Epidemiologisches Bulletin 20 2022 - RKI

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                ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH

  20 Epidemiologisches
2022 Bulletin
 19. Mai 2022

                Einfluss von Schulimpfprogrammen
                auf die HPV-Impfquote
Epidemiologisches Bulletin          20 | 2022        19. Mai 2022                                                          2

  Inhalt

  Schulimpfprogramme als Lösung zur Steigerung der HPV-Impfquoten in Deutschland? –
  Entwicklung der Impfquoten in einer hessischen Modellregion mit Schulimpfprogramm                                            3
  Eine HPV-Impfung entsprechend der STIKO-Empfehlung kann nachweislich die Entstehung von Zervix-
  karzinomen verhindern und potenziell ebenfalls die Inzidenzen anderer HPV-bedingter Karzinome redu-
  zieren. In Deutschland lag die bundesweite Quote für eine vollständige HPV-Impfserie mit zwei Impfstoff-
  dosen unter 15-jährigen Mädchen Ende 2019 bei 47,2 % und unter 15-jährigen Jungen bei 5,1 %. Zur Steige-
  rung der HPV-Impfquote startete 2015 im hessischen Landkreis Bergstraße ein Schulimpfprogramm, wie
  es in Ländern mit höheren Impfquoten durchgeführt wird. Anhand von Daten der RKI-Impfsurveillance
  wird der Einfluss dieses Modellprojekts auf die Impfquote analysiert und diskutiert, ob Schulimpfprogramme
  eine erfolgversprechende Maßnahme zur langfristig geplanten Elimination des Zervixkazinoms als Public
  Health-Problem darstellen können.

  Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 19. Woche 2022                                                    12

  Nicht-reiseassoziierte Fälle von Affenpocken in Europa und Nordamerika                                                       15

  Impressum
  Herausgeber                                                       Allgemeine Hinweise/Nachdruck
  Robert Koch-Institut                                              Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung:
  Nordufer 20, 13353 Berlin                                         www.rki.de/epidbull
  Telefon: 030 18754 – 0
  E-Mail: EpiBull@rki.de                                            Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise
                                                                    die Meinung des Robert Koch-Instituts wider.
  Redaktion
  Dr. med. Maren Winkler                                            Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
  Dr. med. Jamela Seedat (derzeit nicht im Dienst)                  Namensnennung 4.0 International Lizenz.
  Heide Monning (Vertretung)

  Redaktionsassistenz
  Nadja Harendt
  Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung)                      ISSN 2569-5266

         Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
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  Schulimpfprogramme als Lösung zur Steigerung der
  HPV-Impfquoten in Deutschland?
  Entwicklung der Impfquoten in einer hessischen Modellregion
  mit Schulimpfprogramm

  Einleitung                                                   sungsstudien wurde die Wirksamkeit der Impfstof-
  Seit 2006 steht erstmals ein gut verträglicher und           fe daher vorrangig anhand der Verhinderung von
  hoch wirksamer Impfstoff zum Schutz vor Huma-                Zervixkarzinomvorstufen mäßiger und schwerer
  nen Papillomviren (HPV) zur Verfügung.1,2 Da                 Ausprägung (Zervikale intraepitheliale Neoplasie
  nahe­zu alle Zervixkarzinome bei der Frau durch              (CIN) 2, CIN 3 und Carcinoma in situ (CIS)) beur-
  HPV-Typen verursacht werden, von denen etwa                  teilt, die dem Zervixkarzinom vorausgehen.5 Dieses
  90 % impfpräventabel sind, besteht so erstmals die           Vorgehen entsprach den Empfehlungen eines Ex-
  Möglichkeit einer deutlichen Reduzierung der                 pertinnen- und Expertengremiums der Weltgesund­
  Zervix­karzinom-Inzidenz. Darüber hinaus ist anzu-           heits­organisation (WHO).
  nehmen, dass durch eine Impfung auch andere
  Karzinome deutlich reduziert werden könnten, die             Mittlerweile belegen zwei große Studien aus Schwe-
  sowohl Männer als auch Frauen betreffen: Nach bis-           den6 und Großbritannien7 eindrücklich, dass die
  herigen Erkenntnissen werden etwa 84 – 88 % der              HPV-Impfung Zervixkarzinome verhindert. Die
  Anal-, 32 – 47 % der Penis- und 22 – 66 % der Oro-           2020 publizierte schwedische Studie umfasst Da-
  pharynxkarzinome durch impfpräventable HPV-                  ten von mehr als 1,5 Millionen Mädchen und Frau-
  Typen verursacht.2 Mit einer zeitgerechten Impfung           en zwischen 10 und 30 Jahren und zeigt für Frauen,
  könnten in Deutschland damit pro Jahr insgesamt              die vor dem 17. Geburtstag gegen HPV geimpft wur-
  etwa 6.250 Krebserkrankungen bei Frauen und                  den, ein um 88% geringeres Risiko für ein Zervix-
  etwa 1.600 Krebserkrankungen bei Männern im Be-              karzinom als für ungeimpfte Frauen. In der 2021
  reich der Zervix, Vagina, Vulva bzw. des Penis sowie         veröffentlichten britischen Studie mit 13,7 Millio-
  im Bereich von Anus und Oropharynx verhindert                nen Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahren kam es
  werden.2,3                                                   ebenfalls zu einer signifikanten Reduktion von Zer-
                                                               vixkarzinomen bei geimpften im Gegensatz zu un-
  Nachdem die Ständige Impfkommission (STIKO)                  geimpften Frauen. Die Risikoreduktion fiel umso
  ein Jahr nach erstmaliger Verfügbarkeit des HPV-             größer aus, je jünger die Mädchen zum Zeitpunkt
  Impfstoffes im Jahr 2007 allen Mädchen die HPV-              der Impfung waren: Während bei den 12- bis 13-jäh-
  Impfung als Standardimpfung empfohlen hatte,1                rigen Mädchen die Reduktion 87 % betrug, lag sie
  wurde 2008 in einem viel beachteten gemeinsamen              bei den Mädchen mit einer Impfung im Alter von
  Manifest von 13 Wissenschaftlerinnen und Wissen-             14 bis 16 Jahren bei 62 % und bei 16 bis 18 Jahren
  schaftlern u. a. nachdrücklich die Wirksamkeit der           nur noch bei 34 %.
  Impfung gegen Zervixkarzinome als nicht belegt
  kritisiert.4 Ein Wirksamkeitsnachweis der Impfung            Aufgrund des nachweislichen Effekts der HPV-Imp-
  gegen den Endpunkt Zervixkarzinome war zum da-               fung auf die Krankheitslast hat sich sowohl die
  maligen Zeitpunkt jedoch noch nicht möglich, da              WHO8 als auch die EU-Kommission9 das Ziel ge-
  die Dauer zwischen persistierender HPV-Infektion             setzt, bis 2030 eine HPV-Impfquote von mindestens
  mit Hochrisiko-HPV-Typen und hochgradiger zervi-             90 % bei Mädchen im Alter von 15 Jahren zu errei-
  kaler Dysplasie auf 3 bis 6 Jahre geschätzt wird, zwi-       chen, die mittel- bis langfristig zur Elimination des
  schen hochgradiger Dysplasie und einem invasiven             Zervixkarzinoms als Public Health-Problem in Euro-
  Karzinom auf ca. 10 bis über 30 Jahre. In den Zulas-         pa führen soll. Für Jungen sollen die HPV-Impfquo-
Epidemiologisches Bulletin             20 | 2022           19. Mai 2022                                                      4

