Enttrümmerung und Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche
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Harald Weber Enttrümmerung und Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche Ergebnisse der Deformationsmessungen 1993 bis 2004 Der 30. Oktober 2005 war für die Dresdner und ihre Gäste ein denk- würdiger Tag. An jenem Tag erfolgte die Weihe der wiedererstandenen Frauenkirche. Nach der Enttrümmerung des Ruinenbergs und anschlie- ßendem Hochbau fanden mit dem Aufsetzen der Turmhaube auf die Laterne der Frauenkirche am 22.06.2004 die Rohbauarbeiten an diesem für die Silhouette der Stadt Dresden (Abb. 1) prägenden Gotteshaus ihren Abschluss. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine Vielzahl ingenieur- technisch sehr anspruchsvoller Aufgabenstellungen zu lösen, zu denen u.a. die Deformationsmessungen zur Bestimmung des Hebungs- und Setzungsverhaltens des Bauwerks gehörten, welche kontinuierlich seit 1993 (Beginn der Enttrümmerung) bis Dezember 2004 (Abschluss des Hochbaus) erfolgten. Geschichtlicher Rückblick Verlust für Dresden. Deshalb hat der Traum Die Gründung der Frauenkirche geht vom Wiedererstehen der Frauenkirche die auf das 11. Jahrhundert zurück. Auf die Dresdener Bevölkerung in den folgenden Geschichte des bedeutenden Bauwerks Jahren immer begleitet. wurde bereits ausführlich in früheren Publikation eingegangen (Schütze und Weber 2000). Zu Beginn des 18. Jahr- hunderts wurde die alte Frauenkirche zu klein und baufällig, so dass sie nur noch eingeschränkt genutzt werden konn- te. 1722 erhielt der Ratszimmermeister George Bähr den Auftrag, einen Neubau zu planen. Im August 1726 wurde der Grundstein gelegt, 1729 war die Kirche bis zum Hauptgesims und Ende 1731 bis zur Kuppel fertiggestellt. 1743 war der Bau vollendet. Die steinerne Kuppel Bährs prägte 200 Jahre die Silhouette der Stadt. Ihre Zerstörung am 15. Februar 1945 infolge der Bombenangriffe vom 13./14. Abb. 1: Die Frauenkirche im Dresdner Stadt- Februar war ein besonders schmerzlicher bild ermessung Brandenburg - 61 -
Aber erst am 18.03.1991 fasste die Syn- an der Unterkirche (1996 - Weihe der ode der Evangelisch-lutherischen Landes- Unterkirche) und an einem unterirdischen kirche den Beschluss dieses für Dresden so Außenbauwerk, welches für die Nutzung wertvolle Bauwerk wieder zu errichten. der Unterkirche die notwendige Technik, die Sanitär- und Garderobenbereiche auf- Der Ablauf der Bautätigkeiten nahm. Abb. 3 verdeutlicht den beginnenden Im Januar 1993 begannen die Arbeiten Hochbau am Eingang A mit dem Zusam- zur Enttrümmerung der Ruine, die im menspiel von alter, historischer und neuer Mai 1994 abgeschlossen wurden. Abb. 2 Bausubstanz. zeigt die Ausgangssituation zu Beginn der Bis 1998 waren die Pfeiler und im Juni Enttrümmerungsarbeiten. In der Bildmitte 2001 die Innenkuppel fertig gestellt. Im sind noch die Ruinenteile des Coselpalais Mai 2002 begann der Bau der steiner- sichtbar, welches ebenso wie die Frauen- nen Glocke, welcher mit dem Versetzen kirche in den folgenden Jahren wieder im des letzen Steins an der Laterne im April historischen Glanz entstanden ist. 2004 seinen Abschluss fand. Während Nach der Versetzung des „1. Steins” aller Bauphasen erfolgten kontinuierlich am 27. Mai 1994 begannen die Arbeiten die Überwachung des Bauvorhabens hin- sichtlich Hebungen, Setzungen und Mauerwerksstauchungen. Das Messungskonzept Die Grundlage für die Deforma- tionsmessungen bildete ein „Tech- nisches Projekt Vermessung” (Schütze und Weber 1993), wel- ches zwischen dem Bauherren, der Stiftung Frauenkirche e.V., dem Wiederaufbauplaner IPRO DRES- DEN Architekten- und Ingenieur- aktiengesellschaft und dem Büro Abb. 2: Bauzustand im Jahr 1993 für Industrievermessung (BIV) ab- gestimmt und entsprechend dem Baufortschritt aktualisiert wurde (Schütze und Weber 1997). Für die Deformationsmessun- gen wurden zwei grundsätzliche Abschnitte definiert: 1. Abschnitt - die Enttrümme- rung Beim Abtrag des Trümmerbergs wurden 22 000 m3 Trümmer ge- borgen. Hierbei war die Entlastung des Grundmauerwerks zu ermitteln Abb. 3: Bauzustand im Jahr 1994 und die Standfestigkeit der Rui- - 62 - Nr. 2/2006
