Vogelgrippe (Klassische Geflügelpest) und Zugvögel: Wie gefährlich ist H5N1?

Die Seite wird erstellt Hortensia-Rosa Kuhlmann
 
WEITER LESEN
196                                     Charadrius
                                    Charadrius      41, Heft
                                               43, Heft      4, 2005
                                                        4, 2007: 196-217

Vogelgrippe (Klassische Geflügelpest) und Zugvögel: Wie gefähr-
lich ist H5N1?

Johan H. Mooij

Zusammenfassung
Die Vogelgrippe oder Klassische Geflügelpest ist eine Geflügelkrankheit, die die Bevölkerung mittlerweile
seit über 10 Jahre beschäftigt. Seit sich der im Jahre 1959 erstmals in Schottland in Erscheinung getretene
Influenza A Virussubtypus H5N1 in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in den Geflügelbeständen Südostasi-
ens festsetzte und dort möglicherweise sogar mehrere menschliche Opfer forderte, hat das Virus die Medien
immer wieder beschäftigt. Die Berichterstattung konzentrierte sich immer wieder auf zwei Fragen: „Wie
gefährlich ist das Virus für den Menschen?“ und „Welche Rolle spielen Zugvögel bei der Übertragung des
Virus?“.
Aus den bisherigen Erkenntnissen lässt sich feststellen, dass das H5N1-Virus in seiner bisherigen Form
– sicherlich unter den europäischen Bedingungen – keine unmittelbare, große Gefahr für die europäische
Volksgesundheit darstellt. Obwohl das Infektionsrisiko für Menschen sehr gering ist, scheint der Verlauf der
Erkrankung lebensbedrohend. Es gibt jedoch eine ganze Reihe sich widersprechender Daten und offener
Fragen, die die häufig beschworene Gefährlichkeit des „auch für Menschen gefährlichen“ H5N1-Virus in
Frage stellen. Auch die Übertragungswege sind weitgehend unbekannt. Für eine Übertragung der Viren von
Wildvögeln auf Hausgeflügel gibt es gegenwärtig keine Belege. Bei allen bisherigen Geflügelgrippe-Epi-
demien waren eindeutig menschliche Aktivitäten für die Verbreitung verantwortlich. In diesem Zusammen-
hang sind weltweite Geflügeltransporte bzw. Transporte von Geflügelteilen und -produkten sowie der Fern-
ost-Tourismus die größere Gefahr. Mögliche Schutzmaßnahmen müssen sich daher auf Geflügelbestände
und menschliche Aktivitäten und nicht auf Wildvögel richten.
Von größter Bedeutung ist die konsequente Umsetzung des Transportverbots von Geflügel und Geflügel-
teilen aus den infizierten Gebieten nach Europa. Darüber hinaus sind die normalen Hygieneregeln beim
Umgang mit Geflügel einzuhalten. Weitere Schutzmaßnahmen, wie das Aufstallen von Kleingeflügelbe-
ständen, scheinen gegenwärtig wenig zielführend.
Damit Wissenslücken geschlossen und zukünftig ggf. notwendige Maßnahmen vorbereitet werden können,
ist es dringend notwendig das Wasservogelmonitoring zu verbessern, die Verbreitung von Grippeviren in
Wasservogel- und Hausgeflügelbeständen zu beobachten und die potentiellen Übertragungswege zu erfor-
schen, damit eine wirksame Abwehrstrategie entwickelt werden kann. Die gegenwärtige, starke Fixierung
auf Zugvögel als Langstrecken-Überträger der H5N1-Viren sollte jedoch beendet werden, da hierdurch die
Evaluation der Bedeutung der übrigen potentiellen Verbreitungswege und die Entwicklung zielführender
Schutzmaßnahmen behindert wird.

Summary
Avian flu (Fowl Plague) and migratory birds: How dangerous is H5N1?
Avian flu or Fowl Plague is an infectious disease in poultry, which has keeping people busy for the last 10
years. Since the Influenza A H5N1 virus subtype, which first occurred in Scotland in 1959, established itself
in Southeast Asian poultry populations in the first half of the 1990s, even killing humans there, H5N1 has
been a frequent item in the public media. Most discussions focused on two questions: “How dangerous is
H5N1 for humans?“ and “What is the role of migratory birds in the course of transmission of the virus?“.
Current data indicate that the H5N1 virus in its present form - especially under European hygienic standards
– presents no risk for public health in Europe. In spite of the low infection risk for humans, the course of
the disease seems to be life-threatening. But there are a number of controversial data and open questions
that indicate that the H5N1 virus probably is not as dangerous as frequently claimed. In addition, the way
the virus is transmitted is not really known. Besides migratory birds, human activities are discussed as the
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe
                       -Wieling                und Zugvögel:
                                    al.: Brutbestände        Wie gefährlich 2001-2003
                                                      von Wiesenlimikolen   ist H5N1? in NRW               197

main transmitters of the virus. Currently there is no data to proof that wild birds have transmitted H5N1 to
poultry. In all recent outbreaks of avian flu obviously human activities caused the spreading of the virus.
Therefore it can be stated that worldwide transport of poultry, poultry parts and poultry products as well as
tourism to Southeast Asia seem to represent a higher risk than bird migration. Effective measures against
the spreading of avian flu therefore should concentrate on poultry industry and transport as well as human
activities and not on migratory birds.
Most important is a consistent implementation of a ban on the transport of poultry, poultry parts and poultry
products out of areas with an outbreak of avian flu. In addition, in all handling of birds, the usual hygienic
standard should be kept. Further measures, like locking up of backyard poultry, do not seem to be very
helpful.
To fill knowledge gaps and to develop effective measures for possible future outbreaks of avian flu it is
of the utmost importance to improve waterbird monitoring, to monitor the changes in distribution and fre-
quency of avian flu virus subtypes in wild bird populations and poultry as well as to study potential ways of
transmission of the virus, to be able to develop effective defensive measures for the future. The current focus
on migratory birds as potential long-distance transmitters of the H5N1 virus should be stopped, because it
hinders an unbiased analysis of the other potential ways of transmission and prevents the development of
effective protective measures.

Einführung                                               Die Krankheit
Es gibt zwei unterschiedliche Virenerkrankungen          Die Vogelgrippe oder Klassische Geflügelpest wurde
bei Vögeln, die früher unter dem Begriff Geflü-          1878 erstmalig in Nord-Italien beschrieben und wird
gelpest zusammengefasst wurden. Obwohl beide             von Influenza-A-Viren verursacht. Die Viren sind
Viren ähnliche Symptome hervorrufen, wurden sie          gekennzeichnet durch eine Oberflächenstruktur, die
im Laufe des letzten Jahrhunderts als zwei unter-        aus zwei Komponenten, Hämagglutinin und Neura-
schiedliche Krankheitserreger erkannt. Seitdem           minidase, besteht. Durch ständige Genverände-
unterscheidet man die atypische Geflügelpest oder        rungen (Drift) entstehen regelmäßig neue Varianten
Newcastle Disease von der klassischen Geflügelpest       der Grippeviren, die anhand ihrer Oberflächeneigen-
oder Vogelgrippe. So lange die Krankheit Klas-           schaften in Subtypen eingeteilt und benannt werden.
sische Geflügelpest hieß, war sie weitgehend nur ein     So trägt das Influenza-A-Virus Subtypus H5N1 auf
Problem der Geflügelhaltung. Neuerdings spricht          seiner Oberfläche die 5. Variante des Hämagglutinins
man jedoch nur noch von Aviärer Influenza, hoch-         (H5) und die 1. Variante der Neuraminidase (N1).
pathogener Influenza Virus Infektion (HPAI) oder         Gegenwärtig sind 16 H-Subtypen und 9 N-Sub-
Vogelgrippe und große Teile der Bevölkerung haben        typen bekannt, was theoretisch bis zu 144 Kombina-
plötzlich Angst sich zu infizieren.                      tionsmöglichkeiten ergibt.
Vogelgrippe ist eine ansteckende, von Viren verur-       Influenza-A-Viren wurden bisher bei vielen Tierar-
sachte Krankheit bei Tieren, die normalerweise nur       ten nachgewiesen, z.B. bei Enten, Gänsen, Puten,
Vögel, aber gelegentlich auch Säugetiere befällt.        Schweinen, Walen, Pferden und Seehunden. Die
Es handelt sich also um eine Tierseuche, nicht           Subtypen befallen normalerweise nur jeweils
um eine Menschen-Krankheit. Trotz dieser Tatsache        bestimmte Wirtsarten, während weitere Arten als
beharren die meisten Medien auf der Formulierung         Überträger fungieren können, ohne selber krank zu
„der auch für Menschen gefährliche Vogelgrippe-          werden. Vögel, insbesondere Wasservögel, scheinen
Erreger H5N1“. Damit haben sie zwar nicht ganz           Träger von nahezu allen bisher bekannten Subtypen
Unrecht, weil prinzipiell jedes Vogelgrippe-Virus        (fast 30) sein zu können. In der Vergangenheit ver-
– ebenso wie jegliches sonstiges Tiervirus (z.B.         ursachten die Subtypen H0N1, H1N1, H1N2, H2N2,
HIV oder Ebola) ‑ für Menschen gefährlich werden         H3N2 und H9N2 bei Menschen, die Subtypen H1N1
könnte, aber dem H5N1-Virus fehlen gegenwärtig           und H3N2 bei Schweinen, H3N8 und H7N7 bei
noch wesentliche Eigenschaften, um für den Men-          Pferden und H5N1, H5N2, H7N1, H7N3 und H7N7
schen gefährlich zu werden. Damit ist die Medien-        bei Geflügel weiter verbreitete Erkrankungen. Die
Bezeichnung irreführend und unzutreffend.                Vogelgrippe hat eine Inkubationszeit (Ansteckungs-
198                                                     43, Heft 4, 2005
                                             Charadrius 41,         2007

