Epidemiologie von nosokomialer Sepsis und Pneumonie und Identifizierung relevanter Risikofaktoren bei neutropenischen, hämatologisch-onkologischen ...
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Aus dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Medizinischen Hochschule Hannover Direktor: Prof. Dr. med. Sebastian Suerbaum -Arbeitsbereich Krankenhaushygiene- Leitung: Frau Prof. Dr. med. Petra Gastmeier Epidemiologie von nosokomialer Sepsis und Pneumonie und Identifizierung relevanter Risikofaktoren bei neutropenischen, hämatologisch-onkologischen Patienten Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover vorgelegt von Franziska Tabibnia aus Salzgitter-Bad Hannover 2008
Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 02.03.2009 Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover Präsident: Prof. Dr. med. Dieter Bitter-Suermann Betreuerin der Arbeit: Prof. Dr. med. Petra Gastmeier Referent: Prof. Dr. med. Arnold Ganser Koreferent: Prof. Dr. med. Franz Bange Tag der mündlichen Prüfung:02.03.2009 Promotionsausschussmitglieder: Prof. Dr. Hans Kreipe Prof. Dr. Sebastian Suerbaum Prof. Dr. Reinhard Brunkhorst
Meinem Bruder François gewidmet
Inhaltsverzeichnis Seite 1 Einleitung 1.1 Nosokomiale Infektionen und Surveillance……………………………………… 1 1.2 Nosokomiale Sepsis……………………………………………………………… 6 1.3 Nosokomiale Pneumonie………………………………………………………… 7 1.4 Immunsuppression und Infektionen………………………………………………8 2 Zielsetzung und Fragestellung…………………………………………………..13 3 Patienten und Methoden 3.1 Patienten………………………………………………………………………….. 14 3.2 Erfassung der Patientendaten und nosokomialer Infektionen…..………………... 14 3.2.1 Patientenerfassungsbogen…………………………………………………... 15 3.2.2 Patientenverlaufsbogen………..……………………………………………. 15 3.3 Definitionen………………………………………………………………………. 17 3.4 Statistische Methoden…………………………………………………………….. 21 4 Ergebnisse 4.1 Patientencharakteristika…...……………………………………………………… 23 4.1.1 Alters- und Geschlechtsverteilung.…………………………………………. 23 4.1.2 Grunderkrankung, Krankheitsstadium und Transplantation…..……………. 24 4.1.3 Verweildauer…..…………………………………………………………..... 26 4.1.4 Neutropeniezeit...…………………………………………………………… 27 4.1.5 Fiebertage…………………………………………………………………... 29 4.2 Nosokomiale Infektionen….…………………………………….……………….. 30 4.2.1 Inzidenzraten………...…………………….……………………………….. 30 4.2.2 Grunderkrankung und nosokomiale Infektionen…………………………… 30 4.2.3 Art der „Deviceanwendung“ und Sepsis…………………………………….31 4.2.4 Verweildauer und nosokomiale Infektionen………………………..………. 32 4.2.5 Neutropenietage und nosokomiale Infektionen…………………………….. 35 4.2.6 Fiebertage und nosokomiale Infektionen…………………………………… 37 4.2.7 Risikofaktorenanalysen…………………….……………………………….. 38 4.2.8 Mikrobiologische Ergebnisse………………………………………………. 41 5 Diskussion 5.1 Infektionsraten.…………………...…………………………………………….... 43 5.2 Risikofaktorenanalysen...……………………………………………………….... 50 5.3 Erreger………………………………………………………….………………... 51 5.4 Limitierende Faktoren ..……………………………………………………….… 54 5.5 Schlussfolgerungen ……………………………………………………………… 55 6 Zusammenfassung................................................................................................ 56 7 Literaturverzeichnis............................................................................................. 58 Anhang.......................................................................................................................... 66 Danksagung................................................................................................................... 70 Lebenslauf..................................................................................................................... 71 Erklärung nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 und 6 der Promotionsordnung................................... 72
Abkürzungsverzeichnis ALIDA = Arzt und Leistungsstellen unterstützendes Informationssystem der digitalen Dokumenten-Archivierung ALL = akute lymphatische Leukämie AML = akute myeloische Leukämie AND = andere Grunderkrankung BAL = broncho-alveoläre Lavage CDC = Center for Disease Control and Prevention CML = chronische myeloische Leukämie CMV = Cytomegalie-Virus CR = komplette Remission CRV = community-acquired Respiratory-Virus CT = Computertomograpie DGH = Deutsche Gesellschaft für Hämatologie EBV = Epstein-Barr-Virus GVHD = Graft-versus-Host-Disease HSV = Herpes-simplex-Virus ID-Nr. = Identifikationsnummer KISS = Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System KMT = Knochenmarktransplantation KNS = koagulase-negative Staphylokokken MDS = myelodysplastisches Syndrom MHH = Medizinische Hochschule Hannover NHL = Non-Hodgkin-Lymphom NI = nosokomiale Infektion NNIS = National Nosocomial Infection Surveillance NRZ = Nationales Referenzzentrum PBSZT = periphere Blutstammzelltransplantation PLAS = Plasmozytom PVK = peripherer Venenkatheter RKI = Robert-Koch-Institut SENIC = Study on the Efficacy of Nosocomial Infection Control Tx = Transplantation VZV = Varizella-Zoster-Virus ZVK = zentraler Venenkatheter
1.Einleitung 1.1 Nosokomiale Infektionen und Surveillance Nosokomiale Infektionen (NI) (aus dem Griechischen „nosokomeion“ = Krankenhaus) sind lokale oder systemische Infektionen, die bei der Aufnahme im Krankenhaus nicht vorhanden waren und sich auch noch nicht in der Inkubationszeit befanden. Die vier am häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind: Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfektionen und postoperative Wundinfektionen [29]. Insbesondere auf hämatologisch-onkologischen Stationen werden Patienten behandelt, die ein hohes Risiko bezüglich der Entstehung von NI haben. Das Risiko ist um ein Vielfaches erhöht durch die Schwere der Grunderkrankung, die einen immunsuppressiven Einfluss ausübt. Durch eine Konditionierungsbehandlung bzw. Chemotherapie und/oder Strahlentherapie kann dies verstärkt werden. Da die Infektionen zu verlängerten Krankenhausverweildauern sowie einer Zunahme von Morbidität und Mortalität führen, stellen sie auf nationaler und internationaler Ebene ein schwerwiegendes