Expertise - Arm, abgehängt, ausgegrenzt. Eine Untersuchung zu Mangellagen eines Leben mit Hartz IV - Der Paritätische

 
WEITER LESEN
Expertise - Arm, abgehängt, ausgegrenzt. Eine Untersuchung zu Mangellagen eines Leben mit Hartz IV - Der Paritätische
Expertise

Arm, abgehängt, ausgegrenzt.
Eine Untersuchung zu Mangellagen
eines Leben mit Hartz IV.
DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Impressum

Herausgeber:
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V.
Paritätische Forschungsstelle
Oranienburger Str. 13–14
10178 Berlin

Inhaltlich verantwortlich gemäß Presserecht: Dr. Ulrich Schneider

Autor:
Dr. Andreas Aust
Telefon: 030 24636-322
E-Mail: sozpol@paritaet.org

Gestaltung:
Christine Maier

Titelbild:
© diy13 - stock adobe

Berlin, 1. September 2020
Inhalt
1. Einleitung .........................................................................................................................................................................................       2

2. Hartz-IV-Beziehende sind von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt ....................................                                                                                        5

3. Hartz-IV-Leistungen reichen nicht für eine empfohlene Ernährung ..........................................................................                                                                 9

4. Materielle Entbehrungen: Was fehlt Hartz-IV-Beziehenden? ...................................................................................... 13

5. Fazit .................................................................................................................................................................................................... 19

Literatur .................................................................................................................................................................................................... 21

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: SGB-II-Leistungen und Armutschwelle (2010 und 2018) ..................................................................................                                                             6

Tabelle 2: Geschätzte monatliche Einkünfte und „gerade ausreichendes Einkommen“
von SGB-II-Leistungen beziehenden Haushalten in Euro .....................................................................................................                                                   8

Abbildung 1: Warenkorb für Lebensmittel und Regelbedarf ............................................................................................... 11

Abbildung 2: Materielle Entbehrung I: Finanzielle Handlungsfähigkeit ........................................................................... 14

Abbildung 3: Materielle Entbehrung II: Soziale Teilhabe ....................................................................................................... 16

                                                                                                        1
1. Einleitung
Alle fünf Jahre, wenn die Einkommens- und Ver-               Becker 2011 und 2016). Die Diskussion der angemes-
brauchsstichprobe (EVS) neu erhoben und ausgewer-            senen Verfahren ist wichtig. Es droht aber die Gefahr,
tet ist, ist der Gesetzgeber gefordert, das menschen-        dass diese Debatte – sofern sie überhaupt mit einer
würdige Existenzminimum neu zu ermitteln. Aktuell            nennenswerten Öffentlichkeit stattfindet – von der
ist es wieder einmal soweit. Die Daten der EVS sind          zentralen Frage ablenkt, nämlich: Wird mit den Regel-
nach den Vorgaben des Bundesministeriums für Ar-             leistungen eine Bedarfsdeckung erreicht?
beit und Soziales ausgewertet worden. Die Ergeb-
nisse liegen dem Ministerium seit dem Frühjahr vor.          Der vorliegenden Expertise vorgelagert ist die Einsicht,
Erste Ergebnisse sind zuerst der Presse exklusiv zuge-       dass die Festlegung der Höhe des menschenwürdigen
spielt worden, bevor der Entwurf selber publik wurde.        Existenzminimums keine Frage ist, die sich „objektiv”
Nach dem Referentenentwurf wird der Regelbedarf              und „wissenschaftlich” beantworten ließe. Am Ende
für eine erwachsene Leistungsberechtigte um sieben           wird über die Höhe der existenzsichernden Leistungen
Euro auf 439 Euro steigen. Bei den 14- bis 17-Jährigen       politisch entschieden. Und das bedeutet schlicht
steigt der Regelbedarf um 39 Euro auf 367 und bei            formuliert: Wie viel Geld will die Regierung für die so-
der jüngsten Altersgruppe der bis 6-Jährigen um 28           ziale Sicherung der Ärmsten in diesem Land aufwen-
Euro auf 278 Euro. Der ermittelte Regelbedarf für die        den? Die Bundesregierung ist für die Verteilung des
Altersgruppe der 7- bis 13-Jährigen fällt geringer aus       gesellschaftlichen Reichtums politisch verantwortlich
als der Status quo. Dieser bleibt zunächst unverän-          und sie kann und darf sich nicht durch den Verweis auf
dert. Diese Zahlen sind vorläufige Rechengrößen für          ein vermeintlich objektives Verfahren aus der Verant-
das Jahr 2020 und umfassen ausweislich des Entwurfs          wortung stehlen.
noch nicht die Fortschreibung auf das Jahr 2021, weil
hier die Daten des Statistischen Bundesamtes noch            In der vorliegenden Expertise soll keine Methoden-
nicht vorliegen.                                             kritik vorgetragen werden. Hier werden nicht die ein-
                                                             zelnen Schritte der vermeintlichen Bedarfsermittlung
Die Ermittlung der Leistungen setzt offenkundig und          diskutiert und kritisiert. Tatsächlich – so viel Metho-
explizit auf Kontinuität. Die Anpassung der Leistungen       denkritik muss dann doch sein – werden im Statistik-
für die Erwachsenen kompensiert gerade einmal die            modell überhaupt keine „Bedarfe” ermittelt, sondern
Preisentwicklung. Seit 2014 steht die Aussage des Bun-       es werden Verbrauchsausgaben einer politisch festge-
desverfassungsgerichts im Raum, dass die Ermittlung          legten Gruppe berechnet und nach einer fragwürdigen
der Regelbedarfe die Grenzen des verfassungsrechtlich        Einstufung einzelner Positionen als regelsatzrelevant
noch Zulässigen erreicht habe (Bundesverfassungsge-          und nicht regelsatzrelevant aus diesen Ausgaben ein
richt 2014, Rn. 121). Gleichwohl hält die Bundesregie-       Existenzminimum abgeleitet. Die Frage, was die be-
rung an den derart ermittelten Regelbedarfen im Kern         troffenen Menschen aber tatsächlich brauchen, wird
fest und vermeidet, aus welchen Gründen auch immer,          mit dem Verfahren nicht gestellt. Wie dem auch sei: Die
eine dringend notwendige deutliche Anpassung nach            Diskussion von Methodenfragen soll hier nicht aufge-
oben.                                                        rufen werden. In dieser Expertise wird stattdessen die
                                                             Frage der Bedarfsdeckung in den Mittelpunkt gestellt:
Absehbar ist, dass die Diskussion im Rahmen der Re-          Ermöglichen die Leistungen der Grundsicherung sozi-
gelbedarfsermittlung sich auf die eher technisch an-         ale und kulturelle Teilhabe am Leben in der Gemein-
mutende Frage fokussieren wird, wie die Bundesregie-         schaft?
rung hat rechnen lassen und an welchen Stellen sie mit
welcher fadenscheinigen Begründung Eingriffe in das          Als Maßstab für die Zielerreichung werden zunächst
sogenannte Statistikmodell vorgenommen hat. Auch             die normativen Setzungen des Bundesverfassungs-
der Paritätische Gesamtverband wird sich in diese            gerichts zugrunde gelegt. Dieses hat 2010 aus dem
Debatte sachkundig einbringen (vgl. Paritätischer Ge-        Zusammenspiel der verfassungsrechtlich verbürgten
samtverband 2020a und zu dieser Kritik auch Becker-          Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip das
                                                         2
Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschen-              Zusammenhang ist das SDG 10 besonders interes-
würdigen Existenzminimums abgeleitet. Dieses                   sant: Mit diesem Ziel verpflichten sich die unterzeich-
Grundrecht umfasst nach dem ersten Leitsatz dieser             nenden Länder zu einer Politik, in der die einkom-
grundlegenden Entscheidung „diejenigen materiellen             mensschwächsten 40 Prozent der Haushalte in der
Voraussetzungen (...), die für seine physische Existenz        Gesellschaft bis 2030 stärkere Einkommenszuwächse
und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaft-            haben als der Durchschnitt (Ziel 10.1). Die Haushalte
lichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich”        im Hartz-IV-Bezug zählen zweifelsohne zu den un-
sind. Darüber hinaus fordert der zweite Leitsatz, dass         teren 40 Prozent der Haushalte; sie bilden den unteren
die Leistungen durch den Gesetzgeber konkretisiert             Rand dieser Gruppe. Maßnahmen zur Reduzierung
und stetig aktualisiert werden müssen. Die Konkreti-           von sozialer Ungleichheit müssen daher auch oder so-
sierung und Aktualisierung hat sich dabei an „dem je-          gar insbesondere bei dieser Gruppe ansetzen. Hier soll
weiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und                daher u. a. analysiert werden, ob und ggf. inwieweit
den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten”                dieser Aspekt der globalen Nachhaltigkeitsstrategie
(Bundesverfassungsgericht 2010). Die Sicherstel-               in Deutschland eingehalten wird, sprich: Wird mit der
lung des Grundrechts auf die Gewährleistung eines              Entwicklung der Grundsicherungsleistungen das Ziel
menschenwürdigen Existenzminimums liegt in der                 einer Angleichung der Einkommensverhältnisse er-
Verantwortung des Staates. Er kann diese Aufgabe               reicht oder konterkariert?
nicht an andere Akteure und Institutionen delegie-
ren, auf die hilfebedürftige Menschen keinen Rechts-           Der Aufbau der Expertise ist wie folgt: Zunächst wer-
anspruch haben. Die Standards lauten daher: Sicher-            den die Grundsicherungsleistungen in ihrer relativen
stellung der physischen Existenz und der Möglichkeit           Höhe analysiert. Gefragt wird: Reichen die durch-
zur Teilhabe, wobei die Qualität der Standards sich an         schnittlichen Leistungen aus, um Einkommensarmut
dem jeweiligen Entwicklungsstand der Gemeinschaft              der Leistungsberechtigten zu verhindern? In einem
zu orientieren hat. Das Bundesverfassungsgericht               weiteren Schritt wird der Abstand der Leistungen zur
spricht sich demnach gegen ein restriktives Verständ-          Armutsrisikoschwelle analysiert („Armutslücke”). Die-
nis von Grundsicherung aus, nach dem lediglich für             se Analyse wird für verschiedene Haushaltszusam-
die existentiellen Grundbedürfnisse zum Überleben              mensetzungen durchgeführt, um zu ermitteln welche
gesorgt werden muss. Vielmehr formuliert das                   Haushalte ggf. nach diesem Indikator besonders pro-
Bundesverfassungsgericht ein relatives Verständnis             blematische Lebenslagen haben. Um die zeitliche Ent-
der Grundsicherung: Wenn die Gesellschaft insgesamt            wicklung abzubilden, werden zwei Zeitpunkte – 2010
reicher wird, so müssen die Grundsicherungsbezie-              und 2018 als das Jahre der jüngsten EVS-Erhebung
henden daran teilhaben können. Über die Konkreti-              – betrachtet. Damit lässt sich die Frage beantworten,
sierung dieser Norm muss dann (sozial-)politisch ge-           ob die Entwicklung der Grundsicherungsleistungen
stritten werden.                                               einen Beitrag zu einer sozialen Angleichung leisten
                                                               oder nicht.
Jenseits der verfassungsrechtlich gesetzten Standards
gibt es einen weiteren Maßstab im Sinne einer poli-            In einem zweiten Kapitel wird folgende Frage analy-
tischen Absichtserklärung und damit Selbstverpflich-           siert: Inwieweit ist mit Hartz IV eine angemessene
tung. Die Bundesregierung hat die UN-2030-Strategie            Ernährung sichergestellt? Die Sicherstellung einer
unterzeichnet. Damit werden zahlreiche Entwick-                angemessenen Ernährung – die Vermeidung von Hun-
lungs- und Nachhaltigkeitsziele für die eigene poli-           ger und Unter- oder Fehlernährung – ist eine der vor-
tische Tätigkeit anerkannt, die sog. SDG (Sustainable          dringlichen Aufgaben der Grundsicherung, da sie die
Development Goals). Für den Kontext der Regelbe-               physische Existenz berührt. Zudem ist der Anteil für
darfe relevant sind hier das Bekenntnis zu einer Politik       Ernährung und Getränke mit etwa einem Drittel der
der Bekämpfung von Armut (SDG 1) und der Reduk-                größte Einzelposten bei dem Regelbedarf. Die Prüfung
tion von sozialer Ungleichheit (SDG 10). Für unseren           der Bedarfsdeckung in diesem Bereich ist daher von
                                                           3
herausragender Bedeutung. Hier werden zunächst Er-
gebnisse einer eigenen Auswertung der SOEP- Daten
präsentiert, nämlich ob Hartz-IV-beziehende Haus-
halte sich alle zwei Tage eine warme Mahlzeit mit
Fleisch, Fisch oder Geflügel leisten können. Zusätzlich
werden die Ergebnisse einer Studie referiert, die die
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-
rung für eine gesunde Ernährung in einen Warenkorb
übersetzt hat. Für die Bedarfsdeckung zentral ist: Kann
dieser Warenkorb mit den Mitteln der Grundsicherung
finanziert werden?