zeit) von 3 bis 14 Tagen und zeigt sich in zwei               und vielen Millionen Vögeln verendeten bzw. (die
Erscheinungsformen. Bei der ersten und häufigsten             meisten) präventiv getötet wurden. Aber auch für
Form (LPAI = Low Pathogene Avian Influenza                    Menschen, insbesondere mit geschwächter Immun-
oder niedrig pathogene aviäre Influenza) zeigt die            abwehr, ist die Vogelgrippe nicht ganz ungefährlich.
Krankheit einen milden Verlauf und die infizierten            Hin und wieder gab es leichte Grippesymptome bei
Vögel nur wenige, äußerst variable Krankheits-                Personen, die in engstem Kontakt mit erkrankten
symptome, z.B. Atemwegsprobleme, Fieber, verrin-              Vögeln standen und bei der letzten großen H7N7-
gerte Legeleistung, Durchfall oder zerzauste Federn           Geflügelpestwelle 2003 in den Niederlanden starb
und verringerte Aktivität. Problematischer ist die            ein Veterinär nachdem er erkrankte Vögel getötet
zweite Form, die so genannte hoch pathogene avi-              hatte.
äre Influenza (HPAI = High Pathogene Avian Influ-
enza), bei der häufig nahezu 100 % des erkrankten             Vogelgrippeviren in Wildvögeln
Geflügels innerhalb kürzester Zeit nach der Infek-            Vogelgrippeviren aller Subtypen wurden in nied-
tion sterben, vielfach ohne vorher deutliche Krank-           rig pathogener Form bei Wildvögeln nachgewiesen
heitssymptome zu zeigen. Unter gewissen Bedin-                (Tab. 1), ohne dass bisher ein Beleg für die Hypo-
gungen können die Subtypen ihre bisherige Artspe-             these gefunden wurde, dass Wildvögel in irgendei-
zifizität aufgeben und auch bei anderen bisher nicht          ner Weise an der Verbreitung von Vogelgrippe-Epi-
empfindlichen Arten Krankheitssymptome auslösen               demien beteiligt gewesen seien.
oder während eines Ausbruches ihre Pathogenität
                                                              In den 1990er Jahren wurden in Italien, unter der
von einer milden (LPAI) zu einer hochpathogenen
                                                              Leitung von Mauro Delogu von der Universität
Form (HPAI) ändern.
                                                              Bologna, weit über 20.000 Vögel auf Vogelgrippe-
Parallel zur weltweiten Intensivierung der Geflügel-          viren untersucht. Hierbei wurde festgestellt, dass
wirtschaft hat die Zahl der Ausbrüche hochpatho-              Singvögel mit knapp 3 % kaum Influenza-A-Viren
gener Vogelgrippe-Ereignisse in den vergangenen               in sich tragen, während bei Wasservögeln zum Teil
Dezennien sprunghaft zugenommen (Nguyen et                    recht hohe Werte gefunden wurden. So wurden
al. 2005). Auch der bereits 1959 in Schottland                bei rund 7 % der Blässhühner (Fulica atra), ca.
beschriebene, neue Vogelgrippe-Subtypus H5N1                  15 % der Entenvögel und fast 19 % der Möwen
kommt sowohl in einer hoch pathogenen als auch in             Influenza-A-Viren gefunden. Bei den Tauchenten
einer niedrig pathogenen Variante vor. Bei gesunden           trugen rund 23 % der untersuchten Vögel Grippevi-
Wildvögeln wurde bisher nur die niedrig pathogene             ren in sich und bei den Schwimmenten rund 52 %,
Variante und bei verendeten Wasservögeln sowie in             wobei die Viren bei fast 64 % der Stockente (Anas
Geflügelbeständen die hoch virulente Form gefun-              platyrhynchos) und bei rund 31,5 % der übrigen
den.                                                          Schwimmenten gefunden wurden. Im Rahmen die-
Seitdem 1878 die erste wissenschaftlich belegte               ser italienischen Untersuchungen wurden niedrig
und beschriebene Vogelgrippe-Epidemie in Geflü-               pathogene Viren der Subtypen H1, H2, H5, H6, H8,
gelbeständen im Norden Italiens ausbrach, gab es              H9, H10, H11, H13 und H14 gefunden (De Marco
immer wieder Ausbrüche in Asien, Europa und                   et al. 2000, 2003 & 2004). Bei einer Untersuchung
Nord-Amerika. Allein seit 1945 gab es mehr als                im Norden Europas, in der ca. 8.500 Wildvögel
20 dokumentierte regionale Geflügelpest-Epide-                (vornehmlich Wasservögel) auf das Vorkommen
mien, wobei jeweils zwischen mehreren 100.000                 von Influenza A Viren untersucht wurden, konnten

Tab. 1: Ergebnisse der Erprobung von Wildvögeln auf Vogelgrippe-Viren in Europa. – Results of studies on bird flu viruses
in wild birds in Europe.

Land           Jahr          Anzahl untersucht     % AI Subtypen                                    Quelle
Country        Year           Number checked            Subtypes                                    Source
Italien        1990-2000          20.000                H1, H2, H5, H6, H8, H9, H10, H11,           De Marco et al.
Italy                                                   H13, H14                                    2000, 2003 & 2004
Nordeuropa     1999, 2000           8.500            1  H1, H2, H3, H4, H5, H6, H7, H10, H11,       Fouchier et al. 2003
N-Europe                                                H13
Europa         2005                24.039           19  H1, H2, H3, H4, H5, H6, H7, H9              EU 2006a
Europe
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe
                      -Wieling                und Zugvögel:
                                   al.: Brutbestände        Wie gefährlich 2001-2003
                                                     von Wiesenlimikolen   ist H5N1? in NRW            199

