FASZINATION FORSCHUNG - MYTUM
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Faszination Forschung Forschungshighlights der TUM Technische Universität München Das Wissenschaftsmagazin August 2020 | Ausgabe 25 Virologie und I nfektkontrolle Hepatitis B – eine therapeutische Impfung verspricht Heilung Onkolytische Viren – eine Waffe gegen Krebs Weltgesundheit – vernachlässigte Tropenkrankheiten Schutzgebühr EUR 9.00
Hepatitis-B-Virus Grafik: turbosquid, Christian Scheck, ediundsepp Eine therapeutische Impfung, die Hepatitis-B-Infektionen heilen kann Seite 06
Editorial Täglich sind wir Viren und Bakterien ausgesetzt – meist ohne dass wir sie überhaupt wahrnehmen. Das Immun- system ist schlagkräftig genug, die meisten Angriffe ab- zuwehren, bevor eine spürbare Beeinträchtigung eintritt. Immer wieder aber kommt es zu regionalen Ausbreitungen von Viren wie Covid-19 – jedoch selten zuvor traf uns ein Virus mit solcher Wucht. Vor aktuellem Hintergrund ent- stand diese Ausgabe der Faszination Forschung. Sie wid- met sich der Virologie und Infektionskontrolle. An erster Stelle ist die Medizin gefragt, doch Sie werden überrascht ist so effektiv, dass es Bakterien sogar im Ruhestadium sein, aus welchen anderen Blickwinkeln sich Wissenschaft- abtöten kann. lerinnen und Wissenschaftler der TUM diesen Themenkom- Den Kampf gegen multiresistente Keime hat auch ein stu- plexen widmen. dentisches Team aufgenommen. Sie entwickelten ein neues Herstellungsverfahren für Bakteriophagen. Das sind Viren, Unsere Virologin Prof. Ulrike Protzer beschäftigt sich seit lan- die Bakterien befallen und töten. Die Idee wurde beim inter- gem mit dem Hepatitis-B-Virus. Dieser kann zu einer chro- nationalen iGEM-Wettbewerb 2018 ausgezeichnet. Nun soll nischen Infektion führen. In Deutschland werden Neugeborene das Verfahren auf den Markt gebracht werden – im Rahmen gegen Hepatitis B geimpft, doch in vielen anderen Gegenden einer Unternehmensgründung. ist dies nicht möglich. Frau Protzer entwickelt daher eine the Infektionskrankheiten, die in reichen Industrienationen nahe- rapeutische Impfung, die Erkrankte wieder heilen soll. zu unbekannt sind, erforscht Prof. Clarissa Prazeres da Cos- Prof. Andreas Pichlmair untersucht Viren auf molekularer ta. Wurminfektionen führen zu Verdauungsproblemen, Blutar- Ebene. Er interessiert sich dafür, welche Proteine für die In- mut und bei Kindern zu schweren Entwicklungsstörungen. teraktion des Virus mit menschlichen Wirtszellen notwendig Um ihren Wirt, den Menschen, möglichst lang am Leben zu sind. Dabei untersucht er auch, ob die neu entdeckten, bio halten, setzen Parasiten Moleküle frei, die die Immunantwort logisch relevanten Signalwege der Virusinfektion auch bei aktiv hemmen. Wie dieser Mechanismus genau funktioniert, anderen Krankheiten eine Rolle spielen, für die es bereits will da Costa herausfinden. wirksame Medikamente gibt. Dies könnte die Entwicklung Dass in Zeiten einer Viruspandemie nicht nur Virologen und neuer Wirkstoffe deutlich beschleunigen. Epidemiologen gehört werden sollen, betont Prof. Alena Wenn das Immunsystem Infekte oder Tumore nicht in den Buyx. Sie wirft den Blick auf die ethischen Konflikte, die ent- Griff bekommt, schaltet es in einen reduzierten Funktionszu- stehen, wenn ein leistungsfähiges Gesundheitssystem gesi- stand. Prof. Dietmar Zehn identifizierte das Protein, das wie chert werden muss und zugleich schwerwiegende wirtschaft- ein molekularer Schalter den Wechsel zwischen aktivem und liche und gesellschaftliche Nebenfolgen, zum Beispiel durch reduziertem Zustand auslöst. Wenn es gelingt, „erschöpfte“ einen Shutdown, möglichst gering zu halten sind. Immunzellen gezielt zu reaktivieren, wären neue Behand Die neue Ausgabe der Faszination Forschung zeigt ein- lungsansätze für chronische Infektionen, aber auch für Tu- drucksvoll auf, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- more denkbar. ler der TUM durch ihre grundlegende Forschung einen Dass sich Viren immer auf Kosten einer Wirtszelle vermehren, großartigen Beitrag für die Gesundheit und das Wohlergehen nutzt Dr. Jennifer E. Altomonte, um Viren gezielt als Waffe der Menschheit leisten. gegen Krebs einzusetzen. Ihr Team hat im Labor ein hybrides Virus erzeugt, das sich in Tumorzellen vermehrt und diese Ihr zerstört. Anders als Viren lassen sich bakterielle Infektionskrankheiten Bildquelle: Astrid Eckert mit Antibiotika effektiv behandeln. Doch zunehmend ent wickeln Bakterien Resistenzen gegen die Wirkstoffe. Der Chemiker Stephan A. Sieber hat eine Substanz entdeckt, die Thomas F. Hofmann gegen die gefährlichen multiresistenten Keime wirkt. PK150 Präsident Faszination Forschung 25 / 20 3
In dieser Ausgabe Seite 48 Seite 32 Viren gegen Krebs Schutzschalter für das Immunsystem Seite 06 „D iese Impfung soll allen Ländern zugutekommen“ Inhaltsverzeichnis 06 „Diese Impfung soll allen Ländern zugutekommen“ 32 Schutzschalter für das Immunsystem 890 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Wenn das Immunsystem Infekte oder Tumore nicht Folgen einer Hepatitis-B-Infektion. Ulrike Protzer hat in den Griff bekommt, schaltet es in einen reduzier einen therapeutischen Impfstoff entwickelt, der die ten Funktionszustand. Dietmar Zehn hat das Protein, Krankheit tatsächlich heilen könnte. das dieses Umschalten verursacht, identifiziert. Es könnte einen Weg für effektivere Behandlungs 16 Was ein Virus wirklich braucht ansätze bei chronischen Infektionen und Tumoren Um sich zu vermehren, greift ein Virus in die Protein- aufzeigen. produktion seines Wirts ein. Andreas Pichlmair un- tersucht, welche Proteine für das Virus wichtig sind. 42 Gesundheit für alle Sie eignen sich als Ausgangspunkt für die Entwick- Wurminfektionen sind in Ländern mit niedrigem lung neuer Therapien. Einkommen weit verbreitet. Clarissa Prazeres da- Costa erforscht, wie diese vernachlässigten Tropen- 26 „Die Bereitschaft zu Datenspenden ist sehr hoch.“ krankheiten das Immunsystem beeinflussen. Pandemien sind Krisenzeiten. Aber es gibt auch viel Solidarität, zum Beispiel in Form von Datenspenden. Alena Buyx plädiert dafür, diese medizinischen Daten für die öffentlich geförderte medizinische Forschung nutzbar zu machen. 4 Faszination Forschung 25 / 20