In einem dritten Kapitel werden Hartz IV beziehende
Haushalte in Bezug auf verschiedene Aspekte der sog.
materiellen Entbehrung untersucht und mit Haushal-
ten oberhalb der Hartz-IV-Schwelle verglichen. Die Leit-
frage lautet: Was fehlt bei Hartz-IV-Leistungsberech-
tigten? Bei welchen Aspekten des täglichen Lebens
spüren Hartz-IV-Leistungsberechtigte besondere
Defizite? Die Analyse der Ausstattung der Haushalte
insgesamt gibt darüber hinaus einen Hinweis auf den
„Entwicklungsstand eines Gemeinwesens”. Hier zeigt
sich beispielsweise, dass der Besitz eines Autos unter
den gegebenen Bedingungen von fehlenden Alterna-
tiven zur Mobilitätssicherung gesellschaftlicher Stan-
dard ist. Dieser Sachverhalt ist auch bei der Regelbe-
darfsermittlung zu berücksichtigen.

In einem abschließenden Kapitel werden die Ergeb-
nisse zusammengefasst und kurz auf die zuneh-
menden Probleme in der Corona-Pandemie verwiesen,
auf die die regierende Koalition bislang nur unzurei-
chend reagiert hat. Während insgesamt die Regierung
mit enormen Mitteln gegen die wirtschaftlichen und
sozialen Folgen der Corona-Pandemie vorgeht, blei-
ben die Interessen und Bedürfnisse der Ärmsten bis-
lang unberücksichtigt. Dieser Befund wird durch die
Vorlage des Referentenentwurfs für ein Regelbedarf-
sermittlungsgesetz nachdrücklich bestätigt.

                                                           4
2. Hartz-IV-Beziehende sind von der allgemeinen Wohl-
  standsentwicklung abgekoppelt
Wie hoch liegen die Leistungen der Grundsicherung?              zogen. Als Armut wird hier ein Einkommen unterhalb
Sind die Leistungen der Grundsicherung ausreichend,             von 60 Prozent des äquivalenzgewichteten Medianein-
um Armut der Leistungsberechtigten zu vermeiden?                kommens bezeichnet. Während für die Schwelle viel-
Als Maßstab für die Armut wird hier untersucht, ob und          fach der Ausdruck Armutsrisikoschwelle benutzt wird,
in welchem Umfang die durchschnittlichen Leistungen             bezeichnet für den Paritätischen dieser Schwellenwert
unterhalb der Armuts(risiko)schwelle liegen (Armuts-            schlicht Armut. Die Gründe dafür sind in den regelmä-
quote und Armutslücke). Darüber hinaus soll die Verän-          ßigen Armutsberichten hinreichend ausgeführt. Für
derung über die Zeit analysiert werden: Wie verändern           einen Single-Haushalt lag nach diesem Verständnis die
sich die Leistungen über die Zeit? Wie verändert sich die       Armutsschwelle 2018 bei 1.035 Euro. Ein Anteil von 40
Armutslücke – also der Abstand der durchschnittlichen           Prozent des äquivalenzgewichteten Medianeinkom-
Leistungen zur haushaltsspezifischen Armutsschwelle             mens gilt in der Literatur teilweise als “strenge Armut”
– zwischen 2010 und 2018? Desweiteren wird anhand               (vgl. etwa Hanesch u. a. 2000). Die “Armutslücke” be-
von Auswertungen der SOEP Daten des DIW analysiert,             zeichnet die Differenz der durchschnittlichen Leistun-
was Leistungsberechtigte selber sagen, wie viel Einkom-         gen zur Armutsschwelle.1
men sie brauchen, um gerade so auszukommen.
                                                                Desweiteren werden in diesem und in den folgenden
                                                                Kapiteln eigene Auswertungen des Sozioökono-
Methodisches Vorgehen                                           mischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für
                                                                Wirtschaftsforschung (DIW) durch die Paritätische For-
Um die genannten Fragen zu beantworten, werden drei             schungsstelle vorgestellt. Die Berechnungen mit den
Haushaltskonstellationen von Grundsicherungsbezie-              SOEP-Daten wurden von Carolin Linckh aus der Paritä-
henden (Single-Haushalt, Alleinerziehenden-Haushalt             tischen Forschungsstelle erstellt.
mit Kind bis 6 Jahre und Paarhaushalt mit Kind bis 6
Jahre) mit der jeweiligen Armutsschwelle kontrastiert.
Unterschieden werden zwei Zeitpunkte – 2010 und                 Ergebnisse
2018 – um die jüngere zeitliche Entwicklung darzustel-
len. Die durchschnittlichen Leistungen für 2010 sind ei-        Offenkundig reichen 2018 in einer der untersuchten
ner Studie des IAB entnommen (Tophoven u. a. 2015).             Haushaltskonstellationen die Leistungen der Grundsi-
Die Daten für 2018 sind in einer analogen Art und Wei-          cherung aus, um Armut zu vermeiden. In jeder ande-
se aus den Angaben der BA-Statistik ermittelt. Heran-           ren der untersuchten Konstellationen liegt die Summe
gezogen werden jeweils die Regelbedarfe, die Mehr-              der Leistungen bei durchschnittlichen Kosten der Un-
bedarfszuschläge bei Alleinerziehenden und die für              terkunft und Heizung unterhalb der Armutsschwelle.
den jeweiligen Haushaltstyp bundesweit durchschnitt-            Die Armutsquote für Leistungsberechtigte, die aus-
lichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Die durch-            schließlich auf die Leistungen der Grundsicherung an-
schnittlichen Wohnkosten nach Bedarfsgemeinschaft               gewiesen sind, liegt damit rechnerisch bei annähernd
wurden der Fachstatistik Wohn- und Kostensituation              100 Prozent. Lediglich in den Haushalten, die deutlich
für den Monat Juli 2018 entnommen. Einschlägig sind             höhere Kosten der Unterkunft und Heizung von den
für die Analyse der Leistungen der Grundsicherung die           Jobcentern erstattet bekommen, kann die Leistung die
anerkannten laufenden Kosten und nicht die tatsäch-             Armuts(risiko)schwelle noch überschreiten.
lichen Wohnkosten. Für das Jahr 2018 ergeben sich so
für einen Single-Haushalt im Durchschnitt Leistungen            1 Einen methodisch anderen Weg geht Paul Schröder vom Bremer
                                                                Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (2020). Schröder
in Höhe von 770 Euro, für einen Alleinerziehenden-              analysiert den Abstand der Regelbedarfsstufe 1 (Singlehaushalt) zur
Haushalt mit einem Kind von 1.307 Euro und für das              Armutsrisikoschwelle für den Zeitraum von 2006 bis 2016. Er zeigt mit
Paar mit einem Kind unter 6 Jahren von 1.582 Euro. Als          seinem Vorgehen auf anderen Weg – ohne Betrachtung der Wohnkosten
                                                                und ohne Differenzierung nach Haushaltstypen –, dass die Lücke zwischen
Datengrundlage für die Ermittlung der Armutsschwelle            dem Regelbedarf für eine erwachsene Person (Regelbedarfsstufe 1) und
werden die Angaben nach dem Mikrozensus herange-                der Armutsschwelle wächst.

