Energiebranche bewegt Die EPCON ist vom 02.-04-04.2019 bereits zum 24. Mal Treffpunkt Seit einigen Jahren ist Mauerbach die Heimat der EPCON. So be- für die österreichische Energiebranche. Über die Jahre und Jahr- schaulich das Dorf im Wiener Wald auch scheint, pulsiert hier für zehnte hat die EPCON tausende Teilnehmer bei den Herausforde- drei Tage das Herz der österreichischen Energiebranche. 2019 gibt rungen der E-Wirtschaft – von der Liberalisierung des Strommarktes es neben dem gemeinsamen Plenum mit (inter-)nationalen Keynotes über die Energieeffizienzgesetze bis zum SmartMeter Roll-out – und Podiumsdiskussion mit Vorständen und CEOs fünf Konferenzen, begleitet, unterstützt und den einen oder anderen Weg durch turbu- die sich der Gaswirtschaft, neuen Geschäftsmodellen, den neuen lente Zeiten gewiesen. Gesetzeslagen, dem Energiehandel und Smart Meter widmen. Einige der Themen, die im Jahr 2019 verhandelt werden, wären Zudem zeichnet die imH GmbH im Zuge des Kongresses die innova- Anfang der 2000er noch undenkbar gewesen. Andere, wie Preis- tivsten Energie-Produkte und Konzepte, die auch die Endverbraucher entwicklungen und Herstellungskosten, waren gewiss auch damals überzeugen können, mit dem EPCON AWARD aus. bereits Hot Topics, auch wenn man sich nicht über den Einsatz Information und Anmeldung unter von Blockchain für den Börsenhandel unterhalten hat. www.imh.at/veranstaltungen/hub/epcon/ 14 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 3
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