in den Jahren 1999 und 2000 bei ca. 1 % der Vögel       ausbreiten und das Risiko der Entwicklung gefähr-
niedrig pathogene Viren der Subtypen H1, H2, H3,        licher Virusvarianten nimmt sprunghaft zu (Webster
H4, H5, H6, H7, H10, H11 und H13 nachgewiesen           & Hulse 2004).
werden (Fouchier et al. 2003). Bei einer europä-
ischen Untersuchung von 24.039 Wasservögeln im          Übertragungswege
Herbst 2005 wurden bei 4.655 Vögeln (ca. 19 %)
                                                        An Vogelgrippe erkrankte Vögel scheiden Viren
Influenza A-Viren von den Subtypen H1, H2, H3,
                                                        über Kot, Sekrete des Atmungs- und Genitalbe-
H4, H5, H6, H7 und H9 festgestellt. Mit Ausnahme
                                                        reiches sowie Tränenflüssigkeit aus. Bei der Gefie-
von Rumänien, wo H5N1 HPAI festgestellt wurde,
                                                        derpflege gelangen Viren ins Gefieder und über
betraf es ausschließlich LPAI-Formen (EU 2006a).
                                                        den Kot in den Boden. In der Natur sind die
Bis Mai 2006 wurden EU-weit weitere ca. 75.000
                                                        Übertragungsmöglichkeiten begrenzt, weil enger
Wildvögel auf Vogelgrippe getestet, womit zwi-
                                                        Kontakt zwischen Wasservögeln verhältnismä-
schen Juli 2005 und Mai 2006 innerhalb der EU fast
                                                        ßig selten und meist nur von kurzer Dauer ist.
100.000 Wildvögel (vornehmlich Wasservögel) auf
                                                        In Geflügelfarmen sammeln sich jedoch schnell
den Befall mit Vogelgrippeviren untersucht wurden.
                                                        große Mengen der Krankheitserreger im Boden
Hierbei wurden seit Februar 2006 bei über 700
                                                        und Staub, die ‑ abhängig vom Subtypus und den
– ausschließlich toten bis sterbenskranken – Wild-
                                                        herrschenden Bedingungen ‑ wenige Tage bis zu
vögeln in 13 Mitgliedstaaten eine Infektion mit der
                                                        mehrere Wochen virulent (ansteckend) bleiben kön-
hochpathogenen asiatischen Variante des H5N1-
                                                        nen. Aufgrund der hohen Konzentration der Vögel,
Virus festgestellt, wobei gut die Hälfte der Fälle in
                                                        insbesondere an Futterstellen und Tränken, können
Deutschland gefunden wurde (EU 2006b).
                                                        sich die Vögel einer Ansteckung kaum entziehen
Das langjährige Vogelgrippe-Monitoring in den           (Einatmen, Streitereien, verschmutztes Futter oder
Geflügelbeständen der Europäischen Union zeigt,         Trinkwasser, Fressen von Federn, Bodenbestandtei-
dass in den vergangenen Jahren H5-Vogelgrippe-          len und Steinchen).
Viren nicht nur bei Wildvögeln, sondern auch in
den europäischen Geflügelbeständen weit verbreitet      Mensch als Transporteur
waren; ca. 1 % der Vögel wurde positiv auf Vogel-       Innerhalb einer Region wird die Vogelgrippe meist
grippe-Viren getestet, insbesondere H5 (ca. 60 %)       von Hof zu Hof übertragen. Infektiöser Staub kann
und H7 (ca. 7 %) (Hesterberg et al. 2007).              durch Lüftung und Wind weiter getragen werden
Trotz der engen Kontakte von Stockenten zu Haus-        und infizierte Geräte, Fahrzeuge, Futter, Kleidung,
geflügel und des hohen Anteils Influenza-A-Viren        Schuhe, Geflügelmist als Dünger usw. können zu
tragender Stockenten gibt es bisher keine Belege        einer Übertragung führen. Darüber hinaus kön-
für eine Übertragung der Viren von Wildvögeln auf       nen Tiere, z.B. Hunde, Katzen und insbesondere
Hausgeflügel. Darüber hinaus zeigen die Langzei-        Mäuse und Ratten Krankheitserreger im Fell oder
tuntersuchungen, dass die Häufigkeit und Auftritt-      an den Pfoten transportieren. Obwohl noch nicht
frequenz einzelner Virentypen bei Wildvögeln und        wissenschaftlich belegt, können möglicherweise
Hausgeflügel stark unterschiedlich sind. Diese Tat-     auch Fliegen und Wildvögel Krankheitserreger über
sache könnte darauf hinweisen, dass es für Wildvö-      kurze Entfernungen transportieren. Bei der Frei-
gel und Hausgeflügel jeweils eigenständige Über-        landhaltung von Geflügel sind regelmäßige Kon-
tragungszyklen gibt und, dass ein Austausch auf         takte mit Wildvögeln, insbesondere mit Stockenten
einem nur relativ niedrigen Niveau stattfindet.         kaum zu vermeiden, wobei die Vögel Futter und
Bei wilden Wasservögeln sind Vogelgrippeviren           Tränke bzw. Gewässer teilen und eine Möglichkeit
genetisch weitgehend stabil und eine Infektion          der Virenübertragung gegeben ist.
verläuft meist symptomlos. Hausgeflügel, insbe-         Für die Übertragung der Vogelgrippe über größere
sondere in der gewerblichen intensiven Geflügel-        Entfernungen, von Region zu Region oder von
haltung, reagiert jedoch meist sehr empfindlich         Land zu Land sind Transporte von Tieren, Fut-
auf eine Infektion mit Vogelgrippeviren. Besonders      termitteln, Vogelmist und Vogelteilen von größter
virulent zeigen sich dort die Subtypen H5 und H7.       Bedeutung (Chen et al. 2006, Collins 2007). Unter
Bei solchen eng zusammenlebenden Großbeständen          günstigen Bedingungen können Vogelgrippeviren
erhöhen sich die Vermehrungsmöglichkeiten der           in Geflügelmist und Geflügelteilen monatelang
Viren enorm und die Mutationsaktivität nimmt stark      überleben (GRAIN 2006, Tumpey et al. 2002).
zu. Eine Infektion kann sich dort dann auch rasch       Geflügelmist wird als wertvoller Dünger über weite
200                                               43, Heft 4, 2005
                                       Charadrius 41,         2007

Entfernungen transportiert und auf Ackerflächen       hinaus ist dieses einseitig hoch gezüchtete Geflügel
(wichtige Nahrungsflächen für Wasservögel in Win-     extrem empfindlich für Krankheitserreger. Parallel
ter!) ausgebracht. Auch die weltweit anerkannte       zur weltweiten Intensivierung der Geflügelwirt-
und von der FAO geförderte Praxis, Fischteiche mit    schaft hat die Zahl der Ausbrüche hochpathogener
Geflügelmist zu düngen, trägt dazu bei, dass Krank-   Vogelgrippe-Ereignisse in den vergangenen Dezen-
heitserreger im Falle infizierter Geflügelbestände    nien deshalb sprunghaft zugenommen (Chen et
unkontrolliert über ein weiteres Umfeld verbreitet    al. 2006, Collins 2007, FAZ 2006, Lucas & Hines
werden. Insbesondere bei der Karpfenzucht lässt       2006, Nguyen et al. 2005).
sich der Fischertrag durch eine gezielte Düngung      In einer Reihe von Ländern spielen Geflügelmärkte,
erheblich steigern. Hierzu wird meist im Spätwinter
                                                      wo lebendes Geflügel, häufig unter sehr beengten
Mist auf den seit dem Herbst trocken liegenden
                                                      und wenig hygienischen Bedingungen, verkauft
Teichboden aufgebracht und zum Teil eingearbeitet,
                                                      wird sowie unkontrollierte und beengte Transporte
wonach die Teichfläche erneut geflutet wird (Fear
                                                      in Kleinwagen und Bussen eine nicht unbedeu-
2006, GRAIN 2006, Little & Edwards 2003, Pah-
                                                      tende Rolle bei der Übertragung der Vogelgrippe-
meyer 2001, Seré 2000). Viele H5N1-Ausbrüche
                                                      Viren. In Südost-Asien ist auch die Übertragung des
traten bei Wasservögeln in so gedüngten Gewäs-
                                                      H5N1-Virus durch Kampfhähne mehrfach belegt
sern auf (z.B. Poyang und Qinghai See in China,
                                                      (Davis 2005).
Manyas/Kus-See in der Türkei, Donaudelta in
Rumänien, Ribnjak/Grudnjak-Fischteiche in Kro-        Aber auch reguläre Transporte von Tieren und Tier-
atien, Dombes-Region in Frankreich), wobei auch       produkten entlang traditioneller Handelswege spie-
der in den dort tot aufgefundenen Wasservögeln        len eine bedeutsame Rolle bei der Übertragung des
festgestellte H5N1-Strang und die in südostchine-     H5N1-Virus. In den meisten asiatischen Ländern
sischen Geflügelfarmen gefundenen nahezu iden-        wurden Geflügelhandel und Geflügeltransporte erst
tisch waren (99,5 bis nahezu 100 %!).                 mehrere Monate nach dem ersten Auftreten der
Die Basis aller heutigen Mast- und Legehühner in      H5N1-Grippe eingeschränkt bzw. verboten. Auch
der modernen Geflügelproduktion sind Elterntiere,     Geflügelfutter könnte zu den Hauptüberträgern des
die in strenger Inzucht gehalten werden. Der Kon-     H5N1-Virus gehören, da laut Aussage der ame-
zentrationsprozess in der Legehennenzucht ist welt-   rikanischen Nahrungsmittelbehörde Geflügelab-
weit bereits weit vorangeschritten: der Markt wird    fall (Geflügelreste, Geflügelkot, Gefieder, Bode-
von vier Legehennenzüchtern beherrscht. Ähnlich       neinstreu, Futterreste usw.) ein durchaus üblicher
straff ist die Masthähnchenzucht organisiert: Vier    Bestandsteil von Geflügelfutter ist, das weltweit
Konzerne teilen sich den Weltmarkt. Jeder die-        gehandelt wird (Collins 2007, GRAIN 2006, Lucas
ser Monopolisten verfügt über mehrere exklusive       & Hines 2006). Und obwohl es in der EU seit dem
Hühnerlinien, die sie nicht einmal zum Patent         Jahr 2000 offiziell verboten ist, Tiermehl (produziert
anmelden, weil die Zuchtdetails Betriebsgeheimnis     aus verendeten Tieren und Schlachtabfällen) als
sind. Erst die Doppelhybriden aus diesen Zuchtli-     Tierfutter zu nutzen, darf es in der Landwirtschaft
nien ermöglichen die hohen Produktionsleistungen      auch weiterhin als Düngemittel genutzt werden.
moderner Geflügelzuchtbetriebe (FAZ 2006). Bei        Damit werden möglicherweise hygienisch bedenk-
der Putenproduktion sieht die Situation nicht viel    liche Tierreste auf die Felder gebracht, wo sie von
anders aus.                                           Wildvögeln aufgenommen werden können. Zu die-
Dieses monopolistische Produktionssystem von          ser Praxis stellt das Bayerische Staatsministerium
Hochleistungsgeflügel erfordert Transporte von        für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
Bruteiern und Eintagskücken über weite Entfer-        2005 fest, dass „solange die Kennzeichnung des
nungen und tagtäglich werden weltweit Millio-         Tiermehls nicht geregelt ist, eine missbräuchliche
nen Bruteier und Eintagskücken transportiert. Die     Verwendung als Futtermittel nur schwer kontrolliert
meisten Länder, die in den letzten Jahren unter       werden“ kann. Es gibt gegenwärtig einen lebhaften
Vogelgrippe-Ausbrüchen gelitten haben, importie-      legalen und illegalen Handel mit Tiermehl, nicht
ren jährlich Millionen solcher industriell produ-     nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb
zierter Eier oder Jungvögel aus wenigen Produk-       der EU und sogar zwischen der EU und Nicht-EU-
tionsbetrieben. Diese weltweiten Geflügel- bzw.       Staaten (Foodwatch 2004, 2005 & 2007). Eine
Eiertransporte tragen ein hohes Verbreitungsrisiko    Verbreitung von H5N1-Viren über diesen Weg ist
von ansteckenden Krankheiten in sich. Darüber         nicht auszuschließen.
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe
                      -Wieling                und Zugvögel:
                                   al.: Brutbestände        Wie gefährlich 2001-2003
                                                     von Wiesenlimikolen   ist H5N1? in NRW              201