In dieser Ausgabe Seite 16 Was ein Virus wirklich braucht Seite 42 Seite 58 Gesundheit Krankenhauskeime im für alle Klammergriff Bildquellen: Juli Eberle, TUM; Grafiken: ediundsepp (Quelle: TUM, Markus Bernards, Stephan A. Sieber); 3D-Modelle Virus und Wurm: turbosquid 46 Weltgesundheit braucht einen multidisziplinären 68 Feinde zu Verbündeten gemacht Ansatz Hochspezialisierte Viren sind äußerst wirksam im „Gesundheit für alle“ gehört zu den Nachhaltig- Kampf gegen bakterielle Entzündungen. Das Spin- keitszielen der Vereinten Nationen (UN). Das Center off Invitris der TUM macht die Herstellung dieser for Global Health an der TUM Fakultät für Medizin Phagen deutlich schneller und kostengünstiger. befasst sich mit diesen Themen. 48 Viren gegen Krebs In jeder Ausgabe Jennifer E. Altomonte setzt auf die tödliche Wirkung 03 Editorial bestimmter Viren gegen bösartige Tumore. Mit ihrem Team optimiert sie deren therapeutisches Potenzial, 70 Autoren indem sie neue onkolytische Viren mithilfe von Gen- 70 Impressum modifikationen entwickelt. 58 Krankenhauskeime im Klammergriff E Stephan A. Sieber hat eine Substanz gefunden, die Hier finden Sie die englische Ausgabe sehr effektiv gegen gefährliche, multiresistente als PDF: Krankenhauskeime wirkt. www.tum.de/faszination-forschung-25 Faszination Forschung 25 / 20 5
Virologie „Diese Impfung soll allen Ländern zugutekommen.“ Eine chronische Infektion mit Hepatitis B führt häu- fig zu Leberzirrhose und Leberkrebs. Heilbar ist die Krankheit bisher nicht. Jetzt wollen Forsche- rinnen und Forscher um Prof. Ulrike Protzer genau das schaffen und das Virus mithilfe einer therapeu- tischen Impfung aus den Leberzellen vertreiben. Short version “This vaccination should benefit E every country” Around the world, 260 million people have a chronic he- patitis B (HBV) infection. The virus exists in their liver cells. Every year, 890,000 people die as a result of the infection. Medications to date have only been able to keep the virus in check. Prof. Ulrike Protzer has developed a new therapeutic vaccine that might be able to cure he- patitis B completely. It stimulates the body’s entire immu- ne system and enables it to fight the virus effectively and fully eliminate it. Protzer’s prime-boost method is compri- sed of several phases. To begin with, the patients are gi- ven protein vaccines that stimulate the B cells, which in turn form antibodies against the HBV and also warns the T cells of a threat. The next step is another vaccination with a modified, complex MVA vaccine. This primarily ac- tivates the T cells, which remove the virus DNA from liver cells and destroy cells that remain infected. Clinical trials are scheduled to start in early 2021. 6 Faszination Forschung 25 / 20
D ie gute Nachricht zuerst. Kommt man als Jugendli- cher oder Erwachsener in Kontakt mit dem Hepatitis- B-Virus (HBV), wird dieses vom Immunsystem in Schach im ersten Lebensjahr damit versorgt. Doch in anderen Weltgegenden ist dies nicht der Fall. Weil das Virus zu- dem besonders gut von infizierten Müttern auf ihre Neu- gehalten. Die Immunantwort verursacht zwar eine Leber- geborenen übergehen kann, muss der Impfstoff in sol- entzündung, kann das Virus in den meisten Fällen aber chen Fällen innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt bekämpfen und eliminieren. Nur fünf bis zehn Prozent gegeben werden. In abgeschiedenen Gegenden in Afrika aller Patienten entwickeln eine chronische Infektion. Jetzt oder Asien ist das unmöglich. die schlechte. Bei Babys und Kleinkindern sieht die Lage Hepatitis B wird man also nicht allein durch eine pro- ganz anders aus. Ihr Immunsystem ist noch nicht aus- phylaktische Impfung ausrotten. Und die bisherigen Me- gereift, die notwendigen Abwehrmechanismen gegen dikamente führen auch nur dazu, die Infektion zu kontrol- HBV fehlen. Daher kann sich das Virus in 90 Prozent aller lieren. Was man aber wirklich braucht, ist eine Möglichkeit, Fälle in den Leberzellen einnisten. Dort verbleibt es dann das Virus wieder aus den Leberzellen zu entfernen. ein Leben lang. „Zunächst bleibt die Infektion unbemerkt. Erst viele Jahre später, wenn die Leber schon stark Eine therapeutische Impfung heilt geschädigt ist oder sich ein Leberkrebs entwickelt, stellt Ulrike Protzer hat einen Therapieansatz entwickelt, der sie sich heraus“, erklärt Prof. Ulrike Protzer, Direktorin Hepatitis-B-Erkrankte heilen soll. Sie nennt ihn TherVacB. des Instituts für Virologie an der TUM und am Helmholtz Mithilfe einer sogenannten therapeutischen Impfung will Zentrum München. sie das Immunsystem fit machen für den Kampf gegen Etwa 260 Millionen Menschen leiden an einer chronischen das Virus und es somit aus dem Körper vertreiben. Das Infektion mit dem Virus. Die meisten wissen es nicht, und Konzept hinter TherVacB ist neu und allen anderen derzeit die, die es wissen, sagen es oft nicht aus Angst vor einer in klinischer Testung befindlichen Vakzin-Kandidaten Stigmatisierung. Betroffenen wird oft Drogenmissbrauch überlegen. Um es zu verstehen, muss man zunächst wis- unterstellt, obwohl es viele andere Infektionsursachen sen, wie das Hepatitis-B-Virus funktioniert. gibt. Leberzirrhose und Leberkrebs sind häufige Langzeit- Wenn sich eine Person mit dem Virus infiziert, dann zirku- folgen einer chronischen Infektion. Das Hepatitis-B-Virus liert es durch die Blutbahn, bis es die Leberzellen erreicht. tötete auf diese Weise allein im Jahr 2017 etwa 890.000 Dort wird es von einem zelleigenen Transporter, der ei- Menschen. Damit gehört es zu den tödlichsten Krankhei- gentlich Gallensäure transportiert, in die Zellen hineinge- ten weltweit. Und während die Zahl der Todesfälle bei schmuggelt und importiert sein winziges Genom in den Malaria, HIV oder Tuberkulose stetig sinkt, steigt die Kur- Zellkern. Gerade einmal 3.200 Basenpaare lang ist es, ve bei Hepatitis B weiterhin an. zirkulär und nur teilweise doppelsträngig. Zum Vergleich: Seit fast 40 Jahren gibt es einen prophylaktischen Impf- Das menschliche Genom ist eine Million Mal größer und stoff für Hepatitis B. In Deutschland wird jeder Säugling selbst ein Herpesvirus hat 50 bis 70 Mal mehr DNA. Menschen starben 2017 an Hepatitis und den Folgen 8 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie Herz-Kreislauf Erkrankungen Krebs sind weltweit trauriger führt am zweithäu- Spitzenreiter der zum Tod figsten zum Tod. führenden Krankheiten. Atemwegs erkrankungen belegen mit knapp 4 Millionen Toten Platz 3 der tödlichsten Krankheiten der Welt. Demenz fordert jedes Jahr weltweit etwa Infektionen der 2,5 Millionen Tote. unteren Atem wege Daran sterben etwa 2,5 Millio- nen Menschen jährlich. Verdauungs krankheiten Grafik: ediundsepp (Quelle: Our World in Data; https://ourworldindata.org/causes-of-death#what-do-people-die-from ) sind für 2,4 Millionen Menschen im Jahr die Todesursache. Neugeborenen- Krankheiten Diarrhöe führen weltweit für über belegt Platz 8 mit ca. 3 Millionen Babys im Jahr 1,6 Millionen Menschen, zum Tod. die weltweit daran sterben. Diabetes Chronische Leberer- tötet weltweit jedes Jahr fast krankungen und akute 1,4 Millionen Menschen. Hepatitis töten jedes Jahr etwa 1,5 Millionen Menschen. Faszination Forschung 25 / 20 9