Abb. 4: Höhennetz zur Überprüfung der Stabilität der Ausgangspunkte nenteile vom Nord-West-Turm und des Frauenkirche. Dabei sind über 100 Mauer- Choranbaus nachzuweisen. bolzen angemessen worden, die an statisch 2. Abschnitt - der Hochbau sensiblen Bereichen in den unterschied- Zu ermitteln waren die Setzungswerte lichen Bauebenen vom Kellergeschoss am Grundmauerwerk beim Lastauftrag. (Abb. 5) bis in die Ebene der Innenkuppel Gefordert waren Aussagen zur Gleich- angebracht wurden. Somit konnten auch mäßigkeit der Setzung für symmetrisch mögliche Stauchungen des Mauerwerks liegende Bauwerksteile. Des Weiteren erfasst werden. waren Aussagen zum Stauchungsverhalten des Mauerwerks zu treffen. Ergebnisse der Deformations- Die Deformationsmessungen erfolgten messungen nach Abschluss der mittels Präzisionsnivellement. Für den Enttrümmerung Hochbau waren alle Messungen als Dop- Es konnten folgende Aussagen getroffen pelmessungen auszuführen, wobei die werden: Differenzen zwischen 1. und 2. Messung • Die größten Entlastungen wurden für die nach der Ausgleichung nicht größer als Mauerbolzen an den Vierungspfeilern 0,5 mm sein durften. Die Grundlage der (MB 4010, MB 4005) ermittelt (Abb. Deformationsmessungen bildete ein Bau- 2). Geringere Hebungswerte wurden für höhennetz, das im weiträumigen Bereich die Bolzen im Sockelbereich bestimmt. des Neumarkts angelegt wurde (Abb. 4). Damit kann mit der nach außen hin Es diente dazu, die Stabilität der Aus- abnehmenden Entlastung des Mauer- gangspunkte zu überwachen (Schütze und werks die ursprüngliche Lastverteilung Weber 10/2004). des Trümmerbergs (größte Massen im Ausgehend von dem Höhennetz er- Kircheninneren) gut nachvollzogen folgten die Präzisionsnivellements zur werden. ermessung Brandenburg - 63 -
Abb. 5: Nivellementsnetz im historischen Keller und im Außenbauwerk • Ganze Gebäudeteile wiesen ein ähnli- weitere Mauerbolzen angebracht. Für ches Deformationsverhalten auf. Die den Hochbau wurde das Messpunkt- Westseite der Kirche ist um 1,5 mm bis feld im historischen Keller verdichtet 2 mm mehr entlastet als die Ostseite. Die (Abb. 6) und die Pfeiler im Erdgeschoss Ursache hierfür ist die unterschiedliche mit Mauerbolzen versehen. Damit wa- Lastverteilung des Trümmerbergs. ren Aussagen zum Setzungsverhalten • Die maximalen Hebungswerte betrugen entlang von Bauwerksachsen möglich + 16,2 mm. Damit wurden die von den und es konnten Setzungsdifferenzen Fachplanern vorausberechneten Werte für das Mauerwerk und die Pfeiler bestätigt. überwacht werden. Zur Überwachung der Mauerwerks- Das war u.a. deshalb notwendig, weil an stauchungen wurden mit dem Baufort- der Bährschen Kirche Setzungsdifferenzen schritt in den Bauebenen Betstube (6 m zwischen Pfeilern und Außenmauerwerk Höhe), 1. Empore (9 m), 2. Empore (Ursache: Stauchung der Pfeiler) zu Bau- (13,5 m) und Innenkuppel (28,1 m) werksschäden führten (Wenzel 1995). - 64 - Nr. 2/2006