Nachdem das H5N1-Virus mehrere Jahre in den            Geflügelbestände verkauft und abtransportiert
Geflügelbeständen Südostasiens grassierte, starben     wurden (Nigerianischer Landwirtschaftsminister
im Mai 2005 im Qinghai See im Westen Chinas            Adamu Bello Februar 2006, Auwalu Haruna vom
erstmalig wilde Wasservögel am H5N1-Asia-Sub-          Kanu State Geflügelzüchterverband Februar 2006,
typus. Die Mehrheit der Vögel kam aus dem bis          Davis 2005, GRAIN 2006). Nach Feststellung der
dahin H5N1-freien Indien. Im See lebt der Qinghai-     ersten H5N1-Ausbrüche in Polen Anfang Dezember
Karpfen, der traditionell fischereilich genutzt und    2007 wurde bekannt, dass aus den infizierten Geflü-
in Teichen gezüchtet wird. Der in der intensiven       gelfarmen kurz vorher mindestens 480 kg Puten-
Geflügelindustrie des Umlandes produzierte Geflü-      fleisch auf den Markt gebracht wurden. Die Geflü-
gelmist wird zur Düngung der Fischteiche genutzt.      gelprodukte wurden über Ladenketten in Polen und
Von China „sprang“ das Virus im Frühsommer 2005        möglicherweise auch in Ostdeutschland verkauft
unerwartet nach Süd-Sibirien. Die ersten Vogel-        (Anna Obuchowska, Sprecherin der Gesundheits-
grippe-Ausbrüche in Russland begannen am 11. Juli      inspektion der Pomorze Region).
2005 in der Nähe von Novosibirsk, einer Drehachse
für den Transport von Menschen und Gütern zwi-         Zugvögel als Transporteure
schen China und Russland. Danach folgte bis Mitte      Da Vögel häufig Träger von (niedrig pathogenen)
August 2005 eine schnelle Wanderung des Virus von      Grippeviren sind, ohne selbst zu erkranken, und
Novosibirsk bis in den Westen Russlands, die nach      Zugvögel im Rahmen ihrer Frühjahrs- und Herbst-
Ansicht der russischen Veterinäre eher dem Men-
                                                       wanderungen große Entfernungen zurücklegen,
schen als den Zugvögeln anzulasten ist, weil das
                                                       liegt der Verdacht nahe, dass sie nicht nur ein natür-
H5N1-Virus eher dem Verlauf der Transsibirischen
                                                       liches und mobiles Reservoir für Grippeviren sind,
Eisenbahnlinie als einer Vogelzuglinie folgte und zu
                                                       sondern diese auch transportieren können. Es wird
jener Zeit kein nennenswerter Vogelzug stattfand.
                                                       dann auch immer wieder gemutmaßt, dass wan-
Auf diesem Weg legte das H5N1-Virus innerhalb
                                                       dernde Wasservögel, insbesondere Enten, HPAI-
eines Monats gut 3.000 km nach Westen zurück
                                                       H5N1-Viren über große Distanzen transportieren
(Collins 2007, E. Kuznetsov schrift. Mitt. 2006).
                                                       und so zur Langstrecken-Übertragung des Virus
Auch wenn Krankheitsausbrüche meist Transport-         beitragen könnten (Chen et al. 2006, FAO 2005,
verbote auslösen, kommen diese häufig zu spät,         Reed et al. 2003, Sturm-Ramirez et al. 2005, Webs-
sind nicht umfassend genug oder werden unter-          ter et al. 1992, Widjaja et al. 2004).
laufen. So wurde, trotz Handelsbeschränkungen
bzw. Importverboten, in den letzten Jahren bei         Als Beleg für die Richtigkeit der Hypothese, dass
stichprobenartigen Kontrollen immer wieder ton-        Wasservögel HPAI-H5N1 über größere Distanzen
nenweise illegal transportiertes südostasiatisches     transportieren könnten, gilt der einmalige Fund des
Geflügel u.a. in 2006 in Italien, Großbritannien,      Virus bei sechs äußerlich gesunden Wildenten am
Slowenien und Spanien entdeckt und werden u.a.         Poyang-See in China (Chen et al. 2006). In Januar
die H5N1-Ausbrüche in japanischen, koreanischen        und März 2005 wurde bei einer Untersuchung von
und nigerianischen Geflügelbeständen sowie die in      mehr als 13.000 gefangenen Wasservögeln in China
Türkei, Irak, Georgien, Niger, Kamerun, Ägypten        bei sechs gesund wirkenden Wildenten, die am Ufer
und Israel auf illegale Geflügelimporte bzw. Trans-    des Poyang-Sees – bei einem Gesamtfang von 4.316
porte infizierter Geflügelprodukte zurückgeführt.      Enten ‑ gefangen und beprobt wurden, erstmalig
Auffällig ist, dass Armenien, das keine Handelsbe-     das HPAI-H5N1-Virus festgestellt (0,1 %). Darüber
ziehungen zur Türkei unterhält, bisher vogelgrippe-    hinaus hatten 81 von 1.092 untersuchten Enten (ca.
frei ist. Nach Aussage von FAO-Experten liegt der      7 %) H5-Antikörper (34 gegen H5N1 und 47 gegen
Schmuggel von Tieren und Tierteilen weltweit an        H5N2) im Blut. Mit diesem HPAI-H5N1-Virus im
zweiter Stelle, direkt nach dem Drogenschmuggel,       Labor infizierte Gänse starben nach kurzer Zeit,
und die aufgedeckten Fälle sind nur die Spitze eines   während infizierte Wildenten zum Teil überlebten,
Eisbergs (Collins 2007, GRAIN 2006, Rosenthal          aber bis zu sieben Tage lang Viren ausschieden.
2006).                                                 Aus dieser Tatsache schließen die Autoren, dass die
Auch das Handelsverhalten einzelner Geflügelpro-       infizierten Vögel noch eine gewisse Strecke fliegen
duzenten fördert die Verbreitung des Virus. So         und das Virus über längeren Distanzen (z.B. auch
wurde mehrfach festgestellt, dass kurz vor der offi-   zum Qinghai-See) verbreiten könnten (Chen et al.
ziellen Bekanntgabe einer H5N1-Infektion ganze         2005 & 2006, Liu et al. 2005).
202                                                      43, Heft 4, 2005
                                              Charadrius 41,         2007