Die Reparaturmaschinerie der Leberzellen erkennt diese nicht, um das Virus zu eliminieren“, sagt sie. siRNAs sind virale DNA fälschlicherweise als eigene und beginnt da- gerade in der frühen klinischen Prüfung und sollen bald mit, den kürzeren DNA-Strang mit den passenden Basen- verfügbar sein. paaren aufzufüllen. Dadurch entsteht die sogenannte Am aussichtsreichsten für die Behandlung von Hepatitis- cccDNA, die für immer im Zellkern verbleibt. Erst jetzt B-Infektionen ist es, das Immunsystem dazu anzuleiten, können die viralen Gene transkribiert und Proteine herge- die cccDNA aus den Leberzellen zu entfernen oder infi- stellt werden. Ein Ansatz wäre also, die Virusreplikation zierte Zellen zu zerstören. Eigentlich kann das Immunsys- zu behindern, indem man die Proteinsynthese oder die tem das. Doch bei den chronisch Infizierten reagiert das RNA-Transkription stört. „Bisher schädigt man damit aber Immunsystem nicht adäquat auf den Eindringling. Des- auch die zellulären Enzyme“, erklärt Ulrike Protzer. Eine halb soll eine therapeutische Impfung den Körper in die Alternative ist die sogenannte RNA-Interferenz. „Mit klei- Lage versetzen, die Viren vollständig zu vertreiben. „Die nen, sogenannten „small interfering“ (si)RNAs kann man Störung der Immunantwort betrifft alle Bereiche, deshalb die Produktion von Virus-Proteinen hemmen, ohne die müssen wir mit unserer Impfung auch alle stimulieren“, Wirtszelle zu schädigen. Aber leider reicht das alleine erklärt Protzer. 1. Das Virus bindet an NTCP-Rezeptoren Hepatitis-B-Virus Das Hepatitis-B-Virus nutzt Leberzellen zur Vermehrung. 3. Das Virus verliert seine Hülle 10 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie Prof. Ulrike Protzer Ulrike Protzer hat Humanmedizin an den Universitäten Er- langen, Basel und Durban (Südafrika) studiert. Sie hält zwei Facharzttitel: den für Innere Medizin sowie den für Mikro- biologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Von 2002 bis 2007 leitete sie eine Nachwuchsgruppe am Zentrum für Molekulare Medizin der Universität Köln. Ende 2007 über- nahm sie den Lehrstuhl für Virologie an der TUM und ist seitdem Direktorin des Instituts für Virologie an der TUM und am Helmholtz Zentrum München. (Quelle: ediundsepp Grafik: ediundsepp TUM), (Quelle: 3D-Modell: Foto: TUM), turbosquid; Bildquelle: Kurt Bauer Kurt Bauer Leberzelle Zellkern HBV-Proteine Grafiken: 10. Sekretion Reimport 2. Endozytose 5. Reparatur 9. Reverse Transkription cccDNA 6. Transkription rcDNA 8. Enkapsidierung 4. Freisetzung des Genoms e 7. Translation Faszination Forschung 25 / 20 11
Virologie Die Störung der Immun antwort betrifft alle Bereiche, deshalb müssen wir mit unserer Impfung auch alle stimulieren. Ulrike Protzer 12 Faszination Forschung 25 / 20
Start Vorbereiten (Prime) Verstärken (Boost) Antivirale Medikamente Impfung mit Virusantigenen Komplexer MVA-Impfstoff mit (Nanopartikeln) Hepatitis-B-Antigenen 4 Wochen 4 Wochen Protein Protein MVA Die Viren im Körper werden Neutralisierende Antikörper werden Die T-Zellen entfernen cccDNA aus ca. reduziert und so die Ent- gebildet, T-Zell-Immunantwort wird 50–60% der infizierten Leberzellen und zündung abgeschwächt. stimuliert. zerstören die restlichen infizierten Zellen. Die Phasen der therapeutischen Impfung zur Heilung von Hepatitis B (TherVacB). Geimpft wird mehrmals Ein eigens entwickelter Impfstoff Die Impfung findet in mehreren Phasen statt. „Pri- MVA steht für modifiziertes Vacciniavirus Ankara. Es han- me-Boost“ nennt die Virologin das Konzept, auf Deutsch delt sich um ein abgeschwächtes Virus aus der Familie etwa „Vorbereiten-Verstärken“. Zuerst, quasi als Schritt der Pockenviren, das zwar menschliche Zellen infizieren, null, erhalten die Patienten antivirale Medikamente, die sich dort aber nicht mehr vermehren kann und auch kei- die Replikation der Virus-DNA in den Leberzellen behin- ne Krankheitssymptome auslöst. Das Erbgut des MVA- dern. Sobald siRNAs klinisch verfügbar sind, werden die- Virus dient als Rückgrat. Im Labor können neue Gen se für Schritt null eingesetzt werden. Im nächsten Schritt sequenzen eingebracht werden, die für Antigene anderer bekommen die Patienten zwei Mal im Abstand von vier Viren kodieren und eine Immunantwort gegen diese An- Wochen eine Impfung, die unterschiedliche Virusantigene tigene auslösen. enthält. Das stimuliert die B- und T-Helferzellen des Im- Diese Technik eignet sich prinzipiell für die Herstellung munsystems. Neutralisierende Antikörper werden gebil- ganz unterschiedlicher Impfstoffe. Zurzeit läuft eine klini- det, die eine weitere Ausbreitung des Virus in der Leber sche Studie zu einer Grippe-Impfung auf Basis von MVA. stoppen. Die T-Zellen sind jetzt vorgewarnt, dass bald ein Auch für die Herstellung eines Corona-Impfstoffes wird Eindringling kommen wird. dieses System getestet. Weitere vier Wochen später folgt der nächste Schritt, die Meistens wird lediglich ein neues Gen in das MVA-Rück- Verstärkung. Man gibt einen Impfstoff, der den T-Zellen die grat eingebaut. Manchmal zwei. Doch Ulrike Protzer woll- Antigene des Hepatitis-B-Virus präsentiert, die sie selbst te, dass ihr Hepatitis-B-Impfstoff effizient gegen nahezu in der Leber nicht mehr erkennen können. Dann haben die alle Hepatitis-B-Stämme der Welt wirkt. Ein oder zwei T-Zellen zwei Aufgaben zu erfüllen. Einerseits schütten sie Gene reichten dafür nicht aus. Sie brauchte fünf. „Ich sogenannte Zytokine aus, die über eine komplizierte Sig- weiß nicht, ob jemand anderes schon mal so verrückt war, nalkaskade die cccDNA in den Leberzellen abbauen. Etwa fünf neue Gene da hineinzupacken“, sagt Protzer lachend. 50 bis 60 Prozent der infizierten Leberzellen werden so von Viele glaubten nicht daran, dass das funktionieren könnte. Grafik: ediundsepp (Quelle: TUM) Virus-DNA befreit. Die restlichen infizierten Hepatozyten Aber es hat geklappt. werden von den T-Killerzellen zerstört. Noch eine weitere Hürde war zu überwinden. Die Wissen- Dieser Impfstoff ist ein eigens entwickelter, komplexer schaftlerinnen und Wissenschaftler brauchten ein geeig- MVA-Impfstoff. „MVA ist der perfekte Impfvektor, denn er netes Adjuvans, also einen Wirkverstärker, der die initiale boostet B- und T-Zellen gleichermaßen“, erklärt Protzer. Immunantwort intensiviert. „Es gibt quasi keine frei verfüg- baren Adjuvantien“, sagt Protzer, „die Patente darauf Faszination Forschung 25 / 20 13
