Eröffnungsrede: "Albzeit"

 
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Eröffnungsrede: "Albzeit"
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           ©Copyright by: Hermann Schludi        73434 Aalen   Biberweg 62

                                Eröffnungsrede:
                                     „Albzeit“
                        „Tanja Niederfeld: Holzschnitte“
                           am 23. Juli 2021 um 18.30 Uhr

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Ausstellung greift
die Galerie Schloss Fachsenfeld endlich wieder ins regionale Kunstgesche-
hen ein. Und wenn wir das tun, das wissen Sie, liebe Besucher, dann ma-
chen wir das richtig und in der gewohnt hochkarätigen Art und Weise.
    So präsentieren wir ab heute noch bis zum 12. September mit Tanja
Niederfeld eine renommierte, international agierende Malerin und Graphike-
rin in unseren Räumen.
    Mit der Ausstellung „Albzeit“, die wir heute eröffnen, lernen Sie Frau
Niederfeld als Meisterin der Druckgraphik, genauer gesagt des Holzschnitts
kennen. Zu ihrem Repertoire gehören alle nur erdenkliche Spielarten des
Hochdruckes: vom Einplattendruck über den Mehrplattendruck bis hin zu
Holzschnittreliefs, die ohne Druckabsicht zu autonomen Kunstobjekten
werden. Ihre Farbholzschnitte sind Handabdrucke (ohne Presse) und des-
halb Unikate.
    Tanja Niederfeld, die im Vorfeld zur Entstehung dieser Arbeiten als
„artist in residence“ in einem zweiwöchigen Aufenthalt in Aalen und Umge-
bung ihre Landschaftsstudien erarbeitete, braucht den direkten Kontakt zur
realen Landschaft. Sie hat sich mit Wanderschuhen und Skizzenblock auf
eine neugierige Spurensuche in unsere Landschaft begeben. Ihre Absicht
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war es, den Charakter, die Eigenheiten, das essenziell Wesentliche unserer
Albregion zu erspüren um sie dann im künstlerischen Umsetzungsprozess
als reduzierte Impression sichtbar zu machen.
     Und in der Tat ist die abstrahierende Reduktion von realen Seherleb-
nissen der Schlüssel zu Niederfelds druckgraphischen Arbeiten. Mit hoher
Wahrnehmungssensibilität erspürt sie die Unterschiede zwischen der Karg-
heit der Schwäbischen Alb und der geradezu weich anmutenden Konturen-
sprache des hiesigen Wellandes. Hart abgegrenzte Flächenkanten stehen
in einer widersprüchlichen Wechselbeziehung zur harmonischen, pastell-
tonigen Farbigkeit der rauen Landschaftsassoziationen. Ein knapp ange-
deutetes, klares Liniengefüge bildet den kargen Kompositionsrahmen, der
das Bildganze strukturiert.
     Zusätzliche raumperspektivische Andeutungen oft gepaart mit Schraf-
fur-Einsprengseln innerhalb der Farbflächen schaffen ein Bild, das das We-
sentliche einer Landschaft assoziativ andeutet, ohne in exakte geografische
Verortung zu verfallen. Trotzdem gelingt es der Künstlerin in essentiellen
Zeichen den wechselnden Charakter der Ostalb, zwischen rauer, kantiger
Naturszenerie und urbar gemachter Kulturlandschaft als bildhafte Ahnung
in ihren Werken aufblitzen zu lassen.
     Niederfeld gestaltet mit künstlerisch-graphischen Mitteln ein Seherleb-
nis, das nach intensivem Schauen und Erkunden vor Ort das Wesen einer
Naturregion - (der Ostalb) - reduziert widerspiegelt, ohne es naturgetreu
abzubilden. Der Natureindruck wird - wenn man so will - durch die Künstle-
rin über Skizzen und Vorzeichnungen zum künstlerischen Ausdruck und
dann zum Druck.
     Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Holzdrucke erwachsen
aus einer Gestaltungsmanier, die bewusst zwischen gegenständlicher An-
deutung und abstrahierender Reduzierung hin- und herwechselt. Man könn-
te auch sagen: aus dem subjektiven Realitäts-Eindruck der Künstlerin wird
der künstlerische Ausdruck.
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    Dieses changierende Wechselspiel findet auch noch auf einer zweiten
Gestaltungsebene statt. Eng verwoben mit ihrem äußerst ökonomischen
Bildaufbau ist nämlich eine Figur-Grund-Komposition, die doppeldeutig
bzw. mehrdeutig lesbar ist. Ihre vermeintlich ungestalteten Hintergrundflä-
chen sind optisch aktiviert und kippen leicht in den Vordergrund. Umgekehr-
tes gilt genauso. Es gibt keine leeren Bild-Areale und es lassen sich auch
keine eindeutig definierten positiv-negativ bzw. Vorder-Hintergrund Flächen
zuordnen.
    Entscheidend    ist,   dass   die       assoziative   Aufladung   der   Farb-
flächenformen visuell hin- und herkippt, um gleichzeitig die Bedeutung zu
wechseln: Himmel wird Erde, Landschaft wird Fläche, Fläche wird Hügel
usw. Das Auge ist in ihren Bildszenerien ständig unterwegs, um immer wie-
der Neues zuzuordnen und zu entdecken.
    Wir Betrachter begegnen bei unserem visuellen Spaziergang durch ih-
re Bilder einer sich stetig ändernden Ostalb Landschaft. Nicht umsonst hat
Frau Niederfeld einer ganzen Serie von Werken den Titel: “Begegnung“ ge-
geben.
    A propos Serien: dass Frau Niederfeld seriell arbeitet, versteht sich
unter den schon genannten Prämissen von allein. Nichts ist wandelbarer
als eine Landschaft. Ihre Wahrnehmung hängt von so vielen unterschiedli-
chen Faktoren wie Jahreszeit, Atmosphäre, Wetter oder Stimmung ab, dass
man das Gleiche zu unterschiedlichen Zeiten völlig anders mit dem inneren
Auge betrachtet.
    Dass wir derselben Landschaft immer wieder in unterschiedlicher opti-
scher Ausprägung begegnen, birgt einen weiteren Grund für die Farbge-
staltung, die Tanja Niederfeld ihren Formfeldern, Formzeichen und Struktur-
feldern zuweist. Abgesehen vom wechselnden Farbauftrag, der von glatt
bis reliefartig variieren kann, gibt es nicht nur monochrome Farbfeldzuwei-
sungen, sondern auch transparente an Lasurtechnik erinnernde übereinan-
der liegende optische Farbmischungen. Gleichberechtigt daneben stehen
zudem sich überschneidende Formflächen in pastos opaken Koloraturen.
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Die Farbbehandlung ihrer Drucke ist so abwechslungsreich und souverän,
dass man sie mit Malereien verwechseln kann.
     Eine entscheidende Schlüsselfunktion im druckgrafischen Oeuvre von
Tanja Niederfeld hat jedoch die Farbe oder „Nichtfarbe“ schwarz.
     Bringen die anderen Farben das Licht in ihre Werke, so setzt das
Schwarz mit seiner schweren Materialität die Hauptakzente. Schwarz ab-
sorbiert alle anderen Farben und bietet gleichzeitig den maximalen Kontrast
zu den Umgebungsfarben. Es verankert, wenn man so will die anderen
Farben im Kompositionsgefüge und verstärkt zudem ihre Leuchtkraft.
     Dieser versierte, meisterhafte Umgang mit der Farbe Schwarz kulmi-
niert in dieser Ausstellung in der Serie „ALB tiefschwarz“! (ich denke an ihr
mehrteiliges Werk „Alb tiefschwarz 3“)
     In diesen „Schwarzbildern“, treibt Tanja Niederfeld zum einen die
Form- und Farbreduzierung bis zur sich verselbständigenden Abstraktion:
für den Betrachter bleiben nur rhythmisch wogende, auf- und absteigende
Horizont- oder Wellen- man könnte auch sagen „Wellandlinien“ als autono-
mes, visuelles Angebot übrig. Zum anderen wird der Druckstock mit seinen
eingeschnittenen Lineaturen zum eigenständigen Bildobjekt, zum Holzrelief.
Gepaart mit der monochromen Schwarzfärbung und der sich über 5 Meter
erstreckenden Querformats - Formation wird der Fries aus 6 Druckstöcken
letztendlich selbst zur Landschaft, in der sich wogende Wellen und Horizon-
te zu einem atmosphärischen Gesamtkunstwerk verweben.