    ten ebenfalls deutlich gesteigert werden.9 Diesen                      ren die Impfquoten der 15-jährigen Mädchen erheb-
    Zielen hat sich auch Deutschland verpflichtet.                         lich: Während die Impfquoten im Land Bremen bei
                                                                           37,7 % und im Landkreis (LK) Mühldorf/Inn
    Aktuell empfiehlt die STIKO allen Kindern und                          (Bayern) bei 23,3 % lagen, wiesen Sachsen-Anhalt
    ­Jugendlichen im Alter von 9 bis 14 Jahren die zwei-                   bzw. der LK Jerichower Land (Sachsen-Anhalt) Quo-
     malige Impfung gegen HPV im Abstand von min-                          ten von 66,9 % und 76,8 % auf. Unter den 15-jähri-
     destens 5 Monaten für einen vollständigen Schutz.                     gen Jungen waren 2019 bundesweit 5,1 % gegen
     Spätestens bis zum Alter von 17 Jahren sollten ver-                   HPV geimpft, die regionale Spannweite betrug 3 %
     säumte HPV-Impfungen nachgeholt werden. Bei                           (Bremen) bis 10,1 % (Mecklenburg-Vorpommern).12
     Beginn der Impfserie im Alter von 15 Jahren und äl-
     ter sind aktuell drei Impfstoffdosen für eine voll-                   Im europäischen Vergleich rangierte Deutschland
     ständige Impfserie erforderlich.2                                     2019 laut WHO innerhalb der 25 Staaten mit vorlie-
                                                                           genden Daten zur vollständigen HPV-Impfserie bei
    HPV-Impfquoten in Deutschland                                          15-jährigen Mädchen lediglich auf dem 17. Rang12,13
    und im europäischen Vergleich                                          (s. Abb. 1).
    Die Inanspruchnahme der HPV-Impfung in Deutsch­
    land wird regelmäßig in der Impfsurveillance des       Schulimpfprogramme als Ansatz
    Robert Koch-Instituts (RKI) untersucht. Demnach
                                           10,11
                                                           zur Steigerung der HPV-Impfquoten
    lag die bundesweite Quote für eine vollständige        Im Juni 2021 forderten die Gesundheitsministerin-
    HPV-Impfserie mit zwei Impfstoffdosen unter            nen und -minister im Rahmen ihrer Konferenz eine
    15-jährigen Mädchen Ende 2019 bei 47,2 %. Seit 2012    Verbesserung der HPV-Impfquote.14 Hierfür wur-
    ist die Impfquote in dieser Altersgruppe im Ver-       den verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen, u. a.
    gleich zum jeweiligenQuote
                            Vorjahrvollständige  HPV‐Impfserie
                                    im Schnitt lediglich        15‐jährige
                                                           „sollten        Mädchen
                                                                    Möglichkeiten der aufsuchenden Beratung/
    um 3 Prozentpunkte angestiegen. Regional differie-     Erinnerung an Schulen (z. B. bzgl. Auffrischimp-
                                                im europäischen Vergleich, 2019

                                                                       Impfquote (%)
    Quote vollständige HPV-Impfserie 15-jährige Mädchen im europäischen Vergleich, 2019
                          00    10
                               10
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         Portugal
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             Island
                Island
      Norwegen
         Norwegen
             Malta
                 Malta
 Großbritannien
    Großbritannien
         Spanien
            Spanien
      Schweden
          Schweden
      Dänemark
         Dänemark
          Ungarn
              Ungarn
          Belgien
              Belgien
            Italien
               Italien
             Irland
                Irland
         Schweiz
            Schweiz
           Zypern
               Zypern
              Israel
                 Israel
          Estland
              Estland
    Deutschland
       Deutschland
Nordmazedonien
  Nordmazedonien
     Luxemburg
        Luxemburg
    Niederlande
       Niederlande
       Slovenien
          Slovenien
         Lettland
            Lettland
      Frankreich
         Frankreich
     SanSanMarino
              Marino
       Bulgarien
          Bulgarien

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    Abb. 1 | Impfquote der 15-jährigen Mädchen mit vollständiger HPV-Impfserie im europäischen Vergleich für das Jahr 2019,
    Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO).12,13
Epidemiologisches Bulletin       20 | 2022       19. Mai 2022                                                    5

  fungen im Jugendalter) idealerweise durch den Öf-             Um die Wirksamkeit einer Intervention abzuschät-
  fentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und im Rah-                zen, sollte ein Projekt möglichst prozessbegleitend
  men freier Kapazitäten als Aktionswochen und auch             sowie – nach einer gewissen Laufzeit – abschlie-
  direkte Impfangebote in den Schulen umgesetzt                 ßend bezüglich seiner Zielstellung evaluiert wer-
  werden. Bereits bestehende Aktivitäten in den Län-            den. Dies ist insbesondere vor einer möglichen Aus-
  dern können als Vorbild dienen.“                              dehnung des Projektes auf andere Landkreise oder
                                                                Bundesebene dringend notwendig. Zum freiwilli-
  Flächendeckende Schulimpfprogramme werden                     gen Schulimpfprogramm Südhessen wurden bisher
  immer wieder als erfolgversprechende Maßnahme                 zwei Artikel veröffentlicht, die sich auf dieselbe
  zur Steigerung der HPV-Impfquoten vorgeschla-                 Evaluation aus dem ersten Jahr des Projekts, d. h.
  gen. Dies begründet sich vor allem dadurch, dass              auf das Schuljahr 2015/16, beziehen.18,19 Die ange-
  insbesondere Länder im angelsächsischen und                   kündigte laufende Begleitevaluation des Deutschen
  skandinavischen Raum mit Schulimpfprogrammen                  Krebsforschungszentrums (DKFZ) wurde bisher
  in der Regel hohe Impfquoten von deutlich über                nicht publiziert.18
  70 % erreichen, während die Impfquoten in Län-
  dern ohne Schulimpfprogramm (wie etwa Frank-                  Im Rahmen der publizierten Evaluation wurde be-
  reich, die Schweiz oder die USA) bei < 60 % liegen.2          richtet, dass 202 Eltern mit Kindern an sechs teil-
  So findet sich z. B. in der im Mai 2020 publizierten          nehmenden Schulen angeschrieben und zur frei-
  S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der wissen-              willigen Schulimpfung ihrer Kinder eingeladen
  schaftlichen medizinischen Fachgesellschaften                 wurden. Von diesen zeigten nach der in einen
  (AWMF) „Impfprävention HPV-assoziierter Neo­                  ­Elternabend eingebetteten Informationsveranstal-
  plasien“ ein starker Konsens für die Empfehlung:               tung etwas mehr als die Hälfte (n = 118; 58 %) Inte­
  „Eine Schulimpfung bezüglich HPV soll implemen-                resse an der Impfung – dabei waren mit 55 % (n = 65)
  tiert werden“.15                                               mehr Eltern an einer Impfung in der Arztpraxis als
                                                                 in der Schule (n = 53; 45 %) interessiert. Etwa die
  In Deutschland gibt es zurzeit zwei Modellprojekte             Hälfte der 118 Personen mit generellem Interesse
  zur HPV-Schulimpfung, seit dem Jahr 2015 im                    (n = 62; 53 %) füllte einen Kurzfragebogen zur Evalu­
  LK Bergstraße in Hessen16 sowie seit Juli 2019 in              ation des Modellprojekts aus. Von diesen 62 Eltern
  Leipzig.17                                                     gaben 48 (77 %) an, dass ihre Tochter geimpft wor-
                                                                 den sei – 21 (44 %) entschieden sich für die Impfung
  Das hessische Projekt startete mit initial sechs Pilot-        in der Schule, während 27 Mädchen (56 %) in einer
  schulen im LK Bergstraße. Zielgruppe des Modell-               Praxis geimpft wurden.19
  projekts „Freiwillige HPV-Schulimpfung“ in Süd-
  hessen waren zunächst Mädchen in der 4.  Klasse               Mittlerweile umfasst das Projekt (Stand April 2022)
  (Alter bei Beginn der 4.  Klasse meist 9 bis 10 Jahre),       19 von insgesamt 52 Schulen mit 4.  Klassen im LK
  mittlerweile richtet sich das Projekt auch an Jungen          Bergstraße.16 Bezogen auf alle Viertklässlerinnen im
  gleicher Klassenstufe. Das Modellprojekt umfasst              LK Bergstraße für die Schuljahre 2018/19 bzw.
  einen Elternabend, an dem ein Impfarzt/eine Impf­             2019/20 (n = 1.073 bzw. n = 1.112) erreicht das Schul­
  ärztin und der Projektträger über die HPV-Impfung             impfprogramm in diesen 19 Schulen mit 528 Mäd-
  und den Ablauf am angebotenen Schulimpftag in-                chen im Schuljahr 2018/19 bzw. 539 Mädchen im
  formieren. Das freiwillige Schulimpfangebot für die           Schuljahr 2019/20 49 % bzw. 48 % aller Viertkläss-
  erste Impfung der Impfserie findet dann jeweils im            lerinnen im LK (persönliche Kommunikation Statis-
  November des Schuljahres statt und für die ab-                tisches Landesamt Hessen). Damit ist anzuneh-
  schließende zweite Impfung im darauffolgenden                 men, dass mögliche Effekte des Schulimpfpro-
  Mai. Alternativ kann die HPV-Impfung im Rahmen                gramms mittlerweile in Analysen der RKI-Impfsur-
  des Schulimpfprogrammes auch beim niedergelas-                veillance-Daten abgebildet werden können und
  senen Kinderarzt/bei der niedergelassenen Kinder-             weitere Hinweise auf den Effekt bzw. das Potenzial
  ärztin wahrgenommen werden.16,18,19                           von Schulimpfprogrammen zur Steigerung von
                                                                HPV-Impfquoten in Deutschland geben können.
Epidemiologisches Bulletin     20 | 2022      19. Mai 2022                                                   6

