Evolution und Ausbreitung des Vogelgrippe-Virus H5N1 Asia sowie Aspekte der Biosicherheit
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ORIGINALIEN Tierärztl. Umschau 63, 333 – 339 (2008) Evolution und Ausbreitung des Vogelgrippe-Virus H5N1 Asia sowie Aspekte der Biosicherheit von S. Lorenzen (23 Literaturangaben) Kurztitel: Evolution und Verbreitung von H5N1 Asia Stichworte: Vogelgrippe-Virus H5N1 Asia – Entwicklung – Ausbreitung – Biosicherheit – Geflügelpestverordnung vom 18. 10. 2007 Zusammenfassung aus mindestens neun Gründen nicht mehr haltbar. Viel Von allen asiatischen hochpathogenen Varianten des Vo- wahrscheinlicher ist, dass die H5N1-Qinghai-Variante gelgrippe-Virus H5N1, die in China seit 1996 entstanden durch menschliche Aktivitäten nach Westen und dort von sind und dem Typ Asia zugeordnet werden, wurde nur eine Land zu Land verbreitet wurde. Betriebe mit freilaufen- nach Westen verschleppt. Sie wurde erstmals im Mai 2005 dem Geflügel und Bestände von Wildvögeln sind als bio- aus wild lebenden Streifengänsen am riesigen Hochge- sicherer zu beurteilen als Geflügel-Großbetriebe, die birgs-Salzsee Qinghai in Zentralchina isoliert und er- miteinander vernetzt sind. Diese Erkenntnis findet in der reichte 2006 Europa und Afrika. Die ursprüngliche Hypo- Geflügelpest-Verordnung vom 18. 10. 2007 zu wenig these, dass Zugvögel diese Variante fernverschleppten, ist Beachtung. Abstract 1 Warum H5N1 Asia Sorgen sind zu ergreifen und ungeeignete Maß- Evolution and geographical spread bereitet nahmen sind zu vermeiden. Doch wo of the Avian Influenza Virus H5N1 liegt die Grenze zwischen ihnen? Type Asia and the problem of bio- Aus zwei Gründen erregt das Vogel- Gehört die deutsche Geflügelpest-Ver- security grippe-Virus Typ H5N1 Asia Sorge. ordnung vom 18. Oktober 2007 zu den Key words: Avian influenza H5N1 evo- Erstens hat es seit 1996 eine turbulente geeigneten oder zu den ungeeigneten lution and spread over long distances – Evolution in Südchina durchlaufen und Maßnahmen gegen H5N1 Asia? Diese German avian flu order zur Keulung von Hunderten Millionen Frage sei im folgenden naturwissen- Various »highly pathogenic« strains of von Hausvögeln in Südost-Asien ge- schaftlich geprüft. the avian influenza virus H5N1 type führt (Kilpatrick et al., 2006). Nur eine Asia evolved in China since 1996, but einzige Variante wurde westwärts ver- 2 Evolution von H5N1 only one of them spread west. This breitet und erreichte Anfang 2006 Eu- in Südost-Asien strain was isolated first in may 2005 ropa und Afrika. Zweitens sind schon from bar-headed geese breeding at the 330 Menschen an asiatischen H5N1- Den Prototyp von H5N1 Asia gibt es huge mountain salt-water Lake Qing- Varianten erkrankt, und 202 von ihnen nicht mehr, wohl aber spätere Varianten hai in central China and reached Euro- sind daran gestorben (Weltgesundheits- von ihm. Der Prototyp wurde neben ei- pe and Africa in early 2006. The organisation WHO am 12. Oktober ner anderen H5N1-Variante 1996 auf previous hypothesis, according to 2007). Eine an den Menschen angepas- einer Gänsefarm in Guangdong in which migratoring birds transported ste asiatische H5N1-Variante, die von Südchina gefunden und als GS/GD be- the Qinghai strain over long distances, Mensch zu Mensch übertragen werden zeichnet (Goose/Guangdong) (Xu