Vogelgrippe (Klassische Geflügelpest) und Zugvögel: Wie gefährlich ist H5N1?
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196 Charadrius Charadrius 41, Heft 43, Heft 4, 2005 4, 2007: 196-217 Vogelgrippe (Klassische Geflügelpest) und Zugvögel: Wie gefähr- lich ist H5N1? Johan H. Mooij Zusammenfassung Die Vogelgrippe oder Klassische Geflügelpest ist eine Geflügelkrankheit, die die Bevölkerung mittlerweile seit über 10 Jahre beschäftigt. Seit sich der im Jahre 1959 erstmals in Schottland in Erscheinung getretene Influenza A Virussubtypus H5N1 in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in den Geflügelbeständen Südostasi- ens festsetzte und dort möglicherweise sogar mehrere menschliche Opfer forderte, hat das Virus die Medien immer wieder beschäftigt. Die Berichterstattung konzentrierte sich immer wieder auf zwei Fragen: „Wie gefährlich ist das Virus für den Menschen?“ und „Welche Rolle spielen Zugvögel bei der Übertragung des Virus?“. Aus den bisherigen Erkenntnissen lässt sich feststellen, dass das H5N1-Virus in seiner bisherigen Form – sicherlich unter den europäischen Bedingungen – keine unmittelbare, große Gefahr für die europäische Volksgesundheit darstellt. Obwohl das Infektionsrisiko für Menschen sehr gering ist, scheint der Verlauf der Erkrankung lebensbedrohend. Es gibt jedoch eine ganze Reihe sich widersprechender Daten und offener Fragen, die die häufig beschworene Gefährlichkeit des „auch für Menschen gefährlichen“ H5N1-Virus in Frage stellen. Auch die Übertragungswege sind weitgehend unbekannt. Für eine Übertragung der Viren von Wildvögeln auf Hausgeflügel gibt es gegenwärtig keine Belege. Bei allen bisherigen Geflügelgrippe-Epi- demien waren eindeutig menschliche Aktivitäten für die Verbreitung verantwortlich. In diesem Zusammen- hang sind weltweite Geflügeltransporte bzw. Transporte von Geflügelteilen und -produkten sowie der Fern- ost-Tourismus die größere Gefahr. Mögliche Schutzmaßnahmen müssen sich daher auf Geflügelbestände und menschliche Aktivitäten und nicht auf Wildvögel richten. Von größter Bedeutung ist die konsequente Umsetzung des Transportverbots von Geflügel und Geflügel- teilen aus den infizierten Gebieten nach Europa. Darüber hinaus sind die normalen Hygieneregeln beim Umgang mit Geflügel einzuhalten. Weitere Schutzmaßnahmen, wie das Aufstallen von Kleingeflügelbe- ständen, scheinen gegenwärtig wenig zielführend. Damit Wissenslücken geschlossen und zukünftig ggf. notwendige Maßnahmen vorbereitet werden können, ist es dringend notwendig das Wasservogelmonitoring zu verbessern, die Verbreitung von Grippeviren in Wasservogel- und Hausgeflügelbeständen zu beobachten und die potentiellen Übertragungswege zu erfor- schen, damit eine wirksame Abwehrstrategie entwickelt werden kann. Die gegenwärtige, starke Fixierung auf Zugvögel als Langstrecken-Überträger der H5N1-Viren sollte jedoch beendet werden, da hierdurch die Evaluation der Bedeutung der übrigen potentiellen Verbreitungswege und die Entwicklung zielführender Schutzmaßnahmen behindert wird. Summary Avian flu (Fowl Plague) and migratory birds: How dangerous is H5N1? Avian flu or Fowl Plague is an infectious disease in poultry, which has keeping people busy for the last 10 years. Since the Influenza A H5N1 virus subtype, which first occurred in Scotland in 1959, established itself in Southeast Asian poultry populations in the first half of the 1990s, even killing humans there, H5N1 has been a frequent item in the public media. Most discussions focused on two questions: “How dangerous is H5N1 for humans?“ and “What is the role of migratory birds in the course of transmission of the virus?“. Current data indicate that the H5N1 virus in its present form - especially under European hygienic standards – presents no risk for public health in Europe. In spite of the low infection risk for humans, the course of the disease seems to be life-threatening. But there are a number of controversial data and open questions that indicate that the H5N1 virus probably is not as dangerous as frequently claimed. In addition, the way the virus is transmitted is not really known. Besides migratory birds, human activities are discussed as the
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe -Wieling und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich 2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 197 main transmitters of the virus. Currently there is no data to proof that wild birds have transmitted H5N1 to poultry. In all recent outbreaks of avian flu obviously human activities caused the spreading of the virus. Therefore it can be stated that worldwide transport of poultry, poultry parts and poultry products as well as tourism to Southeast Asia seem to represent a higher risk than bird migration. Effective measures against the spreading of avian flu therefore should concentrate on poultry industry and transport as well as human activities and not on migratory birds. Most important is a consistent implementation of a ban on the transport of poultry, poultry parts and poultry products out of areas with an outbreak of avian flu. In addition, in all handling of birds, the usual hygienic standard should be kept. Further measures, like locking up of backyard poultry, do not seem to be very helpful. To fill knowledge gaps and to develop effective measures for possible future outbreaks of avian flu it is of the utmost importance to improve waterbird monitoring, to monitor the changes in distribution and fre- quency of avian flu virus subtypes in wild bird populations and poultry as well as to study potential ways of transmission of the virus, to be able to develop effective defensive measures for the future. The current focus on migratory birds as potential long-distance transmitters of the H5N1 virus should be stopped, because it hinders an unbiased analysis of the other potential ways of transmission and prevents the development of effective protective measures. Einführung Die Krankheit Es gibt zwei unterschiedliche Virenerkrankungen Die Vogelgrippe oder Klassische Geflügelpest wurde bei Vögeln, die früher unter dem Begriff Geflü- 1878 erstmalig in Nord-Italien beschrieben und wird gelpest zusammengefasst wurden. Obwohl beide von Influenza-A-Viren verursacht. Die Viren sind Viren ähnliche Symptome hervorrufen, wurden sie gekennzeichnet durch eine Oberflächenstruktur, die im Laufe des letzten Jahrhunderts als zwei unter- aus zwei Komponenten, Hämagglutinin und Neura- schiedliche Krankheitserreger erkannt. Seitdem minidase, besteht. Durch ständige Genverände- unterscheidet man die atypische Geflügelpest oder rungen (Drift) entstehen regelmäßig neue Varianten Newcastle Disease von der klassischen Geflügelpest der Grippeviren, die anhand ihrer Oberflächeneigen- oder Vogelgrippe. So lange die Krankheit Klas- schaften in Subtypen eingeteilt und benannt werden. sische Geflügelpest hieß, war sie weitgehend nur ein So trägt das Influenza-A-Virus Subtypus H5N1 auf Problem der Geflügelhaltung. Neuerdings spricht seiner Oberfläche die 5. Variante des Hämagglutinins man jedoch nur noch von Aviärer Influenza, hoch- (H5) und die 1. Variante der Neuraminidase (N1). pathogener Influenza Virus Infektion (HPAI) oder Gegenwärtig sind 16 H-Subtypen und 9 N-Sub- Vogelgrippe und große Teile der Bevölkerung haben typen bekannt, was theoretisch bis zu 144 Kombina- plötzlich Angst sich zu infizieren. tionsmöglichkeiten ergibt. Vogelgrippe ist eine ansteckende, von Viren verur- Influenza-A-Viren wurden bisher bei vielen Tierar- sachte Krankheit bei Tieren, die normalerweise nur ten nachgewiesen, z.B. bei Enten, Gänsen, Puten, Vögel, aber gelegentlich auch Säugetiere