  Methodik RKI-Impfsurveillance                              maximal empfohlenen Impfalter von 17 Jahren bzw.
  Die hier dargestellten HPV-Impfquoten wurden aus           bis zum Alter von 18 Jahren für die Vervollständi-
  Daten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hes-           gung bereits begonnener Impfserien. Für die hier
  sen berechnet. Hierfür wurden pseudonymisierte             durchgeführten Untersuchungen wurden die Impf-
  Abrechnungsdaten der Vertragsärztinnen und -­ ärzte        quoten für verschiedene Altersstufen mit der maxi-
  zu Arzt-Patienten-Kontakten von Mädchen und den            mal möglichen Spannweite von 9 bis 18 Jahren für
  bei ihnen durchgeführten Impfleistungen ausge-             die Kalenderjahre 2014 bis 2020 berechnet.
  wertet. Der Einschluss in die Studienpopulation ba-
  sierte auf einem individuellen dokumentierten              Für die Berechnung der Anteile von Mädchen in der
  Arzt-Patienten-Kontakt innerhalb eines Einjahres-          4. Klasse, die eine begonnene Impfserie auch abge-
  zeitraums vor sowie zusätzlich innerhalb eines             schlossen haben, wurden zunächst die bei Mädchen
  Sechsmonatszeitraums nach dem Beobachtungs-                im Alter von 10 Jahren durchgeführten Erstimpfun-
  zeitraum. Der Beobachtungszeitraum erstreckte              gen identifiziert. Anschließend wurden die Anteile
  sich jeweils vom Eintritt in das empfohlene Min-           von Mädchen berechnet, die maximal ein Jahr nach
  destimpfalter bis maximal Ende des Jahres 2020.            Erstimpfung die Impfserie abgeschlossen hatten.
  Dieses Vorgehen ist dadurch begründet, dass die in-        Damit können sicher alle Mädchen erfasst werden,
  dividuellen Versichertendaten aufgrund von Unter-          die im Rahmen des Schulimpfprogramms beide
  schieden in der Pseudonymisierung, die zwischen            Impfungen (laut Programm im November sowie im
  den einzelnen KVen bestehen, nur innerhalb dersel-         Mai des Folgejahres) und damit eine vollständige
  ben KV-Region sinnvoll ausgewertet werden kön-             Impfserie erhalten haben.
  nen. Beispielsweise werden Verläufe bei Wegzug in
  eine andere KV-Region oder Zuzug (z. B. auch aus           Zusätzlich wurden für ein hypothetisches Szenario
  dem Ausland) abgebrochen bzw. es fehlen unter              unterschiedliche, im Rahmen des Schulimpfpro-
  Umständen zuvor woanders erbrachte Impfleistun-            gramms erzielte Impfquoten einer vollständigen
  gen für die Auswertung. Eine vollständige Ver-             Impfserie bei 11-jährigen Mädchen angenommen:
  knüpfbarkeit ist für alle Daten von Kindern in der         Für eine Gruppe von 48 % der 11-jährigen Mädchen
  Studienpopulation möglich. Um Verzerrungen der             im LK Bergstraße (entsprechend der Reichweite des
  Ergebnisse auszuräumen und deren Validität zu ge-          Schulimpfprogramms im Schuljahr 2018/2019)
  währleisten, sind Personen, für die möglicherweise         wurden Impfquoten von entweder 40 %, 60 %,
  nicht alle Daten verknüpft werden können, nicht            80 % oder 100 % als hypothetisches Ergebnis der
  Teil der Studienpopulation. In Kohortenanalysen            Intervention zugrunde gelegt. Für eine zweite
                                                             ­
  wurden dann über die spezifischen Abrechnungs-             ­Gruppe – Mädchen, die innerhalb des Schulimpf-
  ziffern HPV-Impfungen identifiziert, die individu-          programms hypothetisch ungeimpft geblieben sind
  ellen HPV-Impfserien taggenau rekonstruiert und             sowie die Schülerinnen nicht teilnehmender Schu-
  daraus Impfquoten für mindestens eine Impfstoff-            len – wurde die durchschnittliche hessische Impf-
  dosis und vollständige Impfserien stratifiziert nach        quote im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona­
  Alter und LK des Wohnortes bzw. für gesamt Hes-             virus Disease 2019-(COVID-19-)Pandemie, ange-
  sen berechnet. Eine ausführlichere Beschreibung             nommen. Aus der angenommenen Inanspruchnah-
  der Methodik zur Impfsurveillance findet sich an            me der HPV-Impfung dieser beiden Gruppen wurde
  anderer Stelle.10,20                                        eine hypothetische Gesamtimpfquote berechnet.

  Da in Hessen erst im Jahr 2011 spezifische Ziffern
  für die Abrechnung von HPV-Impfungen zur Ver-              Ergebnisse
  fügung standen und im Jahr 2014 das empfohlene             Die Einschlusskriterien für eine vollständige Ver-
  Mindestimpfalter im Rah­men der STIKO-Empfeh-              knüpfbarkeit aller relevanten Daten auf individueller
  lung von 12 auf 9 Jahre ­herabgesetzt wurde, können        Ebene erfüllten insgesamt 230.810 Mädchen aus
  erst ab 2014 die Impfquoten der 9- bis 14-jährigen         Hessen, davon 8.884 mit Wohnsitz LK Bergstraße.
  Mädchen dargestellt werden und für die Folgejahre          Dies entspricht durchschnittlich 56 % der Alters-
  jeweils eine weitere, höhere Altersgruppe bis zum          gruppen und betrachteten Jahre für die weibliche Be-
Epidemiologisches Bulletin                        20 | 2022                19. Mai 2022                                                                                                      7

  völkerung Hessens bzw. 49 % für den LK Bergstra-                                                     derjahr und Kreisregion (LK Bergstraße und übrige
  ße. Diese Anteile sind mit den Werten anderer Un-                                                    Landkreise) bzw. Hessen gesamt.
  tersuchungen, die die gleiche Datenquelle und Me-
  thodik nutzten und die hohe Validität der berechneten                                                Impfquoten bei den
  Impfquoten belegen konnten, vergleichbar.10                                                          10- bzw. 11-jährigen Mädchen
                                                                                                       Seit dem Jahr 2015 (Beginn Schulimpfprogramm)
  Abbildung 2 zeigt die Impfquoten für die begonne-                                                    zeigte sich in den Daten aus dem LK Bergstraße ein
  ne (A) und abgeschlossene (B) HPV-Impfserie bei                                                      Anstieg der Impfquote sowohl für eine angefangene
  Mädchen im Alter von 9 bis 18 Jahren nach Kalen-                                                     als auch für eine vollständige Impfserie bei Mäd-
                                                                                                       chen im Alter von 10 bzw. 11 Jahren (begonnen,