     Auch in ihren Farbholzschnitten aus der Serie „Begegnungen“ wird
das Hin- und Herkippen zwischen gegenständlichem Eindruck und abstra-
hierendem Aus-Druck noch einmal sehr deutlich. Eine ursprüngliche Natur-
impression - aus Ästen, Zweigen und Blättern – wird durch den radikalen
Bildausschnitt, gepaart mit extremer Nahsicht und leuchtenden Farbflä-
chensegmenten oder Farblinien zum abstrakten, autonomen Bild.
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     Meine Damen und Herren, diese enge Verknüpfung von Landschafts-
eindruck und Landschaftsausdruck hat Tanja Niederfeld als stetig reflektie-
rende Künstlerin selbst wunderbar formuliert.
     Deshalb schließe ich mit ihren eigenen Worten. „Mein Motivschwer-
punkt ist die heimatliche Schwäbische Alb. Landschaft ist ein mit Leben zu
füllender Raum, und immer auch Heimat – oder Fremde. Sie fordert, aus-
schnitthaft wie sie ist (und oft steht der Ausschnitt für das Ganze), eine
Definition der eigenen Position. In meiner Arbeit will ich das Erlebte, Wahr-
genommene auf seine Essenz, auf das Wesentliche reduzieren. Ich erspüre
meine innere und äußere Heimat und mache sie sichtbar.“
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