medizinisches und ökonomisches Problem dar [43, 62]. Durch den verlän- gerten Krankenhausaufenthalt und dem zusätzlichen therapeutischen Aufwand verursachen NI höhere finanzielle Belastungen für die Krankenversicherungen und erhöhen somit den Kostendruck auf die Krankenhäuser. Aus den oben angeführten Gründen ist es verständlich, dass es wichtig ist, die Inzidenz von NI zu verringern bzw. Präventionsmaßnahmen einzuleiten. In Anbetracht der wachsenden Bedeutung der Infektionen steigt auch der Bedarf an Untersuchungen und Studien zur Präva- lenz und Inzidenz nosokomialer Infektionen. Als ein probates Mittel zur Reduzierung der In- zidenz hat sich die Surveillance nosokomialer Infektionen erwiesen [30, 32, 34]. Die klassi- sche Definition von Alexander Langmuir von den Centers of Disease Control (CDC) fasst dies zusammen, als die kontinuierliche, systematische Erfassung, Analyse und Interpretation der Daten zu NI, die Auswertung dieser Daten und die Weitergabe der Ergebnisse an diejeni- gen, die diese Informationen benötigen [45]. Als Begründer des Surveillance-Konzepts wird William Farr genannt. Er hat sich im 19. Jahrhundert mit der systematischen Berichterstattung von ansteckenden, für die Volksgesundheit relevanten Erkrankungen beschäftigt [46]. Anhand der Surveillance können Häufigkeiten von NI dokumentiert und berechnet werden, sowie Faktoren identifiziert werden, die eine Entstehung begünstigen. Durch die Planung und 1
Einführung geeigneter Maßnahmen in den klinischen Alltag kann einer Häufung von NI ent- gegengewirkt werden und Infektionsraten reduziert werden. Eine anschließende erneute Eva- luation überprüft die Effektivität der Maßnahmen. Mit Hilfe der Surveillance werden sinnvol- le Daten zum Auftreten von NI gesammelt, können Infektionsdaten unterschiedlicher Kran- kenhäuser verglichen werden, und somit Infektionsprobleme erkannt und die Wirksamkeit eingeführter Präventionsmaßnahmen überprüft werden. Durch Vergleiche mit anderen, ähn- lich strukturierten Einrichtungen können wichtige Erkenntnisse über die Qualität der eigenen Arbeit gewonnen werden. Sie dient der Infektionsprävention durch Feedback an ärztliches und pflegerisches Personal in Form von Fortbildungen und Schulungen. Notwendig ist hierfür, dass die Erfassung der NI nach national bzw. international einheitli- chen Definitionen vorgenommen wird, eine risikofaktorenbezogene Stratifizierung der ermit- telten Infektionsraten vorgenommen wird und vergleichbare Auswertungsmethoden genutzt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass die Patienten - je nach Klinik - mit unterschied- lichen Methoden behandelt werden. Aus der Analyse von endogenen und exogenen Risiko- faktoren resultiert letztendlich ein Qualitätsmanagement, welches eine Reduktion nosokomia- ler Infektionen ermöglicht. Nach Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 01.01.2001 wurden laut §23 die Leiter von Krankenhäusern und von Einrichtungen für ambulantes Operieren verpflichtet, bestimmte − vom Robert-Koch-Institut (RKI) festgelegte − nosokomiale Infektionen und mul- tiresistente Erreger „fortlaufend in einer Niederschrift aufzuzeichnen und zu bewerten“ [64]. Bereits in mehreren Studien [30, 32, 34] konnte belegt werden, dass durch eine Surveillance ein Rückgang der NI erreicht werden kann. Beim Krankenhauspersonal wird durch die Durchführung einer Surveillance − durch die Beobachtung − auch eine Verhaltensverände- rung hervorgerufen. Diese ist ein wichtiger Aspekt der Surveillance, und das beschriebene Phänomen wird „Hawthorne-Effekt“ genannt [39]. Schon seit über 30 Jahren werden in den USA Infektions- und Präventionsprogramme durch- geführt. Durch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) wurde die Entwicklung einheitlicher Definitionen für nosokomiale Infektionen maßgeblich mitbestimmt. Sie veröf- fentlichten 1985 die umfassendste Studie über die Häufigkeit von nosokomialen Infektionen in den USA. Diese zur Prävention von NI bedeutendste Studie ist die „Study on the Efficacy of Nosocomial Infection Control“ (SENIC) [34], bei der insgesamt 338 Krankenhäuser der USA teilnahmen. 2
Die in den USA in den siebziger Jahren durchgeführte Studie zur Überprüfung von Definitio- nen und Surveillance-Methoden zeigte, dass durch effektive Überwachungs- und Kontroll- programme mit gut ausgebildetem, speziell geschultem Personal eine Reduktion der NI um 32% erzielt werden kann [32]. In der Studie wurden im Jahr 1970 je Krankenhaus 500 Patien- ten und fünf Jahre später weitere 500 Patienten untersucht. Die niedrigsten Raten an NI wur- den bei Krankenhäusern mit intensiven Anstrengungen auf dem Gebiet der Surveillance und der Infektionsprävention beschrieben, während in den nicht-teilnehmenden Häusern die Rate um bis zu 18 Prozent anstieg. Ingesamt wurde bei 169.526 Patienten amerikanischer Akut- krankenhäuser eine NI-Rate von 6,6 Infektionen pro 100 stationär aufgenommene Patienten ermittelt [33]. An ausgewählten Krankenhäusern in den USA erfolgte von 1969 bis 1972 anhand einheitli- cher Definitionen eine kontinuierliche Erfassung der Infektionen als Comprehensive Hospital Infections Project (CHIP) [33] und von 1970-74 in der National Nosocomial Infections Study. Diese fand eine Fortsetzung in dem National Nosocomial Infection Surveillance System (NNIS) [24], dessen Daten erstmals in eine nationale Datenbank integriert wurden. Seit 1986 werden nosokomiale Infektionen durch das amerikanische Surveillance System in den teil- nehmenden NNIS-Krankenhäusern erfasst, analysiert und regelmäßig publiziert. Von der Quality Indicator Study Group wurde geprüft, inwiefern die einzelnen nosokomialen Infekti- onen zur Qualitätssicherung geeignet sind [63]. Hier wurden folgende Faktoren in Betracht gezogen: Klarheit der Falldefinitionen, Einfachheit der Diagnostik, Häufigkeit der Infektions- art, Bedeutung für Morbidität und Mortalität, sowie das Potential zur Reduktion der entspre- chenden Infektion. Eine kontinuierliche Erfassung aller möglichen nosokomialen Infektionen in allen Bereichen eines Krankenhauses ist nicht sinnvoll und wurde auch durch das NNIS- System weitestgehend aufgegeben. Stattdessen wird durch das NNIS-System die Konzentrati- on auf die für die jeweilige Abteilung besonders relevanten Infektionsarten empfohlen. Vom Bundesgesundheitsministerium wurde 1994 die NIDEP-Studie (Nosokomiale Infektio- nen in Deutschland – Erfassung und Prävention) in Auftrag gegeben. In der repräsentativen Prävalenzstudie wurden über 10 Monate in 72 Kliniken 14.966 Patienten auf das Vorhanden- sein nosokomialer Infektionen untersucht. Bei 518 Patienten (entsprechend einer Prävalenzra- te von 3,5%) ist mindestens eine nosokomiale Infektion aufgetreten [29]. Daran angeschlos- sen hat sich von 1995-99 die NIDEP 2-Studie, zur Prävention nosokomialer Infektionen in der 3