et has suffered severely from at least nine kann, ist noch nicht bekannt geworden, al., 1999). Die Bedingungen für die arguments. doch vielfach wird befürchtet, eine sol- weitere Evolution von GS/GD waren Now it seems highly probable that the che Variante könnte innerhalb der näch- ideal in Südchina und anderen Ländern Qinghai strain was spread west and sten wenigen Jahre entstehen und dann im Fernen Osten (GRAIN, 2006): thence from one country to the next by eine Pandemie (weltweite Seuche) in 1) Die Geflügelindustrie war gewaltig human activities. der menschlichen Bevölkerung verur- gewachsen, allein in China in den Smaller flocks of free-ranging poultry sachen mit bis zu 150 Millionen Toten 1990-er Jahren um das Dreifache. and aggregations of wild birds must be (z. B. Liu et al., 2005; Chen et al., Es entstanden Massenansammlun- taken to be more biosecure than large- 2006). gen von Geflügel, die hochgradig scale poultry operations. This widely Aus den genannten beiden Gründen anfällig für Tierseuchen sind. accepted view is not adequately reflec- müssen gegenwärtig kursierende 2) Hühnerkot wurde auf Anregung ted by the German avian flu order from H5N1-Varianten ernst genommen wer- durch die Welternährungsorganisa- October 18th 2007. den. Geeignete Maßnahmen gegen sie tion (FAO) direkt in benachbarte TU 6/2008 · 333
ORIGINALIEN Gewässer geleitet, um dort die Fi- bezeichneten die Autoren Südchina als Die hochpathogene Aviäre Influenza schereierträge zu erhöhen. Mit dem das mögliche »Epizentrum«, von dem (HPAI) wird als Geflügelpest bezeich- Kot konnten auch Krankheitskeime aus sich die befürchtete menschliche net, die geringpathogene AI (LPAI) als ins Freie gelangen. Nach Williams Grippe-Pandemie ausbreiten könnte. Vogelgrippe (Werner u. Kaleta, 2005). (2006) wurden sogar Hühner-Kada- Wichtig aus europäischer Sicht ist ein Das Virus kann in beiden Fällen als ver als Fischfutter in die Gewässer weiterer Befund von Chen et al. (2006). Vogelgrippe-Virus benannt werden. gegeben. Sie fanden am riesigen Poyang Hu (je 3) Nach uralter Gewohnheit wird im nach Wasserstand bis 5070 Quadrat- 3 Das Aus der Hypothese, Fernen Osten viel Schlachtgeflügel kilometer groß, Bodensee nur 536 Qua- Zugvögel könnten H5N1 lebend auf den Märkten angeboten dratkilometer, Hu = See) im Januar und Asia fernverschleppen und die nicht verkauften Tiere kom- März 2005 in sechs von 4316 beprob- men anschließend in die Betriebe ten überwinternden und gesund wir- Die Hypothese, Zugvögel könnten zurück. Die Märkte boten also eine kenden, doch unbestimmten Zug-Wild- H5N1 Asia fernverschleppen, gründet ideale Gelegenheit zur Durch- enten den Z- und den V-Genotyp von auf einem mittlerweile erkannten Irr- mischung von Viren und deren H5N1, je einen Typ pro Ente. Die glei- tum. Ursprünglich meinte man (z. B. Eintrag in die Betriebe. chen Genotypen isolierten sie auch in Chen et al., 2006), der Qinghai Hu sei Li et al. (2004) fand Hinweise, dass die umliegenden Geflügelbetrieben. Sehr derart entlegen und fern von aller Ge- H5N1-Variante GS/GD auf die genann- wahrscheinlich habe das Hausgeflügel flügelindustrie, dass nur Zugvögel die te Weise mehrfach in Kontakt mit ande- die Wildenten infiziert, nicht umge- hochpathogene Qinghai-Variante oder ren Vogelgrippe-Viren gekommen sein kehrt, so die