befällt. Schweinen, Walen, Pferden und Seehunden. Die Es handelt sich also um eine Tierseuche, nicht Subtypen befallen normalerweise nur jeweils um eine Menschen-Krankheit. Trotz dieser Tatsache bestimmte Wirtsarten, während weitere Arten als beharren die meisten Medien auf der Formulierung Überträger fungieren können, ohne selber krank zu „der auch für Menschen gefährliche Vogelgrippe- werden. Vögel, insbesondere Wasservögel, scheinen Erreger H5N1“. Damit haben sie zwar nicht ganz Träger von nahezu allen bisher bekannten Subtypen Unrecht, weil prinzipiell jedes Vogelgrippe-Virus (fast 30) sein zu können. In der Vergangenheit ver- – ebenso wie jegliches sonstiges Tiervirus (z.B. ursachten die Subtypen H0N1, H1N1, H1N2, H2N2, HIV oder Ebola) ‑ für Menschen gefährlich werden H3N2 und H9N2 bei Menschen, die Subtypen H1N1 könnte, aber dem H5N1-Virus fehlen gegenwärtig und H3N2 bei Schweinen, H3N8 und H7N7 bei noch wesentliche Eigenschaften, um für den Men- Pferden und H5N1, H5N2, H7N1, H7N3 und H7N7 schen gefährlich zu werden. Damit ist die Medien- bei Geflügel weiter verbreitete Erkrankungen. Die Bezeichnung irreführend und unzutreffend. Vogelgrippe hat eine Inkubationszeit (Ansteckungs-
198 43, Heft 4, 2005 Charadrius 41, 2007 zeit) von 3 bis 14 Tagen und zeigt sich in zwei und vielen Millionen Vögeln verendeten bzw. (die Erscheinungsformen. Bei der ersten und häufigsten meisten) präventiv getötet wurden. Aber auch für Form (LPAI = Low Pathogene Avian Influenza Menschen, insbesondere mit geschwächter Immun- oder niedrig pathogene aviäre Influenza) zeigt die abwehr, ist die Vogelgrippe nicht ganz ungefährlich. Krankheit einen milden Verlauf und die infizierten Hin und wieder gab es leichte Grippesymptome bei Vögel nur wenige, äußerst variable Krankheits- Personen, die in engstem Kontakt mit erkrankten symptome, z.B. Atemwegsprobleme, Fieber, verrin- Vögeln standen und bei der letzten großen H7N7- gerte Legeleistung, Durchfall oder zerzauste Federn Geflügelpestwelle 2003 in den Niederlanden starb und verringerte Aktivität. Problematischer ist die ein Veterinär nachdem er erkrankte Vögel getötet zweite Form, die so genannte hoch pathogene avi- hatte. äre Influenza (HPAI = High Pathogene Avian Influ- enza), bei der häufig nahezu 100 % des erkrankten Vogelgrippeviren in Wildvögeln Geflügels innerhalb kürzester Zeit nach der Infek- Vogelgrippeviren aller Subtypen wurden in nied- tion sterben, vielfach ohne vorher deutliche Krank- rig pathogener Form bei Wildvögeln nachgewiesen heitssymptome zu zeigen. Unter gewissen Bedin- (Tab. 1), ohne dass bisher ein Beleg für die Hypo- gungen können die Subtypen ihre bisherige Artspe- these gefunden wurde, dass Wildvögel in irgendei- zifizität aufgeben und auch bei anderen bisher nicht ner Weise an der Verbreitung von Vogelgrippe-Epi- empfindlichen Arten Krankheitssymptome auslösen demien beteiligt gewesen seien. oder während eines Ausbruches ihre Pathogenität In den 1990er Jahren wurden in Italien, unter der von einer milden (LPAI) zu einer hochpathogenen Leitung von Mauro Delogu von der Universität Form (HPAI) ändern. Bologna, weit über 20.000 Vögel auf Vogelgrippe- Parallel zur weltweiten Intensivierung der Geflügel- viren untersucht. Hierbei wurde festgestellt, dass wirtschaft hat die Zahl der Ausbrüche hochpatho- Singvögel mit knapp 3 % kaum Influenza-A-Viren gener Vogelgrippe-Ereignisse in den vergangenen in sich tragen, während bei Wasservögeln zum Teil Dezennien sprunghaft zugenommen (Nguyen et recht hohe Werte gefunden wurden. So wurden al. 2005). Auch der bereits 1959 in Schottland bei rund 7 % der Blässhühner (Fulica atra), ca. beschriebene, neue Vogelgrippe-Subtypus H5N1 15 % der Entenvögel und fast 19 % der Möwen kommt sowohl in einer hoch pathogenen als auch in Influenza-A-Viren gefunden. Bei den Tauchenten einer niedrig pathogenen Variante vor. Bei gesunden trugen rund 23 % der untersuchten Vögel Grippevi- Wildvögeln wurde bisher nur die niedrig pathogene ren in sich und bei den Schwimmenten rund 52 %, Variante und bei verendeten Wasservögeln sowie in wobei die Viren bei fast 64 % der Stockente (Anas Geflügelbeständen die hoch virulente Form gefun- platyrhynchos) und bei rund 31,5 % der übrigen den. Schwimmenten gefunden wurden. Im Rahmen die- Seitdem 1878 die erste wissenschaftlich belegte ser italienischen Untersuchungen wurden niedrig und beschriebene Vogelgrippe-Epidemie in Geflü- pathogene Viren der Subtypen H1, H2, H5, H6, H8, gelbeständen im Norden Italiens ausbrach, gab es H9, H10, H11, H13 und H14 gefunden (De Marco immer wieder Ausbrüche in Asien, Europa und et al. 2000, 2003 & 2004). Bei einer Untersuchung Nord-Amerika. Allein seit 1945 gab es mehr als im Norden Europas, in der ca. 8.500 Wildvögel 20 dokumentierte regionale Geflügelpest-Epide- (vornehmlich Wasservögel) auf das Vorkommen mien, wobei jeweils zwischen mehreren 100.000 von Influenza A Viren untersucht wurden, konnten Tab. 1: Ergebnisse der Erprobung von Wildvögeln auf Vogelgrippe-Viren in Europa. – Results of studies on bird flu viruses in wild birds in Europe. Land Jahr Anzahl untersucht % AI Subtypen Quelle Country Year Number checked Subtypes Source Italien 1990-2000 20.000 H1, H2, H5, H6, H8, H9, H10, H11, De Marco et al. Italy H13, H14 2000, 2003 & 2004 Nordeuropa 1999, 2000 8.500 1 H1, H2, H3, H4, H5, H6, H7, H10, H11, Fouchier et al. 2003 N-Europe H13 Europa 2005 24.039 19 H1, H2, H3, H4, H5, H6, H7, H9 EU 2006a Europe
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe -Wieling und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich 2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 199 in den Jahren 1999 und 2000 bei ca. 1 % der Vögel ausbreiten und das Risiko der Entwicklung gefähr- niedrig pathogene Viren der Subtypen H1, H2, H3, licher Virusvarianten nimmt sprunghaft zu (Webster H4, H5, H6, H7, H10, H11 und H13 nachgewiesen & Hulse 2004). werden (Fouchier et al. 2003). Bei einer europä- ischen Untersuchung von 24.039 Wasservögeln im Übertragungswege Herbst 2005 wurden bei 4.655 Vögeln (ca. 19 %) An Vogelgrippe erkrankte Vögel scheiden Viren Influenza A-Viren von den Subtypen H1, H2, H3, über Kot, Sekrete des Atmungs- und Genitalbe- H4, H5, H6, H7 und H9 festgestellt. Mit Ausnahme reiches sowie Tränenflüssigkeit aus. Bei der Gefie- von Rumänien, wo H5N1 HPAI festgestellt wurde, derpflege gelangen Viren ins Gefieder und über betraf es ausschließlich LPAI-Formen (EU 2006a). den Kot in den Boden. In der Natur sind die Bis Mai 2006 wurden EU-weit weitere ca. 75.000 Übertragungsmöglichkeiten begrenzt, weil enger Wildvögel auf Vogelgrippe getestet, womit zwi- Kontakt zwischen Wasservögeln verhältnismä- schen Juli 2005 und Mai 2006 innerhalb der EU fast ßig selten und meist nur von kurzer Dauer ist. 100.000 Wildvögel (vornehmlich Wasservögel) auf In Geflügelfarmen sammeln sich jedoch schnell den Befall mit Vogelgrippeviren untersucht wurden. große Mengen der Krankheitserreger im Boden Hierbei wurden seit Februar 2006 bei über 700 und Staub, die ‑ abhängig vom Subtypus und den – ausschließlich toten bis sterbenskranken – Wild- herrschenden Bedingungen ‑ wenige Tage bis zu vögeln in 13 Mitgliedstaaten eine Infektion mit der mehrere Wochen virulent (ansteckend) bleiben kön- hochpathogenen asiatischen Variante des H5N1- nen. Aufgrund der hohen Konzentration der Vögel, Virus festgestellt, wobei gut die Hälfte der Fälle in insbesondere an Futterstellen und Tränken, können Deutschland gefunden wurde (EU 2006b). sich die Vögel einer Ansteckung kaum entziehen Das langjährige Vogelgrippe-Monitoring in den (Einatmen, Streitereien, verschmutztes Futter oder Geflügelbeständen der Europäischen Union