tätstests an Mäusen und Ratten. Anfang nächsten Jahres soll dann eine klinische Studie der Phase 1a am Men- schen starten. Dort werden zunächst gesunde Probanden geimpft, um die optimale Dosis und die beste Wirkstoff- kombination für die Prime-Boost-Technik zu finden. Es ist äußerst selten, dass eine klinische Studie im aka- demischen Umfeld ohne Beteiligung der Pharmaindustrie liegen fast alle in der Hand einer einzigen Pharmafirma.“ startet. „Das klappt nur, weil wir an diesem Projekt mit Diese hätte zwar ein Produkt zur Verfügung gestellt, woll- dem Klinikum rechts der Isar, der Ludwig-Maximili- te im Gegenzug aber alle Patentrechte an Protzers neuem ans-Universität München und unseren Partnern in ganz TherVacB-Vakzin. Auf diesen Deal ließ sie sich nicht ein. Europa Hand in Hand arbeiten“, berichtet Protzer. „An- Schließlich wurden sie doch noch fündig und können jetzt ders wäre das gar nicht machbar.“ das Adjuvans CpG 1018 verwenden, das bereits in einem Fast 20 Millionen Euro haben die Forscher für das Projekt prophylaktischen Hepatitis-B-Impfstoff zum Einsatz bereits eingeworben. Allesamt öffentliche Fördermittel. kommt und daher zugelassen ist. Darauf ist Ulrike Protzer besonders stolz. „Dadurch sind In präklinischen Mausmodellen konnte Ulrike Protzer zei- wir unabhängig von Investoren, die nicht nur humanitären gen, dass das Immunsystem wie gewünscht auf die Pri- Interessen folgen, sondern auch Geld verdienen wollen“, me-Boost-Impfung reagiert. Die Hepatitis-B-Antigene sagt sie. „Unser Impfstoff soll eines Tages schließlich Pa- verschwinden aus dem Blut, stattdessen finden sich dort tienten in allen Ländern zugutekommen.“ jetzt zahlreiche Antikörper gegen das Virus. Die T-Zellen Claudia Doyle tun den Rest – die Leber ist geheilt. „Wir sind überzeugt, dass das Prinzip, das wir entwickelt haben, sich auch für einen Impfstoff gegen das neue SARS-Coronavirus eig- net“, meint sie. Jetzt muss der Impfstoff nach allen Regeln der Guten Her- stellungspraxis, besser bekannt als Good Manufacturing Practice (GMP), hergestellt werden. Dann folgen Toxizi- 14 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie Zahl der Toten 2.000.000 1.500.000 Tuberkulose 1.000.000 Hepatitis HIV 500.000 Malaria 0 2000 2005 2010 2015 Jahr Hepatitis-B- und C-Erkrankungen sind weltweit ein wachsendes Problem. Während die Zahl der Todesfälle bei Malaria, HIV oder Tuberkulose stetig sinkt, steigt die Kurve bei Hepatitis weiterhin an. Klinische Studien – Der Weg vom Labor in die Klinik Vom Labor bis in die Klinik ist es für jedes Medikament ein weiter Weg. Zunächst wird ein potenziel- ler Wirkstoff zumeist an Zellen in einer Petrischale getestet. Wenn sich hier eine Wirkung zeigt, dann finden Experimente am Tiermodell statt, die die Erkrankung möglichst genau nachstellen. „Erst dann folgen die klinischen Studien am Menschen, die sich in vier Phasen einteilen lassen“, erklärt Chris- toph D. Spinner, Oberarzt der Infektiologie. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Arzneimittel- und Medizinprodukte muss von den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern festgelegt werden, wie viele Patienten eingeschlossen werden müssen, damit die Ergebnisse voraussichtlich aussagefähig sind. In Phase 1 wird die Substanz auf ihre Sicherheit geprüft. „Man will damit ausschließen, dass im kom- plexen menschlichen Organismus völlig unerwartete Reaktionen auftreten“, erklärt Spinner. Daher finden diese Versuche zumeist an gesunden Probanden statt. Phase 2 dient der Dosisfindung und findet an einer kleinen Gruppe von Patienten statt. In Phase 3 schließlich findet die Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfung statt. Wenn auch hier positive Ergebnisse vorliegen, kann die Substanz zu- gelassen werden. Die Phase 4 heißt daher auch Post-Zulassungsstudie. Sie dient dazu, bisher nicht entdeckte Nebenwirkungen und Langzeiteffekte zu erkennen. Die TUM ist für die Durchführung solcher Studien sehr gut aufgestellt. „Die Infrastruktur, die wir hier vorhalten, konnten wir über Nacht aktivieren“, sagt Christoph Spinner. „Daher können wir auch seit Grafik: ediundsepp (Quelle: TUM) dem Frühjahr intensiv an der Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 arbeiten.“ Faszination Forschung 25 / 20 15
Virologie Was ein Virus wirklich braucht Viren interagieren vielfältig mit einer Zelle, wenn sie diese infizieren. Mit- hilfe der Massenspektrometrie unter- sucht Prof. Andreas Pichlmair solche Wechselwirkungen auf Proteinebene. Die gewonnenen Daten werden an- schließend gezielt für Netzwerk analysen verwendet. Der Virologe möchte verstehen, welche zellulären Bestandteile und Signalwege für die Vermehrung der Viren notwendig sind, um diese für die Entwicklung von Medikamenten zu nutzen. 16 Faszination Forschung 25 / 20
Kurzfassung What a Virus r eally Needs E Viruses infect host cells and take advantage of its mole- also allows researchers to determine the quantity in which cular machinery for their own reproductive purposes. This each molecule is present. Pichlmair and his team are ex- requires numerous interactions between the virus and the amining how the protein composition of cells changes at proteins of the host cell. Prof. Andreas Pichlmair, a viro- set intervals after a viral infection. The researchers ac- logist at TU Munich, is using mass spectrometry to detect count for the changes they observe on the basis of data the proteins involved. These proteins could provide a generated in network analyses. This allows them to iden- starting point from which to develop therapies – including tify the cellular signaling pathways essential to viruses’ for the novel coronavirus (SARS-CoV-2). Mass spectro- survival. In parallel with this, researchers are seeking to metry is a technique that measures the mass of molecu- discover whether these signaling pathways might also les. Each molecule has a unique mass, which allows the play a role in other diseases for which medications are researchers to attribute each measurement reading to the already available. If so, it could significantly accelerate molecule name by referring to a database. This technique the development of new agents. Link www.innatelab.org Grafik: ediundsepp; Bildquelle: TUM Faszination Forschung 25 / 20 17
V iren sind von fremden Zellen abhängig, in denen sie sich vermehren können. Selbst sind sie dazu nicht in der Lage. Sie nisten sich in eine Wirtszelle ein und bedie Viren steuern die Proteinproduktion der Zelle Gelingt es Viren, ihr Erbgut in die Wirtszelle einzuschleu- sen, übernehmen sie die Kontrolle der zellulären Fabrik- nen sich der molekularen Maschinerie der Zelle für ihre anlagen. Sie drosseln beispielsweise die Produktion von eigene Vervielfältigung. Zunächst aber müssen sie den Proteinen, die das Immunsystem der Wirtszelle für die Immunzellen des Wirts entkommen. Entweder indem sie Abwehr benötigt. Gleichzeitig lassen sie die Produktion sich tarnen, um nicht erkannt zu werden, oder indem sie von Proteinen, die sie für ihre eigene Fortpflanzung benö- die Signalwege manipulieren, mit denen das Immunsys- tigen, hochfahren. Zellen, aber auch Viren, bestehen zum tem des Wirts sonst Alarm schlägt. Für all diese Schritte großen Teil aus Proteinen. Diese bilden Strukturen und sind Interaktionen des Virus mit zellulären Faktoren not- ermöglichen als Enzyme chemische Reaktionen. Rund wendig. Prof. Andreas Pichlmair interessiert sich für die 20.000 Gene, welche