  Impfquote (Impfserie mind. begonnen) in %

  100

  90
                     Landkreis Bergstraße                     Hessen                   andere hessische Landkreise
  80

   70

  60

  50

   40

  30

  20

   10

   0
         9 10 11 12 13 14   9 10 11 12 13 14 15   9 10 11 12 13 14 15 16   9 10 11 12 13 14 15 16 17     9 10 11 12 13 14 15 16 17 18   9 10 11 12 13 14 15 16 17 18   9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

   A        2014                 2015                   2016                       2017                           2018                           2019                           2020

                                                                                                                                                              Alter in Jahren, Kalenderjahr

  Impfquote (Impfserie abgeschlossen) in %

  100

   90
                     Landkreis Bergstraße                     Hessen                   andere hessische Landkreise
   80

   70

   60

   50

   40

   30

   20

   10

    0
        9 10 11 12 13 14    9 10 11 12 13 14 15   9 10 11 12 13 14 15 16   9 10 11 12 13 14 15 16 17     9 10 11 12 13 14 15 16 17 18   9 10 11 12 13 14 15 16 17 18   9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

   B         2014                2015                    2016                      2017                            2018                           2019                           2020

                                                                                                                                                              Alter in Jahren, Kalenderjahr

  Abb. 2 | HPV-Impfquoten in Hessen bei Mädchen im Alter von 9 bis 18 Jahren, nach Kalenderjahr und Kreisregion (Landkreis
  Bergstraße und übrige Landkreise) sowie gesamt Hessen, 2014 – 2020. A) HPV-Impfserie mindestens begonnen; B) HPV-Impf­
  serie abgeschlossen. Blau umrahmt: Altersgruppen der Mädchen, die im jeweiligen Jahr oder den Vorjahren vom seit 2015
  bestehenden Schulimpfprogramm theoretisch erfasst werden konnten.
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  10  Jahre: 6,7 % in 2015 bis 36,2 % in 2019 und 30,1 %       Mädchen geimpft, wäre in den Daten der RKI-
  in 2020; abgeschlossen, 11 Jahre: 0,5 % in 2015 bis          Impfsurveillance eine Impfquote für alle 11-jährigen
  29,7 % in 2019 und 30,2 % in 2020). Dagegen zeig-            Mädchen im LK Bergstraße von 28,1 % zu erwarten,
  ten die Impfquoten in gesamt Hessen zwar eben-               bei 60 % geimpften Mädchen von 36,9 %, bei 80 %
  falls einen Anstieg für eine angefangene bzw. die            von 45,7 %. Würden im Schulimpfprogramm 100 %
  vollständige Impfserie, jedoch fiel dieser um bis zu         der Mädchen geimpft, läge der Wert bei 54,5 % und
  22,7 bzw. 19,2 Prozentpunkte geringer aus als im LK          damit bis zu 24,8 Prozentpunkte über dem in den
  Bergstraße. Im Vergleich mit allen übrigen Land-             Daten der RKI-Impfsurveillance beobachteten Wert
  kreisen in Hessen wiesen die Impfquoten im LK                in dieser Altersgruppe.
  Bergstraße in allen Jahren seit 2015 (begonnene
  Impfserien) bzw. 2016 (abgeschlossene Impfserien)
  für 10- bzw. 11-jährige Mädchen die jeweils höchsten         Einordnung der Ergebnisse
  Werte auf.                                                   In den Daten der RKI-Impfsurveillance zeigt sich
                                                               für den LK Bergstraße im Vergleich mit den ande-
  Der Anteil von Mädchen, die im Alter von 10 Jahren           ren hessischen Landkreisen eine deutliche Links-
  eine Erstimpfung erhalten hatten und innerhalb ei-           verschiebung in den Impfquoten, d. h. im LK Berg­
  nes Jahres die Impfserie vervollständigten, betrug           straße wurden mehr Mädchen in einem jüngeren
  im letzten Jahr vor Beginn der COVID-19-Pandemie             Alter gegen HPV geimpft als in allen anderen Krei-
  (2019) in gesamt Hessen 59,1 % und im LK Berg­               sen in Hessen. Im Alter von 10 Jahren lag der Un-
  straße 71,2 %. In den Jahren 2015 – 2020 belegte LK          terschied gegenüber der gesamthessischen Impf-
  Bergstraße im Vergleich mit den anderen 25 Land-             quote bei bis zu 10 Prozentpunkten für eine kom-
  kreisen Hessens die Ränge 18 (2015), 14 (2016),              plettierte und bei bis zu 23 Prozentpunkten für eine
  1 (2017), 12 (2018), 3 (2019) und 10 (2020).                 angefangene Impfserie. Darüber hinaus war der
                                                               Anteil an Mädchen in den vom Schulimpfpro-
  Impfquoten bei den 15-jährigen Mädchen
  Im aktuellsten Auswertungsjahr 2020 lag für Mäd-
  chen im Alter von 15 Jahren, also nach Ende des von          Impfquote (Impfserie abgeschlossen) in %
  der STIKO primär empfohlenen Impfalters, die
                                                               100
  Impfquote für eine begonnene bzw. vollständige
  Impfserie im LK Bergstraße bei 62,0 % bzw. 49,7 %            90

  und die Impfquote für gesamt Hessen bei 63,5 %               80
  bzw. 47,5 %. Im Vergleich aller 26 Landkreise in             70                                         100 %
  Hessen bewegte sich der LK Bergstraße auf Rang 17
                                                               60
  für eine angefangene bzw. Rang 11 für eine abge-                                                        80 %
  schlossene Impfserie. Dabei gilt es zu berücksichti-         50
                                                                                                          60 %
  gen, dass aufgrund der zunächst geringen Reichwei-           40
  te des Schulimpfprogramms bei Beginn nur eine                30                                         40 %
  verhältnismäßig kleine Gruppe der damals 10-Jähri-
                                                               20                                         Beobachteter Wert
  gen und im Jahr 2020 mittlerweile 15-Jährigen po-
  tenziell von der Intervention profitieren konnte.             10