Bei dieser Einschätzung blieben allerdings mehrere               (2) Vögel sind unter natürlichen Bedingungen
Faktoren unberücksichtigt:                                       wesentlich größeren Belastungen ausgesetzt als
(1) In der gleichen Untersuchung berichteten Chen                unter Laborbedingungen, nach einer Infektion
et al. (2006), dass nicht nur Wildvögel untersucht               nachgewiesenermaßen geschwächt und unter natür-
wurden, sondern auch über 50.000 domestizierte                   lichen Bedingungen wahrscheinlich nur noch sehr
Vögel (Hühner, Enten, Gänse). Beim Hausgeflü-                    eingeschränkt mobil.
gel wurde nicht nur eine deutlich abweichende                    Um die Rolle der Wasservögel bzw. Geflügelwirt-
Zusammensetzung und Häufigkeit der einzelnen                     schaft bei der Übertragung des H5N1-Virus abzu-
Vogelgrippen-Subtypen gefunden, sondern auch                     schätzen, spielt auch die Gesamtsituation in und
eine erheblich höhere Häufigkeit des H5N1-Virus.                 an den genannten, für Wasservögel bedeutsamen
Während bei den untersuchten Wildvögeln nur in                   Seen eine Rolle. In der Regenzeit hat der Poyang-
0,34 % der Proben AI-Viren und in 0,05 % der Pro-                See eine Fläche von 4.400 km2, in der Trockenzeit
ben H5N1 nachgewiesen wurden, lagen die Werte                    schrumpft er auf 1.000 km2. Das Seebecken ist
beim Hausgeflügel bei 7 bzw. 1 % (Tab. 2). Darü-                 eines der wichtigsten Reisanbaugebiete in ganz
ber hinaus hatten 81 Wildenten H5-Antikörper im                  China und am Rande des Überschwemmungsge-
Blut. Obwohl bei einigen Vögeln H5N1-Antikörper                  biets liegen mehrere Geflügelfarmen, die den anfal-
gefunden wurden, handelte es sich mehrheitlich                   lenden Mist auf die umliegenden Felder – auch
um H5N2-Antikörper, die auf eine überstandene                    im Überschwemmungsgebiet - ausbringen. Im Mai
Infektion mit H5N2 von einer benachbarten Enten-                 2005 starben am Qinghai-See in China erstmalig
farm zurückgeführt werden konnten. Die Autoren                   wilde Wasservögel am H5N1-Asia-Subtypus. Hier
schließen hieraus, dass die Tatsachen eher auf eine              lebt der Qinghai-Karpfen, der traditionell fischer-
bedeutsame Rolle der Geflügelhaltung bei der                     eilich genutzt und in Teichen gezüchtet wird. Seit
Erhaltung und Übertragung der H5N1-Viren als                     den 1980er Jahren hat sich am Ufer eine zuneh-
auf eine Übertragung durch Wildvögel hinweisen.                  mend intensive Landwirtschaft etabliert. Der in der
Sie stellten fest, dass die sechs H5N1 infizierten               dortigen intensiven Geflügelindustrie produzierte
Wildenten sich bei den umliegenden Farmen mög-                   Geflügelmist wird zur Düngung der Fischteiche
licherweise zuerst mit dem niedrig pathogenen                    genutzt. Genetische Analysen der Krankheitserreger
H5N2-Virus und anschließend mit dem hoch patho-                  zeigten, dass die H5N1-Viren, die bei den Wasser-
genen H5N1-Virus infiziert haben könnten und die                 vögeln des Poyang- und des Qinghai-Sees gefunden
zweite Infektion nur hätten überstehen können, weil              wurden, wahrscheinlich von Geflügelfarmen aus
sie vorher in der Lage waren, Antikörper gegen                   dem Südosten Chinas stammten. Eine Übertragung
H5N2 zu bilden.                                                  der Infektion vom Poyang- zur Qinghai-See durch

Tab. 2: Ergebnisse der Erprobung auf Vogelgrippe-Viren von Hausgeflügel und Wildvögeln in Südost-China nach Chen et
al. (2006). – Results of a study on bird flu viruses in poultry and wild birds in southeastern China according to Chen et al.
(2006).

                                Stichprobe            AI-Viren              H5N1         Subtypen
                                  Sample              AI-viruses                         Subtypes
Hausgeflügel – Poultry
                   n              51.121                 3.563               512         H3, H5, H6, H11 etc.
                  %                                       6,97               1,00
Wildvögel – Wild birds
Enten – Ducks      n              11.685                  44                   6         H1, H3, H4, H5, H6, H10
                  %                                      0,38                0,05
Gänse – Geese       n               852                    0                  0
                    %                                      -                  -
Schwäne – Swans     n               578                    0                  0
                    %                                      -                  -
Summe – Total       n             13.115                  44                   6         H1, H3, H4, H5, H6, H10
                    %                                    0,34                0,05
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe
                      -Wieling                und Zugvögel:
                                   al.: Brutbestände        Wie gefährlich 2001-2003
                                                     von Wiesenlimikolen   ist H5N1? in NRW            203

infizierte Wildvögel wurde zwar für möglich gehal-     die Erhaltung des Infektionsgeschehens notwendige
ten, aber die Verbreitung des Virus über Südostasien   Weitergabe der Viren von kranken an gesunde Wild-
wurde vornehmlich auf Transporte von Geflügel          vögel scheint es nicht bzw. nur äußerst begrenzt zu
und Geflügelprodukten zurückgeführt (Chen et al.       geben, sonst würde sich die Infektion wie ein „Öl-
2005 & 2006, Li et al. 2004, Liu et al. 2005, FAO      fleck“ über die Wildvögel der betroffenen Regionen
2005). Gegen die Zugvogelhypothese spricht, dass       verbreitet haben.
bisher keine Vogelart bekannt ist, die über ca.        So kamen gesunde Streifengänse (Anser indicus)
1.700 km vom Poyang- zum Qinghai-See zieht             aus Indien (damals noch H5N1-frei!) und infi-
und dass auch in der Umgebung des Qinghai-Sees         zierten sich im chinesischen Qinghai-See (an infi-
Geflügelfarmen liegen, die Geflügelmist ausbrin-       ziertem Geflügelmist?), wonach über 6.000 Vögel
gen. Darüber hinaus gab es außer am Qinghai-See        starben und die Infektion schnell abklang. In Kro-
nirgendwo in China ein großes Wildvogelsterben         atien landeten am 19. Oktober 2005 rund 2.000
und das Wildvogelsterben am Qinghai-See war            Schwäne in zwei (mit Geflügelmist gedüngten?)
nach kurzer Zeit beendet. Wenn man die Möglich-        Fischteichen, von denen in den nächsten Tagen
keit einer sprunghaften Zunahme der Virulenz des       31 starben und positiv auf H5N1 getestet wurden.
H5N1-Virus während des Fluges vom Poyang- zum          Bei 267 Schwänen und 39 sonstigen Wasservögeln
Oinghai-See ausschließt, weisen die Tatsachen eher     (Blässhuhn und Kormoran Phalacrocorax carbo),
auf eine Neuinfektion der Wildvögel aus der den        die dort geschossen und anschließend untersucht
Qinghai-See umgebenden Geflügelwirtschaft als          wurden, konnten keine H5N1-Viren nachgewie-
auf eine Übertragung des Virus durch Wildvögel         sen werden (OIE-Bericht Oktober 2005). Einer der
hin.                                                   infizierten Schwäne war am 9. September 2005
Gegen eine Langstrecken-Übertragung des H5N1-          am ungarischen Plattensee beringt worden (H5N1-
Virus durch Zugvögel sprechen jedoch noch weitere      frei!). Nach wenigen Wochen war der Ausbruch
Fakten: Trotz langjähriger Forschung gibt es bis       beendet. In Rumänien wurde der erste verendete
heute keine eindeutigen Belege für eine Übertra-       und auf H5N1 positiv getestete Wildvogel erst eine
gung von für Hausgeflügel oder Menschen viru-          Woche nach dem Auftreten des Virus in Hausge-
lenten Grippeviren durch Zugvögel. Obwohl Pro-         flügel festgestellt. Die Infektion des Hausgeflügels
ben von 100.000en von Wildvögeln in Eurasien           hält sich bis heute. Auch bei den Ausbrüchen bei
und Nordamerika untersucht worden sind, wurde          Wildvögeln in Deutschland in 2007 zeigt sich, dass
das HPAI-H5N1-Virus bisher nur bei erkrankten          vornehmlich örtlich Brutvogelarten (Haubentaucher
bzw. verendeten, jedoch nur äußerst selten (6 Enten    Podiceps cristatus, Schwarzhalstaucher P. nigricol-
Poyang-See) bei gesunden Wasservögeln nachge-          lis, Höckerschwan Cygnus olor, Graugans Anser
wiesen. Darüber hinaus folgte die bisherige Ver-       anser, Kanadagans Branta canadensis, Stockente)
breitung des HPAI-H5N1-Virus in nur wenigen            betroffen waren, die sich vor Ort infizierten und
Fällen den traditionellen Zugwegen der Vögel. Die      wohl kaum zu einer Verbreitung des H5N1-Virus
regionalen H5N1-Ausbrüche ließen sich nur in den       beigetragen haben.
seltensten Fällen mit dem Ablauf des Vogelzuges        Alle genannten Tatsachen weisen eher auf eine
synchronisieren. Zwischen Juni und August 2005         Infizierung der Wildvögel vor Ort als auf eine
wanderte das Virus vom Qinghai-See in China nach       Übertragung der H5N1-Viren über weite Entfer-
Westen bis zum Ural in der Russischen Föderation,      nungen durch Zugvögel hin. In Frankreich wurde
obwohl in dieser Periode kaum größere Vogelwan-        die H5N1-Infektion in einem Truthahnbestand etwa
derungen bekannt sind. Darüber hinaus gab es keine     eine Woche später gemeldet als die ersten veren-
Vogelgrippe-Ausbrüche in Nordamerika, den Phil-        deten Wildvögel in den umliegenden Fischteichen.
ippinen, Australien oder Neuseeland obwohl viele       Aber diese zeitliche Abfolge belegt nicht, dass die
ostasiatische Wasservogelarten dort überwintern.       Puten sich bei den Wildenten infiziert haben. In
Die bisherigen HPAI-H5N1-Ausbrüche bei Wild-           Nigeria wurden die Geflügelbestände rund vier
vögeln zeigen – abgesehen von der Zahl der betrof-     Wochen lang gegen Newcastle-Disease behandelt,
fenen Vögel – große Ähnlichkeiten im Verlauf.          bis die Vögel auf H5N1 getestet und positiv befun-
Die Vögel scheinen sich vor Ort zu infizieren und      den wurden. In Frankreich kränkelten die ca. acht
kurz darauf zu sterben. Alle Ausbrüche verliefen       Wochen alten Puten schon seit mehreren Tagen
recht „explosiv“. Nach dem Fund infizierter Vögel      und 400 von 11.700 Vögeln, d.h. ca. 3,5 % des
klangen die Ausbrüche relativ schnell ab. Eine für     Bestandes, waren an den Vortagen bereits gestor-
204                                       Charadrius 41,
                                                     43, Heft 4, 2005
                                                                 2007