für Eiweißmoleküle codieren, gibt es beteiligten Eiweiße (Proteine): Diejenigen, die das Virus in in einer Zelle. Manche Eiweiße werden nicht oder nur in der Wirtszelle gezielt abschaltet, etwa um nicht enttarnt wenigen Kopien erzeugt, andere kommen millionenfach zu werden, und diejenigen, die das Virus für seine Ver- vor. Um zu untersuchen, für welche Eiweiße sich die Viren vielfältigung nutzt. „Denn diese Proteine eignen sich po- interessieren, nutzen Pichlmair und sein Team die Mas- tenziell als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Ther- senspektrometrie. Dieses Verfahren misst die Masse von apien“, so der Virologe der TUM. Etwa gegen das neuartige Molekülen wie etwa Proteinen. Weil jedes Molekül eine Coronavirus SARS-CoV-2. einzigartige Masse besitzt, können die Forscher aus den 18 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie Viren verursachen zytopathische Effekte in den infizierten Zellen. Die Zellen wer- den fixiert und mit Kristallviolett eingefärbt. Wo das Virus sich vermehrt, zerstört es die Zellschicht, sodass in den jeweiligen Schalen Löcher im violetten Zellrasen entstehen. Daten das Repertoire und die Menge der einzelnen Pro- schiedliche Reize innerhalb von Zellen verschiedenste teine in einer Probe ermitteln. Die Forscher vergleichen Interaktionen von Molekülen aus. Manche solcher Mole- die Proteine in gesunden Zellen mit denen in infizierten. küle aktivieren oder deaktivieren sich gegenseitig. Ande- Dabei beobachten sie, wie sich die Proteinzusammenset- re schalten die Produktion von Proteinen an oder ab. zung in bestimmten Zeitintervallen nach dem Vireninfekt Manche solcher Interaktionen im Inneren von Zellen sind verändert. bekannt, andere beginnt man erst zu verstehen. Oft spielt Was die Forscher am Ende der Messungen in den Händen die Produktion von Proteinen dabei eine Rolle. Solche In- halten, ist eine Liste von mehreren tausend Proteinen und teraktionen im Zellinneren werden auch Signalkaskaden ihre jeweiligen Mengen. oder Signalwege genannt, weil eine Reaktion wie ein Si- gnal viele weitere auslöst und dabei oft verstärkt. Die Si- Die Proteinfunktion als Ansatz für mögliche gnalkaskaden wechselwirken miteinander, sodass die Medikamente Zelle mit einer Vielzahl an Möglichkeiten auf das Patho- Bestimmte Proteine verändern sich bei fast allen Infekti- gen reagieren kann. Für die Forscher wird es dadurch onen: Beispielsweise diejenigen, die für den Energiestoff- schwieriger, die beteiligten Prozesse zu verstehen. Bildquellen: Andreas Pichlmair, Magdalena Jooss wechsel notwendig sind. Andere Proteine verändern sich aber nur bei einem bestimmten Virus. Alle Proteine, deren Netzwerkanalysen liefern Hinweise Mengen sich durch den Infekt verändern, sind vermutlich Eine Vielzahl solcher Kaskaden sind bereits bekannt und für das Virus wichtig. Die Funktion vieler dieser Proteine in Datenbanken hinterlegt. Mit diesen Datenbanken ana- ist unbekannt. Für sie interessiert sich Pichlmair. Er möch- lysiert Pichlmair die Liste der Proteine aus der Massen te verstehen, wieso das Virus sie benötigt. Denn dann spektrometrie. Das Ergebnis nutzt er, um zu interpretie- ließen sich gezielt und schnell neue Medikamente ent ren, was in der Zelle nach einer Infektion passiert. Welche wickeln. Dabei hilft den Forschern die sogenannte Reaktionen im Inneren der Zelle ablaufen und welche Netzwerkanalyse. Sie basiert auf der Analyse von kom- Signalwege aktiviert werden, wenn ein Virus die Zelle plexen Abläufen im Inneren von Zellen. So lösen unter- befällt. „Je mehr solcher komplexen Daten vorliegen, Faszination Forschung 25 / 20 19
≈ 20.000 DE: Proteine können theoretisch mit dem umso präziser wird das Bild“, sagt Pichlmair. Und je be- Virus interagieren kannter der jeweilige Signalweg, umso eindeutiger lässt sich erkennen, ob ein Virus diesen benötigt. Aber Pichl- mair schränkt ein: „Es gibt viele Messwerte, die wir noch 29 nicht interpretieren können, weil die Netzwerkdaten dazu noch zu dürftig sind oder ganz fehlen.“ Coronavirus: Suche nach Parallelen zu anderen Krankheiten Proteine exprimiert Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist aus etwa 27 Proteinen das Virus aufgebaut. Von einigen sind die Funktionen bekannt, von anderen noch nicht. „Was wir aufgrund der Massenspek- trometrie sehen, ist dass es wie bei anderen Viren auch 1.000 ganz bestimmte Proteine des Virus, aber auch der Wirts- zelle gibt, die für das Virus wichtig sind“, sagt Pichlmair. Ziel des Teams um Pichlmair ist es, Signalkaskaden zu identifizieren, die bei einem Infekt mit dem Coronavirus Proteine sind an virale aktiviert werden. Parallel dazu versucht das Team heraus- Proteine gebunden zufinden, ob diese Kaskaden auch bei anderen Erkran- kungen eine Rolle spielen, für die es bereits Medikamen- te gibt. Denn so ließen sich neue therapeutische Wirkstoffe, die gegen SARS-CoV-2 wirken könnten, deut- lich schneller ermitteln. Für dieses sogenannte Arzneimit- tel-Repurposing kommen Medikamente in Betracht, die schon für andere Erkrankungen zugelassen oder zumin- dest weitgehend erprobt sind. Medikamente, die in Sig- nalkaskaden eingreifen, sind vor allem aus der Behand- lung von Krebserkrankungen bekannt. 20 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie Die Zellen werden in Stickstoff gelagert. Prof. Andreas Pichlmair Andreas Pichlmair studierte an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Für seine Doktorarbeit wechselte er an die Universität Freiburg/Breisgau. Danach promovierte er in London am Cancer Research UK (heute: Francis Crick Institute) und verbrachte drei Jahre als Post-Doc am Center for Molecular Medicine der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Von 2011 bis 2017 etablierte er als Forschungsgruppenleiter sein eigenes Labor am Max-Planck-Institut für Biochemie in München. 2017 erhielt er einen Ruf als Associate Professor an die TUM. Sein Forschungsgebiet ist die Interaktion von viralen Proteinen und ihren Wirtsorganismen. Er nutzt vor allem die Massen spektrometrie und kombiniert diese beispielsweise mit Netz Bildquellen: Magdalena Jooss werkanalysen oder anderen Systemanalysen. Der Virologe möchte verstehen, welche zellulären Bestandteile und Si- gnalwege für Viren überlebensnotwendig sind und sich deshalb für die Entwicklung von Medikamenten eignen. Faszination Forschung 25 / 20 21
00d00h00m 00d03h00m 00d06h00m 00d12h00m 00d15h00m 00d18h00m 01d00h00m 01d03h00m 01d06h00m 01d12h00m 01d15h00m 01d18h00m Eine Zellkultur wird mit SARS-CoV-2, welches mit grün fluoreszierendem Farbstoff markiert ist, in Kontakt gebracht. Um die Repli- kation des Virus zu verfolgen, wird mit dem Screening-Mikroskop (rechts) dieselbe Messung alle 3 Stunden durchgeführt. So lässt sich die zeitliche Entwicklung und Ausbreitung des Virus beobachten. 22 Faszination Forschung 25 / 20