                                                            5
Tabelle 1: SGB-II-Leistungen und Armutschwelle (2010 und 2018)

                                  Jahr         Regel-         Mehr-          Kosten der          Summe          Armuts-         Armuts-
                                               bedarf         bedarf        Unterkunft +                        schwelle         lücke
                                                                              Heizung
                                  2018           416 €            0€                 354 €         770 €          1.035 €           265 €
Einpersonenhaushalt
                                  2010           359 €            0€                 275 €         634 €            826 €           192 €
Alleinerziehende,                 2018           656 €          150 €                501 €       1.307 €          1.345 €            38 €
1 Kind unter 6 J.                 2010           574 €          129 €                358 €       1.061 €          1.074 €            13 €
Alleinerziehende,                 2018           952 €          150 €                598 €       1.700 €          1.656 €           -44 €
2 Kinder                          2010           825 €          129 €                409 €       1.363 €          1.322 €           -41 €
                                  2018           749 €            0€                 478 €       1.227 €          1.553 €           326 €
Paar ohne Kind
                                  2010           646 €            0€                 348 €         994 €          1.239 €           245 €
                                  2018           989 €            0€                 593 €       1.582 €          1.863 €           281 €
Paar, 1 Kind unter 6 J.
                                  2010           861 €            0€                 456 €       1.317 €          1.487 €           170 €
                                  2018         1.285 €              0€               675 €       1.960 €          2.174 €           214 €
Paar, 2 Kinder
                                  2010         1.112 €              0€               526 €       1.638 €          1.735 €            97 €
Anm.: Alter der Kinder: 1 Kind - bis unter 6 Jahren, 2 Kinder: 1 Kind bis unter 6 Jahre, 1 Kind bis unter 14 Jahre; Daten für 2010: Tophoven
       u. a. 2015; Armutsrisikoschwellen des Mikrozensus nach der Amtlichen Sozialberichterstattung; eigene Berechnungen

Am größten sind die Abstände zur Armutsschwelle                           könnte. Die Armutslücke beträgt bei den Alleinerzie-
bei den Alleinstehenden-Haushalten. Bei den Single-                       henden mit einem Kind bis 6 Jahre im Ergebnis daher
Haushalten liegt die Summe der durchschnittlichen                         im Vergleich zu den anderen Haushaltstypen „lediglich”
Leistungen der Grundsicherung mit 770 Euro um ein                         38 Euro.
Viertel unter der Armutsschwelle von 1.035 Euro. Die
Armutslücke beträgt hier 265 Euro. Selbst wenn man                        Wie entwickelten sich nun die Grundsicherungslei-
der Rede von Armuts“risiko“ folgt, ist doch der Abstand                   stungen in dem untersuchten Zeitraum? Betrachten
so groß, dass die Rede vom „Risiko“ nicht mehr ange-                      wir dazu exemplarisch den Single-Haushalt. Die Sum-
messen ist. Eine Leistung von 770 Euro entspricht 2018                    me der Leistungen stieg von durchschnittlichen 634
etwa 44,6 Prozent des Medianeinkommens und liegt                          Euro 2010 auf 770 Euro 2018. Nominell sind die Leis-
damit nur wenig oberhalb des Niveaus der strengen                         tungen damit von einem sehr niedrigen Niveau um
Armut. Bei Paaren mit einem Kind unter 6 Jahren la-                       136 Euro angestiegen. Dieser Anstieg ging allerdings
gen die durchschnittlichen Leistungen 2018 bei 1.582                      zu einem großen Anteil auf die steigenden Wohnko-
Euro und die Armutsschwelle bei 1.863 Euro. Die Lü-                       sten zurück. Für die Leistungsberechtigten ist dieser
cke zwischen Leistungen und Armutsschwelle liegt bei                      Posten ein durchlaufender Posten, da damit Miete
diesem Haushaltstyp bei etwa 280 Euro. Bei den Allein-                    und Nebenkosten finanziert werden. Ein erhöhter Le-
erziehenden-Haushalten sieht das Verhältnis spürbar                       bensstandard für die Leistungsberechtigten geht da-
besser aus. Hier schlägt sich insbesondere der Mehrbe-                    mit in der Regel nicht einher. Der Regelbedarf stieg in
darf in Höhe von 150 Euro nieder. Bei der Äquivalenz-                     dem Zeitraum von 8 Jahren von 359 Euro auf 416 Euro.
gewichtung der Armutsschwelle fehlt methodisch eine                       Die Fortschreibung der Leistungen und die zwischen-
entsprechende Komponente mit der die besondere                            zeitliche Neuermittlung der Regelbedarfe 2010 und
Lebenslage von Alleinerziehenden abgebildet werden                        2016 haben zu einer kontinuierlichen, aber beschei-
                                                                      6
denen Anhebung der Leistungen in diesem Zeitraum             Der dramatische Anstieg der Armutslücke zwischen
geführt. In demselben Zeitraum ist der allgemeine            2010 und 2018 bedeutet, dass die Leistungsberech-
Verbraucherindex um fast 11,4 Prozent angestiegen.           tigten in der Grundsicherung an dem Wachstum des
Die Anpassungen der Regelbedarfe zwischen 2010               gesellschaftlichen Reichtums seit 2010 nicht partizi-
und 2018 haben damit im Wesentlichen die Preisent-           piert haben. Im Gegenteil: Sie wurden von der wirt-
wicklung ausgeglichen. Unter dem Strich verbleibt            schaftlichen Entwicklung abgehängt.
eine geringe reale Erhöhung der Regelleistungen für
den kompletten Zeitraum. Diese Aussage trifft auf alle
Haushaltskonstellationen zu.                                 Selbsteinschätzungen:
                                                             Wie viel Geld wird mindestens benötigt?
Wie haben sich nun die Leistungen im Verhältnis zur
wirtschaftlichen Situation entwickelt? Die vergan-           Schließlich soll die Frage angedeutet werden, ob mit
genen Jahre vor der Corona-Pandemie waren eine               diesen Leistungen ein Auskommen möglich ist. In den
Phase der guten Konjunktur mit stabilen Wachs-               weiteren Kapiteln wird auf die Defizite bei der Ernäh-
tumsraten und sinkenden Arbeitslosenquoten. Von              rung und der sozialen Teilhabe noch genauer einge-
dieser Prosperität haben in der Gesamtbetrachtung            gangen. Für einen ersten Überblick analysieren wir
zuletzt auch die Arbeitnehmer-Haushalte profi-               hier Aussagen von SGB-II-Leistungen beziehenden
tiert (dazu: Grabka / Goebel 2020). Die Entwicklung          Haushalten auf der Grundlage des SOEP. Hier gibt es
schlägt sich auch bei dem für die Berechnung der             die Möglichkeit, zwei Fragen zu kombinieren, um eine
Armutsschwelle relevanten Haushalt in der Mitte der          Einschätzung der betroffenen Leistungsberechtigten
Einkommensverteilung nieder. Insofern schlägt sich           abzubilden. In dem SOEP Fragebogen bezieht sich
in dem Anstieg der Armutsschwelle vermittelt auch            eine Frage auf das geschätzte Gesamteinkommen
die positive Einkommensentwicklung nieder.                   des Haushaltes (Frage 61 des Haushaltsfragebogens).
                                                             Eine zweite Frage (Frage 66) bittet die Interviewten u.
Im Ergebnis ist die Armutsschwelle in dem analysier-         a. anzugeben, welches Einkommen als „gerade ausrei-
ten Zeitraum zwischen 2010 und 2018 deutlich stär-           chend“ bewertet wird. Die Fragen wurden ausgewer-
ker gestiegen als die Leistungen der Grundsicherung.         tet für Haushalte in den mindestens ein Haushaltsmit-
Im Ergebnis sind die Armutslücken 2018 sehr viel hö-         glied aktuell SGB-Leistungen bezieht. Unterschieden
her als noch 2010. Bei einem Single-Haushalt stieg die       wurden drei Haushaltstypen: Einpersonenhaushalte,
Armutslücke von 192 Euro auf 265 Euro.                       Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern). In der fol-
                                                             genden Tabelle werden sowohl der Median als auch
Die relative Position der Grundsicherungsbezie-              der arithmetische Durchschnitt ausgewiesen.
henden verschlechtert sich mit dieser Entwicklung.
Um dies an dem Beispiel des Single-Haushalts zu illus-
trieren: 2010 entsprachen 623 Euro an durchschnitt-
licher Leistung noch ungefähr 46 Prozent des Medi-
aneinkommens. 2018 ist dieser Anteil auf etwa 44,6
Prozent gesunken. In den anderen beiden Haushalts-
konstellationen zeigt sich eine analoge Entwicklung:
Die Armutslücke zwischen Leistungen und Armuts-
schwelle wächst deutlich an. Bei den Alleinerziehen-
den-Haushalten mit einem Kind führt die Entwicklung
dazu, dass die Leistungen in 2010 bei durchschnitt-
lichen Wohnkosten aufgrund des Alleinerziehenden-
Mehrbedarfs noch annähernd armutsfest waren, in
2018 aber nicht mehr.
                                                         7
Tabelle 2: Geschätzte monatliche Einkünfte und „gerade ausreichendes Einkommen“
            von SGB-II-Leistungen beziehenden Haushalten in Euro
                             „Monatliche Einkünfte           „Gerade ausreichendes                Differenz
                                 (geschätzt)“                     Einkommen“
                             Median      Durchschnitt         Median     Durchschnitt       Median     Durchschnitt
Single-Haushalt                  800 €          847 €           1.000 €      1.045 €         200 €          198 €
Alleinerziehenden-             1.394 €        1.470 €           1.500 €      1.576 €         106 €          106 €
Haushalt
Paar mit Kind(ern)                2.000 €    2.135 €            2.300 €         2.400 €       300 €           265 €
Quelle: SOEP, eigene Auswertung