operativen Medizin und Intensivmedizin. In dieser konnte gezeigt werden, dass durch gezielte Infektionsprävention mindestens jede sechste NI vermieden werden kann [9]. So kann die Rate an nosokomialen Infektionen, vor allem bei der Sepsis, durch die Surveil- lance um ein Vielfaches gesenkt werden [30]. Die Reduktion der Infektionsrate von zentralen Venenkathetern (ZVK)-assoziierter Sepsis durch Interventionsprogramme und Schulungen wird bei Zuschneid mit 28,6% und bei Eggiman mit 67% beschrieben [22, 76]. Nach Beren- holtz et al. kann durch vielschichtige Interventionsmaßnahmen sogar eine völlige Eliminie- rung der Sepsis erreicht werden [6]. In einem systematischem Review von Gastmeier et al. wird aufgezeigt, dass eine durchschnittlich 50-prozentige Reduktion katheterassoziierter Sep- sisfälle mit multi-modularen Programmen (beispielsweise Surveillance, Schulungen und Händedesinfektion) möglich ist [28]. Durch die Einführung geeigneter Überwachungsprogramme und Präventionsmaßnahmen können medizinische Komplikationen aufgrund von Sepsisfällen verringert werden und zu- dem noch Kosten für Krankenhäuser und Versicherungen gesenkt werden. Diese könnten durch einfache Präventionsstrategien (beispielsweise Händedesinfektion) eingespart werden. Bei einem Einsatz von mehreren Millionen intravaskulären Kathetern pro Jahr in den U.S.- Krankenhäusern und einen durch Katheterinfektionen verursachten Kostenmehraufwand von 60–460 Millionen U.S.-$ pro Jahr [55] wird der Handlungsbedarf an Interventionen und Fort- bildungen deutlich. Wie hoch die zusätzlichen Kosten ausfallen, die durch nosokomiale Infektionen und Neutro- penie bzw. den dadurch verlängerten Krankenhausaufenthalt bedingt sind, zeigten Kuderer et al. in einer Studie mit 41.779 Patienten [43]. Sie zeigte, dass bei den febrilen, neutropenischen hämatologisch-onkologischen Patienten (unter Ausschluss von transplantierten Patienten) diejenigen, die als Grunderkrankung eine Leukämie hatten, die längsten Liegezeiten hatten (Median: 19,7 Tage, der Median aller Patienten lag bei 11,5 Tagen) und mit den höchsten Krankenhauskosten (Median: 25.242 U.S.-$, der Median aller Patienten lag bei 8.376 U.S.-$) im Vergleich zu den anderen Grunderkrankungen verknüpft sind. Eine ähnliche Studie wurde von Caggiano et al. durchgeführt (mit dem Fokus auf chemotherapierte Patienten), die eine etwa dreimal höhere Summe für Krankenhauskosten feststellten bei hämatologischen Patien- ten mit Leukämie (28.200 U.S.-$) als bei Patienten mit soliden Tumoren [10]. Wisplinghoff et al. [73] untersuchten speziell die durch Sepsisfälle zusätzlich verursachten Kosten bei granulozytopenischen Patienten mit hämatologischen Erkrankungen (ebenfalls mit dem Fokus auf chemotherapierte Patienten). Hier ergab sich ein Kostenmehraufwand von 4
3.200 U.S.-$ pro Patient, die durch die Infektion bedingt sind. Mehrere Studien zu klinischen und ökonomischen Auswirkungen wurden auch auf Intensivstationen durchgeführt, die ein ähnliches Ergebnis aufzeigten [8, 20, 65]. Schwierig ist es direkt zwischen verschiedenen Studien zu vergleichen, da die Krankenhaus- kosten teilweise unterschiedlich berechnet werden und zudem unterschiedliche Kosten anfal- len, da sie in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden. Von Haley wird vorgeschlagen zur Einschätzung der Kostenersparnis die Kosten für einen Patienten mit nosokomialer Infektion und einen jeweils nicht-Infizierten, mit ähnlichen Charakteristika (Grunderkrankung, etc) ge- genüberzustellen [31]. Es ist jedoch deutlich, dass die zusätzlich anfallenden Kosten in allen genannten Studien ökonomisch relevant sind und es unterstreicht die Wichtigkeit zu konse- quenter Anwendung von evidenzbasierten, kosteneffizienten Präventionsmaßnahmen. Eine Übersicht zu den zusätzlich anfallenden Kosten und der verlängerten Verweildauer der Patienten aufgrund einer nosokomialen Infektion wird in Tabelle 1.1.1 gegeben. Tabelle 1.1.1 Übersicht über Kosten und zusätzliche Verweildauer bei febrilen, neutropeni- schen, hämatologisch-onkologischen Patienten Anzahl der zusätzliche Studie zusätzliche Kosten Patienten (n) Verweildauer Kuderer et al. [43], 41.779 3 Tage pro Patient 4.241 US-$ pro Patient 2006, USA Wisplinghoff et al. [73], 417 9 Tage pro Patient 3.150 US-$ pro Patient 2003, Deutschland Als geeignetes Mittel zur Erfassung nosokomialer Infektionen wurde in Deutschland 1997 das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) eingeführt. Die Methode wurde vom Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) am Insti- tut für Hygiene des Benjamin Franklin Universitätsklinikums in Zusammenarbeit mit dem Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg entwickelt. Diese ist wiederum angelehnt an das vom CDC Anfang der 70er Jahre initiierte NNIS-Projekt (National Nosocomial Infection Surveillance). Bei KISS, das anfangs nur die Intensivstatio- nen und chirurgischen Kliniken von 10 Krankenhäusern Deutschlands umfasste, wurden die „device“-assoziierten NI (Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfekt) registriert. Anhand der erfass- 5