Virologie 00d09h00m 00d21h00m 01d09h00m 01d21h00m Bildquellen: Andreas Pichlmair, Magdalena Jooss Faszination Forschung 25 / 20 23
Virologie Zielprotein im Wirtsprotein Reguliertes Wirtsprotein Dazwischenliegendes Wirtsprotein Hochregulierte Menge Abregulierte Menge Netzwerkdiffusion Bekannte Wechselwirkungen Das Netzwerk in diesem Bild zeigt was passiert, nachdem das SARS-CoV-2 ORF7 Protein in einer Zelle exprimiert wurde. Jeder Netzwerkknoten steht für ein bestimmtes Protein. Graue Knoten zeigen Proteine, an die das Virus bindet. Grüne Knoten zeigen nachgela- gerte Veränderungen in der Protein-Expression des Wirts. Orange Umrandungen stehen für einen Anstieg der Menge, lila Ränder für eine Verringerung. Diese Proteine sind Ziele für das Virusprotein, denn es verändert ihre Produktionsmenge. Die gelben Linien zeigen aktuell bekannte molekulare Wechselwirkungen in der Zelle. So hilft die Netzwerkanalyse, ein tieferes molekulares Verständnis für die Aktivitäten des Virusproteins in der Zelle zu bekommen. Zeit Zeit Das Ergebnis eines Screenings wie es auf der vorhergehenden Seite gezeigt ist. Oben: Signal des grün fluoreszierenden Proteins. Weniger grün/mehr lila zeigt weniger Virus an. Unten: Zellwachstum. Dunklere Farben stehen für höhere Zelldichten. Jede Spalte repräsen- tiert einen Test mit einer anderen Substanz, jedes Quadrat innerhalb einer Spalte steht für eine Messung. Dunkelrote/lila Farben zeigen an, dass die jeweilige Substanz wirksam gegen das Virus zu sein scheint. 24 Faszination Forschung 25 / 20
Während einige seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ein wirklich interdisziplinäres Team weiter Daten sammeln und analysieren, testen andere be- „Das Besondere an unserer Arbeit ist, dass wir Massen reits die Wirkung von identifizierten Substanzklassen. spektrometrie, bioinformatische Analysen, Virologie und Erlauben sie die Virenvermehrung oder wirken sie hem- Zellbiologie miteinander verbinden“, sagt Pichlmair. Der mend? Die Forscher nutzen dazu Zellkulturen und Ansatz erfordert viel Erfahrung aus ganz verschiedenen Coronav iren, die mit einem fluoreszierenden grünen Bereichen. Pichlmairs Team ist multidisziplinär und be- Farbstoff markiert wurden. Infizierte Zellen, in denen sich steht aus Virologen, Zellbiologen, Ingenieuren und Bio das Virus vermehrt, leuchten grün. In Ansätzen mit den informatikern. Seine 18 Mitarbeiter arbeiten Hand in Hand erfolgreichen Wirkstoffen erlischt die grüne Farbe oder sie und fügen jeder als Spezialist seinen oder ihren Teil bei, leuchtet erst gar nicht. Ein Screening-Mikroskop ermög- um das Puzzle zusammenzusetzen. Wieder andere über- licht einen hohen Durchsatz von Proben. Das Gerät wurde prüfen, dass keine Artefakte gemessen werden. Gemein- vom Karl Max von Bauernfeind-Verein, einem langjährigen sam arbeitet das Team daran, zu verstehen, was genau Partner der TUM, mitfinanziert. Wie bei allen Untersu- Viren für ihre Vermehrung benötigen. „Die Herausforde- chungen, bei denen das Virus direkt zum Einsatz kommt, rung ist, nicht einfach blinde Tests zu machen, bei denen befindet es sich im S3 Labor. Labore der Schutzstufe drei man nicht versteht, was passiert, sondern die interessan- (S3) sind gegenüber der Außenwelt abgeschlossene, iso- ten Substanzklassen zu identifizieren, die uns erlauben, lierte Räumlichkeiten, die so angelegt sind, dass Erreger mithilfe unseres Wissens zukunftsorientierte Therapien zu nicht unbeabsichtigt aus ihnen entweichen können. 574 entwickeln“, sagt Pichlmair. unabhängige Messungen können Pichlmair und sein Karoline Stürmer Team mithilfe des modernen Mikroskops alle drei bis vier Tage durchführen. Grafiken: ediundsepp (Quelle: TUM), Bildquellen: Magdalena Jooss Viele Experimente werden in Laboren mit der Biologischen Schutzstufe 3 (BSL-3) durchgeführt. BSL-3 Labore sind abgedichtet und baulich von der Umgebung abgetrennt. Sie sind so ausgelegt, dass Erreger nicht unbeabsichtigt entweichen können. Spezielle Bekleidungsvorschriften und HEPA-gefilterte Belüftung schützt die Wissenschaftler davor, sich zu infizieren. Faszination Forschung 25 / 20 25
Medizinethik 26 Faszination Forschung 25 / 20
Short version „There is a great willingness to donate data“ E Pandemics are times of crisis. However, they often also increase solidarity. Medical ethicist Alena Buyx advocates making medical data available for medical research in the form of solidary „data donations”. „Die Bereitschaft zu Datenspenden ist sehr hoch.“ Infektionskrankheiten und Pandemien bringen eine Link ganze Reihe ethischer Konflikte mit sich, die nur schwer zu lösen sind. In solchen Krisenzeiten zeigen www.or.tum.de sich jedoch auch positive soziale Effekte wie eine er- höhte Solidarität und Spendenbereitschaft. Die Medi- zinethikern Prof. Alena Buyx plädiert dafür, persönliche medizinische Daten nicht nur unter der Perspektive individueller Autonomie zu betrachten, sondern sie in Form von „Datenspenden“ für die medizinische For- schung nutzbar zu machen. Prof. Buyx, Infektionskrankheiten und Pandemien wa Können Medizinethiker in solchen Konfliktsituationen ren in den letzten Monaten ein großes Thema. Welche Lösungen aufzeigen oder Empfehlungen geben? ethischen Fragen stellen sich in diesem Kontext? Alena Buyx: Der Konflikt ist in der Regel nicht lösbar, aber Alena Buyx: Bei Pandemien gibt es einen tiefen ethischen man kann versuchen, ihn abzumildern, und sich bemü- Konflikt – darauf haben wir auch im Deutschen Ethikrat hen, eine Verhältnismäßigkeit zu wahren. So muss immer hingewiesen. Auf der einen Seite muss die Funktions wieder sorgfältig geprüft werden, ob die geltenden Maß- fähigkeit unseres Gesundheitswesens aufrechterhalten nahmen der Pandemieeindämmung noch verhältnismäßig werden. Dazu müssen Mittel zur Eindämmung der Pande- sind. Es müssen Fragen beantwortet werden wie: Hat sich mie ergriffen werden. Auf der anderen Seite führen diese von der Evidenz her etwas geändert? Haben wir etwas ‚Lockdown‘-Maßnahmen zu dramatischen Folgeschäden Neues gelernt – entweder über das Virus oder darüber, ob Grafik: ediundsepp in wirtschaftlicher, sozialer und psychologischer Hinsicht. und wie wir mit den Maßnahmen Erfolge erzielen oder Das sind sozusagen zwei Seiten einer Medaille. Diese nicht? beiden Aspekte müssen in irgendeiner Form balanciert werden. Faszination Forschung 25 / 20 27