zeigt, Trinkwasser, Fressen von Federn, Bodenbestandtei- dass in den vergangenen Jahren H5-Vogelgrippe- len und Steinchen). Viren nicht nur bei Wildvögeln, sondern auch in den europäischen Geflügelbeständen weit verbreitet Mensch als Transporteur waren; ca. 1 % der Vögel wurde positiv auf Vogel- Innerhalb einer Region wird die Vogelgrippe meist grippe-Viren getestet, insbesondere H5 (ca. 60 %) von Hof zu Hof übertragen. Infektiöser Staub kann und H7 (ca. 7 %) (Hesterberg et al. 2007). durch Lüftung und Wind weiter getragen werden Trotz der engen Kontakte von Stockenten zu Haus- und infizierte Geräte, Fahrzeuge, Futter, Kleidung, geflügel und des hohen Anteils Influenza-A-Viren Schuhe, Geflügelmist als Dünger usw. können zu tragender Stockenten gibt es bisher keine Belege einer Übertragung führen. Darüber hinaus kön- für eine Übertragung der Viren von Wildvögeln auf nen Tiere, z.B. Hunde, Katzen und insbesondere Hausgeflügel. Darüber hinaus zeigen die Langzei- Mäuse und Ratten Krankheitserreger im Fell oder tuntersuchungen, dass die Häufigkeit und Auftritt- an den Pfoten transportieren. Obwohl noch nicht frequenz einzelner Virentypen bei Wildvögeln und wissenschaftlich belegt, können möglicherweise Hausgeflügel stark unterschiedlich sind. Diese Tat- auch Fliegen und Wildvögel Krankheitserreger über sache könnte darauf hinweisen, dass es für Wildvö- kurze Entfernungen transportieren. Bei der Frei- gel und Hausgeflügel jeweils eigenständige Über- landhaltung von Geflügel sind regelmäßige Kon- tragungszyklen gibt und, dass ein Austausch auf takte mit Wildvögeln, insbesondere mit Stockenten einem nur relativ niedrigen Niveau stattfindet. kaum zu vermeiden, wobei die Vögel Futter und Bei wilden Wasservögeln sind Vogelgrippeviren Tränke bzw. Gewässer teilen und eine Möglichkeit genetisch weitgehend stabil und eine Infektion der Virenübertragung gegeben ist. verläuft meist symptomlos. Hausgeflügel, insbe- Für die Übertragung der Vogelgrippe über größere sondere in der gewerblichen intensiven Geflügel- Entfernungen, von Region zu Region oder von haltung, reagiert jedoch meist sehr empfindlich Land zu Land sind Transporte von Tieren, Fut- auf eine Infektion mit Vogelgrippeviren. Besonders termitteln, Vogelmist und Vogelteilen von größter virulent zeigen sich dort die Subtypen H5 und H7. Bedeutung (Chen et al. 2006, Collins 2007). Unter Bei solchen eng zusammenlebenden Großbeständen günstigen Bedingungen können Vogelgrippeviren erhöhen sich die Vermehrungsmöglichkeiten der in Geflügelmist und Geflügelteilen monatelang Viren enorm und die Mutationsaktivität nimmt stark überleben (GRAIN 2006, Tumpey et al. 2002). zu. Eine Infektion kann sich dort dann auch rasch Geflügelmist wird als wertvoller Dünger über weite
200 43, Heft 4, 2005 Charadrius 41, 2007 Entfernungen transportiert und auf Ackerflächen hinaus ist dieses einseitig hoch gezüchtete Geflügel (wichtige Nahrungsflächen für Wasservögel in Win- extrem empfindlich für Krankheitserreger. Parallel ter!) ausgebracht. Auch die weltweit anerkannte zur weltweiten Intensivierung der Geflügelwirt- und von der FAO geförderte Praxis, Fischteiche mit schaft hat die Zahl der Ausbrüche hochpathogener Geflügelmist zu düngen, trägt dazu bei, dass Krank- Vogelgrippe-Ereignisse in den vergangenen Dezen- heitserreger im Falle infizierter Geflügelbestände nien deshalb sprunghaft zugenommen (Chen et unkontrolliert über ein weiteres Umfeld verbreitet al. 2006, Collins 2007, FAZ 2006, Lucas & Hines werden. Insbesondere bei der Karpfenzucht lässt 2006, Nguyen et al. 2005). sich der Fischertrag durch eine gezielte Düngung In einer Reihe von Ländern spielen Geflügelmärkte, erheblich steigern. Hierzu wird meist im Spätwinter wo lebendes Geflügel, häufig unter sehr beengten Mist auf den seit dem Herbst trocken liegenden und wenig hygienischen Bedingungen, verkauft Teichboden aufgebracht und zum Teil eingearbeitet, wird sowie unkontrollierte und beengte Transporte wonach die Teichfläche erneut geflutet wird (Fear in Kleinwagen und Bussen eine nicht unbedeu- 2006, GRAIN 2006, Little & Edwards 2003, Pah- tende Rolle bei der Übertragung der Vogelgrippe- meyer 2001, Seré 2000). Viele H5N1-Ausbrüche Viren. In Südost-Asien ist auch die Übertragung des traten bei Wasservögeln in so gedüngten Gewäs- H5N1-Virus durch Kampfhähne mehrfach belegt sern auf (z.B. Poyang und Qinghai See in China, (Davis 2005). Manyas/Kus-See in der Türkei, Donaudelta in Rumänien, Ribnjak/Grudnjak-Fischteiche in Kro- Aber auch reguläre Transporte von Tieren und Tier- atien, Dombes-Region in Frankreich), wobei auch produkten entlang traditioneller Handelswege spie- der in den dort tot aufgefundenen Wasservögeln len eine bedeutsame Rolle bei der Übertragung des festgestellte H5N1-Strang und die in südostchine- H5N1-Virus. In den meisten asiatischen Ländern sischen Geflügelfarmen gefundenen nahezu iden- wurden Geflügelhandel und Geflügeltransporte erst tisch waren (99,5 bis nahezu 100 %!). mehrere Monate nach dem ersten Auftreten der Die Basis aller heutigen Mast- und Legehühner in H5N1-Grippe eingeschränkt bzw. verboten. Auch der modernen Geflügelproduktion sind Elterntiere, Geflügelfutter könnte zu den Hauptüberträgern des die in strenger Inzucht gehalten werden. Der Kon- H5N1-Virus gehören, da laut Aussage der ame- zentrationsprozess in der Legehennenzucht ist welt- rikanischen Nahrungsmittelbehörde Geflügelab- weit bereits weit vorangeschritten: der Markt wird fall (Geflügelreste, Geflügelkot, Gefieder, Bode- von vier Legehennenzüchtern beherrscht. Ähnlich neinstreu, Futterreste usw.) ein durchaus üblicher straff ist die Masthähnchenzucht organisiert: Vier Bestandsteil von Geflügelfutter ist, das weltweit Konzerne teilen sich den Weltmarkt. Jeder die- gehandelt wird (Collins 2007, GRAIN 2006, Lucas ser Monopolisten verfügt über mehrere exklusive & Hines 2006). Und obwohl es in der EU seit dem Hühnerlinien, die sie nicht einmal zum Patent Jahr 2000 offiziell verboten ist, Tiermehl (produziert anmelden, weil die Zuchtdetails Betriebsgeheimnis aus verendeten Tieren und Schlachtabfällen) als sind. Erst die Doppelhybriden aus diesen Zuchtli- Tierfutter zu nutzen, darf es in der Landwirtschaft nien ermöglichen die hohen Produktionsleistungen auch weiterhin als Düngemittel genutzt werden. moderner Geflügelzuchtbetriebe (FAZ 2006). Bei Damit werden möglicherweise hygienisch bedenk- der Putenproduktion sieht die Situation nicht viel liche Tierreste auf die Felder gebracht, wo sie von anders aus. Wildvögeln aufgenommen werden können. Zu die- Dieses monopolistische Produktionssystem von ser Praxis stellt das Bayerische Staatsministerium Hochleistungsgeflügel erfordert Transporte von für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Bruteiern und Eintagskücken über weite Entfer- 2005 fest, dass „solange die Kennzeichnung des nungen und tagtäglich werden weltweit Millio- Tiermehls nicht geregelt ist, eine missbräuchliche nen Bruteier und Eintagskücken transportiert. Die Verwendung als Futtermittel nur schwer kontrolliert meisten Länder, die in den letzten Jahren unter werden“ kann. Es gibt gegenwärtig einen lebhaften Vogelgrippe-Ausbrüchen gelitten haben, importie- legalen und illegalen Handel mit Tiermehl, nicht ren jährlich Millionen solcher industriell produ- nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb zierter Eier oder Jungvögel aus wenigen Produk- der EU und sogar zwischen der EU und Nicht-EU- tionsbetrieben. Diese weltweiten Geflügel- bzw. Staaten (Foodwatch 2004, 2005 & 2007). Eine Eiertransporte tragen ein hohes Verbreitungsrisiko Verbreitung von H5N1-Viren über diesen Weg ist von ansteckenden Krankheiten in sich. Darüber nicht auszuschließen.