ten „device“-Anwendungstage und Patientenliegezeiten wurden „device“-assoziierte Inzi- denzdichten, sowie andere Referenzdaten zur Epidemiologie nosokomialer Infektionen er- rechnet. Diese Referenzdaten werden publiziert, damit sich auch nicht-teilnehmende Kran- kenhäuser, bei Anwendung der gleichen Definitionen, vergleichen können. Das dient durch Erfassung und Feedback der NI-Raten - durch Vergleich der eigenen Raten über die Zeit, als auch mit anderen Krankenhäusern - der internen Qualitätssicherung im Krankenhaus. Das Spektrum an Patientengruppen, die durch das KISS-Modul erfasst werden, wurde in den letzten Jahren stetig erweitert, um möglichst viele Risikobereiche zu berücksichtigen. Das KISS umfasst inzwischen neun Module, die die NI in verschiedenen Risikobereichen erfassen (Stand: Mai 2008). Diese beinhalten Intensivstationen (ITS-KISS), neonatologische Intensiv- stationen (NEO-KISS), operierte Patienten (OP-KISS) bzw. extra ambulant operierte Patien- ten (AMBU-KISS), Patienten mit zentralen Venenkathetern oder Harnwegskathetern oder maschineller Beatmung auf Nicht-Intensivstationen (DEVICE-KISS), die Erfassung von MRSA-Fällen (MRSA-KISS), Clostridium difficile assoziierter Diarrhö (CDAD-KISS), so- wie der hygienischen Händedesinfektion (HAND-KISS) und auch Abteilungen für Knochen- mark- und Blutstammzelltransplantationen (ONKO-KISS). ONKO-KISS ist seit Oktober 2000 vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg speziell zur prospektiven Erfassung von Sepsis und Pneumonie während der Neutropeniephase bei transplantierten (Knochenmarktransplantation (KMT) oder periphere Blutstammzelltransplantation (PBSZT)), hämatologisch-onkologischen Patienten initiiert worden. In der Neutropeniephase besteht das höchste nosokomiale Infekti- onsrisiko, das auch in dieser Studie näher untersucht werden sollte. In Freiburg werden die Erfassungsdaten aller Teilnehmer zusammengeführt und halbjährlich ausgewertet. So können sich die Teilnehmer anhand ihrer eigenen ermittelten Infektionsraten mit den Referenzdaten der anderen teilnehmenden Zentren vergleichen. 1.2 Nosokomiale Sepsis Mit Sepsis bezeichnet man eine Allgemeininfektion und die dazugehörige immunologische Antwort, die durch in der Blutbahn befindliche Erreger mit pathogener Potenz verursacht wird. Sie kann aus einer Bakteriämie hervorgerufen werden, ist aber im Unterschied zu dieser nicht von vorübergehender Art und entwickelt auch Symptome. Hierbei kann man in eine 6
primäre und sekundäre Sepsis unterteilen: Die primäre Sepsis wird durch das Einbringen von Keimen in die Blutbahn ohne andere Infektion verursacht; besonders häufig durch liegende Gefäßkatheter. Die sekundäre Sepsis hingegen ist die Komplikation einer anderen Infektion und wird durch eine Streuung von diesem Herd aus verursacht. In der vorliegenden Studie wurde die primäre ZVK-assoziierte Sepsis bei den Patienten erfasst. Risikofaktoren für die Entstehung einer Sepsis können endogen als auch exogen bedingt sein. Zu den endogenen Risikofaktoren zählen krankheits- und therapeutisch bedingte Immunsup- pression, andere Infektionen, niedriges (< 1 Jahr) oder hohes Lebensalter und schwere Grund- erkrankungen. Der wichtigste exogene Risikofaktor für die primäre Sepsis ist der Einsatz von Gefäßkathetern. Die Sepsis ist die vierthäufigste nosokomiale Infektion und macht somit ca. acht Prozent aller NI in Deutschland aus [29]. Es ist belegt, dass die Sepsis zu einer Erhöhung der Patienten- morbidität und -mortalität (Letalität mit primärer Sepsis ca. 16%) sowie einer Verlängerung der stationären Verweildauer führt (ca. neun zusätzliche Tage bei hämatologisch- onkologischen Patienten) [73]. 1.3 Nosokomiale Pneumonie Eine Pneumonie kann entstehen, wenn der physiologischerweise sterile Alveolarraum durch Störungen der Abwehr- und Reinigungsmechanismen mit Mikroorganismen besiedelt wird. Der wichtigste exogene Risikofaktor einer Pneumonie ist die künstliche Beatmung, die mit einem bis 70 Prozent erhöhten Risiko durch Beeinflussung der mikroziliären Clearance und einer Begünstigung von Mikroaspiration verbunden ist [2]. Auch Risiko erhöhend wirken sich aus: schwere Grunderkrankungen, schlechter Ernährungszustand, chronische Lungenerkran- kung, immunsuppressive Therapie und Aspiration. Häufiger tritt die endogene nosokomiale Pneumonie nach einer Aspiration/ Mikroaspiration auf, das heißt ausgehend vom Gastrointestinaltrakt oder der Flora des Nasen-Rachen-Raums (Gastrointestinaltrakt Æ Trachea Æ Bronchien Æ Alveolen). Es kann aber auch eine Reakti- vierung latenter Infektionen vorausgehen (z.B. Cytomegalieviren bei immunsupprimierten Patienten) [15, 37]. Die Pneumonie ist die zweithäufigste nosokomiale Infektion im Krankenhaus und macht ca. 20% des Gesamtteils an allen NI aus [29]. Dabei beträgt die Letalität der hämatologisch- onkologischen Patienten mit nosokomialer Pneumonie ca. sechs Prozent [56] und führt zu einer um ca. sechs Tage verlängerten Krankenhausverweildauer [43]. 7
1.4 Immunsuppression und Infektionen Es gibt zwei Mechanismen, die zu Komplikationen bei einer peripheren Blutstammzelltrans- plantation (= PBSZT) führen: 1. Die Konditionierung vor der Transplantation mit Chemo- oder kombinierter Radio- Chemotherapie und die damit verbundene Immunsuppression. 2. Die Graft-versus-Host-Reaktion bzw. Graft-versus-Host-Disease (= GVHD). Vor einer PBSZT wird eine myeloablative Therapie mit einer Hochdosis an Chemotherapeu- tika oder einer kombinierten Radio-Chemotherapie durchgeführt, um möglichst alle in einem Organismus angesiedelten malignen Zellpopulationen zu zerstören. Um eine Abstoßung des übertragenen Markes bei der Transplantation zu verhindern, ist die hierdurch hervorgerufene Immunsuppression notwendig. Diese Vorbehandlung wird auch als Konditionierungstherapie bezeichnet (konditionieren = in einen bestimmten Zustand bringen). Diese Konditionierung beeinträchtigt jedoch auch die normale Hämatopoese für neutrophile Granulozyten, Monozyten und Makrophagen und beschädigt Mukosa-Vorläuferzellen. So wird vorübergehend die natürliche Haut- und Schleimhautbarriere aufgehoben und die norma- lerweise physiologisch besiedelnden Bakterien und Pilze des Gastrointestinaltrakts und der Haut werden zu potentiell pathologischen Keimen. Sie