                                                                0
                                                                     9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
  Hypothetisches Szenario für
  unterschiedliche Impfquoten innerhalb
                                                                                     Alter in Jahren
  des Schulimpfprogramms
  Abbildung 3 stellt je nach hypothetischem Anteil der         Abb. 3 | Impfquote bei 9- bis 18-jährigen Mädchen im
                                                               Landkreis Bergstraße entsprechend der Daten der
  im Rahmen des Schulimpfprogramms geimpften                   RKI-Impfsurveillance und hypothetische Impfquoten bei
  Mädchen die Impfquote für eine vollständige Impf-            11-jährigen Mädchen je nach angenommenem Anteil
  serie bei allen 11-jährigen Mädchen des LK Bergstra-         (40 – 100 %) von geimpften Mädchen im Rahmen des
                                                               Schulimpfprogramms.
  ße dar. Wären innerhalb des Programms 40 % der
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  gramm erfassten jungen Altersgruppen mit einer              Neben der Linksverschiebung der Impfquoten hin
  vollständigen HPV-Impfserie im LK Bergstraße im             zu einem jüngeren Impfalter zeigt sich jedoch zum
  Vergleich mit den anderen Landkreisen Hessens               jetzigen Analysezeitpunkt im weiteren Altersverlauf
  tendenziell überdurchschnittlich groß. Dieser An-           keine deutliche absolute Erhöhung der Impfquoten
  teil nahm über die Jahre – genauso wie der Anteil           im LK Bergstraße. Wie in Abbildung 3 dargestellt,
  der teilnehmenden Schulen im Schulimpfpro-                  wäre bei einer erfolgreichen Intervention in den Da-
  gramm – zu. Im Alter von 15 Jahren waren die Impf-          ten bei den Mädchen der 4.  Klasse ein steiler An-
  quoten im LK Bergstraße sowohl für eine angefan-            stieg der Impfquoten im Alter von 10 bzw. für eine
  gene als auch für die vollständige Impfserie jedoch         vollständige Impfserie spätestens im Alter von
  wieder vergleichbar mit denen für Hessen gesamt;            11  Jahren zu erwarten. Dies zeichnet sich in den Er-
  der LK Bergstraße bewegte sich damit im Mittelfeld          gebnissen der RKI-Impfsurveillance bisher nicht ab.
  aller hessischen Landkreise. Jedoch muss hier be-           Vielmehr zeigen die Daten, dass wahrscheinlich
  rücksichtigt werden, dass eine Beurteilung der              eine Impfquote von etwa 40 % unter den Viertkläss-
  Impfquoten im Rahmen der RKI-Impfsurveillance               lerinnen der teilnehmenden Schulen durch die In-
  zum jetzigen Zeitpunkt (noch) wenig sinnvoll ist, da        tervention erreicht wurde. Bei längerfristigem Be-
  die Reichweite des Schulimpfprogrammes damals               stehen des Schulimpfprogramms mit gleicher oder
  mit sechs teilnehmenden Schulen bei den im Jahr             zunehmender Anzahl an teilnehmenden Schulen
  2020 15-jährigen Mädchen noch sehr gering war.              und erfolgreicher Intervention sollten die hohen
  Ein Effekt des Schulimpfprogramms bezogen auf               Impfquoten der 10- oder 11-jährigen Kinder dann bis
  die Impfquoten aller Mädchen im LK Bergstraße               zum Alter von 15 Jahren idealerweise noch etwas
  kann daher für diese Altersgruppe in den Daten der          weiter ansteigen (Impfung der verbliebenen Mäd-
  RKI-Impfsurveillance kaum sichtbar sein.                    chen, die nicht über das Schulimpfprogramm er-
                                                              reicht wurden) bzw. auf hohem Niveau ein Plateau
  Da die HPV-Impfung keine therapeutische Imp-                bilden. Der Beobachtungszeitraum reicht zum
  fung ist, sollte idealerweise vor ersten sexuellen          ­jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht aus, um diesen
  Kontakten und damit vor einer möglichen ersten               ­Aspekt in den Daten der RKI-Impf­surveillance zu
  HPV-Infektion geimpft werden. Sexuelle Kontakte               beurteilen.
  umfassen hierbei nicht nur den Geschlechtsver-
  kehr, sondern auch das diesem vorausgehende In-             Die dargestellten Ergebnisse lassen annehmen, dass
  timpetting. Während in einer Erhebung der Bun-              durch das Schulimpfprogramm vor allem Mädchen
  deszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)           bzw. deren Eltern erreicht wurden, die einer HPV-
  im Jahr 2019 erst 4 % der Mädchen und 3 % Jungen            Impfung bereits positiv gegenüberstanden und die
  in Deutschland im Alter von 14 Jahren angaben, Ge-          Impfung ansonsten zu einem späteren Zeitpunkt
  schlechtsverkehr gehabt zu haben, lag der Anteil der        ggf. in der kinderärztlichen Praxis durchgeführt hät-
  14- bis 15-jährigen Mädchen und Jungen mit Erfah-           ten. Durch das Schulimpfprogramm kommt es zu
  rungen im Intimpetting bereits bei ca. 20 %.21 Dazu         einer Impfung zu einem früheren Zeitpunkt und
  passen auch die Ergebnisse der großen britischen            ggf. an einem alternativen Ort (Schule), es werden
  Studie aus dem Jahr 2021, in der die Risikoreduk­           jedoch keine oder wenige zusätzliche Mädchen und
  tion bezüglich des Auftretens eines Zervixkarzi-            deren Eltern erreicht. Neben den in Abbildung 3 ge-
  noms umso größer war, je jünger die Altersgruppe            zeigten Szenarien gibt die erste Evaluation des Schul­
  der geimpften Mädchen (12 bis 13 Jahre vs. 14 bis 16        impfprogrammes darauf bereits einen Hinweis,
  Jahre vs. 16 bis 18 Jahre).7 Wird daher wie im Schul­       wenn auch die Zahlen in der Befragung sehr klein
  impfprogramm im LK Bergstraße bereits im Alter              waren und die Beteiligungsrate gering:18,19 Nach der
  von 10 Jahren gegen HPV geimpft, ist davon auszu-           Informationsveranstaltung waren nur knapp mehr
  gehen, dass zu diesem Zeitpunkt praktisch keine             als die Hälfte an der Impfung interessiert, wovon
  sexuellen Kontakte in dieser Altersgruppe stattge-          dann mehr Mädchen in der Praxis (n = 27) als in der
  funden haben und damit der volle Nutzen der                 Schule (n = 21) geimpft wurden. Offen bleibt, ob El-
  HPV-Impfung ausgeschöpft werden kann.                       tern, die ihre Kinder in der Schule impfen ließen, die
                                                              Impfung auch in der Praxis in Anspruch genommen
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  hätten, also Praxis und Schule eine gleichwertige Op-           Österreich liegt nicht vor, sie wird jedoch auf unter
  tion darstellen. Trifft letzteres zu, so wird durch das         50 % geschätzt und ist daher mit der Impfquote in
  Schulimpfprogramm ein niederschwelliger Zugang                  Deutschland vergleichbar.23 In Österreich hat somit
  geschaffen, der aber nur von bereits impfwilligen El-           ein seit 20 Jahren bestehendes, flächendeckendes
  tern genutzt wird. Inwiefern jedoch unsichere oder              Schulimpfprogramm mit ergänzendem, optionalen
  impfablehnende Eltern durch das Modellprojekt von               Impfangebot bei niedergelassenen Ärztinnen und
  der HPV-Impfung überzeugt werden können, kann                   Ärzten bisher zu keinen mit dem skandinavischen
  mit den vorliegenden Evaluationsdaten nicht beant-              oder angelsächsischen Raum vergleichbaren HPV-
  wortet werden. Zur Annäherung an diese Frage wäre               Impfquoten geführt.
  eine tiefergehende Evaluation mittels Befragung
  wünschenswert. Darüber hinaus ist eine Evaluation
  der Mädchen-Impfquoten in den teilnehmenden                     Zusammenfassung
  versus nicht teilnehmenden Schulen im LK Berg­                  Die Daten der RKI-Impfsurveillance zeigen, dass
  straße im Alter von 11 Jahren (direkt nach der Inter-           das Schulimpfprogramm im LK Bergstraße zu einer
  vention) sowie im Alter von 15 Jahren (Ende der                 frühzeitigeren Impfung der 10-jährigen Mädchen
  ­STIKO-Empfehlungsperiode) notwendig, um die                    führt. Eine Impfung in diesem Alter und damit vor
   Theorie einer möglichen Linksverschiebung des                  (jeglichen) sexuellen Kontakten ermöglicht den bes-
   Impfalters ohne zusätzliche Impfquotenerhöhung                 ten zu erreichenden Schutz durch die HPV-Imp-
   weiter zu prüfen.                                              fung und ist damit besonders wichtig. Es lässt sich
                                                                  zu diesem Zeitpunkt in den Daten der RKI-Impfsur-
  Vor Einführung von weiteren, flächendeckenden                   veillance jedoch keine Netto-­Zunahme der HPV-
  Schulimpfprogrammen sollte zudem eine Kosten-                   Impfquoten im LK Bergstraße erkennen, die in Zu-
  Nutzen-Analyse durchgeführt werden. Hierfür                     sammenhang mit dem seit 2015 bestehenden Schu-
  könnten auch Erfahrungen aus Österreich interes-                limpfprogramm in diesem LK gebracht werden
  sant sein, die aufgrund des gleichen Kulturraums                kann. Auch ist aus den bisher vorliegenden pro-
  und ähnlicher gesundheitspolitischer Strukturen                 grammeigenen Evaluationsdaten nicht erkennbar,
  besser auf Deutschland übertragbar sind als Erfah-              ob durch das Schulimpfprogramm in Bezug auf die
  rungen aus dem skandinavischen oder angelsächsi-                Inanspruchnahme der HPV-Impfung unsichere
  schen Raum. In Österreich existiert seit mehr als               oder gar impfablehnende Eltern erreicht werden
  20  Jahren ein Schulimpfprogramm, welches neben                 konnten.
  Impfungen z. B. gegen Tetanus, Diphtherie und
  ­Polio seit 2014 auch die HPV-Impfung in – je nach              Basierend auf diesen zum jetzigen Zeitpunkt vorlie-
   Bundesland – der 4. oder 5. Klasse beinhaltet. Imp-            genden Daten erscheint es zumindest fraglich, ob
   fungen können jedoch auch bei niedergelassenen                 flächendeckende Schulimpfprogramme in Deutsch-
   Ärztinnen und Ärzten oder in Impfstellen vorge-                land eine Lösung zur Steigerung der HPV-Impfquo-
   nommen werden.22 Eine HPV-Impfquote für ganz                   ten darstellen.