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe -Wieling und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich 2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 201 Nachdem das H5N1-Virus mehrere Jahre in den Geflügelbestände verkauft und abtransportiert Geflügelbeständen Südostasiens grassierte, starben wurden (Nigerianischer Landwirtschaftsminister im Mai 2005 im Qinghai See im Westen Chinas Adamu Bello Februar 2006, Auwalu Haruna vom erstmalig wilde Wasservögel am H5N1-Asia-Sub- Kanu State Geflügelzüchterverband Februar 2006, typus. Die Mehrheit der Vögel kam aus dem bis Davis 2005, GRAIN 2006). Nach Feststellung der dahin H5N1-freien Indien. Im See lebt der Qinghai- ersten H5N1-Ausbrüche in Polen Anfang Dezember Karpfen, der traditionell fischereilich genutzt und 2007 wurde bekannt, dass aus den infizierten Geflü- in Teichen gezüchtet wird. Der in der intensiven gelfarmen kurz vorher mindestens 480 kg Puten- Geflügelindustrie des Umlandes produzierte Geflü- fleisch auf den Markt gebracht wurden. Die Geflü- gelmist wird zur Düngung der Fischteiche genutzt. gelprodukte wurden über Ladenketten in Polen und Von China „sprang“ das Virus im Frühsommer 2005 möglicherweise auch in Ostdeutschland verkauft unerwartet nach Süd-Sibirien. Die ersten Vogel- (Anna Obuchowska, Sprecherin der Gesundheits- grippe-Ausbrüche in Russland begannen am 11. Juli inspektion der Pomorze Region). 2005 in der Nähe von Novosibirsk, einer Drehachse für den Transport von Menschen und Gütern zwi- Zugvögel als Transporteure schen China und Russland. Danach folgte bis Mitte Da Vögel häufig Träger von (niedrig pathogenen) August 2005 eine schnelle Wanderung des Virus von Grippeviren sind, ohne selbst zu erkranken, und Novosibirsk bis in den Westen Russlands, die nach Zugvögel im Rahmen ihrer Frühjahrs- und Herbst- Ansicht der russischen Veterinäre eher dem Men- wanderungen große Entfernungen zurücklegen, schen als den Zugvögeln anzulasten ist, weil das liegt der Verdacht nahe, dass sie nicht nur ein natür- H5N1-Virus eher dem Verlauf der Transsibirischen liches und mobiles Reservoir für Grippeviren sind, Eisenbahnlinie als einer Vogelzuglinie folgte und zu sondern diese auch transportieren können. Es wird jener Zeit kein nennenswerter Vogelzug stattfand. dann auch immer wieder gemutmaßt, dass wan- Auf diesem Weg legte das H5N1-Virus innerhalb dernde Wasservögel, insbesondere Enten, HPAI- eines Monats gut 3.000 km nach Westen zurück H5N1-Viren über große Distanzen transportieren (Collins 2007, E. Kuznetsov schrift. Mitt. 2006). und so zur Langstrecken-Übertragung des Virus Auch wenn Krankheitsausbrüche meist Transport- beitragen könnten (Chen et al. 2006, FAO 2005, verbote auslösen, kommen diese häufig zu spät, Reed et al. 2003, Sturm-Ramirez et al. 2005, Webs- sind nicht umfassend genug oder werden unter- ter et al. 1992, Widjaja et al. 2004). laufen. So wurde, trotz Handelsbeschränkungen bzw. Importverboten, in den letzten Jahren bei Als Beleg für die Richtigkeit der Hypothese, dass stichprobenartigen Kontrollen immer wieder ton- Wasservögel HPAI-H5N1 über größere Distanzen nenweise illegal transportiertes südostasiatisches transportieren könnten, gilt der einmalige Fund des Geflügel u.a. in 2006 in Italien, Großbritannien, Virus bei sechs äußerlich gesunden Wildenten am Slowenien und Spanien entdeckt und werden u.a. Poyang-See in China (Chen et al. 2006). In Januar die H5N1-Ausbrüche in japanischen, koreanischen und März 2005 wurde bei einer Untersuchung von und nigerianischen Geflügelbeständen sowie die in mehr als 13.000 gefangenen Wasservögeln in China Türkei, Irak, Georgien, Niger, Kamerun, Ägypten bei sechs gesund wirkenden Wildenten, die am Ufer und Israel auf illegale Geflügelimporte bzw. Trans- des Poyang-Sees – bei einem Gesamtfang von 4.316 porte infizierter Geflügelprodukte zurückgeführt. Enten ‑ gefangen und beprobt wurden, erstmalig Auffällig ist, dass Armenien, das keine Handelsbe- das HPAI-H5N1-Virus festgestellt (0,1 %). Darüber ziehungen zur Türkei unterhält, bisher vogelgrippe- hinaus hatten 81 von 1.092 untersuchten Enten (ca. frei ist. Nach Aussage von FAO-Experten liegt der 7 %) H5-Antikörper (34 gegen H5N1 und 47 gegen Schmuggel von Tieren und Tierteilen weltweit an H5N2) im Blut. Mit diesem HPAI-H5N1-Virus im zweiter Stelle, direkt nach dem Drogenschmuggel, Labor infizierte Gänse starben nach kurzer Zeit, und die aufgedeckten Fälle sind nur die Spitze eines während infizierte Wildenten zum Teil überlebten, Eisbergs (Collins 2007, GRAIN 2006, Rosenthal aber bis zu sieben Tage lang Viren ausschieden. 2006). Aus dieser Tatsache schließen die Autoren, dass die Auch das Handelsverhalten einzelner Geflügelpro- infizierten Vögel noch eine gewisse Strecke fliegen duzenten fördert die Verbreitung des Virus. So und das Virus über längeren Distanzen (z.B. auch wurde mehrfach festgestellt, dass kurz vor der offi- zum Qinghai-See) verbreiten könnten (Chen et al. ziellen Bekanntgabe einer H5N1-Infektion ganze 2005 & 2006, Liu et al. 2005).