Derartige Probleme sollten rechtzeitig erkannt werden, um frühzeitig geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Ergebnisse der Deformations- messungen nach Abschluss der Rohbauarbeiten Es konnten folgende Aussagen zum De- formationsverhalten getroffen werden (Schütze und Weber 2004): • Die maximalen Setzungswerte im Grundmauerbereich (historischer Kel- ler) betragen - 7,6 mm. Sie sind geringer, als die von den Fachplanern erwarteten Setzungswerte. • Die Bolzen an den Vierungspfeilern ha- ben die Ausgangshöhe vom Januar 1993 Abb. 6: Präzisionsnivellements im histori- noch nicht wieder erreicht (Abb. 8). schen Keller Abb. 7: Hebungswerte nach Abschluss der Enttrümmerung ermessung Brandenburg - 65 -
• Es wurde ein sehr gleichmäßiger Set- zungsverlauf festgestellt (Abb. 8). Für die Ruinenteile Nord-West-Turm und Choranbau wurden geringere Setzungs- werte ermittelt. Symmetrische Bauteile haben sich mit guter Näherung gleich- mäßig gesetzt. • Der Vergleich der Deformationen von Mauerbolzen gleicher Grundrisslage in verschiedenen Bauhöhen gibt Auskunft über die Stauchungen des Mauerwerks. So haben sich die Punkte an der In- nenkuppel seit November 2000 um -10,0 mm gesetzt, die im Kellergeschoss seitdem nur um -3,5 mm. Die Stau- chungen betragen demnach 6,5 mm. Sie liegen im Erwartungsbereich der Fachplaner und werden als baupraktisch unkritisch angesehen. • Auf Grund der Ergebnisse der Defor- mationsmessungen konnte im Ab- schlussbericht festgestellt werden, dass die Setzungen nunmehr wegen des nichtbindigen Bodens komplett abgeklungen sind. Festgestellte Hö- henänderungen sind auf Mauerwerks- stauchungen zurückzuführen. Auf wei- tere vermessungstechnische Deforma- tionsmessungen kann in der Zukunft verzichtet werden. (Jäger 2005). Zusammenfassung Die im „Technischen Projekt Vermessung” aufgestellten hohen Genauigkeitsforde- rungen wurden trotz sehr beengter räum- licher Verhältnisse im Kircheninneren und ständig wechselnder Messbedingungen eingehalten. Die von den Statikern be- nötigten Aussagen zum Setzungs- und Stauchungsverhalten konnten mit Hilfe der Präzisionsnivellements mit hoher Ge- Abb. 8: Zeit-Setzungskurve der Frauenkir- nauigkeit ermittelt werden. che am MB 4010 im historischen Die Deformationsmessungen waren in- Keller genieurtechnisch sehr anspruchsvoll. - 66 - Nr. 2/2006
Abb. 9: Der Nord-West-Turm oberhalb der Abb. 10: Die Frauenkirche heute Dachkonstruktion im Jahr 1996 Das Wiederentstehen der Dresdner sungen an der Frauenkirche Dresden, Frauenkirche messtechnisch begleiten zu unveröffentlicht, Dresden, 1997 dürfen, war für das Büro für Industrie- Schütze, B.; Weber, H.: Wiederaufbau der vermessung eine interessante und schöne Frauenkirche zu Dresden - Ergebnisse Aufgabe (Abb. 9 und Abb. 10). der Deformationsmessungen 1993 - 1999, DVW-Mitteilungen, Landesver- band Baden-Württemberg e.V., Heft Literatur: 1, 3/2000 Jäger, W.: Stellungnahme der Ingenieur- Schütze, B.; Weber, H.: Bericht zu den gemeinschaft Frauenkirche zu den Deformationsmessungen an der Frau- Ergebnissen der Deformationsmes- enkirche Dresden, unveröffentlicht, sungen im Zeitraum November 2004, 2004 unveröffentlicht, Dresden, 2005 Schütze, B.; Weber, H.: Deformations- Schütze, B.; Weber, H.: Planung und messungen bei Enttrümmerung und Ausführung vermessungstechnischer Wiederaufbau, Beratende Ingenieure Leistungen am Bauvorhaben „Wie- 33. Jahrgang 10/2004 S. 31ff Springer- deraufbau Frauenkirche”, unveröffent- VDI-Verlag licht, Dresden, 1993 Wenzel, F. u.a.: Die Frauenkirche, Jahr- Schütze, B.; Weber, H.; Möser, M: Über- buch 1995, Verlag Hermann Bohlaus wachungsmessungen beim Wieder- Nachfolger, Weimar, 1995, S. 199ff aufbau der Frauenkirche zu Dresden, Abbildungen Zeitschrift für Vermessungswesen, Stuttgart, 121 (1996) Heft 9 Quelle: Büro für Industrievermessung Schütze, B.; Weber, H.: Konzeption für die Weiterführung der Deformationsmes- ermessung Brandenburg - 67 -
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