verlassen dann ihren Standort der na- türlichen Darmflora und durchbrechen die Schleimhautbarriere, so dass sie dem Körper als Pathogen gefährlich werden. Fast alle Empfänger von PBSZT verlieren sehr rasch nach der Konditionierung alle B- und T- Lymphozyten, sowie ihre über das ganze Leben hinweg - durch die Konfrontation des Kör- pers mit infektiösen Substanzen, Umweltgiften und Impfungen - aufgebaute Immunität. Es zeigt sich eine zeitliche Abfolge der Schädigungen und Störungen, die bei den Patienten auftreten. Diese werden in der Abbildung 1.4.1 - in Anlehnung an die Empfehlungen des CDC [12] – zusammengefasst. Im ersten Monat nach einer PBSZT ist die Phagozytose häufig beeinträchtigt und die Schleimhautbarriere beschädigt. Häufig werden für mehrere Wochen zentralvenöse Katheter bei den Patienten eingesetzt, um die parenterale Medikation, Blutpro- dukte und Nahrungsergänzungsmittel (Vitamine, Spurenelemente, etc.) verabreichen zu kön- nen. Diese Katheter sind eine weitere Eintrittspforte für opportunistische Erreger, welche die Haut kolonisieren können, wie zum Beispiel koagulase-negative Staphylokokken, Staphylo- coccus aureus, Candida spp. und Enterokokken spp. 8
Zwei Monate nach einer PBSZT kann bei dem Empfänger eine akute GVHD auftreten, die sich in Form einer Dermatitis, Enteritis oder durch Leberschäden manifestiert. Sie wird einge- teilt mit einer Skalierung von I-IV. Zwar können autolog und syngen (= genetisch identische Individuen) Transplantierte gelegentlich eine milde, selbstlimitierende GVHD-ähnliche Er- krankung durchlaufen, allerdings tritt die GVHD eher gehäuft bei allogen transplantierten Patienten auf. Vor allem diejenigen mit einer „matched-unrelated“ Spende sind dabei betrof- fen (matched-unrelated = passender unverwandter Spender). Ein wesentlicher Risikofaktor für eine Infektion nach einer PBSZT ist die GVHD, da sie mit einer verzögerten Erholung des Immunsystems und einem verlängerten Immunmangel verknüpft ist. Außerdem sind die Pati- enten durch die Applikation von immunsuppressiven Medikamenten zur GVHD-Prophylaxe anfälliger für opportunistische, virale Pathogene und Pilze. Bei einigen Patienten, in erster Linie erwachsenen, allogen Transplantierten tritt eine chroni- sche GVHD auf, die unterteilt werden kann in eine eher limitierte oder ausgedehnte Form. Sie tritt meist mindestens 100 Tage nach der PBSZT auf, wird aber auch schon nach 40 Tagen beschrieben. Die chronische GVHD hat eine ähnliche Erscheinungsform wie autoimmune Gewebeverband-Funktionsstörungen (zum Beispiel: Sklerodermie oder systemischer Lupus erythematodes). Sie ist verbunden mit einem zellulären und humoralen Immunmangel, der auch einen Mangel an Makrophagen, eine beeinträchtigte Neutrophilen-Chemotaxis, eine ein- geschränkte Immunantwort auf Impfungen und schwere Mukositiden beinhaltet. Risikofakto- ren für eine chronische GVHD sind ein höheres Alter, allogene PBSZT (insbesondere dieje- nigen, dessen Spender unrelated oder ein nicht HLA-identisches Familienmitglied ist), und eine akute GVHD in der Anamnese. Bei den allogen Transplantierten mit chronischer GVHD tritt ein lange anhaltender Mangel an IgA, IgG und IgG- Subklassen auf, obwohl sie einen normwertigen bis hohen Serum-Immunglobulin-Gesamttiter aufweisen. Außerdem kommt es zu einer minderwertigen Opsonisierung (= Anlagerung von Plasmabestandteilen an Antigene, wodurch deren Elimination durch Phagozytose begünstigt wird) und einer beeinträchtigten retikuloendothelialen Funktion. Deshalb sind sie auch einem erhöhten Risiko für Infektionen ausgesetzt, insbesondere lebensbedrohlichen, bakteriellen Infektionen durch umkapselte Erre- ger, wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Neisseria meningitidis. Wenn sich die chronische GVHD aufhebt, welches Jahre dauern kann, baut sich die zellulär vermittelte und humorale Immunfunktion schrittweise wieder auf. Die Empfänger einer PBSZT erleiden typischerweise nach der Transplantation zu bestimmten Zeitpunkten Infektionen, die die vorherrschenden Defekte in der host-Abwehr widerspiegeln. 9
Die Wiederherstellung des Immunsystems der PBSZT-Empfänger verläuft in drei Phasen: beginnend am Tag null, dem Transplantationstag. Phase eins ist die „preengraftment“ (engraftment = Verpflanzung) -Phase (< 30 Tage nach der Transplantation), Phase zwei die „postengraftment“-Phase (30-100 Tage nach PBSZT), Phase drei die späte Phase (> 100 Tage nach PBSZT). Präventionsmaßnahmen sollten die genannten Phasen berücksichtigen und auf den folgenden Informationen beruhen: Phase I, preengraftment: Während des ersten Monats nach Transplantation haben Empfänger einer PBSZT zwei kritische Risikofaktoren für Infektionen. Es handelt sich hierbei um eine verlängerte Neutropeniephase und „Bruchstellen“ in der Haut-/Schleimhautbarriere, die durch die, auf die PBSZT vorbereitende Konditionierung und regelmäßige Gefäßzugänge, die für die Patientenversorgung notwendig sind, hervorgerufen werden. Aus diesem Grund stellen die Flora der Haut, des Mundes und des Gastrointestinaltrakts Infektionsquellen dar. Zu den do- minierenden Erregern gehören auch Candida-Spezies und, wenn sich die Neutropenie fort- setzt, auch Aspergillus-Spezies. Außerdem kann es zu einer Reaktivierung vom Herpes- simplex-Virus (HSV) in dieser Phase kommen. Das Risiko an einer Infektion zu erkranken ist für autolog und allogen Transplantierte gleich groß, wobei die opportunistischen Infektionen in Form von Neutropenie mit Fieber auftreten können. Zwar ist das erstmals auftretende Fie- ber bei den Transplantierten sehr wahrscheinlich bakteriell induziert, jedoch kann nur selten ein Erreger bzw. die genaue Ursache der Infektion nachgewiesen werden. Stattdessen werden diese Infektionen meist präventiv oder empirisch behandelt bis zum Ende der Neutropenie. Zusätzlich können Wachstumsfaktoren verabreicht werden, um die Neutropeniephase zu ver- kürzen und die Rate der Komplikationen (zum Beispiel Fieber während der Neutropenie) zu vermindern. Phase II, postengraftment: In der zweiten Phase kommt es typischerweise zu einer beeinträch- tigten zellvermittelten Immunität bei autolog und allogen Transplantierten. Der Umfang und die Auswirkung dieses Defekts bei allogenen Empfängern sind abhängig von dem Grad der GVHD und deren immunsuppressiver Therapie. Nach der Transplantation sind vor allem die Herpesviren, insbesondere die Cytomegalie-Viren (CMV), als gefährliche Erreger einzustu- fen. 30-100 Tage nach der PBSZT verursacht das CMV Pneumonie, Hepatitis, Kolitis und ermöglicht Superinfektionen mit opportunistischen Erregern, besonders bei Patienten mit ak- 10