202 43, Heft 4, 2005 Charadrius 41, 2007 Bei dieser Einschätzung blieben allerdings mehrere (2) Vögel sind unter natürlichen Bedingungen Faktoren unberücksichtigt: wesentlich größeren Belastungen ausgesetzt als (1) In der gleichen Untersuchung berichteten Chen unter Laborbedingungen, nach einer Infektion et al. (2006), dass nicht nur Wildvögel untersucht nachgewiesenermaßen geschwächt und unter natür- wurden, sondern auch über 50.000 domestizierte lichen Bedingungen wahrscheinlich nur noch sehr Vögel (Hühner, Enten, Gänse). Beim Hausgeflü- eingeschränkt mobil. gel wurde nicht nur eine deutlich abweichende Um die Rolle der Wasservögel bzw. Geflügelwirt- Zusammensetzung und Häufigkeit der einzelnen schaft bei der Übertragung des H5N1-Virus abzu- Vogelgrippen-Subtypen gefunden, sondern auch schätzen, spielt auch die Gesamtsituation in und eine erheblich höhere Häufigkeit des H5N1-Virus. an den genannten, für Wasservögel bedeutsamen Während bei den untersuchten Wildvögeln nur in Seen eine Rolle. In der Regenzeit hat der Poyang- 0,34 % der Proben AI-Viren und in 0,05 % der Pro- See eine Fläche von 4.400 km2, in der Trockenzeit ben H5N1 nachgewiesen wurden, lagen die Werte schrumpft er auf 1.000 km2. Das Seebecken ist beim Hausgeflügel bei 7 bzw. 1 % (Tab. 2). Darü- eines der wichtigsten Reisanbaugebiete in ganz ber hinaus hatten 81 Wildenten H5-Antikörper im China und am Rande des Überschwemmungsge- Blut. Obwohl bei einigen Vögeln H5N1-Antikörper biets liegen mehrere Geflügelfarmen, die den anfal- gefunden wurden, handelte es sich mehrheitlich lenden Mist auf die umliegenden Felder – auch um H5N2-Antikörper, die auf eine überstandene im Überschwemmungsgebiet - ausbringen. Im Mai Infektion mit H5N2 von einer benachbarten Enten- 2005 starben am Qinghai-See in China erstmalig farm zurückgeführt werden konnten. Die Autoren wilde Wasservögel am H5N1-Asia-Subtypus. Hier schließen hieraus, dass die Tatsachen eher auf eine lebt der Qinghai-Karpfen, der traditionell fischer- bedeutsame Rolle der Geflügelhaltung bei der eilich genutzt und in Teichen gezüchtet wird. Seit Erhaltung und Übertragung der H5N1-Viren als den 1980er Jahren hat sich am Ufer eine zuneh- auf eine Übertragung durch Wildvögel hinweisen. mend intensive Landwirtschaft etabliert. Der in der Sie stellten fest, dass die sechs H5N1 infizierten dortigen intensiven Geflügelindustrie produzierte Wildenten sich bei den umliegenden Farmen mög- Geflügelmist wird zur Düngung der Fischteiche licherweise zuerst mit dem niedrig pathogenen genutzt. Genetische Analysen der Krankheitserreger H5N2-Virus und anschließend mit dem hoch patho- zeigten, dass die H5N1-Viren, die bei den Wasser- genen H5N1-Virus infiziert haben könnten und die vögeln des Poyang- und des Qinghai-Sees gefunden zweite Infektion nur hätten überstehen können, weil wurden, wahrscheinlich von Geflügelfarmen aus sie vorher in der Lage waren, Antikörper gegen dem Südosten Chinas stammten. Eine Übertragung H5N2 zu bilden. der Infektion vom Poyang- zur Qinghai-See durch Tab. 2: Ergebnisse der Erprobung auf Vogelgrippe-Viren von Hausgeflügel und Wildvögeln in Südost-China nach Chen et al. (2006). – Results of a study on bird flu viruses in poultry and wild birds in southeastern China according to Chen et al. (2006). Stichprobe AI-Viren H5N1 Subtypen Sample AI-viruses Subtypes Hausgeflügel – Poultry n 51.121 3.563 512 H3, H5, H6, H11 etc. % 6,97 1,00 Wildvögel – Wild birds Enten – Ducks n 11.685 44 6 H1, H3, H4, H5, H6, H10 % 0,38 0,05 Gänse – Geese n 852 0 0 % - - Schwäne – Swans n 578 0 0 % - - Summe – Total n 13.115 44 6 H1, H3, H4, H5, H6, H10 % 0,34 0,05
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe -Wieling und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich 2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 203 infizierte Wildvögel wurde zwar für möglich gehal- die Erhaltung des Infektionsgeschehens notwendige ten, aber die Verbreitung des Virus über Südostasien Weitergabe der Viren von kranken an gesunde Wild- wurde vornehmlich auf Transporte von Geflügel vögel scheint es nicht bzw. nur äußerst begrenzt zu und Geflügelprodukten zurückgeführt (Chen et al. geben, sonst würde sich die Infektion wie ein „Öl- 2005 & 2006, Li et al. 2004, Liu et al. 2005, FAO fleck“ über die Wildvögel der betroffenen Regionen 2005). Gegen die Zugvogelhypothese spricht, dass verbreitet haben. bisher keine Vogelart bekannt ist, die über ca. So kamen gesunde Streifengänse (Anser indicus) 1.700 km vom Poyang- zum Qinghai-See zieht aus Indien (damals noch H5N1-frei!) und infi- und dass auch in der Umgebung des Qinghai-Sees zierten sich im chinesischen Qinghai-See (an infi- Geflügelfarmen liegen, die Geflügelmist ausbrin- ziertem Geflügelmist?), wonach über 6.000 Vögel gen. Darüber hinaus gab es außer am Qinghai-See starben und die Infektion schnell abklang. In Kro- nirgendwo in China ein großes Wildvogelsterben atien landeten am 19. Oktober 2005 rund 2.000 und das Wildvogelsterben am Qinghai-See war Schwäne in zwei (mit Geflügelmist gedüngten?) nach kurzer Zeit beendet. Wenn man die Möglich- Fischteichen, von denen in den nächsten Tagen keit einer sprunghaften Zunahme der Virulenz des 31 starben und positiv auf H5N1 getestet wurden. H5N1-Virus während des Fluges vom Poyang- zum Bei 267 Schwänen und 39 sonstigen Wasservögeln Oinghai-See ausschließt, weisen die Tatsachen eher (Blässhuhn und Kormoran Phalacrocorax carbo), auf eine Neuinfektion der Wildvögel aus der den die dort geschossen und anschließend untersucht Qinghai-See umgebenden Geflügelwirtschaft als wurden, konnten keine H5N1-Viren nachgewie- auf eine Übertragung des Virus durch Wildvögel sen werden (OIE-Bericht Oktober 2005). Einer der hin. infizierten Schwäne war am 9. September 2005 Gegen eine Langstrecken-Übertragung des H5N1- am ungarischen Plattensee beringt worden (H5N1- Virus durch Zugvögel sprechen jedoch noch weitere frei!). Nach wenigen Wochen war der Ausbruch Fakten: Trotz langjähriger Forschung gibt es bis beendet. In Rumänien wurde der erste verendete heute keine eindeutigen Belege für eine Übertra- und auf H5N1 positiv getestete Wildvogel erst eine gung von für Hausgeflügel oder Menschen viru- Woche nach dem Auftreten des Virus in Hausge- lenten Grippeviren durch Zugvögel. Obwohl Pro- flügel festgestellt. Die Infektion des Hausgeflügels ben von 100.000en von Wildvögeln in Eurasien hält sich bis heute. Auch bei den Ausbrüchen bei und Nordamerika untersucht worden sind, wurde Wildvögeln in Deutschland in 2007 zeigt sich, dass das HPAI-H5N1-Virus bisher nur bei erkrankten vornehmlich örtlich Brutvogelarten (Haubentaucher bzw. verendeten, jedoch nur äußerst selten (6 Enten Podiceps cristatus, Schwarzhalstaucher P. nigricol- Poyang-See) bei gesunden Wasservögeln nachge- lis, Höckerschwan Cygnus olor, Graugans Anser