  Literatur                                                       3 Zentrum für Krebsregisterdaten. Krebsarten 2021
  1   Robert Koch-Institut (RKI). Mitteilung der S
                                                 ­ tändigen         [Available from: https://www.krebsdaten.de/Krebs/
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Epidemiologisches Bulletin        20 | 2022        19. Mai 2022                                                     11

  5 Robert Koch-Institut. Impfung gegen HPV – Aktuel-             17 Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS).
     le Bewertung der STIKO. Epid Bull. 2009;32:319-28.             HPV-Prävention an Schulen: „Geschützt in die
                                                                    Zukunft“. KVS-Mitteilungen. 2019. https://www.
  6 Lei J, Ploner A, Elfstrom KM, Wang J, Roth A, Fang
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  7 Falcaro M, Castanon A, Ndlela B, Checchi M,
                                                                  18 Maulbecker-Armstrong C, Riemann J. Freiwilliges
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  8 World Health Organization. Cervical Cancer Elimi-
                                                                  20 Rieck T, Feig M, Wichmann O, Siedler A. Impfquo-
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                                                                    aktuelle Ergebnisse aus der RKI-Impfsurveillane.
  9 Europäische Kommission. Europas Plan gegen den                  Epid Bull. 2020;32-33:9-27.
     Krebs: Neue Maßnahmen für einen besseren Zu-
                                                                  21 Scharmanski S, Hessling A. Im Fokus: Einstieg in
     gang zu Prävention, Früherkennung, Behandlung
                                                                    das Sexualleben. Jugendsexualität 9. Welle.
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                                                                    BZgA-Faktenblatt. Köln: Bundeszentrale für gesund-
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                                                                    heitliche Aufklärung (BZgA); 2021.
  10 Rieck T, Feig M, Delere Y, Wichmann O. Utilization
                                                                  22 Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege
     of administrative data to assess the association
                                                                    und Konsumentenschutz. Impfung gegen Humane
     of an adolescent health check-up with human
                                                                    Papillomaviren (HPV) 2022. https://www.sozialmi-
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  11 Rieck T, Feig M, Eckmanns T, Benzler J, Siedler A,
                                                                  23 Kment A (im Gespräch mit Joura EA). Optimie-
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  12 Rieck T, Feig M, Siedler A. Impfquoten von Kinder­
                                                                  Dr. Anja Takla | Nora Schmid-Küpke |
     schutzimpfungen in Deutschland – aktuelle
                                                                  PD Dr. Ole Wichmann | Dr. Thorsten Rieck
     Ergebnisse aus der RKI-Impfsurveillance. Epid Bull.
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                                                                  FG 33 Impfprävention
  13 World Health Organization. Immunization data
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  14 Beschlüsse der Gesundheitsminister­konferenz                 Vorgeschlagene Zitierweise
     (GMK) 16.06.2021. TOP: 8.1 Impfung gegen Huma-               Takla A, Schmid-Küpke N, Wichmann O, Rieck T:
     ne Papillomaviren (HPV) 2021. https://www.gm-                Schulimpfprogramme als Lösung zur Steigerung
     konline.de/Beschluesse.html?id=1134&jahr=2021.               der HPV-Impfquoten in Deutschland? –
                                                                  Entwicklung der Impfquoten in einer hessischen
  15 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medi-
                                                                  Modellregion mit Schulimpfprogramm
     zinischen Fachgesellschaften (AWMF). S3 Leitlinie:
     Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien 2020.             Epid Bull 2022;20:3-11 | DOI 10.25646/10039
     https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/082-002.
     html.
                                                                  Interessenkonflikt
  16 preventa. Freiwillige HPV-Schulimpfung 2022.                 Die Autorinnen und Autoren geben an, dass keine
     https://ja-ich-auch.preventa.de/beschreibung/.               Interessen­konflikte bestehen.
Epidemiologisches Bulletin                     20 | 2022                   19. Mai 2022                                                                                     12

  Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten
  19. Woche 2022 (Datenstand: 18. Mai 2022)

  Ausgewählte gastrointestinale Infektionen
                       Campylobacter-­                      Salmonellose               EHEC-Enteritis                   Norovirus-­                      Rotavirus-­
                          Enteritis                                                                                    Gastroenteritis                 Gastroenteritis
                            2022            2021            2022             2021           2022           2021             2022            2021           2022             2021
                      19.       1.– 19.    1.– 19.    19.         1.– 19.    1.–19.   19.       1.– 19.    1.– 19.    19.       1.– 19.    1.– 19.   19.         1.– 19.   1.– 19.
  Baden-­
  Württemberg            48         983        957          10       232       204          6        52         43      74         1.525       218         59       667          98
  Bayern                 71        1.420     1.513          13       268       243          0        59         56     129         3.059       206    146         1.254        189
  Berlin                 20         580        541          10        92         70         0        13         26      33          866         95         30       662          95
  Brandenburg            17         406        434           2        76         62         1        17           8     57         1.022       218    101           905          93
  Bremen                    1        72          74          2        14         11         0          2          1         3        82         12          3         51         11
  Hamburg                   2       305        282           1        44         45         1          6          4     12          380         47         34       390          36
  Hessen                 38         834        699          14       198       117          0        14         16      39         1.270        85         49       553        132
  Mecklenburg-­
  Vorpommern             17         289        398           0        34         58         1        15           7     51          696         80         44       341        184
  Niedersachsen          35         928      1.106           8       168       260          4        45         38      62         1.548       142         58       476        158
  Nordrhein-­
  Westfalen            130         2.765     2.466          35       344       535          8        93         69     165         4.604       297    229         1.910        414
  Rheinland-­Pfalz       22         662        618           2       101       127          2        24         17      40         1.436        86         43       428          48
  Saarland                  4       216        190           0        33         43         2          5          5     12          287         25          7       102          19
  Sachsen                54        1.157     1.281           8       206       161          1        41         22      88         2.405       423    183         1.643        160
  Sachsen-­Anhalt        19         422        375           7       113         71         1        15         15      92         1.477       408         57       382          55
  Schleswig-­
  Holstein               15         385        426           2        24         53         0        25         14      25          542         32         20       260          51
  Thüringen              29         471        477           8       159         96         0          9        10      51          821        159         52       376          75
  Deutschland          522 11.895           11.837      122        2.106      2.156       27        435       351      933 22.020            2.533 1.115 10.400              1.818