Autoren. Im Mai 2005 ihre beiden Vorläufer vom Poyang Hu muss und dass die Viren hierbei Gene starben 1700 km weiter westlich, im zum Qinghai Hu verschleppt haben ausgetauscht haben (Reassortierung Hochgebirge am noch größeren Quing- könnten. Wenn aber Zugvögel das Vi- von Genen). So entstand aus der Va- hai Hu (abflussloser Salzsee in 3200 m rus 1700 km weit verschleppen können, riante GS/GD zunächst eine veränderte Höhe, 5700 Quadratkilometer groß) dann sei als möglich zu erachten, dass Variante, die 1997 in Hongkong (be- rund 6000 wild lebende Wasservögel sie das Virus auch die weiteren 7000 nachbart zu Guangdong) Geflügelpest an hochpathogener Vogelgrippe. Be- km nach Europa fernverschleppen in Geflügelhaltungen auslöste (Guan et troffen waren vor allem Streifengänse könnten, natürlich nicht in einem al., 2002). Mehr als 1,5 Millionen (Yasué et al., 2006; Chen et al., 2006). Stück, sondern nach Art eines Staffel- Stück Geflügel wurden allein damals Als Verursacher des Massensterbens laufs mit kaskadenartige Ausbrüchen gekeult. Die Variante GS/GD war noch fanden Chen et al. (2006) eine neue der Seuche unterwegs wie in der Mon- bis 2000 in Südchina nachweisbar, ab H5N1-Variante, deren Genotyp eine golei, in Sibirisch Russland, Europa 2001 nicht mehr. Stattdessen fanden Li Mischung der zuvor gefundenen Z- und und Afrika (Chen et al., 2006). Und et al. (2004) sechs neue H5N1-Varian- V-Genotypen vom Poyang Hu darstell- weil die Brutvögel des Qinghai Hu in ten, die Gene von GS/GD und anderen te. Wie und wo die Qinghai-Variante Südost-Asien, Sibirien, Australien und Vogelgrippe-Viren enthielten. Von die- entstanden war, blieb unklar. Allein sie Neuseeland überwintern, hätte die ser neuen Vielfalt setzte sich von Januar jedoch gelangte von China aus nach Qinghai-Variante sogar das Potenzial 2002 bis 2004 eine Variante durch, de- Westen bis nach Europa und Afrika für eine globale Bedrohung (Liu et al., ren Genotyp die Autoren als Z bezeich- (Kilpatrick et al., 2006). 2005). neten. Die WHO (2007) hat mittlerweile eine Diese Hypothese stürzte zusammen Chen et al. (2006) fanden Viren des einheitliche Nomenklatur für die hoch- wie ein Kartenhaus, als bekannt wurde, Genotyps Z in Guangdong und den pathogenen H5N1-Viren fernöstlichen dass am Qinghai Hu seit 2003 in meh- benachbarten Provinzen Guangxi und Ursprungs geschaffen. Nach ihr gehö- reren seenahen Betrieben Streifengänse Hunan wieder, allerdings in veränderter ren der Qinghai-Typ und seine Nach- aufgezogen werden, um sie als Wirt- Form. Die Autoren stellten fest, dass in folger zum Kladus (Zweig) 2.2 im schaftsgeflügel zu halten und zum Teil dieser südchinesischen Region nicht phylogenetischen Baum. Diese Viren wieder auszuwildern (Butler, 2006). nur die weltweit größte H5N1-Diver- verursachten Ausbrüche in Mongolei Das Massensterben wilder Streifen- sität besteht, sondern dass auch viele (2005), Türkei (2005, 2006), Iran gänse im Mai 2005 fand nahe solcher andere Vogelgrippe-Subtypen auf den (2006), Irak (2006), Aserbeidschan Betriebe statt. Außerdem werden in der Geflügel-Märkten (H3, H6, H9, H11 (2006), Nigeria (2006) und Ägypten Region Tourismus und wirtschaftliche und andere) und bei ziehenden Wilden- (2006 und 2007) (WHO, 2007). Nach Entwicklung stark gefördert. Nach ten (H1, H3, H4, H5, H6, H10) zirkulie- Starick