ben. Da die „normale“ Mortalität bei Zuchtputen           ten hochpathogenen H5N1-Viren mutieren sollten.
dieser Altersgruppe bei 2-4,5 % liegt (Wartemann          Solche schwerfälligen und wenig wissenschaft-
2005), war das eine nicht unbedingt beunruhi-             lichen Gedankenkonstrukte sind die Grundlage der
gende Zahl für den Züchter. Die H5N1-Diagnose             deutschen Aufstallungsregelung für Geflügel.
bei den Wildvögeln in einem benachbarten Teich            Insgesamt lässt sich feststellen, dass es bis heute
kann jedoch zu einer intensiveren Untersuchung            keinerlei Belege für eine Langstrecken-Übertra-
des bereits kränkelnden Truthahnbestandes und der         gung von für Hausgeflügel oder Menschen viru-
Feststellung einer H5N1-Infektion geführt haben,          lenten Grippeviren durch Zugvögel gibt. Obwohl
sodass die zeitliche Abfolge wenig darüber aussagt,       nicht auszuschließen ist, dass infizierte Wasservö-
wer wen angesteckt hat. Da bei Bestandsgrößen             gel das Virus über kurze Strecken transportieren
von 3.000 und mehr Puten die Mast in hallenartigen        können, ist die Feststellung, dass das Virus von
mit Maschendraht geschlossenen Offenfrontställen          Zugvögeln übertragen wurde, in vielen Fällen eher
stattfindet, ist unklar wie sich die Puten bei den        ein hilfloser Versuch, Unerklärtes zu erklären als
Wildvögeln hätten anstecken können. Da die Abluft         eine wissenschaftlich fundierte Aussage. Eine inter-
über Firstklappen oder Abluftschächte entweicht           nationale Expertengruppe kam im Frühjahr 2006
und der Mist auf den umliegenden Flächen ausge-           zu dem Schluss, dass über die Rolle der Zugvögel
bracht wird, ist der umgekehrte Infektionsweg eher        bei der Verbreitung des H5N1-Virus noch vieles
vorstellbar.                                              unbekannt ist, aber dass die Geflügelwirtschaft und
In ihren regelmäßig erscheinenden Risikobewer-            menschliche Aktivitäten eindeutig die wichtigsten
tungen stellt das Friedrich-Löffler-Institut (FLI), als   Verbreitungswege bilden (Olsen et al. 2006). Auch
deutsches Vogelgrippe-Referenzlabor fest, dass aus        die Welternährungsorganisation FAO ist mittler-
der Tatsache, dass es sich bei den bei Hausgeflü-         weile zu dieser Erkenntnis gekommen und erklärte
gel und (tot aufgefunden) Wildvögeln gefundenen           in Juni 2006, dass Zugvögel in Einzelfällen und
H5N1-Isolaten um eng verwandte Stämme handelt,            regional zwar eine Rolle bei der Übertragung von
geschlossen werden kann, dass „eine zumindest             H5N1 spielen können, aber menschliche Aktivi-
indirekte kausale Beteiligung von Wildvögeln bei          täten eindeutig die Hauptrolle spielen (FAO 2006).
den jüngsten Ausbrüchen von HPAIV-Infektionen
                                                          Die gegenwärtige Situation
beim Hausgeflügel nicht ausgeschlossen werden
kann“. Der umgekehrte Infektionsweg Hausgeflü-            Das gegenwärtig grassierende Vogelgrippevirus
gel-Wildvogel wird beim FLI offensichtlich erst           H5N1 ist nicht neu. Erstmalig wurde 1959 ein
gar nicht in Erwägung gezogen. Dem Fehlen von             Hühnerbestand in Schottland befallen. Nach diesem
H5N1-infizierten Vögeln beim europaweiten Wild-           kurzen und lokalen Ausbruch dauerte es bis 1991,
vogelmonitoring begegnet das FLI mit folgender            bis das Virus sich in einem Putenbestand in England
Argumentation: „Das stichprobenartige Wildvogel-          zurückmeldete.
monitoring, so wichtig es für orientierende Unter-        Im Jahr 1997 brach Vogelgrippe in Geflügelbestän-
suchungen zum Vorkommen des Virus ist, besitzt            den in Hongkong aus und zum ersten Mal wurde
bei fehlenden Nachweisen nur eine begrenzte Aus-          das HPAI-H5N1-Virus nicht nur bei Geflügel, son-
sagekraft hinsichtlich einer möglichen Erregerfrei-       dern auch bei einem erkrankten Menschen gefun-
heit. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass           den. Insgesamt wurde eine Infektion mit diesem
sich HPAIV H5N1 durch Wildvögel und andere                Virus-Subtypus bei 18 Personen mit engem Kontakt
belebte und unbelebte Vektoren verbreiten könnte.“        zu Hausgeflügel festgestellt; 6 Personen starben.
Das FLI untermauert diese Annahme mit der Fest-           Krankheitsübertragungen von Mensch zu Mensch
stellung, dass „bei Wasservögeln im Rahmen des            wurden nicht festgestellt. Zur Sicherheit wurde
Monitorings seit Jahren regelmäßig gering patho-          innerhalb von drei Tagen der gesamte Hausgeflü-
gene aviäre Influenzaviren nachgewiesen werden. ...       gelbestand der Stadt getötet.
Darunter befinden sich auch Viren der Subtypen H5         Im Februar und März 1999 trat im Nordosten von
und H7, die beim Eintrag in Hausgeflügelbestände          Italien ein LPAI-Virus vom Subtyp H7N1 bei Puten
zu HPAIV mutieren können“ (FLI 2007b). Es ist             auf. Mitte Dezember mutierte das Virus zur HPAI
jedoch wissenschaftlich wenig haltbar, dass niedrig-      Form mit sehr hoher Mortalität. Das Virus breitete
pathogene H5N1-Viren von Wildvögeln durch ganz            sich über sechs Provinzen aus und über 15 Mio.
Europa transportiert werden und beim Eintrag in           Vögel wurden getötet. Menschen kamen nicht zu
Hausgeflügelbeständen jedes Mal zu eng verwand-           Schaden (Baumer 2005).
J.H.ieling
            F. Püchel-W    Mooijet: Vogelgrippe und Zugvögel:
                                    al.: Brutbestände         Wie gefährlich2001-2003
                                                      von Wiesenlimikolen    ist H5N1? in NRW        205