wiesen. Darüber hinaus folgte die bisherige Ver- anser, Kanadagans Branta canadensis, Stockente) breitung des HPAI-H5N1-Virus in nur wenigen betroffen waren, die sich vor Ort infizierten und Fällen den traditionellen Zugwegen der Vögel. Die wohl kaum zu einer Verbreitung des H5N1-Virus regionalen H5N1-Ausbrüche ließen sich nur in den beigetragen haben. seltensten Fällen mit dem Ablauf des Vogelzuges Alle genannten Tatsachen weisen eher auf eine synchronisieren. Zwischen Juni und August 2005 Infizierung der Wildvögel vor Ort als auf eine wanderte das Virus vom Qinghai-See in China nach Übertragung der H5N1-Viren über weite Entfer- Westen bis zum Ural in der Russischen Föderation, nungen durch Zugvögel hin. In Frankreich wurde obwohl in dieser Periode kaum größere Vogelwan- die H5N1-Infektion in einem Truthahnbestand etwa derungen bekannt sind. Darüber hinaus gab es keine eine Woche später gemeldet als die ersten veren- Vogelgrippe-Ausbrüche in Nordamerika, den Phil- deten Wildvögel in den umliegenden Fischteichen. ippinen, Australien oder Neuseeland obwohl viele Aber diese zeitliche Abfolge belegt nicht, dass die ostasiatische Wasservogelarten dort überwintern. Puten sich bei den Wildenten infiziert haben. In Die bisherigen HPAI-H5N1-Ausbrüche bei Wild- Nigeria wurden die Geflügelbestände rund vier vögeln zeigen – abgesehen von der Zahl der betrof- Wochen lang gegen Newcastle-Disease behandelt, fenen Vögel – große Ähnlichkeiten im Verlauf. bis die Vögel auf H5N1 getestet und positiv befun- Die Vögel scheinen sich vor Ort zu infizieren und den wurden. In Frankreich kränkelten die ca. acht kurz darauf zu sterben. Alle Ausbrüche verliefen Wochen alten Puten schon seit mehreren Tagen recht „explosiv“. Nach dem Fund infizierter Vögel und 400 von 11.700 Vögeln, d.h. ca. 3,5 % des klangen die Ausbrüche relativ schnell ab. Eine für Bestandes, waren an den Vortagen bereits gestor-
204 Charadrius 41, 43, Heft 4, 2005 2007 ben. Da die „normale“ Mortalität bei Zuchtputen ten hochpathogenen H5N1-Viren mutieren sollten. dieser Altersgruppe bei 2-4,5 % liegt (Wartemann Solche schwerfälligen und wenig wissenschaft- 2005), war das eine nicht unbedingt beunruhi- lichen Gedankenkonstrukte sind die Grundlage der gende Zahl für den Züchter. Die H5N1-Diagnose deutschen Aufstallungsregelung für Geflügel. bei den Wildvögeln in einem benachbarten Teich Insgesamt lässt sich feststellen, dass es bis heute kann jedoch zu einer intensiveren Untersuchung keinerlei Belege für eine Langstrecken-Übertra- des bereits kränkelnden Truthahnbestandes und der gung von für Hausgeflügel oder Menschen viru- Feststellung einer H5N1-Infektion geführt haben, lenten Grippeviren durch Zugvögel gibt. Obwohl sodass die zeitliche Abfolge wenig darüber aussagt, nicht auszuschließen ist, dass infizierte Wasservö- wer wen angesteckt hat. Da bei Bestandsgrößen gel das Virus über kurze Strecken transportieren von 3.000 und mehr Puten die Mast in hallenartigen können, ist die Feststellung, dass das Virus von mit Maschendraht geschlossenen Offenfrontställen Zugvögeln übertragen wurde, in vielen Fällen eher stattfindet, ist unklar wie sich die Puten bei den ein hilfloser Versuch, Unerklärtes zu erklären als Wildvögeln hätten anstecken können. Da die Abluft eine wissenschaftlich fundierte Aussage. Eine inter- über Firstklappen oder Abluftschächte entweicht nationale Expertengruppe kam im Frühjahr 2006 und der Mist auf den umliegenden Flächen ausge- zu dem Schluss, dass über die Rolle der Zugvögel bracht wird, ist der umgekehrte Infektionsweg eher bei der Verbreitung des H5N1-Virus noch vieles vorstellbar. unbekannt ist, aber dass die Geflügelwirtschaft und In ihren regelmäßig erscheinenden Risikobewer- menschliche Aktivitäten eindeutig die wichtigsten tungen stellt das Friedrich-Löffler-Institut (FLI), als Verbreitungswege bilden (Olsen et al. 2006). Auch deutsches Vogelgrippe-Referenzlabor fest, dass aus die Welternährungsorganisation FAO ist mittler- der Tatsache, dass es sich bei den bei Hausgeflü- weile zu dieser Erkenntnis gekommen und erklärte gel und (tot aufgefunden) Wildvögeln gefundenen in Juni 2006, dass Zugvögel in Einzelfällen und H5N1-Isolaten um eng verwandte Stämme handelt, regional zwar eine Rolle bei der Übertragung von geschlossen werden kann, dass „eine zumindest H5N1 spielen können, aber menschliche Aktivi- indirekte kausale Beteiligung von Wildvögeln bei täten eindeutig die Hauptrolle spielen (FAO 2006). den jüngsten Ausbrüchen von HPAIV-Infektionen Die gegenwärtige Situation beim Hausgeflügel nicht ausgeschlossen werden kann“. Der umgekehrte Infektionsweg Hausgeflü- Das gegenwärtig grassierende Vogelgrippevirus gel-Wildvogel wird beim FLI offensichtlich erst H5N1 ist nicht neu. Erstmalig wurde 1959 ein gar nicht in Erwägung gezogen. Dem Fehlen von Hühnerbestand in Schottland befallen. Nach diesem H5N1-infizierten Vögeln beim europaweiten Wild- kurzen und lokalen Ausbruch dauerte es bis 1991, vogelmonitoring begegnet das FLI mit folgender bis das Virus sich in einem Putenbestand in England Argumentation: „Das stichprobenartige Wildvogel- zurückmeldete. monitoring, so wichtig es für orientierende Unter- Im Jahr 1997 brach Vogelgrippe in Geflügelbestän- suchungen zum Vorkommen des Virus ist, besitzt den in Hongkong aus und zum ersten Mal wurde bei fehlenden Nachweisen nur eine begrenzte Aus- das HPAI-H5N1-Virus nicht nur bei Geflügel, son- sagekraft hinsichtlich einer möglichen Erregerfrei- dern auch bei einem erkrankten Menschen gefun- heit. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass den. Insgesamt wurde eine Infektion mit diesem sich HPAIV H5N1 durch Wildvögel und andere Virus-Subtypus bei 18 Personen mit engem Kontakt belebte und unbelebte Vektoren verbreiten könnte.“ zu Hausgeflügel festgestellt; 6 Personen starben. Das FLI untermauert diese Annahme mit der Fest- Krankheitsübertragungen von Mensch zu Mensch stellung, dass „bei Wasservögeln im Rahmen des wurden nicht festgestellt. Zur Sicherheit wurde Monitorings seit Jahren regelmäßig gering patho- innerhalb von drei Tagen der gesamte Hausgeflü- gene aviäre Influenzaviren nachgewiesen werden. ... gelbestand der Stadt getötet. Darunter befinden sich auch Viren der Subtypen H5 Im Februar und März 1999 trat im Nordosten von und H7, die beim Eintrag in Hausgeflügelbestände Italien ein LPAI-Virus vom Subtyp H7N1 bei Puten zu HPAIV mutieren können“ (FLI 2007b). Es ist auf. Mitte Dezember mutierte das Virus zur HPAI jedoch wissenschaftlich wenig haltbar, dass niedrig- Form mit sehr hoher Mortalität. Das Virus breitete pathogene H5N1-Viren von Wildvögeln durch ganz sich über sechs Provinzen aus und über 15 Mio. Europa transportiert werden und beim Eintrag in Vögel wurden getötet. Menschen kamen nicht zu Hausgeflügelbeständen jedes Mal zu eng verwand- Schaden (Baumer 2005).