Die geschätzten monatlichen Gesamteinkünfte liegen           dem Niveau, der von den SGB-II-Leistungen bezie-
bei einem Einpersonenhaushalt im Mittel bei etwa             henden Haushalten als „gerade ausreichend“ bewertet.
800 Euro (Median). Bei Zugrundelegung des arithme-           Die Einkommen sind demnach im Urteil der Haushalte
tischen Durchschnitts erhöht sich die Summe auf 847          nicht ausreichend. Es zeigt sich bei allen Haushaltskon-
Euro. Wie zu erwarten, liegen die geschätzten Einkünf-       stellationen eine erhebliche Diskrepanz. Bei den al-
te leicht oberhalb der Leistungen der Grundsicherung,        lein lebenden Grundsicherungsbeziehenden liegt die
da bei einem Teil der Leistungsberechtigten Erwerbs-         Diskrepanz in einer Größenordnung von 200 Euro. Im
einkommen hinzukommen. Bei den Alleinstehenden               subjektiven Bewusstsein der Betroffenen stellt sich die
macht dies einen erheblichen Unterschied, wie ergän-         Armutslücke damit annähernd so hoch dar wie in der
zende Analysen deutlich machen: Unter den Haus-              zuvor dargelegten Analyse. Für die Paar-Haushalte mit
halten mit Erwerbseinkommen steigt das geschätzte            Kind(ern) liegen die Diskrepanzen zwischen geschätz-
Haushaltseinkommen im Median auf 850 Euro (arith-            ten und als notwendig erachteten Einkommen mit 300
metisches Mittel: 924 Euro), während bei den Haushal-        Euro (Median) in der Summe noch einmal höher als bei
ten ohne Erwerbseinkommen lediglich 785 Euro an-             den Single-Haushalten. Wiederum sind es die Haus-
gegeben werden (arithmetisches Mittel: 778 Euro). Bei        halte der Alleinerziehenden bei denen die Ergebnisse
den Haushalten mit Kindern ist ein direkter Abgleich         etwas günstiger ausfallen – aber auch hier gibt es eine
mit den typisierten Leistungen der Grundsicherung            Diskrepanz von 100 Euro, die dem Alleinerziehenden-
nicht möglich, da nicht nach der Anzahl und dem Alter        Haushalten im Mittel fehlen, um ein gerade als ausrei-
der Kinder differenziert werden konnte.                      chend angesehenes Einkommen zu erreichen.

Entscheidend ist für unseren Zusammenhang der Ab-
gleich mit der Einschätzung, welches Einkommen bei
den jeweiligen Haushalten als „gerade ausreichend“
bewertet wird. Von den allein im Haushalt Lebenden
wird eine Summe von 1.000 Euro (Median) als gera-
de ausreichend angegeben. Interessanterweise ent-
spricht diese Summe bei den Einpersonenhaushalten
annähernd der Armutsschwelle für diesen Haushalts-
typ. Bei den Alleinerziehenden liegt der analoge
Wert bei 1.500 Euro (Median) und bei den Paaren mit
Kind(ern) bei 2.300 Euro (Median). Die geschätzten
Haushaltseinkommen liegen allesamt deutlich unter
                                                         8
3. Hartz-IV-Leistungen reichen nicht
  für eine empfohlene Ernährung
Einem alleinstehenden ALG-II-Beziehenden stehen               Alle zwei Tage warme Mahlzeit mit Fleisch,
2020 rechnerisch 150,60 Euro pro Monat für die Er-            Fisch oder Geflügel
nährung zur Verfügung. Dies entspricht etwa fünf Euro
pro Tag für Essen und Trinken. Wohnen zwei Erwach-            Der Fragebogen des Sozio-ökonomischen Panels
sene zusammen, so reduziert sich die Summe pro Per-           (SOEP) des DIW beinhaltet eine Frage zu verschie-
son um 10 Prozent. Kinder und Jugendliche erhalten            denen Aspekten einer materiellen Unterversorgung.
noch weniger, nämlich je nach Alter zwischen 87 und           Als Indikator für Mangel bei der Ernährung findet sich
154 Euro. Pfeiffer (2014) argumentiert, dass es auch in       die Aussage, dass „mindestens alle zwei Tage eine
Deutschland Ernährungsarmut gibt und begründet                warme Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Geflügel ge-
dies u. a. mit den unzureichenden Regelbedarfen in            gessen” wird. Die Frage richtet sich nach dem Wortlaut
der Grundsicherung.                                           auf das tatsächliche Verhalten. Ergänzt wird die Frage
                                                              durch die Nachfrage, ob finanzielle Gründe für das
Kann mit den Leistungen der Grundsicherung der Be-            Verhalten ausschlaggebend sind. Die Antworten ha-
darf für die Ernährung gedeckt werden?                        ben wir differenziert ausgewertet nach verschiedenen
Um diese Frage zu beantworten, stellen wir hier drei          Haushaltstypen (Single-Haushalte, Paare mit Kind(ern)
zentrale Befunde vor:                                         und Alleinerziehende mit Kind(ern). In einem weiteren
                                                              Schritt haben wir uns auf die Teilgruppe der jeweiligen
1. eine eigene Auswertung der SOEP-Daten des DIW              Haushalte fokussiert, die keiner Erwerbsarbeit nach-
   zu der Frage, ob Haushalte im Arbeitslosengeld-II-         geht. Diese Gruppe wird besonders betrachtet, weil sie
   Bezug alle zwei Tage Fleisch, Fisch oder Geflügel          ausschließlich mit den Regelleistungen auskommen
   auf dem Speiseteller haben,                                muss.