Im Jahr 2003 wurde die Geflügelwirtschaft in Bel-     H5N1-Virus innerhalb eines Monats über 1.000 km
gien, Deutschland und insbesondere in den Nieder-     nach Westen zurückgelegt. Im Herbst 2005 erreichte
landen von einer H7N7-Epidemie getroffen, bei der     das Virus den Südwestteil Russlands (Geflügel), das
mehr als 14 Mio. Vögel starben bzw. getötet wur-      Donau-Delta Rumäniens (Geflügel und später auch
den. Darüber hinaus erkrankten 83 Menschen an         Wildvögel) und den Osten Kroatiens (Wildvögel).
dem Virus, von denen eine Person starb. Alle infi-    Im Winter 2005 wurden Ausbrüche aus der Türkei
zierten Personen hatten enge Kontakte mit erkrank-    und der Ukraine (Krim) gemeldet (Geflügel und
ten Vögeln gehabt.                                    später auch Wildvögel).
Ebenfalls im Jahr 2003 meldete sich der H5N1-         In den ersten drei Monaten des Jahres 2006 ging
Subtypus in Südost-Asien zurück. In Hongkong          es dann Schlag auf Schlag. Während neue H5N1-
erkrankten Hausgeflügel und zwei Personen am          Ausbrüche in Geflügelbeständen auch weiterhin
HPAI-H5N1-Virus, von denen eine starb. Darüber        aus Vietnam, China und Indonesien gemeldet wur-
hinaus wütete das Virus in Hausgeflügelbeständen      den, gab es bis Mitte April 2006 neue Meldungen
in Indonesien, Süd-Korea, Japan, Thailand, Viet-      aus Ägypten, Afghanistan, Albanien, Burkina
nam und China, während in Taiwan eine Geflü-          Faso, Indien, Irak, Israel, Jordanien, Kambodscha,
gelepidemie des Subtypus H5N2 grassierte. Auf         Malaysia, Myanmar, Niger, Pakistan und der Ukra-
einem Hausgeflügelmarkt in Süd-Korea wurden die       ine bei Geflügel, aus Aserbaidschan, Deutschland,
Subtypen H3N2, H5N1 und H9N2 gefunden.                Frankreich, Kamerun, Nigeria, Österreich, Rumä-
Im Jahre 2004 brach in Pakistan die Vogelgrippe       nien, der Russischen Föderation, Schweden und
in Hausgeflügelbeständen aus. Der Ausbruch            der Türkei bei Geflügel und Wildvögeln, sowie aus
wurde durch die Subtypen H7 und H9 verur-             Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Geor-
sacht. Im gleichen Jahr wurde bei zwei erkrankten     gien, Griechenland, Iran, Italien, Kroatien, Polen,
Mitarbeitern von Geflügelfarmen im kanadischen        Saudi-Arabien, der Schweiz, Serbien und Montene-
Bundesstaat British Columbia das H7N3-Grippevi-       gro, Slowenien, Slowakei, der Tschechischen Repu-
rus festgestellt. Darüber hinaus wurden in mehre-     blik und Ungarn ausschließlich bei Wildvögeln.
ren südostasiatischen Staaten neue Ausbrüche der      Im Jahre 2007 gab es erneut H5N1-Ausbrüche
H5N1-Vogelgrippe in Geflügelbeständen gemeldet,       bei Wildvögeln in Frankreich, bei Hausgeflügel in
u.a. aus Vietnam, Thailand, China, Malaysia und       Ägypten, Afghanistan, Algerien, Bangladesh, Benin,
Indonesien, bei denen offiziell insgesamt 46 Men-     Ghana, Großbritannien, Indien, Indonesien, Japan,
schen erkrankten, von denen 32 starben (ca. 70 %).    Kambodscha, Kuwait, Laos, Myanmar, Nigeria,
Am Jahresende brach eine von H5N2 verursachte         Rumänien, Russland, Saudi Arabien, Süd-Korea,
Geflügelepidemie in Süd-Korea aus.                    Thailand, Togo, Tschechische Republik, Türkei,
2005 erreichte die H5N1-Welle auch die Geflü-         Ungarn sowie Vietnam und in beiden Kategorien in
gelbestände in Kambodscha und Laos. Daneben           China, Deutschland, Elfenbeinküste, Pakistan sowie
war das Virus auch weiterhin in Vietnam, Thai-        Polen. Im Laufe dieser immer wieder aufleben-
land, Südost-China und Indonesien aktiv. Im Mai       den Epidemie starben insgesamt mehrere 100 Mio.
2005 starben am Qinghai-See in China erstmalig        Vögel; die wenigsten an der Krankheit, die meisten
wilde Wasservögel am H5N1-Subtypus. Genetische        wurden wegen Krankheitsverdachts getötet. Darü-
Analysen der Krankheitserreger zeigten, dass die      ber hinaus gab es auch Infektionen bei Schweinen,
Infektion wahrscheinlich von einem Geflügelhof        Raubkatzen und Menschen. In den Geflügelbestän-
im Südosten Chinas stammte. Im Juni 2005 wurden       den mehrerer südostasiatischer Staaten scheint das
in Zusammenhang mit einer Hausgeflügelepidemie        Virus mittlerweile endemisch geworden zu sein. Bis
des Subtypus H5N2 mehr als eine Viertel Million       November 2007 wurden im gesamten südostasia-
Hühner in Japan getötet. Im Juli 2005 wurde der       tischen Raum offiziell 353 H5N1-Infektionen bei
H5N1-Subtypus zuerst bei wilden Wasservögeln          Menschen durch Labortests bestätigt, von denen
in der westlichen Mongolei und wenig später auch      212 (ca. 60 %) starben (Tab. 3).
bei Hausgeflügel in Novosibirsk in der Russischen
Föderation festgestellt. Fast gleichzeitig befiel     H5N1 in Deutschland
H5N1 auch Geflügelbestände im Norden Kasach-
stans sowie in Tyumen, Omsk, Kurgan, Chelyabinsk      Ostseeraum
in der Russischen Föderation. In einzelnen Gebieten   Mitte Februar 2006 schreckte Deutschland auf
waren auch Wildvögel betroffen. Damit hatte das       als H5N1 Deutschland erreichte. Vor den Küsten
206                                       Charadrius 41,
                                                     43, Heft 4, 2005
                                                                 2007

Rügens wurden auf dem Eis und um            Tab. 3: Weltweit registrierte Zahl der Erkrankungen bzw. Tote bei Men-
die Eislöcher der Ostsee Hunderte toter     schen als Folge der Vogelgrippe-Ausbrüche bei Geflügel seit 1997 im
Wasservögel gefunden und bei einigen        Vergleich zu der Schätzung der durchschnittlichen jährlichen Zahl der Er-
                                            krankten und Tote als Folge der jährlichen Grippewellen in Deutschland
dieser Vögel (mehrheitlich Schwäne)
                                            (letzte Zeile). – Number of registered cases and deaths caused by bird flu
wurde HPAI-H5N1 gefunden (Tab. 4).          outbreaks worldwide since 1997 compared to the estimated average num-
Die große Frage ist: Wie kam das Virus      ber of cases and deaths caused by annual influenza outbreaks in Germany
nach Rügen?                                 (last line). (Status: 12.11.2007)
In den offiziellen Verlautbarungen des
Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), das in Jahr    AI-Virus-Subtyp       Fallzahl      Anzahl Tote % Tote
Deutschland für die epidemiologische      Year                              N           N dead        % dead
Seite des Problems zuständig ist, heißt   1997          H5N1                18              6          33,3
es, dass das Virus wahrscheinlich von     1998             -
Wasservögeln nach Rügen und von           1999          H9N2                 3              0           0,0
dort nach Süddeutschland gebracht                       H7N1                 0              -            -
wurde. Wenn diese Hypothese zutrifft,
                                          2000             -
gibt es zwei Möglichkeiten: das Virus
                                          2001             -
wurde bereits beim Herbstzug 2005
im Ostseeraum eingeschleppt oder es       2002          H7N2                 2              0           0,0
wurde dort kurz vor dem Ausbruch          2003          H5N1                 4              4         100,0
in der zweiten Januarhälfte 2006 von                    H7N7                83              1           1,2
Wasservögeln eingetragen, die vor der     2004          H7N3                 2              0           0,0
Kälte aus Osteuropa geflohen sind. Die
                                                        H5N1                46             32          69,6
Höcker- und Singschwäne (Cygnus
cygnus) vor der Küste Rügens sind Teil    2005          H5N1                98             43          43,9
der Winterpopulation der westlichen       2006          H5N1               115             79          68,7
Ostsee, die hier im Oktober/Novem-        2007          H5N1                72             48          66,7
ber eintrifft. Die Vögel stammen zum      Summe         H5N1               353            212          60,1
Teil aus Skandinavien, Nordrussland       Total         H7N1                 0              -            -
und den Baltischen Staaten (damals
                                                        H7N2                 2              0           0,0
alle HPAI-H5N1-frei), wie auch ein
vor Rügen beobachteter und später tot                   H7N3                 2              0           0,0
gefundener, in den Baltischen Staa-                     H7N7                83              1           1,2
ten beringter Singschwan zeigt (vgl.                    H9N2                 3              0           0,0
Rutschke 1992). Im Herbst und Früh-       D        H1N1, H3N2          < 4.000.000     < 20.000         0,5
winter 2005 wurden bei der Unter-
suchung rastender Wasservögel keine
positiven H5N1-Proben in Deutschland gefunden        Tab. 4: Zahl der bei der Insel Rügen (Mecklenburg-Vor-
(auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern). Bei der      pommern) im Februar 2006 überwinternden, tot aufgefun-
Intensität der Vogelbeobachtung und der hohen        denen, untersuchten und mit H5N1 infizierten Vögel sowie
                                                     deren Anteile. – Number of birds wintering, found dead,
H5N1-Sensibilisierung der Bevölkerung ist es
                                                     tested and found positive for H5N1 around the island of
unwahrscheinlich, dass H5N1-erkrankte bzw. tote      Rügen (Baltic Sea, Germany) in February 2006 as well as
Vögel dem herbstlichen Monitoring entgangen          their proportions.
wären. Daraus lässt sich schließen, dass Deutsch-
                                                                               Anzahl
land und die westliche Ostsee mindestens bis zum                              Number
                                                                                         %        %        %
Jahreswechsel 2005/6 HPAI-H5N1-frei gewesen         Winterpopulation
sein müssen. Darüber hinaus wurden bei Untersu-                               150.000 100,0
                                                    Wintering population
chungen an wilden Wasservögeln zwischen 2001        Tote Vögel
und Januar 2005 zwar Vogelgrippeviren von den                                   5.911    3,9    100,0
                                                    Dead birds
Subtypen H3, H4, H5 und H7 gefunden, aber es        Getestete Vögel
                                                                                4.989    3,3     84,4 100,0
handelte sich ausschließlich um niedrigpathogene    Birds tested
Stämme (Globig 2006, Hlinak et al. 2006). Damit     Vögel mit H5N1
                                                                                 158     0,1      2,7     3,2
kann das hochpathogene H5N1-Virus frühestens        Birds with H5N1
F. PüchelJ.H. Mooij:etVogelgrippe
                       -Wieling                und Zugvögel:
                                    al.: Brutbestände        Wie gefährlich 2001-2003
                                                      von Wiesenlimikolen   ist H5N1? in NRW                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            207