tiver GVHD. Andere wichtige Pathogene, die in dieser Phase gehäuft auftreten, sind Pneumo- cystis jiroveci (früher: P. carinii) und Aspergillen. Phase III, Spätphase: Während der dritten Phase tritt bei autologen Empfängern gewöhnlich eine schnellere Wiederherstellung des Immunsystems ein als bei allogenen Empfängern und damit verbunden ein geringeres Risiko für opportunistische Infektionen. Wegen der zellver- mittelten und humoralen Immunitätsdefekte, sowie der beeinträchtigten Funktion des retiku- loendothelialen Systems haben allogene Patienten mit chronischer GVHD und allogen Trans- plantierte mit wechselnden Spendern ein Risiko für bestimmte Infektionen in dieser Phase. Wechselnde Spender schließt „matched-unrelated“, Nabelschnurblut, oder „mismatched fami- ly-related“ Spender ein. Diese Patienten haben ein Risiko für Infektionen; einschließlich CMV, Varizella-zoster-Virus (VZV), Epstein-Barr-Virus (EBV)-assoziierte, posttransplantä- re, lymphoproliferative Erkrankungen, Community-acquired Respiratory-Virus (CRV) und Infektionen mit umkapselten Bakterien (z. B. Hämophilus influenzae und Streptococcus pneu- moniae). Das Risiko für diese Infektionen ist annähernd proportional zu der Schwere der GVHD des Patienten in den Phasen II und III. Diejenigen Patienten, die „mismatched- allogen“ transplantiert werden, haben eine höhere Anfälligkeit und Heftigkeit für eine GVHD und damit ein höheres Risiko für opportunistische Infektionen in der zweiten und dritten Pha- se als „matched-allogen“ Transplantierte. Im Gegensatz hierzu haben autolog Transplantierte in erster Linie ein Infektionsrisiko während der Phase I. Möglichen Infektionen bei Empfängern einer PBSZT vorzubeugen, ist der Therapie von In- fektionen vorzuziehen. Trotz der neuesten Fortschritte in der Technik ist noch mehr For- schung zur Optimierung der gesundheitlichen Resultate bei PBSZT-Empfängern notwendig. Bemühungen um die Wiederherstellung des Immunsystems zu verbessern, vor allem bei den allogen Transplantierten Empfängern und die Vermeidung bzw. Auflösung der Immunsys- temfehlfunktionen, die verursacht werden durch Spender-Empfänger Histoinkompatibilität und GVHD bleiben bedeutende Herausforderungen um wiederkehrende, persistierende oder fortschreitende Infektionen bei PBSZT-Patienten zu vermeiden. Durch die zunehmende Zahl von Hochdosisprotokollen der modernen Tumortherapie treten immer häufiger auch bei den nicht-Tx Patienten eine lang andauernde Neutropenie und eine daraus resultierende Immunabwehrschwäche auf [14]. Deswegen ist auch die Patientengruppe der „nicht-Transplantierten“ aufgrund ihrer immunsupprimierten Lage, in der Phase der Neutropenie potentiell lebensbedrohlichen Infektionen ausgesetzt. Durch die bei ihnen durch- 11
geführte Chemotherapie werden diese Patienten auch ohne eine Transplantation, in der Regel für sieben bis zehn Tage neutropen [10]. Damit sind sie der erhöhten Gefahr ausgesetzt eine NI zu akquirieren. Die Infektionshäufigkeit liegt bei einer Neutropeniedauer von mehr als acht bis zehn Tagen bei über 85% [38]. Daher ist auch für diese Patientengruppe eine syste- matische Überwachung (Surveillance) notwendig, um zu sehen, ob diese ein ähnlich großes Infektionsrisiko aufweisen wie Tx-Patienten. Die Implementierung eines Surveillance-Protokolls, welches ursprünglich nur für KMT und PBSZT-Patienten gedacht war, ist zur frühzeitigen Erfassung von Infektionen bei hämatolo- gisch-onkologischen nicht-Tx Patienten wichtig. Abbildung 1.4.1 Infektionsübersicht bei PBSZT-Patienten in Anlehnung an die Empfehlun- gen des CDC [12] - Preengraftment stellt die für die Patienten empfänglichste Phase dar eine NI zu entwickeln 12
2. Zielsetzung und Fragestellung Ziel dieser Studie war es, das Erkrankungsrisiko für nosokomiale Pneumonien und Sepsis nicht-transplantierter, neutropenischer, hämatologisch-onkologischer Patienten zu ermitteln. Hierzu sollten folgende Fragestellungen beantwortet werden: 1. Wie hoch ist die Inzidenz von Pneumonie und Sepsis in dieser Patientengruppe? 2. Welches sind unabhängige Risikofaktoren für das Entstehen einer nosokomialen Pneumonie bzw. Sepsis in dieser Patientenpopulation? 13
3. Patienten und Methoden 3.1 Patienten Im Rahmen dieser prospektiven Studie wurden alle Patienten auf einer hämatologisch- onkologischen Station für Erwachsene der Medizinischen Hochschule Hannover im Hinblick auf die am häufigsten auftretenden nosokomialen Infektionen Sepsis und Pneumonie beo- bachtet. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich über den Zeitraum vom 20.02.03 bis zum 29.02.04. Die Abteilung Hämatologie, Hämostaseologie und Onkologie des Zentrums Innere Medizin der MHH setzt sich aus der hämatologisch-onkologischen Poliklinik, einer onkologischen Poliklinik, sowie den Stationen zusammen. Insgesamt gibt es drei Stationen mit insgesamt 58 Betten: eine hämatologisch-onkologische (28 Betten), eine interdisziplinäre onkologische (16 Betten) und die KMT-Station (Mildred-Scheel-Station, 20 Betten). Die untersuchte Station umfasste 28 Betten. Hierbei wurden alle neutropenischen (Leukozyten ≤ 1000 mm3 + > 48 Stunden Neutropenie) Patienten erfasst, die eine KMT bzw. periphere Blutstammzelltrans- plantation oder eine Chemotherapie erhielten. Therapiert wurden die Patienten mit Chemotherapien entsprechend den Protokollen der Deut- schen Gesellschaft für Hämatologie (DGH), mit Bestrahlungen sowie peripheren Blutstamm- zelltransplantationen. 3.2 Erfassung der Patientendaten und nosokomialer Infektionen Die Erfassung der Daten erfolgte prospektiv bei allen Patienten, die neutropen waren, anhand eines nach dem ONKO-KISS-Protokoll modifizierten Patientenerfassungsbogens (siehe An- lage 1 und 2 im Anhang) sowie eines Patientenverlaufsbogens (siehe Anlage 3 im Anhang). Alle NI wurden auf Grundlage von klinischen Visiten mit den behandelnden Ärzten, den Pati- entenakten bzw. des Computerdokumentationssystems unter Berücksichtigung sämtlicher klinischer und paraklinischer Befunde erfasst und klassifiziert. 14