2. die Ergebnisse der Expertise von Preuße und Bür-           Was ist das Ergebnis? Betrachten wir zunächst die
   kin, die im Rahmen eines von der EU-Kommission             Haushalte mit Hartz-IV-Leistungen. Bei den Alleiner-
   geförderten Forschungsprojektes untersucht ha-             ziehenden-Haushalten verneinen etwa sechs Prozent
   ben, wie viel Geld eine Ernährung nach den Emp-            jeden zweiten Tag eine entsprechende Mahlzeit einzu-
   fehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-            nehmen. Bei den Singles und den Paaren mit Kind(ern)
   rung kostet,                                               ist der Mangel spürbar ausgeprägter: Bei den Singles
                                                              geben fünfzehn Prozent an, dass es nicht jeden zwei-
und
                                                              ten Tag eine warme Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Ge-
3. die Ergebnisse einer aktuellen Meinungsumfrage             flügel gibt und bei den Paaren mit Kind(ern) sind es fast
   von Forsa im Auftrag des Paritätischen Gesamtver-          neun Prozent. Die Aussagen der Haushalte, die nicht im
   bandes.                                                    Hartz-IV-Bezug leben, unterscheiden sich in dieser Hin-
                                                              sicht nicht dramatisch von den Hartz-IV-Beziehenden
                                                              (Single: 17 Prozent; Alleinerziehenden-Haushalte: 12
                                                              Prozent; Paar mit Kind(ern): 5 Prozent). Der grundle-
                                                              gende Unterschied zeigt sich, wenn nach den Gründen
                                                              gefragt wird: Bei den Haushalten mit Arbeitslosengeld
                                                              II dominieren die finanziellen Gründe. Bei den anderen
                                                              Haushalten ist es dagegen ein Ausdruck des Lebens-
                                                              stils, eine bewusste Entscheidung weniger an Fleisch,
                                                              Fisch und Geflügel zu konsumieren; finanzielle Erwä-
                                                              gungen spielen hier kaum eine Rolle.

                                                          9
Entscheidend für die Frage, ob die Hartz-IV-Leistungen             Kosten einer gesunden Ernährung
ausreichend sind, ist die Analyse der Teilgruppe, die              nach den Standards der DGE
keine weiteren Erwerbseinkommen hat, und daher
im Wesentlichen von den Leistungen des SGB II leben                Im Rahmen eines von der EU finanzierten Pilotprojekts
muss. Ergebnisse gibt es zu den Paaren mit Kind(ern)               wurden in den Jahren 2014/15 in verschiedenen Ländern
und den Single-Haushalten. Die Anzahl der Allein-                  der EU Warenkörbe für verschiedene Bedarfsarten auf-
erziehenden-Haushalte reicht nicht aus, um weitere                 gestellt. In Deutschland haben Birgit Bürkin und Heide
Differenzierungen vorzunehmen. Bei den Paaren mit                  Preuße in diesem Zusammenhang einen Warenkorb für
Kind(ern) bestätigen nunmehr mehr als 18 Prozent den               den Bedarf Ernährung ausgearbeitet (vgl. Preuße 2018).
Mangel, bei den Single-Haushalten fast 17 Prozent.
Dieses Verhalten geht maßgeblich auf die soziale Lage              Dieser Warenkorb basiert auf Empfehlungen der Deut-
zurück und ist nur zum kleinen Teil auf ein bewusstes              schen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese Emp-
Ernährungsverhalten zurückzuführen. Etwa 70 Prozent                fehlungen wurden in einem methodisch reflektierten
geben an, dass der Verzicht durch einen Mangel an                  Prozess in einen möglichen Warenkorb übersetzt, der
Geld bedingt ist. Deutlich mehr als ein Zehntel dieser             eine gesunde Ernährung kostenminimal ermöglicht.
Haushalte gibt im Ergebnis an, dass aus finanziellen               Entsprechende Warenkörbe wurden für sechs verschie-
Gründen nicht an jedem zweiten Tag eine warme Mahl-                dene Haushaltskonstellationen aufgestellt. Unterstellt
zeit mit Fleisch, Fisch oder Geflügel bereitet wird (Paar          wurde, dass alle Mahlzeiten selbstständig zubereitet
mit Kind(ern): 11,7 Prozent; Singles – Fallzahl zu gering).        und zu Hause eingenommen wurden.

                                                                   In der konkreten Zusammensetzung der Warenkörbe
                                                                   sind angesichts der Vielfalt der möglichen DGE-kom-
Die Auswertung gibt einen deutlichen Hinweis da-                   patiblen Ernährungsweisen und -präferenzen verschie-
rauf, dass Leistungsberechtigte in der Grundsicherung              dene Entscheidungen unvermeidlich. Gleichwohl gibt
deutlich häufiger Defizite bei der Ernährung haben.                es hier eine Expertise, die erstmals seit den mittlerweile
Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass                     historisch zu nennenden Warenkörben des Deutschen
das tatsächliche Problem deutlich ausgeprägter ist,                Vereins in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen
weil in der Abfrage nicht berücksichtigt ist, wie die              kostenminimalen Warenkorb für eine offiziell empfohle-
Ernährung organisiert wird. Viele einkommensarme                   ne Ernährung skizziert. Der ermittelte Warenkorb wurde
Haushalte haben genügend zu essen, weil sie etwa die               schließlich mit Preisen versehen, um die Kosten zu be-
Angebote der Tafeln nutzen. Nach Angaben des Tafel-                stimmen. Die Preise wurden in Berlin ermittelt – eine
Bundesverbandes nutzen etwa 1,6 Mio. Menschen die                  deutschlandweite Preisermittlung fand nicht statt.
Angebote. Der Großteil nutzt dabei die Tafeln über
eine lange Zeit. Diese Menschen kompensieren un-
zureichende Leistungen der Grundsicherung über die
Angebote der Tafeln und decken damit einen erheb-
lichen Teil ihres Ernährungsbedarfs (vgl. Hartig 2018).

Die Aussage, dass es alle zwei Tage Fleisch, Fisch oder
Geflügel gibt, sagt zudem nichts aus über die Qualität
der Lebensmittel und die Standards ihrer Herstellung.

                                                              10
Die Expertise unterscheidet verschiedene Ausgabe-                                     Standards der DGE ist mit Hartz IV nicht möglich. Das
arten für den Bedarf Ernährung: Lebensmittel, soziale                                 Ausmaß der Unterdeckung unterscheidet sich je nach
Funktionen der Ernährung sowie Küchenausstattung.                                     Geschlecht und Haushaltsgröße. Bei einer Frau be-
Erst die Kombination der Bedarfsarten deckt nach den                                  trägt die Differenz etwa 14 Euro pro Monat, bei einem
Wertungen des Projektes vollumfänglich das Existenz-                                  Mann beläuft sich die Unterdeckung bereits auf 45
minimum für den Bereich Ernährung. Hier sollen in                                     Euro pro Monat. Je größer der Haushalt wird, desto
einem sehr restriktiven Zugang – und aus Gründen der                                  größer wird die Diskrepanz zwischen im Regelbedarf
besseren Vergleichbarkeit mit den Ermittlungsverfah-                                  vorgesehenen Mitteln und den für die empfohlene
ren für die SGB-II-Regelbedarfe – lediglich die ermit-                                Ernährungsweise notwendigen Ausgaben. Bei einem
telten notwendigen Ausgaben für die Lebensmittel                                      Paar mit zwei Kindern steigt die Diskrepanz bereits auf
dargestellt und mit den Anteilen für Ernährung im Re-                                 gewaltige 123 Euro pro Monat. Bei Kindern und Ju-
gelbedarf kontrastiert werden.                                                        gendlichen in Ganztagseinrichtungen mit Mittagsver-
                                                                                      pflegung kann sich die Unterdeckung durch das über
Im Ergebnis zeigt sich, dass über alle sechs Haushalts-                               das Bildungs- und Teilhabepaket finanzierte und be-
konstellationen der Anteil im Regelbedarf für Ernäh-                                  reitgestellte Mittagessen spürbar reduzieren – sofern
rung nicht ausreicht, um den aufgestellten Warenkorb                                  es entsprechende Angebote gibt.
zu finanzieren. Eine Ernährung nach den empfohlenen

Abbildung 1: Kosten für Warenkorb Lebensmittel und Regelbedarf

                                           Kosten für Warenkorb Lebensmittel und Regelbedarf
                   800 €

                                            Kosten für Warenkorb Lebensmittel
                                                                                                                    646 €
                                            Differenz Anteil Lebensmittel im SGB II-Regelbedarf
                   600 €                    zu DGE-Warenkorb
  Euro pro Monat