J.H.ieling F. Püchel-W Mooijet: Vogelgrippe und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 205 Im Jahr 2003 wurde die Geflügelwirtschaft in Bel- H5N1-Virus innerhalb eines Monats über 1.000 km gien, Deutschland und insbesondere in den Nieder- nach Westen zurückgelegt. Im Herbst 2005 erreichte landen von einer H7N7-Epidemie getroffen, bei der das Virus den Südwestteil Russlands (Geflügel), das mehr als 14 Mio. Vögel starben bzw. getötet wur- Donau-Delta Rumäniens (Geflügel und später auch den. Darüber hinaus erkrankten 83 Menschen an Wildvögel) und den Osten Kroatiens (Wildvögel). dem Virus, von denen eine Person starb. Alle infi- Im Winter 2005 wurden Ausbrüche aus der Türkei zierten Personen hatten enge Kontakte mit erkrank- und der Ukraine (Krim) gemeldet (Geflügel und ten Vögeln gehabt. später auch Wildvögel). Ebenfalls im Jahr 2003 meldete sich der H5N1- In den ersten drei Monaten des Jahres 2006 ging Subtypus in Südost-Asien zurück. In Hongkong es dann Schlag auf Schlag. Während neue H5N1- erkrankten Hausgeflügel und zwei Personen am Ausbrüche in Geflügelbeständen auch weiterhin HPAI-H5N1-Virus, von denen eine starb. Darüber aus Vietnam, China und Indonesien gemeldet wur- hinaus wütete das Virus in Hausgeflügelbeständen den, gab es bis Mitte April 2006 neue Meldungen in Indonesien, Süd-Korea, Japan, Thailand, Viet- aus Ägypten, Afghanistan, Albanien, Burkina nam und China, während in Taiwan eine Geflü- Faso, Indien, Irak, Israel, Jordanien, Kambodscha, gelepidemie des Subtypus H5N2 grassierte. Auf Malaysia, Myanmar, Niger, Pakistan und der Ukra- einem Hausgeflügelmarkt in Süd-Korea wurden die ine bei Geflügel, aus Aserbaidschan, Deutschland, Subtypen H3N2, H5N1 und H9N2 gefunden. Frankreich, Kamerun, Nigeria, Österreich, Rumä- Im Jahre 2004 brach in Pakistan die Vogelgrippe nien, der Russischen Föderation, Schweden und in Hausgeflügelbeständen aus. Der Ausbruch der Türkei bei Geflügel und Wildvögeln, sowie aus wurde durch die Subtypen H7 und H9 verur- Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Geor- sacht. Im gleichen Jahr wurde bei zwei erkrankten gien, Griechenland, Iran, Italien, Kroatien, Polen, Mitarbeitern von Geflügelfarmen im kanadischen Saudi-Arabien, der Schweiz, Serbien und Montene- Bundesstaat British Columbia das H7N3-Grippevi- gro, Slowenien, Slowakei, der Tschechischen Repu- rus festgestellt. Darüber hinaus wurden in mehre- blik und Ungarn ausschließlich bei Wildvögeln. ren südostasiatischen Staaten neue Ausbrüche der Im Jahre 2007 gab es erneut H5N1-Ausbrüche H5N1-Vogelgrippe in Geflügelbeständen gemeldet, bei Wildvögeln in Frankreich, bei Hausgeflügel in u.a. aus Vietnam, Thailand, China, Malaysia und Ägypten, Afghanistan, Algerien, Bangladesh, Benin, Indonesien, bei denen offiziell insgesamt 46 Men- Ghana, Großbritannien, Indien, Indonesien, Japan, schen erkrankten, von denen 32 starben (ca. 70 %). Kambodscha, Kuwait, Laos, Myanmar, Nigeria, Am Jahresende brach eine von H5N2 verursachte Rumänien, Russland, Saudi Arabien, Süd-Korea, Geflügelepidemie in Süd-Korea aus. Thailand, Togo, Tschechische Republik, Türkei, 2005 erreichte die H5N1-Welle auch die Geflü- Ungarn sowie Vietnam und in beiden Kategorien in gelbestände in Kambodscha und Laos. Daneben China, Deutschland, Elfenbeinküste, Pakistan sowie war das Virus auch weiterhin in Vietnam, Thai- Polen. Im Laufe dieser immer wieder aufleben- land, Südost-China und Indonesien aktiv. Im Mai den Epidemie starben insgesamt mehrere 100 Mio. 2005 starben am Qinghai-See in China erstmalig Vögel; die wenigsten an der Krankheit, die meisten wilde Wasservögel am H5N1-Subtypus. Genetische wurden wegen Krankheitsverdachts getötet. Darü- Analysen der Krankheitserreger zeigten, dass die ber hinaus gab es auch Infektionen bei Schweinen, Infektion wahrscheinlich von einem Geflügelhof Raubkatzen und Menschen. In den Geflügelbestän- im Südosten Chinas stammte. Im Juni 2005 wurden den mehrerer südostasiatischer Staaten scheint das in Zusammenhang mit einer Hausgeflügelepidemie Virus mittlerweile endemisch geworden zu sein. Bis des Subtypus H5N2 mehr als eine Viertel Million November 2007 wurden im gesamten südostasia- Hühner in Japan getötet. Im Juli 2005 wurde der tischen Raum offiziell 353 H5N1-Infektionen bei H5N1-Subtypus zuerst bei wilden Wasservögeln Menschen durch Labortests bestätigt, von denen in der westlichen Mongolei und wenig später auch 212 (ca. 60 %) starben (Tab. 3). bei Hausgeflügel in Novosibirsk in der Russischen Föderation festgestellt. Fast gleichzeitig befiel H5N1 in Deutschland H5N1 auch Geflügelbestände im Norden Kasach- stans sowie in Tyumen, Omsk, Kurgan, Chelyabinsk Ostseeraum in der Russischen Föderation. In einzelnen Gebieten Mitte Februar 2006 schreckte Deutschland auf waren auch Wildvögel betroffen. Damit hatte das als H5N1 Deutschland erreichte. Vor den Küsten
206 Charadrius 41, 43, Heft 4, 2005 2007 Rügens wurden auf dem Eis und um Tab. 3: Weltweit registrierte Zahl der Erkrankungen bzw. Tote bei Men- die Eislöcher der Ostsee Hunderte toter schen als Folge der Vogelgrippe-Ausbrüche bei Geflügel seit 1997 im Wasservögel gefunden und bei einigen Vergleich zu der Schätzung der durchschnittlichen jährlichen Zahl der Er- krankten und Tote als Folge der jährlichen Grippewellen in Deutschland dieser Vögel (mehrheitlich Schwäne) (letzte Zeile). – Number of registered cases and deaths caused by bird flu wurde HPAI-H5N1 gefunden (Tab. 4). outbreaks worldwide since 1997 compared to the estimated average num- Die große Frage ist: Wie kam das Virus ber of cases and deaths caused by annual influenza outbreaks in Germany nach Rügen? (last line). (Status: 12.11.2007) In den offiziellen Verlautbarungen des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), das in Jahr AI-Virus-Subtyp Fallzahl Anzahl Tote % Tote Deutschland für die epidemiologische Year N N dead % dead Seite des Problems zuständig ist, heißt 1997 H5N1 18 6 33,3 es, dass das Virus wahrscheinlich von 1998 - Wasservögeln nach Rügen und von 1999 H9N2 3 0 0,0 dort nach Süddeutschland gebracht H7N1 0 - - wurde. Wenn diese Hypothese zutrifft, 2000 - gibt es zwei Möglichkeiten: das Virus 2001 - wurde bereits beim Herbstzug 2005 im Ostseeraum eingeschleppt oder es 2002 H7N2 2 0 0,0 wurde dort kurz vor dem Ausbruch 2003 H5N1 4 4 100,0 in der zweiten Januarhälfte 2006 von H7N7 83 1 1,2 Wasservögeln eingetragen, die vor der 2004 H7N3 2 0 0,0 Kälte aus Osteuropa geflohen sind. Die H5N1 46 32 69,6 Höcker- und Singschwäne (Cygnus cygnus) vor der Küste Rügens sind Teil 2005 H5N1 98 43 43,9 der Winterpopulation der westlichen 2006 H5N1 115 79 68,7 Ostsee, die hier im Oktober/Novem- 2007 H5N1 72 48 66,7 ber eintrifft. Die Vögel stammen zum Summe H5N1 353 212 60,1 Teil aus Skandinavien, Nordrussland Total H7N1 0 - - und den Baltischen Staaten (damals H7N2 2 0 0,0 alle HPAI-H5N1-frei), wie auch ein vor Rügen beobachteter und später tot H7N3 2 0 0,0 gefundener, in den Baltischen Staa- H7N7 83 1 1,2 ten beringter Singschwan zeigt (vgl. H9N2 3 0 0,0 Rutschke 1992). Im Herbst und Früh- D H1N1, H3N2 < 4.000.000 < 20.000 0,5 winter 2005 wurden bei der Unter- suchung rastender Wasservögel keine positiven H5N1-Proben in Deutschland gefunden Tab. 4: Zahl der bei der Insel Rügen (Mecklenburg-Vor- (auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern). Bei der pommern) im Februar 2006 überwinternden, tot aufgefun- Intensität der Vogelbeobachtung und der hohen denen, untersuchten und mit H5N1 infizierten Vögel sowie deren Anteile. – Number of birds wintering, found dead, H5N1-Sensibilisierung der Bevölkerung ist es tested and found positive for H5N1 around the island of unwahrscheinlich, dass H5N1-erkrankte bzw. tote Rügen (Baltic Sea, Germany) in February 2006 as well as Vögel dem herbstlichen Monitoring entgangen their proportions. wären. Daraus lässt sich schließen, dass Deutsch- Anzahl land und die westliche Ostsee mindestens bis zum Number % % % Jahreswechsel 2005/6 HPAI-H5N1-frei gewesen Winterpopulation sein müssen. Darüber hinaus wurden bei Untersu- 150.000 100,0 Wintering population chungen an wilden Wasservögeln zwischen 2001 Tote Vögel und Januar 2005 zwar Vogelgrippeviren von den 5.911 3,9 100,0 Dead birds Subtypen H3, H4, H5 und H7 gefunden, aber es Getestete Vögel 4.989 3,3 84,4 100,0 handelte sich ausschließlich um niedrigpathogene Birds tested Stämme (Globig 2006, Hlinak et al. 2006). Damit Vögel mit H5N1 158 0,1 2,7 3,2 kann das hochpathogene H5N1-Virus frühestens Birds with H5N1
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe -Wieling und Zugvögel: al.: Brutbestände Wie gefährlich 2001-2003 von Wiesenlimikolen ist H5N1? in NRW 207 im Herbst 2005 von Wasservögeln eingeschleppt gekommen sein, z.B. durch die Winterflucht einzel- worden sein. ner Wasservögel aus dem osteuropäischen Raum, Hinzu kommt, dass in strengeren Wintern ein Teil wo H5N1 zu der Zeit bereits weiter verbreitet war, der Wasservögel der westlichen Ostsee weiterzieht, z.B. Süd-Russland, der Ukraine oder dem rumä- z.B. in die Niederlande, zum Niederrhein und an nischen Donaudelta, was das FLI vermutet. die mittlere Weser. Dies war auch im Winter 2005/6 Bei einer Betrachtung des winterlichen Tempera- in der zweiten Januar-Hälfte der Fall. Obwohl der turverlaufs am Nordufer des Schwarzen Meeres Winter 2005/6 kalt war und im Februar 2006 das (SW Ukraine), des nordöstlichen Mittelmeerraumes H5N1-Virus bei vor Rügen verendeten Höcker- und (Istanbul) und der Nordost-Küste Deutschlands Singschwänen nachgewiesen wurde, gab es jedoch (Greifswald) zeigt sich eine extreme Kälteperiode keine Nachweise aus den Niederlanden, vom Nie- in der zweiten Januarhälfte 2006, die zur Kälte- derrhein oder von der Weser. Auch diese Tatsache flucht von Wasservögeln aus dem nordwestlichen könnte darauf hinweisen, dass das Virus zu der Zeit Schwarzmeer-Raum (SW-Ukraine) geführt haben noch nicht in der Ostsee angekommen war. Wäre könnte (Abb. 1). Hierbei könnten Schwäne, die HPAI-H5N1 jedoch bereits im Herbst 2005 von sich im rumänischen Teil des Donaudeltas mit Enten in den Ostseeraum eingeschleppt worden, H5N1 infiziert hatten, Ende Januar nach Westen lässt sich schlecht erklären, warum es nur dort und Südwesten geflogen und später in Griechen- und nicht in anderen Teilen Europas nachgewiesen land (30.01.2006), Süditalien (01.02.2006), Ungarn wurde und warum es erst im Februar zu einem (04.02.2006), Slowenien (09.02.2006) und Öster- Ausbruch kam, obwohl es bereits seit Dezember reich (13.02.2006) verendet sein. Problematisch kalt war und sich die Wasservögel an wenigen Eis- sind die Entfernungen von 600 bis zu 1.400 km, löchern konzentrierten. die die infizierten (häufig als äußerst empfindlich Wenn das Virus also nicht bereits im Herbst 2005 deklarierten) Schwäne zurückgelegt haben müssen. eingeschleppt wurde, müsste es spätestens Ende Eine Winterflucht vom Schwarzen Meer zur Ostsee Januar 2006 von außerhalb eingeschleppt worden scheint jedoch noch weniger realistisch. So beträgt sein. Es ist nicht grundsätzlich auszuschließen, dass die Flugentfernung nicht nur über 1.500 km, son- das H5N1-Virus in einzelnen Fällen durch infizierte dern die hypothetischen Winterflüchtlinge müssten und nur über relativ kurze Entfernungen wandernde auch in einer im Winter unüblichen nordwestlichen Wasservögel übertragen wird (z.B. H5N1-Fälle Richtung über das Festland fliegen. Darüber hinaus an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern, in hätten sie über die gesamte Strecke über einge- Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg, frorene und verschneite Gebiete fliegen müssen, Dänemark und Südschweden), aber es gab zu der die nur unwesentlich wärmer bzw. teilweise sogar Zeit keine Ausbrüche in der näheren Umgebung, die wesentlich kälter waren als die Schwarzmeerküste. für Rügen als „Spender“ hätten auftreten können. Wenige 100 Kilometer südlich herrschten dagegen Damit müsste das Rügen-Virus von weiter weg zu dieser Zeit Temperaturen über der Frostgrenze. 15 Möglicher Einflug Possible fly in 10 5 Abb. 1: Temperaturverlauf am Nor- 0 Temperatur [°C] dufer des Schwarzen Meeres (SW Ukraine), des nordöstlichen Mittel- -5 meerraumes (Istanbul) und der Nord- ost-Küste Deutschlands (Greifswald) -10 in Januar und Februar 2006. -15 Fig. 1: Temperatures along the north Greifswald coast of the Black Sea (SW Ukraine), -20 SW Ukraine Istanbul (Türkei) the northeastern Mediterranean HPAI H5N1 in Deutschland / in Germany (Istanbul) as well as the Baltic Sea -25 01.01.2006 03.01.2006 05.01.2006 07.01.2006 09.01.2006 11.01.2006 13.01.2006 15.01.2006 17.01.2006 19.01.2006 21.01.2006 23.01.2006 25.01.2006 27.01.2006 29.01.2006 31.01.2006 02.02.2006 04.02.2006 06.02.2006 08.02.2006 10.02.2006 12.02.2006 14.02.2006 16.02.2006 18.02.2006 20.02.2006 22.02.2006 24.02.2006 26.02.2006 28.02.2006 02.03.2006 coast of northern Germany (Greif- swald) in January and February 2006. Datum / Date
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