3.2.1 Patientenerfassungsbogen Die Patientenstammdaten, wie Name, Vorname, Geburtsdatum und Aufnahmedatum wurden auf dem Patientenerfassungsbogen vermerkt. Hierbei wurde jedem Patienten eine Identifikati- onsnummer (ID-Nr.) zugeteilt und zusätzlich weitere Grunddaten erfasst: Geschlecht und Al- ter des Patienten, Grunderkrankung, Krankheitsstadium, Art der Transplantation und Art des venösen Zugangs. Das Krankheitsstadium wurde unterteilt in Früh- und Spätstadium. Unter Frühstadium sind alle Patienten eingeteilt mit erster kompletter Remission (CR) ihrer Erkrankung (bzw. bei Patienten mit CML (chronisch myeloischer Leukämie) alle in der 1. chronischen Phase) und alle Patienten, mit einer Erstdiagnose. Unter Spätstadium fallen alle Patienten mit einem Re- zidiv, alle Patienten in der zweiten Remission, bzw. der zweiten chronischen Phase oder in jeweils noch fortgeschrittenerem Stadium, zum Beispiel im zweiten oder dritten Rezidiv. Es wurde die Art der Transplantation erfasst und die Art des venösen Zugangs. Falls zwei venöse Zugänge vorhanden waren, wurde nur der „invasivere“ erfasst, also bei Port und ZVK nur der ZVK bzw. bei peripherem Zugang und Port nur der Port. Die Erfassung der Trans- plantationen erfolgte nur bei den Patienten, die während dieses Krankhausaufenthaltes trans- plantiert wurden, also nicht die Transplantationen vorheriger Aufenthalte. Der Erfassungszeitraum umfasste die gesamte Dauer der Neutropeniephase (n). Die Patienten wurden im Hinblick auf die Gesamtleukozytenzahl bis zu ihrer Entlassung beobachtet. So konnte gewährleistet werden, dass eine eventuelle, weitere Neutropeniephase miterfasst wur- de. Die beschriebene Surveillance erstreckte sich nur auf Patienten, die länger als 48 Stunden auf der Station verblieben, da nur nosokomiale Infektionen ermittelt werden sollten. 3.2.2 Patientenverlaufsbogen In einem Patientenverlaufsbogen wurden Daten wie Fieber, mikrobiologische und radiologi- sche Befunde und die Antibiotikatherapie eingetragen. Dieser diente als Hilfsmittel zur leich- teren Diagnose der nosokomialen Sepsis oder Pneumonie. Vor allem die Angabe zur jeweili- gen Antibiotikatherapie war wichtig um zu überprüfen, ob entsprechend der Aussage „Arzt beginnt eine entsprechende antimikrobielle Therapie bzw. führt eine entsprechende anti- mikrobielle Therapie fort“ eine adäquate Antibiotikatherapie eingeleitet wurde. Die erforderlichen Daten wurden in erster Linie bei der Durchsicht der Patientenkurve auf Station entnommen, einschließlich der vorhandenen Vorbefunde, Arztbriefe, Röntgenbefun- 15
de, Laborbefunde und histopathologischer Befunde; aber auch dem Stationsnetzwerk NANCY, ALIDA und dem Hygieneprogramm der Medizinischen Hochschule Hannover. Das von der Hinz Fabrik GmbH Berlin erstellte Programm NANCY (Version 4.4.1) - Die Elektronische Patientenakte - dient der Pflegedokumentation, wie zum Beispiel der Erfassung der Temperatur des Patienten. Über ALIDA (Version 1.6.5) - das Arzt und Leistungsstellen unterstützende Informationssys- tem der digitalen Dokumenten-Archivierung der MHH - werden alle Befunde eines Patienten archiviert. Dazu gehören zum Beispiel Röntgenbefunde, mikrobiologische und virologische Befunde, histopathologische Befunde und hämatologische Laborwerte. Das Hygieneprogramm stellt ein Modul von KIS dar, dem Krankenhausinformationssystem. Es wird genutzt um den aktuellen Patientendatenstand bzw. die Stationsbelegungen darzustel- len, sowie die Patienten mit multiresistenten Erregern (MRE) zu markieren. Die Erfassungs- bögen sind angelehnt an das KISS-Modul ONKO-KISS des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen. Zusätzlich fand in Bezug auf das Krankheitssta- dium und eventuelle Pneumoniesymptome eine regelmäßige Kommunikation mit den behan- delnden Ärzten statt. 16
3.3 Definitionen Die Erfassung der nosokomialen Infektionen erfolgte während der Neutropeniephase (NP- Phase), die in Anlehnung an die “Guidelines from the Infectious Diseases Society of Ameri- ca” von 1997 wie folgt definiert ist: Neutrophile Granulozyten < 500/ mm3 oder < 1000/ mm3 mit einem voraussehbaren Abfall auf ≤ 500/ mm3 oder Gesamtleukozyten ≤ 1000/ mm3. Zusätzlich für NP-Phase nach ONKO-KISS: + NP-Zeit ≥ 48 Stunden Nicht mehr neutropen ist ein Patient, wenn er an drei aufeinander folgenden Tagen Gesamt- leukozyten > 1000/mm3 hat. Wenn der Patient an einem oder höchstens zwei aufeinander folgenden Tagen während der Neutropeniephase nicht neutropen war, also einmal oder höchstens zweimal einen Gesamt- leukozytenwert von > 1000 mm3 hatte, dann wurden diese Tage als Neutropenietage mitge- zählt. Für die Diagnose nosokomialer Infektionen wurden die Definitionen des Centers for Disease Control and Prevention aus den USA verwendet, die sich international für die Surveillance von NI durchgesetzt haben. Neben allgemeinen Hinweisen, wann eine Infektion als nosoko- mial erworben angesehen werden kann und wann es sich um eine außerhalb des Krankenhaus erworbene Infektion handelt, schließen die CDC-Definitionen genaue klinische und paraklini- sche Symptome und Kriterien ein, die zur Diagnose einer nosokomialen Infektion gefordert werden. Die Klassifikation einer Infektion als nosokomial war möglich, wenn sie zum Zeit- punkt der Krankenhausaufnahme bzw. Stationsaufnahme nicht apparent oder in Inkubation war. Zwar können sowohl endogene als auch exogene Infektionserreger eine nosokomiale Infektion hervorrufen, jedoch ist eine Kolonisation (Anwesenheit von Erregern auf der Haut, Schleimhaut, in offenen Wunden, in Exkreten oder Sekreten, aber ohne klinische Symptome) keine Infektion. 17