et al. (2007) gehören zu diesem GRAIN (2006) ist die Region durch ren. Alle Subtypen konnten bei gesund Kladus auch alle in Deutschland und Straßen- und Schienen-Verbindungen wirkenden Vögeln gefunden werden. den anderen europäischen Ländern ge- mit Gebieten in China verbunden, die Die Befallsraten mit H5N1 waren ge- fundenen H5N1-Varianten von 2006 von H5N1 betroffen sind. Qinghai ist ring (0,26 % bei Hühnern, 1,83 % bei und 2007. Die übrigen Varianten, die also entgegen ursprünglicher Auffas- Hausenten, 1,90 % bei Hausgänsen, auf den Fernen Osten beschränkt ge- sung alles andere als ein »geschütztes 0,34 % bei Wildenten). Wegen der Viel- blieben sind, zählen zu den Kladen 0, 1, Naturreservat«. Nach dem neuen Er- falt an Vogelgrippe-Viren und speziell 2.1, 2.3, 2.4 und 3 bis 9 des phylogene- kenntnisstand gilt jetzt als wahrschein- an Abkömmlingen der GS/GD-Variante tischen Baums. lich, dass der H5N1-Qinghai-Typ oder 334 · TU 6/2008
ORIGINALIEN Einkleber Albrecht „Solacyl“ TU 6/2008 · 335
ORIGINALIEN Einkleber Albrecht „Enroxil Inj.“ 336 · TU 6/2008
ORIGINALIEN die Z- und V-Varianten, aus denen er Tests verliefen negativ. Ob die sechs und Transmission (neue Wirte infi- entstand, nicht durch Zugvögel, son- positiv getesteten Wildenten des zieren) hin, der alle Krankheitserre- dern durch menschliche Aktivitäten Poyang Hu die Infektion überlebten ger unterworfen sind. Nur Krank- zum Qinghai Hu gelangten. oder nicht, ist unbekannt. In Europa heitserreger, die durch Drittorganis- Gegen die Hypothese, hochpathogene wurde H5N1 Typ Asia höchstens bei men (z. B. Mücken) übertragen wer- H5N1-Varianten könnten durch Zugvö- toten oder sterbenden, nicht aber bei den, können eine hohe Virulenz ent- gel fernverschleppt werden, sprechen gesund wirkenden Wildvögeln ge- wickeln, nicht aber Krankheitserre- auch die folgenden acht Argumente: funden. ger, die auf direkte Übertragungen 1) Könnten Wildvögel die Qinghai-Va- 6) Weber u. Stilianakis (2007) berich- von Wirt zu Wirt angewiesen sind. riante von H5N1 weiträumig ver- ten, dass Zwergschwäne durch In- Da Vogelgrippe-Viren direkt über- breiten, bliebe unerklärlich, warum fektion mit niedrig pathogenen Vo- tragen werden, können sie in freier sie diese Variante nicht in ihre Über- gelgrippe-Viren der Subtypen H6N2 Wildbahn nicht gleichzeitig hoch- winterungsgebiete in Südost-Asien, und H6N8 nicht fit genug für den pathogen für Wildvögel sein. Gelan- Australien, Neuseeland und Indien Langstreckenzug waren, weil sie gen diese Viren aus den Massen- verschleppten. weniger fraßen, längere Zeit für das haltungen ins Freie, endet ihre Evo- 2) Die Route der Westwärts-Ausbrei- Anlegen von Fettreserven für den lution dort schnell, weil die Infek- tung der Qinghai-Variante von Weiterflug brauchten, später zum tionskette abreißt, sobald die Popu- H5N1 passt relativ gut zum Verlauf Zug aufbrachen und kürzere lationsdichte einen kritischen der Transsibirischen Eisenbahn Strecken bewältigten als ihre uninfi- Schwellenwert unterschritten hat. (Kagfreiland, 2006; Webster et al., zierten Artgenossen. Sicherlich wür- Wild lebende Vögel stellen also eine 2006; GRAIN, 2006). Insofern kann de eine Infektion mit hochpathoge- Sackgasse für hochpathogene Vo- das Virus durchaus durch menschli- nen H5N1-Varianten die Fitness von gelgrippe-Viren