                                                                                                     491 €
                                                                                 462 €

                   400 €                                     358 €
                                                                                                                                   © Der Paritätische Gesamtverband

                                             195 €
                   200 €   164 €

                     0€
                                   -14 €
                                                     -45 €                               -59 €
                                                                     -88 €                               -88 €
                                                                                                                        -123 €
                   200
                    - €
                             Frau              Mann             Paar         Frau + 2 Kinder     Mann + 2 Kinder Paar + 2 Kinder
           Quelle: Preuße 2018

                                                                                 11
Kosten einer gesunden und ausgewogenen                          Das jüngst veröffentlichte Gutachten „Für eine nach-
Ernährung                                                       haltige Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik
                                                                entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestal-
Im Kontext der Aufklärungskampagne Hartz-Facts                  ten“ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik,
(https://www.hartzfacts.de/), die der Paritätische Ge-          Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz
samtverband und sanktionsfrei.de im Juli 2020 gestar-           beim Bundesministerium für Ernährung und Land-
tet haben, hat der Paritätische Gesamtverband eine              wirtschaft hat in seinen Analysen darauf hingewiesen,
repräsentative Meinungsumfrage an forsa vergeben                dass die Einkommenssituation für die Ernährungswei-
(Paritätischer Gesamtverband 2020b). Hier wurden                se wichtig ist. In der Analyse zeigt der Beirat, dass eine
die Befragten gebeten anzugeben, wie viel Geld ein              gesundheitsfördernde Ernährung teuer ist. In Bezug
Erwachsener im Monat benötigt, um sich gesund und               auf die Grundsicherungsleistungen kommt der Beirat
ausgewogen ernähren zu können. Es wurde dabei                   zu folgender Schlussfolgerung: „Armut erhöht die Ge-
nicht nach minimalen Kosten gefragt, sondern es wur-            fahr einer nicht bedarfsgerechten Ernährung und führt
den normale Standards unterstellt. Die Antworten der            zu Einschränkungen im Bereich der soziokulturellen
Befragten liegen daher noch einmal deutlich oberhalb            Teilhabe bis hin zur sozialen Isolation. Die derzeitige
der Ergebnisse von Bürkin und Preuße, die die benö-             Grundsicherung reicht ohne weitere Unterstützungs-
tigten minimalen Aufwendungen zur Umsetzung der                 ressourcen nicht aus, um eine gesundheitsförderliche
DGE-Empfehlungen analysiert haben. Im Durchschnitt              Ernährung zu realisieren. Folgerichtig sind im Sinne
haben die Befragten der forsa-Untersuchung eine                 einer den Nachhaltigkeitszielen verschriebenen Po-
Summe von 300 Euro pro Monat angegeben, die ein                 litik die Berechnungsgrundlagen und –methoden
Erwachsener bräuchte, um sich gesund und ausgewo-               der Regelbedarfsermittlung zu überprüfen.“ (Wissen-
gen zu ernähren. Die Diskrepanz zwischen dem, was               schaftlicher Beirat 2020, S. 114f.; 214). In seinen Emp-
gesellschaftlich als normal angesehen wird und dem              fehlungen rät der Beirat „der Bundesregierung daher,
zugestandenen Standard in der Grundsicherung ist                die Berechnungsmethodik für die Bedarfsermittlung
gewaltig. Die Angaben der Befragten, was gebraucht              so anzupassen, dass die Grundsicherungsleistungen
wird für eine gesunde und ausgewogene Ernährung,                eine gesundheitsfördernde Ernährung ermöglichen“
liegen fast doppelt so hoch wie der entsprechende Re-           (S. 666).
gelbedarf für Ernährung im Regelsatz.

Die Antworten unterscheiden sich zwar nach den
jeweiligen persönlichen Hintergründen und Erfah-
rungen – so geben etwa ältere Menschen deutlich
höhere Ausgaben an als junge Erwachsene. Auch die
eigene Einkommenssituation ist für die Antworten re-
levant: Je mehr Geld die Haushalte zur Verfügung ha-
ben, desto höhere Ausgaben für die Ernährung halten
sie für notwendig für eine gesunde und ausgewogene
Ernährung. Aber gleichwohl gilt: Alle Altersgruppe und
alle Einkommensklassen geben deutlich höhere benö-
tigte Ausgaben an als für Grundsicherungsbeziehende
vorgesehen sind. Lediglich ein Drittel der Befragten (31
Prozent) hält eine Summe von unter 250 Euro für aus-
reichend. Es kann damit geschlossen werden: Hartz IV
reicht nach den Einschätzungen der Bevölkerung nicht
für eine ausgewogene und gesunde Ernährung aus.

                                                           12
4. Materielle Entbehrungen:
  Was fehlt Hartz-IV-Beziehenden?
Mit dem Konzept der „materiellen Entbehrung“ oder                In der europäischen Statistik werden einzelne Indika-
„materiellen Deprivation“ wird ein Ansatz bezeich-               toren zu einem Index zusammengefasst, die es erlau-
net, mit dem die Versorgungslage von Haushalten                  ben sollen “materielle Entbehrung” und “erhebliche
mit Gütern und Leistungen abgebildet werden. Statt               materiellen Entbehrung” zu erkennen. Fokussiert wer-
die Einkommen eines Haushalts und die damit mög-                 den damit die Haushalte, die mehrere Defizite auf-
lichen Ausgaben zu analysieren, wird hier gefragt, ob            weisen. Ein derartiges Vorgehen der Aggregation von
bestimmte Güter oder Leistungen im Haushalt verfüg-              Mangellagen hat sicherlich seine Berechtigung, um
bar sind. Ein derartiger Ansatz wird beispielsweise in           Komplexität zu reduzieren und ländervergleichende
der EU-Statistik oder aber auch beim IAB verfolgt (vgl.          Aussagen zu erleichtern. Gleichwohl ist diese Methode
insbesondere Christoph 2008; Beste u. a. 2014 sowie              auch kritisch zu bewerten: Zum einen werden Sachver-
Müller u. a. 2017).                                              halte, die für die Betroffenen unterschiedlich relevant
                                                                 sind, umstandslos gleich gewichtet. Wichtiger scheint
Im Folgenden berichten wir eigene Auswertungen                   aber, dass durch dieses Vorgehen von der konkreten
der jüngsten verfügbaren Daten des SOEP. Mit der Fra-            Mangellage abstrahiert wird. Aus einer anschaulichen
ge 67 des Haushaltsbogens werden zwölf Güter und                 und allgemein nachvollziehbaren Antwort - etwa: „wir
Leistungen aufgeführt, deren Fehlen als Indikatoren              können uns keinen Urlaub leisten“ – wird ein abstrak-
für eine materielle Entbehrung zu verstehen sind. Die            ter Index der materiellen Entbehrung, der keine kon-
übergeordnete Frage lautet: „Welche der folgende                 krete Vorstellung mehr erlaubt. Aus diesen Gründen
Punkte treffen für Ihren Haushalt zu?“ Für diejenigen,           wird hier auf eine Aggregation der einzelnen Elemente
die das jeweilige Gut nicht in / für ihren Haushalt ver-         verzichtet und die einzelnen Antworten für sich bzw. in
fügbar haben, wird in einem zweiten Schritt gefragt,             sachgerechten Gruppen zusammengeführt diskutiert.
was dafür der Grund ist. Mit dieser Nachfrage wird aus-
geschlossen, dass mit der Frage nicht Mangel, sondern            Die vorgenommenen statistischen Auswertungen be-
lediglich unterschiedliche individuelle Präferenzen ab-          inhalten eine weitere Differenzierung in Bezug auf die
gebildet werden. So ist beispielsweise die – bereits dis-        Haushaltskonstellationen. So werden die Aussagen
kutierte – Frage nach „Alle zwei Tage wird eine warme            von Single-Haushalten, Alleinerziehenden-Haushalten
Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Geflügel gegessen“ für          sowie Paaren mit Kind(ern) unterschieden. Auf diese
eine/n Vegetarier*in ohne Aussagekraft in Bezug auf              Art und Weise lässt sich auf die spezielle Betroffenheit
eine mögliche materielle Entbehrung, da der Verzicht             von Familien abbilden.
anders motiviert ist. Der hier entscheidende Indikator
ist daher die Abwesenheit eines Gutes aus finanziellen
Gründen.

Im SOEP werden insgesamt 12 Güter abgefragt. Auf
die Frage „nach der warmen Mahlzeit“ ist bereits ein-
gegangen worden. Aus der weiteren Darstellung aus-
genommen wird zudem die Frage, ob zwei Paar Stra-
ßenschuhe vorhanden sind. Hier gibt es lediglich sehr
wenige Haushalte, die hier einen Mangel angeben. Es
verbleiben damit 10 Fragen, die hier in zwei Gruppen
sortiert werden sollen: (1) finanzielle Lage und (Ersatz
von) Ausstattung sowie (2) soziale Teilhabe. Die einzel-
nen Aspekte werden in der Auswertung vorgestellt.