Medizinethik „Wir haben sozusagen ein gemeinsames Interesse an unser aller Gesundheit.“ Alena Buyx Man sollte das Feld also nicht nur den medizinischen onen nur sehr risikominimiert preisgegeben wurden. Mit Fachexperten überlassen? dem Instrument der informierten Einwilligung sollte alles Alena Buyx: Der Ethikrat hat gesagt, dass es im Pande- ganz selbstbestimmt und aufgeklärt erfolgen. Meine Kol- miefall keinen Automatismus geben darf, und wir nur noch legin Barbara Prainsack und ich haben 2013 in einem in- auf die von Virologen und Epidemiologen bereitgestellten ternationalen Journal für Medizinrecht ein in diesem Be- Daten starren. Und dem alles unterordnen. Das geht nicht. reich sehr häufig zitiertes Paper veröffentlicht, in dem wir Hier müssen politische Entscheidungen getroffen werden, darauf hingewiesen haben, dass es den Menschen nicht die können nicht nur von den Pandemiedaten diktiert wer- nur um Selbstbestimmung und um Risikominimierung den. Es müssen viele andere Aspekte und Interessen mit- geht. Wenn Personen an datenreichen Forschungsvorha- berücksichtigt werden. ben teilnehmen, haben sie auch eine prosoziale Motivati- on. Damit ist gemeint, dass Menschen für andere, die Im Kontext einer Krise zeigen sich Menschen solida- vielleicht eine ähnliche Erkrankung haben, etwas freiwillig risch – ein Thema, das auch für den Ethikrat eine gro- tun möchten, selbst wenn sie dabei kleineren Risiken aus- ße Rolle spielt und das Sie in die Diskussion einge- gesetzt sind, etwa mit Blick auf den Datenschutz. Wir ha- bracht haben? ben sozusagen ein gemeinsames Interesse an unser aller Alena Buyx: Datenschutzgesetze und Regularien sorgten Gesundheit. Wir sollten deshalb diese Art von Forschung in der Vergangenheit dafür, dass medizinische Informati- auch als eine solidarische Praxis verstehen. 28 Faszination Forschung 25 / 20
Innerhalb der ersten zwei Monate Spenderinnen und Spender gespendete Daten Bei Datenspenden wie der Corona-Datenspende-App des Robert Koch-Instituts geht es darum, so viele Daten von so vielen Men- schen wie möglich einzusammeln. Je mehr Daten vorliegen, desto besser können die Datensätze nach Mustern durchsucht werden, die helfen, Fragen zu der untersuchten Krankheit zu beantworten. 67,5 8.523 Grafiken: ediundsepp (Quelle: coronadatenspende.de/science); Bildquelle: Juli Eberle Fitnessbänder und Smart- In die App haben die Nutzer Ein zentraler Server An Veränderungen der regionalen Vertei- watches sammeln Daten wie Daten zu ungefährem Alter, verarbeitet die Daten. lung, beispielsweise des Ruhepulses, kann Puls und Aktivität. Gewicht, Größe sowie ihre man erkennen, ob in einer Region zum Postleitzahl eingegeben. Beispiel immer mehr Menschen Fieber haben. Das wäre ein Hinweis auf ein beginnendes Infektionsgeschehen. Was ist eine Datenspende? Bei einer Datenspende stellen Patientinnen und Patienten ihre – meist anonymisierten – medizinischen Daten der Forschung zur Ver- fügung. Diese Daten können relativ neutrale Informationen wie Geschlecht oder Gewicht umfassen, es können Daten aus Fitness-Apps sein, aber auch sensible Informationen wie Röntgenbilder und Laborbefunde. Den so entstandenen Datensatz nutzen Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Therapien abzuleiten. Aktuelles Beispiel ist die vom Robert Koch-Institut entwickelte Corona-Datenspende-App. Das RKI bittet um Daten von Fitnessarm- bändern und Smartwatches, weil es sich daraus Hinweise auf Symptome einer Infektion mit COVID-19 erwartet. Die Wissenschaftle- rinnen hoffen, mehr über die Ausbreitung des Virus und über die Dunkelziffer, also die Zahl der nicht erfassten Infektionen, zu erfahren. Die Informationen sollen helfen, bessere Maßnahmen gegen das Virus zu entwickeln. Faszination Forschung 25 / 20 29
„Man kann die Datenspende so gestalten, dass sie mit gelten dem Datenschutzrecht überhaupt nicht in Konflikt gerät.“ Alena Buyx Eine Form der solidarischen Praxis ist die freiwillige Fänden Sie es sinnvoll, solche Datenspenden zwin- Datenspende? gend vorzuschreiben und beispielsweise in ein Gesetz Alena Buyx: Die Idee der Datenspende wird ja nun auch zu gießen? in der breiteren öffentlichen Diskussion verhandelt. Zum Alena Buyx: Ich bin immer ein Fan von freiwilligen Lösun- Hintergrund: Wir haben in mehreren Studien zur Sekun- gen, wenn irgendwie möglich. Eine verpflichtende Daten- därdatennutzung im Klinikumfeld festgestellt, dass viele spende wäre aus meiner Sicht eine absolute Ultima Ratio. Leute prosozial und solidarisch handeln möchten und Ich glaube auch nicht, dass wir eine Verpflichtung brau- gern ihre Daten spenden, selbst wenn bei der Sammlung chen. Wenn man gut erklärt, wofür man die Daten braucht, noch nicht genau feststeht, um welche Fragen es in der gibt es eine ganz große Spendenbereitschaft – einfach, Forschung einmal gehen soll. Das waren immer weit über weil wir so eine hohe solidarische Bereitschaft haben. 80 Prozent der Befragten, zum Teil sogar über 90 Prozent. Klaus Manhart Wir können also davon ausgehen, dass sehr viele Men- schen eine hohe soziale Motivation haben, ihre medizini- schen Daten zu spenden. Wir haben aber auch herausge- funden, dass die Menschen das nur wollen, wenn die Spende dem Gemeinwohl, also der öffentlichen medizini- schen Forschung, dient. Für Konzerne wie Google oder Facebook würden sie die Daten so nicht spenden wollen. Datenspenden müssen also eine echte solidarische Pra- xis sein. Wie steht es um den Schutz dieser gespendeten Daten? Alena Buyx: Natürlich muss es auch für die gespendeten Daten Sicherheit und Schutz geben. Datenspende heißt ja nicht, dass man Selbstbestimmung und Datenschutz aushebelt. Die Datenschutzvorgaben müssen gewahrt bleiben. Die Menschen erwarten sich Schutzmechanis- men wie Anonymisierung, Verschlüsselung, sichere Ser- ver und Zugriffsbeschränkungen. Und das ist auch kein Problem: Man kann die Datenspende so gestalten, dass sie mit geltendem Datenschutzrecht überhaupt nicht in Konflikt gerät. Unter solchen Vorgaben ist die Bereitschaft der Menschen hoch, ihre Daten und auch ihre Biomateri- alien einem dem Gemeinwohl dienenden Zweck in der Forschung zu spenden. 30 Faszination Forschung 25 / 20
Medizinethik Prof. Alena Buyx Alena Buyx ist Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheit- tionen und Gesundheitstechnologien, der Forschungsethik, Fragen Bildquelle: Juli Eberle stechnologien und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Solidarität sowie neuen partizipatorischen Ansätzen in der Bio- der Medizin an der TUM. Frau Buyx ist Ärztin mit Abschlüssen in medizin. Sie ist Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und Mitglied Philosophie und Soziologie. Ihre Forschung umfasst das gesamte des WHO Expert Advisory Committee on Developing Global Stan- Gebiet der Ethik der Biomedizin und der öffentlichen Gesundheit, dards for Governance and Oversight of Human Genome Editing. mit besonderem Schwerpunkt auf der Ethik medizinischer Innova- Faszination Forschung 25 / 20 31