Die für die Diagnostik von NI angewandten Informationen sind nach den Prinzipien der CDC-Definitionen eine Kombination aus klinischen Befunden und Ergebnissen von Labor- und anderen Untersuchungen. Dabei wurde die Definition für die nosokomiale Pneumonie entsprechend der Beschreibung und des Vorschlags von Carlisle et al. [11] aufgrund der aus- bleibenden klinischen Manifestation einer Infektion durch eine fehlende Leukozytenreaktion in der Neutropeniephase modifiziert [67]. Kriterien bei der Diagnosestellung der nosokomialen Pneumonie (nach Carlisle et al.) [11]: Pneumonie bei immunsupprimierten Patienten muss eines der folgenden Kriterien erfüllen: entweder: Fieber (> 38°C, oral oder rektal gemessen) und neues bzw. zunehmendes und persistierendes Infiltrat in der radiologischen Diagnostik (d.h.: ein einmalig nachgewiesenes Infiltrat, das sich bei einer nachfolgenden Kontrolle (im Abstand von mehreren Tagen) nicht mehr nachweisen lässt, ist nicht ausreichend) und/oder: mindestens zwei der folgenden: Sputumproduktion Husten Dyspnoe Giemen oder Rasselgeräusche Leukozyten bei der Sputummikroskopie Pleurareiben Der Beobachtungszeitraum der nosokomialen Pneumonie begann ab dem zweiten Tag der Neutropeniephase und endete mit dem Ende der Neutropeniephase. Beim Vorliegen einer Pneumonie wurde der behandelnde Arzt zu einem Kriterienkatalog von Symptomen befragt, der durch eventuell vorhandene mikrobiologische oder virologische Befunde entsprechend ergänzt wurde. 18
Die nosokomiale Sepsis ist wie im Folgenden definiert (nach CDC): Durch Labor bestätigte Sepsis muss eines der folgenden Kriterien erfüllen: entweder: 1. Krankheitserreger aus Blutkultur isoliert und Mikroorganismus nicht mit Infektion an anderer Stelle verwandt. Eine katheterassoziierte Sepsis wird als primäre Sepsis klas- sifiziert, auch wenn an der Insertionsstelle Infektionszeichen bestehen. und/oder: 2. eines der folgenden: Fieber (> 38°C, oral bzw. rektal gemessen) oder Schüttelfrost oder Hypotonie und eines der folgenden: * • ein gewöhnlicher Erreger der Hautflora wurde aus zwei zu verschiedenen Zeiten ent- nommenen Blutkulturen isoliert und ist nicht mit einer Infektion an anderer Stelle verwandt. * ** • ein gewöhnlicher Erreger der Hautflora wurde in Blutkulturen bei einem Patienten mit intravaskulärem Fremdkörper isoliert und Arzt beginnt bzw. führt eine entspre- chende antimikrobielle Therapie fort • positiver Antigen-Bluttest und der Krankheitserreger ist nicht mit einer Infektion an anderer Stelle verwandt. * z.B. koagulase-negative Staphylokokken, Corynebakterien oder Propionibakterien ** Nachweis eines Erregers der Hautflora in einer (oder mehreren) Blutkultur(en), die zur glei- chen Zeit entnommen wurden Aufgrund der frühen antibiotischen Therapie bei neutropenen Patienten ist ein Erregernach- weis sehr oft nicht möglich. Um eine eindeutige Zuordnung möglich zu machen, wurde nur die durch das Labor bestätigte Sepsis als solche nach CDC-Kriterien gewertet. Deshalb wurde bei der Erfassung einer Sepsis auch immer der nachgewiesene Erreger dokumentiert Als In- fektionsdatum wurde der Tag angenommen, an dem erste klinische Symptome auftraten oder an dem Blutkulturen abgenommen worden sind. Weiterhin wurde dokumentiert, in wie vielen 19
Blutkulturen der Erreger nachgewiesen worden ist und ob sie zentral oder peripher abgenom- men wurden. Der Beobachtungszeitraum zur Erfassung einer nosokomialen Sepsis begann ab dem zweiten Tag der Neutropeniephase bis einschließlich dem zweiten Tag nach der Neutro- peniephase. Isolate aus Blutkulturen gelten grundsätzlich als relevant. Abnahmebedingte Kontaminationen durch die Hautflora (Propionibacterium spp., koagulase-negative Staphylokokken) kommen vor und werden durch strikte Einhaltung der sterilen Entnahmebedingungen minimiert. Frühe Erregernachweise und Nachweise in mehreren Entnahmen sprechen für einen relevanten Er- reger. Im Vordergrund steht die Klärung der Frage, ob eine Gefäßkatheter-assoziierte Infekti- on vorliegt oder die Infektion von einem anderen Erregerherd ausgeht (entsprechend einer sekundären Sepsis). Dazu ist die gleichzeitige Entnahme von Blutkulturen aus dem liegenden zentralen Gefäßkatheter und zusätzlich aus einem peripheren Gefäß notwendig. Sind beide Blutkulturen („gepaarte Blutkulturen“) mit demselben Erreger positiv, ist eine katheterassozi- ierte Sepsis wahrscheinlich, wenn die „Time to positivity“ (entspricht dem Zeitintervall, zwi- schen Bebrütungsdauer der peripher entnommenen vs. der zentral entnommenen Kultur bis zur Detektion), der über den Katheter entnommenen Kultur mehr als zwei Stunden kürzer ist, als für die peripher entnommene Kultur [7]. In allen anderen Fällen ist der Katheter wahr- scheinlich nicht Focus der Infektion. 20
3.4 Statistische Methoden Infektionsraten wurden anhand der folgenden Formeln berechnet: Anzahl Sepsisfälle --------------------------- x 1000 = nach Neutropenietagen adjustierte Neutropenietage Inzidenzdichte der Sepsis Anzahl Pneumoniefälle ----------------------------- x 1000 = nach Neutropenietagen adjustierte Neutropenietage Inzidenzdichte der Pneumonie Anzahl Sepsisfälle ----------------------------------------------- x 100 = Inzidenz der Sepsis Anzahl der neutropenischen Patienten Anzahl Pneumoniefälle ----------------------------------------------- x 100 = Inzidenz der Pneumonie Anzahl der neutropenischen Patienten Die Inzidenz ist die Anzahl der während eines Untersuchungszeitraums neu erworbenen In- fektionen, bezogen auf 100 Patienten unter Risiko (neu aufgenommene Patienten). Zur Be- rechnung der Inzidenzdichte werden als Berechnungsgrundlage alle Behandlungstage im Un- tersuchungszeitraum (= Patiententage) gewählt. Die Daten der Infektionsraten der Station können mithilfe der standardisierten Berechnung mit den gepoolten Daten anderer hämatologisch-onkologischen Abteilungen Deutschlands verglichen werden. (Referenzdaten ONKO-KISS: http://www.nrz-hygiene.de) 21
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