                                                            13
Materielle Entbehrung I:                                                                                                                              zent der SGB-II-Haushalte geben an, nicht über finan-
Reduzierte finanzielle Handlungsfähigkeit                                                                                                             zielle Rücklagen zu verfügen. Die unterschiedlichen
                                                                                                                                                      Haushaltskonstellationen spielen bei dieser Frage
Bereits im ersten Kapitel wurde ausgeführt, dass die                                                                                                  keine nennenswerte Rolle: Alleinlebende Grundsi-
Hartz-IV-Haushalte in äußerst prekären finanziellen La-                                                                                               cherungsbeziehende haben ebenso selten Rücklagen
gen zumeist unterhalb der Armutsschwelle leben. Für                                                                                                   wie Familien in SGB-II-Bezug. Im Gegensatz dazu sind
die Haushalte im Grundsicherungsbezug ist es daher                                                                                                    Notfallrücklagen bei den Haushalten, die keine SGB-
eher normal, dass sie Schulden haben statt finanzieller                                                                                               II-Leistungen beziehen, eher die Normalität: 60 bis 80
Rücklagen (vgl. u. a. Beste u. a. 2014; Pfeiffer u. a. 2016).                                                                                         Prozent dieser Haushalte verfügen über eine finanzielle
Dies spiegelt sich auch in verschiedenen Aspekten der                                                                                                 Reserve. Auffällig ist hier allerdings der Unterschied
materiellen Unterversorgung wider, die die finanzielle                                                                                                zwischen den verschiedenen Familientypen: Während
Handlungsfähigkeit der SGB-II-beziehenden Haushalte                                                                                                   etwa 17 Prozent der Paare mit Kind(ern) angeben aus
abbilden.                                                                                                                                             finanziellen Gründen keine Rücklage für einen Notfall
                                                                                                                                                      zu haben, liegt der entsprechende Anteil bei den Al-
Am deutlichsten zeigt sich die finanzielle Knappheit                                                                                                  leinerziehenden mit etwas über 35 Prozent doppelt so
an dem Fehlen einer Notfallrücklage. Etwa 80 Pro-                                                                                                     hoch.

Abbildung 2: Materielle Entbehrung I: Finanzielle Handlungsfähigkeit

                                                                                                             Materielle Entbehrung I: Finanzielle Handlungsfähigkeit
   Notfallrücklag Ersetzen alter Ersetzen alter kleiner Betrag Wohnung

                                                                          Paar mit Kind(ern)          5,6 %
                                                                beheizt

                                                                            Alleinerziehend         3,9 %
                                                                                                          7,8 %
                                                                                      Single

                                                                                                    3,8 %
                                                    für sich

                                                                          Paar mit Kind(ern)                                               30,6 %
                                                                            Alleinerziehend                  8,7 %
                                                                                                                                 23,5 %
                                                                                      Single         4,2 %
                                                                                                                                     26,4 %
                                    Kleidung

                                                                          Paar mit Kind(ern)        3,1 %
                                                                                                                        17,0 %
                                                                            Alleinerziehend             7,4 %
                                                                                                                              21,7 %
                                                                                      Single            7,0 %
                                                                                                                                                      37,3 %

                                                                          Paar mit Kind(ern)                         14,4 %
                      Möbel

                                                                                                                                                                           56,0 %
                                                                            Alleinerziehend                                                      34,3 %
                                                                                                                                                                                    65,8
                                                                                      Single                                   21,9 &
                                                                                                                                                                                              73,5 %

                                                                          Paar mit Kind(ern)                            17,3 %
                                                                                                                                                                                                   77,1 %
        en

                                                                            Alleinerziehend                                                         35,8 %
                                                                                                                                                                                                    78,0 %
                                                                                      Single                                            26,7 %
                                                                                                                                                                                                        80,8 %
                                                                                               0%           10 %        20 %            30 %          40 %          50 %    60 %      70 %          80 %          90 %

                                                                                                                                 kein SGB II Bezug        SGB II Bezug                     © Der Paritätische Gesamtverband

                                                                                                                                                 14
Die Möglichkeit, alte Einrichtungsgegenstände und               den Haushalten oberhalb der Grundsicherung können
Kleider zu ersetzen, fällt Haushalten im Grundsi-               Wohnungen fast durchgängig beheizt werden.
cherungsbezug ebenfalls deutlich schwerer als ande-
ren Haushalten. Nachvollziehbar ist, dass die Probleme          Die äußerst prekäre finanzielle Lage der Hartz-IV-Haus-
umso größer ausfallen, je kostspieliger die Gegenstän-          halte spiegelt sich deutlich in diesen Angaben: Finan-
de sind. Der Ersatz von Möbeln fällt deutlich schwerer          zielle Rücklagen sind in der Regel nicht vorhanden.
als der Ersatz alter Kleidung. Zwischen 70 und 87 Pro-          Demzufolge führt etwa die Notwendigkeit alte Möbel
zent der Haushalte im Grundsicherungsbezug geben                oder Kleidung zu ersetzen, regelmäßig bereits zu Pro-
an, alte Möbel, wenn sie noch funktionsfähig sind, nicht        blemen. Der im Gesetz für diese Fälle vorgesehene Ver-
durch neue Möbel zu ersetzen. Bei 80 Prozent dieser             weis auf ein mögliches Darlehen hilft den betroffenen
Haushalte ist diese Entscheidung finanziell begründet.          Personen nicht weiter, da diese Darlehen im Anschluss
Im Ergebnis ersetzen Single-Haushalte zu fast 75 Pro-           in Form von reduzierten Leistungsansprüchen zurück-
zent alte nicht durch neue Möbel. Bei den Alleinerzie-          gezahlt werden müssen. Das Problem wird damit nicht
henden-Haushalten beträgt der Anteil 65 Prozent und             gelöst, sondern lediglich zeitlich gestreckt. Bei mehr
bei den Paarhaushalten mit Kind(ern) 56 Prozent. Im             als jedem vierten Haushalt im Hartz-IV-Bezug stehen
Gegensatz dazu steht die Situation bei den Haushalten           nicht einmal geringe Beträge zur persönlichen Verfü-
ohne SGB-II-Bezug. Hier ist das Ersetzen alter Möbel            gung. Auffällig ist, dass bei den Alleinerziehenden die
wiederum die Normalität. Sofern die Frage nach dem              Entbehrungen auch oberhalb der Hartz-IV-Schwelle
Ersetzen verneint wird, spielen bei den Haushalten              weiter verbreitet sind als bei anderen Haushaltskon-
oberhalb der Grundsicherungsschwelle andere Motive              stellationen.
als zu wenig Geld die entscheidende Rolle. Schwieriger
ist die Situation wiederum bei den Alleinerziehenden:
Hier wird von jedem zweiten Alleinerziehenden-Haus-
halt zu wenig Geld als Grund angegeben. Im Ergebnis             Materielle Entbehrung II:
sagen 15 Prozent der Paare mit Kind(ern), dass sie sich         soziale Teilhabe
aus finanziellen Gründen keine neuen Möbel kaufen,
etwas mehr als 20 Prozent der Singles und ein Drittel           Seinen deutlichsten Ausdruck findet die prekäre Lage
aller Alleinerziehenden-Haushalte.                              der Leistungsberechtigten bei den Aspekten der mate-
                                                                riellen Entbehrung, die der sozialen Teilhabe zugeord-
Auf einen „kleinen Betrag für sich“ müssen zwischen 23          net werden können. Hier zeigen sich im Vergleich zu
und 30 Prozent der Haushalte im SGB II verzichten, wo-          den Personen, die nicht auf Hartz-IV-Leistungen ange-
hingegen die entsprechende Antwort bei den Nicht-               wiesen sind, massive Unterschiede. Unter dem Strich
Leistungsbeziehenden unter 10 Prozent liegt. Das                zeigt sich: Mit den Leistungen des SGB II ist soziale Teil-
generelle Muster bestätigt sich auch bei dieser Frage:          habe nicht finanzierbar.
Leistungsberechtigte müssen sich deutlich stärker be-
scheiden. Ebenfalls in das bereits beschriebene Muster          Einmal im Jahr für eine Woche in Urlaub zu fahren, ist
passt, dass die Diskrepanz bei den Alleinerziehenden-           kein Luxus. Für Menschen im SGB-II-Bezug ist bereits
Haushalten am geringsten ausfällt. Bei den Alleiner-            institutionell die Abwesenheit von der Heimatadresse
ziehenden sind auch die Nicht-Leistungsberechtigten             auf drei Wochen im Jahr beschränkt - bei darüber hi-
häufig mit Entbehrungen konfrontiert.                           naus reichender, nicht bewilligter Abwesenheit entfällt
                                                                der Leistungsanspruch. Ein Urlaub ist damit in einge-
Die Wohnung beheizen zu können, scheint insgesamt               schränkten Umfang theoretisch möglich. Faktisch gilt
ein begrenztes Problem zu sein. Trotzdem bestätigen             aber, dass auch ein bescheidener Urlaub für die über-
etwa 5 Prozent der Paar-Haushalte mit Kind(ern) sowie           wältigende Mehrheit nicht zu finanzieren ist. Etwa vier
über 7 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte bei              von fünf Haushalte im Grundsicherungsbezug machen
der Frage einen Mangel aus finanziellen Gründen. Bei            nicht eine einwöchige Reise im Jahr. Bei den Alleiner-
                                                           15
ziehenden sind es sogar fast 90 Prozent. In jeweils 90                                     was mehr als zwanzig Prozent, dass sie aus finanziellen
Prozent der Fälle werden hierfür finanzielle Gründe                                        Gründen keine einwöchige Reise unternehmen und
angegeben. Über die Qualität der Urlaubsreise wird                                         bei den Paaren mit Kind(ern) sind es etwa 15 Prozent.
dabei keinerlei Aussage gemacht. Eine einwöchige Ur-                                       Bei den Alleinerziehenden stellt sich die Lage wiede-
laubsreise kann bspw. auch den verlängerten Besuch                                         rum schwieriger dar: Hier geben 37 Prozent an, aus fi-
eines Familienfestes bedeuten, bei denen Verwandte                                         nanziellen Gründen nicht in dem abgefragten Umfang
Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen.                                          zu verreisen. Dieser Anteil ist wiederum deutlich höher
Im Gegensatz dazu ist Urlaub bei der Gegengruppe die                                       als bei den anderen Haushalten.
weit überwiegende Realität. Bei den Singles sagen et-