dar. che Aktivitäten von Ost nach West Zugvögeln ebenfalls verringern. Aus den angeführten Argumenten fernverschleppt worden sein. Diese 7) Eine spezifische H5N1-Variante des folgt, dass Wildvögel zwar mit »hoch- Hypothese wird unterstützt durch Asia-Typs trat Ende Januar 2007 erst pathogenen« Vogelgrippe-Viren infi- die Erkenntnisse, dass die Mongolei in einem ungarischen Gänsebetrieb ziert werden können und daran auch ihr Geflügel überwiegend aus China und einige Tage später in einem eng- sterben, dass sie aber die Viren nicht und Russland importiert (Steiof, lischen Putenbetrieb auf (in Suf- auf Geflügelbestände fernübertragen 2006). folk). Wiederum wurden zunächst können. 3) Könnten Wildvögel hochpathogene ziehende Wildvögel für die Übertra- H5N1-Varianten weiträumig ver- gung des Virus von Ungarn nach 4 Die Geflügelpest-Ver- breiten, bliebe unerklärlich, warum England verantwortlich gemacht. ordnung vom 18. 10. 2007 es in Südost-Asien lokale H5N1-Va- Doch der Eigner des englischen Be- im Licht wissenschaftlicher rianten gibt (H5N1-»Kolonien«). triebes, der Geflügelindustrielle Erkenntnis Nach Chen et al. (2006) können nur Bernard Matthews, unterhält Geflü- Handelsbewegungen und nicht Zug- gelbetriebe auch in Ungarn. Also Die eben dargestellten Erkenntnisse vögel diese »Kolonie«-Bildungen schickte die britische Regierung ei- über die weiträumige Verbreitung ermöglicht haben. nen Inspektor auf den englischen hochpathogener H5N1-Varianten müs- 4) Auch in Laos wurden Geflügel- Betrieb, und der fand eindeutige Un- sen im europäischen Kampf gegen Großbetriebe von H5N1 befallen. terlagen, dass der Betrieb kurz vor H5N1 angemessen berücksichtigt wer- Die befallenen Bestände wurden ge- dem Seuchenausbruch tonnenweise den. keult, und Importe aus Nachbarlän- Putenfleisch aus dem ungarischen Sharkey et al. (2007) taten dies in ihrer dern mit H5N1-Problemen wurden Seuchengebiet zur Weiterverarbei- Studie über Risiken der Fernverbrei- verboten. Keine Maßnahmen wur- tung erhalten hatte (Times Online tung von Geflügelpest. Geflügelhoch- den gegen freilaufendes Geflügel vom 5. Februar 2007). Wahrschein- burgen mit hohem Vernetzungsgrad, al- von Hinterhofhaltungen fern der Ge- lich also kam das Virus auf diesem so mit vielen Betrieben pro Unterneh- flügelfabriken ergriffen, auch nicht Wege und nicht durch Wildvögel men und viel LKW-Verkehr zwischen nahe von Überwinterungsgebieten von Ungarn nach England. Vogel- den Betrieben und zu den Schlachtstät- wild lebender Wasservögel. Die vie- zugbewegungen von Ungarn nach ten, wurden als ein viel größeres Risiko len Hinterhofhaltungen blieben frei England gibt es mitten im Winter für die schnelle und weite Verbreitung von H5N1-Ausbrüchen, sofern sie nicht. Auch Seuchenausbrüche in hochpathogener Vogelgrippe-Viren er- keine Kontakte mit der Geflügel- Nigeria (Januar 2006), Italien und kannt als unvernetzte Einzelbetriebe industrie hatten (referiert nach Irak (je Febraur 2006) fanden zu ei- mit lokaler Wirtschaftsweise. Vernetzte GRAIN, 2006). ner Jahreszeit statt, da der Vogelzug Hausenten-Betriebe würden das 5) Weltweit wurden Proben von über lange abgeschlossen war (Yasué et höchste Infektionsrisiko darstellen, 300.000 gesund wirkenden Wildvö- al., 2006). weil Enten wochenlang infiziert blei- geln in 40 Ländern genommen und 8) Muzafar et al. (2006) weisen auf die ben können, ohne ernstlich zu erkran- auf das HPAI-Virus H5N1 getestet fundamentale Balance zwischen Vi- ken. Doch selbst wenn Hausenten eines (Newman et al., 2007). Fast alle rulenz (den Wirt krank machend) unvernetzten Geflügel-Einzelbetriebs TU 6/2008 · 337