  Ausgewählte Virushepatitiden und respiratorisch übertragene Krankheiten
                            Hepatitis A                     Hepatitis B                     Hepatitis C                 Tuberkulose                            Influenza
                            2022           2021             2022             2021           2022           2021             2022           2021            2022            2021
                      19.       1.– 19.    1.– 19.    19.        1.– 19.    1.–19.    19.       1.–19.     1.– 19.    19.       1.– 19.    1.– 19.   19.        1.– 19.    1.– 19.
  Baden-­
  Württemberg               0        30         19      50          738        503      25          352       337           4       170       211      90        1.027           30
  Bayern                    0        30         37      46          888        502      24          323       308       10          180       203    295         2.305           43
  Berlin                    0        15           5     18          298        148      10          125        76           3       116       108      92          625            8
  Brandenburg               0         9           9         3        89         32          3        37        24           3        41        30    135           558           19
  Bremen                    0         1           1         1        41         39          0        21          9          3        29        12          2        69            2
  Hamburg                   0         5           4         7       190        106          4        53        34           4        53        65      47          376            9
  Hessen                    0        11         17      15          499        258          7       158       129       13          147       157      37          498           14
  Mecklenburg-­
  Vorpommern                0         6           9         4        43         15          3        17        14           3        11          9   257           711            6
  Niedersachsen             2        17         18      18          314        204      16          179       106           5       104       102      82          542           19
  Nordrhein-­
  Westfalen                 3        64         55      75         1.215       703      40          634       422       15          313       336    122         1.110           41
  Rheinland-­Pfalz          1         8         12      23          326        116          5       122        94           3        39        63      47          354           16
  Saarland                  1         4           5         4        47         21          1        11        21           4        10        22          7       131            1
  Sachsen                   0         6           6         7       138         71          6        88        52           0        45        54    642         2.939           30
  Sachsen-­Anhalt           0         5           5         4        66         23          1        35        20           0        30        20    124           717           32
  Schleswig-­
  Holstein                  1         8           4     14          121         74          8        96        65           2        38        42      43          280            2
  Thüringen                 0         3           6         7        58         38          6        25        13           2        18        30      52          310           16
  Deutschland               8       222       212      296         5.071     2.853     159         2.276    1.724       74         1.344    1.464 2.074         12.552           288
  Allgemeiner Hinweis: Das Zentrum für tuberkulosekranke und -gefährdete Menschen in Berlin verwendet veraltete Softwareversionen,
  die nicht gemäß den aktuellen Falldefinitionen des RKI gemäß § 11 Abs. 2 IfSG bewerten und übermitteln.
Epidemiologisches Bulletin                         20 | 2022                     19. Mai 2022                                                                                                         13

  Ausgewählte impfpräventable Krankheiten
                                   Masern                            Mumps                                  Röteln                         Keuchhusten                             Windpocken
                              2022             2021              2022              2021                 2022              2021                 2022             2021               2022               2021
                        19.        1.– 19.     1.– 19.     19.         1.– 19.     1.– 19.        19.       1.– 19.       1.– 19.        19.       1.– 19.      1.– 19.      19.        1.– 19.      1.– 19.
  Baden-­
  Württemberg                 0           1           0          1           4           0              0         0               0            5          31        25             38        512         351
  Bayern                      0           3           0          0           5           6              0         1               1            7          94        75             49        702         419
  Berlin                      0           2           0          0           4           4              0         0               0            0            6          5           10        134         148
  Brandenburg                 0           1           0          0           1           3              0         0               0            3            7          8            9         79           46
  Bremen                      0           0           0          0           1           0              0         0               0            0            0          0            2         38           19
  Hamburg                     0           0           2          0           1           2              0         0               0            1            4          5            4         59           51
  Hessen                      0           1           0          0           6           7              0         0               0            2          31        26             15        160         117
  Mecklenburg-­
  Vorpommern                  0           0           0          0           0           0              0         0               0            0            4          1            1         34           26
  Niedersachsen               0           0           0          1           6           3              0         0               0            1          11        14             19        233         153
  Nordrhein-­
  Westfalen                   0           1           1          0           6           3              0         0               0            0          37        46             46        541         310
  Rheinland-­Pfalz            0           0           0          0           0           2              0         0               0            0          18        20              4         98         116
  Saarland                    0           0           0          0           0           0              0         0               0            0            7          5            0          8           17
  Sachsen                     0           0           0          0           3           3              0         0               0            1          13           8           16        220         153
  Sachsen-­Anhalt             0           0           0          0           3           0              0         0               0            0            8       15              3         27           32
  Schleswig-­
  Holstein                    0           1           0          0           5           2              0         0               0            0            4          3            5         49           46
  Thüringen                   0           0           0          0           2           0              0         0               0            4          23        13              2         43           21
  Deutschland                 0          10           3          2           47          35             0         1               1        24          298         269        223           2.937      2.025

  Erreger mit Antibiotikaresistenz und Clostridioides-difficile-Erkrankung und COVID -19
                              Acinetobacter1              Enterobacterales1                   Clostridioides                          MRSA3                                 COVID-194
                                                                                                 difficile2
                                  2022         2021             2022          2021             2022             2021              2022             2021                    2022                     2021
                          19. 1.– 19. 1.– 19.             19.    1.– 19. 1.– 19.         19.      1.– 19. 1.– 19.           19.       1.– 19. 1.– 19.            19.              1.– 19.           1.– 19.
  Baden-­
  Württemberg                  0         14        12       6          140        125         1          23       29           0          24           26        49.979       2.580.253             233.643
  Bayern                       4         30        22      11          158        158         3          57       63           2          36           45        73.442       3.471.305             291.689
  Berlin                       1         29        20      14          170        110         1          11       13           5          20           15        14.488            695.418           75.013
  Brandenburg                  4         13          1      6          35          20         0          17       23           1           9           12         8.064            535.526           60.215
  Bremen                       0          1          1      1          11            8        0             4         3        0           5            6         4.085            145.795           12.760
  Hamburg                      1          8        13       1          37          28         2             7         9        2           5            9         9.835            426.061           36.939
  Hessen                       1         20        16      14          220        159         0          20       24           0          17           20        38.146       1.324.530             138.558
  Mecklenburg-­
  Vorpommern                   0          0          2      0            9           6        2          22       17           1          12           13         5.598            377.319           30.438
  Niedersachsen                1         16        10       6          128        103         2          33       48           4          44           49        54.972       1.844.949             141.192
  Nordrhein-­
  Westfalen                   13         43        28      31          418        415         1         118      169           9         103          133        79.947       3.757.418             382.760
  Rheinland-­Pfalz             1         18          0      0          60          39         2          35       19           0           7           10        19.602            843.596           74.210
  Saarland                     0          0          0      0            3           7        0             1         3        0           3            5         4.136            235.518           19.301
  Sachsen                      1          5          2     11          86          72         0          47       42           2          18           27        11.240            838.873          136.962
  Sachsen-­Anhalt              0          1          1      3          43          37         2          29       35           2          18           18         7.109            481.767           63.769
  Schleswig-­Holstein          0          3          4      1          33          38         0             5         3        1           6           13        20.341            582.463           35.960
  Thüringen                    0          3          0      0            9           9        1             6     10           3          13            8         4.520            412.194           79.706
  Deutschland                 27         204      132 105         1.560          1.334       17         435      510         32          340          409       405.504 18.552.985 1.813.115
  1 Infektion und Kolonisation
    (Acinetobacter spp. mit Nachweis einer Carbapenemase-Determinante oder mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Carbapenemen)
  2 Clostridioides-difficile-Erkankung, schwere Verlaufsform
  3 Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, invasive Infektion
  4 Coronavirus-Krankheit-2019 (SARS-CoV-2)
Epidemiologisches Bulletin               20 | 2022          19. Mai 2022                                                                         14