Abbildung 3: Materielle Entbehrung II: Soziale Teilhabe

                                      Materielle Entbehrung II: Soziale Teilhabe

                Paar mit Kind(ern)            6,4 %
                                                                                             39,6 %
 Einladung
  Freunde

                  Alleinerziehend                                 17,9 %
                                                                                                           51,0 %
                            Single                    11,1 %
                                                                                                         49,0 %

                Paar mit Kind(ern)                7,2 %
     Freizeit

                                                                                                      45,9 %
                  Alleinerziehend                                 18,0 %
                                                                                                                  55,4 %
                            Single                  9,1 %
                                                                                                                       58,4 %

                Paar mit Kind(ern)                          15,2 %
     Urlaub

                                                                                                                                     69,3 %
                  Alleinerziehend                                                        37,0 %
                                                                                                                                                        85,7 %
                            Single                                    22,0 %
                                                                                                                                               78,0 %
     Internet

                Paar mit Kind(ern)
                  Alleinerziehend
                            Single        2,7 %
                                                                           26,3 %

                Paar mit Kind(ern)        2,3 %
                                                                                    32,2 %
     Auto

                  Alleinerziehend                        11,7 %
                                                                                                              51,3 %
                            Single                          15,4 %
                                                                                                                            63,3 %
                                     0%           10 %         20 %        30 %          40 %          50 %         60 %        70 %          80 %       90 %

                            kein SGB II Bezug
                            SGB II Bezug                                                                                                 © Der Paritätische Gesamtverband

                                                                                      16
Inwieweit die Mobilität gewährleistet ist, ist im SOEP          Autos gehören demnach aktuell zur üblichen Ausstat-
über den Besitz eines PKWs thematisiert. Unabhängig             tung eines Haushaltes. Autos sind insbesondere im
von der Bewertung von individualisiertem Autover-               ländlichen Raum z. T. unentbehrliche Voraussetzung
kehr aus ökologischer Perspektive ist zunächst einmal           für die Erwerbstätigkeit und die Organisation des so-
schlicht festzustellen, dass der Besitz eines PKWs den          zialen Lebens vom Einkauf bis hin zu Behörden- und
gesellschaftlichen Normalfall darstellt. Schauen wir            Arztbesuchen. In dem Maße, in dem es an praktikablen
diesbezüglich zuerst auf die Haushalte oberhalb der             und preiswerten Alternativen zum individuellen Au-
Hartz-IV-Schwelle, so zeigt sich: 95 Prozent der Paare          toverkehr fehlt, sind Grundsicherungsbeziehende in
mit Kind(ern) haben ein PKW. Bei den Alleinerziehen-            einem erheblichen Umfang bei der Mobilität einge-
den liegt der Anteil bei 80 Prozent und auch bei den            schränkt und insbesondere im ländlichen Raum vom
Singles verfügen mit 64 Prozent noch zwei von drei              sozialen Leben partiell ausgeschlossen.
Haushalten über ein Auto. Nur ein geringer Anteil der
Haushalte oberhalb der Hartz-IV-Schwelle muss nach              Zu der sozialen Teilhabe in einem engeren Sinne ge-
eigenen Ausgaben aus finanziellen Gründen auf einen             hören die Möglichkeiten einmal auszugehen oder
PKW verzichten (Paar mit Kind(ern): 2 Prozent, Alleiner-        sich mit Freunden zu verabreden. Diese Pflege von
ziehende: 11 Prozent und Singles: 15 Prozent).                  sozialen Beziehungen wird im SOEP durch die beiden
                                                                Punkte „Freunde einmal im Monat zum Essen einla-
Bei den Haushalten im SGB-II-Bezug zeigt sich dage-             den“ und „einmal im Monat ins Kino, Theater, Sport-
gen ein anderes Bild. Grundsätzlich schließt Hartz-IV-          veranstaltung oder ähnliches“ gehen zu können, ab-
Bezug den Besitz eines „angemessenen“ Autos nicht               gebildet. Wieder zeigt sich das mittlerweile vertraute
aus. Sofern aber ein Auto einen Verkaufswert von                Bild: Haushalte im Grundsicherungsbezug geben sehr
7.500 Euro überschreitet, gilt es als anzurechnendes            viel häufiger an, dass sie es sich nicht leisten können,
Vermögen. Sofern weiteres Vermögen vorhanden                    diesen sozialen Aktivitäten nachzugehen. Zwischen
ist, ist der PKW zunächst zu verwerten, bevor über-             vierzig und sechzig Prozent bei den verschiedenen
haupt Ansprüche gegenüber dem Jobcenter geltend                 Haushaltskonstellationen bestätigen diese Einschrän-
gemacht werden können. Es ist daher bereits aus in-             kung – wobei die Anteile beim Ausgehen etwas hö-
stitutionellen Gründen davon auszugehen, dass die               her ausfallen als bei den Einladungen an Freunde.
Autos von Grundsicherungsberechtigten generell                  Bemerkenswert ist, dass unter den Haushalten Paare
nicht hochwertig sind. Der Besitz von Autos ist aber            mit Kind(ern) am ehesten aktiv sein können. Allein-
auch unter Grundsicherungsbeziehenden anzutref-                 erziehende und Singles – bei denen das Bedürfnis
fen. Diese Aussage gilt insbesondere bei Haushalten             nach Austausch und sozialen Kontakten mutmaßlich
mit Kind(ern). Unter den Paaren mit Kind(ern) besitzt           noch stärker ausgeprägt sein sollte als bei Paaren mit
mit etwa 58 Prozent sogar die Mehrheit der Haushalte            Kind(ern) - können sich demgegenüber die genann-
ein PKW. Bei den Alleinerziehenden-Haushalten redu-             ten Aktivitäten deutlich seltener leisten. Die Gefahr
ziert sich der Anteil auf ein Drittel. Deutlich seltener        von Einsamkeit und sozialer Isolierung ist bei Singles
besitzen Single-Haushalte einen PKW. Hier verfügt               am ausgeprägtesten. Im Gegenzug dazu sagen weni-
gerade mal noch ein Fünftel der Gruppe über ein                 ger als 10 Prozent der Haushalte ohne Hartz-IV-Bezug,
Auto. Von denjenigen Haushalten, die nicht über ein             dass diese Aktivitäten aus finanziellen Gründen nicht
Auto verfügen, benennen jeweils drei Viertel finanzi-           möglich sind. Wie schon bei anderen Bereichen, sind
elle Gründe als ausschlaggebend. Insofern sind es bei           es auch hier wieder die Alleinerziehenden, die deut-
den Single-Haushalten fast zwei von drei Haushalte,             lich stärker finanziell bedingte Defizite bei diesen Ak-
die aus finanziellen Gründen kein Auto besitzen, bei            tivitäten angeben. Mit 18 Prozent gibt fast ein Fünftel
den Paar-Haushalten mit Kind(ern) liegt der Anteil bei          der Alleinerziehenden auch jenseits des Hartz-IV-Be-
einem Drittel und bei den Alleinerziehenden bei der             zugs an, aus finanziellen Gründen keine Freunde ein-
Hälfte der entsprechenden Gruppe.                               zuladen oder auszugehen.

                                                           17
Sie können auch lesen