ORIGINALIEN an Geflügelpest erkrankten, würde die Argument ist nichtssagend, weil andere Niederschlag u. a. in § 13 der deutschen Seuche auf diesen Betrieb beschränkt Ursachen für die angesprochenen Aus- »Verordnung zum Schutz gegen die bleiben. brüche auch »nicht ausgeschlossen Geflügelpest (Geflügelpest-Verord- Auch in der Schweiz, die bekannt ist für werden können«, z. B. eine Verschlep- nung)« vom 18. Oktober 2007: »Wer große Vor- und Umsicht beim Umgang pung der neuen H5N1-Variante durch Geflügel hält, hat das Geflügel 1. in ge- mit Tierseuchen, darf das gesamte menschliche Aktivitäten. Doch genau schlossenen Ställen oder 2. unter einer schweizerische Geflügel ab dem diese Denkmöglichkeit negiert das FLI überstehenden, nach oben gegen Ein- 15. Oktober 2007 generell im Freiland mit seiner Einschätzung, »Die Gefahr träge gesicherten dichten Abdeckung gehalten werden. Einschränkungen einer Einschleppung über den Perso- und mit einer gegen das Eindringen von gibt es nur im Umkreis von 1 km rund nen- und Fahrzeugverkehr erscheint Wildvögeln gesicherten Seitenbegren- um die großen Seen. Dort müssen die aufgrund der gegenwärtigen Verbrei- zung (Schutzvorrichtung) zu halten«. Geflügelhalter bestimmte Bedingun- tungslage in Europa vernachlässig- Als Wildvögel im Sinne der Verord- gen erfüllen, wenn sie ihr Geflügel frei bar«, also »keiner weiteren Betrach- nung gelten Hühnervögel, Gänsevögel, laufen lassen wollen. Sie müssen dafür tung bedürftig«. Beide Einschätzungen Greifvögel, Eulen, Regenpfeiferartige sorgen, dass Futter, Tränke und Be- des FLI verkehren den gegenwärtigen und Schreitvögel, nicht aber Singvögel triebsgewässer für wilde Wasservögel Erkenntnisstand ins Gegenteil, denn in (z. B. Spatzen, Krähen) oder Fasane unzugänglich sind, dass Hühner und der Vergangenheit gab es viele Anzei- (gehören zu den Kranichartigen), ob- Puten nicht gemeinsam mit Wasser- chen, dass Fahrzeuge der Geflügel- wohl letztere vielfach künstlich aufge- geflügel gehalten und die normalen industrie, beladen z. B. mit Geflügel zogen und zur Jagd ausgesetzt werden. Hygienevorschriften eingehalten wer- oder Geflügelprodukten, H5N1 sehr Widerrufliche Ausnahmen vom Auf- den. Diese Lösung ist pragmatisch, wohl fernverbreiten können und dass stallungsgebot können und sollen die leuchtet ein und steht in vollem Ein- Wildvögel und freilaufendes Geflügel zuständigen Behörden auf Antrag ertei- klang mit wohlbegründeter wissen- dies so gut wie gar nicht können, weder len, »soweit Belange der Tierseuchen- schaftlicher Erkenntnis (telefonische direkt noch indirekt. bekämpfung nicht entgegenstehen, ins- Auskunft von Herrn Dr. Reist vom Im Zusammenhang mit Tierseuchen, zu besondere ein Ausbruch der Geflügel- schweizerischen Bundesamt für Vete- denen auch Geflügelpest gehört, wird pest nicht zu befürchten ist.