im Herbst 2005 von Wasservögeln eingeschleppt                                                                                                         gekommen sein, z.B. durch die Winterflucht einzel-
worden sein.                                                                                                                                          ner Wasservögel aus dem osteuropäischen Raum,
Hinzu kommt, dass in strengeren Wintern ein Teil                                                                                                      wo H5N1 zu der Zeit bereits weiter verbreitet war,
der Wasservögel der westlichen Ostsee weiterzieht,                                                                                                    z.B. Süd-Russland, der Ukraine oder dem rumä-
z.B. in die Niederlande, zum Niederrhein und an                                                                                                       nischen Donaudelta, was das FLI vermutet.
die mittlere Weser. Dies war auch im Winter 2005/6                                                                                                    Bei einer Betrachtung des winterlichen Tempera-
in der zweiten Januar-Hälfte der Fall. Obwohl der                                                                                                     turverlaufs am Nordufer des Schwarzen Meeres
Winter 2005/6 kalt war und im Februar 2006 das                                                                                                        (SW Ukraine), des nordöstlichen Mittelmeerraumes
H5N1-Virus bei vor Rügen verendeten Höcker- und                                                                                                       (Istanbul) und der Nordost-Küste Deutschlands
Singschwänen nachgewiesen wurde, gab es jedoch                                                                                                        (Greifswald) zeigt sich eine extreme Kälteperiode
keine Nachweise aus den Niederlanden, vom Nie-                                                                                                        in der zweiten Januarhälfte 2006, die zur Kälte-
derrhein oder von der Weser. Auch diese Tatsache                                                                                                      flucht von Wasservögeln aus dem nordwestlichen
könnte darauf hinweisen, dass das Virus zu der Zeit                                                                                                   Schwarzmeer-Raum (SW-Ukraine) geführt haben
noch nicht in der Ostsee angekommen war. Wäre                                                                                                         könnte (Abb. 1). Hierbei könnten Schwäne, die
HPAI-H5N1 jedoch bereits im Herbst 2005 von                                                                                                           sich im rumänischen Teil des Donaudeltas mit
Enten in den Ostseeraum eingeschleppt worden,                                                                                                         H5N1 infiziert hatten, Ende Januar nach Westen
lässt sich schlecht erklären, warum es nur dort                                                                                                       und Südwesten geflogen und später in Griechen-
und nicht in anderen Teilen Europas nachgewiesen                                                                                                      land (30.01.2006), Süditalien (01.02.2006), Ungarn
wurde und warum es erst im Februar zu einem                                                                                                           (04.02.2006), Slowenien (09.02.2006) und Öster-
Ausbruch kam, obwohl es bereits seit Dezember                                                                                                         reich (13.02.2006) verendet sein. Problematisch
kalt war und sich die Wasservögel an wenigen Eis-                                                                                                     sind die Entfernungen von 600 bis zu 1.400 km,
löchern konzentrierten.                                                                                                                               die die infizierten (häufig als äußerst empfindlich
Wenn das Virus also nicht bereits im Herbst 2005                                                                                                      deklarierten) Schwäne zurückgelegt haben müssen.
eingeschleppt wurde, müsste es spätestens Ende                                                                                                        Eine Winterflucht vom Schwarzen Meer zur Ostsee
Januar 2006 von außerhalb eingeschleppt worden                                                                                                        scheint jedoch noch weniger realistisch. So beträgt
sein. Es ist nicht grundsätzlich auszuschließen, dass                                                                                                 die Flugentfernung nicht nur über 1.500 km, son-
das H5N1-Virus in einzelnen Fällen durch infizierte                                                                                                   dern die hypothetischen Winterflüchtlinge müssten
und nur über relativ kurze Entfernungen wandernde                                                                                                     auch in einer im Winter unüblichen nordwestlichen
Wasservögel übertragen wird (z.B. H5N1-Fälle                                                                                                          Richtung über das Festland fliegen. Darüber hinaus
an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern, in                                                                                                           hätten sie über die gesamte Strecke über einge-
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg,                                                                                                       frorene und verschneite Gebiete fliegen müssen,
Dänemark und Südschweden), aber es gab zu der                                                                                                         die nur unwesentlich wärmer bzw. teilweise sogar
Zeit keine Ausbrüche in der näheren Umgebung, die                                                                                                     wesentlich kälter waren als die Schwarzmeerküste.
für Rügen als „Spender“ hätten auftreten können.                                                                                                      Wenige 100 Kilometer südlich herrschten dagegen
Damit müsste das Rügen-Virus von weiter weg                                                                                                           zu dieser Zeit Temperaturen über der Frostgrenze.

                                                         15
                                                                                                                                                                                                                                         Möglicher Einflug
                                                                                                                                                                                                                                          Possible fly in
                                                         10

                                                          5

Abb. 1: Temperaturverlauf am Nor-                         0
                                       Temperatur [°C]

dufer des Schwarzen Meeres (SW
Ukraine), des nordöstlichen Mittel-                       -5
meerraumes (Istanbul) und der Nord-
ost-Küste Deutschlands (Greifswald)                      -10

in Januar und Februar 2006.
                                                         -15
Fig. 1: Temperatures along the north                                                         Greifswald
coast of the Black Sea (SW Ukraine),                     -20                                 SW Ukraine
                                                                                             Istanbul (Türkei)
the northeastern Mediterranean                                                                                                                                                                                                                                                                                                 HPAI H5N1 in Deutschland / in Germany
(Istanbul) as well as the Baltic Sea                     -25
                                                               01.01.2006
                                                                            03.01.2006
                                                                                         05.01.2006
                                                                                                      07.01.2006
                                                                                                                   09.01.2006
                                                                                                                                11.01.2006
                                                                                                                                             13.01.2006
                                                                                                                                                          15.01.2006
                                                                                                                                                                       17.01.2006
                                                                                                                                                                                    19.01.2006
                                                                                                                                                                                                 21.01.2006
                                                                                                                                                                                                              23.01.2006
                                                                                                                                                                                                                           25.01.2006
                                                                                                                                                                                                                                        27.01.2006
                                                                                                                                                                                                                                                     29.01.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                  31.01.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                               02.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                            04.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         06.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      08.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   10.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                12.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             14.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          16.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       18.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    20.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 22.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              24.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           26.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        28.02.2006
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     02.03.2006

coast of northern Germany (Greif-
swald) in January and February
2006.                                                                                                                                                                                                                                         Datum / Date
Sie können auch lesen