  Weitere ausgewählte meldepflichtige Infektionskrankheiten
                                                                                                                            2022               2021
  Krankheit                                                                                                           19.        1.– 19.       1.– 19.
  Adenovirus-Konjunktivitis                                                                                                  0         20             12
  Botulismus                                                                                                                 0             1             1
  Brucellose                                                                                                                 0             0             3
  Chikungunyavirus-Erkrankung                                                                                                0             0             0
  Creutzfeldt-Jakob-Krankheit                                                                                                0         26             50
  Denguefieber                                                                                                               0         49                9
  Diphtherie                                                                                                                 0             0             8
  Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)                                                                                      0             8          32
  Giardiasis                                                                                                                24       472           408
  Haemophilus influenzae, invasive Infektion                                                                                 0       200              72
  Hantavirus-Erkrankung                                                                                                      2         20          759
  Hepatitis D                                                                                                                0         18             22
  Hepatitis E                                                                                                               60     1.240         1.050
  Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)                                                                                       0         11                7
  Kryptosporidiose                                                                                                          35       547           292
  Legionellose                                                                                                              16       289           323
  Lepra                                                                                                                      0             0             0
  Leptospirose                                                                                                               0         11             31
  Listeriose                                                                                                                15       222           186
  Meningokokken, invasive Erkrankung                                                                                         3         31             19
  Ornithose                                                                                                                  0             1             5
  Paratyphus                                                                                                                 0             2             2
  Q-Fieber                                                                                                                   0         18             30
  Shigellose                                                                                                                 1         95             27
  Trichinellose                                                                                                              0             0             0
  Tularämie                                                                                                                  0             9          23
  Typhus abdominalis                                                                                                         0         13                9
  Yersiniose                                                                                                                31       675           684
  Zikavirus-Erkrankung                                                                                                       0             1             0

  In der wöchentlich veröffentlichten aktuellen Statistik werden die gemäß IfSG an das RKI übermittelten Daten zu meldepflichtigen Infektions-
  krankheiten veröffentlicht. Es werden nur Fälle dargestellt, die in der ausgewiesenen Meldewoche im Gesundheitsamt eingegangen sind, dem
  RKI bis zum angegebenen Datenstand übermittelt wurden und die Referenzdefinition erfüllen (s. www.rki.de/falldefinitionen).
Epidemiologisches Bulletin       20 | 2022       19. Mai 2022                                                  15

    Nicht-reiseassoziierte Fälle von Affenpocken
    in Europa und Nordamerika

    Anfang Mai 2022 wurde im Vereinigten König-                 Reservoirtiere in afrikanischen Endemiegebieten
    reich (VK) ein Fall von Affenpocken diagnostiziert,         sind nicht Affen, sondern vermutlich Nagetiere. In-
    der nach einer Reise nach Nigeria aufgetreten war.          fektionen können durch Kontakt mit Sekreten infi-
    Seither wurden im VK acht weitere Fälle von                 zierter Tiere übertragen werden (in den USA gab
    ­Affenpocken bei Personen ohne vorherige Reisen             es 2003 einen Ausbruch durch als Haustiere gehal-
     und ohne Kontakt zu bekannten reiseassoziierten            tene Präriehunde, die sich vor ihrem Verkauf in
     Fällen diagnostiziert. Dabei handelt es sich um            Zoohandlungen durch Kontakt mit Nagetieren aus
     zwei Fälle in einer Familie sowie um sechs Fälle bei       Afrika infiziert hatten). Mensch-zu-Mensch-Über-
     Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Män­            tragungen (durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten
     nern angaben. Außer in der Familie und bei zwei            oder Krusten) mit limitierten Infektionsketten von
     der Männer sind keine Verbindungen der Fälle               bis zu sechs Personen sind beschrieben, z. B. im
     ­untereinander bekannt. Untersuchungen zu den              Rahmen der Krankenversorgung. Auch die Über-
      Infektionsquellen sind angelaufen.                        tragung von Pockenviren im Rahmen sexueller
                                                                Handlungen ist möglich (für Vacciniavirus be-
    Am 18.05.2022 wurden auch bei fünf Männern in               schrieben). Weite Teile der Weltbevölkerung haben
    Portugal Affenpockeninfektionen bestätigt. Dort             mittlerweile keinen durch die früheren Pocken­
    und ebenfalls in Spanien werden aktuell weitere             schutzimpfungen vermittelten Impfschutz mehr.
    Verdachtsfälle untersucht. In den USA wurde bei             In afrikanischen Ländern, wie z. B. Nigeria, wer-
    einem Mann, der vor kurzem nach Kanada gereist              den seit 2017 vermehrt Affenpockeninfektionen
    war, eine Infektion mit Affenpocken bestätigt. Ver-         beim Menschen diagnostiziert, und reiseassozi-
    bindungen zwischen den Fällen in den verschiede-            ierte Infektionen bei Nigeria-Rückkehrenden vor
    nen Ländern sind bislang nicht ­bekannt.                    allem im VK.

    Affenpocken sind eine durch Affenpockenviren                Bei einem verdächtigen klinischen Bild sollte ins-
    verursachte Viruserkrankung. Klinisch äußert sie            besondere bei Reiserückkehrenden aus (West-)
    sich vor allem durch Fieber, Kopf- und Muskel­              Afrika und natürlich bei Kontaktpersonen bekann-
    schmerzen sowie durch Hautefflores­zenzen, wel-             ter Fälle eine Affenpockeninfektion in Betracht ge-
    che simultan die Stadien Macula, P ­ apula, V
                                                ­ esicula       zogen werden. Aufgrund der im Mai 2022 aus ver-
    und Pustula durchlaufen und letztlich verkrusten            schiedenen Ländern berichten Affenpockenfälle
    und abfallen. Folgen einer überstandenen Infek-             ohne Reiseanamnese in Endemiegebiete, u. a. bei
    tion sind Narbenbildung und selten auch Erblin-             Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Män-
    dung. Die Krankheit verläuft i. d. R. milder als die        nern angaben, sollten Affenpocken auch bei Per-
    klassischen Pocken (Variola-Virusinfektion), aber           sonen ohne bekannte Reiseanamnese in Endemie-
    vor allem bei sehr jungen und/oder immunge­                 gebiete mit unklaren pockenähnlichen Efflores-
    schwächten Patientinnen und Patienten kann es               zenzen (in Abgrenzung zu Windpocken etc.) oder
    ge­rade in Endemiegebieten auch zu schweren                 Läsionen in die erweiterten differenzialdiagnosti-
    Verläufen und Todesfällen kommen. Eine mögli-               schen Überlegungen einbezogen werden.
    che Therapieoption, v. a. für immungeschwächte
    Patientinnen und Patienten, ist seit Januar 2022            Speziallabore, wie z. B. ZBS 1 am Robert Koch-
    auch in der Europäischen Union zugelassen                   Institut (RKI; Konsiliarlabor Pocken), bieten eine
    (Teco­virimat), bisher aber nicht breit verfügbar.          molekulare Diagnostik zur Identifizierung von
Epidemiologisches Bulletin     20 | 2022     19. Mai 2022                                                16

    ­ ffenpockeninfektionen und Typisierung von
    A                                                       Hintergrundinformationen finden Sie u. a. hier:
    ­Affenpockenviren an (Material: Kruste oder Vesi-       ▶▶ Verschiedene Dokumente zu Affenpocken
     kelflüssigkeit). Beratung zum klinischen Manage-       ▶▶ Hinweise zur Diagnostik am RKI
     ment ist jederzeit möglich über die Behandlungs-       ▶▶ Hintergrundartikel: Nitsche A, Schrick L,
     zentren des STAKOB (www.rki.de/stakob).                   Schaade L. Infektionen des Menschen mit
                                                               Affenpocken. Flug u Reisemed 2019; 26:
    Um mögliche Affenpockenerkrankungen zu erfas-              18–24
    sen und deren Weiterverbreitung zu verhindern,
    sollten diagnostizierte Infektionsfälle systema-
    tisch erfasst werden. Diese sollten von Ärztinnen
    und Ärzten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 Infektions-
    schutzgesetz (IfSG) und von ­Laboren gemäß § 7.2
    IfSG gemeldet werden.
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