« rinärwesen, BVET). gern von Biosicherheit gesprochen, die Leidtragende des Aufstallungsgebots Das seuchenpolitisch maßgebliche durch Maßnahmen wie die Geflügel- sind nicht die Geflügelindustriellen, die Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in pest-Verordnung vom 18. Oktober ihr Geflügel ausschließlich in Ställen Deutschland zeigt sich offenbar unbe- 2007 angestrebt werden soll. Nach Otte halten und dennoch verantwortlich sind eindruckt von Erkenntnissen wie den et al. (2007) wird Biosicherheit ver- für viele, wenn nicht alle Verschlep- dargestellten. Von Juni bis August 2007 standen als »jegliche Maßnahme, die pungen »hochpathogener« Vogelgrip- verursachte eine neue hochpathogene eine Ausbreitung eines infektiösen pe-Viren von ihren Betrieben in andere H5N1-Variante (Subkladus 2.2.3 im Agens von infizierten auf empfängliche Betriebe oder ins Freiland. Leidtragen- phylogenetischen Baum, Starick et al., Tiere oder die Einschleppung infizier- de sind vielmehr die Freilandhalter von 2007) den Tod von Hausgeflügel und ter Tiere in eine Herde, Region oder in Geflügel, von deren Betriebe nach aller Wildvögeln in Tschechien, im mittleren ein Land verhindert, in dem die Infek- Erkenntnis ein nur vernachlässigbares Teil von Deutschland und in Ostfrank- tion noch nicht auftrat«. Maßnahmen Risiko für die Verbreitung »hochpatho- reich. Die Ausbruchsorte erstrecken für Biosicherheit sind also Maßnahmen gener« Vogelgrippe-Viren ausgeht. sich von Ost nach West über eine Di- gegen Ausbreitungsmöglichkeiten ei- Die strengen Hygiene-, Protokoll- und stanz von 900 km (Newman et al., ner Tierseuche. Nach Erkenntnissen Meldepflichten, die den Geflügelhal- 2007). In Deutschland war Bayerns wie den dargestellten ist es hochwahr- tern auferlegt werden, gehören sicher- größte Entenhaltung in Wachenroth be- scheinlich, dass Wildvögel und Einzel- lich zu den geeigneten Maßnahmen ge- fallen (Ausbruch am 24. 8. 2007) und betriebe mit freilaufendem Geflügel gen Geflügelpest, doch sie reichen am Kelbra-Stausee in Thüringen / viel biosicherer sind als die vernetzten nicht aus. Notwendig ist, wie Yasué et Sachsen-Anhalt forderte das Virus Betriebe der Geflügelindustrie. al. (2006), Menke (2007) und Peter- 285 Opfer unter den Schwarzhals- Es mag angehen, dass ein gewisser mann (2007) ausführen, auch eine tauchern (August 2007). Grad der Biounsicherheit der Geflüge- gründliche epidemiologische Untersu- Das FLI (15. 10. 2007) machte allein lindustrie billigend in Kauf genommen chung aller Geflügelpest-Fälle bei Wildvögel für die Verbreitung des Vi- werden muss, um den Markt weiterhin Wild- und Hausvögeln, um die Ver- rus verantwortlich, weil »zumindest mit relativ billigem Geflügelfleisch be- schleppungsursachen für die hoch- eine indirekte kausale Beteiligung von liefern zu können. Angesichts solcher pathogenen H5N1-Varianten und ihre Wildvögeln bei den jüngsten Aus- Überlegungen ist es aber nicht anstän- Wirkung auf die befallenen Vögel so brüchen von HPAIV-Infektionen bei dig, wenn der Makel der Biounsicher- gut wie möglich zu verstehen. Befalle- Hausgeflügel nicht ausgeschlossen heit auf Wildvogelbestände und unver- ne Wildvögel müssen richtig und nicht werden« könne. »Daher wird das Risi- netzte Geflügel-Freilandhaltungen ab- nur ungefähr oder falsch bestimmt wer- ko des Eintrags von HPAIV H5N1 über geschoben wird. den, eventuelle Ringe an den Vogel- Wildvögel in Hausgeflügelbestände als Die wissenschaftlich nicht haltbare Ri- füßen müssen abgelesen und gemeldet hoch eingeschätzt.« Das angeführte siko-Bewertung des FLI fand ihren werden, mögliche Stressfaktoren, die 338 · TU 6/2008