Immunologie Schutzschalter für das Immunsystem Wenn das Immunsystem Infekte oder Tumore nicht in den Griff bekommt, schaltet es in einen reduzierten Funktionszustand. Prof. Dietmar Zehn identifizierte den molekularen Schalter, der den Wechsel zwischen aktivem und reduziertem Zustand des Im- munsystems auslöst. Wenn es gelingt, diese erschöpften Immun- zellen gezielter zu reaktivieren, wären neue Behandlungsansätze für chronische Infektionen, aber auch für Tumore denkbar. Short version Circuit breaker for the immune system E If the immune system is unable to get a grip on an infection or tumor, cytotoxic T cells switch into a lower functional state after a period of time. While this change compromises the ability to elimi- nate a virus, it has also benefits for the body, as a prolonged aggressive immune response takes a significant toll on cells and tissue. In the case of cancer patients, however, the deactivation of T cells allows tumors to continue to grow massively. Prof. Dietmar Zehn has identified the molecular circuit breaker that causes the immune system to switch between active and reduced functional states – the TOX protein. After binding to the DNA of T cells, it induces the transcription of genes associated with the state of exhaustion, such as the surface receptor PD-1. The researchers are using laboratory mice infected with a virus and administering genetically modified T cells without a TOX gene. Using this method, they have been able to show that T cells without a TOX gene do not throttle back their activity. However, the researchers have made another important discovery: TOX not only protects the affected tissue from excess damage but also saves the T cells from an early death. These insights reveal a new molecularly focused approach to ma- nipulate the attenuation and survival of T cells. In addition, they pave the road towards a more effective immunotherapy against chronic infection and cancer. 32 Faszination Forschung 25 / 20
Grafik: ediundsepp Link www.physio.wzw.tum.de Faszination Forschung 25/ 20 33
O b Viren, Bakterien oder einzellige Parasiten, soge- nannte Protozoen, ein Infekt mit einem Krankheits- erreger versetzt das Immunsystem in maximale Alarmbe- einen Zustand mit stark eingeschränkten Funktionen. Sie können dann Erreger oder den Tumor zwar noch bedingt im Zaum halten, aber nicht vollständig überwinden. Aus reitschaft. Während die Eindringlinge die Körperzellen einem akuten Infekt von Hepatitis C oder HIV im Men- befallen, werden die Immunzellen wie T- oder B-Zellen schen etwa, entwickelt sich dann ein chronischer. Der aktiv, vermehren sich und kämpfen aggressiv gegen die Erschöpfungszustand der Immunzellen hat aber auch Erreger. Sogenannte zytotoxische T-Zellen – spezialisier- Vorteile. Denn im Dauerfeuer des alarmierten Immun te Zellen des Immunsystems – haben dabei eine beson- systems wird das betroffene Gewebe massiv geschädigt. dere Aufgabe, denn sie eliminieren bereits infizierte Zel- Mit der Verringerung der T-Zell-Aktivität findet der Körper len oder auch Tumorzellen. Dies ist möglich, weil die einen Kompromiss zwischen der Erkrankung und den Kol- betroffenen Zellen in der Regel Proteine auf ihrer Zello- lateralschäden, die eine andauernde starke Immunant- berfläche tragen, die sie für zytotoxische T-Zellen wie mit wort verursachen würde. Anders bei Krebspatienten. Bei einer Signalflagge markieren. ihnen wirkt sich der Erschöpfungszustand eindeutig ne- Schaffen die T-Zellen es nach mehreren Tagen bis Wo- gativ aus, denn das Herunterschalten der T-Zellen lässt chen nicht, die Erkrankung zu besiegen, fallen sie oft in Tumore massiv weiterwachsen. Anzahl virus- spezifischer Zellen Akute Infektion Chronische Infektion Zytotoxische T-Zellen: unmittelbare Abwehr TOX wird „Erschöpfte“ T-Zellen: produziert eingeschränkte Abwehr T-Gedächtniszellen: zukünftige Abwehr Naive T-Zellen Zeit Verlauf der Immunantwort auf eine Virusinfektion. Das Immunsystem erkennt virusbefallene Zellen als körperfremde Strukturen. Zu Beginn einer Infektion gibt es nur wenige Zellen, die gegen vom Virus befallene Zellen wirken können. Diese virusspezifischen, zytotoxis- chen Zellen vermehren sich dann sehr stark und zerstören die Virus-produzierenden Zellen. Bei einer akuten Infektion (schwarze Fläche) gelingt dies. Anschließend bleibt ein Teil der virusspezifischen Zellen als T-Gedächtniszellen für den Fall einer erneuten Infektion zurück. Bei einer chronischen Infektion (blaue Fläche) können die Viren nicht vollständig durch die Immunabwehr eliminiert werden. Die zytotoxis- chen T-Zellen fallen ab einem bestimmten Punkt in einen Erschöpfungszustand. Dieser Zustand geht mit der Produktion des Proteins TOX einher. Im Ergebnis bleibt im Köper eine eingeschränkte Immunabwehr erhalten, die das Virus in Schach hält, aber nicht eliminiert. 34 Faszination Forschung 25 / 20
Immunologie Den Zellzustand gezielt umschalten Dem Forschungsteam der TUM um Prof. Dietmar Zehn ist TOX als molekularer Regulator der Erschöpfung fungiert. es kürzlich mit Unterstützung von Kolleginnen und Kolle- Schon lange waren Tumor- und Infektionsforscher auf der gen der Universität Freiburg, aus den USA und aus Israel Suche nach einem Molekül, das den Wechsel zwischen gelungen, den molekularen Schalter zu identifizieren, der aktivem und erschöpftem Zustand triggert. In naher Zu- Zellen vom aktiven in den erschöpften Zustand wechseln kunft könnte nun ein gezieltes Umschalten in den einen lässt. Der Professor für Physiologie und Immunologie am oder anderen Zustand möglich werden, hoffen die For- Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TUM hat die scherinnen. Wenn es effektiver gelingen würde, erschöpfte Ergebnisse seiner Studien im renommierten Fachjournal Zellen erneut und gezielt zu aktivieren, wären bessere Be- „Nature“ veröffentlicht – zeitgleich mit zwei weiteren Ar- handlungsansätze für chronische Infektionen, aber auch beitsgruppen aus den USA, die unabhängig voneinander für Tumore denkbar. Doch dafür müssen die Forscher zu- zu den gleichen Ergebnissen kamen. Die Arbeiten stützen nächst die zugrundeliegenden Mechanismen genauer ver- sich in wesentlichen Punkten und zeigen, dass das Protein stehen. T-Zellen sind erschöpft. Viren werden nur teilweise in Schach gehalten Aktivitätsabschwächung Immunantwort: T-Zellen bekämpfen Viren TOX wird produziert Viren T-Zellen TOX experimentell 2 Wochen unterbrochen Gleichbleibend hohe Aktivität der T-Zellen Grafiken: ediundsepp (Quelle: TUM) T-Zellen bleiben aktiv und T-Zellen sterben, während bekämpfen das Virus die Viren sich vermehren In seinen Versuchen konnte Dietmar Zehns Team bestätigen, dass T-Zellen, die über das TOX-Gen verfügen, ihre Aktivität im Lauf der Infektion drosseln. Die Zahl der Viren geht zurück, sinkt aber nicht auf Null. Eine Art Dauerzustand stellt sich ein. Können T-Zellen kein TOX produzieren, bleiben sie im aktiven Zustand. Die Virusinfektion wird zu Beginn besser bekämpft, nach einiger Zeit sinkt die Zahl der T-Zellen und die Viren vermehren sich wieder. Faszination Forschung 25/ 20 35
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