ORIGINALIEN den Krankheitsverlauf verschlimmert 13. Petermann, P. (2007a): Anforderungen an epidemiologische Untersuchungen von aktuellen haben könnten, müssen ermittelt wer- Vogelgrippe- bzw. Geflügelpest-Fällen in Deutsch- Fortbildung Tiermedizin den, und die erzielten Ergebnisse sind land. www.netzwerk-phoenix.net Seminare und Fortbildungs- 14. Sharkey, K. J., R. G. Bowers, K. L. Morgan et al. der Öffentlichkeit zugänglich zu ma- (2007): Epdemiological consequences of an incur- veranstaltungen der Tierklinik Hochmoor chen, damit und der Kampf gegen sion of highly pathogenic H5N1 avian influenza into British poultry flock. Proc. R. Soc. B: doi:10.1098/ H5N1 durch Kritik und Anregungen rspb.2007.1100. optimiert werden kann. 15. Starick, E., M. Beer, B. Hoffmann et al. (2007): Phylogenetic analyses of highly pathogenic avian Literatur influenza virus isolates from Germany in 2006 and 1. Butler, D. 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(2007): 285 tote Schwarzhals- fortbildung@tierklinik-hochmoor.de taucher, ein Nachruf und ein dringender Aufruf. Kiel, E-Mail: www.netzwerk-phoenix.net. slorenzen@zoologie.uni-kiel.de EuroTier 2008: World Poultry Show 11. – 14. 11. 2008 Highlight der internationalen Geflügelbranche Mit einem weltweit einzigartigen Informationsangebot wartet die World Poultry Show im Rahmen der diesjährigen internationalen DLG-Fachausstellung für Tierhaltung und Management, der EuroTier 2008, auf. Bisher haben schon 185 Unternehmen aus aller Welt, darunter die Marktführer aus Zucht, Haltung und Verarbeitung, Ausstellungsstände angemeldet. Sie werden vom 11. bis 14. November 2008 auf über 13.000 qm Ausstellungsfläche ihre Neu- und Weiterentwicklungen auf dem Messegelände in Hannover präsentieren. Mit nahezu 70 % ist der Auslandsanteil dieser Aussteller so hoch wie nie zuvor in diesem Sektor. Damit wird die World Poultry Show in diesem Jahr das Highlight der gesamten internationalen Geflügelbranche sein. Für die Besucher ergeben sich hohe Synergien durch die sonst auf keiner anderen Ausstellung so umfangreichen tierartübergreifenden Ausstellungsbereiche im Rahmen der EuroTier, wie etwa Futter und Futterlagerung, Tiergesund- heit oder Klimatechnik. Die EuroTier ist in diesem Jahr die einzige internationale Fachausstellung in Europa für den professionellen Tierhalter, die sämtliche Bereiche der Branche, die Rinder-, Schweine- und Geflügelhaltung sowie die Aquakultur, umfassend abdeckt. Mit insgesamt über 1.800 Unternehmen kann der Veranstalter DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) eine Rekordbeteiligung verzeichnen. Die EuroTier findet auf dem größten Messegelände der Welt in Hannover statt und ist damit nicht nur der ideale Ort für Geschäftskontakte nach West- und Osteuropa, sondern auch der Treffpunkt für Branchenprofis aus der ganzen Welt. Weitere Informationen über die EuroTier 2008 bzw. die World Poultry Show sind erhältlich bei der DLG, Eschborner Landstr. 122, 60489 Frankfurt am Main. Tel. 0049/(0)69/24788-254 bzw. -259, Fax: ++49/(0)69/24788-113, E-Mail:eurotier@DLG.org oder im Internet unter www.eurotier.de TU 6/2008 · 339
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